Sklave der Wüste von mrs_ianto ================================================================================ Kapitel 97: Alexandria ---------------------- Hallo zusammen   Da ich heute den ganzen Tag sehr beschäftigt sein werde, aber weiss, wie sehr ihr auf die Fortsetzung wartet, gibt es das neue Kapitel jetzt schon kurz nach Mitternacht.   Ich wünsche euch viel Spass beim Lesen und mitfiebern.     --------------------------------------------------------------------------------------------------------------     Alexandria   Die Sonne verfärbt sich schon rot, als Helena an die Kabinentür klopft und den kleinen Raum betritt. Seit der Kontrolle, die vor Stunden stattgefunden hat, hat sie nur die Sklaven gesehen und macht sich Sorgen. Als erstes sieht sie Seto, der sich erhebt und sie fragend ansieht. »Prinzessin, was führt Euch in unsere bescheidene Unterkunft?«   Suchend sieht sich Helena um und entdeckt schliesslich Atemu, der auf dem oberen Bett liegt und sich nicht bewegt. »Ich wollte nach Euch sehen. In wenigen Minuten legen wir im Hafen von Alexandria an und …« »Eure Sorge ist unbegründet!« Fällt ihr Seto ins Wort. »Wir planen unsere nächsten Schritte. Wobei sich für uns die Frage stellt, werden Anna und Kimi Euch begleiten und uns dann im Palast in Theben erwarten oder begleiten sie uns.«   Helena zögert, dann atmet tief durch. »Verstehe. Ich denke, es macht die Sache für euch einfacher, wenn Kimi und Anna mich mit Toshi begleiten. Der gefährlichste Teil eurer Reise steht euch noch bevor und ich weiss nicht, ob ein Kleinkind sie überstehen kann.«   »Sie hat recht!« Mühsam richtet sich Atemu auf und springt auf den Boden. Sein Blick ist hart und weich zugleich. In seinen rubinroten Augen lodert ein gefährliches Feuer, als er Seto und Helena mustert. »So gern ich die Drei um mich habe, so muss ich ihr zustimmen Seto. Nicht nur, dass die Reise für Toshi zu anstrengend und gefährlich ist. Sie könnte uns auch in Gefahr bringen, wenn sie im falschen Moment anfängt zu weinen oder zu schreien.«   So ungern er es auch zugeben will, muss Seto Atemu zustimmen. Widerwillig nickt er und atmet tief durch. »Passt gut auf sie auf. Wann werdet Ihr das Schiff verlassen?« Nichts in seiner Stimme verrät, was er fühlt. Dass es ihm widerstrebt, seine Schützlinge einer anderen Person anzuvertrauen.   Helena schluckt leer. »Sobald wir angelegt haben, müssen wir auch schon an Land gehen. »Der Kapitän hat Mario darüber informiert, dass wir von einem Fahrer erwartet werden, der uns für die Nacht in ein Hotel bringen soll, bevor wir morgen nach Theben aufbrechen müssen.«   Ernst nickt Atemu und tritt auf Helena zu. »Wir werden von Bord gehen, sobald es Nacht ist und uns zum Nil durchschlagen. Wir werden mit einem der Handelsschiffe nach Theben reisen und nur ein paar Tage nach euch dort eintreffen. Es dauert mindestens acht Wochen, bevor die Zeremonie stattfinden kann, also macht Euch keine Sorgen, wir werden rechtzeitig da sein.« Die Augen schliessend senkt sie den Blick. »Ist es egoistisch, wenn ich nur daran denken kann, dass ich dem amtierenden Pharao meine Hand nicht versprechen will?« »Hach, Helena«, seufzt Atemu und hebt ihren Kopf mit zwei Fingern unter ihrem Kinn an. »Es ist nicht egoistisch. Es ist menschlich. So viele Menschenleben hängen davon ab, dass ich erfolgreich bin. Doch ich kann nur daran denken, dass ich zurück nach Domino will. Alles in mir wehrt sich dagegen, nach Theben zu reisen und den Thron wieder zu besteigen.« Als sie ihn nun erstaunt ansieht lächelt er leicht. »Ich habe mich auch gefragt, ob ich deswegen egoistisch bin, aber ich bin wie du nur ein Mensch mit Träumen und Wünschen. Wenn ich jetzt gehen und das nächste Schiff ins japanische Grossreich besteigen würde, dann wäre ich egoistisch, aber so wie du, gehe ich diesen Weg bis zu seinem Ende weiter.«   Erleichtert erwidert Helena das Lächeln. »Danke. Ich werde gut auf eure Sklaven aufpassen und euch beide in Theben erwarten.« Sie spüren, wie ein Ruck durch das Schiff geht und hören, wie Befehle gerufen werden. »Ich muss gehen. Viel Glück.« Sie umarmt Atemu und dann sogar Seto, ehe sie aus der kleinen Kabine eilt.   »Du solltest dich von Anna und Kimi verabschieden, Seto. Erkläre ihnen, was los ist. Ich bleibe hier.« Mit ernstem Blick und unlesbarer Miene wendet sich Atemu zu seinem Cousin um, geht die paar Schritte bis zu dem kleinen Fenster und blickt hinaus in den hell erleuchteten Hafen. »Nicht, dass sie noch glauben, dass wir sie abschieben.«   Seto will widersprechen. Ihm sagen, dass das nicht nötig ist, aber dann wird ihm klar, dass Atemu allein sein will. »Gut, ich bin gleich zurück«, murmelt er und verlässt die Kabine. Kaum ist Atemu allein, stützt er sich mit beiden Händen an der Wand ab und schliesst gepeinigt die Augen. Seit er dem Leutnant gegenüberstanden hat, schreit sein Inneres und er hat das Gefühl als würde sein Herz zerreissen. »Sharik! Seit über sechs Jahren warten sie auf mich. Beten und hoffen, dass ich zurückkehre.« Seine Stimme ist heiser, als hätte er stundenlang geschrien. Eine Stimme in ihm flüstert ihm zu, dass er von seinem Volk geliebt wird und nun endlich wieder seinem Geburtsrecht folgen kann. Doch gleichzeitig schreit eine andere Stimme, dass er davonlaufen und das ägyptische Grossreich seinem Schicksal überlassen soll. Schliesslich ist er hier aufs übelste verraten worden. Als er hört, wie sich Schritte nähern, strafft er sich und setzt mühsam die Maske auf, die seine Gefühle vor seiner Umwelt verbirgt. Er hat sich kaum umgedreht, als Kimi so stürmisch die Arme um ihn schlingt, dass er rücklings gegen die Wand knallt. Nach Luft schnappend, schlingt er die Arme um den Jungen und hält ihn fest. »Kimi, was ist denn los?«, fragt er den schluchzenden Jungen. »Meister Atemu, bitte lasst mich mitkommen. Ich will bei Euch bleiben! Egal, wie gefährlich es ist. Bitte, Meister Atemu. Ich flehe Euch an!« Mit verweinten Augen sieht er ihm verzweifelt ins Gesicht.   Leise seufzt Atemu und wischt ihm die Tränen von den Wangen. »Ach, Kimi. Ich dachte, du willst lieber bei Anna bleiben.« Heftig schüttelt Kimi den Kopf. »Ich liebe sie, aber sie liebt mich nicht. Bitte, lasst mich Euch begleiten.«   Wieder seufzt Atemu. Er ist hin und her gerissen und will den Jungen schon von sich schieben, als er Seto in der Tür stehen sieht. Schweigend sehen sie sich an, bis sein Cousin hereinkommt. »Kimi, ich habe es dir doch erklärt.« Zu Atemus Überraschung ist Setos Stimme sanft. »Du musst auf Anna und Toshi aufpassen. Willst du sie wirklich allein hier in einem euch unbekannten Land lassen?«   Wieder schüttelt Kimi den Kopf. »Ich will bei Euch bleiben!« Trotzig hält er sich an Atemu fest, bis dieser ihn von sich schiebt und ihn mit den Händen auf seinen Schultern sanft ansieht. »Kimi, wir kommen nach. Wir erreichen Theben nur ein paar Tage später als ihr. Bitte, gehe mit der Prinzessin mit und halte die Augen offen. Sobald wir im Palast sind, brauchen wir dann deine Hilfe. Du musst uns sagen, was du gesehen und gehört hast. Weisst du, Anna spricht unsere Sprache nicht, aber ich habe gesehen, dass du uns verstehst. Tust du das für mich? Bist du meine Augen und Ohren, bis wir ankommen?« Kimi öffnet schon den Mund, um zu widersprechen. Er will sich losreissen, aber dann sieht er in Atemus Augen. Hin und her gerissen, beisst er sich auf die Lippen, als er dann schliesslich nickt. »Okay, ich begleite die Prinzessin und passe auf Anna und Toshi auf. Ich bin Eure Augen und Ohren, aber wehe, Ihr taucht nicht auf.«   Innerlich schmunzelnd, weil Kimi es wagt, ihm zu drohen, nickt Atemu. »Wir tauchen auf. Nun bereite hier alles für eure Abreise vor. Sicher wollen Helena und Mario jeden Moment die Jacht verlassen.«   Noch einmal schlingt Kimi die Arme um Atemu, ehe er anfängt ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen und sie in eine Tasche stopft. Obwohl er sich beeilt, kontrolliert er zwei Mal, ob er auch ja nichts vergessen hat und rennt dann aus der Kabine, als er von Helena gerufen wird.   Schweigend haben Seto und Atemu ihn beobachtet und lassen sich nun auf die beiden unteren Betten sinken. »Du wirst ihn nicht mehr loswerden. Egal, wo du hingehst, er wird dir wie ein Hündchen folgen wollen.« Ernst verschränkt Seto die Arme und lehnt sich zurück. »Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass er dir noch ergebener ist, als Anna. So wie er ihr in den letzten Wochen immer hinterhergerannt ist.«   Im Gegensatz zu seinem Cousin ist Atemu nicht so ernst, als er sich zurücklehnt. »Er ist noch ein halbes Kind. Wir sind vermutlich die Ersten, die ihn wirklich gut behandeln und auch wenn ich mit Frauen nichts anfangen kann, ist mir doch aufgefallen, dass Anna eine sehr attraktive junge Frau ist. Dazu ist sie auch noch sehr nett zu allen. Da ist es doch kein Wunder, dass er sich ein wenig in sie verliebt hat.« Mit einem leichten Lächeln denkt er zurück. »Weisst du, auch als ich noch nicht annähernd so weit war, mich in Yugi zu verlieben, wäre ich ihm bis in die Hölle und wieder zurück gefolgt. Es ist für einen Sklaven unglaublich viel wert, wie ein Mensch behandelt zu werden. Darum erstaunt es mich ehrlich gesagt nicht wirklich, dass er bei uns bleiben wollte, besonders weil Anna ihn wohl abblitzen lässt.«   Murrend reibt sich Seto die Stirn. »Na toll. Sag mal, hast du eine Idee, wie wir unerkannt auf eins der Handelsschiffe kommen sollen?« Als er das Grinsen Atemus bemerkt, seufzt er auf. »Natürlich hast du schon eine Idee. Also, wie sieht die aus?«   Immer noch grinsend beugt sich Atemu vor. »Wir müssen nicht unerkannt auf ein Schiff kommen. Hast du schon vergessen, wie der Leutnant auf uns reagiert hat? Ich bin überzeugt, dass wir nur unerkannt bis zum Nilhandelshafen des einfachen Volkes kommen müssen. Wenn wir dann erkannt werden, dann ist es halt so. Entweder helfen sie uns oder wir werden als Gefangene nach Theben kommen. Wie auch immer, wir erreichen unser Ziel.«   Murrend verdreht Seto nun die Augen. »Na toll. Also ich würde es bevorzugen, meinem Stand entsprechend zu reisen, statt in Ketten meinem Vater vorgeführt zu werden und das wird passieren, wenn wir an die falschen Leute geraten.«   Ein Klopfen lässt sie zusammenfahren. »Es sollte doch nur noch die Crew an Bord sein«, flüstert Atemu, als er wie Seto aufsteht und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Herein?« Nichts verrät, wie angespannt und nervös sie sind, als sich die Tür öffnet. Damit rechnend, dass sie sich ihren Weg aus der Kabine und vom Schiff runter freikämpfen müssen, spannen sie ihre Muskeln an, nur um dann erstaunt auf den Leutnant zu starren, der sich tief vor ihnen verbeugt.   Erleichtert, dass er die Hoheiten noch antrifft, verneigt sich Karim so tief, dass er sich beinahe hinkniet. »Mein Pharao, mein Prinz. Ich bin hier, um euch vom Schiff zu geleiten.«   Ungläubig sehen sich Atemu und Seto an, ehe Atemu sich räuspert. »Erhebt euch, Leutnant«, verlangt er mit sanft befehlender Stimme. »Dann sagt uns, wie Ihr heisst.«   Langsam richtet sich Karim wieder auf, hält den Blick aber demütig gesenkt. »Ich Leutnant Karim Razik. Mein Pharao, ich gehörte damals zur Palastwache, als Ihr den Thron bestiegen habt.« Zu gern würde er die Hand ausstrecken und den Pharao berühren, nur um sich noch einmal zu vergewissern, dass er nicht vor einem Geist steht. Doch er unterdrückt den Drang, indem er die Hände auf den Rücken legt.   Es dauert einen Moment, aber dann weiten sich Atemus Augen. »Razik? Ich erinnere mich an Euch. Wieso seid Ihr jetzt in der Grenztruppe und nicht mehr bei der Palastwache?« Bevor der Mann vor ihm antworten kann, räuspert sich Seto. »Mein Vater hat alle Soldaten, die Euch treu ergeben waren und ihm nicht sofort die Treue geschworen haben, aus dem Palastdienst entlassen.« Geschockt starrt Atemu Seto an. Er fragt sich, ob er sich nicht gerade verhört hat, als ein Räuspern ihn wieder zum Leutnant blicken lässt. »Prinz Seto hat Recht. Es wurden viele meiner Kameraden ebenfalls aus dem Palastdienst entlassen. Nicht alle hatten wie ich das Glück und konnten in einer anderen Einheit unterkommen. Mein Pharao, wir müssen los, bevor der General und seine Leute die Jacht betreten, um sie an ihren definitiven Anlegeplatz zu eskortieren.«   »Was? Und das sagt Ihr uns jetzt!«, zischt Seto mit blitzenden Augen und holt hektisch seine Tasche unter dem Bett hervor, während Atemu den Korb holt und noch einmal kontrolliert, ob auch alles drin ist. Erleichtert atmet er auf, als er auch die Tafel Schokolade noch immer sicher eingepackt zwischen seiner Kleidung entdeckt. »Wir können. Wir vertrauen Euch unser Leben an, Leutnant Razik.« Mit einem leichten Lächeln, das nur seine Mundwinkel einen Hauch anhebt, nickt Atemu ihm zu.   »Dann los«, erwidert Karim hektisch und geht ihnen voraus aus der Kabine. Bevor sie den dunklen Gang verlassen, kommt der Kapitän auf sie zu und neigt sein Haupt. »Ich wünsche Euch eine gute Reise und dass Ihr eure Ziele erreicht.« Leicht lächelt er Atemu an der auf ihn zu tritt und ihm die Hand reicht. »Danke, Kapitän Polo. Ich wünschte, wir könnten noch einmal eine Partie Schach gegeneinander spielen. Selten habe ich mich mit so einem guten Gegner messen dürfen.«   Fest erwidert Kapitän Polo den Händedruck. »Es war mir jedes Mal ein Vergnügen, gegen Euch zu spielen. Auch wenn ich jede einzelne Partie verloren habe. Aber nun geht, der General wird in wenigen Minuten mit seinen Männern hier sein.« Er zögert einen Moment. »Passt auf Euch auf.«   »Das werden wir«, erwidert Atemu und lässt die Hand Polos los. »Passt Ihr auch auf Euch und die Mannschaft auf. Es sind gute Männer.« Auf einmal wird er von Seto am Arm gepackt. »Weitere Freundlichkeiten könnt ihr austauschen, wenn Ihr wieder auf dem Thron sitzt.« Murrend zieht er Atemu hinter sich her zu Karim, der schon ungeduldig auf sie wartet und sich dabei nervös umsieht. »Na endlich.« Er sieht sich noch einmal um, ehe er die beiden Männer zum Heck des Schiffes führt und sie dort in ein kleines Boot steigen lässt. Kaum sitzen sie sicher, greift er nach den Rudern. Mit kräftigen Ruderschlägen versetzt er das Boot in Bewegung. Es dauert nicht lange, da werden sie von einer Strömung erfasst. Erleichtert hebt er die Ruder an und sieht wie seine Fahrgäste zu der Jacht, von der sie sich immer weiter entfernen. Im Schatten einer überhängenden Mauer stoppt Karim das Boot und sichert sie vor dem weiteren Abtreiben, indem er nach einem steinernen Vorsprung greift. »Sie können uns hier nicht sehen, aber hören. Also seid leise«, flüstert er gerade laut genug, um das leise Plätschern der Wellen zu übertönen.   Atemu schluckt und nickt Karim zu, um ihm zu zeigen, dass sie verstanden haben. Unwillkürlich muss er wieder zur Jacht blicken, die von ihrer Position aus hell erleuchtet auf dem Wasser liegt. Er kann sehen, dass nun mehrere Soldaten auf dem Deck stehen. Deutlich ist zu hören, wie der General Befehle zur Durchsuchung des Schiffes erteilt. Die Mannschaft wird an Deck von drei Soldaten bewacht und erst jetzt wird ihm klar, wie knapp sie einer Entdeckung entgangen sind. Leicht bewegt sich das kleine Boot auf den Wellen hin und her, während die Minuten sich zu Stunden dehnen und nicht vergehen wollen. Inzwischen sind ihre Nerven bis zum Zerreissen gespannt. Sie wagen es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.   Immer wieder sieht Atemu zum Himmel und schätzt ab, wie spät es ist. Die Sonne ist schon längst untergegangen und der Mond ist aufgegangen, als die Jacht ablegt und zu einer anderen Anlegestelle fährt. Fragend sieht er nun zu Karim der den Vorsprung nun loslässt. »Ja, es war knapp. Nur zwei Minuten später und wir hätten es nicht mehr geschafft.« Er greift nach den Rudern und stösst das Boot von der Wand ab. »Es sind nur noch etwas mehr als hundert Meter, bis wir ungesehen an Land gehen können. Die Lippen aufeinander pressend steuert er das Boot zurück und die stärkere Strömung. Da sie jetzt nicht mehr leise sein müssen, rudert er auch in der Strömung weiter und so erreichen sie schnell die Sandbank am Rand des Hafens. Geschickt lässt er das Boot auf dem Sand aufsetzen und springt dann ins Wasser. Mühsam zieht er das kleine Ruderboot weiter an Land, bis das Wasser nur noch seine Knöchel umspielt. »Kommt, meine Wohnung ist nicht weit von hier entfernt.« Er hilft Atemu und Seto aus dem Boot zu steigen. »Verzeiht, dass ich das Boot nicht weiter an Land ziehen konnte«, murmelt er mit gesenktem Blick, als er sieht, wie Seto das Gesicht verzieht. »Ihr müsst noch viel lernen«, murrt Seto, während er angewidert auf das Wasser blickt, das nicht nur seine Füsse, sondern auch die Hose durchnässt und den sowieso schon groben Stoff noch unangenehmer an seiner Haut kleben lässt.   Atemu hingegen nimmt es stoisch hin, dass seine Füsse nass werden. Er ignoriert das Murren seines Cousins, als er an Land stapft und dabei darauf achtet, dass seine Schätze nicht aus Versehen nass werden. Schliesslich setzt er sich im Schatten auf einen der hier rumliegenden Felsen und zieht sich den einen Schuh aus. Irgendwie fasziniert es ihn zu beobachten, wie das Wasser aus dem Schuh auf den Sand trifft. Nachdem er beide Schuhe entleert hat, zieht er sie wieder an und verzieht das Gesicht, als sich das nasse Leder unangenehm um seine Füsse legt. Erst jetzt sieht er sich nach Seto und dem Leutnant um, die sich wie er hingesetzt haben. »Wie geht es weiter?« Möchte er von Karim wissen, der sich zögernd zu ihm umwendet. »Wir gehen in meine Wohnung und schlafen erst einmal. Morgen werde ich unsere Weiterreise nach Theben organisieren und dann können wir bei Einbruch der Nacht losfahren. Ich würde gern noch mehr Leute hinzuziehen.« »Auf keinen Fall!«, zischt Seto und sieht ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an. »Je weniger Leute wissen, dass ich wieder im Land bin, desto besser. Wie ihr bestimmt wisst, lässt mein Vater mich suchen.« Betroffen senkt Karim den Blick. »Verzeiht, mein Prinz. Daran habe ich nicht gedacht.« »Das habe ich bemerkt, Leutnant! Nun stellt Euch vor, was passiert, wenn das Volk erfährt, dass der Pharao nicht nur lebt, sondern auch noch zurückgekehrt ist. Der entstehende Aufruhr würde den amtierenden Pharao alarmieren und unser Vorhaben noch mehr erschweren, ungesehen und unerkannt nach Theben zu kommen!« Mit eiskaltem Blick fixiert Seto den Mann neben sich und steht dann ruckartig auf. »Genug Zeit vertrödelt! Der Pharao muss sich ausruhen! Bring uns in deine Wohnung!«   Atemu beisst sich auf die Lippen, um nichts zu sagen. Er ahnt, dass sein Cousin das gerade braucht. Er versucht jedoch, stumm Ruhe zu vermitteln, als er betont entspannt aufsteht und nach seinem Korb greift. »Es wäre wirklich gut, wenn wir uns an einen sicheren Ort begeben könnten.« Der Wind frischt auf, weshalb er froh ist, dass er seinen Umhang aus dem Korb nehmen und ihn anziehen kann. Zur Sicherheit zieht er sich auch noch die Kapuze über den Kopf, ehe er wieder zu Seto blickt, der sich auch gerade die Kapuze tief ins Gesicht zieht. Karim beobachtet erstaunt, wie die beiden Hoheiten nur mit diesem einfachen Trick optisch zu Angehörigen des einfachen Volkes werden. »Gut gehen wir.« Obwohl er es nicht will, schwingt die Erleichterung in seiner Stimme mit. Er will dem Pharao den Korb abnehmen. Doch er hat das Weidengeflecht noch nicht einmal berührt, als dieser auch schon aus seiner Reichweite verschwindet. Er will etwas sagen, aber dann nickt er den beiden Männern nur schweigend zu und geht los.   Der Hafen ist hier am Rand der Bereich des einfachen Volkes, während das Haupthafenbecken mit den hell erleuchteten Docks der Oberschicht vorbehalten ist. Es widert Atemu an, als er sieht, wie verfallen hier die Lagerhallen sind und wie sogar die freien Arbeiter in zerlumpten Kleidern die Waren aus den von Sklaven gezogenen Kutschen laden. Magere Kinder lungern in den Schatten herum und er ahnt, dass sie nur durch die Anwesenheit des Leutnants davon abgehalten werden, zu ihnen zu kommen, um sie auszurauben. Es zerreisst ihm das Herz, hier am Hafen das Leid zu sehen, dabei sollten die Leute hier doch die besser bezahlte Arbeit haben. Nach kurzer Zeit verlassen sie das Hafengelände und ihm verschlägt es den Atem. War das Leid auf dem Hafengelände schon gross, hier ist es unbeschreiblich. Die Häuser sehen aus, als würden sie nur noch durch die Hilfe der Götter stehen. Die Strassen sehen aus, als wären sie seit Jahrzehnten nicht mehr repariert worden und der Müll stapelt sich am Strassenrand. »Was ist denn hier passiert? Das war doch einst eine relativ wohlhabende Gegend!« Kurz blickt Karim sich zu ihm um. »Das war einmal. Vor drei Jahren gab es hier ein Erdbeben. Der Pharao fand es unnötig, Mittel für den Wiederaufbau freizugeben. Die Menschen haben sich so gut es geht selbst geholfen und die Häuser mit ungebrannten Lehmziegeln wieder einigermassen repariert. Doch jeder Regen zwingt sie dazu, einen Teil der Ziegel wieder auszutauschen. Da ist es schon beinahe ein Glück, dass wir seit einem Jahr keinen Regentropfen mehr gesehen haben. Nur leider ist auch die letzte Nilflut nur sehr schwach ausgefallen. Sprich, das Volk in diesem Teil des Reiches hungert.«   Atemu runzelt die Stirn und bleibt für einen Moment sogar stehen, ehe er nach vorn eilt, bis er neben dem Leutnant hergeht. »Eine schwache Nilflut und Trockenheit kommt doch immer wieder vor! Dafür lagern wir doch extra Getreide und Wasser, um das Volk in diesen Jahren zu ernähren.«   Jede Zurückhaltung vergessend, schnaubt Karim. »Das Volk hat noch keinen Tropfen Wasser aus diesen Vorräten gesehen, geschweige denn auch nur ein Getreidekorn. Wer die inzwischen teuren Preise auf dem Markt nicht mehr bezahlen kann oder nicht bei der Armee ist, der hungert und trinkt schmutziges Wasser.«   Suchend sieht sich Atemu nach Seto um, der auf der anderen Seite Karims hergeht. »Prinz Seto, wie kann das sein? Der Pharao ist dafür verantwortlich, dass es dem Volk gut geht.« Nun ist es an Seto zu schnauben und sein Blick wird hart. »Ja und die Lager sind voll! Aber der amtierende Pharao ist der Meinung, dass der Pöbel nichts von diesen Vorräten verdient hat. Er behält die Vorräte für den Hof zurück.«   Auf einmal stolpert ein alter Mann in Atemus Blickfeld und droht in den Schmutz zu fallen. Reflexartig springt er zur Seite und fängt den Mann auf. Dabei rutscht ihm die Kapuze vom Kopf und das weisse Mondlicht erhellt seine Gesichtszüge. »Ist Euch etwas passiert, alter Mann?«, fragt er ihn freundlich und hilft ihm sich wieder aufzurichten. Erst, als er den geschockten Blick des Alten sieht, wird ihm bewusst, dass die Kapuze nur noch auf seinen Schultern ruht. »Pharao Nesut-anch-Ra! Ihr seid aus dem Totenreich zurückgekehrt. Unsere Gebete sind erhört worden!«, ruft der Alte aus und wirft sich vor Atemu in den Schmutz, vor dem er gerade eben bewahrt worden ist. »Verzeiht, dass ich Unwürdiger Euch durch meine Berührung entehrt und beschmutzt habe!«   Nur mit Mühe unterdrückt Atemu ein Seufzen, als er den Alten wieder auf die Beine zieht. »Alterchen, schmeisse dich nicht vor mir in den Schmutz. Ja, ich bin zurückgekehrt, um mein Volk von dem Tyrannen zu befreien. Doch es ist wichtig, dass meine Anwesenheit noch ein Geheimnis bleibt. Kannst du mir versprechen, dass du schweigst?« Schon als er die Worte ausspricht, wird ihm klar, dass diese Bitte sinnlos ist. Kommen doch schon die Menschen aus ihren Behausungen und schmeissen sich vor ihm in den Dreck.   Es werden immer mehr, sodass er sich schliesslich gezwungen sieht, zu ihnen zu sprechen. Tief atmet er durch, um seine Gedanken zu sammeln und strafft sich dann. »Mein Volk, meine Kinder. Ja, ich bin aus dem Reich der Toten zurückgekehrt. Die Zeit der Tyrannei wird bald enden. Doch noch bin ich nicht wieder im Palast. Haltet noch eine Weile durch. Schweigt über meine Anwesenheit und betet still zu den Göttern, dass sie mich, Prinz Seto und unsere Helfer sicher nach Theben geleiten, dass sie ihre Hände schützend über euch halten, bis der Tyrann vom Thron verstossen ist. Ich schwöre, dass ich mein Leben für euch einsetzen werde, dass die Kornkammern geöffnet werden und die Zeit des Hungers, des Durstes und des Leidens endet.« Während er redet, geht er an den Menschen vorbei. Hilft ihnen auf die Beine. Legt ihnen die Hände segnend auf den Kopf und die Schultern. Sanft und gütig lächelt er ihnen zu bis er wirklich auch noch das kleinste Kind, die älteste Frau und auch den durch Krankheit Entstelltesten berührt hat. Schliesslich stellt er sich wieder zu Seto und dem Leutnant. »Nun geht wieder in eure Häuser. Ich vertraue darauf, dass ihr schweigen werdet, bis ich wieder zu euch und dem restlichen Volk sprechen werde.«   Ein Raunen geht durch die Menge. Viele haben Tränen in den Augen und Schluchzen. »Wir versprechen es. Wir werden schweigen«, sagt nun der Alte, der durch seinen Sturz alle Pläne durcheinander gebracht hat.   »Mögen die Götter euch und eure Kinder schützen«, sagt Seto nun lächelnd und tritt schräg hinter Atemu. Zeigt so, dass er treu hinter seinem Pharao steht. Tief atmet Atemu durch und sieht sich nach seinem Korb um, den er für seine Rede hingestellt hatte. Zu seiner Erleichterung, trägt der Leutnant ihn. Zu gern würde er ihn wieder selbst in die Hand nehmen, aber er weiss, dass er das jetzt nicht darf. So wendet er sich um und geht hoch erhobenen Hauptes, gefolgt von Karim und Seto durch die sich teilende Menge, bis die Strasse wieder so verlassen wie zuvor vor ihnen liegt. »Wo lang?«, fragt er nun flüsternd woraufhin Karim auf eine Seitengasse deutet. »Da lang«, flüstert er zurück. Ihm steht es nicht zu, vor dem Pharao zu gehen und ihn zu führen. Schliesslich ist dieser für das einfache Volk als Sohn der Götter allwissend. Kaum merklich nickt Atemu und geht in die Seitengasse hinein. Er fragt sich, wo sie wohl hinführt, als er plötzlich auf einem Platz steht. Es ist niemand zu sehen, dennoch zieht er sich eilig die Kapuze wieder über den Kopf und tritt zur Seite. Er will schon fragen, wie weit sie noch gehen müssen, als Karim eins der schlichten Häuser ansteuert, die von der untersten Schicht der Oberschicht bewohnt werden. »Kommt, es sind nur zwei Etagen.« Besorgt, ob sie auch nicht beobachtet werden, sieht Karim sich um. Doch sie sind allein. Mit gesenkten Häuptern eilen sie die Treppen nach oben, bis sie vor einer blauen Tür anhalten. Hastig schliesst er sie auf und lässt seine Gäste in die kleine, aber doch halbwegs luxuriös ausgestattete Wohnung treten. »Hier lebe ich, wenn ich nicht gerade auf See bin. Die Lage ist nicht die Beste, aber für mich reicht es«, erklärt er leise und führt sie in das winzige Wohnzimmer. »Es ist vollkommen ausreichend, Leutnant.« Atemu lächelt ihn beruhigend an und zieht dann den Umhang aus. Erschöpft lässt er sich auf das Zweiersofa sinken und schliesst die Augen. »Sie werden nicht schweigen. Dafür ist ihr Leid viel zu gross.«       -------------------------------------------------------------------------------------------------------     Das war wieder viel zu knapp und wieder ist ein Plan nicht so aufgegangen, wie es unsere Freunde geplant haben. Immerhin, jetzt sind sie im ägyptischen Grossreich und müssen es nur noch irgendwie nach Theben schaffen.   Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.   Eure mrs_ianto Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)