Sklave der Wüste von mrs_ianto ================================================================================ Kapitel 88: Offene Worte ------------------------ Hallo zusammen   Es ist wieder eine Woche vorbei und das bedeutet, es gibt für Euch ein neues Kapitel. Was soll ich sagen? Ich kann nur so viel verraten, dass Atemu irgendwie nicht mehr in die Welt der Herrscher passt. Aber am besten lest ihr es selbst.   ------------------------------------------------------------------------------------------------------     Offene Worte       Ein Geräusch weckt Atemu auf. Verwirrt, über die Dunkelheit und das ungewohnt weiche Bett, liegt er bewegungslos da. Nur langsam kehrt die Erinnerung an die letzten beiden Tage zurück und mit ihr der Schmerz des Verlustes. Gepeinigt schliesst er die Augen, reisst sie jedoch sofort wieder auf, als sich Bilder vor seinem inneren Auge zu formen beginnen. Er hält es im Bett nicht mehr aus. Ruckartig schlägt er die Decke zurück und setzt sich auf. Als seine nackten Füsse den Boden berühren, zuckt er im ersten Moment zurück. Nicht, weil der Steinboden kalt ist. Die Platten sind warm. Zu warm für seinen Geschmack, genauso wie das Zimmer für diese Jahreszeit einfach zu warm ist. Automatisch sucht er nach dem Feuerstein und dem Eisen, um die Öllampe auf dem Nachttisch anzuzünden. Nur ertasten seine Finger stattdessen einen Lichtschalter. Das plötzlich viel zu grelle Licht, lässt ihn den Arm schützend vor die Augen reissen. Sein vor Schreck schlagartig schneller schlagendes Herz beruhigt sich nur langsam und erst, als sich auch sein Atem wieder normalisiert hat, senkt er den Arm und blickt zu der Lampe, die den Raum in ein künstlich warmes Licht taucht. »Du bist so ein Idiot, Atemu«, murrt er vor sich hin, als er aufsteht und rüber zum Fenster geht. Jetzt weiss er auch, was für Geräusche ihn geweckt haben. Die Blätter der Bäume unter seinem Fenster rauschen im Wind. Vorsichtig steigt er auf den Schreibtisch und setzt sich dann seitlich ans Fenster gelehnt hin. Den Kopf an die kühle Scheibe lehnend, sieht er die Spiegelung seines Gesichts in der Scheibe. »Du siehst sowas von scheisse aus«, sagt er zu seinem eigenen Spiegelbild und grinst dann schief. Jetzt fällt ihm das kaum hörbare Ticken der Uhr auf, die über dem kalten Kamin hängt. Sein Blick richtet sich auf die Zeiger. Er überlegt einen Moment lang, aber dann lächelt er traurig, als er wieder zum Fenster blickt. »Sharik, bei dir geht jetzt gerade die Sonne auf. Hat dich Grossvater schon aus dem Bett geworfen? Oder Nino? Oder liegst du noch unter der Decke und verfluchst, dass die Sonne jetzt jeden Tag spürbar früher aufgeht?« Bei dem Gedanken, an das morgendliche Aufstehen mit seinem Sharik, muss Atemu unwillkürlich lächeln.   ***   Tatsächlich quält sich in Domino Yugi aus dem Bett und geht fröstelnd rüber zum Schreibtisch. Der Boden unter seinen Füssen ist eiskalt und die Luft ist auch nicht viel wärmer. Seit es tagsüber nicht mehr ganz so kalt ist, heizen sie nur noch die Küche, das Bad und den Laden. Die Zehen einrollend steht er am Tisch und sieht aus dem Fenster zum sich rot verfärbenden Himmel. »Liebster, geht bei dir auch gerade die Sonne auf oder herrscht bei dir noch tiefste Nacht und du liegst noch schlafend im Bett?« Die Hand in Richtung Fenster ausstreckend schliesst er gepeinigt die Augen. »Du fehlst mir«, raunt Yugi erstickt und schlägt sich die Hand vor den Mund. Er will jetzt nicht schon wieder weinen. Um Beherrschung ringend, greift er schniefend nach seinem Kleiderstapel, ehe er aus dem Zimmer eilt.   ***   Ans Fenster gelehnt dasitzend, ist Atemu irgendwann eingedöst. Als plötzlich ein Klopfen ertönt, schreckt er hoch und starrt zur Tür, die sich jetzt öffnet. Ein leicht bekleideter Sklave tritt ein und schliesst die Tür hinter sich, ehe er sich zu Boden wirft und mit der Stirn den Boden berührt. »Hochwohlgeborener, gesalbter Pharao Nesut-anch-Ra, ich wurde vom Haus- und Hofmeister geschickt, Euch zu dienen und euch jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Was auch immer euer Wunsch sein mag.« Atemu starrt den jungen Sklaven geschockt an. Er ist wie erstarrt, aber dann springt er vom Tisch und eilt zu dem Sklaven, der immer noch auf dem Boden kauert und die Stirn gegen den Boden drückt. Langsam, um den Sklaven nicht zu erschrecken, geht Atemu vor ihm in die Hocke und ergreift dessen Schultern. Mit sanftem Druck bringt er ihn dazu, sich aufzurichten. »Zuerst einmal, du musst dich vor mir nicht auf den Boden werfen. Verstanden?« Bewusst spricht er mit sanfter Stimme und sieht dabei in das erschreckend junge Gesicht. »Verstanden, hochwohlgeborener, gesalbter Pharao Nesut-anch-Ra. Verzeiht mir meinen Fehler.« Flehend und voller Angst vor Strafe sieht der Junge Atemu an, ehe er den Blick wieder demütig senkt. »Kleiner, du hast keinen Fehler gemacht. Du kannst es doch nicht wissen, dass ich das nicht möchte.« Lächelt Atemu sanft und lässt nun die Schultern des Jungen los. »Wie heisst du und wie alt bist du?« Als er nun wieder mit ängstlichem Blick angesehen wird, zieht sich sein Herz zusammen. Er erinnert sich daran, wie er sich in der ersten Zeit bei Yugi und Grossvater gefühlt hat. »Du musst keine Angst haben.« Fügt er lächelnd hinzu und verzichtet darauf, den Jungen noch einmal anzufassen.   Ganz genau mustert Kimi den Pharao. Er ist unsicher, aber er muss die Fragen doch beantworten. »Ich bin vierzehn und ich heisse Kimi, hochwohlgeborener, gesalbter  Pharao Nesut-anch-Ra«, flüstert er schliesslich kaum hörbar und senkt wieder den Blick. Hoffentlich wird er jetzt nicht dafür bestraft, dass er den Pharao direkt angesehen hat. Atemu unterdrückt ein Seufzen. »Kimi, nun noch eine Sache. Es reicht, wenn du mich Pharao oder Hoheit nennst«, verlangt er mit sanfter Stimme. Zu verlangen, dass er ihn bei seinem Namen nennt, würde den Jungen jetzt sicher noch überfordern. »Wie Ihr wünscht, hochwohlgeb… Hoheit.« Erschrocken beisst sich Kimi auf die Lippen und kauert sich instinktiv zusammen. »Du wirst dich schon dran gewöhnen, Kimi. Nun steh auf.« Langsam richtet sich Atemu wieder auf und blickt aus dem Fenster. »Die Sonne geht erst auf, warum bist du denn schon so früh hier?«   Kimi wagt es, aufzustehen und fährt sich durch die blonden Haare. »Ich wollte schauen, was für Kleidung Ihr braucht, damit ich sie schon für euch rauslegen kann. Der Haus- und Hofmeister meinte, dass ihr nur mit einem Korb angekommen seid.« Angestrengt vermeidet er es, in die Richtung des Pharaos zu blicken. »Stimmt«, murmelt Atemu und sieht zu dem Korb. »Wir mussten alles zurücklassen.« Er geht zum Korb und legt die Hand auf das Flechtwerk. »Ich habe nur das, was ich am Körper trage, Kimi.« Mit einem traurigen Lächeln sieht er zu dem Jungen. »Ich brauche nicht viel. Nur Kleidung zum Wechseln.« Leer schluckend nickt Kimi. »Verstanden … Hoheit.« Eilig dreht er sich um und rennt aus dem Zimmer, um Kleidung für den Pharao zu holen.   Mit einem amüsierten Schmunzeln blickt Atemu dem Jungen hinterher, wird dann aber schlagartig ernst. Erst jetzt wird ihm bewusst, an wie viel er sich wieder gewöhnen muss, was für ihn einst selbstverständlich gewesen ist. Tief seufzt er auf und setzt sich aufs Bett.   Keine halbe Stunde später, klopft es wieder an der Tür und Kimi tritt mit einem ganzen Stapel voller Kleider ein. »Hoheit, hier ist eine Auswahl für Euch. Es ist für Euren Stand bei weitem nicht edel genug. Nur habe ich nichts Besseres finden können.« Ungeschickt legt er den Stapel auf das Sideboard und stellt sich dann mit gesenktem Kopf daneben hin. »Wenn Ihr euch die Auswahl bitte ansehen würdet?« Leichte Nervosität schwingt in seiner Stimme mit.   Es ist Atemu zuwider, Kimi so demütig zu sehen. Jedoch sagt er nichts, um den Jungen nicht noch mehr zu verunsichern. Stattdessen tritt er mit ausdrucksloser Miene zu dem Kleiderstapel und sieht sich die gebrachten Kleidungsstücke an. Edle Stücke aus Seide und Samt. Kaschmir und Merinowolle. »Die Sachen sind völlig ausreichend. Ich danke dir, Kimi, dass du sie mir besorgt hast.« Bewusst spricht er mit sanfter Stimme, während er sich eine graue Hose, frische Unterwäsche und einen dunkelgrünen Kaschmirpullover nimmt. Ohne den Jungen noch einmal anzusehen, geht er in das grosse Bad, das zu seinem Zimmer gehört. Widerwille steigt in ihm auf, als er sich in dem mit Rosenmarmor verkleideten Raum umsieht. Die riesige Wanne stösst ihn ab, so stellt er sich unter die Dusche und stellt das Wasser ein. Sofort hat es die richtige Temperatur und prasselt wie ein warmer Sommerregen auf ihn hinab. Mit geschlossenen Augen steht er da, spürt, wie das Wasser über sein Gesicht läuft und vermisst den Kälteschock, den er immer bekommen hat, wenn er Zuhause zu schnell unter die Dusche gestiegen ist. Als er die Augen wieder öffnet, sieht er sich einer zuvor nicht bemerkten Auswahl an Duschmitteln gegenüber. Düfte, von Apfel bis Zimt stehen ihm zur Auswahl. Er braucht lange, bis er endlich einen Geruch gefunden hat, der seine Nase nicht zu sehr reizt.   Schliesslich verlässt er frisch geduscht und angezogen das Badezimmer, nur um überrascht festzustellen, dass Kimi immer noch neben dem Sideboard steht. »Was machst du denn noch hier?« Wie geschlagen zuckt Kimi zusammen. »Ich muss Euch doch dienen. Ihr habt mir keine neuen Anweisungen gegeben, also warte ich hier. Habe ich Euch verärgert?«   Gedanklich schlägt sich Atemu gegen die Stirn. Wie hatte er das nur vergessen können? »Nein, du hast mich nicht verärgert und du hast auch nichts falsch gemacht.« Versucht er den jungen Sklaven zu beruhigen. »Ich habe den Fehler gemacht, zu vergessen, dass du warten musst, bis ich dir Anweisungen gebe.« Als Kimi nun den Kopf hebt, sieht er ihn mit einem schiefen Grinsen an. »Du kannst gehen und deinen anderen Pflichten nachgehen. Bestimmt hast du noch andere Aufgaben.« Sofort schüttelt Kimi heftig den Kopf. »Nein, ich bin einzig und allein für Euer Wohl zuständig, Hoheit. Der Haus- und Hofmeister hat gesagt, dass der Befehl vom göttlichen, himmlischen Kaiser Hadrian persönlich kommt.« Atemu wird beinahe schlecht, als er das hört. Am liebsten würde er Kimi sagen, dass er verschwinden soll, dass er keinen Sklaven braucht. Nur würde er dann den Falschen strafen und bestraft würde der Junge werden, wenn er seine Dienste nicht in Anspruch nehmen würde. »Gut, dann kümmere dich um mein Frühstück. Ich möchte aber nur etwas Einfaches haben. Brötchen und Honig und Schwarztee, wenn es den in der Küche gibt.« Kimis Blick ist verwirrt, als er den Wunsch nach so einem einfachen Frühstück hört, das eines Pharaos unwürdig ist. Jedoch wagt er es nicht, nachzufragen, sondern eilt nur aus dem Zimmer, um das Frühstück nach den Wünschen des Pharaos herrichten zu lassen. Als Atemu wieder allein ist, setzt er sich beim Kamin in den Sessel und blickt in Gedanken versunken vor sich hin. Es wird ihm immer klarer, dass die Rückkehr in sein altes Leben für ihn schwieriger sein wird, als er es sich vorgestellt hat. Nur schon diese für ihn einst alltägliche Situation, hat ihn jetzt an den Rand seiner mentalen Kräfte gebracht. »Wie soll ich das nur schaffen?«, murmelt er und umfasst dabei den kleinen Phönix. Nur am Rande registriert er, wie nach einem leisen Klopfen Kimi mit einem Servierwagen reinkommt und das Frühstück auf dem kleinen Tisch neben seinem Sessel anrichtet und sich dann abwartend, mit auf dem Rücken verschränkten Händen, an die Wand stellt. Langsam wendet sich Atemu dem einfachen Frühstück zu und beginnt zu essen. Obwohl das Frühstück köstlich schmeckt, muss er sich zwingen, wenigstens zwei Brötchen zu essen und den Tee zu trinken. Ein Klopfen lässt ihn zur Tür blicken. »Herein?«, ruft er fragend, nur um gleich darauf aufzustehen, als Kaiser Hadrian persönlich den Raum betritt. »Kaiser Hadrian, was führt Euch zu dieser frühen Stunde zu mir?« Respektvoll neigt er grüssend den Kopf, nur um den Älteren dann stolz dastehend in die Augen zu blicken. »Pharao Nesut-anch-Ra. Wie ich sehe, habt Ihr schon gefrühstückt«, stellt Hadrian mit einem Blick auf das einfache Mahl fest. »Ja, wenn ich gewusst hätte, dass Ihr Euch hierher bemüht, hätte ich natürlich auf Euch gewartet. Darf ich Euch etwas zu trinken bringen lassen?« Hadrian tritt näher und setzt sich auf den zweiten Sessel. »Ich habe Euch bewusst nicht vorgewarnt und ja, ich hätte gern Kaffee.« Atemu runzelt leicht die Stirn, ehe er Kimi den Auftrag gibt, frischen Tee und Kaffee zu bringen. Erst als sie allein sind, setzt er sich wieder hin und sieht Hadrian nun ernst an. »Also, was ist so wichtig, dass Ihr so überraschend herkommt?« Auf diese Frage hin, wird er aufmerksam gemustert. »Seht Ihr Euch imstande, Eurem Onkel den Thron wieder zu entreissen? Ihr habt gestern nur sehr oberflächlich die letzten Jahre Eures Lebens zusammengefasst und das ist noch grosszügig ausgedrückt. Was in mir die Frage weckt, ob Ihr psychisch dazu in der Lage seid, Euch eurer wahrlich grossen Aufgabe zu stellen.«   Sich ertappt fühlend, blickt Atemu für einen Moment zur Seite. »Ob ich mich dazu in der Lage fühle, tut nichts zur Sache. Es ist meine Geburtspflicht, meinem Volk zu dienen und dafür zu sorgen, dass es in Frieden und Gesundheit leben kann. Wenn mein Onkel das nicht gewährleistet, dann ist es meine von den Göttern gegebene Pflicht, mein Volk von seiner Herrschaft zu befreien.« Fest sieht er Hadrian nun in die Augen, der den Blick mit leichtem Zweifel erwidert. »Ihr sprecht wie schon damals sehr weise, junger Pharao. Nur ist Euch bewusst, was sich in den letzten Jahren ereignet hat? Wie der Zustand Eures Reiches ist und was aussenpolitisch los ist? Wisst ihr, dass Eure beiden Begleiter per reichsübergreifenden Haftbefehl gesucht werden?« Nun lehnt sich Hadrian vor und stützt die Ellbogen auf den Armlehnen des Sessels ab. Die Fingerspitzen aneinander legend, mustert er Atemu aufmerksam. »Ihr verbergt es sehr gut, aber ich kenne Euch seit Eurer Namensverkündung. Ihr habt Euch verändert. Eure Haltung, Eure Ausstrahlung ist eine andere und auch Euer Blick ist nicht mehr derselbe.«   Atemu wird eine Pause gewährt, als Kimi mit den Getränken rein kommt und sie mit demütig gesenktem Blick bedient. »Danke, Kimi. Lass uns bitte allein und warte im Nebenraum, bis ich dich rufe«, befiehlt Atemu mit sanfter Stimme, woraufhin der Sklave sich vor ihnen verneigt und raus in das grosse Wohnzimmer geht, das seines und die Zimmer der anderen miteinander verbindet. Kaum sind sie wieder allein, greift er nach seiner Tasse und gibt zwei Löffel Honig in den Tee, ehe er sich, an dem heissen Getränk nippend, zurücklehnt. »Kaiser Hadrian, was soll ich sagen. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass die letzten Jahre spurlos an mir vorübergegangen sind. Ich habe mich verändert. Jedoch glaube ich, dass ich nun einen besseren Blick auf alle Bevölkerungsschichten habe. Dass ich die Belange des einfachen Volkes und auch die der Sklaven nun besser nachvollziehen kann.« Er versucht, mit vollkommen ruhiger Stimme zu sprechen, wie um sich selbst zu beruhigen.   »Die Belange der Sklaven? Die Sklaven haben keine Belange, die uns zu interessieren haben! Die Belange des einfachen Volkes? Sie sollen über das froh sein, was wir ihnen ermöglichen!« Hadrians Stimme klirrt vor Kälte. Er greift erst jetzt zu seinem Kaffee und nippt an der schwarzen Flüssigkeit. »Was bringt Euch dazu, solch törichte Worte auszusprechen?« Unwillkürlich beisst sich Atemu für den Bruchteil einer Sekunde auf die Unterlippe, ehe er sich strafft. Mit einem Glühen in den Augen sieht er Hadrian direkt an. »Verzeiht, wenn ich jetzt respektlos werde, Hadrian, aber Ihr habt keine Ahnung, was es bedeutet, ein Sklave zu sein, was es mit einem macht, keinerlei Rechte zu haben. Nicht einmal über den eigenen Körper bestimmen zu können! Ich wurde ohne Erinnerungen an meine Herkunft versklavt, vergewaltigt, gefoltert, missbraucht und verkauft! Mehr als einmal, war ich dem Tode näher als dem Leben! Wenn ich nicht vor einem Jahr von Yugi Muto auf dem Sklavenmarkt gekauft worden wäre, würden wir uns heute nicht gegenüber sitzen.« Um sich zu sammeln, hält Atemu inne und trinkt einen Schluck Tee, ehe er den Blick wieder auf Hadrian richtet. »Bei den Mutos konnte meine Seele und auch mein Körper heilen. Sie haben mir gezeigt, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und dass man Sklaven nicht wie Dreck behandelt. Ich habe gesehen, wie Menschen, deutlich jünger als ich, im Schlaf gestorben sind, weil ihre Körper der Belastung nicht mehr standgehalten haben. Ich habe gesehen, wie sich Menschen umgebracht haben, weil sie die Qualen nicht mehr ertragen haben. Ich habe gesehen, wie das Licht in den Augen der Menschen erloschen ist, weil ihre Seele zerbrochen ist. Ich gehörte dazu. Ich hatte mir vorgenommen, mir das Leben zu nehmen. Doch da kam Yugi, mit seinem reinen Herzen und sein Grossvater. Sie haben mich aufgefangen und mich gehalten und unterstützt. Diese beiden Menschen und ihre Freunde haben dafür gesorgt, dass ich nicht aufgegeben habe und jetzt hier vor Euch sitze! Also sagt nicht, dass die Belange des einfachen Volkes und der Sklaven für uns irrelevant sind!« Mit jedem Wort ist seine Stimme fester, bestimmter und unnachgiebiger geworden. Er steht auf und tritt ans Fenster. Obwohl er dem Kaiser den Rücken zudreht, kann er dessen Blicke regelrecht auf sich liegen spüren. «Wir sind wie die Könige auf einem Schachbrett. Wir werden durch die Bauern und die anderen Schachfiguren geschützt. Auch der kleinste Bauer kann über das Schicksal seines Königs entscheiden!« Die ganze Zeit hat er aus dem Fenster gesehen, dreht sich nun aber wieder zu Hadrian um, der ihn nachdenklich mustert. Stille breitet sich zwischen ihnen aus, die nur durch das leise Ticken der Uhr durchbrochen wird. Schliesslich räuspert sich Hadrian, was in der Stille unnatürlich laut wirkt. »Eine flammende Rede, die Ihr gehalten habt, Nesut-anch-Ra. Ich kann verstehen, dass Ihr euch nach euren Erlebnissen persönlich betroffen fühlt, wenn es um die Sklaven und das einfache Volk geht. Um Eure Allegorie aufzugreifen. Die Bauern im Schachspiel sind nur Kanonenfutter. Sie werden geopfert, um die anderen Figuren und besonders den König zu schützen und um das Spiel zum Sieg zu führen.« Ernst beobachtet er das Mienenspiel seines Gegenübers, aber wie auch schon damals, lässt dieser sich nicht hinter die Maske blicken. »Wie auch immer. Ich stehe vor zwei Problemen. Euer Onkel ist kurz davor, uns den Krieg zu erklären. Er scheint nur noch darauf zu warten, dass seine Vermählung mit Eurer Schwester stattgefunden hat, um durch sie auch die letzten Zweifler auf seiner Seite zu haben.  Da Eure Schwester noch nicht grossjährig ist, ist das jedoch noch das kleinere Problem. Was mir mehr Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass der Prinz und der Hohepriester sich hier in meinem Palast befinden. Wenn er das herausfindet und ich mich weigere, die beiden auszuliefern, droht ein sofortiger Krieg!«   Atemu senkt für eine Moment nachdenklich den Blick. »Dann müssen wir dem zuvorkommen. Viel Zeit haben wir sowieso nicht, um meinen Onkel zum Thron zu stossen. Wir müssen gemeinsam Pläne schmieden und wenn es so kommen sollte, dass mein Onkel davon erfährt, dass sich die beiden hier befinden, werden wir sehen, was getan werden muss, um einen Krieg zu verhindern. Kaiser Hadrian, wir, unsere Länder, waren vor meinem angeblichen Tod nicht nur Verbündete, sondern auch Handelspartner. Ich weiss, dass ich viel von Euch verlange, aber bitte vertraut mir und vertraut darauf, dass wir den drohenden Krieg abwenden können.«   Hadrian erhebt sich. »Ihr verlangt viel, junger Pharao. Lasst uns dieses Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt fortführen. Ich habe noch wichtige Geschäfte zu erledigen, die keinen Aufschub dulden. Ihr kennt das ja«, sagt er und neigt kurz sein Haupt, ehe er zur Tür geht, dort aber innehält. »Ich gebe zu, dass es mich erstaunt hat, als man mir sagte, dass Ihr das kleinste Zimmer genommen habt. Nun jedoch denke ich, dass ich weiss, warum Ihr das gemacht habt.« Er nickt ihm noch einmal zu, ehe er die Tür öffnet und den Raum verlässt. Kaum allein, lässt sich Atemu auf einen der Sessel sinken und kann es nicht mehr verhindern, dass seine Hände zittern. Mit abwesendem Blick sieht er auf seine Finger, die er einfach nicht dazu bringen kann, sich ruhig um die Teetasse zu legen. Seine Augen brennen und auf einmal hält er es in dem zu warmen Zimmer nicht mehr aus. Hastig zieht er sich die Schuhe an und rennt an Kimi vorbei nach draussen. Blind für seine Umgebung eilt er durch die Gänge, bis er sich auf einmal draussen in den Schlossgärten wiederfindet. Die Luft ist angenehm kühl auf seiner erhitzten Haut, tief atmet er durch und läuft dann langsam über den angelegten Pfad. Leise knirscht der Kies unter seinen Füssen, als er an den Blumenbeeten vorbei zu dem kleinen weissen Pavillon geht. Er steigt die drei Stufen hoch und betritt den Pavillon auf der anderen Seite der überdachten Plattform stützt er sich auf dem Geländer ab und blickt auf die Stadt hinunter, die sich am Fuss des Kapitols ausbreitet. Er lässt seinen Blick schweifen, sieht die anderen Hügel, auf denen sich die Villen der Oberschicht befinden und kann es nicht verhindern, dass sich in ihm die Sehnsucht nach Blacky und Rocky und der Ruhe, die sie ihm immer gegeben haben, regt. Sehnsüchtig lächelnd, blickt er in den Himmel. Nur um gleich darauf herumzufahren, als er hinter sich ein Geräusch hört. Entschuldigend hebt Shimon die Hände. »Verzeiht, mein Pharao. Ich wollte Euch nicht erschrecken.« Langsam betritt er den Pavillon und stellt sich neben Atemu hin. »Eine schöne Aussicht, aber nichts gegen den Blick, den man vom Palast aus über Theben und die Wüste hat.« Ohne den Kopf zu drehen beobachtet er aus den Augenwinkeln heraus den jungen Mann, der mit versteinerter Miene dasteht. »Mein Pharao? Woran denkt ihr?« Wagt er es leise zu fragen. Nun seufzt Atemu und fährt sich mit der linken Hand durch die Haare. »Ich denke daran, dass ich diese Aussicht und auch die in Theben sofort gegen einen kleinen Stall und einen Hinterhof in Domino eintauschen würde.« Wieder in den Himmel blickend, grinst er bitter. »Dabei müsste ich mir Gedanken darüber machen, wie ich einen Krieg verhindere, meinen Onkel vom Thron stosse und nebenbei meine Schwester vor einer Hochzeit bewahre, die sie nicht will.«   Shimon blickt nachdenklich auf die Stadt zu ihren Füssen. »War es ein Fehler, dass wir gekommen sind und Euch aus der Sklaverei befreit haben?« Stellt er die Frage, die ihn schon beschäftigt, seit er beobachtet hat, wie sich der Pharao von diesen einfachen Leuten verabschiedet hat. Ratlos hebt Atemu die Schultern an. »Ich weiss es nicht. Als meine Erinnerung zurückgekehrt ist, habe ich mir nichts mehr gewünscht, als frei zu sein und die Möglichkeit zu haben, meine Schwester wieder zu sehen. Nun jedoch, wünsche ich mich zurück zu meinem Sharik. Ich bin mit dem ganzen Prunk hier überfordert. Er stösst mich ab und dann muss ich auch noch die Tatsache akzeptieren, dass ich einen eigenen Sklaven habe.« Seine Finger krampfen sich um das Geländer, als sein Körper erbebt. »Ich will schreien und toben. Kimi sagen, dass er mich nicht bedienen soll. Hadrian an den Kopf werfen, dass Sklaverei abartig ist! Will ihm klar machen, dass es falsch ist, wie das einfache Volk behandelt wird!«   Schweigend hört Shimon zu, während er über die Stadt blickt. »Ihr wart schon immer anders in Euren Ansichten. Vermutlich, weil Ihr einen Grossteil Eurer Kindheit von einer ehemaligen Sklavin erzogen worden seid. Ich habe das nie als Nachteil angesehen. Im Gegenteil, Ihr hattet immer einen sehr klaren Blick auf Euer Volk«, sagt er schliesslich mit der ihm eigenen ruhigen Art. »Jedoch müsst Ihr aufpassen, dass Ihr die anderen Herrscher und die Mitglieder der regierenden Klassen mit Euren Worten nicht vor den Kopf stösst. Ihr braucht sie, um den Thron wieder zu besteigen und Eure Herrschaft dann wieder zu festigen.« Lange schweigt er, als aber Atemu nichts darauf erwidert atmet er tief durch. »Es ist normal, dass Ihr wieder zurück zu Eurem Liebsten wollt und dass Ihr Euch wie zerrissen fühlt. Vielleicht sogar schuldig. Das Gefühl wird vergehen, sobald Ihr wieder Euren gewohnten Platz eingenommen habt.«   Atemu senkt den Blick. Er glaubt nicht daran. Dafür ist ihm das alles hier zu sehr zuwider. »Wie Ihr meint, Hohepriester«, meint er nur ausweichend und strafft sich. Ruckartig dreht er sich um und verlässt den Pavillon. Mit weit ausgreifenden Schritten geht er durch den Garten zurück zum Palast.     -----------------------------------------------------------------------------------------------------     So und das war es auch schon wieder. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und dass ihr nicht zu sehr mit Atemu und Yugi mitleiden müsst.   Eure mrs_ianto Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)