Sklave der Wüste von mrs_ianto ================================================================================ Kapitel 82: Freiheit? --------------------- Hallo zusammen,   das ist jetzt das zweitletzte Kapitel, das ich noch vorgeschrieben habe. Also kommt sicher noch nächste Woche ein Kapitel und dann müsst ihr euch wieder etwas gedulden, bis der nächste Buchband von Der Wüstensklave fertig geschrieben ist.   So und jetzt wünsche ich euch viel Spass mit dem neuen Kapitel.     --------------------------------------------------------------------------------------------------------------       Freiheit?     Stumm dasitzend beobachtet Atemu, wie die Pferde ihren Auslauf im Hinterhof geniessen. Vergessen ist das Zaumzeug in seinen Händen, das er eigentlich mit Lederfett behandeln will. Nachdem Shimon und Seto am Morgen wieder gegangen waren, hat er sich in den Stall zurückgezogen und ist nicht einmal zum späten Frühstück wieder rein gegangen. Auch das Mittagessen hat er ausfallen lassen, obwohl Nino ihm extra eine Schüssel von der Gemüsesuppe rausgebracht hat. Unberührt steht sie neben ihm auf dem Boden und ist schon lange kalt. Unbemerkt stiehlt sich eine Träne aus seinem Augenwinkel und fliesst ihm, eine kalte Spur hinterlassend, über die Wange. Murrend reibt er sich mit dem Ärmel des Pullovers die laufende Nase. Dabei fällt sein Blick auf das Leder in seinen Händen. Als würde er es zum ersten Mal sehen, starrt er es an, bis sich plötzlich eine Pferdenase in sein Blickfeld schiebt. Erstaunt hebt er den Blick und schliesst dann unwillkürlich die Augen, als die warme Luft ihn trifft, die ihm schnaubend ins Gesicht geblasen wird. »Rocky, was ist denn?«, sanft streichelt er dem grossen Wallach über die Nüstern, der ihn mit seinen intelligenten Augen fragend ansieht. Leise seufzt er auf und schlingt die Arme um Rockys Hals. Dabei fällt ihm dessen Mähne ins Gesicht. Einem Bedürfnis folgend, vergräbt er das Gesicht in der Mähne und schluchzt auf. Geduldig steht der Wallach da und brummelt immer wieder, während der Mensch an seinem Hals weint. Irgendwann löst sich Atemu von ihm und haucht ihm einen Kuss auf die Nüstern. »Danke, Rocky. Es geht mir jetzt wieder besser.« Mit einem leichten Lächeln streichelt er ihm über den Hals und steht dann auf. »Ich glaube, das wird heute nichts mehr mit der Lederpflege. Oder was meinst du?« So als wäre er verstanden worden, wird er sanft angestossen, bevor sich Rocky umwendet und zurück auf den Platz läuft, wo Blacky entspannt in der Nachmittagssonne steht und döst. Mit einem wehmütigen Blick beobachtet er, wie Rocky zu seinem Kumpel geht und ihn auffordernd anstupst, bis er eine Reaktion erhält. Kurz scheinen die beiden zu diskutieren, was sie machen sollen, bevor sie sich gegenseitig mit den Zähnen kratzen. Bei dem Anblick zieht sich sein Herz zusammen, sodass er sich abwenden muss, da der Anblick zu viel für ihn ist. Mit zitternden Fingern greift er nach dem Zaumzeug und der Lederfettdose, über der auch der Lappen liegt, den er immer zur Lederpflege benutzt. Mit schlurfenden Schritten geht er in die Sattelkammer und verstaut alles im Schrank. Beinahe liebkosend lässt er dann die Finger über die Zaumzeuge gleiten. Das Leder fühlt glatt und weich auf seiner Haut an und unwillkürlich fragt er sich, ob er das heute zum letzten Mal macht. Schon seit Stunden schleicht sich immer wieder diese eine Frage in seine Gedanken: Mache ich das heute zum letzten Mal? Wütend über sich selbst, schliesst er die Schranktür etwas zu schwungvoll und dreht sich auf dem Absatz um. Stampfend verlässt er die Sattelkammer und schlägt dann mit der Faust gegen einen der Balken, die das Stalldach stützen. Am liebsten würde er toben und schreien. Die ganze Welt verfluchen, dass sie sich ausgerechnet jetzt gegen ihn wendet. Da kommt Nino völlig ausser Atem in den Stall gerannt. »Atemu, du musst reinkommen. Die Fremden sind wieder da!« Aufgeregt zeigt er zur Hintertür, die er in seiner Eile vergessen hat zu schliessen. Gepeinigt schliesst Atemu für einen Moment die Augen. Erlaubt es sich, noch eine Sekunde durchzuatmen, ehe er sich strafft und sich die Maske der Ruhe über seine Gesichtszüge legt. »Danke, Nino. Kümmerst du dich bitte weiter um die Pferde? Sie müssen gleich rein. Ihr Nachmittagsheu haben sie auch noch nicht gefressen.« Nichts in seiner Stimme verrät etwas über seine innere Zerrissenheit. »Natürlich. Ich kümmere mich um alles. Mach dir deswegen keine Sorgen.« Eifrig nickt Nino und deutet wieder zur Tür. »Du musst dich beeilen. Sie wirkten sehr gestresst.« Auch er ist ungeduldig. Die angespannte Stimmung im Haus färbt auch auf ihn ab und er wünscht sich die Ruhe wieder zurück, die noch vorgestern geherrscht hat und teilweise schon beinahe langweilig gewesen ist.   Widerwillig wendet sich Atemu um. »Gut, ich vertraue dir die beiden Racker an«, sagt er mit einem gezwungenen Lächeln, bevor er über den Hinterhof geht. Mit jedem Schritt scheinen seine Beine schwerer zu werden und der Weg nimmt kein Ende. Dabei sind es doch nur ein paar Meter. Die Stufen wirken unüberwindlich, als er sie erklimmt und die offene Tür ist plötzlich wie ein Tor ohne Wiederkehr. Noch bevor er einen Schritt ins Haus macht, bleibt er stehen und legt eine Hand auf den Türrahmen. Auch wenn es offensichtlich eilt, braucht er den Moment, um noch einmal die kalte Luft tief in seinen Lungen zu spüren. Es kostet ihn beinahe übermenschliche Kräfte, sein Bein zu heben und einen Schritt ins Haus zu machen. Auf einmal scheint er neben sich selbst zu stehen und sich zu beobachten, wie er die Hand hebt und nach der Türklinke greift. Er fühlt das kalte Metall unter seinen Fingern, als er es umfasst und die Tür schliesst. Das Licht des Nachmittags aussperrt und somit auch die kalte Luft. Erst jetzt bemerkt er, dass er friert. Fröstelnd wäscht er sich bei der Waschschüssel die Hände geht dann in den Laden, wo schon Yugi und Grossvater mit ernsten Gesichtern zu ihm blicken. Erst verspätet fällt ihm ein, dass er das Halsband vergessen hat, aber das ist ihm jetzt auch egal, als er zu den drei Besuchern blickt, die ungeduldig dastehen. Ruhig, ja beinahe wie betäubt, blickt er erst zu Hopkins und dann zu Seto, der den Blick offenbar genervt erwidert, ihm aber offenbar nichts zu sagen hat. So blickt er zu Shimon, der jetzt einen Schritt nach vorn macht und sich respektvoll verneigt. »Mein Pharao. Es ist uns gelungen. Wenn wir jetzt gleich zum Sklavenamt gehen, dann werdet ihr noch heute ein freier Mann sein. Aber wir müssen uns beeilen. Der Beamte, der euch freilassen wird, ist nur noch bis Sonnenuntergang vor Ort.«   Obwohl ein Teil von Atemu keine Sekunde lang daran gezweifelt hat, dass der Hohepriester und sein Cousin es schaffen, ist er gerade wie erschlagen. Er hört die Worte und doch erschliesst sich ihm ihre Bedeutung nicht. Instinktiv sieht er zu seinem Sharik, der nun auf ihn zu kommt und ihm sanft die Hände auf die kalten Wangen legt. Stumm um Hilfe bittend, sieht er in das geliebte Gesicht, das ihn nun traurig und froh zugleich anlächelt. »Hast du das gehört? Deine Freiheit ist nur noch ein paar Stunden entfernt.« Yugi zwingt sich, einen frohen Tonfall in seine Stimme zu legen. »Aber wir müssen jetzt los. Jono und May müssen noch ihre Unterschriften leisten, bevor wir dich freilassen können.« Hauchzart streichelt er über die erschreckend kalte Haut. Er will den Kontakt zwischen ihnen nicht abbrechen lassen und so nimmt er seinem Liebsten das Halsband aus den Händen und legt es ihm vorsichtig an. »Das letzte Mal, dass du es tragen musst«, raunt er ihm zu und gibt ihm einen schmetterlingsgleichen Kuss auf die Lippen. Alles in ihm schreit danach, seinen Liebsten zu packen und mit ihm weit weg zu rennen. Dennoch ergreift er lächelnd dessen Hände. »Gehen wir uns anziehen.« Nur leise kann er die Worte aussprechen und dann verlassen sie Hand in Hand den Laden. Lassen die anderen zurück. Keiner von ihnen beiden weiss, wer sich hier an wem festhält. Wer wen führt …   Kaum, dass die beiden weg sind, dreht sich Sugoroku mit ernstem Blick zu Shimon um. »Ich hoffe, euch ist bewusst, dass ihr gerade dabei seid, unsere Familie zu zerstören.« Voller unterdrückter Wut ballt er die Fäuste. Am liebsten würde er um sich schlagen. Doch er darf sich so einen Gefühlsausbruch gerade nicht erlauben. Ruhig erwidert Shimon den Blick. »Es ist mir bewusst und es tut mir auch leid. Aber denkt daran, dass in ein paar Stunden der Pharao endlich wieder ein freier Mann ist und selbst entscheiden kann, was er tun will. Wir zwingen ihn nicht, euch zu verlassen. Es liegt dann rein bei ihm.« Abschätzig schnaubt Sugoroku. »Tut nicht so scheinheilig. Wir alle wissen, dass seine Entscheidung in dem Moment gefallen ist, als ihr ihm dieses Magigerät gegeben habt.« Gern würde er noch mehr sagen, aber da kommen auch schon seine Enkel wieder zurück. Besorgt beobachtet er Yugi, der die auf dem Verkaufstresen liegenden Sklavenpapiere nimmt und sie in seine Umhängetasche steckt. Er kann nicht anders, als ihn zu bewundern, wie ruhig er ist. Unwillkürlich blickt er zu Atemu, der zwar äusserlich ruhig wirkt, aber sehr blass ist. Voller Sorge tritt er auf ihn zu und nimmt ihn in den Arm. »Du schaffst das, mein Junge. Du wirst nur noch einmal einen höllischen Schmerz ertragen müssen, wenn sie dein Brandmal überbrennen. Aber Yugi kann die ganze Zeit bei dir sein. Halte dich an ihm fest. Das ist keine Schande.« Er spürt, wie die Umarmung erwidert wird und sein Enkel das Gesicht an seiner Schulter vergräbt. Nur deswegen bemerkt er das leichte Nicken. Langsam löst er die Umarmung und sieht mit einem grossväterlichen Lächeln in das immer noch blasse Gesicht. »Zeige ihnen, dass du ein Muto bist. Wir lassen uns nicht so schnell unterkriegen.« Eindringlich sieht er ihn an, bis Atemu wieder leicht nickt. »Ja, Grossvater. Den Triumph, mich schwach zu sehen, werde ich ihnen nicht gönnen.« Zu seiner eigenen Überraschung hört sich seine Stimme fest und zuversichtlich an. Sich straffend tritt er einen Schritt zurück und beendet so auch noch den letzten Körperkontakt zu dem alten Mann. Mit undurchdringlicher Miene sieht er zu Shimon. »Ich bin bereit.« Die Stimme in ihm, die laut schreit, dass er nicht bereit ist, unterdrückt er rigoros, als er zu Yugi geht und mit ihm nach draussen tritt. Dort wartet schon eine geräumige Kutsche auf sie, die von zwei kräftigen Pferden gezogen wird. Ohne sich noch einmal umzublicken, geht er mit seinem Sharik auf sie zu und steigt dann zusammen mit den anderen ein. Ernst mustert Hopkins Yugi, als sie alle in der Kutsche sitzen. »Wo müssen wir hinfahren?« Er macht sich Sorgen um ihn. Er ist zu ruhig. Zu beherrscht. »Wir müssen zu Jonouchis Schmiede. Er ist jetzt sicher dort und vielleicht ist auch May bei ihm«, antwortet er mit monotoner Stimme. »Dein Kutscher kennt bestimmt den Weg.« Fügt er noch hinzu, als er den ratlosen Blick des alten Mannes registriert. Tief seufzt Arthur auf und öffnet das Fenster in der Kutschentür, das sich als einziges öffnen lässt. »Kennst du den Weg zu Jonouchis Schmiede?«, fragt er den Kutscher und als dieser nickt atmet er innerlich auf. »Dann fahre uns dort hin. So schnell wie es die Strassenverhältnisse zulassen.« Kaum hat er sich wieder hingesetzt, setzt sich die Kutsche mit einem Ruck in Bewegung.   In Gedanken versunken blickt Atemu aus dem Fenster, während sie in einem seiner Meinung nach viel zu hohen Tempo durch die Stadt fahren. Nur am Rande nimmt er wahr, wie seine Hand ergriffen wird und ein Blick nach unten zeigt ihm, dass ihn natürlich sein Sharik sanft festhält. Er dreht seine Hand um und verschränkt ihre Finger miteinander. Irgendwie hat Angst vor dem, was noch auf ihn zukommen wird. »Alles gut«, raunt Yugi und streichelt mit dem Daumen über den Handrücken seines Liebsten. »Ich bin da. Du musst da nicht allein durch, egal was passiert.« Kaum merklich nickt Atemu und blickt dann wieder zu den vorbeiziehenden Häusern. »Jono wird Erklärungen verlangen. Sei darauf vorbereitet«, murmelt er, als sie auf dem Platz vor der Schmiede halten und er ihn und May sehen kann. »May ist auch da. Das spart Zeit.« Erleichtert atmet Yugi auf, als er das hört. »Wenigstens etwas«, stösst er hervor und öffnet die Tür. Mit ernstem Blick geht er auf seine beiden Freunde zu, die schon neugierig zu der Kutsche blicken. »Yugi, was ist los? Warum bist du in so einem Schiff von Kutsche unterwegs?« Voller Sorge stürmt Jonouchi auf ihn zu und packt ihn an den Schultern. »Die Kutsche gehört Hopkins. Ich brauche eure Unterschriften. Wir sind unterwegs, um Atemu freizulassen.« Er weiss, dass seine Sorgen ihm ins Gesicht geschrieben stehen, aber er kann gerade nicht schauspielern. Verwirrt mustert Jono das Gesicht seines Freundes. »Aber er gehört doch erst ein knappes Jahr dir. Wie soll das denn gehen?« Will er wissen und sieht auch zu May, die nun neben ihn tritt und Yugi in die Arme nimmt. »Natürlich kriegst du unsere Unterschriften. Aber warum bist du so traurig? Es ist doch schön, wenn du ihn jetzt schon freilassen kannst und ihr offen auf einer Ebene miteinander umgehen könnt und eure Beziehung nicht mehr verstecken müsst.« Den Tränen nahe schüttelt Yugi den Kopf. »Ich bin sicher, dass es nicht so sein wird«, sagt er mit dumpfer Stimme und kramt das Dokument hervor, auf dem May und Jono unterschreiben müssen. »Bitte stellt keine Fragen. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Unterschreibt einfach und dann muss ich auch schon wieder los. »Keine Fragen stellen? Verdammt, Yugi. Du kannst ihn noch vor Ablauf der zwei Jahre frei lassen und siehst trotzdem aus, als würde die Welt gerade untergehen! Also, wie ist das möglich und warum bist du nicht froh darüber?« Nicht bereit, sich auch nur einen Millimeter von der Stelle zu bewegen oder auch nur nach dem Dokument zu greifen, fixiert Jonouchi seinen besten Freund. Am liebsten würde er ihn schütteln und so die Antworten aus ihm rauskriegen.  Laut seufzt May auf. »Ich hole einen Füller und du, mein Lieber, sei nicht so stur. Du siehst doch, dass Yugi unter Zeitdruck steht.« Streng sieht sie Jonouchi an, der unwillkürlich den Kopf einzieht und tatsächlich, als sie sich umdreht, kommt die erwartete, kleine Kopfnuss. Als May weg ist, schluckt Yugi. »Es sind zwei Männer aus Atemus Heimat gekommen und sie haben es geschafft, dass er noch heute Abend ein freier Mensch sein wird, wenn wir es noch vor Sonnenaufgang zum Sklavenamt schaffen. Die Hintergründe kann dir auch Grossvater erklären. Geht nachher einfach gleich zu uns nach Hause.« Den letzten Satz hat May noch gehört. «Natürlich. Sobald er hier fertig ist, tauchen wir bei euch auf und dann wollen wir Erklärungen und jetzt gib mal her.« Resolut nimmt sie Yugi das Formular aus der Hand und setzt ihre Unterschrift auf die Linie, die sich direkt unter dem Punkt ‘Freilassung’ befindet und wo auch schon Sugorokus Name steht. »Jetzt du!« Ungeduldig hält sie Jonouchi das Formular hin und drückt ihm den Füller in die Hand. Mit einem gespielt leidenden Seufzer setzt nun auch er seine Unterschrift auf die Linie und gibt das Dokument dann Yugi zurück. »Wir warten, bei Sugoroku auf dich und Atemu und ich sage dir eins, wir gehen nicht eher, bis wir wissen, was los ist!« Streng sieht er seinen Freund an, der mit hängenden Schultern dasteht und nickt. »Gut, dann bis später und danke.« Noch bevor sie noch etwas sagen können, macht er auf dem Absatz kehrt und rennt zur Kutsche zurück. Die auch schon losfährt, kaum dass er eingestiegen ist.   Voller Sorge sieht Jonouchi der Kutsche nach, die sich in hohem Tempo entfernt. »Mir gefällt die ganze Sache nicht. Yugi sah aus, als würde Atemu ihn sitzen lassen, sobald er frei ist und warum ist er nicht mit ausgestiegen?« Ebenso besorgt, nickt May. »Ja, das ist wirklich seltsam. Wir sollten möglichst schnell zu ihm nach Hause und mit Sugoroku reden. Vermutlich geht es ihm genauso schlecht, wie Yugi.« «Natürlich gehen wir sofort zu ihm und Rishido kommt auch mit!« Laut nach ihm rufend stapft er zurück zur Schmiede.   Von all dem bekommen Yugi und Atemu nichts mit. Die Kutsche ist schon längst aus dem Sichtfeld der Schmiede verschwunden und trotz der relativ schlechten Strassenverhältnisse galoppieren die Pferde an den Häusern vorbei, die sich an der Hauptstrasse aneinander drängen. Zwischen den Männern, die eng aneinander gedrängt sitzen, herrscht eine bleierne Stille. Keiner von ihnen hat das Bedürfnis etwas zu sagen. Für Atemus Geschmack erreichen sie viel zu schnell erreichen sie den grossen Platz im Stadtzentrum, den er bisher nur ein einziges Mal betreten hatte, als er einen seiner früheren Besitzer hatte begleiten müssen. Je näher sie dem weissen Gebäude kommen, desto grösser wird der Kloss in seinem Magen. Ruckartig hält die Kutsche an, sodass sich Atemu und Yugi festhalten müssen, um nicht nach vorn auf Seto und Shimon zu fallen. Ohne Yugi anzusehen, öffnet Atemu die Tür und steigt aus. Kaum steht er auf dem Platz vor dem Haupteingang, trifft ihn ein kalter Windstoss. Er hat Angst, als er zu der schweren Tür aus dunklem Holz blickt und zuckt unwillkürlich zusammen, als er eine Hand in der seinen spürt. »Sharik, wir sind in der Öffentlichkeit«, murmelt er, entzieht Yugi aber nicht seine Hand. Im Gegenteil, er festigt den Griff sogar noch. »Das ist mir egal. In nicht einmal einer Stunde wirst du ein freier Mann sein.« Sanft lächelnd sieht er zu seinem Liebsten, der jedoch zu Shimon blickt. »Geht ihr vor Hohepriester. Schliesslich habt ihr das ganze hier möglich gemacht«, befiehlt Atemu mit leiser Stimme, die nichts von seinem inneren Aufruhr verrät. Kaum merklich nickt der alte Mann und geht dann mit weit ausgreifenden Schritten, die sein Alter Lügen strafen, zur Tür. Kurz blickt er sich zu den anderen um, bevor er das Gebäude betritt und dann die Tür einladend aufhält, bis Hopkins als letzter den Flur betreten hat. Eilig gehen sie durch die überraschend hellen Gänge, die von Öllampen und durch die Fenster in ein warmes Licht getaucht werden, bis sie vor einer weiteren schweren Tür stehen bleiben, die aus beinahe schwarzem Holz besteht, an die Shimon nun dreimal schnell und dreimal langsam anklopft, bevor sie eintreten. Der Raum ist zwar vom Abendlicht erhellt und verfügt über weisse Wände, Böden und Decken, dennoch wirkt die Atmosphäre auf sie düster und drückend. Während sie eingetreten sind, ist ein Mann in einer blauen Uniform aufgestanden, der nun mit ernster Miene auf sie zu kommt. »Marukosu, ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ihr es schafft.« Ernst sieht er den Hohepriester an, der den Blick mit hochgezogener Augenbraue erwidert. »Tamim. Ich habe es dir gesagt, dass wir noch heute herkommen werden.« In aller Ruhe holt er einen Beutel aus seinem Mantel und lässt ihn auf den Tisch fallen. Deutlich ist ein Klirren von Münzen zu hören. »Zweihundert Goldmünzen. Wie vereinbart«, sagt er kühl und da landet noch ein Beutel auf dem Tisch. «Und hier die offizielle Bezahlung für die Freilassung des Sklaven.« Mit einem gierigen Grinsen ergreift Tamim den Beutel mit den Goldmünzen und öffnet ihn. »Vielen Dank für die Spende.« Ohne überhaupt den Versuch zu machen, es zu verbergen, steckt er den Beutel in seine über der Stuhllehne hängende Tasche und öffnet das Gerät auf seinem Schreibtisch. »Also, wer ist der Besitzer? Und ich brauche die originalen Unterlagen des Sklaven.« Abwartend sieht er die Männer an, bis Yugi nervös einen Schritt nach vorn macht. »Ich bin Yugi Muto und der Besitzer des Sklaven.« »Gut, dann geben Sie mir die Unterlagen und beantworten mir ein paar Fragen.« Auffordernd deutet Tamim auf den Schreibtisch, während er weiter auf den Bildschirm starrt. »Natürlich«, fahrig holt Yugi alles aus seiner Tasche und legt den Unterlagenstapel auf das glänzende Holz des Tisches. »Hier bitte.« Nervös sieht er sich zu Atemu um, der nun hinter ihn tritt und ihm mit einem beruhigenden Lächeln die Hand auf die Schulter legt. Gezwungenermassen geduldig stehen sie abwartend da, da es in dem Raum ansonsten keine Stühle gibt und beobachten, wie dieser Tamim alles durchblättert und ein paar Mal etwas in die Dokumente schreibt. »Also, Herr Muto. Sehe ich das richtig, dass Sie den Sklaven vor zwei Jahren und einem Tag gekauft, ihn aber erst vor einem Jahr registriert haben?« Mit hochgezogener Augenbraue sieht der Beamte den jungen Mann vor sich an, der verwirrt zu Shimon blickt. Leicht nickt ihm dieser zu. »Ähm, ja, das stimmt«, sagt Yugi nun zögernd und äusserst angespannt. »Verstehe. Ich nehme jetzt einfach mal an, dass Sie nicht gewusst haben, dass Sie den Sklaven registrieren müssen?« Mit seinem Stift tippt Tamim auf den Schreibtisch. »Ähm, ja.« Wiederholt Yugi, der gerade gar nichts anderes sagen kann. »Verstehe. Wie ich sehe war kurz vor dem Kauf des Sklaven Ihre jährliche Untersuchung. Ist der Sklave darum erst letztes Jahr untersucht worden?« »Ähm, ja. Mir war nicht bewusst, was sich da seit unserem letzten Sklaven alles geändert hat«, erwidert Yugi, sich endlich einen ganzen Satz zurechtlegend. »Ist das ein Problem?« Grinsend schüttelt Tamim den Kopf und macht sich eifrig Notizen. »Da Sie den Sklaven in der Zwischenzeit nicht verkauft haben, ist es kein Problem. Nun die Frage, welchen Nachnamen soll er nach der Freilassung tragen? Soll er Slave heissen?« Mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue wird Yugi abwartend angesehen. »Er soll Yami Atemu Muto heissen, wenn zwei Vornamen möglich sind.« Leicht runzelt Tamim die Stirn. »Es ist möglich, nur ungewöhnlich, dass neben dem offiziellen Namen auch ein zweiter Name vergeben wird. Ist das der Name, mit dem Sie ihn gerufen haben? Und warum wollen Sie ihm den Familiennamen geben?« Yugi stockt, als er die Fragen hört. »Ja, wir haben ihm den Namen Atemu gegeben, weil er uns passender erscheint und er gehört für uns zur Familie, darum soll er auch unseren Namen tragen.« »Nun gut, wie Sie wollen«, meint Tamim und tippt jetzt auf den Tasten seines Laptops herum. »Was machen Sie da an dem Magigerät?«, fragt Yugi neugierig und beugt sich leicht vor. Jedoch wird sein Blick auf den Bildschirm, von dem Arm des Beamten blockiert. »Ich gebe alles ein, was Sie mir gesagt haben und ordere das Brenneisen an. Es wird jeden Moment hier sein.« Yugi schluckt leicht und spürt, wie sich die Hand auf seiner Schulter anspannt und ein Zittern durch den Körper seines Liebsten geht. »Ich würde vorschlagen, dass sich Ihr Sklave schon mal obenrum frei macht. Je heisser das Brenneisen ist, desto schneller sind wir fertig.« Ohne eine Miene zu verziehen, schiebt er einen dicken Lederriemen über den Schreibtisch. »Auf den soll er dann beissen. Ich habe keine Lust, abgebrochene Zähne vom Boden aufzulesen.« Der Tonfall von diesem Typen ist so eiskalt, dass Yugi ihm am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt hätte. Mühsam beherrscht er sich und dreht sich zu seinem Liebsten um. »Komm, ich helfe dir«, sagt er mit sanfter Stimme und hilft Atemu dabei, die Jackenknöpfe zu öffnen. Angewidert beobachtet Tamim das Verhalten von diesem Muto. »Sklavenfreund«, murmelt er abfällig und da ertönt ein Klopfen. Er öffnet die Tür und lässt einen Sklaven eintreten der das Kohlebecken und das Brenneisen nun auf einem Mauervorsprung direkt neben der Tür platziert und sich abwartend und mit gesenktem Blick neben die Tür stellt. Kurz überprüft Tamim, ob auch das richtige Brenneisen in den Kohlen liegt, ehe er sich umwendet und die drei Begleiter Mutos kühl ansieht. »Bitte verlassen sie den Raum. Auffordernd deutet er mit einer Hand zur immer noch offen stehenden Tür. Kaum haben die Drei sein Büro verlassen, schliesst er die Tür hinter ihnen. Kaum sind Hopkins und die anderen weg, schliesst Atemu die Augen und sinkt, ohne sich auch nur einmal umzublicken, auf die Knie. Mit zitternden Fingern schiebt er sich den Lederriemen zwischen die Zähne und beisst zu. Er will nicht sehen, was sich hinter ihm befindet, will den Anblick des Grauens nicht auch noch vor Augen haben. Angespannt kniet er mit zu Fäusten geballten Händen da, den nackten Rücken diesem Tamim zuwendend als er spürt, wie seine Hände ergriffen werden. Zögernd hebt er den Kopf und sieht seinen Sharik mit vor Panik geweiteten Augen an. »Ich bin da. Halte dich an mir fest.« Aufmunternd lächelt Yugi seinen Liebsten an und verschränkt ihre Finger miteinander. Die Augen schliessend legt Atemu die Stirn auf dessen Schulter und atmet tief durch. Er ist gerade etwas ruhiger geworden als der Beamte hinter ihn tritt. Er glaubt die Hitze das glühenden Eisens in dessen Hand zu spüren und das noch bevor es seine Haut berührt. Gepeinigt presst er die Augen noch fester zusammen und dann ist es soweit. Das glühende Eisen wird direkt auf das Ankh auf seinem Schulterblatt gepresst. Schreiend beisst er auf das Leder und beugt den Rücken durch. Seine Hände verkrampfen sich um Yugis. Drücken schmerzhaft zu, während er darum kämpft, bei Bewusstsein zu bleiben zu bleiben. Der Gestank nach verbrannten Fleisch breitet sich im Raum aus und die Dunkelheit der Ohnmacht greift schon nach ihm und dann endlich. Nach unendlich langen Sekunden verschwindet das glühende Eisen von seinem Schulterblatt. Zurück bleibt die Brandwunde in der Form einer stilisierten Taube, die das immer noch sichtbare Ankh bedeckt. Halb bewusstlos sackt Atemu in Yugis Armen zusammen, seine Kiefer entspannen sich und das Leder fällt zu Boden, als er angestrengt Luft holt. Nur am Rande bekommt er mit, wie ihm das Halsband abgenommen und um den rechten Oberarm gelegt wird. »Er muss das Band jetzt für zwei Wochen sichtbar am Arm tragen«, erklärt Tamim mit kalter Stimme. Er gibt dem Sklaven ein Zeichen, dass dieser die Brennutensilien wieder zusammenpacken soll und verlässt zusammen mit dem Sklaven den Raum. Kurz darauf kommt er wieder zurück und drückt Yugi einen einfachen Ausweis in die Hand. »Er ist jetzt ein freier Mann. Nun würde ich sie bitten, zu gehen. Ich habe Feierabend.« Yugi kann es nicht glauben, dass seinem Liebsten nicht einmal Zeit zum Erholen gegeben oder die Wunde versorgt wird. »Einen Moment, bitte«, murmelt er und hilft dem beinahe bewusstlosen Atemu aufzustehen. Ihn stützend, greift er nach dem Pullover und der Jacke. Da wird ihm von diesem Mistkerl noch der Stapel mit Papieren in die Hand gedrückt. Zum Glück schafft es sein Liebster, trotz seines benebelten Zustandes, irgendwie allein zu stehen, als er alles in die Tasche stopft. »Komm, gehen wir«, raunt er leise und führt ihn nach draussen in den Flur. Dort werden sie schon von den anderen erwartet. »Helft mir mal«, bittet er widerwillig, da sein Liebster sich immer schwerer auf ihn stützt. Sofort greift Hopkins zu und stützt den blassen Atemu von der anderen Seite. Dabei fällt sein Blick auf die frisch gebrannte Schulter und ihm wird schlecht. »Nicht einmal verbinden konnte der Kerl die Wunde?« »Der Kerl hat Feierabend«, grollt Yugi voller Abscheu, als sie langsam den Flur entlang gehen. Shimon und Seto eilen voraus und halten ihnen die Tür auf. Kaum sind sie draussen, pfeift ihnen der Wind wieder kalt um die Ohren. »Schnell, bevor er zu sehr auskühlt«, ruft Yugi aus. So schnell es ihnen möglich ist, gehen sie über den Platz zu der Kutsche, wo Seto auf sie wartet und ihnen die Tür aufhält. Irgendwie schaffen sie es, mit vereinten Kräften Atemu in die Kutsche zu verfrachten und steigen dann hastig ein. Neben seinem Liebsten sitzend, hält Yugi ihn fest und verhindert, dass die Wunde an das Rückenpolster des Sitzes kommt. »Fahrt bitte vorsichtig«, bittet er Hopkins leise und voller Sorge. Woraufhin der alte Mann nickt und die Bitte an den Kutscher weiter gibt. Anders als zuvor setzt sich die Kutsche nur mit einem leichten Ruckeln in Bewegung und die Pferde laufen nur im Schritt durch die langsam einsetzende Dämmerung.   Atemu fühlt sich so elend. Die Umgebung dreht sich immer wieder und ihm ist speiübel vor Schmerz. Irgendwie ist es diesmal so viel schlimmer als damals.  Er will schreien und toben. Sich verkriechen und die Hand seines Shariks wegschlagen, die ihn stützt. Gleichzeitig will er sich in dessen Armen werfen und sich an ihm festhalten. Doch nichts von alledem ist möglich. Er spürt deutlich die Blicke der drei Männer, die ihm gegenüber sitzen, auf sich ruhen. Ihm ist kalt, doch seine Schulter brennt wie Feuer und genau dies ist der Grund, weshalb er nicht nach seiner Jacke greift.   Shimon mustert Atemu voller Sorge. Er ist im Flur beinahe wahnsinnig geworden, als die Tür sich hinter ihnen geschlossen und den Blick in das Büro versperrt hat. Kein Ton ist danach zu ihnen durchgedrungen. Nur die Anwesenheit seines Schützlings und seines Freundes haben verhindert, dass er die Tür wieder aufreisst. »Mein Pharao. Braucht ihr Hilfe? Kann ich irgendwas für euch tun?« Sofort wird er mit einem Blick bedacht, der ihn tot umfallen liesse, wenn diese denn töten könnten. Aber er ignoriert den Partner des Pharaos. Seine Konzentration gilt einzig und allein Atemu, der nun langsam den Kopf hebt und ihn mit einem stumpfen Ausdruck in den Augen ansieht. «Lasst mich einfach in Ruhe, Hohepriester. Ich will einfach nur meine Ruhe haben.» Müde hebt er die Hand, als Shimon etwas erwidern möchte. »Bitte, seid einfach ruhig. Ja, ich bin jetzt wieder ein freier Mensch, aber lasst mich jetzt dennoch in Ruhe mit irgendwelchen Fragen oder Entscheidungen, die ihr hören wollt.« Den Blick abwendend sieht er erschöpft aus dem Fenster. Er merkt, dass er anfängt zu zittern, da die kühle Luft langsam immer mehr in seinen Körper vordringt. Auf einmal spürt er, wie ihm vorsichtig die Jacke über die Brust und die unverletzte Schulter gelegt wird. Langsam dreht er den Kopf zu seinem Sharik, der ihn mit einem Blich voller Verständnis ansieht. »Du erkältest dich noch. So bist du wenigstens ein bisschen vor der Kälte geschützt.« Er verlangt keine Antwort von seinem Liebsten. Kann er sich doch denken, wie es ihm gerade geht. Aufpassend, dass er die Brandwunde nicht berührt, zieht er die warme Jacke fester um ihn. »Grossvater hat sicher schon die Brandsalbe für dich vorbereitet. Sie wird die Schmerzen lindern und verhindern, dass du Wundbrand bekommst.« Nur leicht nickt sein Liebster, als Bestätigung, dass er ihn gehört hat und wendet sich dann wieder von ihm ab. Es tut Yugi weh, dass er sich so zurückzieht, aber er ahnt, dass es hauptsächlich damit zu tun hat, dass sie nicht allein sind. Ihm geht es ja ähnlich. Unwillkürlich steigt die Wut in ihm hoch, als er zu den drei Männern blickt. »Wie geht es nun weiter? Werdet ihr jetzt ins ägyptische Grossreich zurückkehren?« Er kann nicht verhindern, dass eine leichte Hoffnung in seiner Stimme mitschwingt, die aber sofort wie eine Seifenblase zerplatzt, als Seto überheblich den Kopf schüttelt. »Vergiss es. Wir gehen erst, wenn der Pharao eine Entscheidung getroffen hat. Wir sind doch nicht extra wie die Tiere hergereist, um jetzt unverrichteter Dinge wieder abzureisen.« Nur mit Mühe kann sich Yugi zurückhalten, dem Kerl eine Ohrfeige zu verpassen. Da räuspert sich Hopkins. »Mein Prinz, es wäre sicher nicht falsch, wenn Ihr nach eurer Rückkehr Änderungen veranlasst, die das Reisen für uns einfacher und angenehmer machen.« Er hat das letzte Wort noch nicht ganz ausgesprochen, als er auch schon mit gefährlich blitzenden Augen angesehen wird. »Pass auf, was du sagst! Ich sehe keine Veranlassung, warum das Volk aus seiner gewohnten Umgebung gerissen werden sollte. Am Ende kommt ihr noch auf dumme Ideen, die absolut nicht angemessen sind.«   »Typisch«, murmelt Atemu undeutlich vor sich hin, während er weiter aus dem Fenster blickt. Er spürt regelrecht, wie sein Cousin ihn nun mit Blicken durchbohrt, aber er ignoriert ihn. Vor allem, weil sie endlich vor dem Haus der Mutos anhalten. Er will aus der Kutsche raus und beugt sich vor, um die Tür zu öffnen, als ein rasender Schmerz über seinen Rücken rast. Vor Schmerzen aufstöhnend, sackt er auf dem Sitz zusammen und schnappt keuchend nach Luft. Da wird die Tür von aussen aufgerissen und Rishido steigt halb in die Kutsche. »Komm, ich helfe dir.« Er legt vorsichtig die Arme um Atemu und hebt ihn hoch. Er trägt ihn halb aus der Kutsche und da er deutlich grösser und auch muskulöser als Yugi und die anderen ist, hat er es deutlich leichter und nimmt ihn kurzerhand auf den Arm. »Meister Yugi, folgt mir bitte. Meister Sugoroku hat schon alles vorbereitet.« Ohne darauf zu achten, ob die anderen ihm folgen, trägt er Atemu ins Haus und dort direkt nach oben ins Schlafzimmer, wo er ihn auf das Bett setzt und ihm dann hilft, sich auf den Bauch zu legen. Aufmerksam mustert er jetzt die in die Haut gebrannte Taube, die das Ankh überdeckt. »Das Eisen war nicht heiss genug, darum habt ihr solche Schmerzen. Die Nerven sind noch intakt, aber das Brandzeichen ist tief genug eingebrannt, um eine dauerhafte Narbe zu hinterlassen.« Stellt er mit ruhiger Stimme fest. »Ach, darum tut es so verdammt weh«, erwidert Atemu trocken, aber mit gepresster Stimme. »Kannst du etwas gegen die Schmerzen machen?« Er sieht Yugi nicht an, der sich jetzt neben ihm aufs Bett setzt, aber er ergreift dessen Hand. Die anderen, die bei der Tür und im Flur stehen und sie beobachten, ignoriert er komplett. Eilig drängt sich Sugoroku an allen vorbei und schliesst kurzerhand die Tür. »Immer diese Gaffer«, grollt er genervt. Dabei das Wort benutzend, das er vor ein paar Wochen von Atemu gelernt hat, als sie auf dem Markt eine Menschenansammlung beobachtet haben, die sich um einen Unfall gebildet hatte. Bemüht ruhig kommt er zum Bett. »Hier, ich habe die Salbe extra angerührt.« Er drückt Rishido das Schälchen in die Hand, der dankbar nickt und dann vorsichtig etwas von der kühlenden Salbe auf der Wunde verteilt. Bevor er sie gekonnt verbindet. »In ein paar Tagen wird die Wunde soweit verheilt sein, dass du dich wieder weitgehend schmerzfrei bewegen kannst. Aber lass es zu, dass der Verband täglich gewechselt und neue Salbe aufgetragen wird.« Ernst sieht er Atemu an, der den Blick erwidert, ehe er die Augen schliesst. »Danke, Rishido«, murmelt er kaum hörbar. »Du musst dich nicht bedanken. Aber gönne dir jetzt erst Mal etwas Ruhe.« Ernst sieht er Yugi und Sugoroku an. »Wir sollten ihn jetzt alle allein lassen. Ausserdem wird Meister Jonouchi nicht eher gehen, bis er auch mit dir geredet hat, Meister Yugi.« »Er hat recht, Sharik. Bitte lass mich allein. Ich brauche einen Moment für mich.« Stimmt Atemu mit heiserer Stimme zu. Yugi ringt mit sich, aber dann nickt er widerwillig. »Na gut. Wenn aber etwas ist, dann ruf uns. Wir sind im Wohnzimmer.« Sanft küsst er seinen Liebsten auf die Schläfe, bevor er aufsteht und zusammen mit Grossvater und Rishido das Zimmer verlässt. Verwirrt sieht er sich um, als er niemanden im Flur stehen sieht und dann hört er die Stimmen aus dem Wohnzimmer.   »Du Strassenköter solltest besser aufpassen, dass du deine Frau nicht an eine bessere Partie verlierst. So wenig Hirn wie du hast, ist sicher jeder besser für sie als du!« Abschätzig mustert Seto den Schmied, der ihn gerade anspringen will, aber von May und dem Sklaven der Mutos zurückgehalten wird. »Du verdammter Oberschichtsschnösel! Es ist mir scheissegal, ob du ein verkappter Prinz bist oder nicht. Ich lasse nicht zu, dass meine Freunde wegen dir leiden!« Geht Jonouchi sprichwörtlich an die Decke und klettert beinahe über Mays und Ninos Arme, die ihn zurück halten. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendeine Andeutung gemacht habe, dass mich die Meinung eines Strassenköters interessiert.«   Hopkins und Shimon sitzen auf dem Sofa und beobachten das Schauspiel. »Was glaubst du, wer von beiden gewinnt?«, fragt Arthur breit grinsend, als er seine Tasse Tee anhebt und dann einen Schluck trinkt. »Ich bin Schmied und kein Strassenköter. Ich fordere dich zum Duell! Wähle die Waffen!« Geht nun endgültig das Temperament mit Jono durch. »Jonouchi!«, ruft May aus und Arthur verschluckt sich an seinem Tee. Hustend starrt er den jungen Schmied an, der mit vorgerecktem Kinn dasteht und Seto mit blitzenden Augen fixiert. Der lacht kalt auf und deutet zum Schachbrett. »Ich bin zivilisiert und wähle das Spiel der Könige.« Stolz setzt er sich auf der Seite mit den schwarzen Figuren hin. Spöttisch grinsend mustert er Jonouchi, der ihn sprachlos anstarrt. »Was ist? Hat der Strassenköter etwa gerade den Schwanz eingezogen?« Schon wieder geht Jonouchi an die Decke. »Hör auf, mich Strassenköter zu nennen, du Oberschichtsack!«, zischt er und lässt sich auf den Stuhl fallen. Dass er  vom Schach gerade mal die Grundregeln kennt, verdrängt er gekonnt. Ohne nachzudenken, greift er nach dem erstbesten Bauern und bewegt ihn zwei Felder nach vorn.   Yugi hat das Ganze von der Tür aus beobachtet und setzt sich jetzt auf den Sessel. Er sieht mit hochgezogener Augenbraue zu, wie die Figuren auf dem Schachbrett bewegt werden und Jonouchi eine Spielfigur nach der anderen verliert. »Was ist passiert? Wir waren doch nur ein paar Minuten im Schlafzimmer.« Auch Sugoroku hat sich hingesetzt und beobachtet nun das Schachspiel. »Prinz Seto spielt mit ihm. Er könnte das Spiel schon seit mindestens fünf Zügen beenden.« Leise lachte Hopkins in seine Tasse. »Der Prinz hat angedeutet, dass Atemu sie schon bald ins ägyptische Grossreich begleiten und dich verlassen wird. Da ist Jonouchi im wahrsten Sinne des Wortes explodiert und den Rest hast du ja selbst gehört.« Tief seufzt May auf, als sie sich neben Yugi auf die Armlehne des Sessels setzt. »Jono explodiert einfach viel zu schnell, wenn er es mit Leuten aus der Oberschicht zu tun hat und sie ihn spüren lassen, dass er zum einfachen Volk gehört.« Ein Fluchen lässt sie innehalten und dann schauen sie zu, wie Jonouchi aufspringt und Seto lautstark zu einer weiteren Partie herausfordert. »Das wird wohl noch länger dauern. Dabei hat er doch keine Ahnung von Schach«, seufzt Yugi. Allerdings ist er aber auch froh, dass er so von den bohrenden Fragen seines besten Freundes verschont bleibt. Als er jedoch den Blick von May bemerkt, schluckt er leer. »Was willst du wissen?«, fragt er mit müder Stimme. »Warum habt ihr uns nie gesagt, wer Atemu eins gewesen ist und was habt ihr jetzt vor?« Leiser Vorwurf schwingt in ihren Worten mit, was in Yugi unwillkürlich ein schlechtes Gewissen erwachen lässt. »Wir hatten Angst, dass die falschen Personen es erfahren, wenn wir es euch erzählen. Du weisst ja, wie Jonouchi ist, wenn sein Temperament mit ihm durchgeht.« Vielsagend sieht er zu seinem Freund, der sich gerade die Haare rauft. »Ich weiss es nicht genau, was Atemu jetzt vorhat. Er ist jetzt frei und heisst Yami Atemu Muto. Ich bin froh, dass ich seinen wahren Namen auch mit reinbringen konnte.« Leicht lächelt er May an, die ihm jetzt die Hand auf die Schulter legt. »Was glaubst du, wird er machen?«, möchte sie voller Mitgefühl wissen, da sie ahnt, was nun kommt. »Ich befürchte, dass er gehen wird. Ich habe es selbst gelesen, wie schlimm die Lage ist, in die sein Onkel das Land gebracht hat. Er ist wohl die letzte Hoffnung, auch für seine Schwester.« Mit gesenktem Blick sitzt er da und starrt auf seine ineinander verschlungenen Hände. »Ich habe Angst, dass ich ihn verliere. Ich liebe ihn doch so sehr.« Seine Stimme zittert deutlich und als sie ihm den Arm um die Schultern legt, lehnt er sich an sie. »Selbst wenn er gehen sollte, wirst du ihn nicht verlieren, dafür liebt ihr euch viel zu sehr. Vertraue darauf.« Versucht May ihm Mut zu machen, obwohl auch ihr klar ist, dass die Möglichkeit sehr gross ist, dass sich Yugis Ängste bewahrheiten werden.   Shimon hört den beiden zu und sieht dabei in seine Tasse. Es tut ihm so unglaublich leid, dass sie so viel Leid über die Leute hier bringen. Fieberhaft überlegt er, was er sagen soll, als er leise Schritte hört. Langsam hebt er den Blick in Richtung Tür und tatsächlich steht da der Pharao. Kerzengerade betritt er das Wohnzimmer. Nur seine steifen Bewegungen und der Verband zeugen davon, dass er verletzt ist. »Sharik. Ich … es tut mir so leid. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Aber ich kann nicht anders. Ich muss …« Yugi hebt die Hand, was ihn zum Verstummen bringt. »Du musst nichts sagen. Ich verstehe schon.« Sich zu einem Lächeln zwingend, sieht er Atemu an. »Ich will verdammt nochmal nur wissen, was ihr dann vorhabt und wie zum Teufel ihr ins ägyptische Grossreich kommen wollt.«   «Das wirst du. Das verspreche ich dir. Ich werde bleiben, solange es mir möglich ist.« Verspricht Atemu und sieht dann zu Shimon und Hopkins. »Bitte geht jetzt. Ich brauche Ruhe und meine Familie auch. Wenn ihr wisst, wie wir ins ägyptische Grossreich gelangen können, dann kommt wieder. Aber keinen Tag vorher.« Seine Stimme ist ruhig und doch schwingt eine Dominanz drin, dass selbst Jonouchi ihn anstarrt, der Seto gerade zu einer weiteren Partie Schach hatte herausfordern wollen. »May, Jono und Rishido. Bitte geht auch. Ich bin müde und die anderen auch.« Ernst sieht er Jono an, der tatsächlich nickt und auf ihn zu geht, bis er direkt vor ihm steht. »Nun gut, aber du verschwindest dann nicht einfach, ohne dich zu verabschieden.« Mit erhobenem Finger unterstreicht er seine Worte. »Natürlich werde ich mich verabschieden, ihr Drei seid doch meine Freunde.« Atemu lächelt Jonouchi gezwungen an, der ernst nicht. »An dem Lächeln müssen wir noch arbeiten, aber gut. May, Rishido, kommt ihr?« Er wendet sich um und geht zu Yugi, den er in eine knochenbrecherische Umarmung zieht. »Du kannst froh sein, dass der Oberschichtpinkel so ein Arsch ist. Sonst hättest du mir einiges noch einmal erklären müssen, von dem was Sugoroku uns da erzählt hat«, flüstert er ihm zu, ehe er ihn loslässt. »Gehen wir und ihr Drei kommt auch gleich mit!« Resolut zieht er Shimon und Hopkins vom Sofa hoch und schiebt sie aus dem Wohnzimmer. Seto und May folgen ihm und Rishido, der bleibt noch kurz bei Atemu stehen. »Es wird nicht leicht werden. Sammle noch einmal für den auf dich zukommenden Kampf Kraft.« Leicht neigt er respektvoll den Kopf, bevor er den anderen folgt und die Mutos und Nino allein lässt, der sich respektvoll im Hintergrund hält. Kaum ist die Tür unten ins Schloss gefallen, sackt Atemu in sich zusammen. »Nino, ich werde dir in den nächsten Tagen alles zeigen, was du wissen musst, um alle meine Aufgaben zu übernehmen.« Seine Stimme klingt müde und belegt. »Ich gehe ins Bett. Sharik, iss bitte etwas und komm dann auch bald. Ich warte auf dich.«   Obwohl er keinen Hunger hat, nickt Yugi kaum merklich. »Das mache ich.« Den Tränen nahe sieht er seinem Liebsten nach, als dieser sich umdreht und aus dem Wohnzimmer schlurft. Erst jetzt ist wirklich sichtbar, wie viel Kraft es ihn gekostet hat, sich hierher zu schleppen. »Ich hole ein Brötchen, mehr kriege ich nicht runter«, murmelt er vor sich hin und rennt dann aus dem Wohnzimmer. Zurück lässt er Nino, der verloren dasteht und nicht weiss, was er tun soll und Sugoroku, der nun zu dem Jungen geht und ihn aufmunternd in den Arm nimmt. »Es wird alles wieder gut werden. Irgendwann.«     --------------------------------------------------------------------------------------------------------------     So, das war es jetzt auch schon wieder. Atemu ist jetzt frei, aber ist das wirkliche Freiheit, die er jetzt wiedererlangt hat? Das ist die Frage. So und im nächsten Kapitel kommt dann das Ende von Band 6.   Eure mrs_ianto   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)