Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 3, Szene 1 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte Ryan so etwas wie Schuldgefühle. Nachdem Maike und Adrian mit Corinna im Schlepptau vom Pyroberg verschwunden waren, machte er sich schlurfend auf den Rückweg. Er hatte einen Plan gehabt, hatte alles riskiert, und er war gescheitert. Maike war ihm mütterlich vorgekommen, freundlich. Er hatte geglaubt, sie würde ihn mit offenen Armen in Team Aqua aufnehmen, wenn er sie darum bat und ihr Corinna auslieferte, aber stattdessen hatte sie ihn abgewiesen, weil er zu jung war. Ausgerechnet ihre Fürsorge war ihm zum Verhängnis geworden. Ryan hatte sich noch nie wie ein Kind gefühlt. Ihm war entfallen, dass andere ihn durchaus als solches betrachten könnten. Und nun war Corinna gefangen und er alleine. Nein. Nicht ganz alleine. Ryan blieb stehen und sah zu Shuppet, das in seiner Nähe schwebte und sich an seinen düsteren Gedanken ergötzte. Kleiner Sadist. Trotzdem. Shuppet konnte ihm helfen, alles wieder gerade zu biegen, genauso wie Corinnas Vulpix mit dem bedauernswerten Namen Foxy. Aber das reichte nicht. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber wenn er auf altmodischem Weg ins Hauptquartier einbrechen wollte, brauchte er Hilfe. Es war Zeit, sich einen Schlachtplan zurechtzulegen.     Es gelang Ryan mit etwas Mühe, einen der Fischer auf sich aufmerksam zu machen und ihn zu überreden, früher als gewöhnlich zurückzukehren. Trotzdem war es später Abend, als Ryan durchgefroren und erschöpft in Seegrasulb City ankam und sich zum Pokécenter schleppte. Ohne Corinna bestand kein allzu großes Risiko mehr, erkannt zu werden, und Shuppet musste sich von dem Training erholen, auch wenn es letztlich nicht viel gebracht hatte. Während Ryan auf einer Couch darauf wartete, dass Foxy und Shuppet an die Reihe kamen, dachte er nach. Als erstes musste er einen Weg finden, zum Hauptquartier zu kommen. Laut Corinna befand es sich in einer Meereshöhle östlich vom Strand. Er brauchte also ein Gefährt, mit dem er über das Wasser setzen konnte. Vielleicht ein Boot, dass er sich irgendwo leihen konnte? Er wollte ungern ein eigenes Wasserpokémon fangen, zumal ihm die VM Surfer fehlte. Verstärkung wäre ebenfalls angemessen. Ryan hielt viel auf sich und seine Fähigkeiten, aber auch er musste zugeben, dass es in Pokémonkämpfen nicht nur auf Qualität, sondern auch auf Quantität ankam, und derzeit hatte er von beidem wenig. „Ryan Bittner!“ Beim Klang seines Namens zuckte Ryan erschrocken zusammen und hob den Kopf, nur um Schwester Joy zu entdecken, die ihn zu sich an die Theke winkte. Seine beiden Pokébälle lagen auf einem kleinen Tablett, das sie ihm zuschob. Er schnappte die Bälle und machte schnell kehrt, doch wie schon bei ihrem ersten Treffen ergriff sie seinen Arm. „Du siehst nicht gerade besser aus“, verkündete sie mit einem kritischen Blick. „Hast du Johanna nicht gefunden? Du bist regelrecht käsig.“ „Das liegt sicher an der Beleuchtung hier drinnen“, sagte Ryan und versuchte, sich loszumachen, doch der Griff der Schwester blieb eisern. „Nun, irgendetwas ist mit dir“, beharrte sie. „Hast du Sorgen? Wenn du Probleme hast, kannst du dich immer an die hiesigen Trainer wenden, oder an mich natürlich.“ „Ja, mache ich, vielen Dank, auf Wiedersehen“, sagte Ryan, diesmal mit mehr Nachdruck und riss seinen Arm weg. Bevor Joy noch auf die Idee kam, ihn nach Corinna zu fragen, hastete er aus dem Pokécenter. Die salzige Nachtluft brannte sich durch seine Kehle, als er erleichtert durchatmete und sich schließlich entlang der Pokécenterfassade auf den Weg machte. Zuerst würde er zu Jo zurückgehen und hoffen, dass ihm in der Sicherheit ihrer vier Wände ein guter Einfall kam. Etwas Hartes fiel von oben auf ihn herab. „Au!“ Ryan sprang erschrocken zurück und rieb sich den pochenden Hinterkopf. Vor ihm baumelte ein dickes Seil. Er sah nach oben. Aus dem Fenster im zweiten Stock direkt über ihm schwang sich ein Bein, dann noch eines, und im nächsten Moment kletterte ein junges Mädchen das Seil hinunter. Sie hatte noch nicht den Boden erreicht, als ein ohrenbetäubendes Knacken aus ihrem Zimmer drang und das Seil herausfiel, dicht gefolgt von einem abgebrochenen Stück Holz. Das Mädchen landete unsanft auf den Füßen und gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich. Sie schüttelte den Kopf, entfernte das Holz, wickelte das Seil mit gekonnten Bewegungen um Hand und Ellenbogen und verstaute es in ihrem gewaltigen Rucksack. Erst jetzt drehte sie sich um und stieß einen spitzen Schrei aus, als sie Ryan entdeckte, der sie perplex beobachtete. „Was machst du hier?“, zischte sie durch ihre Atemmaske, sah sich angstvoll um und packte ihn am Handgelenk, um ihn in die nächste Straßenecke zu zerren. Ryan riss sich los, kaum dass sie die Straße hinter sich gelassen hatten. „Friedlich meines Weges gehen“, fauchte er zurück. „Was machst du hier?“ Er besah sich die Maske. „Bist du eine Diebin?“ Sie hustete, ihre Bronchien eindeutig belegt. „Oder krank?“ Sie hustete erneut, dieses Mal heftiger. „Definitiv krank“, schloss er. „Schlaumeier“, sagte sie und zog den Wollschal um ihren Hals fester. „Sehe ich wie eine Diebin aus?“ Ryan besah sich ihre dunkle Hose, die schwarzen Schuhe, das schwarze Oberteil und die Gesichtsmaske. „Ja“, gestand er. „Ziemlich.“ „Nun, ich bin keine Diebin.“ Sie hustete erneut und streckte ihm dann ihre Hand zur Begrüßung hin. Ryan verzog angewidert das Gesicht. „Ich heiße Ellie und breche aus der Quarantäne aus.“ „Du!“ Jetzt fiel es Ryan wie Schuppen von den Augen. „Du bist diese Trainerin, von der Joy erzählt hat. Die mit der Bronchitis.“ „Bronchitis, Erkältung, ist mir schnurz“, sagte Ellie und strich ihren schwarzen Zopf glatt. „Ich habe keine Zeit, noch eine ganze Woche in meinem Zimmer zu verrotten. Die Meere wollen erforscht werden und sie warten nicht!“ „Wo gehen sie denn hin, die Meere?“, fragte Ryan hämisch grinsend. „Nimm nicht alles so wörtlich.“ Sie sah ihn böse an. „Wirst du dich nun auch vorstellen oder soll ich mir einen Namen für dich ausdenken?“ „Ryan“, sagte er und rieb sich die Schläfen. Und er hatte gedacht, Corinna sei anstrengend. Der Gedanke an Corinna versetzte ihm einen kurzen Stich. Inzwischen war sie sicher schon im Hauptquartier. Ob man sie dort verhörte? Ob Adrian sie folterte? Bevor er die Vorstellung weiterspinnen konnte, riss Ellie ihn aus seiner Starre. „War nett mit dir geredet zu haben“, sagte sie, hustete und schulterte ihren Rucksack, „aber ich muss jetzt weiter. Heute Nacht wird es nichts mehr mit dem Schwimmen, aber ich will die Stadt verlassen, bevor Joy mitkriegt, dass ich getürmt bin.“ Sie runzelte die Stirn. „Wenn ich jetzt noch eine Bleibe hätte ... Na ja, muss ich halt eine Nacht draußen schlafen, es gibt schlimmeres. Bis dann.“ Sie gab ihm eine Art militärischen Gruß und hopste davon. Einige Sekunden blieb Ryan bewegungslos stehen, zu überwältigt von der Begegnung, um irgendetwas zu tun. Erst als Ellies Zopf hinter einer Hausmauer verschwand, wurde ihm klar, was gerade geschehen war. Er fluchte und sprintete los. Ryan war nicht sehr sportlich, aber immerhin sportlicher als Ellie mit ihrer belegten Lunge, denn er holte das Mädchen nur zwei Straßen weiter ein. Er hätte sie schon früher auf sich aufmerksam machen können, wenn er gewagt hätte, nach ihr zu rufen, aber sie hatten die Stadt noch nicht verlassen und er wollte ungern die ganze Nachbarschaft aufwecken. Ellie musste den Klang seiner Schuhe auf dem Pflaster gehört haben. Sie drehte sich um, als er noch etwa zwanzig Meter entfernt war und wartete, bis er hechelnd neben ihr zum Stillstand kam. „Du schwimmst morgen … irgendwo hin?“, fragte er. Sie nickte mit leuchtenden Augen. „Moorabbel und ich schwimmen nach Moosbach City“, erklärte sie. „Dort gibt es die Küstenhöhle. Ich will unbedingt ein Seemops fangen, die gibt es nur dort. Und auf dem Weg dorthin komme ich an einigen Tauchplätzen vorbei. Ein Perlu, oder sogar ein Relikanth wären —“ „Ist mir völlig egal“, unterbrach Ryan sie. „Verstehe ich das richtig, dass du morgen mit deinem Wasserpokémon, das Surfer beherrscht, über das Meer schwimmst?“ „Daaas ist richtig“, sagte sie langezogen, „aber was hat das mit dir zu tun, wo dir meine Wasserabenteuer doch völlig egal sind?“ „Ich habe einen Handel vorzuschlagen“, sagte Ryan und verschränkte die Arme. „Ich biete dir für heute Nacht einen Schlafplatz außerhalb der Stadt an, mit warmer Dusche, eigenem Zimmer, Abendessen und Frühstück.“ „Nett“, gestand Ellie. „Im Gegenzug —“ „War klar, dass die Nummer `nen Haken hat.“ „Im Gegenzug“, wiederholte Ryan lauter, „nimmst du mich morgen mit und setzt mich an einem bestimmten Ort ab.“ Die Atemmaske um Ellies Mund spannte sich. Ryan konnte nur raten, was für einen Ausdruck sie darunter machte. „Muss ich dafür einen Umweg machen?“, fragte sie schließlich. „Höchstens minimal. Es liegt auf deiner Strecke.“ „Und du willst nicht wieder abgeholt werden? Ich muss nicht tagelang dort auf dich warten oder so? Keine versteckten Klauseln, Wortspiele, das übliche Kleingedruckte, das keiner liest?“ Ryan schüttelte den Kopf. Das wäre zwar noch idealer, aber er konnte sein Glück jetzt schon kaum fassen. Um die Rückkehr würde er sich Gedanken machen, wenn er Corinna und seinen USB-Stick wiederhatte. „Also schön.“ Ellie nickte entschlossen und reichte ihm ihre Hand. Dieses Mal ergriff Ryan sie, wenn auch wenig begeistert. „Und jetzt zeig mir den schnellsten Weg zu dieser warmen Dusche mit Abendessen und Frühstück.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)