Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 8: Ertragbare Jahre --------------------------- Sie hatten sich versöhnt: Stumm und ohne davon zu sprechen, was zwischen ihnen in jener Nacht und eine Woche danach vorgefallen war. Oscar und André ertrugen sich aus alter Gewohnheit und um nicht die langjährige Freundschaft zwischen ihnen zu zerstören. Sie führten ihr altes Leben weiter, obwohl es schien, als würden ihre Gefühle jeden Tag das Fass zum Überlaufen bringen. Wenigstens gab es in Versailles viel zu tun, so dass sie sich auf andere Dinge sich konzentrieren konnten. Es gab da die Halskettenaffäre, die sich im Gerichtshof fast ein Jahr hinzog. Die Täter wurden verurteilt und das Kapitel abgeschlossen. Bis Jeanne Valouis, die eigentliche Hauptdrahtzieherin dieses Spektakels um die Halskettenaffäre, aus dem Gefängnis ausgebrochen war und in ihrem Versteck begann, Memoiren über die angeblichen Affären der Königin zu schreiben.   „...Ohh, du kommst auch darin vor!“, bemerkte André, als er eines dieser Bücher durchblätterte. „Madame Oscar Francois de Jarjayes - die Dame, die sich wie ein Mann kleidet. Du bist berühmt wie Madame de Polignac, eure Namen stehen nebeneinander.“ Er saß an dem runden Tisch im großen Empfangssalon im unteren Stockwerk des Anwesens.   Oscar stand mit dem Rücken zu ihm am großen Fenster und schaute ausdruckslos hinaus. Nicht schon wieder diese Intrigen, die Ihrer Majestät schaden würden! Was ging nur in den Köpfen der Menschen vor?!   Ein Rascheln ließ sie überrascht umdrehen. Rosalie eilte aufgebracht von der Treppe zum Salon auf André zu und entriss ihm das Buch aus den Händen. „In diesem Buch steht nur Schmutz!“, wisperte sie aufgebracht und flüchtete überstürzt davon.   Das arme Mädchen! Rosalie hatte es nicht leicht. Noch vor einem Jahr musste sie erfahren, dass die besagte Madame de Polignac ihre leibliche Mutter war und nun wurde ihre Schutzpatronin unschuldigerweise in eben diesen Schmutz hineingezogen. Auch André machte sich bestimmt Gedanken über Oscar. Ach, dieser Liebestrunkene... „Mache dir um mich keine Gedanken, André“, sprach Oscar zu ihrem Freund, aber schaute in die Richtung, in die Rosalie geflüchtet war. „Das Schlimme daran ist nur, dass viele Menschen die Lügenmärchen über die Königsfamilie und Marie Antoinette glauben werden.“   André sagte nichts. In letzter Zeit, genauer genommen nach ihrer Versöhnung, ging er mit seinen Äußerungen sparsamer um. Und seither wurde er immer verschlossener. Oscar merkte das an ihm sehr wohl und ahnte weshalb, sprach ihn aber nie darauf an. Umso besser für sie beide. So werden sie ihre alte Freundschaft weiterhin aufrecht erhalten können. Und wenige Tage später verließ unerwartet Rosalie sie. Angeblich musste sie zu ihrer leiblichen Mutter. Oscar glaubte ihr natürlich kein Wort, denn Rosalie hasste Madame de Polignac abgrundtief. Allerdings konnte Oscar sie gleichzeitig auch zu nichts zwingen und ließ sie mit Schwermut gehen. „...sie ist ein liebes Mädchen – hell und klar, wie ein Sonnenstrahl...“, murmelte Oscar am Fenster ihres Salons, als Rosalie bereits mit der Kutsche der de Polignacs fortgefahren war.   Sophie kam unbemerkt an sie heran. „Lady Oscar... Rosalie bat mich gestern dies Euch zu geben...“ Sie reichte ihr einen Brief.   Oscar wusste nicht, was sie davon halten sollte und nahm ihn achtsam an sich. „Das ist von ihrer Schwester Jeanne!“ Und nicht nur das! Schnell überflog sie die wenigen Zeilen und war entsetzt von dem Geschriebenen. Dort stand auch das wahre Versteck von ihr und ihrem Mann, von wo sie auch die Memoiren veröffentlichte. Oscar verstand mit einem Mal alles: Rosalie wollte sie nur von den Intrigen der Madame de Polignac schützen und deshalb war sie zu ihr gezogen! Diese hinterhältige Madame hatte das arme Mädchen bestimmt unter Druck gesetzt und ihr keine andere Wahl gelassen. Wenn Rosalie sich geweigert hätte, dann hätte Oscar ganz bestimmt dran glauben müssen, denn sie hatte ja so gesehen, die kleine Schwester von der Verbrecherin bei sich aufgenommen – was bisher eigenartigerweise noch niemand zur Kenntnis genommen hatte.   „Und das musste Rosalie für sich behalten?“ Oscar zerknüllte aufgebracht den Brief und drückte sich das Papier leicht zittrig gegen den Stirn. „Bitte sprich zu niemanden ein Wort darüber!“, sagte sie zu André, der sich wie ein Schatten stets in ihrer Nähe aufhielt. Was war nur los mit diesem Haus?! Vorher die Sache mit André und jetzt auch noch Rosalie! Warum musste das alles so kompliziert sein? „André, du musst mir etwas Zeit lassen...“, fügte sie verzweifelt hinzu und hörte schon seine Zustimmung: „Natürlich...“ Mehr sagte er nicht. Und warum sollte er etwas dazu sagen? Oscar brauchte ihn jetzt mehr denn je – als eine unterstützende Kraft für ihre Sorgen und als ein verlässlicher Gefährte an ihrer Seite. Es war zwar schade um Rosalie, aber Oscar tat ihm noch mehr leid. Und ganz nebenbei nahm Rosalie sein Geheimnis mit sich, was eigentlich halb so wichtig war, denn Oscar kannte bereits seine Gefühle zu ihr. Aber daran wollte André nicht mehr denken, sonst würde er ebenso an seine Fehltritte erinnert werden und das hätte er gerade am wenigsten gebraucht. Da war es gut, dass Oscar ihm wieder vertraute und mit ihm so umging wie in guten alten Zeiten – ohne natürlich ihre innersten Gedanken und Gefühle zu verraten. Aber das war ja nichts Außergewöhnliches bei ihr...   Oscar nahm den hinterlassenen Brief von Rosalie bitter zur Kenntnis, aber dagegen etwas unternehmen konnte sie zu ihrem Leidwesen nicht. Erst als sie vom Rat in Versailles wenige Tage später den Befehl erhielt, Jeanne in ihrem Versteck zu verhaften. Sie befand sich im Kloster Saverne, um genauer zu sein. Dem Rat wurde aus einer sicheren Quelle dieses Versteck bekannt gegeben. Aber von wem genau die wahre Information kam, wusste niemand. Und das belangte auch niemanden von den hohen Herren, denn Hauptsache, diese Jeanne, die mit ihren Büchern dem Königshaus schadete, würde endlich dingfest gemacht werden!   Wohl oder übel musste Oscar sich beugen und dem Befehl Folge leisten. Wenn sie sich jedoch geweigert hätte, dann wäre jemand anderes geschickt worden. Mit ihren Soldaten der königlichen Garde ritt sie zu dem Kloster und versuchte vorerst eine friedliche Lösung zu finden. Sie erteilte den Befehl das Gebäude zu umzingeln und als es erledigt war, forderte sie laut und deutlich Jeanne und ihren Mann auf, sich zu ergeben. Sie garantierte ihnen gleichzeitig Sicherheit, dass ihnen dabei nichts geschehen würde.   Oscar wartete vergeblich auf eine Antwort oder gar auf die Erfüllung ihrer Aufforderung. Es geschah nichts und niemand kam aus dem Kloster heraus. Das war wohl zu erwarten. Und es war offensichtlich zwecklos, darauf zu hoffen. Einer der Soldaten aus Oscars Kompanie hielt es nicht mehr aus. „Kommandant! Stürmen wir die Kirche?!“   „Wartet! Nein, noch nicht!“ Oscar konnte die Ungeduld der Männer verstehen, denn sie hatten schon zu lange die Verbrecher gejagt und jedes Mal war es ein falscher Hinweis gewesen. Nun wollten sie es endlich hinter sich bringen und dann endlich ruhiger schlafen können. Das alles konnte Oscar nachvollziehen, aber da gab es nur eine Tatsache, die sie zögern ließ und von der ihre Soldaten nichts wussten: Jeanne war Rosalies Schwester und Oscar wollte daher mit allen Mitteln das Schlimmste verhindern. Sie stieg entschlossen aus dem Sattel. „Zuerst werde ich alleine hineingehen!“ Sie hörte einen leisen Protest von André, aber setzte ihren Willen durch und zog schussbereit ihre Pistole. „Erst wenn ihr einen Schuss hört, stürmt ihr ohne Rücksicht das Haus! Nur der Schuss ist das Angriffszeichen für euch! Bis dahin überlasst ihr die Sache mir, vorher wird das Haus von niemandem angegriffen – das ist ein Befehl!“   „Viel Glück“, murmelte André mit aufsteigendem Unbehagen und sah Oscar achtsam nach. Sie erreichte schnell das Kloster und dann schlüpfte sie, jederzeit auf der Hut, ins Innere des Hauptgebäudes. Und prompt bekam André ein mulmiges Gefühl, eine dunkle Vorahnung. Unbewusst begann er auf der Unterlippe zu kauen und nestelte immer nervöser an den Zügeln seines Pferdes. Was, wenn es eine Falle wäre? Was passierte, sollte Oscar in einen Hinterhalt gelockt werden? Dann wäre ihr Kampf aussichtslos... Oscar würde ihn auch da dringend brauchen! Aber wie würde er ihr helfen können, wenn er nicht wüsste, was sich dort abspielte und ob Oscar auch ohne ihn zurecht kam?   Nein, das würde er nicht aushalten! André stellte sich allerschlimmste Bilder vor: von Oscars Gefangennahme, wie sie verzweifelt gegen beiden Übeltäter kämpfte und wie einer von ihnen sie heimtückisch niederstreckte... und dann ihre röchelnde Stimme, die nach ihrem Freund rief, aber er war nicht da und wartete stattdessen hier draußen auf sie... weil sie das so angeordnet hatte... Ihr Befehl galt für ihn genauso wie für jeden ihrer Soldaten.   Jede Sekunde verstrich wie eine Ewigkeit und André konnte es schon bald nicht mehr länger aushalten. Er sprang rasch aus dem Sattel und griff nach seinem Gewehr. „Was machst du da?“, wunderte sich einer der Soldaten.   „Oscar hat nach mir gerufen!“, brummte André und stürmte eilig in Richtung des Klosters.   „André, wir haben den Befehl hier zu warten!“, rief ihm der Soldat nach, aber André überhörte ihn gewisslich.   Zum Teufel mit dem Befehl!, dachte André und beschleunigte seinen Schritt. Ihm war alles gleichgültig. Nur Oscars Sicherheit zählte! Er hätte ihr gleich folgen sollen! Er hoffte inständig, dass er nicht zu spät käme und die erbärmliche Witterung nach einer Gefahr stieg in ihm immer höher, als er in dem Kirchenschiff herumirrte. Wo war nur Oscar? Wie sollte er sie hier finden?!   André durchsuchte das ganze Gebäude. Dann entdeckte er einen Lichtstrahl vom Kaminfeuer aus einem Zimmer und lief gezielt dorthin. Gerade noch rechtzeitig fand er Oscar und fluchte innerlich, weil er nicht schon früher da gewesen war. Oscar saß mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck auf dem Boden und hielt sich den Hals, als hätte man sie gewürgt. „Oscar! Oscar! Was ist mit dir?“ Sofort war André bei ihr.   „Schnell... schnell geh in den Keller...“, meinte sie stattdessen mit röchelnder Stimme und Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. „Jeanne hat gesagt, sie will sich umbringen... schnell...“   Wie typisch von ihr... Anstelle seine Frage zu beantworten, sorgte sie sich eher um die anderen... Aber André tat ihr den Gefallen trotzdem und kehrte kurz darauf aufgebracht zurück. „Wir müssen weg hier, Oscar! Sie wollen sich und das ganze Kloster in die Luft sprengen!“   „Wie bitte?“ Oscar sah ihn erschrocken an. Ihr Kopf arbeitete. In ihrem Geist überflog sie das Geschehene: Sie hatte Jeanne hier entdeckt und zur Rede gestellt. Dabei hatte sie allerdings Jeannes Mann nicht in Sicht gehabt und dieser hatte sie aus dem Hinterhalt angegriffen. Er hatte sie zu Boden geschlagen und wollte sie erwürgen. Oscar erinnerte sich daran, dass sie im Todeskampf noch nach André unterbewusst gerufen hatte. Dann wurde sie plötzlich losgelassen. Jeanne hatte mit einem Dolch in den Rücken ihres Mannes gestochen und Oscar somit das Leben gerettet. „Anstelle sie umzubringen werden wir gemeinsam sterben...“, hatte sie zu ihrem Mann gesagt und ihn mit sich in den Keller fortgeschleppt. Anscheinend war sie ihres verbrecherischen Lebens satt geworden und wollte dem auf diese Weise ein Ende setzen...   André kam zwar etwas später zu Oscar gerannt, aber auch nicht zu spät. Gerade noch rechtzeitig. Und nun, nachdem was Oscar von ihm über Jeanne und ihren Mann hörte, stand nur noch eines fest: Sie mussten in der Tat weg hier, wenn sie selbst noch an ihrem Leben hingen! Wie bedauerlich es auch war, es ergäbe keinen Sinn hier länger zu verweilen, um etwas noch ändern zu können... Rosalie würde bestimmt um ihre Schwester trauern, aber nicht die Schuld Oscar geben, denn sie war einer der wichtigsten Menschen in ihrem Leben...   André griff Oscar bereits unter den Armen und Oscar ließ sich ohne Proteste von ihm aus dem Haus forttragen. Sie war geschwächt und wusste mit Sicherheit, dass sie es nicht soschnell schaffen würde. André wurde immer schneller, er rannte und kaum dass sie das Kloster verließen, entstand eine ohrenbetäubende Explosion hinter ihrem Rücken. Alle beide wurden von dem mächtigen Druck nach vorne geschleudert. Sie landeten nicht gerade sanft auf dem Boden. Beschützend verdeckte André Oscar mit seinem Körper, spürte wie die Flammen von der Explosion ihm den Rücken erhitzten, aber das war ihm egal. Hauptsache Oscar ging es gut und sie war gerettet. Sie sah ihn innehaltend an und hauchte nur ein „Danke“ heraus. Wie gut es doch tat, dass er immer bei ihr war... Sie war unversehrt und auch André bekam, bis auf ein paar Kratzer, keine große Verletzungen ab.       Die Sache mit Jeanne de Valouis und ihrem Mann war seither endgültig erledigt und aus der Welt geschafft. Aber nicht für das einfache Volk. Denn für die Menschen aus dem dritten Stand wurde Jeanne zu einer Heldin und sie standen eigentlich schon zu ihren Lebzeiten, als sie die Memoiren veröffentlicht hatte, auf ihrer Seite. Es kam danach wie Oscar befürchtet hatte: Die Bürger glaubten alles was in den Büchern über das Königshaus, vor allem der Königin und ihren angeblichen Affären, geschrieben stand. Kurz nach dem Tod von Jeanne folgten unterschwellige Übergriffe auf Adelshäuser von den Bürgern aus Paris. Und in diesem Trubel kehrte ausgerechnet Hans Axel von Fersen aus Amerika zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)