Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 6: Lebenszeichen ------------------------ Oscar kehrte wieder einmal unverrichteter Dinge heim. Sophie und Rosalie erwarteten sie bereits sehnsuchtsvoll. Sie konnte deren hoffnungsvolle Blicke nicht mehr ertragen, aber noch weniger konnte sie ertragen, ihnen die schlechte Kunde zu bringen.   „Habt Ihr etwas herausfinden können, Lady Oscar?“, fragte Sophie mit belegter Stimme und schimmernden Augen. Diese Frage stellte sie jedes Mal, wenn Oscar zurückkehrte und jedes Mal schüttelte Oscar verneinend den Kopf. „Nein, Sophie, es tut mir Leid...“ Sie konnte ihr einstiges Kindermädchen nicht mehr ansehen und ihr den nötigen Trost schenken, denn es war ihr alleiniges Verschulden...   Oscar lief unverzüglich auf ihr Zimmer und versuchte beim Klavierspiel alle Geschehnisse der letzten Woche zu überdenken: André war nach der verhängnisvollen Nacht nicht mehr aufgetaucht. Am nächsten Tag hatte Oscar seine Abwesenheit vorerst nicht zur Kenntnis genommen. Auch nicht als Rosalie ihre Abschürfungen nach der Schlägerei behandelte und Sophie über die Unachtsamkeit ihres Enkels schimpfte. Erst später, als die alte Dame ihren Enkel mit Vorwürfen überschütten wollte, fiel ihr auf, dass sein Zimmer leer und sein Bett unberührt blieb. Und er hatte noch zusätzlich alle seine Sachen und Ersparnisse, die er besaß, mitgenommen!   Auch da redete Oscar sich ein, dass er noch auftauchen würde, obwohl sie schon das schlechte Gewissen zu plagen begann. Nun war bereits eine Woche vergangen, aber von André fehlte jede Spur. Und als wäre sein urplötzliches Verschwinden nicht schwer genug, tauchten in Versailles neue Probleme auf: Da wurden gewisse Übeltäter verhaftet, weil sie Ihre Majestät beleidigt und betrogen hatten. Angeblich hatte Marie Antoinette eine sehr teure Kette beim Juwelier auf Ratenzahlung angenommen, aber wollte nichts zahlen und nun war die Königin deshalb in eine Halskettenaffäre verstrickt....   Eine gewisse Jeanne de Valouis gehörte zu einem der Hauptdrahtzieher in diesem Komplott und Rosalie wurde nach ihrer Verhaftung auf einmal betrübt. Sie spielte oft auf dem Klavier in Oscars Salon, bis diese aus Versailles zurückkehrte und irgendwelche unerfreuliche Neuigkeiten mitbrachte – ob in Bezug auf Jeanne oder auch André, war alles gleich. Dann hieß es, es würde bald ein Pariser Gerichtshof einberufen werden und noch bevor der Prozess überhaupt beginnen konnte, hatte Rosalie ihre Schutzpatronin darum gebeten einen Ring zu Jeanne ins Gefängnis zu bringen. „Jeanne... Jeanne ist meine ältere Schwester...“, hatte Rosalie verzweifelt offenbart, „...der Ring gehörte unserer verstorbenen Mutter. Jeanne kann nichts dafür, dass sie in schlechte Gesellschaft geraten ist... Ich habe sie trotzdem lieb...“   Oscar war wegen der Offenbarung kurz überrascht gewesen, aber gleich darauf hatte sie die junge Frau tröstend in den Arm genommen. „Weine nicht, ich bringe den Ring schon zu deiner Schwester...“, hatte sie ihr versprochen und dies am gleichen Abend auch noch gemacht. Denn Rosalie war ihr in all den Jahren, seit sie sie bei sich aufgenommen hatte, schon zu sehr ans Herz gewachsen.   Aber wo war nur André? Er war Oscar auch nicht unbedeutend, das konnte sie nicht verleugnen, und sie hätte ihn gerade jetzt am meisten gebraucht! Sie stand beinahe am Rande der Verzweiflung und gleichzeitig war sie wütend – mehr auf sich selbst, als auf ihn. Was hatte sie nur getan? Sie hätte ihm in jener Nacht nachreiten sollen! Denn offensichtlich war er es ja auch gewesen, den sie aus ihrem Fenster beobachtet hatte... Sie wollte aber doch nur einer Konfrontation mit ihm aus dem Wege gehen und nun hatte sie es davon – André war fort und würde höchstwahrscheinlich nicht mehr so bald zurückkehren!   Und obwohl ihr dies bewusst war, hatte sie trotzdem jeden Tag und jede dienstfreie Minute nach ihm gesucht – überall wo er ihrer Vorstellung nach sein könnte... Ohne den geringsten Erfolg... Und jeden Tag musste sie Sophie anlügen, dass sie nicht wusste, aus welchem Grund André fort war... Oscar hatte der alten Haushälterin nur knapp erklärt, dass sie nach der Schlägerei mit ihm heimgekommen war, dass jeder von ihnen auf sein Zimmer gegangen war und sie ihn seitdem nicht mehr gesehen hatte...   Wie schwer und fürchterlich lastete ihr danach die Lüge im Herzen! Aber sie konnte und wollte doch Sophie nichts von den Ereignissen erzählen, die sich auf ihrem Zimmer tatsächlich abgespielt hatten... Es würde die alte Frau sehr treffen, wenn sie erfährt, dass ihr Enkel wegen ihres Schützlings gegangen war... Damit würde Oscar lieber selbst fertig werden. Aber dennoch... Wo war er nur? Es war zum Haare raufen!   Wuchtig donnerte Oscar auf die Klaviertasten und brach ihr Musikstück ab. Es führte zu nichts hier tatenlos zu sitzen und sich in Selbstvorwürfen zu ertränken! Es müsste einen Weg geben, André zu finden! Ein grausamer Gedanke beschlich Oscar plötzlich: Was, wenn ihm etwas passiert ist? Überfälle hatte es schon immer gegeben... Vielleicht lag er irgendwo abseits aller Wege im Wald ausgeraubt, erschlagen und den wilden Tieren, den sogenannten Aasfressern vollkommen ausgeliefert...   Nein, unmöglich! André dürfte nicht tot sein! Oscar wurde bei dieser Vorstellung flau im Magen und sie stürmte wieder aus ihrem Zimmer hinaus. Sie musste noch einmal an den Orten nachschauen, wo sie noch nicht gewesen war! Sie eilte den langen Korridor entlang und dann die Treppe herunter. Plötzlich verharrte sie ganz still am Hauseingang. Draußen im Vorhof unterhielten sich Sophie und Rosalie mit einem breitschultrigen Soldaten. Dem Anschein nach gehörte er nicht dem Adel an und nahm kein Blatt vor dem Mund. Das war nicht André, erkannte Oscar sofort, aber dessen Worte, die er an Sophie richtete, jagten Oscar ein Dolch mitten durchs Herz: „...wie ich bereits sagte, Madame, ihm geht es gut. Euer Enkel wird für eine Weile nicht nach Hause kommen können, aber damit Ihr Euch um ihn keine Sorgen macht, schickt er mich deshalb zu Euch...“   „Was hat das zu bedeuten? Warum kommt er nicht selbst hierher?!“, wisperte Sophie ungläubig und da schritt Oscar selbstbewusst ein: „Das würde ich auch gerne wissen!“, verlangte sie von dem Mann mit dem roten Halstuch zu wissen. Sie traute ihm nicht und war aber gleichzeitig erleichtert, überhaupt etwas über ihren verschollenen Freund in Erfahrung zu bringen. „Wo ist André? Das ist nicht seine Art, jemanden zu schicken! Und wer seid Ihr überhaupt?!“   Der Mann beäugte sie flüchtig von Kopf bis Fuß und dann pfiff er leise durch die Zähne. „Ihr müsst also der Kommandant des königlichen Garderegiments, Oscar Francios de Jarjayes, sein...“   „Ja, das bin ich!“, rief Oscar barsch und ballte ungeduldig ihre Hände zu Fäusten. Was sollte das hier werden? Vielleicht wurde André irgendwo gefangen gehalten und deshalb war dieser raue Geselle hier, um nach Lösegeld zu fordern? Aber für einen einfachen Bediensteten? André gehörte doch nicht dem Adel an – im Gegensatz zu ihr. Ja, sie gehörte dem Adel an und Oscar kam gleich der nächste schreckliche Gedanke, dass vielleicht deshalb der Mann hier war und für Andrés Leben wollte er Geld von ihr. Für Andrés Leben war Oscar zu allem bereit, aber vorerst sollte sie nichts überstürzen. Ihr fielen die Worte dieses Mannes ein, dass es André eigentlich gut ging. Das machte sie stutzig. Oscar richtete sich noch gerader auf und schenkte dem Mann einen eisigen Blick. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie die Wahrheit herausgefunden hatte. „Ihr habt mir immer noch nicht die Fragen beantwortet! Wie ist Euer Name?!“   „Oh, verzeiht mir meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Alain de Soisson.“ Er vollführte eine spöttische Verbeugung und richtete sich wieder in ganzer Größe auf. „Und ich kann Euch leider den Aufenthaltsort meines Freundes auf dessen Wunsch nicht verraten, Frau Kommandant...“   „Wie bitte?“ Oscar platzte fast der Kragen. Und fast zeitgleich tauchte ein schmerzliches Sticheln in ihrem Brustkorb auf. Abgesehen von der Tatsache, dass dieser Alain sie gleich als Frau erkannt hatte, konnte sie kaum glauben, dass André zu solchen Versteckspielchen überhaupt fähig war! Und ganz nebenbei gesagt, dass er so offenbar neue Freunde gefunden hatte und bei denen untertaucht zu sein schien, ohne ein Zeichen von sich zu geben! Das passte ganz und gar nicht zu ihm! Aber vielleicht war dieser neuer Charakterzug von ihm auch ihr zu verdanken? Ihr und ihrem Verhalten in jener Nacht vor etwa einer Woche... Diese Gedanke schob Oscar allerdings gekonnt beiseite, das gehörte jetzt nicht hierher. „Es ist mir egal, ob es angeblich sein Wunsch ist und Ihr ihn nicht verraten wollt, aber ich will auf der Stelle wissen, wo er sich aufhält!“, verlangte sie nun im befehlshaberischen Ton.   „Tja...“ Alain machte kein Hehl daraus, wer vor ihm stand. Ihm war auf einmal so vieles einleuchtend. Sein Freund hatte versucht, nicht viel über diese Frau in Männerkleidern zu erzählen, aber nach etlichen Bierkrügen wurde die Zunge bekanntlich loser... Besonders nachdem Alain seine verheißungsvollen und viel zu verlockenden Ratschlägen, bei denen André kaum nein sagen konnte, gegeben hatte... Alain fasste alles, was ihm André häppchenweise offenbart hatte, zusammen. Und ihm kam dabei ein glänzender Einfall, um auch den berüchtigten Offizier der königlichen Garde prüfen zu können, in den Sinn - beziehungsweise, aus welchem Holz sie tatsächlich geschnitzt war. „Ihr scheint André zu mögen...“, spielte er ihr mit einer List vor und schmunzelte dabei geheimnisvoll: „Aber trotzdem kann ich nicht verraten, dass er für eine Weile bei mir wohnt und bereits vorhat, meiner Schwester einen Heiratsantrag zu machen...“   „Er will heiraten?“, staunte Rosalie und schielte flüchtig zu Lady Oscar. Aber das ging doch nicht! Wieso wollte André eine ihm Unbekannte heiraten wo sein Herz und Liebe einer anderen gehörte? Und das auch noch in der kurzen Zeit? Das passte nicht in Rosalies Vorstellung. Sie konnte und wollte diesem Alain nicht glauben. Schon alleine, weil André niemals so leichtfertig aufgeben und daher einen Ersatz suchen würde! Das wäre ein Verrat an seinem Herz und seinen Gefühlen!   „Ohne uns davon zu sagen?“, murmelte ganz perplex Sophie und gleichzeitig überkam sie gewisse Zweifel. Etwas stimmte hier nicht, denn solch ein Verhalten passte nicht zu ihrem Enkel! Für dieses Spielchen würde André sich noch vor ihr verantworten müssen! Was fiel diesem Bengel überhaupt ein! Vorerst verschwindet er spurlos ohne ihr etwas zu sagen und dann kam so etwas dabei raus! Auch wenn ihr ganz kurz der Gedanke gefiel, wenn er endlich mal heiraten und einen festen Fuß fassen würde, trotzdem konnte sie sich schwerlich vorstellen, dass er in so einer kurzen Zeit ein passendes Mädchen finden könnte! Zumal sie, seine Großmutter, schon mal hatte beobachten können, wie ihr Enkel ihrem Schützling sehnsuchtsvoll nachgesehen hatte... Das war vor ein paar Jahren gewesen, als Graf von Fersen Lady Oscar besuchte und sie sich mit ihm mehr unterhielt als mit André. Sophie seufzte still in sich hinein und gleichzeitig beruhigte sie sich. Ihr Enkel hatte sich das definitiv ausgedacht und deshalb Alain vorgeschickt, damit niemand seine wahren Absichten durchschauen konnte. Aber nicht mit ihr! Sophie mochte schon alt sein, aber das hieß noch lange nicht, dass sie auf so etwas Absurdes hereinfallen würde!   Oscar schluckte derweilen einen dicken Kloß in ihrer Kehle wie eine bittere Medizin herunter und versuchte dabei sich nichts anmerken zu lassen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Dieser Söldner gaukelte hier bestimmt etwas vor! Aber sie wäre nicht sie, wenn sie ausgerechnet jetzt ihren Gefühlen nachgeben würde! Auch wenn die Worte von Alain sie wie einen harten Schlag in die Magengrube trafen, bewahrte sie trotzdem aufrechte Haltung und den strengen, nichts preisgebenden Gesichtsausdruck. „Dann sagt ihm, er soll glücklich werden.“ Oscar wirbelte auf der Stelle herum, sie konnte keine Sekunde mehr länger hier ausharren!   „Und das lässt Euch kalt?“, hörte sie diesen Alain trocken sagen.   „Ich mische mich doch nicht in sein Privatleben ein!“, murrte sie verstimmt und stürmte ins Haus zurück. Das tat weh! Aber woher wusste anscheinend Alain von Dingen, die sie selbst nur erahnte? Was hatte André ihm überhaupt erzählt? Und sie machte auch noch um ihn, ihrem langjährigen Freund, Sorgen! Wenn sie ihn überhaupt noch als Freund ansehen würde können!   Oscar ging vollkommen außer sich auf und ab in ihrem Salon. Sie konnte sich nicht einfach beruhigen. Wie denn auch? Nach dem was sie erfahren hatte, verwandelte sich ihre Sorge um André in Zorn. Und Schmerz, weil er anscheinend selbst nicht imstande war, ihr vor die Augen zu treten und irgendwelche Märchengeschichten über sein angebliches Vorhaben, heiraten zu wollen, ihr ins Gesicht zu sagen! Natürlich nicht! Er wusste doch genau, dass sie Lügen nicht ausstehen konnte und trotzdem hatte er es getan – durch seinen neuen Freund Alain! Diese Tat würde sie ihm nicht verzeihen! Aber vielleicht war das seinerseits auch berechtigt? Nach allem was an jener Nacht passiert war und sie über seine Gefühle zu ihr wusste, hatte er dann nicht auch ein kleines Stück Glück verdient?   Ja, das hätte er, gestand sich Oscar wehmütig und ein großer Druck entstand in ihrem Brustkorb, so, dass es ihr dabei schwer fiel zu atmen. Sie musste unbedingt an die frische Luft! Sie musste sich abreagieren! Sonst erstickte sie hier, in ihren eigenen vier Wänden! Denn ausgerechnet ihre Gemächer gehörten zu einen der Orten, wo Andrés Gegenwart im wahrsten Sinne des Wortes spürbar war! Ganz beiläufig fiel Oscars Blick ins Schlafzimmer und sie verharrte auf der Stelle. In ihrem geistigen Auge sah sie ihn und sich auf dem Bett – in Leidenschaft und Liebe versunken. Ihr ganzer Körper erschauerte dabei wohlig und ihr es so vorkam, als spüre sie seine Hände und seine Liebkosungen auf ihrer Haut noch immer...   „Nein, aufhören!“, schrie Oscar aufgebracht und rannte einfach aus ihrem Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)