Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Prolog: -------- Wenn man über das eigene Leben nachdachte, dann riss man sich ungewollt die Wunden auf, die man schon längst überwunden geglaubt hatte. Man sagte auch, die Zeit heile die Wunden, aber bestimmt nicht, wenn sie tief eingegrabene Narben am Herzen hinterlassen hatten... Weshalb und wozu dann also sich an das Geschehene erinnern müssen? Nur weil ein Freund darüber ein Buch schreiben wollte? Nein, nicht darüber...   „Ich will ein Buch über die französische Revolution schreiben“, hatte ebendiese Freund zu ihm gesagt.   „Und was hat es mit mir zu tun?“, stellte er die Gegenfrage.   „Ich möchte, dass du mir über Oscar erzählst“, sagte sein Freund mit einem Hauch von Mitgefühl. Bernard Chatelett war ein begabter Gerichtsschreiber und Journalist. Die besagte Revolution hatte er auch hautnah miterlebt und sogar den Sturm auf die Bastille angeführt. Das waren grausige Zeiten gewesen und lagen schon über ein Jahrzehnten zurück. Bernard legte seinem Freund eine tröstende Hand auf die Schulter. „Ich kann verstehen, wie dir zumute ist, André. Aber du bist der einzige, der sie in und auswendig kennt. Du bist mit ihr aufgewachsen und warst immer an ihrer Seite.“   „Und trotzdem musste ich sie gehen lassen... Um ihren Lebenswillen wegen, musste ich das...“, seufzte Andrè schwer und verzog betrübt sein Gesicht.   „Dafür hinterließ sie dir aber euren Sohn“, versuchte Bernard ihn wenigstens ein kleines bisschen aufzumuntern.   „Das stimmt, aber unsere Tochter hat sie mitgenommen...“ André warf dabei einen Blick auf den Jungen an seiner Seite. Der Junge erwiderte seinen Blick – undurchschaubar und konzentriert. Die leichte Brise des Windes wehte ihm die blonden Locken seines kurzes Haares ins Gesicht, aber das beachtete er nicht. Sie saßen in dem kleinen Pavillon, der sich in dem ebenso kleinen Rosengärtchen hinter dem Haus befand.   Eine Frau kam aus dem Haus und brachte erfrischende Getränke auf einem Holztablett, den sie auf dem Tisch abstellte und sich ihre hellbraune Haarsträhne an einer Schläfe hinters Ohr schob. Auf ihrem rechten Finger blitzte sogleich ein Ehering durch das einfallende Sonnenlicht auf. Sie verteilte die Getränke und nahm dann neben André Platz. Um sie herum versammelte sich sofort ein paar kleine Kinder und spitzten neugierig ihre Ohren auf. Sie verstummten nacheinander ihre kindliche Albernheiten und wurden mucksmäuschen still – darauf wartend, dass eine Geschichte erzählt wurde.   Der älteste Junge wechselte noch eine Weile den stummen Blickkontakt mit seinem Vater, bis dieser sein Kopf abwandte und lieber den silbernen Ring an seinem Finger der rechten Hand trübsinnig anstarrte. André konnte nicht mehr länger in diese unergründliche, saphirblaue Augen seines Sohnes hineinsehen, ohne dabei an dessen Mutter zu denken. Es war schon lange her, dass er Oscar zum letzten Mal gesehen hatte. Oscar – seine große Liebe, die noch unerreichbarer war als jemals zuvor: Er war in Arras und sie in der Normandie. „Wieso bist du heute alleine hier, Bernard?“, versuchte er von dem Thema abzulenken und schaute wieder seinen Freund an. Schon alleine der Gedanke an Oscar, verursachte schmerzliche Stiche in seinem Herzen.   „Rosalie wollte sie in der Normandie besuchen, André.“   So war das also... Ob Oscar Rosalie die Vergangenheit auch erzählen würde? Und wie ging es ihr jetzt? Was machte sie gerade? Und ihre gemeinsame Tochter, die er mit ihr gehen ließ? Die Grübeleien darüber würden zu nichts führen – außer ihm noch mehr Seelenqualen bescheren... Vielleicht sollte er sich der Vergangenheit doch noch stellen und sie schlussendlich ein für allemal hinter sich lassen... „Also gut. Ich werde dir über Oscar erzählen, Bernard...“, gab André nach und überlegte kurz, wo er am besten beginnen sollte...           - - -           In der Normandie war Rosalie schon seit Tagen Oscars Gast. Sie erzählte ihr, dass Bernard ein Buch schreiben wollte und bat sie, über André zu erzählen. „Ihr wart doch früher so unzertrennlich, Lady Oscar.“   „Nun sind wir aber getrennt.“ Oscar wollte nicht an die tragischen Momente aus der Vergangenheit erinnert werden. Das schmerzte ihr sehr, aber für Rosalie würde sie das tun. Sie brauchte dafür nur etwas Zeit... Zeit, um die Gedanken zu sammeln und sich selbst Dinge einzugestehen, die sie früher nicht einmal in Erwägung gezogen hätte. Unauffällig strich sie mit ihrem Daumen über den Ring an ihrem Finger ihrer rechten Hand – das tat sie immer, wenn sie an André dachte und um ihre Gefühle zu besänftigen. „Was hältst du davon, wenn wir heute am Strand spazieren gehen?“, schlug sie an einem warmen Mittag vor. Die Zeit war nun gekommen und sie war endlich bereit sich der Vergangenheit zu stellen.   „Das ist ein ausgezeichneter Vorschlag, Lady Oscar“, erwiderte Rosalie wie immer verzückt und freundlich. Zusammen mit Oscars Eltern und Graf de Girodelle, saßen sie gerade zu Tee und Gebäck an einem Tisch unter einer, vom Wind geschützten, Zeltplane des Gartens ihres Elternhauses.   „Dann können wir gleich aufbrechen“, meinte Oscar und stand von ihrem Platz auf. „Ihr entschuldigt uns“, fügte sie zu den verbliebenen Anwesenden am Tisch hinzu und ging einfach. Rosalie, zwei kleine Kinder und ein junges Mädchen, folgten ihr wie selbstverständlich.           Zu fünft spazierten sie am Strand, lauschten dem Rauschen des Meeres zu und atmeten die salzige Luft in ihren Lungen ein. „Was willst du über André hören, Rosalie?“, fragte Oscar gefasst und sah nur stur geradeaus.   „Das was Ihr über ihn wisst, Lady Oscar.“   „Nun gut, ich werde dir über ihn alles erzählen.“ Oscar schaute kurz auf das junge Mädchen an ihrer Seite und lächelte sie mütterlich an. Das salzige Meereswind wehte ihr das dunkelbraune Haar von den Schultern und ihre smaragdgrüne Augen glänzten bei dem einfallenden Licht der Nachmittagssonne. „Oder über uns... Und wie wir die Liebe zueinander gefunden haben...“ Oscar richtete ihren Blick wieder in die Ferne und verfiel den Erinnerungen aus den längst vergangenen Tagen... „Erinnerst du dich an einen Abend, als wir in den Büchern mit allen Namen der Adligen nach deiner leiblichen Mutter gesucht haben, Rosalie?“   „Aber natürlich, Lady Oscar. Ich weiß noch, dass ich eingeschlafen bin und Ihr die ganze Nacht durchgelesen habt. André, glaube ich, auch...“   „Nein, Rosalie, André war auch eingeschlafen...“ An diesem Punkt unterbrach sich Oscar, streckte ihr Gesicht gen Himmel und atmete tief durch, bevor sie ihre Erzählung fortsetzte: „...und er hat im Schlaf gesprochen. Ich dachte, es sei eine Einbildung, aber dem war nicht so...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)