Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 32: Weiter ------------------ Brennend wie eh und je fielen die Sonnenstrahlen auf Men-nefer herab. Und dennoch war es, als hätten sie ihre Wärme verloren. Trümmerfelder säumten die großen Straßen der Stadt. Noch immer lag Staub in der Luft. Hier und da loderten weiterhin Feuer. In mitten all der Verwüstung wurde ein Strom von Gefangenen zu den Kerkern getrieben. Sie hatten sich nicht mehr retten können – oder sich geweigert, ihre Heimat zu verlassen. Überall waren Caesians Soldaten unterwegs. Nach den Feierlichkeiten war ihr Herr schnell zu seiner altbekannten Strenge zurück gekehrt. Denn noch – und das wusste er – gehörte ihm nicht ganz Ägypten, geschweige denn alle Artefakte. Dies war auch der Grund, weswegen er nicht auf einem der zahlreichen Balkone des Palastes stand und grinsend auf Men-nefer hinab blickte. Er befand sich in einem der vielen Empfangssäle, auf dem Stuhl, der normalerweise allein dem Pharao vorbehalten war. Sein Blick war vertieft in einen Papyrus. Lange las er, bis jemand um Eintritt bat. Ungehalten legte er die Schriftrolle beiseite, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Gast: Es war einer seiner Heerführer. Wenigstens nicht irgendein Subjekt. Diesen Mann konnte Caesian sogar einigermaßen ertragen. Er wurde Gladius genannt und stammte ursprünglich aus Rom. Er war ein Mann von Ehre, unterbreitete seine Dienste aber auch je nach Bezahlung. Und Caesian zahlte gut – vor allem für jemanden mit seinen Fähigkeiten. Dieser Mann war ein ausgezeichneter Stratege, der selbst in der denkbar schlechtesten Situation die Nerven bewahrte. Er war definitiv jeden einzelnen Groschen wert. Ein grauer Stoppelbart zog sich um den Mund. Das zu einem Zopf gebundene Haar von gleicher Farbe fiel auf seine Schulterblätter hinab. Seine blauen Augen war berechnend. Er kniete nieder, als er vor seinem König angekommen war. „Mein Gebieter, ich bringe Neuigkeiten.“ Caesians Lippen umspielte ein Grinsen. Auf diesen Kerl war wenigstens verlass. „So sprich“, forderte er. Sein Gegenüber erhob sich. „Unsere Späher haben einen Zug von Flüchtlingen und ägyptischen Soldaten, sowie hochrangigen Mitgliedern des Palastes ausgemacht. Sie ziehen gen Süden. Allerdings konnten meine Späher keine Anzeichen ausmachen, die darauf hindeuten, dass sich Mitglieder der Schattentänzer unter ihnen befinden.“ Caesian legte die Stirn in Falten. Keine Schattentänzer? Eigenartig ... „Mit Eurer Erlaubnis, mein König, würde ich die Truppen zusammen ziehen und sie verfolgen.“ Für einen Moment blieb es still, dann erhob sich der Herrscher bestimmt. „Nein. Ihr werdet nichts dergleichen tun.“ Von seinem Untergebenen erntete er daraufhin verdutzte Blicke, wodurch er sich zu einer Erklärung genötigt sah: „Sehe ich aus, als befasse ich mich mit einem Haufen Verletzter, Frauen, Kinder und alter Männer? Nein. Diese Leute stellen keine Gefahr für uns dar. Doch sagt, welche Stadt ist ihr Ziel?“ „Wir vermuten, dass es Theben ist, mein Herr. Soweit uns bekannt ist, ist dort noch ein Teil des ägyptischen Heeres positioniert ...“ „Und wenn sie noch dutzende Armeen versteckt hätten, es wäre so oder so gleich. Nichts vermag sich mit der Macht der Relikte zu messen. Weshalb sollte ich mich also mit diesen räudigen Straßenkötern befassen? Nein, die Artefakte der Götter sind zunächst wichtiger.“ „Mit Verlaub, Majestät, gestattet Ihr mir einen Einwand?“, äußerte Gladius vorsichtig. „Sprich ...“ „Wäre es nicht besser durchdacht, zunächst das gesamte Land unter Eure Kontrolle zu bringen? Anschließend hätten wir alle Zeit der Welt, die Relikte zu finden.“ „Du denkst nicht besonders weit, habe ich recht?“ Bei diesen Worten schritt Caesian zum Fenster. Er blickte hinaus, während er fortfuhr: „Du sagtest soeben, dass die Späher keine Schattentänzer unter den Fliehenden ausmachen konnten. Das bedeutet, sie halten sich noch in der Gegend auf. Wahrscheinlich gedenken sie, nach weiteren Relikten zu suchen, ehe ich sie bekommen kann. Und das, Gladius, darf auf keinen Fall geschehen. Diese minderwertigen Maden werden diese Gegenstände niemals mit ihren dreckigen Fingern beschmutzen. Dafür werde ich sorgen.“ „Verzeiht meinen erneuten Einwand, mein Herr. Aber wir haben nach wie vor keine Hinweise auf den Verbleib weiterer Artefakte.“ „Und genau das ist der Punkt, um den wir uns zunächst kümmern müssen. Weißt du Gladius, dieses Reich hier“, er machte eine ausschweifende Handbewegung, „bedeutet mir nichts. Nein. Es geht mir allein um die Relikte. Denn was ist schon die Herrschaft über Ägypten, wenn ich mit Hilfe der göttlichen Gegenstände die ganze Welt zu unterjochen vermag?“ Der Heerführer kam nicht umhin, bei diesen Worten zu schlucken. „Deshalb werden wir uns ihrer auch zunächst annehmen. Doch dafür benötigen wir ein wenig Unterstützung der gegnerischen Seite.“ „Inwiefern, Majestät?“ „Schafft mir einen Schattentänzer oder einen ägyptischen Hohepriester herbei. Beide Parteien haben an der gleichen Front gefochten, sie werden mit Sicherheit Wissen über die Relikte ausgetauscht haben. Wie ihr das anstellt, soll mir gleich sein.“ Gladius nickte. „Wir Ihr wünscht, Gebieter. Ich denke, ich weiß bereits, wie ich es anstellen werde.“ Ein amüsiertes Grinsen erschien auf Caesians Gesicht. „So?“ „Ja. Da wir nicht wissen, wo sich der Clan aufhält, ich aber Eure Meinung teile, dass sie wohl in der Nähe sein müssen, wird es ein Leichtes sein, ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken – und sie in eine Falle zu locken.“ „Und wie?“ „Gestattet mir, die Leiche des Schattentänzers zu verwenden, der so töricht war, sich Euch entgegen zu stellen. Ihr werdet sehen, kein halber Sonnenlauf und der Clan steht vor den Toren“, erklärte Gladius. „Interessant“, überlegte der Herrscher derweil. „Deinem Gesuch sei stattgegeben. Aber wehe, du enttäuscht mich ...“ „In ... in diesem Fall wüsste ich vielleicht noch eine Möglichkeit, Majestät!“ Die Köpfe von Caesian und seinem Heerführer fuhren zugleich herum, als zwei seiner Soldaten eine Gestalt in den Saal führten. Sie reichte den Männern, von denen sie flankiert wurde, gerade einmal bis zur Hüfte. Ihre Züge waren von Furcht gezeichnet. Einer der Wachmänner ergriff das Wort: „Wir haben ihn erwischt, wie er versuchte, zu lauschen, mein Herr!“ „Du wagst es, einer Unterredung ungefragt zu zu hören?“, meinte Caesian schließlich. Seine Miene war alles andere als begeistert. „Ver... Verzeiht, Euer Hoheit! Es war nicht ... beabsichtigt ... Wirklich! A... Aber wie ich sagte, es gäbe da vielleicht noch eine Möglichkeit!“ Gladius und sein Herr wechselten einen Blick. Schließlich nickte der Herrscher. „Lasst uns alleine!“, befahl er den beiden Soldaten, die sich sogleich zurück zogen. Die Tore des Saals fielen hinter ihnen ins Schloss. Zunächst war alles still. Dann näherte sich Caesian langsam dem Zwerg, wie er ihn bereits jetzt gedanklich betitelte. „Nun denn ... wie ist dein Name? Und was, glaubst du, könnte uns von Nutzen sein?“ Die Gestalt zitterte merklich, während sie antwortete. „Mein Name ist Geberuk, Euer Hoheit. Ich bin ... nein ... war ein direkter Bediensteter der Hohepriesters Seto.“ Gladius zog eine Augenbraue in die Höhe. „Meinst du jenen, der bei unserer Ankunft noch über Ägypten herrschte?“ „Ja! Ja, genau den. Wie Ihr Euch mit Sicherheit vorstellen könnt, habe ich durch mein Amt Einblick in das Leben des ehemaligen Königs von Ägypten bekommen können. Und einiges davon ist nicht unnütz. Ich ... Ich hörte, ihr gedenkt, einen Hohepriester oder einen Schattentänzer zu fassen ...“, er brach unter Caesians strengem Blick kurz ab, ehe er den Faden wieder fand, „ ... nun, Eure Erfolgschancen würden sich verdoppeln, wenn Ihr zwei Köder auslegt. Einen für den Clan und einen für Hohepriester Seto. Zumal Ihr Euch bei ihm sicher sein könnt, dass er Wissen über die Relikte besitzt. Immerhin ist er der Vetter des Pharao ...“ Caesian ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Eigentlich war dieser Vorschlag alles andere als schlecht. Aber ... „Und wer sagt dir, dass sich der Priester noch in der Umgebung von Men-nefer befindet?“ Geberuk zuckte zusammen. Das hatte er wahrlich nicht bedacht. Aber er wäre gar nicht erst in sein ehemaliges Amt gekommen, wäre er nicht ein Meister der Überredungskunst. „Äh ... ja, aber ... selbst wenn er nicht mehr hier ist, so besteht doch sicherlich noch Kontakt zu den Schattentänzern. Und die halten sich ja offenbar noch in der Nähe auf. Das heißt, er würde es so oder so erfahren.“ Caesian grinste. „Nun gut ... und was genau hattest du dir gedacht, Geberuk?“ „Zu... zunächst sollte ich wissen, was ich als Gegenleistung erhalte ...“, begann der ehemalige Bedienstete vorsichtig. Die Miene seines Gegenübers nahm auf der Stelle einen anderen Ausdruck an, sodass er schnell und mit quietschender Stimme hinzufügte: „Mein Leben wäre mir bereits genug!“ Nun war es Gladius, der reagierte: „Du wagst es, Forderungen an unseren Herrscher zu stellen? Du tust regelrecht so, als bräuchte man dich! Hast du etwa vergessen, dass seine Majestät im Besitz der Relikte ist?“ Er hielt erst inne, als Caesian ihm gebot zu schweigen. „Ruhig Blut. Zugegeben, auch ich empfinde sein Wagnis als dreist. Aber gut, solange es nur sein mickriges Leben ist, das er wünscht ... Es soll dir gewehrt werden, Geberuk – insofern uns deine Neuigkeiten von Nutzen sind.“ Geberuk schien aufzuatmen. „Nun, hört zu: Der Hohepriester Seto besitzt das Ka des weißen Drachen. Dieses Ka wurde ihm vor zwei Sommern in der Schlacht gegen Zorc von einer Sterblichen geschenkt. Ihr Name ist Kisara. Bis heute sind viele der Überzeugung, dass Seto große Zuneigung für sie hegt. Auch ich teile diese Ansicht. Für sie würde er so gut wie alles tun.“ Caesian wurde hellhörig. Kisara ... vielleicht war das, wovon der Zwerg soeben berichtet hatte, tatsächlich eine Möglichkeit, an den Priester heran zu kommen. „Verstehe. Und wo finden wir diese Frau?“ „Nun ... ähm ... da gibt es ein kleines Problem.“ „Das da wäre?“ „Sie ist ... nun ... sie weilt nicht mehr unter den Lebenden.“ Plötzlich breitete sich Schweigen aus. Vorsichtig lugte Gladius zu seinem Herren hinüber. Und das, was er sah, verhieß nichts Gutes – was sich im nächsten Moment bestätigen sollte. „Und wie hast du dir vorgestellt ...“, begann Caesian bedrohlich zischend, ehe seine Stimme mit einem Mal zu explodieren schien und er weiter brüllte, „dass uns diese Mitteilung von Nutzen sein könnte?“ Geberuk war zunächst so erschrocken, dass er über sein eigenes Gewand fiel, als er versuchte, Abstand zwischen sich und den Herrscher zu bringen, der sich vor ihm aufgebaut hatte. „A... aber Ihr habt doch die Relikte! Das Artefakt, dass die Toten vor dem Jenseits bewahren kann!“ Mit einem Mal hielt Caesian inne. Soeben hatte es noch ausgesehen, als wolle er den ehemaligen Bediensteten töten. Doch nun war seine Miene leer, ehe sich plötzlich ein Grinsen auf seine Lippen schlich. „Du hast recht ...“ Er wandte sich langsam zu seinem Feldherren um, ging ein paar Schritte auf ihn zu. „Gib Anweisung, den Sokartempel frei räumen zu lassen. Wir werden ihn brauchen. Wenn du damit fertig bist, lass dir die Leiche dieses alten Narren bringen und tue damit, was immer dir in den Sinn gekommen ist.“ „Den Tempel des Sokar, Herr? Mit Verlaub, aber von diesem Gott existiert doch gar kein göttliches Relikt?“ „Das nicht. Doch ich besitze die Saat des Chnum. Zugleich ist Sokar einer der Totengötter. Wer hinab in die Unterwelt fährt, kommt nicht an ihm vorüber – ebenso verhält es sich bei dem, der zurück in die Welt der Lebenden möchte.“ Mit diesen Worten schritt Caesian zu seinem Platz zurück und ließ sich mit schallendem Gelächter darauf nieder. Es läutete. Doch zunächst bekam er es gar nicht mit. Erst, als ihm jemand auf die Schulter klopfte und ein „Bis morgen!“ hören ließ, wurde er aus seiner Starre gerissen. Ruckartig wandte er den Blick von dem ab, was er soeben fixiert hatte. Dennoch wirkte es nicht, als sei er vollends wieder bei der Sache. Tristan erhob sich langsam und suchte seine Sachen zusammen. Sein Blick war noch immer abwesend. Mit den Gedanken ganz wo anders verließ er das Klassenzimmer, lief den Flur hinunter und fand sich schließlich im Freien wieder. Auf dem Schulhof hielt er kurz inne, ehe er seinen Weg fortsetzte. Zwei Tage. So lange hatte er von den anderen schon nichts mehr gehört. Seitdem war es, als seien sie vom Erdboden verschluckt worden. Es hatte kein Lebenszeichen von ihnen gegeben. Tristan hatte alles versucht. Er hatte Anrufe getätigt, war von Haustüre zu Haustüre gerannt. Nichts. Noch einmal ließ er sich die Ereignisse der vergangenen 48 Stunden durch den Kopf gehen. Nach der Schule hatten ihn die anderen gefragt, ob er nicht mit in den Park kommen wollte. Er hatte ablehnen müssen, weil er bereits versprochen hatte, auf seine kleine Cousine aufzupassen. Am nächsten Morgen, also gestern, war er in die Schule gekommen, doch keiner von seinen Freunden war da gewesen. Weder Yugi, noch Tea, noch Joey. Auch kein Marik und kein Ryou. Zunächst hatte er gedacht, dass sie alle vielleicht etwas Falsches gegessen hatten. So etwas kam vor. Doch als er Yugi hatte anrufen wollen, um ihm die Hausaufgaben mitzuteilen, war der nicht ans Telefon gegangen – dasselbe bei den anderen. Schließlich war er zu Yugi nach Hause gegangen, nur um festzustellen, dass sein Großvater ihn seit dem Vortag nicht mehr gesehen hatte. Das Gleiche erlebte er bei Tea. Bei den anderen dreien wurde ihm nicht geöffnet. Hier hatte er nichts in Erfahrung bringen können, lebten Joey, Ryou und Marik doch allein – bei Ersterem waren die familiären Verhältnisse der Grund, weswegen er vor gut einem Jahr ausgezogen war, bei dem Weißhaarigen war es so, dass sein Vater die ganze Zeit im Ausland war und Marik war vor gut ein einhalb Jahren alleine hierher gekommen, um die hiesige Schule besuchen zu können. Schließlich hatten sich heute Morgen die Ereignisse überschlagen: Sowohl Salomon Muto als auch Teas Eltern hatten ihren Enkel, beziehungsweise ihre Tochter, als vermisst gemeldet. Das selbe war auch mit den anderen dreien geschehen, nachdem die Polizei Tristian – der ja ein enger Freund von Tea und Yugi war – befragt hatte und er angegeben hatte, dass auch die anderen drei verschwunden waren. Auch über Joeys Eltern, beziehungsweise seine Schwester Serenity, oder Mariks Familie in Ägypten war nichts in Erfahrung zu bringen. Ryous Vater hatte man in Ägypten noch nicht erreicht, doch Ishizu hatte wohl angeboten, sich umzuhören – auch wenn Tristan bezweifelte, dass es bei so einem großen Land möglich war genau diesen einen Menschen zu finden. Ebenso wenig glaubte er, dass dieser Mann wissen würde, wo sich sein Sohn befand. Allgemein wusste Tristan nicht mehr so richtig, was er glauben sollte. Die Annahme der Polizei, dass sich die fünf vielleicht einen Spaß machten, genervt von der Schule waren und so weiter und angeblich deshalb abgehauen waren, fand er lächerlich. Dafür kannte er sie zu gut. Der Einzige, auf den die zweite These zutreffen würde, wäre vielleicht Joey. Doch auch der wusste, dass ein Abschluss wichtig war. Hinzu kam, dass der Blonde der Schule kaum noch fern blieb, seit er und Tristan sich mit Yugi, Tea und Co. Angefreundet hatten. Er raufte sich die Haare. Nein, keiner von ihnen würde einfach so abhauen. Auch wenn er nicht glaubte, dass es etwas bringen würde, zückte er sein Handy. Schnell hatte er die Rufnummer der Mutos ausgewählt. Bald meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung. „Hallo Herr Muto, Tristan hier. Ich wollte nur fragen, ob sich inzwischen etwas ergeben hat?“ „Tut mir leid Tristan, ich muss dich enttäuschen. Kein Lebenszeichen von meinem Enkel oder den anderen“, erwiderte der Großvater Yugis. „Verstehe ...“ Für einen Moment blieb es still. „Sagen Sie, Herr Muto ... glauben sie wirklich, dass sie abgehauen sind oder ihnen vielleicht etwas zugestoßen ist?“ „Hat es einen Grund, warum du das fragst, Tristan?“ „Nun ja. Wissen Sie, bei all den abgedrehten Sachen, die uns in den letzten Jahren so widerfahren sind, würde es mich nicht wundern, wenn nichts 'Normales' hinter ihrem Verschwinden steckt.“ „Das sehe ich ebenso.“ Tristan sah für einen Moment überrascht drein. „Wenn dem so ist, warum haben sie dann eine Vermisstenanzeige aufgegeben?“ „Zum einen weiß man nie. Zum anderen: Wie würde ich dastehen, wenn mein Enkel verschwunden wäre und ich nur sagen würde: 'Der taucht schon wieder auf, er verschwindet andauernd auf mysteriöse Weise'?“ „Ja, natürlich ... Aber was könnte dahinter stecken? Der Pharao hat doch seine ewige Ruhe gefunden und die Milleniumsgegenstände sind nicht mehr!“ „Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Hör zu, ich habe Kundschaft. Sollte ich etwas von Yugi hören, wirst du es als Erster erfahren – nun, gleich nach seiner Mutter, die völlig am Durchdrehen ist.“ Tristan nickte, auch wenn ihn sein Gegenüber nicht sehen konnte. „Danke sehr. Auf wiederhören.“ Damit war das Gespräch beendet und der junge Mann hing wieder ganz seinen Gedanken nach. Ziellos lief er schon wie gestern durch die Stadt, in der Hoffnung, dass sie ihm vielleicht doch plötzlich irgendwo begegnen würden. Er wusste nicht, wie lange er schon so durch die Gegend streifte, da klingelte plötzlich sein Handy. Sofort zog er es aus der Tasche und nahm ab. „Ja, hallo?“ Ein banger Augenblick, in der Hoffnung, die Stimme von Yugi oder einem anderen Verschwundenen zu hören. „Hey, Tristan! Hier ist Duke, erinnerst du dich noch an mich?“ Ein Seufzen. Keiner von ihnen. Eigentlich hätte er sich freuen sollen, die altbekannte Stimme zu hören, doch er tat es nicht. Seitdem die Sache mit dem Pharao vorüber gewesen war, hatte die Clique Duke nur noch selten zu Gesicht bekommen. Er war schon vorher zurück in die USA gegangen, um sich ganz seiner Spielefirma zu widmen. Die hohen Ansprüche an den japanischen Schulen waren zwar seinem Lebenslauf zuträglich gewesen, die wenige freie Zeit hatte jedoch nicht gereicht, um sich ausreichend um das Geschäft zu kümmern. Letzten Endes hatte er sich für seinen Lebenstraum entschieden. „Ist alles klar? Du scheinst ja nicht besonders erfreut zu sein, von mir zu hören.“ „Ähm, doch doch. Ich hatte nur gerade ... auf einen anderen Anruf gewartet.“ „Ah, okay. Störe ich?“ „Nein, nein. Nun sag schon, was gibt’s?“ „Na ja, ich bin momentan in der Stadt. Eigentlich geschäftlich, aber wenn ich schon mal hier bin, kann ich ja nicht einfach wieder gehen, ohne euch mal getroffen zu haben. Also, wie sieht's aus, hättet ihr heute vielleicht Zeit?“ „Hör zu, Duke. Da gibt es ein kleines Problem.“ „Das da wäre?“, erklang es stutzig vom anderen Ende der Leitung. „Nun, Yugi, Tea, Joey, Marik und Ryou sind seit vorgestern verschwunden.“ „Was? Was heißt denn verschwunden?“ „Können wir uns treffen? Alles am Telefon zu erklären wäre zu kompliziert.“ „Geht klar. Wann und wo?“ „Das Cafe am Uhrenplatz? In einer viertel Stunde?“ „Verstanden. Ich werde da sein.“ Ryou saß auf den Klippen, die die Himmelspforte einschlossen. Sein Blick war in die ferne gerichtet. Er hatte an seinem Vorhaben festgehalten. Als er gesagt hatte, er wolle verstehen, warum Bakura ihm all das angetan hatte, hatte er es ernst gemeint. Doch es gelang einfach nicht. Gleich wie oft er sich in der Gegenwart des Grabräubers befand, er wurde nicht schlau aus dieser Person. Seine Launen waren noch genau wie damals: Wechselhaft wie das Wetter. Nur ein roter Faden zog sich durch seine Art. Seine Gefühlskälte. Nicht einmal, als Rishas Vater gestorben war, oder als Keiro immer wieder beteuert hatte, dass er Bakura nur habe schützen wollen, als er seinen Bruder unter einem Vorwand aus Men-nefer fort locken wollte, hatte er eine positive Regung gezeigt. Das eine Mal war es ihm gleich gewesen, das andere Mal hatte er sich sofort verraten gefühlt. Ryou verstand es nicht. Wäre jemandem, der ihm nahe stand, der Vater genommen worden, er hätte diese Person in den Arm genommen und wäre für sie da gewesen. Und hätte ihn Amane auf diese Weise schützen wollen, wie es Keiro getan hatte, er hätte sich bestimmt auch übergangen gefühlt, es ihr aber zugleich gedankt. Denn er hätte darin nicht nur das Negative gesehen, sondern auch die Fürsorge. Er wandte den Blick vom Horizont, als sich Schritte näherten. Der Spruch 'Wenn man vom Teufel spricht' musste wirklich etwas Wahres an sich haben. Denn auf ihn zu kam niemand anderes als Keiro. Er schien in seine Gedanken versunken zu sein. So bemerkte er Ryou nicht, bis er direkt vor ihm stand. „Oh. Entschuldige, ich wollte nicht stören.“ Mit diesen Worten machte er einen Bogen um den jungen Mann aus dem 21. Jahrhundert und wollte weitergehen. „Ähm. Du störst nicht.“ Wie angewurzelt blieb Keiro stehen und wandte sich um. Sein Blick wirkte überrascht. „Sag' bloß, du bist noch bereit mit mir zu reden.“ Ryou zuckte die Schultern. „Wieso denn nicht?“ „Nun ja ...“ „Wegen dieser Sache mit Risha? Na ja, ich verstehe zwar nicht, warum ihr euch so hasst, aber im Endeffekt ist das eine Sache zwischen dir und ihr. Ich verurteile niemanden, solange ich keine Hintergründe kenne. Du wirst einen Grund gehabt haben, warum du verschwinden wolltest.“ Ein Schnauben. „Da scheinst du der Einzige zu sein, der so denkt.“ „Mag sein. Aber nimm es den anderen bitte nicht übel. Ich denke, sie stehen in der momentanen Lage sehr unter Druck und sind deshalb besonders vorsichtig – und vielleicht auch ein wenig misstrauisch.“ Schweigen trat ein, das erst wieder von Ryou durchbrochen wurde. „Magst du dich nicht setzen?“ Ein Lächeln huschte über die Lippen seines Gegenübers. Dann ließ er sich nieder. „Was tust du eigentlich hier oben?“ „Ich denke nach.“ „Hm ... Und worüber?“ „Um ehrlich zu sein: Über deinen Bruder.“ Keiro zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe. „Und weshalb das?“ Ryou überlegte, wie er es am besten formulierte. „Nun, wie du im Palast bereits festgestellt hast, kennen wir uns schon ein wenig länger.“ „Was mich noch immer verwundert. Ich dachte, du kämst nicht aus dieser Zeit? Wie könnt ihr euch dann schon länger kennen?“ „Das solltest du wirklich besser ihn fragen. Ich weiß nicht, ob er allzu begeistert wäre, würde ich dir das erzählen. Und ich weiß genau, was passiert, wenn ihm etwas nicht passt.“ Außerdem würdest du mir sowie so nicht glauben. Das tut niemand, wenn er so eine Geschichte hört., fügte Ryou in Gedanken hinzu. „Was soll das bedeuten? Du sprichst in Rätseln.“ Der kleine Weißhaarige seufzte und legte sich wieder Worte zurecht. „Hör zu, ich möchte in deiner Gegenwart eigentlich nicht schlecht von ihm reden. Daher sagen wir es so: Er war nicht gerade das, was man 'nett' nennt.“ Nun richtete Keiro seinen Blick in die Ferne. „Ich verstehe schon. Ihr seid alle Freunde des Pharao. Und mein Bruder versuchte, ihn zu töten. Verständlich, dass ihr davon nicht gerade angetan seid.“ Wenn du wüsstest, wovon ich sonst noch nicht angetan war ..., schoss es Ryou durch den Kopf. „Aber glaube mir“, fuhr sein Gegenüber auch schon fort. „Bakura war nicht immer so.“ Der junge Mann aus dem 21. Jahrhundert sah ihn neugierig an. „Du meinst, als ihr noch Kinder ward, oder?“ Keiro nickte. „Wir waren wie alle anderen jungen Seelen, die noch nicht wissen, was es bedeutet zu leiden. Waghalsig, frech und immer gut aufgelegt. Und das, obgleich wir in Kul Elna groß wurden. Es mag dort keine Gesetze gegeben haben. Und dennoch hätte ich mir keine schöneren sechs Sommer vorstellen können, als jene, die ich dort verbracht habe. Unsere Eltern sorgten gut für uns, Vater war ein Meister des Stehlens und unsere Mutter war zwar streng, aber im Grunde genommen gutmütig.“ „Hört sich gar nicht schlecht an ... Hat Rishas Familie auch dort gelebt?“ Keiro schüttelte den Kopf. „Nein. Sie lebten in einem Dorf, das ungefähr einen halben Tagesritt entfernt war.“ Ryou runzelte die Stirn. „Und wie konnte sie dann dabei sein, als ...?“ Doch sein Gegenüber hob abwehrend die Hände. „Frag jeden das, aber nicht mich. Ich will nicht wieder in irgendwelche blöden Situationen geraten, die sie dann für sich nutzen kann, um sich bei Bakura einzuschleimen.“ „Verstehe. Und wie war dein Bruder so als Kind? Ich meine, du hast ja gerade schon angedeutet, dass er damals anders war als jetzt.“ Keiro richtete den Blick zum Himmel und schien zu überlegen. „Ein ganz normales Kind. Er war unbekümmert und dachte nicht an morgen. Wie wir alle eben.“ Er schüttelte erneut den Kopf. „Ich kann noch immer nicht glauben, dass diese Zeiten so plötzlich und so schmerzvoll ihr Ende fanden. Alles war perfekt, weißt du. 'Kura war immer so fröhlich und wenn er es war, dann war ich es auch. Und – ich denke, so viel kann ich verraten – Risha war nicht selten mit von der Partie. Auch sie war so anders. Schüchtern, zurückhaltend. Aber ich denke, ich werde einsehen müssen, dass diese Zeiten endgültig der Vergangenheit angehören.“ „Ihr seid alle erwachsen und habt eine Menge erlebt. Das verändert einen.“ Ein trauriges Lächeln schlich sich auf Keiros Gesicht. „Als du sagtest, du hättest über meinen Bruder nachgedacht, da hast du dich auch gefragt, wie er so werden konnte, nicht?“ Er warf Ryou einen kurzen Blick zu. Dieser schwieg jedoch. „Dasselbe frage ich mich auch. Wir mögen schreckliche Dinge erlebt und einander verloren haben. Doch ist das nicht der Kreislauf des Lebens? Muss man nicht die Wut, nein, den Hass irgendwann hinter sich lassen? Die Vergangenheit? Und seinen Weg weitergehen, ohne ständig zurück zu blicken? Hach ... ich verstehe es einfach nicht.“ Damit erhob er sich. „Danke, dass du mir zugehört hast, Ryou. Manchmal tut es gut, sich den Ballast einfach von der Seele zu sprechen.“ „Keine Ursache.“ Keiro verschwand ebenso leise, wie er gekommen war. Ryou blieb alleine zurück – mit genügend Dingen, über die er sich nun Gedanken machen konnte. Tea hatte sich im Schatten nieder gelassen. Vorsichtig massierte sie ihr Handgelenk. Es schmerzte noch immer höllisch. Aber daran würde sie sich gewöhnen müssen. Es würde noch eine Weile dauern, bis es nicht mehr verstaucht war. Gut Ding wollte eben Weile haben – und das obwohl sie im Augenblick alles hatten, nur keine Zeit. Nein, stattdessen türmte sich Problem auf Problem, Gefahr auf Gefahr. Sie fühlte sich ohnmächtig. Sie mochte eine Ka-Bestie bekommen haben, doch das Gefühl, dennoch nichts an der Situation ändern zu können, blieb. Sie sahen sich einer Übermacht gegenüber, die alles bezwecken konnte, was immer sie nur wollte – zumindest schien es so. Ihr war bewusst, dass sie weder sich, noch ihre Freunde aufgeben durfte, allen voran Atemu. Doch stets die Zuversichtliche zu spielen, wenn es an allen Ecken und Enden brannte, war schwer. Sie schaute auf, als der Pharao aus Manas Höhle trat. Als er Tea entdeckte, erwiderte sie sein Lächeln. „Wie geht es ihr?“, fragte sie schließlich, als der Andere zu ihr herüber kam. „Sie schlägt sich wacker. Aber die Schmerzen sind nicht ohne“, entgegnete seine Majestät. „Auch behagt es ihr nicht, die ganze Zeit nur herum liegen zu müssen.“ Die junge Frau nickte. „Kann ich verstehen. Es würde mich auch in den Wahnsinn treiben, wenn ich nichts anderes tun könnte, als die Decke an zu starren.“ Sie schien einen Moment zu überlegen, dann kam ihr plötzlich eine Idee. „Hey! Erinnerst du dich noch daran, dass in Manas Gegenwart einmal das Wort 'Popcorn' gefallen ist? Du hattest ihr doch versprochen, ihr zu zeigen, was es damit auf sich hat. Wäre dafür nicht jetzt der perfekte Zeitpunkt? Soweit ich weiß war unter dem Korn, das die Schattentänzer mitgebracht haben, auch Mais dabei.“ Auch Atemus Miene hellte sich auf. „Das ist eigentlich ein guter Einfall. Darüber freut sie sich mit Sicherheit!“ „Gut. Ich besorge einen Topf und die kümmerst dich um den Mais.“ Gesagt, getan. Bald hatten sie ein Feuer entzündet, auf dem schließlich das Behältnis mit den Körnern stand. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Geräusche unter dem Deckel hervor drangen. Immer wieder gab es einen dumpfen Knall, wenn ein Maiskorn gegen die Wände des Topfes sprang und aufplatzte. „Jetzt bräuchten wir nur noch Salz oder Zucker“, meinte Tea. „Aber das wird sich schlecht machen lassen.“ „Wahrscheinlich, ja“, stimmte Atemu zu. „Aber es wird bestimmt auch so gehen.“ Als es längere Zeit still blieb, wagte Tea schließlich einen Blick unter den Deckel. Aller Mais war zu Popcorn geworden. „Dann bringen wir es mal zu Mana“, sagte der Pharao. „Sie freut sich bestimmt.“ Gemeinsam betraten die beiden schließlich die Höhle, in der sich die junge Hofmagierin derzeit befand. „Hallo Tea“, grüßte diese auch gleich freundlich, ehe sie den Topf in den Händen der anderen Frau gewahrte. „Was hast du denn da?“ „Na du hattest doch Hunger, wie mir berichtet wurde“, grinste die Brünette. „Erinnerst du dich noch daran, als wir über Popcorn gesprochen haben?“ „Klar!“, meinte ihr Gegenüber. „Wieso?“ „Ich hatte dir doch versprochen, dass ich dir welches zeige, sobald wir die Gelegenheit dazu haben. Und hier ist es“, mischte sich Atemu schließlich ein. Er konnte sehen, wie sich die Miene der Magierin aufhellte. Neugierig warf sie, so gut es in ihrer Position eben ging, einen Blick in den Topf. „Sieht ... interessant aus“, befand sie, ehe sie nach dem ersten Stück griff. „Und fühlt sich irgendwie eigenartig an.“ „Probier' mal“, forderte Tea sie auf. „Bei uns wird es für gewöhnlich noch mit Zucker oder Salz gegessen, je nachdem, was man lieber mag. Aber damit können wir leider nicht dienen.“ Sie sah Mana dabei zu, wie sie sich das erste aufgeplatzte Korn in den Mund schob. „Gar nicht übel!“, meinte sie schließlich. „Im Gegenteil. Schmeckt wirklich gut.“ „Du kannst alles haben. Das ist alles für dich“, meinte Tea und schob ihr den Topf hin. „Guten Appetit.“ „Ach was!“, winkte die Hofmagierin ab. „Greift zu. Immerhin habt ihr euch die Mühe gemacht, das ... Popcorn zu zu bereiten.“ Gerade wollte Atemu etwas erwidern, da hörte er, wie sein Name durch das Lager schallte. „Ich bin hier!“, machte er daraufhin auf sich aufmerksam. Nur einen Moment später erschien Riells Kopf im Höhleneingang. „Ich hoffe ich störe nicht“, vergewisserte er sich zunächst. „Nein, keine Sorge. Ist alles in Ordnung?“, erwiderte Atemu mit ernster Miene. „Ja, alles bestens. Ich wollte mich lediglich erkundigen, ob es Euch recht wäre, wenn wir bei Sonnenuntergang eine Besprechung abhalten würden. Ich weiß, wir sind alle noch erschöpft, aber irgendwie werden wir weiter machen müssen“, erläuterte der Schattentänzer. „Ich verstehe. Kein Problem“, meinte der Pharao. „Ich werde da sein.“ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ So, ich melde mich nach einem Monat endlich mit dem nächsten Kapitel zurück! Wieder danke an sakura, die so lieb war, mir einen Kommentar zu hinterlassen! Du bist mir wirklich der treuste Leser überhaupt. :) Die Kuriboh-Sache habe ich nicht vergessen und sie kommt, versprochen! Ich hoffe, das Kapitel ist einigermaßen gelungen. Wir sehen uns im nächsten Teil! Grüße, Sechmet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)