Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 16: Abkommen -------------------- Ziellos schlenderte Ryou durch die Hallen des Palastes. Die Ruhe, das Alleinsein taten gut. Er mochte seine Freunde und war froh, endlich Menschen gefunden zu haben, auf die er sich verlassen konnte. Das änderte jedoch nichts daran, dass er selbst sehr ruhig und ab und an gerne für sich war. Vor allem dann, wenn Stress an ihm nagte. Und das tat solcher reichlich, seitdem sie hier gelandet waren. Er hatte das Leben ohne all die Abenteuer, Zwickmühlen und Ereignisse zugegebener Maßen genossen. Jetzt war all das wieder weg. Dennoch würde er Atemu und den anderen zur Seite stehen, keine Frage- aber ab und an musste er sich eben etwas zurück ziehen, um unter dem Druck standhalten zu können. Er seufzte, blickte dann mit seinen braunen Augen zum Himmel, an dem die glühende Sonne Ägyptens stand. Langsam sog er die warme Luft ein, die immer zu vom Wüstenwind getrieben wurde. Nur zu gerne wäre er einmal in friedlichen Zeiten in dieses Jahrhundert gekommen. Das Land- zumindest das, was er bisher davon gesehen hatte- war wirklich prachtvoll. Um nicht zu sagen wunderschön. Er ging weiter den Weg entlang, der zu seiner linken von mächtigem, behauenen Stein flankiert wurde, während er sich zu seiner rechten hin dem Freien öffnete. Er konnte in den Hof sehen, der darunter lag. Ein Brunnen stand in der Mitte. Er wusste nicht warum, doch ihm kamen die Geschichten der Bibel in den Sinn. Die Berichte von den zehn Plagen, die Ägypten einst heimgesucht haben sollten und nach deren Funken Wahrheit zahlreiche Archäologen in ihrer Zeit suchten. Mit einem Mal erschien ihm das lächerlich. Insektenschwärme, Krankheiten hatte es in der Geschichte nur allzu oft gegeben. Aber was war mit verrückt gewordenen Herrschern, die sich die Kräfte von Göttern aneigneten, die sie nicht kontrollieren konnten? Das war wohl ein Sonderfall. Er blickte auf, als er eine Gestalt gewahrte, die sich ein gutes Stück weiter, beinahe am Ende des offenen Gangs, befand. Sie hockte auf dem breiten, steinernen Geländer, das die Passanten des Flures davor bewahrte, bei einem Missgeschick in den Hof hinab zu stürzen. Mit dem Rücken hatte sie sich an eine große Säule gelehnt. Der Blick war stur ins Leere gerichtet. Ryou lief ein Schauer den Rücken hinab. Bakura. Da war der Palast so riesig und er verirrte sich ausgerechnet dorthin, wo sich auch sein ehemaliger Parasit befand. Er zögerte. Sollte er vielleicht einfach umkehren? Noch schien der andere ihn nicht bemerkt zu haben. Dann kamen ihm jedoch schlagartig die Worte Mariks in den Sinn. Eine Gelegenheit, mit der Sache abzuschließen... Er schluckte. Wahrscheinlich hatte der junge Ägypter recht. Es half absolut nichts, immer nur vor seinen Problemen davon zu laufen. Ryou würde sich ihnen stellen müssen, wollte er nicht, dass er all diese Erinnerungen auf ewig mit sich herum trug und sich von ihnen quälen ließ. Er atmete einmal tief durch, dann setzte er seinen Weg fort. Augen zu und durch..., schoss es ihm durch den Kopf, während er einen Fuß vor den anderen setzte. Seine Schritte waren deutlich zu hören. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis Bakura merken würde, dass jemand auf ihn zu kam. Und tatsächlich. Als Ryou nur noch ein Stück von ihm entfernt war, fuhr der Kopf des Grabräubers herum. Für einen Moment musterten die fliederfarbenen Augen den Jungen, dann wandten sie sich wieder ab. Wie angewurzelt blieb der Jüngere von ihnen stehen. Kein blöder Kommentar? Kein genervtes 'Was willst du hier'? Kein feixendes Grinsen? Kein Versuch, ihn einzuschüchtern? Er war ehrlich überrascht. Ebenso von dem Blick, der ihm soeben zugeworfen worden war. Ja, da war diese eiskalte Fassade gewesen, die unnahbare Maske. Aber er hatte unter dieser Oberfläche ganz deutlich die Wut brodeln sehen können. Und noch etwas anderes. Beinahe so, als habe es Marlic tatsächlich geschafft, den Grabräuber zu... verletzen? Ryou schüttelte energisch den Kopf. Du magst gut erzogen sein, aber denk nur einmal daran, was dir dieser Kerl alles angetan hat! Einfach weiter gehen und gar nichts sagen. Das ist das einzig Logische! Er ging auch wirklich weiter, blieb jedoch erneut stehen, als er auf einer Höhe mit Bakura war. Noch immer verwundert musterte er das Gesicht des Älteren. Dieser stöhnte nach einem Moment genervt. „Was gibt’s da zu glotzen?“, meinte er, ohne den Blick vom Himmel zu nehmen. Dabei fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. Im ersten Moment glaubte Ryou, bei seinen Worten zusammen zucken zu müssen, doch die Reaktion blieb aus. Denn etwas in der Stimme des Grabräubers fehlte. Die übliche Schärfe... Er wirkte erschöpft, ausgelaugt. „Sag mal, hast du nichts besseres zu tun, als hier 'rum zu stehen und mich an zu starren?“ Als Ryou abermals keine Antwort gab, sah Bakura ihn schließlich doch noch an. „Ist was?“, fauchte er, doch auch diesmal wollte ihm der richtige Tonfall nicht gelingen, was dem Jüngeren keineswegs entging. Unruhig tapste er von einem Bein auf's andere. „Ähm nein, eigentlich...“, zögerte er zunächst, ehe der deutlich leiser fortfuhr. „Marlic war ganz schön gemein, oder?“ Warum zur Hölle sagte er denn das jetzt? Müsste er seinem Gegenüber nicht eigentlich noch viel mehr an den Hals wünschen, als ein paar unschöne Worte? Die Pest zum Beispiel? Doch irgendwie war das einfach nicht Ryous Art... Er konnte einem Menschen nichts Böses wünschen. Auch bei dem Grabräuber wollte das nicht klappen, obgleich dieser ihn mehr als einmal verletzt hatte. Sowohl körperlich, als auch psychisch. Lag es daran, dass er vor einiger Zeit erfahren hatte, was ihm in seiner Kindheit zugestoßen war? Hatte sich wohl so etwas wie Verständnis in seine Gedankenwelt geschlichen? Ein Schnauben war schließlich eine Antwort auf seine Aussage hin. Bakura musterte ihn noch einen Moment argwöhnisch, ehe er dann den Blick abwandte. „Er ging mir lediglich auf die Nerven, das ist alles.“ Ryou hob vorsichtig den Kopf. „Dafür siehst du aber ziemlich... traurig aus...“ Abermals hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen, als das Haupt des Grabräubers herum schnellte. Die Augen funkelten gefährlich. „Als ob du eine Ahnung hättest!“, meinte er verächtlich. Jetzt war es sowie so schon zu spät. Er hatte sich bereits aus dem Fenster gelehnt, nun gab es kein zurück mehr. „Na ja... immerhin warst du ja lange Zeit in meinem Körper“, begann er, ehe er schneller fortfuhr. „Ich kann dich wirklich verstehen. So etwas macht man nicht! Auch wenn man Marlic heißt! Und selbst, wenn du nicht gerade nett zu mir warst, finde ich, dass das total fies war.“ Bakura sah einen Moment perplex drein, dann erhob er sich plötzlich. Mit langsamen, drohenden Schritten ging er auf den Kleineren zu, der augenblicklich zurück wich, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Der Grabräuber schaute ihn mit einem undefinierbaren Blick an und legte ihm schließlich einen Finger auf die Brust. Der Nagel bohrte sich in den Stoff und die darunter liegende Haut. „Du-hast-nicht-die-geringste-Ahnung!“, zischte Bakura stockend. Der Kleinere fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Rolle. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Sofort war die Angst wieder da, die schon so oft sein Herz zerfressen hatte. Doch diesmal würde er sie nicht die Oberhand gewinnen lassen! Irgendwann in seinem Leben musste er sich durchsetzen. Wenn nicht heute, wann dann? Außerdem, was hatte er zu befürchten? Mana hatte doch gesagt, dass er inzwischen, abgesehen von Diabound, ein ganz normaler Mensch war. Nicht viel anders als er. So nahm Ryou all seinen Mut zusammen und antwortete. „Das ist nicht wahr! Ich weiß sehr wohl, was es heißt, einen Menschen zu verlieren! Oder hast du das etwa vergessen?“ Für einen Moment sah Bakura tatsächlich erstaunt aus. Er hatte nicht im Entferntesten mit irgendeiner Erwiderung des Weißhaarigen gerechnet. Und schon gar nicht mit einer solchen. Plötzlich wurde ihm wieder bewusst, weshalb es so einfach gewesen war, damals die Kontrolle über Ryou zu bekommen. Weil der Junge innerlich geschwächt war... durch den Tod seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester. Sowie die ständige Abwesenheit seines Vaters, der sich nach dem tragischen Unfall nur noch mehr in seine Ausgrabungen vertieft hatte. Der Grabräuber ließ den Finger sinken und trat einen Schritt zurück. Wie gebannt starrten sie einander an. Hektisch suchte der Dieb nach irgendetwas, das er Ryou entgegensetzen konnte. Doch er wurde nicht fündig. Er musste sich innerlich eingestehen, dass er hier wohl dem einzigen Mitglied des Kindergartens gegenüber stand, das tatsächlich einen ähnlichen Verlust erlitten hatte. Sein Kopf schmerzte. Die Aufregung, die unbändige Wut und die Demütigung, sowie diese Diskussion, bündelten sich zu einem stetigen Pochen in seiner Schläfe. Erschöpft rieb er sich mit der Hand über das Gesicht. „Lass mich einfach in Ruhe, ja?“, meinte er matt und wandte sich wieder ab. „Das kann ich nicht... Auch wenn ich dich dadurch an Dinge erinnere, die du vergessen willst...“, flüsterte Ryou, dem schlagartig klar geworden war, warum er direkt auf dieses Gespräch zugesteuert war. Ein skeptischer Blick Bakuras folgte. „Warum? Willst du dich etwa rächen?“ Doch der Weißhaarige schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht.“ „Was willst du dann?“ Ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln schlich über die Lippen des Jüngeren. „Ich will verstehen, warum du mir all das angetan hast.“ So schnell er konnte, hetzte Seto die Wege des Palastes entlang. Die Nachricht, die man ihm überbracht hatte, konnte nur ein schlechter Scherz sein. Wieso sollte ausgerechnet einer von ihnen freiwillig nach Men-nefer kommen und sich auch noch von vorne herein zu erkennen geben? Das ergab keinen Sinn. Nicht im Geringsten. Schließlich näherte er sich den Toren des Palastes. Ein hochrangiger Soldat und Wächter erwartete ihn bereits. „Mein Gebieter“, meinte der Mann und neigte das Haupt. „Gut, dass Ihr so rasch kommen konntet, Herr.“ Sein Blick glitt hinüber zu dem großen Tor, das das Königshaus vom Rest der Stadt trennte. Unter dessen hohem Bogen stand eine Gestalt, die der Hohepriester aus dieser Entfernung nicht zu erkennen vermochte. Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. „Und er ist tatsächlich ein Schattentänzer?“ „Zumindest behauptet er das. Aber er sei nicht irgendeiner. Er gibt an, der zweite in der Rangordnung zu sein. Des Weiteren sagte er, er habe wichtige Informationen, die uns nützlich sein könnten. Und er möchte seine königliche Hoheit sprechen.“ Seto schnaubte verächtlich und musterte für einen Moment den Hauptmann, ehe sein Blick zu dem Clanmitglied zurück schweifte. Er traute ihm keineswegs. Doch Keiro hatte bereits angegeben, dass er nicht mit allen Lehren der Schattentänzer vertraut sei. Für einen Moment prüfte der Hohepriester die Mauer. Das Tor, das ihren Lauf unterbrach, war geschlossen. „Wie kommt er hier rein?“ „Er ist einfach herüber geklettert. Fragt mich nicht, wie er das geschafft hat, aber er muss wahnsinnig flink sein.“ Aus welchem Grund dieser Kerl auch hier her gekommen war, er würde sicher nützlich sein... „Behaltet ihn gut im Auge. Ich werde mit seiner Majestät sprechen.“ Mit diesen Worten rauschte Seto davon. Was auch immer der Fremde im Schilde führte, ob er nun in friedlicher Absicht gekommen war oder nicht, er würde gewiss von Nutzen sein. Denn wenn er nicht freiwillig reden wollte, so würden sie ihn noch immer zum Sprechen bringen können. Sein Weg führte ihn in den Garten des Palastes. Atemu und diese jungen Leute aus der Zukunft hatten sich entschieden, dort weiter zu überlegen. Er konnte sich noch zu gut an eine Frage von diesem Joey erinnern, vor ein paar Tagen war das gewesen. Ob Kokosnüsse an den Palmen wachsen würden. Ein kurzes Grinsen spielte auf Setos Lippen. Jedes kleine Kind wusste doch, dass diese Gewächse in Ägypten ausschließlich Datteln trugen! Zwar gab es die eine oder andere Kokospalme, das war schon richtig, doch diese hatten bislang niemals Früchte gehabt. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Er sollte endlich aufhören, über derartig sinnlose Dinge nachzudenken! Es herrschte Krieg! Und ein Schattentänzer stand nicht vor, sondern hinter den Toren des Palastes, auch, wenn er sich bislang friedlich verhalten und lediglich darum gebeten hatte, den Pharao sprechen zu dürfen- was alleine schon Anmaßung genug war. Schließlich wichen die Mauern zurück und gaben den Blick auf den wunderschönen Garten frei, den sie einrahmten. Doch der Hohepriester hatte im Moment kein Auge für die hübschen Gewächse, die sich zu den Seiten der fein säuberlich angelegten Wege erstreckten. Vielmehr steuerte auf die kleine Gruppe zu, die sich unter einem Flammenbaum niedergelassen hatte, der zur Zeit in voller Blüte stand. Als Atemu seinen Cousin erblickte, sah er überrascht aus. „Was ist?“, fragte er sogleich. Offenbar hatte Setos Miene verraten, dass etwas geschehen war. „Mein Pharao, ein Schattentänzer ist über die Mauern in den Palast eingedrungen.“ Augenblicklich sprang der amtierende Herrscher auf. „Wo ist er?“ Doch der Hohepriester hob beschwichtigend die Hände. „Sorgt Euch nicht, mein König. Er kam lediglich über die Umgrenzung und meinte, er wolle Euch sprechen. Er verhält sich bislang vollkommen friedlich.“ Joey hob verwundert eine Augenbraue. „Also wenn du mich fragst, hört sich das nach einer verdammt plumpen Falle an, oder?“ „Ganz deiner Meinung“, stimmte Mana zu. „Lasst ihn am besten fesseln und führt ihn anschließend erst zu Atemu, alles andere wäre viel zu gefährlich.“ „Moment“, schaltete sich nun auch Keiro ein, der ebenfalls anwesend war. „Hat dieser Mann einen Namen genannt?“ Seto schüttelte das Haupt. „Das nicht, doch er meinte, er sei zweiter in der Rangordnung des Clans.“ Man konnte sofort erkennen, dass Bakuras Bruder blasser wurde. Unbewusst biss er sich auf die Unterlippe. Auch das noch! Ausgerechnet dieser... Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Erst ein wahnsinniger Feldherr, der die Relikte aus ihrem Schlaf riss... und nun der Kerl. Er schluckte. Wenn er nicht aufpasste, würde ihn der Besucher schneller in Schwierigkeiten bringen können, als ihm lieb war. „Das ist Riell. Reshams Sohn“, erwiderte er schließlich. „Er wird eines Tages die Führung über die Schattentänzer übernehmen, wenn sein Vater nicht mehr ist.“ „Können wir ihm vertrauen?“, fragte Atemu. Keiro schien einen Moment zu überlegen. „Das könnt Ihr heraus finden, indem Ihr ihn bei den Göttern geloben lasst, dass er nicht gedenkt, Euch zu hintergehen. Er würde niemals ein Wort brechen, das vor den Gottheiten selbst gegeben wurde.“ „Und auf wen sollen wir ihn schwören lassen?“, spottete Seto. „Auf Seth persönlich? Wie vertrauenswürdig.“ Bakuras Bruder überging den Einwurf. „Allerdings würde ich Euch bitten, mich zuvor entfernen zu dürfen, Euer Hoheit“, fuhr er an Atemu gewandt fort. Misstrauisch runzelte der Hohepriester die Stirn. „Warum?“, hakte er in eiskaltem Tonfall nach. „Ganz einfach“, zischte Keiro und machte seinem Zwilling dabei große Konkurrenz. „Ich habe damals das Relikt an mich genommen, erinnert Ihr Euch? Ich glaube kaum, dass Riell sonderlich erfreut wäre, mich hier zu sehen.“ Atemu stimmte zu. „Ja, das wäre wohl besser. Also gut. Seto, bringt diesen Mann zu mir. Ich erwarte Euch im Thronsaal. Du hast die Erlaubnis, dich zurück ziehen zu dürfen, Keiro.“ Sofort sprang Bakuras Verwandter auf, verneigte sich flüchtig und eilte dann davon. Auch der Hohepriester entfernte sich. „Lasst uns gehen“, meinte der Pharao an seine Freunde gewandt. „Mal sehen, was dieser Mann uns zu erzählen hat.“ Riell wurde den Gang hinab gestoßen. Wie einen Gefangenen führte man ihn Richtung Thronsaal. Ein bitteres Lächeln lag auf seinen Zügen. Die Fesseln, die man an seinen Handgelenken angebracht hatte, schnitten in die Haut. So tief waren sie also durch Caesians Angriff gesunken. Dass er, jemand, der lediglich anderen Göttern diente, als die meisten Ägypter, vorgeführt wurde, wie ein Verbrecher. Wäre all dies nicht für den Clan, er hätte wohl rebelliert, seine Ansichten und seinen Unmut darüber, dass man diese mit Füßen trat, wohl mit dem eigenen Leben verteidigt. Doch sie brauchten Hilfe. Das hatte er einsehen müssen. Resham war verschwunden. Die Schattentänzer somit ohne ein richtiges Oberhaupt. Er hatte die Befehlsgewalt lediglich aus der Not heraus übernommen. Auch Risha war nicht zu finden, obgleich sich bereits einige Mitglieder des Clans auf die Suche begeben hatten. Erfolglos. Somit hing nun alles von ihm ab. Und er hatte sich entschieden. Würde er nicht vor den Pharao treten und ihn um Beistand bitten, sie wären verloren. Nun war er hier, und somit gab es zwei Möglichkeiten. Entweder, man würde ihnen helfen, und sie wären zumindest vorerst in Sicherheit, oder man lehnte ihren Gesuch ab und sie waren verloren. Und dennoch schmerzte es ihn, sich derartig auf die Knie zwingen zu lassen. Innerlich blutete er. Auch nach außen hin würde er dies nur schwer verbergen können, wenn es ihm überhaupt gelang. Wieder schoben sich die Bilder von vorhin in seinen Kopf. Das spöttische Gesicht dieses Hohepriesters, als man ihn bei Seth hatte schwören lassen, dass er nicht gedachte, dem Herrscher Ägyptens ein Leid zu zu fügen. Was dachte dieser Mann eigentlich? Welche Vorurteile kursierten in seinen Gedanken? Welche davon würde man ihm gleich entgegen schleudern? Sie erreichten den Thronsaal. Die großen Flügeltüren, die in die Halle führten, wurden geöffnet. Man stieß ihn weiter voran. Schließlich sah er ihn. Den Pharao Ägyptens. Es war also tatsächlich wahr. Atemu war zurück gekehrt, um seinem Volk in schlimmster Stunde beizustehen. Trotz all der Verluste, die sie erlitten hatten, saß ihr König weiterhin stolz auf seinem Thron. Man konnte ihm ansehen, dass er noch immer geehrt war, dieses Land regieren zu dürfen, auch, wenn sie sich nur mit Mühe und Not hatten verteidigen können. Der Griff der Wachen, die ihn flankierten, verstärkte sich um seine Schultern. Man wollte ihn auf die Knie zwingen, doch er hielt dagegen. So weit würde er erst gehen, wenn es keinen anderen Weg mehr gab. Zu seiner Überraschung ließen die beiden Soldaten plötzlich von ihm ab. Als er aufblickte, sah er, dass der Herrscher sie davon schickte. Er zwang ihn nicht, sich in den Staub zu werfen. Verwundert starrte er sein Gegenüber an. Warum? „Ich grüße Euch, Fremder“, sprach Atemu dann. „Wie mir zugetragen wurde, seid ihr ein hochrangiges Mitglied der sogenannten Schattentänzer. Ebenso ist mir bekannt, dass Ihr dem Königshaus nicht wohlwollend gestellt seid. Was führt Euch dann zu uns? Und wie ist Euer Name?“ Riell konnte den Blick des Hohepriesters auf sich spüren, der neben dem Thron Aufstellung bezogen hatte. Dieser Mann hatte ihn nicht so würdevoll angesprochen, als er erneut zum Palasttor gekommen war. Viel mehr hatte er sich in der Gegenwart des Geistlichen gefühlt wie minderwertiger Abschaum, der eigentlich keiner größeren Aufmerksamkeit bedurfte. Er verstand es nicht. War dieser Kerl nicht auch ein Kind der Götter? Freilich, er diente anderen, als Riell es tat... Aber dieses Unverständnis war er ja gewohnt. „Mein Name ist Riell“, erwiderte er schließlich. „Und es ist richtig, dass mein Clan durch all die Missgunst, die wir in der Vergangenheit vom königlichen Hof erfahren haben, nicht gerade gut auf Euch zu sprechen ist. Aber manchmal verlangt das Schicksal von uns, ungewöhnliche Wege zu gehen.“ „Wovon sprecht Ihr?“ „Ich spreche davon, dass die Schattentänzer Opfer von Caesians Sucht nach Macht geworden sind. Vergangene Nacht gelang es diesem Bastard unser Versteck zu enttarnen und viele der Unseren zu töten und zu verletzen.“ Seto unterdrückte ein Schmunzeln, woraufhin er einen mahnenden Blick von seinem Cousin zugeworfen bekam. „Was ist geschehen?“, erkundigte sich Atemu anschließend. „Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein. Ihr braucht auch nichts auszulassen. Wir wissen, worum es in diesem Kampf geht. Und, was Ihr zu beschützen versucht.“ Riell sah einen Moment verwundert drein, ehe er nickte. „Das bedeutet, Ihr wisst von den Relikten der Götter. Das macht die Sache einfacher. Vergangene Nacht wurden wir von Caesians Truppen angegriffen. Seitdem ist für uns nichts mehr, wie es einmal war. Er verschleppte unser Oberhaupt, meinen eigenen Vater, und trieb meine Schwester in die Wüste hinaus. Niemand hat beide seitdem gesehen. Nur allzu viele sind ihm im Schein des Mondes zum Opfer gefallen. Sie waren völlig ohne Orientierung, verängstigt, weshalb ich beschloss, früher als gewollt in die Fußstapfen meines ehrwürdigen Vaters zu treten.“ „Das heißt, die Schattentänzer unterstehen derzeit Eurem Kommando?“, erkundigte sich der Pharao. „So ist es. Deshalb bin es auch ich, der vor Euch tritt, um in dieser Stunde um Eure Hilfe zu bitten.“ Die Worte kamen schwer über Riells Lippen. Doch schließlich schaffte er es. Die Demütigung, die er allerdings in diesem Moment empfand, war immens. Bange Sekunden verstrichen. „Was ist Euer Gesuch?“, schallte Atemus Stimme schließlich erneut durch den Raum. Den bohrenden Blick seines Cousins ignorierte er. Nach allem, was der junge König über diesen Clan gehört hatte, hätte er mit einem Barbaren gerechnet, nicht mit einem Mann, der kaum älter sein konnte, als er selbst. Er spürte, wie sein Gegenüber merklich durchatmete. „Ich bitte Euch im Namen all dieser Menschen, die vielleicht andere Götter anbeten mögen, als Ihr es tut, deshalb aber noch nie jemandem auch nur ein Leid zugefügt haben, die verängstigt in den Dünen ausharren und hoffen, den nächsten Tag zu überleben- bitte, helft uns!“ Für einen Moment wurde es erneut still in der Halle, ehe Riell fortfuhr. „Bitte, gewährt uns Zuflucht in Men-nefer, oder ich kann für das Überleben dieser Menschen nicht mehr garantieren. Ich schwöre, bei den Göttern die mir heilig sind, dass wir nichts im Schilde führen. Unsere beiden Parteien mögen sich nicht wohlwollend gegenüber stehen, doch sie streben das gleiche Ziel an- Caesian aus diesem Land zu vertreiben! Wir werden Euch im Gegenzug unterstützen, wo immer wir können. Mit unseren Waffen und dem Wissen über die Relikte der Götter. Sollten wir nach dem Ende dieser grausamen Kämpfe nicht mehr erwünscht sein, so werden wir Men-nefer den Rücken kehren. Doch vielleicht ist dies auch die Chance, die sich mein Vater schon immer so sehnlich herbei gewünscht hat. Eine Möglichkeit für Euch, unseren Clan besser zu verstehen... Ich flehe Euch an, Majestät, im Namen der Schattentänzer!“ Atemu musterte ihn eindringlich. Dieser Mann hatte, ehe man ihn herbrachte, tatsächlich bei einem Gott geschworen, keine bösen Absichten zu hegen und die Wahrheit zu sagen. Doch konnte man jemandem vertrauen, der verschlagenen und hinterlistigen Göttern huldigte? Irgendwie stand der Glaube Riells in krassem Gegensatz zu der Aufrichtigkeit, die er soeben an den Tag legte. Es schien tatsächlich, als könne man ihm getrost glauben, ohne ein Risiko einzugehen. Zugleich bedachte der Pharao auch die strategischen Vorteile. Sie würden Unterstützung bekommen- sowohl von der Truppenstärke her, als auch, was das Wissen um die Relikte anging. „Wie sprach man Euren Vater innerhalb der Schattentänzer an?“, fragte er nach einer Weile der Überlegungen. Riell blinzelte erstaunt. „Abgesehen von meiner Schwester und mir, nannte man ihn 'Majestät'.“ Im nächsten Moment biss er sich auf die Unterlippe. Hoffentlich hatte er den König damit nicht gekränkt... „Nun denn. Wachen! Nehmt ihm die Fesseln ab.“ Nun war es an den Soldaten, ungläubig drein zu blicken. Sie taten jedoch sogleich wie gehießen. Überrascht rieb sich Riell die wunden Handgelenke. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er tonlos. „Das, Euer Majestät“, erwiderte Atemu mit einem freundlichen Lächeln. „Bedeutet, dass wir ein Abkommen haben.“ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ So, es hat länger gedauert, als ich selbst dachte, aber hier ist nun das nächste Kapitel. Nun sind die Schattentänzer also richtig in das Geschehen eingebunden. Ich fand die Vorstellung von Anfangen an spannend, viele gegensetzliche Parteien auf die gleiche Seite zu stellen und es macht wirklich Spaß, die nun folgenden Kapitel, die sich bereits in einer Rohfassung auf meinem PC befinden, auszuarbeiten und zu schreiben. Eigentlich hatte ich geglaubt, dass ich an diesem Punkt der Geschichte bereits die Hälfte abgehandelt hätte, aber wenn ich mir das Exposé so ansehe, wird mich diese FF wohl doch noch eine ganze Weile begleiten. Ich hoffe, das freut nicht nur mich, sondern auch den einen oder anderen Leser. ;) Mir ist bewusst, dass dieses Kapitel nicht die Masse an Spannung enthält, die in einigen anderen vorkommt. Ich hoffe, das langweilt niemanden, ich zumindest habe mir an diesem Abschnitt die Finger wund getippt, weil ich ihn unbedingt zu Papier bringen wollte. Er ist einfach ein gewisser Wendepunkt in der Geschichte und solche finde ich als Schreiberling immer recht schwierig zu gestalten, denn sie müssen auf der einen Seite zwar schon spannend sein, der Leser muss sie aber auch verstehen und nachvollziehen können. Ich denke, das ist mir hier ganz gut gelungen. So, nun genug des Geredes. Ein Dank noch an 3sakuraharuno3 für den üblichen Kommentar zum letzten Kapitel, auf den ich mich jedes Mal so freue. =) Selbiger geht auch an Aton, leider finde ich den Kommentar nicht mehr, aber er war definitiv da und ich habe ihn gelesen. Bis zum nächsten Mal! Sechmet Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)