Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 2: Fata Morgana ----------------------- Fata Morgana Der Tag war zäh wie Honig dahin geflossen. Nachdem Seto im Tempel wieder zu sich gekommen war, hatte er im Palast sofort alles für die Rückkehr des ehemaligen Pharao veranlasst. Er hatte vorgeschoben, eine Nachricht erhalten zu haben, die dies angekündigt hatte. Nicht nur das Personal war völlig aus dem Häuschen. Auch Mana war seither damit beschäftigt, unaufhörlich durch die Flure des Palastes zu wuseln. Wenn sie nicht gerade dabei war, den Bediensteten zu erklären, was unbedingt noch getan werden musste, verschwand sie in ihrem Zimmer. Seto hatte inzwischen aufgehört, zu zählen, wie oft die junge Frau sich mittlerweile umgezogen hatte. Er hatte seine eigenen Theorien darüber, weshalb sie sich so verhielt. Es war kein Geheimnis, dass Mana und Atemu zusammen aufgewachsen waren. Doch es war nicht schwer, noch mehr dahinter zu vermuten. Ihm sollte es gleich sein. Was zählte, war das Schicksal Ägyptens. Gewiss handelte es sich bei Atemu nicht einfach nur um den vorherigen Pharao, sondern auch um Setos Cousin. Auch er hatte dies nicht einfach vergessen können, nachdem er ins Totenreich eingekehrt war. Wie würde das Wiedersehen wohl werden? Und wie würde Atemu reagieren, wenn er merkte, dass er in die Welt der Lebenden zurückgekehrt war? Würde er vielleicht wütend sein, weil man ihn in seiner Totenruhe gestört hatte? Oder würde er es verstehen können? War er nicht einer der gutmütigsten Herrscher überhaupt gewesen? Es gab so viele Möglichkeiten. Und jede davon erschien auf ihre eigene Art und Weise unrealistisch. Zumal Seto dies schwer einschätzen konnte, hatte er mit Atemu doch nur wenig Zeit verbracht, in der er nicht einfach nur der Hohepriester und Beschützer, sondern auch der Verwandte und Vertraute gewesen war. Er rieb sich die Schläfen. Eigentlich war es nun egal. Der Pakt mit Anubis war geschlossen. Es gab kein Zurück mehr. Er würde mit Atemus Reaktion leben müssen, ganz gleich, wie sie ausfiel. Er warf einen Blick ins Freie. Noch stand die Sonne mit dem üblichen, grellen Schein am Himmel. Doch sie hatte längst begonnen, sich dem Horizont entgegen zu neigen. Es wurde Zeit, zu gehen... Würde nur Mana endlich kommen. Seto seufzte. Wie immer. Am liebsten wäre er schon einmal los gegangen, doch die Worte der jungen Magierin schwirrten ihm noch deutlich im Kopf herum. Und wehe ihr geht ohne mich, Seto! Ich will dabei sein, wenn Atemu wieder zu uns kommt. Ihr mögt zwar sein Cousin sein, aber ich bin noch immer seine beste Freundin und stehe euch deshalb in nichts nach, habt ihr verstanden? Unruhig begann er mit dem Fuß zu wippen. Wo blieb sie nur so lange? Er warf abermals einen Blick nach draußen. Die Sonnenscheibe hatte sich orange verfärbt. Allmählich strapazierte sie seine Geduld. Er war schon beinahe erleichtert, als er das Tappen hastiger Schritte vernahm. Schließlich kam Mana um die Ecke geschlittert. Während sie außer Puste nach Luft schnappte, stellte Seto mit hochgezogener Augenbraue fest, dass sie sich erneut umgezogen hatte. Nun trug sie ein wie üblich kurzes, weißes Kleid. In der braunen Mähne saß ein ebenfalls helles Haarband. Ein goldener Reif, der einer Schlange ähnelte, saß um ihren Oberarm. Ihre Augenlider hatte sie schwarz nachgezogen. Ein ebenfalls weißer Umhang wallte von ihren Schultern. „Können wir dann?“, keuchte sie, als wäre sie es gewesen, die die ganze Zeit gewartet hatte. Seto verkniff sich einen Kommentar und erwiderte stattdessen nur ein Nicken. Gemeinsam verließen sie den Palast und wanderten durch die Straßen der Stadt, die zu erwachen begannen. Tagsüber mieden auch die Ägypter die Sonne. Sobald sie verschwand, erblühte das Leben. Nun, da es kühler war, war es leichter, Tätigkeiten nachzugehen. Oder sich einfach nur zu treffen und zu plaudern. So fiel nicht wenigen auf, wer da durch die Masse schritt. Überall wurden Rufe laut. Und auch, wenn das Treiben auf den ersten Blick fröhlich erscheinen mochte, so war die Angst, die in den Herzen der Menschen saß, doch deutlich zu spüren. Sie fürchteten um ihre Häuser, ihr Hab und Gut, ihre Heimat... und ihr Leben. „Der Pharao! Verneigt euch vor unserem Herrscher, Sethos III.!“ Wo er hinsah, fielen Menschen auf die Knie und neigten das Haupt. Für ihn war dieser Anblick nie ungewöhnlich gewesen. Er war von klein auf mit dieser Art der Ehrerbietung aufgewachsen. Mana hingegen hüpfte kaum merklich von einem Bein auf das andere. Es schien ihr unangenehm zu sein, neben Seto herzulaufen und ebenfalls den einen oder anderen Gruß zugesprochen zu bekommen. Nervös hob sie hier und da die Hand. „Hör' auf“, zischte ihr Seto schließlich zu. „Tu' wenigstens so, als würdest du es gar nicht merken.“ Mana sah ihn verwundert an, bemühte sich dann jedoch, seiner Aufforderung folge zu leisten. Als sie in die Nähe eines Stadttors kamen, eilte ihnen ein Wachmann entgegen. Er verneigte sich tief vor Seto, ehe er berichtete. „Mein Pharao. Caesians Truppen scheinen einige Feierlichkeiten in ihrem Lager abzuhalten. Wir konnten weit und breit keinen einzigen Wachposten entdecken.“ Dem amtierenden Herrscher schoss durch den Kopf, dass sich der Feind seiner Sache wohl sehr sicher sein musste, wenn er sein Lager des nachts unbewacht ließ. Doch es sollte ihm nur recht sein. So würden sie unbemerkt in die Wüste hinaus gehen können. Warte nur, Caesian... das Feiern wird dir bald vergehen..., dachte er mit einem leichten Schmunzeln. „Eure Leibgarde steht bereit, unsere Späher haben Position bezogen. Sollte auch nur ein Krieger unseres Gegners das Lager verlassen, werdet ihr es umgehend merken und in die Stadt zurückkehren können.“ Zudem konnte die Stadt auf dieser Seite vom feindlichen Lager aus nicht eingesehen werden. Es bestand zwar noch immer die Möglichkeit, dass fremde Späher sie beobachteten, doch bis diese Verstärkung geholt hatten, wären sie längst wieder außer Reichweite. Sofern Anubis sein Versprechen hielt, und Atemu tatsächlich bei Sonnenuntergang auftauchen würde. Sie warteten bis zum letzten Moment, dann gab Seto den Befehl, das Tor zu öffnen. Umringt von der königlichen Leibgarde schritten sie aus der Stadt hinaus. Gras und Sand raschelten unter seinen Füßen, als er in die Wüste hinaus schritt. Der Stelle entgegen, an der die Sonne jeden Augenblick die Erde berühren würde. Er glaubte fast, Manas Herzschlag hören zu können. Oder war es sein eigener? Es wäre möglich. Zu viel stand auf dem Spiel. Es musste funktionieren. Und immerhin erwartete er nicht irgendjemanden. Mein Cousin..., schoss es ihm durch den Kopf. Schließlich gab er die Anweisung, stehen zu bleiben. Von hier aus hatten sie, soweit das Auge reichte, das Land im Blick. Mitten im unendlichen Wüstensand erstreckten sich die Leben spendenden Fluten des Nil. Üppige Vegetation spross zu beiden Seiten des Flusses. Das rote Licht der Sonne ließ die Wüste wie ein Meer aus Magma erscheinen. Und auch, wenn ihn das Leuchten blendete, so konnte er den Blick nicht von der gleißenden Scheibe wenden, die immer weiter dem Horizont entgegen sank. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde es so weit sein. Dann würde die Sonne in die Unterwelt eintauchen. Er ballte die Hände zu Fäusten. Lass' uns nicht im Stich!, schickte er ein stilles Stoßgebet zu dem Gott, der ihn angehört hatte. Ich flehe dich an... Die Sanddünen begannen, die grelle Scheibe zu verschlucken. Als sei die Erde ein lebendiges Wesen, vertilgte sie die Sonne auf's Neue, verbannte sie in die Unterwelt. Dann geschah es. Der Horizont begann, zu verschwimmen. Wie eine Fata Morgana mutete das Bild an, welches sich ihnen nun bot. Man hätte meinen können, es sei Wasser, dass fern aller physikalischen Gesetze in der Luft vibrierte. Sand und Himmel verschmolzen ineinander, umgeben von dem roten Glühen der untergehenden Sonne. Sie tanzten umeinander, als kämpften sie um die jeweilige Vorherrschaft. Setos Augen weiteten sich plötzlich. Dort, in mitten dieser Fata Morgana, erschien eine Gestalt. Noch war sie zu weit weg, um sie erkennen zu können. Doch für den Pharao bestand kein Zweifel. Es war Atemu. Mit wankenden Schritten lief er über den Wüstensand. Mana schüttelte ungläubig den Kopf. Es war tatsächlich wahr. Anubis hatte seine Kräfte genutzt und ihre Bitte erhört. Das dort war er. Der ehemalige Pharao Ägyptens, der das Land schon einmal vor großer Pein bewahrt hatte. Ihr Kindheitsfreund, der ihr soviel bedeutete, den sie so unendlich vermisst hatte. Der einzige, der ihr geblieben war, nachdem Mahad... Tränen rannen ihr Gesicht hinab, als sie los stürmte. Sie konnte nicht länger an sich halten. Dieser Moment war zu unglaublich, als dass sie eine Maske tragen wollte, die bescheide Freude vorgaukelte, wo unbändige Erleichterung herrschte. Der Sand knirschte unter ihren Füßen, während sie über ihn hinweg rannte. Längst hatte sie begonnen, seinen Namen zu rufen. Dann endlich fiel sie ihm um den Hals. Seine Haut war kalt, doch Mana war sich sicher, dass sie es bald nicht mehr sein würde. Sie schluchzte unter der Berührung, der ihr abermals verdeutlichte, dass sie nicht träumte. Als sie sich wieder von ihm löste, blickte sie in glasige Augen, die noch nicht realisiert hatten, was geschehen war. „Du bist wieder da...“, flüstere sie. Einen Moment lang schien es, als habe er sie nicht verstanden. Dann umspielte ein zaghaftes Lächeln Atemus Mundwinkel. „Ja... ich weiß...“ Mana schluchzte ergriffen, dann warf sie sich erneut um den Hals des ehemaligen Pharao. Es hatte lange gedauert, zu lange, bis sie endlich hatte akzeptieren können, dass er nicht mehr da war. Sie hatte ihm seine Ruhe gegönnt, zweifellos. Aber dennoch war es ein Verlust gewesen, ihn ins Totenreich gehen zu lassen. Sie war zu überwältigt von dem Augenblick, als dass sie gemerkt hätte, wie Seto neben sie trat. Erst als sie spürte, wie Atemu den Kopf hob, löste sie sich abermals von ihm. Auf den Zügen des amtierenden Herrschers lag ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte. War es Freude? Oder lag eine gewisse Scheu darin? Vielleicht sogar so etwas wie Nervosität? Schließlich verzogen sich Setos Mundwinkel zu etwas, das man als Lächeln bezeichnen konnte. „Willkommen zurück“, sagte er mit einer Stimme, die nicht annähernd so fest war wie sonst. Ein Nicken Atemus, dann ein gemurmelter Dank, ehe die Stimme eines Soldaten sie alle aus den Gedanken riss. „Pharao Sethos! Es scheint, als wären weitere Menschen gekommen!“ Etwas auf Setos Zügen sagte Mana, dass er nicht annähernd überrascht war, dies zu hören. Sie war es dafür umso mehr. Als sie dorthin blickte, wo Atemu her gekommen war, entdeckte sie in all dem Flimmern tatsächlich zwei Gestalten, die regungslos am Boden lagen. Und eine davon jagte ihr einen eiskalten Schauer den Rücken hinab. Wie war das möglich? „Aber... das ist doch...“ Verständnislosigkeit lag in ihren Augen geschrieben, als sie den Kopf ruckartig zu dem amtierenden Herrscher umwandte. Doch dieser mied ihren Blick. Stattdessen erteilte er einen Befehl, der verriet, dass er mit einem derartigen Ereignis gerechnet hatte. „Nehmt sie mit. Sie kommen vorerst im Kerker unter. Bis ich weiß, was ich mit ihnen machen möchte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)