Die Seele der Zeit von Sechmet (Yu-Gi-Oh! Part 6) ================================================================================ Kapitel 46: Hass ---------------- Inzwischen neigte sich der Tag dem Abend zu. Die Sonne begann nach und nach zu versinken, wobei sie das Land in rötliches Licht tauchte. Die Dünen, die Men-nefer umgaben, wirkten, als würden sie in Flammen stehen. Taisan ließ den Blick über die unendlichen Weiten der Wüste schweifen, während der Wind an seinen Gewändern zerrte. Caesian hatte ihn zuletzt auf die inzwischen wieder aufgebaute Stadtmauer hinauf geführt. In einiger Entfernung konnte er das Grün des Nilufers ausmachen, das in starkem Kontrast zum Rest der Landschaft stand. „Du hast kaum etwas gesagt, während ich dir alles gezeigt habe. Wie gefällt es dir hier?“, fragte Caesian schließlich in die abendliche Stille hinein. Sein Bruder schien einen Moment zu überlegen, dann nickte er. „Es ist wunderschön. Schöner als alles, was ich bislang erblickt habe. Dieses Land … es scheint so rein. So unbefleckt und gesund. Ganz anders als alles, was wir kannten.“ „Ich hatte dir doch versprochen, dass es uns eines Tages besser gehen würde, nicht wahr? Wie du weißt, halte ich mein Wort, Taisan.“ Erneut trat Schweigen zwischen sie. Caesians Blick wanderte nach einer Weile zu seinem Gegenüber. Die Sonne tauchte die weißen Gewänder, die er trug, in ihre warmen Farben. Auch die versilberte Maske auf seinem Antlitz zierte ein roter Schimmer. Der Gesichtsausdruck des Älteren wandelte sich langsam, während er seinen Bruder so betrachtete. Eine Frage hatte er bislang nicht gestellt. Nicht etwa, weil er sie vergessen hatte. Nein. Der Grund war ein anderer. Ein Teil von Caesian fürchtete die Antwort. „Wie geht es dir?“, sprach er die Worte dennoch aus. „Ich meine … hat sich irgendetwas verändert, seit wir uns zuletzt sahen?“ Taisan zögerte. „Nicht viel. Es geht mir gut“, erwiderte er schließlich. Der Andere legte die Stirn in Falten. „Was heißt ‚nicht viel‘? Ist es schlimmer geworden?“ Die Augen sahen ihn unter der Maske hervor prüfend an. Dann hörte Caesian ein Seufzen. „Im Gegenteil. Vor kurzem hatte ich noch Schmerzen. Ich dachte nicht, dass ich in der Lage sein würde, bald zu dir zu kommen. Doch kurz bevor ich aufbrach, ließen sie ebenso rasch nach, wie sie aufgetreten waren.“ „Aber … das ist doch gut, nicht wahr?“ „Ich denke, das ist es nicht, Bruder.“ Taisan unterbrach sich kurz und rieb seine Finger gedankenverloren aneinander, ehe fortfuhr: „Anstelle der Schmerzen spüre ich an einigen Stellen … nichts mehr. Meine Hände beispielsweise – sie sind taub. Gleich ob ich Nadeln hineinsteche oder sie in heißes Wasser halte, ich fühle nichts. Die Heiler sagen, dass diese Entwicklung zum gewöhnlichen Verlauf der Krankheit gehört. Es wird sich weiter ausbreiten, bis ich kaum noch etwas spüre – weder Schmerz, noch Hitze, noch Kälte. Zudem merke ich, dass ich nicht mehr so gut sehe, wie im letzten Sommer.“ Caesian wusste zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte, sodass er einfach schwieg. Das, was sein Bruder gesagt hatte, ging ihm aber dennoch durch den Kopf. „Was … was wird geschehen, nachdem du nichts mehr fühlst?“, flüsterte er schließlich. Taisan sah ihn wieder an. „Das ist nicht von Bedeutung. Noch nicht.“ „Du willst mich nicht beunruhigen. Dabei solltest du besser als jeder andere wissen, dass es gerade das Ungewisse ist, das mir Sorgen bereitet – besonders dann, wenn es dich betrifft.“ Es war still, ehe der Jüngere wieder das Wort ergriff. „Es ist in mir, Caesian. In meinen Adern. Es zerstört meine sterbliche Hülle, Stück für Stück. Irgendwann werde ich noch schwächer sein, als ich es heute ohnehin schon bin. Wenn eintrifft, was die Heiler sagen, dann werde ich irgendwann weder gehen, noch sprechen können.“ Taisan wandte den Blick wieder von seinem Gegenüber ab. „Wenn es soweit ist, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich diese Sphäre verlassen werde.“ Caesian biss sich auf die Unterlippe. Er wusste es, seit dem Tag kurz nach der Geburt seines Bruders, als man festgestellt hatte, dass das Kind nicht gesund war. Und dennoch fürchtete er den Augenblick, da er alleine auf dieser Welt zurückbleiben würde, mehr als alles andere. Mehr als die schlimmste Niederlage. Mehr als seinen eigenen Tod. Schließlich rang er sich dazu durch, die Gedanken beiseite zu schieben und legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter. „Dieser Tag ist noch fern. Es wird dir hier gut gehen, Taisan – besser, als du es jemals in unserer Heimat hattest. Die Luft hier ist so klar, das Wasser nicht verseucht, die Straßen sauber. Wir haben unser Paradies gefunden, Bruder, und wir werden es nach deinen Wünschen gestalten. Was auch immer du begehrst, ich werde dafür sorgen, dass es in Erfüllung geht.“ Und ich werde alles daran setzen, die verbleibenden Relikte zu finden. Es muss eine Möglichkeit geben, dir zu helfen. Sie können es mit Sicherheit, fügte er in Gedanken hinzu. Taisan war schon immer ein nachdenklicher Mann gewesen. Auch jetzt schien er wieder genau zu überlegen, ehe sprach. „Ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen. Doch eine Frage gibt es, die mir keine Ruhe lassen will.“ „Dann sprich!“, forderte Caesian ihn freundlich lächelnd auf. „Auch, wenn ich nie zuvor einen Blick auf dieses Land erhascht habe, so ist es mir doch nicht unbekannt. Als du hierher kamst, hatte dieses Land einen Regenten.“ Mit einem Mal fixierten seine Augen den Älteren – mit einem bohrenden, unnachgiebigen Ausdruck in ihnen. „Was, Bruder, ist mit ihm geschehen, dass du nun an seiner statt regierst? Was ist passiert? Zuerst hast du nur mit einem kleinen Tross das Land verlassen, ehe du nach einem Großteil unserer Truppen schicktest – warum?“ Caesian stockte, etwas, das er selten tat. Doch mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Und er wusste nicht, wie er sie beantworten sollte. Der Grund dafür war ebenso simpel, wie problematisch: Seit er denken konnte, war sein Bruder jemand gewesen, der Gewalt verabscheut hatte. Er sann viel darüber nach, warum sie überhaupt existierte. Taisan suchte, so schien es, sein Leben lang nach der Antwort auf diese Frage. Welchen Sinn all das Leid hatte. Er erinnerte sich noch gut an einen der letzten Abende, den er mit seinem Bruder verbracht hatte, ehe er nach Ägypten aufgebrochen war. Er hatte am Balkon des heimischen Palastes gestanden, während sein Blick über die Stadt schweifte. Es war eine Nacht gewesen, in der Caesian abermals Kämpfe in den Straßen beenden musste – gewaltsam. Die Worte, die Taisan damals geäußert hatte, kamen ihm nun wieder in den Sinn. “Sieh es dir an, Bruder.“, forderte Taisan ihn auf, während noch immer Feuer in einem der äußeren Stadtteile brannten und den schwarzen Himmel surreal erleuchteten. “Gleich, wohin wir blicken, überall ist Schmerz. Blut wird vergossen, jeden einzelnen Sonnenlauf unseres Daseins. Und wofür? Nur um einen weiteren Tag zu erleben, an dem wir wieder töten. Es ist ein Teufelskreis. Doch die Menschen sind zu blind, um dies zu erkennen. Alle Probleme lösen sie mit Gewalt, und schaffen dabei zugleich neue, die ebenfalls nur mit dem Schwert zu bewältigen sind – oder zumindest glauben sie das. Stell dir nur einmal vor, wie einfach es wäre, all dieses Leid zu beenden. Wenn nur irgendjemand sagen würde ‚Es ist genug‘ und die Waffe nicht erheben würde. Wenn alle einmal nicht nur an sich und ihren Vorteil denken würden … wir hätten so eine schöne Welt. Doch stattdessen zerstören wir sie, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.“ Caesian trat schließlich neben ihn und stützte sich auf der Brüstung des Balkons ab. „Taisan … so einfach ist es nicht“, begann er. „Die Konflikte, die unser Land zermürben, sind gewachsen. Sie reichen zu weit zurück, die Menschen, die sie ausfechten, sind zu verbittert. Gleich, wie einfach es ist, sie werden nicht aufhören, einander Leid zuzufügen.“ „Vielleicht muss nur jemand den Anfang machen“, erwiderte Taisan und warf seinem Bruder dabei einen langen Blick zu. Der Ältere seufzte. „Das geht nicht. Diese Leute lassen nicht mit sich reden. Die einzige Sprache, die sie verstehen, ist die der Gewalt. Es ist nötig, sie auszulöschen, damit das Paradies, von dem du sprichst, vielleicht eines Tages wahr werden kann. In dieser Welt gibt es keinen anderen Weg – nicht mehr.“ „Aber wie lange wird das noch dauern? Und wie viel Blut muss bis dahin noch vergossen werden? Ich verstehe, was du sagen willst, Caesian. Wirklich. Doch welche Früchte trägt dieses Vorhaben, wenn für jeden Kopf der Schlange, den wir abschlagen, zwei neue nachkommen? Es ist, als kämpften wir gegen einen übermächtigen Feind – als stellten wir uns der Finsternis und Grausamkeit selbst.“ Er seufzte. „Manchmal, so wie heute, Bruder, bedauere ich nicht, dass dieses Gift durch meine Adern rinnt.“ Caesian sah ihn perplex an. „Wie … wie darf ich das verstehen?“ Er war sich nicht sicher, doch er glaubte, dass Taisan unter seine Maske lächelte, als er ihm antwortete. "Es gibt Tage, da glaube ich, dass mir all das Leid zu viel wird. Es ist, als laste es auf meiner Brust und drückte mir die Luft aus dem Körper. Ich blicke hinab auf die Stadt und sehe so viel Schmerz. Ein endloses, dunkles Meer, das scheinbar kein Ende hat. An Tagen wie diesen, Caesian, wünsche ich mir, dass mich die Krankheit endlich dahinrafft.“ Dieses Gespräch hatte den Älteren zutiefst erschüttert. Umso unsicherer war er nun. Was sollte er Taisan antworten? Er hatte sich dieses Land mit dem Mittel genommen, dass sein Bruder so sehr verabscheute – mit Gewalt. Ja, der Jüngere war durchaus in der Lage, zwischen nötigem und unnötigem Leid zu unterscheiden. Auch er wusste, dass sich manche Menschen nie eines Besseren belehren lassen würden, dass es keine andere Möglichkeit gab, als sie aus dem Weg zu räumen – zum Wohle all derer, die sich nach Frieden sehnten. Und trotzdem bedauerte Taisan jeden einzelnen Tod, gleich ob den von Freund oder Feind. Doch Caesians Taten waren nicht zum Wohl der Allgemeinheit erfolgt. Er hatte niemandem einen Gefallen getan, als er in Ägypten einmarschiert war – außer seinem Bruder und sich selbst. Schließlich entschied er sich, nochmals das aufzugreifen, was er Taisan erzählt hatte, ehe er das Land verließ, um die Stille nicht zu lang werden zu lassen. Sein Gegenüber hätte sonst Verdacht geschöpft. „Wie du weißt, kam ich hierher, um einen Heiler aufzusuchen, von dem es hieß, dass er der begabteste Mann sei, der je gelebt hat – damit er dir helfen kann. Doch als ich nach Ägypten kam, war ich entsetzt. Nichts von dem, was ich über dieses Reich gehört hatte, traf noch zu. Wie sich herausstellte … hatte sich kurz vor meiner Ankunft ein Mann namens Atemu des Thrones bemächtigt und König Setos ermordet.“ Die Worte sprudelten einfach so aus ihm heraus. Er wusste nicht, woher diese Geschichte stammte, sie kam ihm schlagartig in den Sinn. Innerlich zerriss es ihn. Er wollte nicht lügen. Doch er wusste, dass er Taisan das Land des Friedens, das er sich so sehr wünschte, nicht anders geben konnte – ebenso wenig wie du Chance, doch noch geheilt zu werden. „Atemu? Wenn ich mich recht entsinne, trug der Herrscher, der Setos vorausging, den gleichen Namen.“ Caesian nickte rasch. „Ja. Dieser Mann, Bruder, ist dem Wahnsinn verfallen. Er sagt, er sei derselbe König – was vollkommen unmöglich ist, denn Atemu ist nicht mehr, mögen die Götter ihn selig haben. Er unterjochte die Menschen, richtete jeden hin, der seine Meinung nicht teilte. Viele schlossen sich ihm an, aus Angst, sonst ihr Leben oder das ihrer Lieben zu verlieren. Ich musste nach dem Heer schicken, Taisan – zum Wohl des ägyptischen Volkes.“ Wieder folgte Stille. Diesmal jedoch länger und drückender, als zuvor. Irgendwann hielt Caesian die Anspannung nicht mehr aus. „Ich spreche die Wahrheit. Du glaubst mir doch … oder?“ Es blieb weiterhin still – bis plötzlich eine dritte Stimme das Schweigen brach. „Die Worte Eures Bruders sind wahr, königliche Hoheit.“ Die Geschwister wandten sich überrascht um. Caesian erkannte den Mann, der gesprochen hatte, auf der Stelle: Es war niemand anderes als Keiro, der scheinbar zufällig vorbeigekommen war und die Worte des Tyrannen vernommen hatte. „Darf ich fragen, wer Ihr seid?“, erkundigte sich Taisan bereits, ehe sein Bruder etwas sagen konnte. Sein Gegenüber war im ersten Moment ob der Höflichkeitsform leicht überrascht. Da schien ja wenigstens einer in der Familie Manieren zu haben. „Gewiss. Mein Name ist Keiro. Ich bin in Ägypten geboren und aufgewachsen und kenne daher die dunkle Seite unserer Regenten. Seine Majestät spricht die Wahrheit. Er hat uns erlöst, als der König, der sich Atemu nannte, dabei war, dieses Land dahinzuraffen – und seine Bewohner mit ihm.“ Caesian war verblüfft. Mehr als das. Doch er ließ den Anderen gewähren. Scheinbar hatte er sich kein bisschen in Keiro getäuscht. „Ich würde gerne mehr hören“, entgegnete Taisan nach kurzer Pause. „Ich zweifle nicht an den Worten meines Bruders. Doch er ist kein Ägypter. Ihr hingegen seid es. Euer Blickwinkel ist ein anderer.“ „In der Tat“, stimmte Keiro zu. „Es ist viel geschehen – zu viel, als dass ich von allem erzählen könnte. Denn die Dunkelheit brachte nicht nur unser letzter Regent über uns. Nein, auch seine Vorgänger waren nicht besser. Ich bekam dies am eigenen Leib zu spüren – unter der Herrschaft von König Aknamkanon, dem Vater Pharao Atemus.“ Taisan sah ihn prüfend an. „Wärt Ihr bereit, mir davon zu erzählen?“ „Gewiss“, entgegnete Keiro und trat näher, ehe er sich an die Stadtmauer lehnte und seinen Blick über die Wüste schweifen ließ, so als sortiere er seine Gedanken. „Ich war noch jung. Sehr jung, um genau zu sein, gerade einmal ein paar Sommer alt. Mein Bruder, unsere Eltern und ich lebten in einem kleinen Dorf, das etwa einen halben Tagesritt entfernt vom Tal der Könige liegt. Sein Name war Kul Elna. Viele von dort waren sehr arm. Um ihre Familien zu ernähren zogen die Männer immer wieder in die Nekropole oder nach Theben und stahlen. Sie fügten jedoch nie einem Menschen Leid zu und nahmen in der Stadt alles stets nur von Leuten, die genug hatten. Und obgleich wir nie reich waren, manchmal gar hungern mussten oder nachts erbärmlich froren, war es ein schönes Leben. Doch dann kam diese verhängnisvolle Nacht.“ Er brach kurz ab. Er schloss die Augen. Was in diesem Moment in ihm vor sich ging, bekamen die beiden anderen Männer nicht mit. Dann fuhr er fort: „Ich … ich wusste lange Zeit nicht, was der Grund dafür war, dass man uns angriff. Erst … später … erfuhr ich, dass die Leute, die unser Dorf überrannten, Soldaten von König Aknamkanon waren. Er … er sah sich mit einem gewaltigen Heer konfrontiert, das auf Ägypten zu marschierte. Sein Bruder … er war sehr belesen und hatte in einigen alten Schriften von einem Zauber erfahren, mit dem man Gegenstände herstellen konnte, die ihrem Träger große Macht verliehen. Doch um an sie heran zu kommen …“, er schluckte schwer, „… brauchte es Blutopfer. Jede Menge davon. Die Seelen von … Menschen.“ Keiro hatte die letzten Worte regelrecht ausgespuckt. Er griff sich an den Kopf. Für Caesian und Taisan wirkte es, als suchten ihn die Erinnerungen heim. Keiner von beiden ahnte, was wirklich geschah. „Aknamkanon ahnte, dass der Zauber eine dunkle Seite hatte. Und dennoch ließ er seinem Bruder freie Hand. Akunaden war Kul Elna ein Begriff. Er kannte die Zahl der dort lebenden Menschen. Es waren gerade genug für sein Vorhaben. Zudem befand sich das Dorf weit genug entfernt von Theben, um kein Aufsehen zu erregen. Wenn irgendjemand zufällig dort vorbeikommen und feststellen würde, dass dort niemand mehr war, würde er davon ausgehen, dass eine Räuberband dort gewütet hätte oder der Ort aufgegeben worden wäre. So zog Akunaden in dieser verhängnisvollen Nacht mit den Soldaten des Königs aus.“ Keiro bemerkte nicht, wie er immer schneller erzählte. „Sie kamen in unser Dorf … sie metzelten jeden Einzelnen nieder. Einen nach dem Anderen und warfen sie in einen Behälter. Er … er war nicht groß, gerade einmal zwei, drei Leichen hätten vielleicht hinein gepasst und dennoch verschwand jeder einzelne Körper darin. Sie wurden mit der Hilfe dunkler Magie zu einer goldenen Flüssigkeit. Diese wurde schließlich in die Form der Milleniumsgegenstände gegossen. Niemand entkam in dieser Nacht der unersättlichen Machtgier des Königshauses, außer meinem Bruder und mir. Ich habe seitdem viele Ausreden gehört. Man habe es zum Wohle des Volkes getan; Opfer müssten immer gebracht werden, doch so wären sie vergleichsweise gering geblieben. Aknamkanon erfuhr später von dem, was sich in meiner Heimat zugetragen hatte, doch es wurde einfach totgeschwiegen. Er hatte noch nicht einmal den Anstand, sich öffentlich zu entschuldigen. Weder er, noch sein Sohn, noch dessen Vetter, der regierte, ehe der wahnsinnige König Einzug hielt. Ich kann es nicht mehr ertragen.“ Als Keiro geendet hatte, ging sein Atem schneller. Ihm war nicht gut. Dennoch nahm er sich noch einmal zusammen. „Glaubt mir, wenn ich Euch sage, mein Herr, dass die Regentschaft Eures Bruders das Beste war, was Ägypten geschehen konnte. Denn die Blutlinie, die bislang auf dem Thron saß, war seit jeher verdorben.“ Als Stille eintrat, sah Taisan sein Gegenüber einen Moment lang forschend an. „Ich danke Euch dafür, dass ich Eure Geschichte hören durfte, obgleich es Euch solche Qualen bereitet, darüber zu sprechen. Auch, wenn es nichts ändert, möchte ich Euch sagen, dass mir das, was Euch und Eurer Familie, Euren Freunden widerfahren ist, überaus leid tut.“ Keiro nickte knapp. „Danke. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, Euer Majestät … es hat mich mehr angestrengt, davon zu erzählen, als ich dachte.“ Damit wandte er sich ab und ging in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Als Caesian und sein Bruder schließlich außer Sichtweite waren, ließ er sich gegen die Mauer sinken und rutschte daran herab. Inzwischen umklammerte er den Kopf mit beiden Händen. Bakura hatte ihm niemals erzählt, weswegen genau er solch eine Wut auf Atemu hegte. Ehe es dazu kommen konnte, hatten sie sich dermaßen zerstritten, dass sie kaum noch ein Wort miteinander wechselten. Keiro hatte die ganze Geschichte mit allen Hintergründen nie erfahren. Und dennoch kannte er sie nun. Wie aus dem Nichts wusste er, was sich in Kul Elna abgespielt hatte. Es ergab alles Sinn. Atemus machtgieriger Vater, sein skrupelloser Onkel, dessen ebenso verdorbener Sohn, der Pharao selbst … und Risha, ohne deren Anwesenheit sie dieses Unglück nicht ereignet hätte. Es hätte ein anderes Dorf getroffen, dessen war er sich vollkommen sicher. Keiro schwor sich, dass er gleich, nachdem er Risha getötet hatte, auch den Pharao und seinen Vetter umbringen würde. Die Nacht war längst herein gebrochen. Inzwischen zeichneten sich die Sterne deutlich am dunklen Himmel ab. Der Mond warf sein Licht auf die Wüste hinab und erhellte sie. Yugi und seine Freunde saßen am Fuß einer Düne beisammen. Es war noch nicht lange her, dass sie ein Lager errichtet hatten. Sie hatten zunächst gewartet, bis Diabound von seinem Erkundungsflug zurückgekehrt war und berichtet hatte, dass Caesians Truppen ihren Marsch für heute beendet hatten. Erst dann hatten sie sich, aller Vermutungen zum Trotz, getraut, ihr Lager aufzuschlagen und ein Feuer zu entfachen, das sie die Nacht über wärmen sollte. Die erste Wache hatten einige Schattentänzer übernommen, doch Duke und Tristan hatten Riell angeboten, später zwei von ihnen abzulösen. Begründet hatten sie es damit, so auch ihren Beitrag leisten zu können, nachdem sie keine Ka-Bestien besaßen. Bislang hatte in der kleinen Gruppe kaum jemand ein Wort gesagt. Die Sorge um Atemu, der noch immer nicht zu ihnen aufgeschlossen hatte, saß zu tief. Yugis Blick wanderte zum Kamm einer nahen Düne, wo Mana unruhig auf- und abschritt, während sie immer wieder in die Ferne sah. „Meint ihr, es geht ihm gut? Und Kipino?“, äußerte Ryou schließlich in die Stille hinein. „Was ist denn das für eine blöde Frage? Natürlich ist bei ihnen alles okay!“, erwiderte Joey. „Wir reden hier von Atemu. Der ist nicht so leicht unterzukriegen.“ „Ich hoffe, du hast Recht“, seufzte Tea. Sie sah auf, als sie bemerkte, wie Risha die Düne emporschritt, auf der Mana schon seit einiger Zeit herumlief. Auch sie suchte den Horizont nach irgendeinem Lebenszeichen ab. Doch sie blieb ebenso erfolglos. War ihnen vielleicht irgendetwas zugestoßen? Hatte Caesian sie entdeckt und gefangen genommen? Und wenn dem so war, hatte er damit ein weiteres Relikt in seine Finger bekommen? Sie biss sich auf die Unterlippe. Atemu und Kipino waren etwa zur selben Zeit Richtung Men-nefer aufgebrochen, als sich der restliche Widerstand gen Süden aufgemacht hatte. Sie waren lediglich zu zweit und auf Pferden unterwegs, das bedeutete, sich waren in der Lage, deutlich schneller voran zu kommen, als ihre Verbündeten. Verdammt, selbst wenn sie Caesians Heer in einem besonders großen Bogen umgingen, müssten sie inzwischen eingetroffen sein! Risha schnaubte und wandte sich ab. Kurz glitten ihre Augen suchend über das Lager, dann erblickte sie ihn – er saß wie immer ein gutes Stück abseits. Zielstrebig steuerte sie auf ihn zu und sah bereits von weitem, wie er die Augen verdrehte, als sie auf ihn zukam. „Was ist jetzt schon wieder? Für’s Protokoll, mir ist immer noch scheißegal, wo Keiro ist“, begrüßte Bakura sie, kaum, da sie ihn erreicht hatte. „Darum geht es mir nicht“, erwiderte sie, ohne sich dabei auf seine Augenhöhe zu begeben. „Du musst Diabound nochmal losschicken. Wir müssen endlich wissen, wo sich der Bastard und mein Schattentänzer befinden.“ Ein Glucksen. „Und warum sollte ausgerechnet mich der Verbleib von diesen Maden interessieren?“ „Weil du ebenso gut wie ich weißt, dass wir den Krieg ohne ihn nicht gewinnen werden. Nicht mit den Mitteln, die wir haben.“ „Das sind ja ganz neue Töne.“ „Es ist lediglich die Wahrheit. Mir ist nicht wohl dabei, aber es lässt sich nicht leugnen. Ich tröste mich damit, dass man ihn hinterher immer noch umbringen kann.“ Auf Bakuras Lippen zeigte sich ein Schmunzeln. „Glaub mir, du würdest kläglich scheitern. Es bedarf schon mehr als eines alten, geflügelten Gauls, um den Auserwählten der Götter zu besiegen.“ Rishas Mine war kurz säuerlich, dann zog auch sie einen Mundwinkel nach oben. „Hm … vielleicht werde ich deinen Rat beherzigen – immerhin weißt du ja, wovon du sprichst, nachdem dein Plan beim letzten Mal schief ging.“ Plötzlich wirkte der Grabräuber nicht mehr so amüsiert. Stattdessen starrte er sie finster an. Sie musste sich ein Grinsen verkneifen. „Also, was ist je…“ „Majestät! Da kommt jemand! Ich glaube, es ist der Pharao!“ Sofort wandten sich alle Köpfe zu dem Wachtposten um, der die Worte gerufen hatte. Die Gruppe um Yugi war augenblicklich auf den Beinen und eilte zu Mana auf die Düne hinauf. „Tja, sieht so aus als hätte sich das erledigt. Kann ich dann wieder meine Ruhe haben?“ Risha warf ihrem Vetter auf die Bemerkung hin einen bösen Blick zu, dann setzte sie sich ebenfalls in Bewegung. Riell schloss sich ihr auf halbem Weg an. Gemeinsam schritten sie die Erhöhung empor – und erstarrten, kaum, da sie ihren Kamm erreichten und Atemu entdeckten. Zwei Pferde – aber nur ein Reiter. Und ein mannsgroßes Bündel auf dem Rücken eines der Tiere. Rishas Blut gefror zu Eis. Nein. Nein, nein, nein, nein, nein. Nicht … nicht schon wieder. Nicht schon wieder einer von ihnen. Und nicht Kipino! Allen voran nicht Kipino! Es war sicher ein Irrtum. Der Schattentänzer war nur nicht bei ihm, lediglich … woanders. In dem Bündel war vielleicht das Relikt. Ein abstrus großes Relikt. Das würde doch zu Horus passen, nicht? War er nicht so etwas wie der Urvater aller Pharaonen? Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, doch sie glaubte ihn nicht einen Wimpernschlag lang. Besonders dann nicht mehr, als Atemu langsam, zitternd von seinem Pferd stieg und das Bündel vom Rücken des zweiten Tieres hob. Er kam auf sie zu, behutsam, als trage er die bedeutendste Fracht dieser Sphäre. Als er sie erreicht hatte, legte er es vor ihr in den Sand, vorsichtig, als habe er Angst, den Inhalt noch weiter zu beschädigen. Dann richtete er sich auf und suchte ihren Blick, doch Rishas Augen blieben an den Leinentüchern haften, die vor ihr im Staub lagen. Sie hörte ihn sprechen. Die Worte klangen, als wäre er weit entfernt. Ein heller, pfeifender Ton blendete ihn beinahe vollkommen aus. Sie verstand ihn nicht. Wollte es auch nicht. Dennoch riss er sie irgendwann in das Hier und Jetzt zurück. „… Risha …“ „Was hast du getan?“ Ihre Stimme brach. Und dennoch verfehlten die Worte ihre Wirkung nicht. Die Anklage, die in ihnen mitschwang, war deutlich zu hören. Schließlich löste sich ihr Blick von dem Bündel, ihr Kopf ruckte nach oben – und ihre Augen fixierten Atemu mit solchen Hass, dass er beinahe ein Stück zurück gewichen wäre. „Was hast du getan?“ Diesmal war ihre Stimme laut und von Wut erfüllt. Sie bebte am ganzen Leib. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, so fest, dass Blut zwischen ihren Fingern hervor quoll. Der Pharao hielt ihrem bohrenden Blick stand, als er antwortete. „Caesians Soldaten … ein Spähtrupp, um genau zu sein … sie haben uns …“ „Caesians Soldaten? Ein Spähtrupp?“, den zweitem Satz schrie sie, „Du willst mir allen Ernstes erzählen, ein verdammter Spähtrupp hätte Kipino, einem Schattentänzer, das angetan?“ „Was … was ist passiert?“, hörte sie Riell gezwungen beherrscht sagen. Atemu wandte seine Augen von ihr ab, vielleicht dankbar, stattdessen nun ihren Bruder ansehen zu können. „Ich habe im Nil nach dem Relikt suchen müssen“, begann er. „Kipino hat derweil Wache gehalten. Als ich … als ich zurückkam und ihm das Artefakt zeigte, da ist er vor Freude aufgesprungen. Dann … hat ihn plötzlich ein Pfeil getroffen und sein Herz durchbohrt. Ich konnte nichts mehr tun …“ Er spürte, wie ihm mit einem Mal Tränen die Wangen hinab liefen. Doch es interessierte ihn nicht. Er ließ ihnen einfach freien Lauf. „Es tut mir … so furchtbar leid.“ „Das ist eine Lüge.“ Sein Blick wanderte wieder zu Risha. „Nein“, sagte er bestimmt. „Und ob es das ist. Kipino hat also Wache gehalten? Wie kann es dann sein, dass ihm und Firell entgangen ist, wie sich ein Spähtrupp näherte?“ „Risha …“ „Halt die Schnauze, Riell! Wie blind bist du eigentlich? Ich habe es immer gesagt aber nein, du wolltest ja nicht hören! Der Pharao ist nicht unser Feind, Vielleicht haben wir endlich die Chance, neu anzufangen, Bestimmt können wir, wenn das hier vorbei ist, all die Unstimmigkeiten zwischen uns und Men-nefer begraben“, äffte sie seine Worte nach. „Das alles ist absoluter Schwachsinn! Er hat Kipino darum gebeten, ihn zu begleiten, und nun ist er tot! Vielleicht hat er es nicht selbst getan, das mag sein, aber dann hat er ihn zumindest den Kopf für sich selbst hinhalten lassen! Er trachtet uns nach wie vor nach dem Leben! Alles, was wir für ihn sind, ist ein Mittel zum Zweck! Jetzt kann er uns vielleicht noch brauchen, aber sobald Caesian besiegt ist oder es sich sonst irgendwie anbietet, wird er sich unserer entledigen! Wer weiß, was Kipino herausgefunden oder gesehen hat! Wach endlich auf, Riell, er ist ebenso unser Feind wie dieses Monster, das jetzt auf dem Thron sitzt!“ „Ki… Kipino ist …?“ Alle Augen wanderten zur Quelle der gebrochenen Stimme. Samira war unbemerkt hinzugekommen. Sie hatte direkt hinter Risha gestanden und ihren Wutausbruch mitbekommen. Sie sah ihre beiden Oberhäupter mit einem verwirrtem Blick an, in dem zugleich ein Flehen lag – darum, ihr zu sagen, dass sie sich verhört hatte, dass es nicht wahr war. Dass alles gut war und sie sich keine Sorgen machen brauchte. Dann erblickte sie plötzlich das Bündel und begriff, dass die ersehnten Worte nicht kommen würden – denn sie hatte sich nicht getäuscht. Es war, als hätte ihr jemand heißes Wasser in die Adern gegossen. Zugleich wurde ihr unbeschreiblich kalt. Ihre Kehle schnürte sich zu, die Brust fühlte sich an, als habe jemand allen Atem aus ihr herausgepresst. Ihre Sicht verschwamm, als ihr Tränen in die Augen stiegen und ihre Wangen hinabrannen. „Nein!“, brüllte sie und stürzte an Risha vorbei. „Nein, nein, nein! Kipino!“ Sie schrie seinen Namen in die Nacht hinaus, als sie neben dem Leichnam zusammensackte und das Gesicht in den Händen vergrub. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie auf Knien herumfuhr und Atemu anging. „Du … du verfluchter Mörder!“ „Sam!“, versuchte Riell sie zur Besinnung zu bringen. Doch der Versuch sollte vergeblich bleiben, da Risha prompt dazwischen ging. „Wage es nicht, sie zu maßregeln!“, zischte die Blonde und baute sich nun vor ihrem Bruder auf. „Sie spricht nichts als die Wahrheit.“ „Sie tut nichts dergleichen – ebenso wenig wie du! Nicht ich bin derjenige von uns, der verblendet ist! Du verrennst dich in deinen Hass gegen das Königshaus! Atemu hat nichts getan! Gar nichts! Es hätte ebenso gut ihn treffen können!“ Rishas Antwort war ein gehässiges, kurzes Lachen. „Das glaubst du wirklich?“ „Allerdings!“ „Das bedeutet, du traust diesem dahergelaufenen Bastard mehr, als deinem eigenen Blut?“ „Das Eine hat mit dem Anderen rein gar nichts zu tun! Hier geht es nicht um Vertrauen, sondern um gesunden Menschenverstand – den du scheinbar irgendwann im Lauf dieses Krieges zugunsten von Paranoia abgegeben hast! Wir stehen auf derselben Seite! Was für einen Grund hätte er gehabt, Kipino absichtlich in Gefahr zu bringen oder gar zu töten?“ Seine Schwester schüttelte fassungslos den Kopf. „Kriech ihm weiter so in den Hintern und man wird bald nicht mal mehr deine Füße sehen …“ „Risha, es reicht!“ „Da hast du Recht! Es ist genug! Unser Clan hat schon viel zu lange den Kopf für ihn hingehalten! Das …“, sagte sie und deutete dabei auf Kipinos Leiche, „… war das letzte Mal, dass einer von uns sein Blut für diese Missgeburt vergossen hat!“ Damit wirbelte Risha herum und wandte sich an die Schattentänzer, die inzwischen näher gekommen waren, um zu erfahren, was geschehen war. „Packt zusammen! Wir brechen auf!“, wies sie sie an und machte Anstalten, ebenfalls ins Lager hinab zu gehen. Doch Riell riss sie plötzlich am Arm zurück. „Das ist nicht deine Entscheidung!“, schrie er. Im nächsten Moment zuckte er zusammen. Sie hatte ihm ins Gesicht gespuckt und sich anschließend losgerissen. „Fass mich nicht an“, zischte sie. „Wir gehen. Es mag nicht meine Entscheidung sein, aber es ist die ihre! Ich gehe und wenn sie mir folgen wollen, so ist das ihr Recht!“ Sie wandte sich zum Gehen, ehe sie sich noch einmal umdrehte. „Aber vorher …“ Sie zückte blitzschnell einen Dolch von ihrem Gürtel und fuhr herum. Doch ehe sie auch nur in Atemus Nähe kommen konnte, sprang Seto dazwischen. „Oh nein, das wirst du nicht tun!“, rief er entschlossen und blockierte ihren Angriff mit seiner eigenen Waffe, während er ihr demonstrativ den Weg versperrte. Die Schattentänzerin lachte kalt. „Du willst mich aufhalten? Versuch‘ es doch!“ Da durchzuckte plötzlich ein greller Lichtblitz die Nacht und der weiße Drache erschien direkt vor ihr. Sie taumelte augenblicklich einige Schritte zurück. Das Monster stieß einen wütenden Schrei aus und zeigte die langen, weißen Zähne, die an Messer erinnerten, während es sich zu voller Größe aufrichtete. „Keinen Schritt weiter“, wies Seto sie ruhig, aber bestimmt an. „Oder du wirst es bereuen.“ Rishas Blick bohrte sich in den des Hohepriesters. „Du … wagst es?“ Ein weiterer Lichtblitz war zu sehen, dann stand der Sand um sie herum in Brand. Mit einem bestialischen Schrei erhob sich Cheron aus dem Feuer – und brachte die Umstehenden zum Stocken. Das Monster hatte sich vollkommen gewandelt. Das weiße Fell und die roten Federn waren nun pechschwarz. Die einst schönen, orangefarbenen Augen waren blau, der Blick eiskalt und unerbittlich. Flammen von gleicher Farben brachen aus seinem Nacken, bildeten den Schweif und umspielten die mächtigen Schwingen. Spitze Eckzähne von der Länge eines menschlichen Arms blitzten im Licht des Mondes auf, ebenso wie ein langes Horn auf der Stirn. Der ganze Körperbau des Hengstes erinnerte nun mehr an ein Raubtier, als an ein Pferd. Zudem war die Bestie beträchtlich gewachsen. Risha reichte ihr gerade einmal bis zum Knie. Der weiße Drache überlegte nicht lange. Mit einem Aufschrei stürzte er sich auf den Gegner. Cheron entging dem Angriff und stieß sich vom Boden ab. Sein Kontrahent folgte im auf der Stelle. Die Monster gewannen zunächst an Höhe, dann gingen sie abermals aufeinander los. Während die gigantische Echse einen Lichtblitz nach dem anderen verschoss, konterte der Pegasus mit Feuersbrünsten. Als keiner von beiden nach einer Weile einen entscheidenden Treffer gelandet hatte, ging der weiße Drache schließlich in den Nahkampf über. Er schloss die Distanz zwischen sich und Cheron, während er den Angriffen des Gegners auswich. Als er ihn erreicht hatte, schnappte er nach dem Hengst und bekam ihn an einem Hinterlauf zu fassen. Er riss ihn herum – und schleuderte ihn dem Erdboden entgegen. Der Pegasus versuchte, den Aufprall abzumindern, doch die Wucht seines Fluges war zu stark. Letztlich krachte er unter einem Aufschrei in den Wüstensand. Doch so einfach würde er sich nicht bezwingen lassen. Unbändiger Hass pulsierte durch die Verbindung zu Risha in ihm. Kaum, da er aufgeschlagen war, wollte er auf die Beine kommen – nur im nächsten Moment zurück in den Staub gedrückt zu werden. Als der Dunst, den sein Einschlag aufgewirbelt hatte, zurückwich, erkannte er auch, warum. „Anwaar“, zischte Cheron. Der goldene Drache hatte einen Fuß auf die übereinanderliegenden Flügel der anderen Ka-Bestie gesetzt. Mit den mächtigen Klauen hingegen presste er Schultern und Hals des Pegasus nach unten. Risha fuhr augenblicklich herum. Riell sah sie an und gab ihr alleine mit seinem Gesichtsausdruck zu verstehen, dass Anwaar ihr eigentlicher Gegner sein würde, wenn sie Cheron nicht auf der Stelle zurückrief. Ein Augenblick, der sich wie die Ewigkeit selbst anfühlte, verstrich, während sich die beiden Geschwister einfach nur anstarrten. Dann durchzuckte abermals ein Blitz die Nacht und der Pegasus verschwand in der Seele seiner Trägerin. Die wiederum kehrte noch einmal zu Riell zurück, wobei sie ihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ. Als sie ihn erreicht hatte, war ihre Stimme lediglich ein kaltes Flüstern. „Möget ihr alle, aber du ganz besonders, auf ewig rastlos in der jenseitigen Welt umherwandern.“ Damit wandte sie sich um und ging. Es dauerte nicht lange, da sah Riell ein einzelnes Pferd vom anderen Ende des Lagers aus in die Nacht hinaus preschen. Kisara saß an dem vergitterten Fenster ihres Gemachs. Das Essen, das man ihr einige Zeit zuvor gebracht hatte, stand weitestgehend unberührt auf einem kleinen Tisch. Sie hatte lange darüber nachgedacht, gar nichts zu sich zu nehmen. Würde sie verhungern, konnte Caesian sie nicht mehr als Druckmittel gegen Seto benutzen. Dann war ihr jedoch gekommen, dass der Hohepriester dazu erst einmal von ihrem erneuten Tod unterrichtet werden musste – was der Mann, der sie gefangen hielt, mit Leichtigkeit verhindern konnte. Inzwischen hatte sie sich dazu entschieden, zu kämpfen. Sie musste einen Weg finden, zu entkommen. Doch bislang hatte sich ihr keine Gelegenheit dazu geboten. Ihr Zimmer war verriegelt und stets von einem Soldaten bewacht. Sie horchte auf, als zwei Wachen unter ihrem Fenster vorbei gingen. Irgendetwas hatte sich seit dem vergangenen Tage verändert. Bis zum Morgen waren die Baumaßnahmen in dem Bereich, den sie sehen konnte, unermüdlich vorangegangen. Dann hatten sie plötzlich geendet. Man hatte die Ägypter, die zur Arbeit gezwungen worden waren, weggebracht, ebenso wie die Männer, die eigentlich tot sein sollten und nur dank der Relikte nicht in das Jenseits übergegangen waren. Erst später am Tag hatten feindliche Untertanen ihren Platz eingenommen und den Wiederaufbau fortgesetzt. Es war, als wolle Caesian die Ägypter und Untoten wegschaffen – aber wieso? Und was tat er mit ihnen? Sie seufzte schwer und richtete ihren Blick zum Himmel, der von hellen Sternen übersät war. „Seto … ganz gleich, wo du bist – ich hoffe, es geht dir gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)