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Schneefall in der Hölle

von

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So endlos lang die Reisen, manche Nacht, in der du hörtest,

wie das Uhrenticken unbarmherzig Zeit in Scheiben schnitt.

Du fühltest wohl die Ziele, so fern und so magnetisch,

wie das Leben dir doch immer etwas mehr entglitt.

 

 

Sie wusste nicht wirklich, was sie an diesem Ort tat. Sie wusste, warum sie hier war - und doch war es wohl kein wirklicher Grund. Sie war auf einem Seminar gewesen. Eine Fortbildung für einen Job, welchen sie eigentlich doch gar nicht wollte. Ein Beruf, welcher ein notwendiges Übel, niemals jedoch Berufung war. Sie hatte niemals eine andere Wahl gehabt. Sie hatte einen Job gebraucht, sie hatte einen bekommen, nicht mehr und nicht weniger.

Konzentriert studierte sie den ausgehängten Fahrplan. Ihr Zug hatte Verspätung gehabt. Ganze zwei Stunden, Kühe auf den Schienen. Fernverkehr watet nicht auf Nahverkehr war die Ansage des Schaffners gewesen. Nun saß sie nachts halb zwei am Frankfurter Hauptbahnhof fest. Der nächste Zug, welcher sie nach Hause bringen konnte fuhr erst in vier Stunden. Würde sie sich in dieser Stadt besser auskennen, sie würde sich ein Hotel nehmen. Sie kannte sich jedoch nicht aus. Sie war niemals zuvor in Frankfurt gewesen. Jetzt saß sie hier fest. Mitten in der Nacht auf einem zugigen Bahnsteig. Seufzend griff sie nach ihrem Koffer und begab sich ins Innere des Gebäudes. Vier Stunden. Sie war vollkommen erledigt. Das Seminar hatte um halb fünf in der Frühe begonnen. Wenn sie jetzt einschlief hatte sie wohl wirklich ein Problem.

Gähnende Leere. Der Bahnhof war verwaist. Kein Wunder um diese Uhrzeit. Die Geschäfte waren geschlossen und außer drei Landstreichern, welche die Bänke als Schlafplätze auserkoren hatten war sie allein. Müde strich sie sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und steuerte den nächstbesten Kaffeeautomaten an. Die Brühe schmeckte wie Spülwasser, aber zumindest enthielt sie ein wenig dringend benötigtes Koffein. Ihre Hoffnung noch jemandem vom Personal anzutreffen zerschlug sich mit einem weiteren Blick durch die Halle. Offensichtlich machte die Nachtschicht - sofern es überhaupt eine gab - sich genauso rar, wie die Mitarbeiter in einem Baumarkt.

Mit einem wachsamen Blick auf den schlafenden Penner, der am nächsten zu ihr auf einer Bank vor sich hin schnarchte kippte sie den Rest des lauwarmen Gebräus herunter und entsorgte den Becher. Langsam steuerte sie auf den Haupteingang zu, während sie ihre Zigaretten und ihren MP3-Player aus der Tasche kramte. Ein Blick in die Schachtel verriet ihr, dass sie sparsam mit ihren Vorräten umgehen musste. Es war schließlich nicht geplant gewesen einen vierstündigen Zwischenstopp einzulegen.

 

 

Selbst in großen Menschenmengen konntest du alleine bleiben.

Du warst wie ein Gespenst, für alle andren unsichtbar.

Und Gesichter im Vorbeiziehen, kaum gesehen schon vergessen,

kannst dich nicht erinnern, dass es jemals anders war.

 

 

Eine Gruppe feiernder Jugendlicher zog an ihr vorbei, während sie diese aus dem Schatten des Gebäudes heraus im Blick behielt. Ein Wachmann zog seine einsamen Runden über das Gelände und hätte sie wohl vollkommen übersehen, hätte die Spitze ihrer Zigarette kein verräterisches Glimmen aufgewiesen. Kurz musterte er sie, dann war er auch schon wieder verschwunden. Sie schien ich weder suspekt vorzukommen, noch eine Gefahr darzustellen. Warum sollte sie auch? Nur sehr kurz hatte seine Musterung ihre Aufmerksamkeit beansprucht, dann waren ihre Gedanken auch schon wieder auf ihre eigenen Reisen gegangen. Ihre Sinne blieben scharf auf die fremde Umgebung gerichtet, während sie an der Zigarette zog und einen Ohrstöpsel um ihren Nacken legte, sodass sie ihr Headset nicht verlieren würde. Sie war die Einsamkeit gewohnt. Kontakte waren flüchtig. Niemand in ihrer Umgebung kam jemals nahe genug an sie heran, sodass sie ihn als Freund bezeichnen würde. Seit langer Zeit hatte sie keine romantische Beziehung mehr geführt. Sie hatte schlicht und ergreifend kein Vertrauen in die Menschheit. Diese im Umkehrschluss hatte nicht so viel Interesse an ihr, dass es sich zu lohnen schien sich ihr Vertrauen zu erarbeiten. Schneller, weiter, höher. Die Zwischenmenschlichkeit blieb auf der Strecke. Seufzend griff sie trotz aller guten Vorsätze nach der nächsten Zigarette und starrte Löcher in die undurchdringliche Dunkelheit der Nacht. Sie war immer allein. Ihr Naturell war nicht darauf ausgelegt mit den Menschen in ihrer Umgebung über belangloses zu sprechen. Ihre Seele sehnte sich nach einer verwandten Seele. Nach jemandem, der sie verstand und der sie wahrnahm, so wie sie war - wie sie wirklich war. Sie suchte nach einem Menschen, welcher in der heutigen Gesellschaft wohl genauso verloren sein musste, wie sie. Nach einem Außenseiter, welcher doch genau so wenig wahrgenommen wurde, wie sie selbst. All diese Scheinheiligkeit, die leeren Versprechungen und das im Staube kriechen war ihr zuwider. Sie konnte sich anpassen und genauso leben, wie all diese Menschen, aber es war doch nicht mehr als eine Fassade. Sie offenbarte sich nicht und erwartete keine Offenbarung von der Welt. Sie war allein.

 

 

Und keiner weiß, wie es dann doch geschah,

dass jemand dich bemerkte und dich sah.

Ihr wart dafür in etwa so bereit

wie dafür, dass es in der Hölle schneit.

 

 

Gerade als sie die Zigarette wegschmeißen wollte regte sich ihr Instinkt. Sie konnte die fremden Augen förmlich auf ihrer Haut spüren. Stumm verdammte sie die Dunkelheit. Selbst wenn sie sich fanatisch umsehen würde, sie wäre nicht in der Lage jemanden im Mantel der Nacht zu entdecken, welcher nicht gesehen werden wollte. Warum konnte er sie sehen? Selbst im hellsten Licht des Tages erschien sie doch meist unsichtbar. Sie wurde schlicht und ergreifend übersehen. Wieso war es dieses Mal nicht so? Warum schien dieser unbekannte Beobachter Interesse an ihr zu haben? Langsam schnipste sie die Zigarette weg und konzentrierte sich auf ihre Instinkte. Sie hatte schon immer aufgrund ihrer Intuition gehandelt. Niemals war sie fehlgeleitet worden. Ihr Beobachter musste unweit hinter ihrer rechten Schulter stehen. Er wirkte nicht bedrohlich, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte war ihr klar, dass er sie aus reiner Neugier heraus beobachtete. Der scheinbar körperlose Blick schien interessiert, nicht wie der eines Jägers, der seine Beute betrachtete. Langsam wandte sie sich um. Nichts. Wie sie es erwartet hatte war die Nacht perfekt darin die Anwesenheit ihrer Bewohner zu verbergen. Sie selbst wäre wohl unsichtbar, würde sich nicht der letzte Lichtschein aus dem Inneren des Gebäudes seinen Weg zu ihr bahnen. Leises Rascheln. Erst einer, dann ein zweiter kaum wahrnehmbarer Schritt. Wäre sie sich seiner Anwesenheit nicht bereits bewusst gewesen, sie hätte ihn nicht gehört.

Das Licht schien nur zögerlich auf den Neuankömmling fallen zu wollen und so dauerte es einen langen Moment, bis sie mehr erkennen konnte, als einen sich bewegenden Schatten. Schließlich war ihr auch klar, warum er das Licht abzustoßen schien. Seine Kleidung war dunkel wie die Nacht. Seine Augen und seine Lippen in pechschwarze Farbe getränkt. Seine unnatürlich blasse Haut hob sich so voller Kontrast, unheilvoll gegen die Schwärze ab. Einen langen Moment oblag sie der Illusion. Kurz erschien er ihr, wie ein Totenschädel. Alles in ihrem Inneren schrie, dass sie fliehen sollte. Sie regte sich nicht. Erwiderte seinen neugierigen Blick aus blauen Augen voller Ruhe. Für einen magischen Moment traf sturmgraues Blau auf die Tiefen des Meeres. Sie tauschten ein stummes Lächeln. Die Illusion verflog. Er war geschminkt, sein Gesicht kein bloßer Schädel. Er war real.

 

 

Ausgesprochen viel zu sagen, doch genügte euch ein Schweigen:

Ohne Umweg, so als hättet ihr euch immer schon gekannt.

Vielleicht sind die Pfade ähnlich, doch die Richtung ganz verschieden.

Eventuell war es das Reisen selbst, das euch verband.

 

 

Es war als könnte sie das vorbeihasten der Zeit in ihren Ohren widerhallen hören. Sie standen einfach nebeneinander. Noch immer hatten sie kein einziges Wort gesprochen. Sie fühlte sich wohl. Nach langen Jahren konnte sie zum ersten Mal sagen, dass sie sich verstanden fühlte. Geduldig wartete sie darauf, dass er seine Musterung beenden würde. Als sie seinen Blick schließlich nicht mehr spürte wandte sie langsam den Kopf. Er blickte in die Finsternis, beinahe so, als könnte er dort in der Dunkelheit etwas erkennen. Als würde die Nacht ihm ihre ganz eigenen Geschichten und Lieder offenbaren. Sie lächelte ein wenig, während sie den Blick über seine Erscheinung wandern ließ. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die kurzen Haare in der Mitte seines Kopfes nicht die einzigen waren. Ordentlich gekämmt und sorgfältig zusammengefasst hatte er die Haare an seinem Hinterkopf zu einem langen Zopf wachsen lassen. Der schwarze, bodenlange Mantel schien ihm wie eine zweite Haut zu passen, er schien zu ihm zu gehören. Nach einer Weile löste sie sich aus ihrer Betrachtung und wandte den Blick in dieselbe Richtung, wie er. In vollkommenem Einvernehmen regten sie sich beide eine lange Zeit nicht mehr. Es erschien ihr, als würde seine Anwesenheit der Nacht eine Erlaubnis aussprechen. Sie konnte es erahnen. Sie konnte es fühlen. All die verborgenen Geschichten, die lang vergessenen Lieder, dort draußen in der Dunkelheit. Die Menschen waren blind und taub geworden und doch hatte die Nacht niemals aufgehört zu erzählen. Die Menschen selbst hatten verlernt ihr zu lauschen. Noch immer hatten sie kein Wort gesprochen und doch ließ seine Anwesenheit sie lernen, wie sie die Nacht betrachten musste, um sie zu verstehen.

 

 

Eure Geschichten, sie bleiben draußen in der Nacht.

So streng gehütete Geheimnisse werden einmal nicht bewacht.

Und eure Taten werden niemals ungeschehen.

Doch eure müden Seelen können sich vermengt in sich ergehen

und sich unendlich wie in des Spiegels Spiegel sehen.

 

 

Sie wollte nicht, dass diese Nacht verging. Sie wollte nicht, dass er ging. Sie wollte es ihm sagen. Wagte es nicht, die Stille zu brechen. Sie musste es nicht. Sie spürte seinen Blick erneut auf sich. Dieses Mal war er fordernder, sie beugte sich seinem Willen, wandte den Kopf, begegnete den Tiefen seiner Seelenspiegel erneut. Ein Blick, nicht mehr. Er nahm ihre Hand, wandte sich zum Gehen. Sie folgte ihm. Er nahm nur sie selbst mit, ließ ihr bisheriges Leben einfach an dem Ort zurück, an welchem sie einander begegnet waren. Ein kalter, zugiger Bahnhof mitten in Frankfurt. Sie spürte ihren Herzschlag in ihrem Körper pulsieren. Sie konnte fühlen, wie die Luft in ihre Lungen strömte. Sie hörte die Dunkelheit und schmeckte die Nacht. Die Verbindung ihrer Hände schien Feuerstürme auszusenden. Langsam und doch so verzehrend setzten die kleinen Flammen ihren ganzen Körper in Brand. Sie lebte. Zum ersten Mal überhaupt.

 

 

Ihr beide wart die Jäger, doch genauso auch Gejagte,

auf einer langen Suche und verdammt zur Heimatlosigkeit.

Immerzu auf einer Fährte, und schon morgen zieht ihr weiter

auf den Zukunftslinien, ohne Schnittpunkt in der Zeit.

 

 

Sie stand am Bahnhof in Frankfurt. Ihr Zug fuhr in ein paar Minuten. Der Bahnhof war vollkommen verwaist. Die Dunkelheit hatte erneut Einzug gehalten. Das Steigen der Sonne hatte sie an diesem Tage so intensiv erlebt, wie noch niemals zuvor. Sie lebte. Sie spürte es noch immer. Sie würde es für immer spüren. Ihre Instinkte meldeten sich. Ohne Hast wandte sie sich um. Ihr Beobachter stand erneut in den Schatten. Dieses Mal regte er sich nicht. Er wusste, dass sie ihn sehen konnte. Sie hatte gelernt den Mantel der Nacht zu durchschauen. Die Dunkelheit erzählte auch ihr nun von längst vergangener Zeit. Sie verstand. Die Dunkelheit zeigte ihr die Wahrheit. Noch einmal traf sich ihr Blick. Blau in Blau. Eine magische Verbindung. Sie konnten einander sehen. Sie lächelte ein wenig. Sein Zopf war gelöst. Die langen, vorwitzigen Strähnen spielten mit dem Wind. Sein Make-Up war verschwunden. Die Maske schon lange abgelegt. Die Illusion des Totenschädels war gewichen. Er war ein Mann aus Fleisch und Blut. Seine Augen und Lippen waren nicht mehr in Finsternis gehüllt. Der bodenlange, schwarze Mantel saß noch immer wie eine zweite Haut. Die Dunkelheit umwarb ihn noch immer.

Der Zug fuhr ein. Das schwache Licht aus den Kabinen kämpfte. Die Nacht wurde verdrängt. Sie bewegte sich auf das Licht zu. Blickte nicht noch einmal zurück.

Er war fort. Sie wusste es.

 

 

Eure Geschichten, sie bleiben draußen in der Nacht.

So streng gehütete Geheimnisse werden einmal nicht bewacht.

Und eure Taten werden niemals ungeschehen.

Doch eure müden Seelen können sich vermengt in sich ergehen

und sich unendlich wie in des Spiegels Spiegel sehen.

 

 

Und keiner weiß, wie es dann doch geschah,

dass jemand dich bemerkte und dich sah.

Ihr wart dafür in etwa so bereit

wie dafür, dass es in der Hölle schneit.

 

 

Eure Geschichten, sie bleiben draußen in der Nacht.

So streng gehütete Geheimnisse werden einmal nicht bewacht.

Und eure Taten werden niemals ungeschehen.

Doch eure müden Seelen können sich vermengt in sich ergehen

und sich unendlich wie in des Spiegels Spiegel sehen.

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: auch wenn der eigentlich an den Anfang gehört. Nichts und niemand, nicht der Meister persönlich, noch der Schwarze Schmetterling, oder die Texte von ASP gehören mir. Geld verdiene ich hiermit natürlich auch nicht. Kurz zusamengefasst: außer die Ausschweifungen meiner Phantasie, gehört das alles Asp und ASP. Ich verbeuge mich vor dem Meister und danke für die Anregung meiner Phantasie, sodass dies hier erst möglich war. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Ende der Durchsage. Komplett anzeigen

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