Von Prinzessinnen, Alkoholleichen und Gedächtnislücken von Komori-666 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Chemie? Ich hab Chemie? Ich dachte, das hätte ich abgelegt.“ „Hast du auch, du hast Bio.“ „Wieso hab ich dann jetzt Chemie?“ „Das liegt wohl daran, dass du eigentlich auf die Schule nebenan gehst.“ „Äh...Scheiße! Wie spät ist es?!“ „Unterrichtsbeginn“ „Alter, ...! ...Ich besuch dich definitiv zu oft.“ „Tja...“ Als er vom Stuhl aufsprang, sich seinen Rucksack krallte, war er vor lauter Hektik schon wieder dabei, fast gegen die Tür zu rennen. Er rief mir noch ein 'Ciao' zu und ich sah ihm, langsam mit den Kopf schüttelnd, hinterher. Genauso wie der Rest meiner Klasse. Langsam (und zwar wirklich quälend langsam) drehte ich mich aus meiner Bank in der ersten Reihe zu den anderen um, gähnte. „Was denn? Nun gafft nicht so. Ihr kennt ihn doch jetzt langsam, ist ja nicht das erste Mal, dass er hier ist.“ „Aber es ist das erste Mal, dass er sich beim Rausrennen vor der Tür erschrocken hat“ „Maul halten, Blondi.“ Irgendjemand musste ihn ja in Schutz nehmen. Beziehungsweise war es schon fast meine Pflicht Valentin in Schutz zu nehmen. Schließlich kam er nur rüber, weil ich ihn in den Sommerferien darum gebeten hatte. Die ganze Sache fing damit an, dass wir am Anfang der Sommerferien überrascht festgestellt hatten, dass meine kleine Schwester ab dem neuen Schuljahr in die fünfte Klasse gehen würde. Zumindest war es für mich und Valentin eine komplett neue und verwirrende Erkenntnis... Wer rechnete auch damit, dass man nach der vierten Klasse in die fünfte kam? Nun gut, ob diese Tatsache von Bedeutung war, sei dahingestellt. Was wichtig war, war, dass mit dem Jahrgangswechsel ein Schulwechsel verbunden war. Es versteht sich, meine kleine Schwester war schon immer sehr unselbstständig. Nichts konnte sie allein. Also musste eben für alles, was Klein-Prinzesschen nicht allein konnte, der große Bruder herhalten. „Ach Stefan, nun hab dich doch nicht so. Sie ist doch noch SO klein und du bist schon siebzehn!“ Und mit diesem Satz hatten mich meine Eltern auf der Schule, auf der meine kleine Schwester zukünftig zu finden sein würde, eintragen lassen. Nun, okay, meine alte Schule und diese waren direkt nebeneinander, aber das ging doch ein Stück zu weit. Aber alles, was mein Vater auf mein stures Verweigern zu sagen hatte war, „Wir sind hier nicht bei 'Wünsch dir was', Stefan. Sondern bei 'So isses!'. Du wolltest doch ohnehin mehr Verantwortung zugesprochen bekommen.“ Ja, damit meinte ich einen Führerschein und kein KIND. Aber ändern konnte ich es jetzt auch nicht mehr, es wäre noch dümmer jetzt erneut zu wechseln, als die Idee überhaupt gewechselt zu haben. Oder...auch nicht. Aber Sinn ergab es jedenfalls nicht und das war Fakt. Während ich mich mit meinen Gedanken wieder mit Alleskleber in der Vergangenheit festpappte, nahm ich nur nebenbei die amüsierten Gesichter der anderen wahr. Ich wusste nicht, ob ich Angst haben sollte. Denn es war nie gut, wenn wirklich alle amüsiert waren, oder eher: wenn sie alle von ein und dem selben unterhalten wurden. Musste man nur noch herausfinden, was genau so sehr für allgemeines Getratsche und Gegrinse verantwortlich war. Und wieso Blondi neben mir, ich glaube er hieß Mark oder etwas dergleichen, seinen 'Na-das-war-ja-wieder-mal-klar'-Blick nach vorne richtete. Ich konnte es mir nicht erklären, aber im Gegensatz zu sonst, hatte mich die Neugier noch nicht gepackt, das Verlangen selbst nachzusehen verlor haushoch gegen die Faulheit. „Ouuu weia! Um den muss man sich echt Sorgen machen.“ „Das kommt ...in den besten Familien vor!“ Diese Stimme kannte ich nur zu gut, schnell drehte ich mich um. Das war ja jetzt wohl nicht wahr. „Was machst du denn hier?“ Schniefend und schnaufend hustete Valentin erst einmal eine Runde, bevor er dann tief Luft holte, um eine Antwort von sich zu geben. „Ich hab vorhin den falschen Ordner mitgenommen.“ Also, MIR wäre es nicht aufgefallen, dass da nicht mein schwarzer Ordner vor mir lag. Jedoch wäre es das spätestens dann, wenn ich meine Chemieunterlagen gesucht hätte. Als ich jedoch auf den Tisch sah, musste ich erstmal feststellen, dass das mit dem Ordner-Verwechseln gar nicht möglich gewesen wäre. „...Kann nicht sein. Hier ist nur ein Ordner. Und den hast du wahrscheinlich gerade...“ „Ich hab ihn... versehentlich mitgenommen. Aus Gewohnheit.... Hab meinen vergessen.... Zuhause.“ „Und jetzt?“ „Hä?“ „Du warst noch nie der Hellste. Was machst du jetzt?“ „Wie, was.. ich jetzt mache?“ … Spätestens, wenn er wieder rüber gerannt war, würde er an Luftmangel krepieren, klang sein Keuchen schon gar nicht mehr gesund. „Hast du jetzt nicht Unterricht?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen, musterte ihn bedenklich. „Oh....oh...“ ~ ~ Es war ungefähr drei Uhr Nachmittag, ich hatte Schulschluss, gab meiner Schwester ihr Pausengeld wieder zurück, damit sie sich eine Busfahrkarte kaufen konnte und bequemte mich langsam zu meinem Roller. Motor anlassen. Losfahren. Jedes Mal aufs Neue war es ein unglaublich schönes Gefühl. Vor allem, wenn man wusste, dass man nicht heim fahren musste, wo die kleine Petze mit Muttis Unterstützung warten würde. Meine kleine Schwester verpfiff mich, wo sie nur konnte. Aber daran könnte ich ein ander Mal denken. Jetzt würde ich erst einmal Valentin abholen. Vier Mal in der Woche holte ich ihn von seiner Oma ab und widerstand der Versuchung ihm eine rein zuhauen. Ich weiß ja nicht, wie er das immer schaffte, aber jedes zweite Mal stritten sie wie die Irren und ich war letztendlich der Leidtragende. Schließlich war ich es, der dann seine Laune heben durfte. Während ich also in Gedanken schwelgte und die Straßen entlang fuhr, fiel mir plötzlich auf, dass ich bereits an der richtigen Straße vorbeigefahren war. Ich wusste nicht wieso, aber ich erinnerte mich wieder an diese Ordnergeschichte letzter Woche. Es geschah öfter, dass Valentin seinen Ordner irgendwo bei mir liegen ließ. Entweder bei mir zuhause oder auf meiner Schulbank. Und dann noch diese eine Sache von damals. Valentin hatte also auf meinem Bett gelegen, sabberte friedlich mein Kissen voll und sank immer tiefer in seine Traumwelt ein. Er hatte beim Kommen schon so schläfrig ausgesehen und mein Bett gab ihm dann wohl noch den Rest. War wohl wieder eine lange Nacht für ihn gewesen, was aber seine eigene Schuld war. Keiner zwang ihn bis halb drei morgens Hausaufgaben zu machen. Aber egal, zurück zum Ordner. Mir war langweilig gewesen, sein Ordner hatte vor mir gelegen und überraschenderweise interessierte es mich, welchen Stoff ich durchgenommen hätte, hätte ich nicht wechseln müssen. Als ich allerdings seine Heftränder und die beschmierten Arbeits- und Schmierblätter gesehen hatte, war der Unterrichtsstoff genau so interessant, wie früher auch schon: Gar nicht. Als ich dann ein paar seiner Unterlagen durch und den Rest sporadisch überflogen hatte, packte mich die Neugier und ich kramte in seinem Rucksack nach seinem Block. Mann, ich war heute noch froh, dass er da so seelenruhig geschlafen hatte, denn meinen Gesichtsausdruck hätte in diesen Augenblick niemand sehen sollen, geschweige denn von wollen. Seit diesem Tag weiß ich also, dass ich weiß, dass er nicht weiß, dass ich weiß, dass er gewisse andere Vorlieben hatte. Und dass ich wichtiger Bestandteil dieser Vorlieben war. Aber das ignorierte ich einfach weitgehend. Er konnte so schwul sein, wie er nur wollte, das war mir egal, ihn störten meine sämtlichen Dates, Affären und One-Night-Stands ja auch nicht. Solange er sich nicht wie einer dieser Zicken aufführte, die an die Decke gingen oder dich wie Dreck behandelten, weil sie die Tatsachen nicht offen auf den Tisch legten und sagten, was sie wollten und dann erschrocken darüber waren, dass da mal eine andere an meinem Hals hing, war alles kein Problem. Ich würde das Thema nie ansprechen. Und auch, wenn man es nicht glauben mochte: ich war unglaublich schüchtern. Ich hatte mich ein ganzes Jahr lang nicht einmal getraut Valentin anzusprechen. Den Grund dafür wusste ich immer noch nicht. Aber so langsam fing ich an Vorteile aus diesem Fakt zu ziehen. Man musste nichts sagen, ansprechen oder tun. Er wusste ja, dass er von selbst ankommen musste, wenn irgendetwas wäre. Das Leben konnte manchmal richtig einfach sein. Obwohl ich zugeben musste, dass ich, seitdem ich von dieser Sache erfahren hatte, eine zunehmend beunruhigender werdende Paranoia entwickelte. Auf einmal kam mir die ganze Welt schwul vor. Wenn ich einen Mann telefonieren sah, dachte ich mir nicht nichts, so wie früher, sondern überlegte sofort, ob da nicht sein schwuler Lover an der Strippe hing. Wenn ich zwei Freunde auf dem Heimweg sah, dachte ich sofort daran, dass sie keine Freunde, sondern Freund und Freund sein könnten. Wenn mich meine Klassenkameraden anstarrten oder auf mich zukamen, dann... ich sollte aufhören so zu denken. Ich sollte mich wieder der Straße vor mir widmen. Eigentlich wollte ich zu meinem besten Freund fahren ...aber hatte mich schon wieder verfahren. Dann wollte ich zurückfahren und endlich ans eigentliche Ziel gelangen. Aber JETZT wusste ich nicht einmal, wo ich war. Die Gegend kam mir leicht unbekannt vor. „Hmmm...“ Mal überlegen. Wo war ich, wenn sich ein Spielplatz direkt vor mir und sich eine Kneipe neben mir befand? Definitiv falsch und drei Straßen zu weit. Ich sollte endlich damit anfangen hinzusehen, wo ich entlang fahre. In aller Ruhe setzte ich den Helm ab und überblickte die Gegend, suchte mögliche Abkürzungen. Und dann sah ich plötzlich nichts mehr. „Wer zum Henker bist du?“ Irgendein kompletter Volltrottel hatte mir von hinten seine Hände auf die Augen gelegt und ich wusste nicht, mit wem ich das Vergnügen hatte, ich hatte ebenso wenig eine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich diese Spielchen hasste und derdiedas verdammt kalte Hände hatte. „Wieso reagierst du immer gleich so aggressiv? Dir tut doch niemand was!“ grinste dieser Idiot nur, als er dann doch den Anstand besaß seine Grabscher von mir zu lassen und sich vor mich zu stellen. „Andi...“, grummelte ich nur. Er war eigentlich in Ordnung, soff allerdings manchmal wie ein Loch und lud mich immer mit auf das sinkende Schiff ein. Ja, ich konnte mit vollster Zuversicht sagen, seine Partys waren für niemanden geschaffen, der nach einer Flasche Tequila schon unterm Tisch lag. Allerdings war Andreas auch derjenige, der nach einer halben schon fix und fertig durch die Gegend torkelte. Immer wieder faszinierend. „Lach doch mal.“ „Gib mir 'nen Grund dazu.“ „Aber immer doch! Mein Bruder hat heute Geburtstag und feiert auch dementsprechend. Wir sehen uns um acht?“ Na, was sagte ich denn gerade?! Immer am Saufen! Ich schwieg. Das musste ich mir dann doch nochmal überlegen. War ich wirklich schon bereit für das nächste Besäufnis? Es endete ja doch immer in unangenehmen Situationen, oder wenigstens einen unglaublichen Kater. Und Valentin war auch nicht begeistert davon, aber er war überzeugter Nicht-Alkoholiker. „Na?“, hakte er nochmals nach, als keine Antwort kam. „Naaaa?“ „Wieder in diesem alten Hühnerstall?“ „Beschimpf doch den armen Hühnerstall nicht immer so. Der wurde doch super vorgerichtet und hat ne unglaubliche Musikanlage! Und den Alkoholleichen kann auch nix passieren, da rund herum nur Wiese ist und sonst nichts!“ „Du musst es ja wissen....“ „Hey!“ ~ ~ „Und du hast zugesagt?“ „Nicht direkt.“ „Aber du wirst hingehen?“ „Höchstwahrscheinlich.“ Valentin war wieder unglaublich gereizt, regte er sich wieder ohne Punkt und Komma über seine Oma und die Verwandten, Gott und die Welt auf. Manchmal kam ich mir etwas fehl am Platz vor und überlegte, ob ich mir sein weiblich-angehauchten Gehabe, dass er manchmal an den Tag legte, nur einbildete oder er wirklich immer wegen jedem Mätzchen so einen Aufstand machte. Er war perfekt darin, sich in jeden Schwachsinn hineinzusteigern und das dann auch Stunden über Stunden auszudiskutieren. Aber er kam wirklich nicht schwul rüber, nicht einmal ansatzweise! Na gut, manchmal, wenn er sich aufregte und sein Gift in der Gegend und an seine Umwelt verteilte, war das ganze etwas feminin. Aber nur dann. Zumindest würde ich das eher einem Mädchen zutrauen. Aber deswegen war er doch nicht schwul. Wenn eine Frau ein paar männliche Eigenschaften oder Züge aufwies, war sie ja auch nicht gleiche eine Lesbe. „Und dann meinte sie noch, dass sie ja nichts gegen mich persönlich hätte. Mein Charakter wäre einfach nur schlecht. Aber klar doch, ich nehm es ja auch nie persönlich, wenn man mir sagt, dass mein Charakter scheiße ist. Und wo ist's denn auch bitte persönlich meine Persönlichkeit anzugreifen – kann ich schon verstehen“, fluchte und höhnte er weiter und seine Worte soffen schon fast mit gleicher Begeisterung in seinem Sarkasmus ab. So ging das auch noch 'ne ganze Weile dahin, bis Valentin irgendwann die Luft ausblieb, er etwas zu trinken brauchte und ohnehin schon müde geworden war. Das hatte er jetzt davon. Aber erstaunlich, wie lange er dieses Mal durchgehalten hat, Respekt. Wir bequemten uns also von der Parkbank zu meinem Roller, dessen Motor ich dann auch ohrenbetäubend wie eh und je 'aufschnurren' ließ. Hatte mit Schnurren nur leider nichts mehr zu tun, eher mit einer verreckenden, bösen, fetten Miezekatze, die an einem Fellknäuel erstickte. Ich brachte meinen besten Freund schnell nach Hause und fuhr dann weiter zu meinem eigenen, wo wahrscheinlich schon meine Mutter auf mich wartete, da ich dem kleinen Prinzesschen ja ihr Pausengeld 'geraubt' hatte. Wahrscheinlich hatte dieses Balg noch erzählt, ich hätte es ihr gewaltsam entrissen und sie dabei in den Dreck geschubst, um mir wieder eins auszuwischen und ihre Unfähigkeit geradeaus zu gehen zu vertuschen. Dabei hatte ich ihr das blöde Geld ohnehin zurückgegeben. Nachdem ich Zuhause angekommen war, durfte ich mir wie erwartet einen Vortrag über Rechtschaffenheit und Anstand anhören, über Himmel und Meer, Nehmen und Geben, Leben und Sterben und so weiter und so fort (Und nicht zu vergessen: natürlich auch über das kleine Prinzesschen!). Den restlichen Abend ließ ich dann einfach auf mich zukommen, die Fresse hatte ich ohnehin schon gestrichen voll und noch mehr musste ich mir da nun wirklich nicht noch mit einem weiteren Gang zu meiner Mutter reinstopfen. Jap, Valentin hatte Recht: ich würde auf alle Fälle auf diese blöde Party gehen und wieder saufen wie ein Loch. Meine Leber wird mir dankbar sein und Schwester froh, dass ich nicht da bin. Egal, was morgen auf mich zukommen würde, es war egal. Was zählte, war die Durchsetzung meiner aktiven Methode der Verdrängung – denn das war auch irgendwie das Einzige, was wirklich hinhaute. Kapitel 2: ----------- „Ehhiii....was machsn duuu daaa?“ „Ich suche dein Handy.“, meinte Andreas nur beiläufig, während er erst meinen Rucksack absuchte und danach meine Hosentaschen kurz nach einem kleinen, eckigen Gerät abtastete. „W-waas? Wieso nnnnnnn das?“ „Ich ruf gleich dein besten Freund an. Der kann dich dann abholen.“ Dann nuschelte er noch irgendwas mit unglaublich viel saufen können und sagte irgendetwas von Schlüsseln, die er mir wegnehmen wollte, was mich auf die Idee brachte! „Nnnnnghh...nnnnnnein! Weissu was? Ich hab ne viiel bessere Idee! …. Ich faahr gleisch loooos und hol ihn!“ „Das bezweifle ich stark....Äh, ja. Hallo!“ Sagte er plötzlich zusammenhangslos und ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Geschweige denn, was an meiner Idee so schlecht war. Und dann sah ich mein Handy an seinem Ohr. „Bist du der Typ, der in der früh immer zu uns in die Schule rüber kommt?... Nein, ich will dich nicht verarschen. Ich wollte nur wissen, ob du Interesse daran hättest, deinen Kumpel abzuholen.“ „...“ ich sagte nichts, hörte einfach mit einem Hauch von 'ichglaubichmusskotzen' und 'ichwillmichhinlegen' dem Gespräch zu. „Weil er sturzbesoffen so ziemlich in meinen Armen liegt. … Also, Interesse?“ Die Art und Weise vernünftiger Fortbewegung auf zwei Beinen, die ich mir vorstellte, unterschied sich ziemlich von dem, was ich hier gerade veranstaltete. Das musste ich zugeben. Als ich am morgen so ziemlich unbekleidet in irgendjemandes Bett aufwachte, quoll in mir langsam die Frage hoch, wessen Bett das war. Und wessen Atem ich hinter mir vernahm. Und wer diese Wärmequelle hinter mir war. Und wessen Arm das an meiner Hüfte war. Und wann ich mich ausgezogen hatte. Und dann erkannte ich etwas verschwommen die Poster an der Wand. Danach drehte ich mich langsam um, und alles verschwommene wurde glasklar. Valentin. Und DANN setzte der stechende Kopfschmerz ein. Ich würde jetzt ganz ruhig bleiben. Ich musste mich nach einem Vollrausch schon oftmals ein paar seltsame Fragen stellen, zum Beispiel: Wo war mein T-Shirt? Hatte ich gestern nicht noch einen Personalausweis? Seit wann war ich im Besitz eines Hamsters? Aber ich musste mich bis jetzt noch nie fragen, wie ich zu Valentin ins Bett kam.   Mein bester Freund schlief noch seelenruhig, zumindest nahm ich das an. Mein Hirn lief auf Hochtouren. Es stellten sich mir so viele Fragen, dass ich, sobald ich eine versuchen wollte zu beantworten, keine einzige Frage mehr vorfand. Der pochende Schmerz in meinen Schläfen machte es nicht leichter. Ich spürte genau, es würde nicht mehr lange dauern und eiskalter Angstschweiß würde aus meinen Poren kriechen, wie der Maulwurf über die Straße... bis er dann überfahren werden würde. Ob ich mich mit einem Maulwurf vergleichen konnte? Blind genug, um nicht zu merken, was mit Valentin abging. Ich war keiner dieser Schnellchecker... und diese kriechende Erkenntnis, die sich langsam von ganz unten her anbahnte, in ziemlicher Scheiße zu stecken... Oh, ich hatte den Fehler erkannt! Das Problem lag nicht daran, dass ich nicht gemerkt hatte, was mit Valentin abging.. das Problem lag bei mir. Ich hatte nicht erkannt, was mit mir abging. Ich stand komplett neben der Spur und das seit Wochen...und das wurde mir jetzt klar?!  Auweia... Als ich mir dann nochmal die ganze Lage durch den Kopf wandern ließ, überkam mich ein leichtes Gefühl der Übelkeit, es schüttelte mich direkt und die Gänsehaut, die sich gerade überall an meinem Körper ausgebreitet hatte und die kleinen Härchen aufstellte, bedeutete auch nichts Gutes. Oh ja, mir war auf einmal richtig schlecht. Und das lag nicht an Valentin... „Oh Gawd-“ und schon sprang ich auf, rannte ins Bad und reierte, was mein Magen hergab. Okay, das würde ich als kleine Nachwirkung des gestrigen Abends, oder heutigen Morgens, bezeichnen..weiß der Geier, wann Valentin mich … abschleppte? Bei diesem Gedanken fiel mir auf, dass ich nicht nur dieses kleine Würgegeräusch und das sanfte Plätschern der Kotzerei hörte....hier lachte sich doch jemand gerade den Arsch ab. Ich versuchte eine kurze Pause einzulegen, was mir auch erfolgreich gelang, hob den Kopf und lauschte. Hier lachte eindeutig mein bester Freund. Doch, als ich den Kopf hob, war die Freude, dass es mir schon viel besser ging, eindeutig zu früh gefeiert. Und dann gings auch schon weiter. Das könnte sich jetzt eine ganze Zeit hinziehen, so wie ich mich kannte. „Ayayay... Das hast du davon, dass du immer so viel säufst!“ „Fotze!“, er stand hinter mir und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er ganz cool an die Wand gelehnt auf mich herabsah und mit seinem überheblichen Ton nur wieder klar machen wollte, dass ihm etwas nicht passte. Er konnte ja so ein arrogantes Arschloch sein. Ich sah seine Beine, die an mir vorbeischlürften und ...ich hatte keine Ahnung, was er jetzt machte, interessierte mich im Moment herzlich wenig. Im Moment umarmte ich viel lieber die Kloschüssel. Aber Valentin hatte sich anscheinend schon angezogen. Jogginghose und Socken. Soviel wusste ich schon mal. Was mir das jetzt brachte? Wahrscheinlich nichts, aber mein Hirn suchte Ablenkung. Zum einen bei der Toilette, zum anderen bei unwichtigen, kleinen Nebensachen, nur um sich nicht an die letzte Nacht erinnern zu müssen. Ich wollte gar nicht wissen, was passiert war. Jetzt hörte ich ein leises Klacken. „Hmm...also...“, er schmunzelte, „Durchfall hast du nicht oder? Gut, dann stellen wir das schon mal weg.. Migräne ist auch nicht so ganz das Wahre...mit der Pille wirst du auch nix anfangen können..“ „Doch, doch...wollte ich ja schon immer mal ausprobieren.“ „Vielleicht finde ich ja noch was gegen Übelkeit, obwohl es dir ganz recht geschieht.“ „Halt die Klappe, ich habs kapiert.“ Ja, verdammt! Maul halten. Ich war Morgenmuffel und würde es für immer bleiben. Da musste ich nicht noch getadelt werden. „Ich frage mich, was die Kondome im Medizinschränkchen zu suchen haben..“ Ich wusste nicht wieso, aber allein der Gedanke an Sex,  und das brachte ich nun mal mit Kondomen in Verbindung, schickte meinen Magen auf eine wilde und abenteuerliche Achterbahnfahrt. „Gefunden! Ich kann dir sogar zwei verschiedene Geschmackssorten anbieten.“ „Und mir nebenbei mal erklären, was du die ganze Zeit so lustig findest.“ Und er lachte schon wieder. „Später vielleicht. Aber dann ist der Witz weg...“ „Kannst es mir ruhig erzählen, vielleicht versteh ich es dann auch.“, grummelte ich mürrisch in meinen noch nicht vorhanden Bart(was auch so bleiben könnte, wenn es nach mir ginge). „Ja, aber genau das ist der Witz. Dass du es NICHT weißt.“ „Dass ich WAS nicht weiß?“ „Nix.“ Er stellte einen kleinen Becher mit einer durchsichtigen Flüssigkeit neben mir auf den Boden und ich nahm stark an, dass ich das schlucken sollte. Es hatte zwar eine Zeit lang Überwindung gekostet, etwas hinunterzuwürgen, aber irgendwann hatte ich sogar das gemeistert. Ich in Mitleid versinkender Waschlappen konnte echt behaupten, dass ich ein echter Mann war. Ich hatte mich, nach meinem kleinen Rendezvous mit dem WC, wieder ins Bett gelegt und in die Decke eingemurmelt, nachdem ich noch etwas Leitungswasser getrunken hatte. Wo Valentin war, war mir im Moment scheißegal. Echt. So ein Trottel. Als würden mich seine dummen Sprüche vom Alkohol fernhalten können. Aber vielleicht die Erlebnisse dieser Nacht. Falls ich herausfinden würde, was überhaupt los war. Auf der einen Seite wusste ich, es könnte nicht schaden, das mal herauszufinden. Auf der anderen Seite WOLLTE ich es nicht wissen. Ich spürte ein leichtes Schaukeln, als sich Valentin neben mich auf die Matratze warf und erst einmal nichts weiter tat. Er lag also neben mir. Schon wieder. Aber dieses Mal eben anders. Und ich unter der Decke darin eingemurmelt. Ich würde nicht unter der Bettdecke hervorkriechen. Ich würde mich hier in Valentins Zimmer einfach vor Valentin verstecken. Wer weiß, vielleicht fand er mich ja nicht... „Kommst du da heute noch zum Vorschein?“ „...“ „Hmm...“ „...“ „Schau mal her!“ „Nein.“ „Jetzt schau doch mal her, sieh mich mal an.“ „Nein.“ Und wovon träumst du Spinner nachts? Stopp, halt, warte... ich will es doch nicht wissen. „Jetzt guck doch mal her.. komm schon. Bitte.“ Okay, okay. Wenn er unbedingt wollte. Ich wollte zumindest wissen, wieso er schon wieder so belustigt klang. Ich zog also die Decke minimal herunter  und zwar so, dass ich gerade so noch einen kleinen Blick nach draußen erhaschen konnte. Der kleine Spalt, aus dem ich hinauslugte, musste reichen. Zumindest reichte es Valentin, denn der hatte gerade einen richtigen Lachanfall. Ich wusste ja, dass etwas mit ihm nicht stimmte, aber dass es schon so weit war.. dieses Schwein lachte immer noch. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich auslachte. „O mein Gott...“, er brachte nicht einmal einen ganzen Satz zustande, ohne zwischendurch ohne Rückhalt erneut loszuprusten, „Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist.“ Dass was so einfach war? Den besten Freund abzuschleppen? „Das war schon fast zu einfach.... Rache kann ja so schön sein!“ Rache? Für was denn bitte? Ich hatte doch gar nichts getan? „Erläutere das mal“ kam es ziemlich verärgert von unter-der-Bettdecke. Rache? Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, wofür er sich rächen sollte. Er lachte noch weiter, aber es wurde weniger, er schien sich sogar zu beruhigen. „Du redest ja so viel Mist im Suff, das ist der Wahnsinn. Wenn du das mal mitkriegen würdest, hättest du deutlich weniger Probleme. Du kannst von Glück reden, dass die anderen genauso dicht sind und das auch wieder vergessen.“ „Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“ Ich wusste nur, das sich manchmal, ganz plötzlich, die ganze Welt liebte, aber ansonsten...? Egal, alles was ich im Moment wusste und worauf es wirklich ankam war: Ich wusste nichts und er war bester Laune. Er lachte wieder etwas auf, legte sich dann bequem hin und sah mich dabei an, ihm kam dabei nur mein missgelaunter Blick entgegen. Ich war währenddessen unter der Bettdecke hervorgekommen und hatte mich auf den Bauch gelegt, mit den Unterarmen stützte ich mich ab, sodass ich jetzt derjenige war, der auf den anderen hinabsehen konnte, denn Valentin machte es sich gerade in seinem Kopfkissen sichtlich gemütlich. „Hm? Also, was jetzt?!“ fragte, beziehungsweise forderte ich. Immer nur her mit den Antworten. „Es hat mich am Anfang ziemlich überrascht, aber nicht lange. Da hatte ich dann auch schon eine wirklich geniale Idee es dir heimzuzahlen.“ „Aha. Genauer?“ „Gestern hatte mich dein Freund angerufen, ob ich nicht in Stimmung wäre dich abzuholen. Hattest wohl schon mehr geschluckt, als gut für dich war. … Na ja, egal. Auf dem Heimweg hast du dann angefangen von irgendwelchen Sachen zu erzählen, war ja ganz lustig. Als wir dann hier waren, kamst du irgendwie auf das Thema Schule.. und dann hast du damit begonnen von deinen heimlichen Erlebnissen und Bekanntschaften mit meinen Heften in meinem Ordner zu berichten... ich fasse es nicht. Was hast du bitte in meinem Ordner verloren?“ Auch wenn ich ihm antworten wollte, ich hab es einfach nicht fertig gebracht. Entweder stand es mir wieder bis zum Hals hoch, oder da hing ein großer Kloß, der mir die Luft zum Atmen und die Stimme zum Antworten nahm. DAS hätte er nie erfahren dürfen. Genauso wenig, wie ich das, und die Sache in den Heften, nie hätte erfahren dürfen. „Na ja, dafür, dass du Bescheid wusstest, hast du dich ja ganz gut gehalten.“ Erzählte er mir mit einer Leichtigkeit, als wäre so etwas alltäglich. Man hörte zwar etwas die Verwunderung, aber das war alles. Er war auch nicht sauer, obwohl ich kurz das Gefühl hatte, dem wäre doch so. „Hätte ich wegrennen sollen? War so wie's war... außerdem hätte ich mich dann selbst verraten.“ Als ich die Leichtigkeit sah, mit der er das alles hinnahm, konnte ich auf wundersame Art und Weise auch wieder genügend 'Stefan' in mir finden, um zu antworten. „Stimmt.“ Dann folgte Stille. Er lag da ganz entspannt mit geschlossenen Augen und seufzte. Indessen lag ich abwartend neben ihm und es kam einfach nichts. „Und?“ „Was und?!“ „Das ist ja wohl noch lange nicht die vollständige Erklärung für gestern..oder heute...“ „Ach ja!“ er lachte leicht auf. „Ich hab also erzählt, dass ich von deiner kleinen Heftaffäre weiß.“ „Genau. Und daraufhin war ich erstmal ziemlich ...geschockt. Dann sauer.. und dann war ich ziemlich gemein.“ „Gemein?“ „Jap. Du glaubst doch nicht, dass ich so was auf mir sitzen lasse!“ „Ich glaube zur Zeit alles, was du sagst.“ „Was denn, hab ich dich damit so aus der Fassung gebracht?“ „Nein, nicht doch. Meine anderen Freunde wollen auch alle was von mir. Und sie malen das im Gegensatz zu dir in ihr Poesialbum!“ „Jaja, schon gut. Habs verstanden.“ Ich wäre erschrocken gewesen, wenn nicht. Mein Sarkasmus war nicht zu überhören, zumindest hätte er das nicht sein sollen. „Also, du warst gemein?“ Er nickte und hatte dabei so ein dickes, fettes Grinsen auf dem Gesicht, was ich bis jetzt nicht deuten konnte. Als ich jedoch seinen nächsten Satz hörte, war ich überglücklich in einem weichen Bett zu liegen, als irgendwo zu stehen, wo ein Fall hätte hart und schmerzhaft werden können. „Dann hab ich dich ausgezogen.“ Alle möglichen Gesichtszüge hatten sich von meinem Gesicht verabschiedet, waren entglitten. Der Zug war abgefahren. Er hatte WAS gemacht? Ich wollte gar nicht wissen, wie es weiterging. Es ging bei solchen Geschichten immer gleich aus. Und wenn ich jetzt daran dachte... oh nein, wieso ich? Wieso immer ich? Und wieso klopfte die Überraschung nie an, wenn sie doch anscheinend so offensichtlich vor der Haustür stand? „Hey, jetzt bleib mal ganz ruhig.“, er lachte schon wieder. Und wie er lachte. Aber er versuchte wenigstens sich zusammenzureißen. Für mich? Wenn dem der Fall war, dann würde ich das sehr willkommen heißen. Himmel und Arsch, ich hatte auf einmal das dringende Bedürfnis getröstet zu werden. „Was denkst du denn eigentlich von mir?“ Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich wusste nur, dass seine Freude hier nicht so ganz am rechten Fleck war... zumindest sah ich das so. Mir wurde schon wieder ganz flau im Magen und anscheinend sah man das auch an meiner Gesichtsfarbe. Valentin hatte sich aufgesetzt und wedelte nun beruhigend vor mir mit seinen Armen rum. Ich konnte ihn nur anstarren. Sollte ich weinen? Nein, das kam nicht gut. „Ich hab dich also ausgezogen und-“ „Ich WILL es gar nicht wissen!“ „Doch, ich denke schon.“ er lächelte mich mittlerweile entschuldigend an. Jetzt tat es ihm wohl auch noch leid! „Sag jetzt am besten nichts mehr.“ „Danach hab ich dich ins Bett gelegt.“ „Red nicht weiter.“ „Hab dich zugedeckt.“ „Stopp! Ich sagte-...Moment, bitte was?“ „Hab mir ne Decke genommen, mich aufs Sofa gelegt, den Wecker gestellt und mich rechtzeitig so hingelegt, wie du heute aufgewacht bist...Ich wusste doch genau, was du denken würdest.“ Stille. Die Uhr tickte, die Grillen zirpten...und keiner bewegte sich. Valentin sah mich abwartend an. Ich starrte ihn ausdruckslos an. „Du...hast mich nur verarscht?“ Ich war genervt, ich war gereizt und er kugelte sich neben mir vor lauter Lachen. ~~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)