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Neue Welt

Spuren der Zeit
von

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Ende Zwei

Die Zeit flog rasch wie ein Raubvogel auf Jagd und es ward Nacht. Shamehen lud seine drei Gäste ein, die Nacht sicher in seiner bescheidenen Hütte zu verbringen, um gestärkt am folgenden Tage wieder aufzubrechen - was sie dankend annahmen.

Da er ein einsamer Seelenhirt auf einer Lichtung war, ist es ihm nicht möglich gewesen, ihnen Betten anzubieten, jedoch waren die Drei froh darüber, in einem warmen Raum nächtigen zu können, statt in der Kälte der Nacht.
 

"Willst du mir noch helfen?," bat Shamehen Thrian, welcher nickte und aufstand. Gemeinsam verschwanden beide in den vorigen Raum mit dem rotbeträufelten Teppich durch die Hintertür nach draußen. Hinter der Hütte war ein kleiner, hölzerner Unterschlupf, in den sich die wenigen Ziegen längst zum Schlafen gelegt hatten, neben ihm, außen am Zaun, stand ein selbst gezimmerter, rechteckiger Kasten, den Shamehen öffnete. Er reichte Thrian einen der zwei Fässer darin und nahm sich einen eigenen, beide bis an den oberen Rand blutverschmiert und noch gefüllt mit etwa der Hälfte. Thrian roch kurz daran und rümpfte seine Nase.

"Blut," vergnügte sich Shamehen über Thrians Reaktion, "das ist Wolfsblut. Ich jage sie..."

Zu zweit bewegten sie sich von der Hütte weg, etwa zehn Mannsbein entfernt blieben sie kurz stehen, während Shamehen der Ferne lauschte und seinen Blick anschließend zum stummen Thrian wandte. "Angstblut eines Wolfes.. Das schreckt sie ab, und alle anderen ungebetenen Gäste." Thrian setzte einen ernsten und zugleich grübelnden Blick auf, "du musst stark sein."

"Jetzt ja," Shamehen kicherte mit seiner dunklen, warmen Stimme, "am Anfang, musst du wissen, war es sehr schwer, einen Wolf zu erlegen. Und Angstblut zu ergattern völlig unmöglich."

"Das kann ich mir vorstellen," lächelte auch sein Gegenüber nun fast.

"...Geh' du da entlang und ich hier. Verteile es gut, aber pass' ja auf, dass du nicht alles auf einmal verschüttest."

Nachdem Thrian zustimmend nickte trennten sich ihre Wege in entgegengesetzte Richtungen, um mit dem beißend stinkendem Blut jeweils einen Halbkreis um die kleine Lichtung zu ziehen, bis sie sich am anderen Ende dieser wieder trafen.
 

In der Zwischenzeit waren Jounia und Dilenna weiter in der Wohnstube, das kleine Feuer spielte noch mit den ein oder anderen Funken. Dilenna zog aus ihrem Beutel die Wolldecke, die sie stets bei sich hatte und legte ihre lederne Bekleidung bis auf Hemd und Hose ab. Als sie ihre verschlissenen, alten Stiefel auszog, hielt sie, einen von ihnen in den Händen, kurz inne.

"Es tut mir leid..." sie senkte ihren Blick und blinzelte kurz zu Jounia herüber, bis sie auch ihren Kopf gänzlich zu ihr drehte, Jounia hob ihren Kopf vom Boden herauf und sah ihr tief in die blattgrünen Augen. "Ich würde ja behaupten, du hättest mir etwas davon sagen sollen, aber... Keiner von uns hatte auch nur eine Ahnung. Und besonders wegen Thrian, als er dir heute so eine Angst gemacht hatte..." Dilenna versuchte, Erklärungen und Entschuldigungen zu finden, doch schienen die Worte teilweise in ihrem Halse stecken zu bleiben.

"Dilenna...," unterbrach Jounia sie, "ich habe davon doch auch nichts gewusst. Ich dachte am Anfang noch, das wäre alles ein Traum und jetzt sind das auf einmal zwei Welten? Ich weiß doch immer noch nicht, ob ich all das glauben soll."

Dilenna legte ihre Stiefel beiseite und setzte sich nieder zu ihr, "es ist zumindest eine Erklärung. Und das wolltest du doch, das wollten wir alle drei, eine Erklärung." Jounia nickte, senkte ihren Kopf und wusste nicht, was sie tun solle, was sie denken solle. Dilenna lehnte sich zurück, schob ihren Mantel als Kneul unter ihren Kopf und legte sich auf den grauen Teppich vor dem Feuer. Sie bemerkte, wie ihr Gegenüber noch immer an der selben Stelle saß und still auf den Boden starrte.

"Leg' dich doch hin, es ist spät." Jounia schüttelte den Kopf, "was geschieht denn morgen? Ich habe so viel gehört an nur einem Tag, verschiedene Geschichten, Fabeln und Märchen, aber... keine einzige Geschichte darüber, wie ich wieder zurück kommen kann..." sie sah gleichsam angespannt und leer vor sich, Gedanken sprangen in ihrem Kopf quer, als Dilenna langsam verstand, seufzte, und sich wieder erhob.

"Versuch zu schlafen, das beruhigt dich. Ich versichere dir, morgen werden wir in Ruhe den Hirt noch einmal fragen.

Er war so aufgebracht an diesem Abend, dass man es ihm ansehen konnte, einen Seelenhirten so aufzuwühlen ist ganz und gar nicht leicht. Sie haben sicher schon vieles gesehen und von noch mehr gehört." Jounia nickte.
 

Die beiden Männer standen sich gegenüber am abgeschlossenen Blutkreis und sagten vorerst nichts. Sie horchten in den Wald hinein, aus dem hier und da ein Federtier und weit entfernt leises Wolfsheulen ertönte.

"Du brauchst neues Blut," wies Thrian hin, der Shamehen seinen leeren Behälter entgegen streckte, "soll ich dir helfen?"

"Nein," erwiderte Shamehen, "du bist ein Kämpfer. Einen Wolf im Kampf zu erlegen erfüllt seinen Körper nicht mit Angst, das muss ich allein machen."

Thrian verstand nicht ganz, nickte aber nichtssagend. Als Shamehen sich wieder zur Hütte umdrehte und sich darauf zu bewegte, ging auch Thrian zurück in die Wärme. Jounia und Dilenna saßen sich auf dem Teppich vor den noch glühenden Holzspaten gegenüber, als sich die Tür zu diesem Raum öffnete und ihr Gefährte hinein trat.

Er sagte nichts, warf den jungen Frauen nur einen Blick zu, besonders in Jounias Augen blieb er für kurze Zeit verweilen, während er hinter sich die Tür schloss und seinen Mantel ablegte. Jounia erwiderte seinen Blick nicht lang, nur kurz bis sie verlegen auf den Boden schwenkte. An diesem Abend waren tausende Worte gesprochen worden, dass den drei Gästen kein neues mehr einfiel, zu sagen.

Es war schon spät, als die Dunkelheit die Nacht durchfloss und auch die sonst leere, aber in jener Nacht gefüllte Wohnstube verdunkelte allmählich ebenfalls, bis nur vereinzelte Holzscheite rot glühten. Shamehen ging vorerst auch wieder in seine Hütte und stellte die leeren Behälter vor die Eingangstür.

Neben dem verlassenen Ritualzimmer mit dem blut-besprenkelten Teppich öffnete er eine Tür, kaum zu unterscheiden von der Wand um sie herum. Es war eine Kammer, gut gefüllt mit Fellen, allerlei getrockneten Kräutern und Gefäße, dessen Inhalte man nicht einmal erriechen oder erahnen konnte. Zum Teil waren es eingelegte Gaulaugen, in Wieselspeichel getränkte Zungenstücke und ausgepresstes Rückenmark verschiedener wilder Tiere, aber auch Schafwolle, Milch und gemahlene Zähne. Er nahm sich ein Rohr und ein paar äußerst kleine, spitze Pfeile, die aus Wolfskrallen geschnitzt und umwickelt von feuchten Tüchern waren. Die Feuchte kam aus einem kleinen Fläschchen, welches mit einer selbst angerührten, benebelnden Substanz gefüllt war.

Jede Erntezeit der giftigen Morphiskräuter, welche er selbst anbaute, nutzte er und sammelte die Blätter dieser ein, um die Flüssigkeit heraus zu pressen. Nach Zugabe von weniger als einem Tropfen Krötenmark wirkt die Flüssigkeit in jenem Fläschchen gefahrvoll sinnesbenebelnd für jeden, der mit ihr in Berührung kommen sollte.
 

Shamehen warf sich ein großes Fell über die Schultern und verschwand im Wald...
 

Er war still und näherte sich den Geräuschen der Finstertiere - der Wölfe.
 

Zunächst nahm er in einer Baumkrone Platz, um einen Überblick zu bekommen, "zwei, drei.... Vier Stück. Gut."

Vorsichtig hielt er das Rohr an seinen gespitzten Mund und setzte schnell eine Pfeilspitze hinein, dann zielte er.

Es ist schon viele Jahre her gewesen, dass er sich diese Technik selbst angeeignet hat, so war er inzwischen so geübt, dass es in den meisten Fällen ohne Zwischenfall funktionierte. Mit raschem Druck schoss er dem ausgewählten Wolf die Spitze entgegen und beobachtete, wie er aufjaulte und zusammenzuckte. Alle Wölfe erschraken durch jenen Laut, blieben aber hohen Mutes Rücken an Rücken stehen, um knurrend in den schwarzen Wald hinein zu blicken. Von da an war es eine Frage von wenigen Augenblicken, bis die Tinktur anfing, zu wirken. Der Wolf senkte unsicher die Ohren und seine Rute zog er heran, das Stadium der Taubheit war erreicht. Als Shamehen dies bemerkte, zückte er Zapfen vom Baum, auf dem er saß, quetschte ein wenig Ziegenfleisch hinein, warf sie weiter fort und stieß ein Wolfsgeheul heraus, um die anderen drei Wölfe vom Benebelten davon zu jagen. Jener hörte nicht klar, was in diesem Moment vor sich ging. Hastig wechselte er den Blick zu verschiedenen Seiten und suchte vergeblich nach seinem Rudel. Als er versuchte, weg zu laufen, wusste Shamehen, dass das zweite Stadium, das des Schwindels, begonnen hat. Der Wolf machte sich klein, fletschte aber angespannt seine Zähne. Im Wissen dessen, dass nun auch die Sicht verschwommen würde, kletterte Shamehen vom Baum und sprang vor den Augen des Wolfes. Das Fell, das er sich mitgenommen hatte, zog er sich über, sodass er im hockenden Zustand nicht von einem der Finstertiere zu unterscheiden war. Er kroch näher, langsam und auf allen Vieren.

Es war finster und der Wolf konnte nichts um sich herum hören, als nur ein leises Rauschen. Die verschwommene Gestalt vor ihm näherte sich schleppend, taumelnd und bedrohlich. Und doch roch es vertraut, das Fell eines Wolfes war zu erschnüffeln. Kurz vor der Nase des Wolfes blieb die Gestalt stehen, hocken, und bewegte sich schlängeln und windend, plötzlich raffte Shamehen sich auf und warf das Fell von seinen Schultern. Der Wolf erschrak bis aufs Mark, das Blut in seinen Adern raste und die Wirkung der Tinktur wurde schneller weiter verbreitet. Ihm wurde langsam aber sicher schwarz vor Augen und seine vier Beine wackelten so stark, dass er halb zu Boden sank. Shamehen sprang flink aus dem noch letzten Blickfeld des Wolfes an dessen blinde Seite. Das feste Greifen in beide Seiten, als er hinter ihm stand war wie das Packen an einen starken Nerv. Der Wolf konnte nichts hören, nichts mehr sehen und war getäuscht worden von seinem Geruchssinn, er wurde gepackt.

Angst durchfloss ihn von seiner Fellspitze bis in die zusammensackenden Pfoten, als Shamehen in dem Moment eine Klinge zückte und ihm in die Kehle stieß.

Ihm selbst gefiel diese Vorgehensweise nicht, allerdings hatte er sie sich selbst erlernt, um sich von jener der vorigen Seelenhirten, die er kannte, zu entfernen. Noch sein Vorgänger berichtete ihm in seiner Lehrlingszeit, dass die Wölfe zu Zeiten noch teilweise gefesselt, geknebelt und durch starken Schmerzen wie etwa das lebendige Häuten getötet worden sind. In Anbetracht dessen war Shamehen nun doch etwas Stolz über seine selbst entwickelte Wolfsjagd.
 

Den blutenden Leib umwickelte er mit seinem mitgetragenen Fell, um nicht allzu viel des Angstbluts zu verlieren. Durch den in diesem Moment schon beißenden Geruch konnte er sich der Sicherheit vor den anderen Wölfen sicher sein. Er warf sich den Leib über die Schultern und trug das tote Tier zum weiteren Ausbluten zurück zu seiner Hütte...



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