Neue Welt von DasMaKi (Spuren der Zeit) ================================================================================ Kapitel 6: -1|6- ---------------- Am nächsten Morgen schien die aufgehende Sonne schon früh durch ihr Fenster. Die Augen öffnete sie nur langsam, um den sachten Vogelgesang noch ein wenig genießen zu können. Jounia hatte sich kaum Gedanken darüber gemacht, was sie in dieser Nacht geträumt hatte, was ungewöhnlich war. Denn das Schönste am Schlafen war für sie immer das Träumen. Wo sonst kann man durch einen bloßen Gedanken machen, was immer man sich vorstellt, ob man nun einhundert Meter hoch und weit springen kann, oder gleich anfängt, zu fliegen. Schade daher, dass man oft keine Erinnerungen mehr daran hat… Noch eingemurmelt in der Decke richtete sie sich auf, saß auf ihrem Bett, den Blick aus dem Fenster gerichtet, unter welchem es stand. Vor dem Fenster stand ein hochgewachsener Baum, der mit seiner Krone bis zum vierten Stockwerk reichte. Dort, wo die Vögel ihre Nester sorgfältig gebaut hatten und dort, wo sie nun singend auf den Ästen saßen. Unter ihnen liefen Menschen auf den Straßen herum. Ab und an war es recht interessant, sie zu beobachten, einige, denen man ansehen konnte, dass sie nicht aus reichem Hause kommen, andere, bei denen das Gegenteil zutraf. Einige Tage zuvor erst kam Jounia im Zug eine Frau entgegen, von der man nur schwierig den Blick abwenden konnte. Sie hatte rotgefärbte Haare, toupiert, sodass sie fast von allen Seiten abgestanden haben und ihre Frisur der einer ausgedachten Figur ähnelte. Ebenso Blutrot waren ihr Mund bemalt und Muster auf ihrem sonst dunklen Mantel, der ihr bis unter die Hüfte reichte. Um ihre Augen erkannte man schwarze Konturlinien. Sie war nicht unbedingt sehr schlank, war aber auch nicht in der Art gewichtig, dass man sie hätte dick nennen können. Vor sich schob sie einen purpurnen Kinderwagen her, durch die automatisch aufgehende Tür des Zugs hindurch, durch welche Jounia aussteigen sollte. Macht es nicht die Neugier des Menschen aus, dass er gern in solche Wagen hineinsieht, um kleine Neugeborene sehen zu können, ob sie recht niedlich waren, – und das waren sie ja immer – um ein Funkeln in deren kleinen und doch für sie so großen Augen strahlen zu sehen? Nun sah beim Vorbeigehen auch sie hinterher, drehte ihren Blick ein wenig, um hineinsehen zu können. Allerdings war es kein neugeborener Mensch, der dort jenen Blick erwiderte… Was sich im Innern des „Kinder“-wagens befand, war zwar auch nicht groß, allerdings hatte es vier Beine, an ihnen jeweils eine kleine Pfote, eine lange Schnauze mit feuchter Nase, zwei große Ohren und war am ganzen Körper bestückt mit braunen Haaren, Fell. Nein, es war kein Kind, sondern ein im Wagen gegen Herausspringen festgeschnallter Hund. Hinter Jounia verschlossen sich die Türen, der Zug fuhr weiter und sie blieb noch ein-zwei Sekunden mit verdutzter Blick stehen… Obwohl einem die Welt ansonsten völlig normal vorkam, gab es Momente wie diese, die einen die Unterschiede und die Kluft zwischen den sozialen Schichten noch einmal vor Augen führten. „Jounia!“ Nachdem sie sich die Welt aus ihrem Fenster eine kurze Zeit lang ansah, riss sie eine Stimme wieder in die Realität. Sie schmiss die Decke von den Beinen herunter und setzte sie mit Schwung auf den Boden vor dem Bett. Ihre Mutter war es, die sie rief. „Ja?, “ fragte sie, in die Küche gehend, in welcher sie sich befand. „Du müsstest heute einmal Essen kaufen, ich schreibe dir eben alles auf.“ Mit zustimmendem Gemurmel verschwand Jounia wieder in Richtung Badezimmer. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater in einer sehr bescheidenen Wohnung eines insgesamt grauen Zehnfamilienhauses. Ihr Vater arbeitete für die oberen Stände als Bauarbeiter und ihre Mutter war Verkäuferin in einem kleinen Laden, der wie viele anderen der baldigen Pleite bevorzustehen schien. Die Wohnung bestand aus einem kleinen Badezimmer, Jounias Zimmer, dem Schlafraum ihrer Eltern und einer geräumigen Wohnküche, deren Raumabschnitte durch eine kleine, meterhohe Halbwand voneinander getrennt waren. Nach nur kurzer Zeit nahm sie sich den Zettel ihrer Mutter, den sie schrieb, während Jounia sich fertig gemacht hatte und ging aus der Wohnungstür. Der Himmel und die Erde unter ihm waren an diesem Tag ähnlich, wie am vorigen, weshalb sie sich auch an diesem wieder das Fahrrad nahm, das durch den nächtlichen Unfall ein leicht verbeultes Rad davon trug. Nicht aber gravierend. Der Weg zum Laden dauerte nicht lang. Entlang der Schienen, auf einem schmalen Weg, welcher üblicher Weise längst nicht mehr als Weg verwendet wurde, da die Menschen überwiegend mit der Bahn fuhren, oftmals hoffend, es würde nicht bemerkt werden, keine Fahrkarte zu besitzen. Allerdings bestand diese Welt aus Hektik und Eile, was sie dazu zwang, sich mit ihr zu sputen. Nach ungefähr fünfzehn Minuten Fahrt kam Jounia am Laden an. Er war sehr voll an einem Samstag, auch an diesem. Ab und an konnte man bekannte Gesichter sehen und sie hielt Ausschau, beobachtete jene, die ihr entgegen kamen. Ein Mann mit einem knielangen Mantel, an dessen Ränder kleine Löcher gerissen waren, darunter ein Hemd, dem man ansehen konnte, dass es einst weiß gewesen ist und dabei dem Betrachter die Selbstinterpretation überließ, wie lang es seine Ursprungsfarbe nicht mehr hatte, hielt ein Brot in den Händen. Er hatte zwar nicht gleich den Anschein, ein Obdachloser zu sein, doch konnte man ihm auch nicht viel Geld in seiner Tasche zutrauen. Es schien eher wie ein alter, verlassener Mann. Jounia ging, einen kleinen Sack Kartoffeln vor sich hertragend, an einem Kind vorbei, kaum größer, als einen Meter und nicht älter, als fünf, das sich, statt sich selbst mehr zu kaufen, bei einer Frau erkundigte, ob das Geld reiche, um für die kleine Schwester ebenfalls etwas zu besorgen. Jounia konnte nicht anders, als über ihn zu lächeln. Wie sagt das Sprichwort noch gleich? Die Armen sind die Gütigsten. Je erhabener, desto eigensinniger.. oder so ähnlich, kam es ihr kurz durch den Kopf... Nein, dieses Mal war nirgendwo eine Spur der schwarz-roten Dame mit ihrem „Hunde“-wagen. Es war ein kleiner Laden, nicht groß und ohne Drumherum. Also nicht geeignet, für Menschen, wie jene, sondern eher für die untere oder normale Schicht, wie der Jounias. Der, des alten Mannes und der des kleinen, teilenden Jungen. Nachdem Jounia auch die restlichen Lebensmittel bezahlte und aus dem Laden hinausgegangen war, schreckte sie zusammen. „Oh nein!“ stieß sie heraus, als sie bemerkte, dass ihr Rad nicht mehr an Ort und Stelle gewesen ist. Der Ärger schoss in ihr herauf und sie wendete ihren Blick ruckartig hin und her, um es womöglich zu finden. „Da!,“ pochte es aus ihr in dem Moment, in dem sie einen anderen auf dem Ihren fahren vermutete. Im nächsten Augenblick allerdings, nach einem Augenschlag, war es das nicht mehr. „Nein...,“ verzog sie ihre Augenbrauen verärgert zusammen, „ nein, das ist es doch nicht..“ -Und schon wieder! Sie zuckte mit ihren Augen zu einer anderen Person, einem Mann, der ihr Rad zu fahren schien. Jounia lief einige Meter auf ihn zu, sie wollte erst anfangen, schneller zu werden, als auch dieses Rad auf Mal ein anderes war. „Was...,“ ihre Verwirrtheit konnte man ihrem Angesicht direkt entnehmen. Hinzu kam ein Funke Beklommenheit, als sie bei Sicht in verschiedene Richtungen, fast alle Personen, welche Rad fuhren, auf dem Ihren sah. Was ist das? Was geht hier vor? Fast fühlte es sich an, als würden sich alle einen Spaß aus sie machen, aber wie soll das möglich gewesen sein. In der Hektik fuhr Jounia ihre Augen weiter umher, bis sie letzten Endes wieder zum Eingang des Ladens angekommen waren. -Es war da. Es ist da. Das kann doch nicht sein. Sie traute sich vorerst nicht, darauf zu zu gehen. Unsicher schwenkte sie ein letztes Mal ihren Blick umher, sah aber keinen einzigen Menschen mehr fahren, wie zuvor. Schnell belud sie ihr Rad mit dem Besorgten und setzte sich darauf. Ihr Herz pochte nervös in ihrer Brust und zunächst wusste sie nicht,wie sie sich verhalten solle. Um sich zu beruhigen schloss sie für einen Moment die Augen und fasste sich an die Stirn. Werde ich verrückt? Nach kurzem Zögern war sie bereit, sich wieder auf den Weg zu machen. Hosted by Animexx e.V. 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