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Stolen Dreams Ⅶ

von

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1. Kapitel

Luca hatte schon früh gelernt, dass Monster nicht unter seinem Bett oder in seinem Schrank hausten, sondern sich in einer Hülle aus Fleisch und Blut versteckten und unter den Menschen lebten, als wären sie einer von ihnen. Eigentlich steckte in jedem Menschen ein Monster, aber nur die wenigsten ließen es so stark zum Vorschein kommen, dass sie anderen Leuten dabei massiv schadeten.

Lucas Mutter war eine hübsche junge Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollte. Nur wenige Tage nachdem sie volljährig geworden war, schnappte sie sich einen dicken Batzen Kohle ihrer Eltern und riss von zu Hause aus. Ihr Plan war es, zu studieren, einen attraktiven Mann zu finden und mit ihm eine Familie zu gründen, aber daraus wurde nichts. Das Geld wurde restlos für Drogen ausgegeben und der Kerl, mit dem sie in der Kiste landete, war Marius, ein Krimineller, der sich nach der gemeinsamen Nacht aus dem Staub machte und zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass er die Frau verlassen hatte, die sein einziges Kind zur Welt bringen würde.

Als Lucas Mutter herausfand, dass sie schwanger war, hätte sie sich den Embryo vor Wut am liebsten aus dem Leib gerissen, aber das war bloß eine Vorstellung, was sie auch blieb.
 

Die ersten Jahre von Lucas Leben verliefen mehr oder weniger normal, wenn man davon absah, dass Mom sich immer mehr ihren Drogen hingab und auch anfing, ihre Sorgen und zerplatzten Träume in Alkohol zu ertränken. Luca hatte sie mal dabei beobachtet und bemerkt, dass sie nicht aus der Flasche trank, sondern die Flasche aus ihr. Sie nahm ihren Lebenswillen und ihre Hoffnung in sich auf und sorgte dafür, dass diese Dinge sich in Luft auflösten.

Irgendwann wurde es so schlimm, dass Mom ihren Frust an Luca ausließ. Sie schlug und trat ihn, bis sie ihn eines Tages ins Krankenhaus fahren musste, weil er sonst gestorben wäre. Die Ärzte dort konnten an Lucas Wunden feststellen, dass er nicht die Treppe hinuntergefallen war, was seine Mutter behauptet hatte, und informierten das Jugendamt, das sich umgehend um den Jungen, der noch zur Grundschule ging, kümmerte und ihn zu einer Pflegefamilie gab, mit der Luca nicht viel anfangen konnte. Er zeigte ungewöhnlich aggressives Verhalten, verweigerte jegliche Hilfe – insbesondere die von Psychotherapeuten – und schloss sich einer Gang in seiner weiterführenden Schule an, mit der er gemeinsam klaute, rauchte und andere Dinge tat, auf die kein Elternteil auch nur im Entferntesten stolz gewesen wäre.
 

Wie ein Wanderpokal wurde Luca von einer Familie zur nächsten gereicht, weil sein Verhalten es sehr problematisch machte, seine Anwesenheit zu ertragen. Der Junge hatte schon immer das Gefühl gehabt, von niemanden geliebt oder gebraucht zu werden, was sich durch den ständigen Wechsel seiner Pflegefamilien noch verstärkte. Wie seine Mutter ließ er seinen Zorn an Schwächeren und besonders an den Schülern in den Klassen unter ihm aus, nahm Drogen und fand seine Liebe zu Alkohol. Er wollte um jeden Preis vermeiden, wie seine Erzeugerin zu werden, die mittlerweile an einer Überdosis Heroin gestorben war, aber wie alle anderen Dinge, die er sich vornahm, wollte ihm das nicht gelingen. Immer tiefer versank er in dem Strudel aus Wut, Trauer und Verzweiflung, bis er sein Leben schließlich aufgab. Wieso sollte er sich in der Schule Mühe geben, wenn er seinen Abschluss trotzdem nicht schaffen würde? Wieso sollte er nett zu anderen Leuten sein, wenn ihn alle Menschen in seiner Umgebung wie Scheiße behandelten? Wieso sollte er versuchen, einen Sinn in seinem Leben zu finden, wenn er doch sowieso früher oder später sterben würde?
 

Es dauerte nicht lange, bis Luca seinen Selbstmord plante. Er war inzwischen 16 Jahre alt und überlegte noch, auf welche Art und Weise er sterben wollte, als plötzlich mehrere teuer aussehende Autos vor seinem Haus parkten. Die Männer nahmen ihn mit und brachten ihn zu einer Villa, in der eine Person wohnte, die in Lucas Leben eine wichtige Rolle spielen sollte.

Sein Vater.

„Ja, natürlich sind Sie mein Vater. Und wissen Sie, wer ich bin? Der verfickte Weihnachtsmann!“

Natürlich glaubte er Marius kein Wort, aber nachdem dieser ihn zu einem Vaterschaftstest überredete, legten sich Lucas Zweifel und als er herausfand, dass Marius ein Mafioso war, taten sich ihm ganz neue Möglichkeiten auf.

Er war bei einem mächtigen und reichen Mann, der ihm jeglichen Wunsch erfüllen und bei fast jedem Problem helfen könnte – was wollte man mehr?

Es ging bergauf, wenn auch nur für ein knappes Jahr. Luca schaffte es, sich seinen Drogen- und Alkoholproblemen zu stellen und seinen Lebenswillen wiederzufinden, doch dann lernte er Chiara kennen.
 

Chiara war die schönste junge Frau, die Luca je gesehen hatte. Mit ihren blonden Haaren und blauen Augen sah sie wie ein Engel aus und dass sie ein paar Jahre älter als Luca war, störte ihn nicht groß. Sie lachte über seine Witze, schenkte ihm ihre Aufmerksamkeit und gab ihm die Liebe, nach der er sich schon so lange gesehnt hatte.

Zu blöd nur, dass diese Zuneigung ein Angelhaken war.

Kaum hatte Chiara es geschafft, Luca emotional von sich abhängig zu machen, veränderte sie sich. Ihre Komplimente wurden zu Beschwerden, ihr Haus wurde zu einem Gefängnis, ihre Versprechen zu Lügen und die traumhafte Romanze zu einer albtraumhaften Qual. Sie schickte ihn durch die Hölle und er nannte das Liebe, was er jedoch erst verstand, als es schon viel zu spät war.

Chiara hatte ihn kaputt gemacht. Mithilfe von Isolation, Gewalt und Manipulation hatte sie dafür gesorgt, dass er sich wertlos und schuldig fühlte. Er dachte, dass das bloß eine Phase war und sie wieder zu der Chiara werden würde, die er kennengelernt hatte, aber er erkannte nicht, dass es diese Chiara nicht gab. Sie war nicht plötzlich zu einem Monster geworden, sondern die ganze Zeit eines gewesen. Alles, was sich verändert hatte, war bloß ihre Gestalt und ihr Menschenkostüm, von dem sie jeden Tag ein Stück abgelegt hatte.
 

Luca wusste, dass Chiara ihm schadete, aber er konnte sie nicht loslassen, weil er sie liebte und daran glaubte, dass sie ein guter Mensch sein konnte, wenn sie nur wollte. Er war so sehr damit beschäftigt, sie zu retten, dass er gar nicht realisierte, dass er derjenige war, den es zu retten galt.

Sie entschuldigte sich kein einziges Mal dafür, dass sie ihn wie den letzten Dreck behandelte, aber er entschuldigte sich unendlich oft, deswegen wütend gewesen zu sein. Immer, wenn es ein Problem gab, war er schuld und wenn nicht, dann war es trotzdem so. Es ging steil bergab, was Luca aber nicht sehen wollte.

Eines Tages wird es besser werden, sagte er sich selbst, völlig unwissend, dass es diesen Tag nicht geben würde, solange er sich an Chiaras Seite befand. Sie hatte auch angefangen, ihn zu schlagen, und Luca hatte zurückgeschlagen, aber nur ein einziges Mal, denn bei ihm war es Gewalt, während es bei ihr bloß eine Reaktion auf sein Verhalten war. Alles blieb beim Alten – Luca war schuld, selbst wenn er es nicht war. Chiara verletzte ihn und tat anschließend so, als wäre sie diejenige, die leiden würde.
 

Irgendwann entschied er, dass er genug von seinem Leben hatte, das nur Scheiße für ihn bereithielt. Mittlerweile war er 23 Jahre alt und mehr oder weniger in die Geschäfte seines Vaters intrigiert, von denen er Chiara ferngehalten hatte, um sowohl sie als auch Marius und dessen Familie zu schützen. Auch wenn der Gedanke, ein Leben als reicher und mächtiger Mafioso zu führen, in Lucas Augen etwas Reizvolles hatte, fühlte er sich nicht in der Lage, diesen ''Job'' auszuüben. Chiara hatte ihm so oft eingeredet, dass er nutzloser, dummer, hässlicher, fetter und wertloser Abschaum war, dass er es nach gewisser Zeit geglaubt hatte und nun nicht mehr davon loskam. Was hatte er in seinem Leben auch schon Großartiges erreicht? Er war seine Sucht losgeworden... na super. Und er hatte glänzende Aussichten auf ein Leben als Verbrecher... auch nichts, auf das man stolz sein könnte.

Luca war sich sicher – er hatte genug. Nur einen einzigen weiteren Tag seines beschissenen Lebens ertragen zu müssen, würde reichen, um ihn in den Wahnsinn zu treiben.

„Zerstöre das, was dich zerstört“, hatte Marius mal gesagt und das tat Luca jetzt auch. Er zerstörte sich selbst.
 

~*~
 

Fabian hätte niemals gedacht, dass eine simple Begrüßung so viel Angst in ihm auslösen könnte, aber es stimmte. „Hi“, hatte seine Freundin Clara gesagt – und er hatte beinahe eine Panikattacke bekommen.

Wie ein Kaninchen verharrte er in einer Schockstarre und bewegte sich keinen einzigen Zentimeter. Dass ihm sein Mathebuch aus der Hand fiel, nahm er nur entfernt am Rande wahr.

„Ich will dich bloß fragen“, murmelte Clara schüchtern, „ob wir uns vielleicht mal treffen können, um ein paar Dinge zu besprechen.“

Fabian fühlte sich, als hätte er ein Ei im Mund, das, sobald er seine Lippen voneinander trennte, sofort herausfallen, explodieren und die halbe Welt zerstören würde.

„Also... nur falls du willst, natürlich. Denn ich finde, wir sollten unserer Beziehung eine zweite Chance geben.“

„I-ich... entschuldige mich kurz.“

Kaum hatte Fabian das gesagt, drehte er sich um, verschwand hinter der Ecke, rannte den Gang entlang, ignorierte die wütende Lehrerin, die ihm nachrief, dass das Laufen auf den Fluren ausdrücklich verboten war, und sprintete zur Jungentoilette, wo er sich in eine Kabine stürzte und sein Frühstück hochwürgte.
 

Nachdem er beim Erbrechen fast an seiner eigenen Kotze erstickt war, lehnte er sich ängstlich keuchend gegen die Wand und spürte, wie ihm die Tränen über das Gesicht liefen und sich kalter Angstschweiß auf seiner Stirn bildete.

Plötzlich war alles wieder da. Von einem Moment auf den anderen befand sich Fabian nicht mehr auf der stinkenden Toilette, sondern in seinem Zimmer. Clara war bei ihm, sie küsste ihn und ließ ihre Hände wie die Fühler eines Insektes über seinen Körper gleiten.

„Hör auf“, sagte er und lachte nervös, aber sie tat seine Worte als einen Scherz ab.

„Du bist so niedlich, wenn du dich zierst“, kicherte sie und machte einfach weiter.

Fabian bemerkte, dass er zu zittern begann. Er hatte das Gefühl, zahlreiche Würmer und Maden würden auf seinem Körper herumkrabbeln, in seine Haut eindringen und sich durch sein Fleisch fressen. Es war widerlich, doch er war zu geschockt, um irgendetwas dagegen zu unternehmen.

„Nein, Clara... das reicht jetzt.“

Sie lachte bloß und blickte mit ihren großen Augen, die Fabian an Facettenaugen erinnerten, auf ihren Freund herab, der wie aus einem Reflex heraus reagierte – und Clara ins Gesicht schlug. Er wusste, dass man Frauen nicht schlagen sollte, und war alles andere als stolz auf sich, aber--
 

Das Läuten der Glocke beförderte Fabian in die reale Welt zurück. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fassen, ehe er sein Frühstück, das in Form einer unappetitlichen Masse in der Toilette schwamm, in die Kanalisation spülte und langsam zurück zu seinen Spind ging.

Weil der Unterricht bereits begonnen hatte, waren die Gänge so gut wie leer. Außer Fabian, der immer noch am ganzen Körper zitterte und leichenblass im Gesicht war, und dem Hausmeister, der Selbstgespräche führte und sich wütend grummelnd über den Müll auf den Fluren beschwerte, war weit und breit kein einziger Mensch zu sehen.

Nachdem Fabian sich an dem fluchenden Hausmeister vorbeigeschlichen und seine Sachen in seinen Spind geräumt hatte, warf er sich seine Tasche über die Schulter und beschloss spontan, dass er heute nicht zum Unterricht gehen würde. Sollte ihn irgendjemand davon abhalten wollen, das Schulgebäude zu verlassen, würde er diese Person zur Jungentoilette schicken, wo auf einer der Klobrillen noch einige Überreste von Fabians Frühstück zu finden waren.

Er wanderte in aller Seelenruhe über den Schulhof, stieg in den nächstbesten Bus und hoffte, dass heute keine Kontrolleure anwesend waren, weil er keine Fahrkarte besaß.
 

Eigentlich hatte Fabian nach Hause gewollt, aber im Grunde war es da genauso beschissen wie in der Schule. Nicht weil er sich in seinen eigenen vier Wänden nicht sicher fühlte oder weil er seine Familie nicht mochte, was übrigens nicht der Fall war, sondern weil ihn niemand verstehen konnte.

Wäre ich ein Mädchen und Clara ein Junge, gäbe es kein Problem. Ich würde meinen Eltern von der Sache erzählen, woraufhin Mom mich trösten und Dad die Polizei rufen würde. Es gäbe einen großen Aufstand und Clara würde ihre gerechte Strafe erhalten, denn schließlich hat sie mich sexuell missbraucht.

Aber... so etwas passiert doch nur Mädchen. Ich habe das Internet nach Personen abgesucht, die ähnliche Probleme wie ich haben, und nur weibliche Opfer gefunden. Ein paar Männer waren auch dabei, aber einige waren offensichtlich bloß ein Troll und andere bekamen den Rat, ihrer Freundin einzuprügeln, wer der Boss der Beziehung sei, was unmöglich die Lösung des Problems sein kann.

Seufzend sah Fabian auf den Fahrplan, der im Bus hing, und dachte darüber nach, wo er aussteigen sollte. Andere Schüler wären an seiner Stelle sicherlich nach Hause oder ins Kino gefahren, aber dahin Fabian wollte nicht. Er wollte bloß verschwinden und nie wiederkommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Usaria
2017-04-09T20:56:24+00:00 09.04.2017 22:56
hmm! Und wieder bist du sehr an der Realität dran. Es ist wirklich so, dass es meistens Frauen sind die sexuell Missbraucht werden, wenn männlich dann meistens Jungs von anderen Männern. Siehe Kircheskandal! Da würde ich mal sagen, beide haben eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung mit emotionaler Insatabilenpersönlichkeitsstörung. Zmdst bei Luca kommts raus. Na da bin ich mal gespannt wie´s weiter geht.
Von:  Laila82
2017-04-07T18:29:37+00:00 07.04.2017 20:29
Ist das der Junge der zusammen Misha mit verkauft wurde, dessen Besitzer bei Victor angerufen hat?
Antwort von:  Yukito
07.04.2017 21:19
Ja
Antwort von:  mor
15.04.2017 21:41
ach stimmt den gab es ja auch noch


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