Contiguity Magica von WrightGerman (A Crow and her Heaven) ================================================================================ Kapitel 08: Eine Nacht voller Überraschungen -------------------------------------------- Contiguity Magica Kapitel 08: Eine Nacht voller Überraschungen   Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt. -Ernst Ferstl   Was unterdessen geschah: Im Krankenzimmer   Wollen wir die Uhr noch ein weiteres Mal zurückdrehen, den Abend zum Tage machen und den Schauplatz der Handlung zum letzten Male wechseln. Denn zu dem Zeitpunkt, da die Sonne endlich die entleerten Wolkenschwaden durchbrochen hatte und Mitakihara wieder in einem lichten Schein des Frühlings badete, der junge Hexer noch ziellos durch das Gewirr aus Menschen irrte und jede der jungen, uns bekannten Damen sich ihr gestellten Aufgabe nachgegangen ist, fand ein Mädchen bislang in nur sehr knappen und ereignislosen Worten ihre Erwähnung. Unter der Lawine der gewichtigen Geschehnisse begraben und verschollen, aber nicht vergessen, wollen wir sie nun wohlbehalten bergen und wärmen und auch ihr ein wenig an Beachtung zukommen lassen. Denn schließlich und endlich hatte das arme Ding nichts für ihre jetzige Situation gekonnt. Und wenn das ihr gegebene Interesse geheuchelt ist, verdient sie es zumindest wohl, dass sie nicht nur in einer mitleidigen Erwähnung Dritter, ihre Rolle zu diesem Moment der Geschichte ausübt. Der Tag war von einer zermürbenden Ruhe geprägt. Madoka hatte, weil die Matratze zu hart und das Bettzeug zu steif, die Umgebung zu ungewohnt und die Gedanken so unstetig blieben, in der verregneten Nacht den erholsamen Schlaf missen müssen. Letzterer Grund ließ sie im Geiste immer dieselbe Frage wiederholen: Was war passiert? Was hatte sich in diesem kurzen Zeitraum, welcher zwischen dem Moment der Verabschiedung Hitomis und dem des Erwachens auf dem kühlen Fußboden lag, nur so schlimmes ereignet? Warum wusste sie nicht einmal mehr, dass sie mit Sayaka den Musikladen betreten hatte und warum sie ihn so plötzlich und ohne scheinbaren Grund verließ? Es nagte an des Mädchens gequälten Verstand, dass sie auf diese Erinnerung keinen Zugriff hatte. Wie bei einem Computer, der ein Passwort für das Abrufen einer Datei verlangte, das von Vorneherein nicht von ihr festgelegt wurde. Und es grub die ernste Sorge, man könne sie für unzurechnungsfähig erklären, viele Furchen zwischen den Brauen. Madoka richtete sich im Bette auf. Beide Hände führte sie zum Kopf, wobei die Finger wie das Gezweig der Baumwipfel in einer Winternacht zitterten. Dabei ertastete sie jenes einzige Überbleibsel dieses unvorstellbar großen Mysteriums. Das laute Prasseln des draußen vorherrschenden Regenfalls vermengte sich mit dem ungewissen Dunkel des Raumes, dem ein unverständliches Geflüster entkam. Vielleicht mochte es nur die Einbildung sein, vielleicht mochte sich doch etwas in dem Schwarz verbergen, dass sie scharf beobachtete und sie jeder Fröhlichkeit beraubte, welche dieses liebenswürdig Mädchen einst so fein schraffierte. Aber es brachte sie der Frage näher, die sie, ohne ihr Wissen, zu einer eigentlichen Krankheit pervertierte, dadurch, dass sie sich zu sehr sorgte: War sie noch die Herrin ihrer eigenen Sinne?   Zur Mittagsstunde hatte es an ihrer Tür geklopft. Madoka war etwa vor einer halbe Stunde von ihrer mehrschichtigen Untersuchung wieder auf ihr Zimmer zurückgebracht worden. Nur eine halbe Stunde, die das melancholische Kopfdrama von einem blütenverregneten Frühlingstag unter klarem Himmel trennte. Die Tür wurde langsam aufgestoßen; der freudige Anblick für Madoka trat ein. „Guten Morgen, Madoka!“, grüßte Sayaka in einem Ton, der die kargen Wände des Raumes mit munteren Farben sprenkelte. Das aufgeweckte Gesicht hüllte das Zimmer selbst in ein helleres Licht, als das der Sonne, die durch das Fenster schien. Gleich nach ihr trat Hitomi ein, die gleich die Tür hinter sich schloss. „Wir haben doch schon Mittag, Sayaka-san“, sagte Hitomi mit einem zierlichen Lächeln auf den Wangen. Beide traten sie an das Krankenbett heran. Madoka richtete sich sogleich auf, legte beide Hände auf den Schoß und musterte die beiden mit einem Strahlen in den Augen, als hätte sie ihre zwei liebsten Freundinnen seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. „Wie geht es dir, Madoka-san?“ „Viel besser, jetzt wo ihr hier seid, Hitomi. Es macht mich wirklich glücklich, dass ihr mich besuchen kommt.“ Madoka strahlte über das ganze Gesicht. „Ist doch selbstredend“, sagte Sayaka. Mit den Händen in ihre Hüften gestemmt, das Kinn stolz erhoben und die Brust gerade heraus gestreckt, stand sie da wie eine strahlende Heldin, die ein goldener Schein ausleuchtete. Hitomi blieb dagegen mehr ihrer natürlichen Körperhaltung treu, schnappte sich einen der zwei freien Stühle und gesellte sich zu Madoka ans Bett. „Und dir fehlt auch wirklich nichts weiter?“, fragte sie, einer besorgten Schwester gleich. Madoka machte eine verneinende Kopfbewegung. „Und die Untersuchung? Hast du die schon hinter dir?“ „Ja.“ „Haben sie schon gesagt, wann du die Ergebnisse bekommst?“ Madoka legte legte den Zeigefinger aufs Kinn und zog eine nachdenkliche Schnute. „Der Arzt meinte, die Auswertung würde etwa einen halben, bis einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Ich würde das Ergebnis erst frühstens heute Abend mitgeteilt bekommen, spätestens aber morgen früh.“ „Also im Prinzip das, was er schon gestern prophezeit hat“, meinte Sayaka. „Ja.“ „Was hast du, Madoka-san?“ Hitomi war dieser kurze doch eindeutige Ansatz von Kummer nicht entgangen, welcher Madokas niedliches Gesicht schon einige Stunden zuvor so verzerrt hatte. Und obgleich Madoka sich die größte Mühe damit gab, sich nicht in die Auffälligkeit ihres, von Sorgen geplagten Verstandes zu verirren, so brachte es dieses arme Mädchen doch nicht zustande, den verruchten Gedanken ein Gesicht zu verweigern. Gedanken, mit denen sie sich schon seit Beginn dieses Tages malträtierte. Dem Mädchen war gar fürchterlich nach weinen zumute. Doch sie wollte stark bleiben, eine falsche Maske aufsetzen, ihre Freundinnen nicht mit diesen persönlichen Problemen zu belasten, ihnen nicht das Lächeln verwehren, wie es dieser vermeidliche Schicksalsschlag mit Madoka getan hat. Denn war man nur nahe genug an dem Quell der Qualen, war jeder Mensch eine Geisel seiner Essenz und fühlte das Pflichtgefühl an seiner Ethik zerren, gefälligst mit zu trauern. Das wollte Madoka Hitomi und Sayaka nicht aufbürden. Gleichzeitig war es für so ein ehrliches Kind schwer, ein trügerisches Bild vor das eigene Antlitz zu errichten, gleich dem Grunde, dass es dem eigenen Schutz oder dem der ihr naheliegenden Menschen dient. Diese Verzweiflung, kaum das sie länger als vier Sekunden währte, verleitete Sayaka zu einem Handeln, welches ganz und gar typisch für sie war. Sie gesellte sich zu Madoka aufs Bett – mehr dass sie am Rande der Matratze platz nahm –, ergriff die, von Schwermut ins Zittern gebrachte Hände und kam ihrem Gesicht unbeschreiblich nahe. Zwei Welten, eine von Zuversicht und Leben, die andere von Trübsinn und Verzagtheit bevölkert. „Bleib ganz ruhig und mach dir keine Gedanken darum, was kommen wird oder was sein könnte. Du bist ein kerngesundes Mädchen und ich bin mir sicher, dass sie nichts negatives feststellen werden.“ „Denkst du das wirklich?“ „Na, ich würde es nicht sagen, wenn ich nicht selbst daran glauben würde.“ Und so wie sie es sagte, glaubte Madoka ihr auch. Denn es brauchte für sie nicht viel mehr als diese Worte, gesprochen von ihrer besten Freundin, um die, von ernsten Gedanken durchzogenen Furchen wieder verschwinden zu lassen. Als Hitomi dieses einträchtige Verhältnis der beiden von ihrem Platz aus beobachtete und ihre gelähmte Zunge stumme Äußerungen tätigte, die aus gemeinen Vorurteilen gegen das gleichgeschlechtliche Begier bestanden und für diese Zeit der Welt, auf einen sehr spröden Familienstammbaum zurückschließen ließ, welcher seine Wurzeln noch bis tief ins Mittelalter grub, blieb sie doch schweigsam ihren Freundinnen gegenüber. Es war ihr zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine reine Vermutung, die sie händeringend abzutun versuchte, sich aber später noch zu einem Laubfeuer in einem dicht bewachsenen Wald entwickeln würde. Und diese züngelnden Flammen würden das Laub abgrasen, das Holz verkohlen den Boden sängen und am Ende ein Aschefeld hinter sich lassen. Aber bis zu diesem Tag, sollte erst einmal der Abend des heutigen als Vorreiter für das selige Bündnis der drei Mädchen dienen. Madoka lachte über Sayakas plumpen Witze und Hitomi wartete gelegentlich mit noch plumperen auf; welche, die man einem Mädchen ihrer Zunft kaum zugetraut hätte. Und bis zum Erhalt des lang garenden Ergebnisses, vor dem Madoka sich winselnd und duckend, wie vor einem Blitzschlag unter die Decke verkroch, sollte sie kaum mehr einen Moment erhalten, um glücklich und unbeschwert zu sein … wie es ein Kind eigentlich immer sein sollte.   Bis zum Abend: Shiro   Wie ein junger Spatz, der nach jedem Flügelschlag die Sicherheit eines stabilen Astes aufsuchte, so war auch Shiro von einem Dach zum anderen unterwegs. Im Dickicht des schwarzen Himmels, fernab der unter ihm des vorherrschenden Lichtmeeres aus Laternen, Autoscheinwerfern und der Belichtung in den Zimmer der Häuser, musste er sich nicht darum sorgen, von Passanten entdeckt zu werden. Was ihn aber nicht davor bewahrte, dass sich seine Gedanken nicht um das neugewonnene Problem drehten. Das Lichterspiel unter ihm verwuchs zu einem einzigen diffusen Bild, jenes wie ein Schiff bei hohen Wellengang kippte. Zeitgleich machten seine Glieder Anstalten, seinem Willen ungehorsam zu werden. Die Beine bogen sich nach jedem weiteren Sprung. Das Gefühl, sie könnten jeden Moment wie Holz zerbersten, zwangen ihn auf einem der flachen Dächer halt zu machen, um zu verschnaufen. Dabei nutzte er die Gelegenheit, sich noch einmal alles Wichtige durch den Kopf gehen zu lassen. Denn nachher würde er nicht mehr die Zeit haben, sich eine eigene Wahrheit zu erschwindeln. „Gut, um die Sache noch einmal bis hierhin durchzugehen, damit ich mich auch ja nicht verplappere: Homura weiß nichts von dem wahren Existenzgrund der Hexer. Was gut ist, denn andernfalls würde sie mich mit ihren Kugeln torpedieren. Was habe ich ihr noch verheimlicht? – Ach ja! Ich gebäre Hexen. Ha, na das darf ich auf keinen Fall loswerden.“ Die Stimmung des jungen Mannes war, angesichts der momentanen Situation, eine entspannte, gar heitere. Die Ermüdungserscheinungen und die etwas verfahrene Lage, an die das neue Magical Girl nicht ganz unschuldig, aber nicht hauptschuldig war, ließ er sich, als hätte er in den vielen Jahren seines Lebens eine Routine für sein schelmisches Lächeln entwickelt, nicht anmerken. Stattdessen schüttelte er schwungvoll die Beine aus, um sich wieder eines Gefühl des munteren Lebens in ihnen zu erwirken und setzte unterdessen sein doch ernstes Denken fort. Natürlich verpackte er auch hier jeden Gedanken in einen Monolog. Denn hier, wo ihn weder ein Mensch hören, noch erreichen konnte, fühlte er sich ungestört und laut denken fiel ihm offenkundig leichter, als in sich versunken zu sinnieren. „Soweit das. Das sollte nicht im Einklang mit dem Problem stehen, welches gerade die verfahrene Situation zu verantworten hat. Zum einen habe ich Homura erklärt, dass es einem Hexer unmöglich wäre, eine Hexe ausfindig zu machen, geschweige denn ihr Reich ohne ihr Wohlwollen zu betreten. Da hab ich vielleicht wieder schneller geredet, als gedacht, sollte mich aber keine Mühen kosten, es zu erklären. Die Wahrheit lässt sich schließlich immer leichter sprechen, auch wenn sie nicht für jeden gut zu wissen ist. Von der Suche nach dem einen Mädchen – Herr und Himmel, jetzt ist mir doch ihr Name entfallen – über die Vernichtung der Hexe, brauche ich keinen Teppich aus Lügenmustern legen, um das wahre Ereignis unsichtbar zu halten.“ Er seufzte. „Wie allerdings erkläre ich nun dieses andere Mädchen – Teufel, wieso entfallen mir gerade die ganzen Namen? Ah, Mami Tomoe, richtig! Sie hat ungefragt den Grief Seed mit der Trübe ihres Soul Gems geladen. Ihre Worte darauf ,Er hat genug Magie für uns beideʻ, lässt den Schluss zu, dass ein Magical Girl weiß, wie viel ein Grief Seed an Verfänglichkeit aufnehmen kann. Folglich wird Homura in der Lage sein zu wissen, dass dieses schwarze Ei bereits zweckentfremdet wurde. Die Geheimhaltung des Aufeinandertreffens mit diesem Mädchen und mir lässt sich also nur unter einer unmöglichen Bedingung einrichten.“ Und er glitt mit der Hand in die Hosentasche, aus der er die Beute hervorholte. „Ich muss den Grief Seed loswerden. Das wäre nicht schwer, schließlich brauche ich ihn nur zu zerdrücken. Allerdings“, warf er ein, „ich bin sehr geschwächt; sowohl durch die Hexengeburt, als auch durch den Kampf mit jener Fluchbringerin. Wenn ich nicht bald an Magie komme, so verende ich garantiert. Und wie ich Homura kennengelernt habe, will sie sicherlich wissen, warum ich so katastrophal zugerichtet bin. Und welche Antwort könnte ich ihr diesbezüglich geben, wenn ich das einzige Beweisstück beseitige? So Homura also wirklich in der Lage ist zu erkennen, ob der Grief Seed schon von einem geschwächten Soul Gem genährt wurde, bleibt mir keine andere Alternative, als von der Begegnung mit dieser Mami zu berichten. Es führt wohl wirklich nur das Glück an diese Unbequemlichkeit vorbei.“ Und mit einem letzten Seufzer glitt das todbringende Kleinod zurück in die Tasche. Obwohl seine Beine immer noch träge und leicht schmerzend, biss er die Zähne zusammen und setzte seinen Weg über die Dächer fort. Recht bald schon erhob sich aus der Ferne der kolossale Bau, welchen er als Ziel anstrebte. Weiter davor, auf einem der umliegenden Häuser nämlich, konnte er einen vom unteren Licht bestrahlten Schatten ausmachen, aus dem, als er sich diesem gut angenähert hatte, seine Partnerin Homura Akemi hervorging. So wie er sie verlassen, fand er sie auch wieder vor: Sitzend und das Gesicht dem Krankenhaus zugewandt. Shiro landete auf dem ebenen Verbindungsstück des Daches, welches die vier abgeschrägten Seiten miteinander verband und prustete erschöpft durch die Nasenlöcher aus. „Das hat aber ganz schön lange gedauert“, waren Homuras Begrüßungsworte. Und obwohl sie sich bereits eine Antwort zusammensetzen konnte, fragte sie ihn: „Hast du Sayaka Miki ausfindig machen können?“ „Immer wieder eine Freude, den fürsorglichen Ton in deiner Stimme zu hören“, erwiderte er schnippisch und stützte sich gleich auf seinen Beinen ab. So wie er da stand, schwer atmend, das Gesicht totenbleich und die Stirn perlglänzend, hätte man dem Trugschluss erliegen können, er wäre den halben Nachmittag, bis zur jetzigen Stunde, um sein Leben gerannt. Homura, die durch das erschöpfte Seufzen misstrauisch ihre Blicke in seine Richtung lenkte, offenbarte für einen kurzen Moment der Verwunderung eine gefühlvolle Seite, welche Shiro bisher noch nicht an ihr betrachten durfte. Eilig sprang sie auf, hielt auf ihn zu und half ihm mit leichten Nachdruck dabei, sich zu setzen. Die Sorgenfalten verblassten so rasch wie Tinte im Wasser und an ihrer Stelle traten die altgewohnten Züge hervor, die sich mit dem reizlosen analysieren von Symptomen einer Ärztin mischten. „Was ist denn mit dir passiert?“ „Hab mich mit ein paar Typen gekloppt. Ja, war ganz interessant, mal drei frechen Männern, die ungebührlich über Frauen herziehen, mal ordentlich die Zahnreihe um zehn Zentimeter nach innen zu verschieben. Und danach hab ich gejoggt.“ Schweigen. „Glaubst du auch nur irgendetwas davon?“ „Nicht ein Wort.“ „Ja, das hätte mich auch gewundert. Na ja, bevor ich meine verbliebene Energie noch in weiteres, sinnentleertes Gebrabbel tilge, lass es mich dir einfach zeigen.“ Hierauf zog er den Grief Seed aus der Tasche und hielt ihn Homura hin. Sie streckte ihre Hand nach diesem aus, zögerte erst einen Moment, als würde sie einen Stromstoß erwarten und nahm ihn schließlich mit Daumen und Zeigefinger an. Auf das Kleinod mit Erstaunen, auf Shiro mit Verärgerung. Wo sie das, dem Fluche ausgetriebene Ei auf seine Echtheit kontrollierte, machte sie Shiro, wie auf einem Richterstuhl thronend, böse Augen. „Ich weiß, was du denkst und du kannst dir den anklagenden Blick sparen. Ich hab´s niemandem entwendet. Und ganz sicher habe ich kein Magical Girl umgebracht, um das Ding an mich zu bringen, falls du gerade auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen hast.“ Darauf gab sie keine Erwiderung. „Oh Himmel, du hast gerade wirklich gedacht, ich hätte ein Mädchen für den Grief Seed kalt gemacht, oder?“ „War es denn nicht so?“ „Nein!“, widersprach er böse. „Das du das überhaupt von mir denkst, Teufel noch eins!“ „Gut. Dann erzähl mir doch mal, wo du ihn her hast.“ Und das tat er. Er berichtete in einer kurzen doch detaillierten Fassung, was sich alles während des Nachmittags ereignet hatte. Von der vermeidlichen Suche nach Sayaka, die er bei dem Anwesen der Shizukis startete, über das zufällig ausgewählte Opfer einer Hexe, bis zum Kampf mit eben jener, aus welchem er als Sieger mit der Beute hervorging. „Eine nette Geschichte“, kommentierte Homura, die Arme vor der Brust verschränkt. „Allerdings, unglaubwürdig. Hattest du mir nicht erzählt, dass du eigenständig keine Hexen jagen kannst? Erzähl mir nicht, du wärst plötzlich doch in der Lage dazu.“ „Ehrlich“, erwiderte Shiro mit einer unschuldigen Miene, „ich bin ebenso überrascht, wie du misstrauisch bist. Es war das erste Mal, dass ich die unsichtbare Wand, die den Eingang zum Bannkreis umgibt, gebrochen und in das Reich einer Hexe ohne fremde Hilfe eindringen konnte.“ „So so, ohne fremde Hilfe.“ In Homuras Stimme ruhte der Argwohn. Er nickte. Da er die Erwähnung Mami Tomoes bewusst und geplant nicht in seine Erzählung mit eingebunden, hatte er die Hoffnung, die nächste Frage würde Homura nicht über die Lippen wandern. Doch alleine der Blick, mit welchem sie das Hexenei in ihrer Hand betrachtete, ließ die Quelle dieses Wunschdenkens schnell versickern. „Und wer hat dann den Grief Seed benutzt?“ „Was meinst du?“, erwiderte er mit meisterlich gespielten Unwissen. „Er hat bereits Schmutz aufgesammelt. Das warst ja wohl nicht auch du, so zugerichtet, wie du bist.“ Ja, das habe ich mir gedacht. Er biss sich auf die Unterlippe. Den Magical Girls ist also wirklich die erstaunliche Fähigkeit zu eigen, einen bereits benutzten Grief Seed von einem unbenutzten zu unterscheiden. Da habe ich mich doch zu sehr wie ein blinder Optimist auf die Hoffnung gestützt. Diese Gedanken in seinem Kopf abgeschlossen, entgegnete er dann: „Tja, dir kann man wohl nichts vormachen. Leider, so muss ich gestehen, habe ich auf der Jagd das Gefahrenrisiko, einem Magical Girl zu begegnen, welches mindestens ebenso sehr nach dem Grief Seed trachtet, wie ich, kläglich unterschätzt. Und du kannst es dir schon sicherlich denken, ich bin einem dieser Magical Girls begegnet.“ Über Homura legte sich der Schleier einer düsteren Vorahnung. „Wem?“ „Ihr Name ist, so sie mich nicht angelogen hat, Mami Tomoe. Ein ziemlich – hey, alles in Ordnung?“ Homura Akemi hatte ihm den Rücken zugewandt. Eine Böe stieg auf und das Mädchen entfaltete ihre schwarzen Flügel – so taufte Shiro ihr Haar, das sich des Nachts, wenn Licht und Schatten die von der unteren Mitte gespaltenen Enden, welche die einzigen Zeugen ihrer einst geflochtenen Zöpfe waren, beschienen und der Wind es wie Papier wellte. „Mami Tomoe“, wisperte sie nachdenklich. Die Winkel des Mundes zogen die Lippen in einer gebogenen Form nach unten, während die Augen sich, wie von Missgunst beseelt, verengten. Dann wandte sie sich auf einem Absatz um. Ihr Haar schwang nachträglich hinterher, was ihr das überlegene Abbild einer Göttin verlieh. „Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein.“ Diese Aussage machten Shiro sprachlos vor Erstaunen. Er wusste nicht, wie diese Mahlzeit verdauen, hatte er doch mit einigem gerechnet. Von Vorwürfen, über eine Strafe, war er nahezu jedes mögliche und unmögliche Szenario im Geiste durchgegangen. Aber … dass Homura selbst in einer solchen Situation noch einen Vorteil versicherte, das hätte er sich nicht einmal im Ansatz vorzustellen gewagt. „Verwirrt?“, fragte sie. Er bestätigte mit einer Kopfbewegung. „In vielerlei Hinsicht. Deiner Reaktion entnehme ich, dass du sie gut kennst. Was mich zu folgender Frage führt: Warum hast du mir nicht gesagt, dass es neben dir noch ein anderes Magical Girl in dieser Stadt gibt? In diesem Fall wäre ich nämlich vorsichtiger bei der Jagd gewesen.“ „Ich bezweifle“, meinte Homura mit weiser Voraussicht, „dass der Verlauf deiner eigenmächtigen Handlung anders ausgegangen wäre. Es sei denn, du hättest in Anbetracht der neugewonnenen Erkenntnis darauf verzichtet, der Frau zu helfen; was vielleicht möglich gewesen wäre, denn ich weiß nicht, wie du so tickst und in wie weit deine Bereitschaft, anderen zu helfen, sich mit deinen eigenen Motiven überschneiden. Außerdem hatte ich nicht erwartet, dass du selbstständig auf Hexenjagd gehen würdest. Genug Gründe für diese Annahme, hast du selber hervorgebracht. Und zu guter Letzt war es auch mein Ziel, vermeidbaren Komplikationen zu entgehen.“ „,Vermeidbare Komplikationenʻ? Interessante Worte. Magst du mir einige belegbare Beispiele dafür geben, was für Komplikationen diese äußerst nützliche Information für unsere Sache hervorgebracht hätte?“ „Die da wären?“, verlangte Shiro aufgebracht zu erfahren. Homura schien für einen kaum wahrnehmbaren Moment schrecklich frustriert. Dann legte sich ein neuer Anstrich über kalte, berechnende Fassade und sie antwortete: „Mami und ich pflegen eine komplizierte Vergangenheit, die sich von Monat zu Monat wiederholte. Je nach meinen Entscheidungen war sie mir etwa freundlich oder feindlich gesinnt. In dieser Zeitperiode wollte ich sie meiden, so gut es eben ging. Ich bin schließlich mit ihrem Jagdmuster vertraut, weiß wann sie wo welche Hexe jagen wird. Daraus habe ich uns einen effizienten und erfolgversprechenden Zeitplan aufgestellt. Wir haben uns die Hexen geschnappt, die ich kannte und von denen ich wusste, wo sie dann und wann zu finden sind. Gleichzeitig sind wir Mami immer erfolgreich aus dem Weg gegangen. Wenn Walpurgisnacht eingetroffen wäre, hätte es keine Zeit für Fragen oder Misstrauen gegeben. Wir hätten unsere Kräfte in friedlicher Eintracht einen und, nach Beseitigung der Bedrohung, jede wieder ihrer Wege gehen können.“ „Erfolgversprechend?“, fragte Shiro, der in ein hyänenartiges Gelächter ausgebrochen war. „Du misst deiner Kalkulationen für das Risiko gerade erstaunlich viel an positiver Resonanz bei, werte Akemi Homura. War das, was im Einkaufszentrum vorgefallen, etwa auch kalkuliert?“ Homura schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein. Mein Ziel galt Kyubey. Das eine Hexe auftauchen würde, hatte ich weder gewusst, noch erwartet.“ „Das ist echt gut.“ Er wischte sich mit seinem Finger über sein amüsiert tränendes Lid, wohl wissend, dass er sie auf diese Art nur ihren Zorn erregte. „Was hättest du getan, hätte sie uns gesehen? Wir, die wir über dem Leichnam Kyubeys laut gellend einen Grief Seed in der Hand hielten, während weiter daneben ein bewusstloses Mädchen wie Tod läge?“ Homura Akemi, die stets darauf achtete, Beherrscht und rational zu agieren, konnte auf diese Bemerkung beobachtet werden, wie sie damit kämpfte, ihre Fassung zu wahren. „Habe ich dich nicht dafür auf Madoka aufpassen lassen?“, erwiderte sie mit einer wahrnehmbaren Schärfe in der Stimme. „Damit eben gerade das nicht passiert? Was aber hast du getan? Sie aus den Augen gelassen. Wir konnten froh sein, das kein größerer Schaden aus dieser missgünstigen Lage entstanden war. Und was passiert heute, nur einen Tag später? Du hast schon wieder außerhalb deines Aufgabenbereiches agiert und du hast Mami Tomoe auf dich aufmerksam gemacht.“ Resigniertes Schweigen und ein schuldbewusstes aber der Reue fremdes Gesicht war zutage getreten. Der Stich der Wahrheit, welcher ihren Lippen zu seinem Leidwesen nur allzu oft entwich, füllten seine bleichen Wangen mit dem Rot der Scham und des Zorns. Denn Kritik war dem jungen Manne so lieb, wie ein Dorn im Finger oder ein Krampf in den Waden. „Nun“, meinte sie, nach einem Moment andächtiger Stille, „wie ich aber bereits sagte, ist die Lage nicht völlig aussichtslos. Sie könnte uns vielleicht sogar von Nutzen sein.“ „Ach, tut sie das?“, erstaunte er erneut, obgleich dieser abermals optimistischen Aussage. „Ja. Ausschlaggebend dafür, dass Madoka und Sayaka mit Kyubey einen Pakt eingingen, waren unter anderem Mamis einflussreiche und motivierende Worte. Sayaka trachtet danach eine Heldin der Gerechtigkeit zu werden und Madoka … sie …“ Homura senkte in einem schwachen Moment, da sie über dieses ihr so kostbare Mädchen nachdachte, ihr Haupt und es war ein zögerlicher Anflug von Bitterkeit und Trauer in ihren Zügen zu vernehmen. „Sie ist eine herzensgute Person. Sie will einfach nur helfen. Und … besonders sein.“ Eine Friedensträchtige, eine Heldin und eine herzliche Samariterin, mhm, dachte Shiro und spreizte die Mundwinkel zu einem weiteren schamlosen Grinsen, mit dem er sich an einem geschmacklosen Witz erfreute. Das magische Trio-Infertile. Homura, der dieses, an eine Debilität erinnernde Freudenstrahlen nicht entging, zog die Augenbrauen zu einem verächtlichen Ausdruck zusammen. „Findest du das witzig?“ „Nein nein, ach wo denkst du hin“, wehrte Shiro ab und herrschte die eigenwilligen Winkel seines Mundes zu einer neutraleren Miene an. „Also, was dir vorschwebt, ist, dass ich Mami von den beiden fernhalte … während ich zeitgleich dasselbe mit Kyubey tue, verstehe ich das in soweit richtig?“ Homura bestätigte, er seufzte. „Das wird schwer“, lachte er zweifelnd. „Ich bin mir nicht sicher ob das wirklich eine gute Idee ist. Wenn Goldglöckchen herausfindet, was ich wirklich bin, könnte das zu ernsthaften Problemen führen.“ „Ja, dieses Risiko lässt sich nicht ganz ausschließen“, gab Homura zurück. „Aber du kanntest um die Gefahr, als du dich entschlossen hattest, dich mit mir zu verbünden.“ „Sicherlich. Aber mir war nicht klar, dass ich, um Zahnarzt zu sein, erst einmal meinen Kopf in das Maul einer Löwin stecken müsste.“ „Eine sehr schön gewählte Metapher“, erwiderte Homura der Gefühlsregung eines Eisblocks. „Lass mich auf diesem Argument eine Gegenmetapher aufbauen. Denn warst du es nicht, der im Zuge seines Freigangs den Entschluss gefasst hatte, die Sicherheit des Geheges zu verlassen, um Jagd auf Freiwild zu machen, anstatt auf die Fütterung zu warten? Und nun findet sich der listige Fuchs in der Höhle dieser Löwin wieder, die ihm nun den Ausgang versperrt. Tja, der schlaue Fuchs hat nicht bedacht, dass auch andere Tiere über einen gewissen Intellekt verfügen.“ Über die glatte weiße Stirn legte sich eine Reihe grober, dunkler Vertiefungen. Es war bislang das erste Mal, dass Homura, die sowieso schon redegewandt war, auf seine Weise der Verständigung zurückgriff. Wahrscheinlich wusste sie, dass er nur auf diese Art Kritik an sich üben ließ, denn er wusste kein Gegenargument mehr vorzubringen. Keines zumindest, dass Bestand haben würde. Sie verlegte eine Hand auf ihre Hüfte, ließ die andere an dem dünnen Arm wie ein Gewicht an einem Seil baumeln und besah ihn mit einem Ausdruck, der trockener nicht sein konnte. „Ich sehe trotzdem nicht“, begann er dann von Neuem, „wieso ich sie von den Mädchen fernhalten soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kyubey ihr von Madoka und Sayaka berichtet hat. Zumal ich beide nicht zur selben Zeit überwachen kann.“ „Das steht auch nicht zur Debatte, denn ich bin auch noch da. Aber wir können sehr wohl verhindern, dass die drei zufällig in Kontakt geraten. Wir gehen schließlich alle auf dieselbe Schule, was die Gefahr enorm macht. Sollten die beiden dann noch zufällig einer Hexe in die Arme laufen und Mami zufällig des Weges kommen, würde der Plan ins Wanken geraten.“ „Das sind mir doch zu viele Zufälle. Sei ehrlich, ist es nur reine Spekulation oder weißt du mehr, als du mir gerade verraten willst?“ Homura musste hierauf nichts erwidern. Wie einer Matrone, die ihr Leben dem Machtkampf gegen die hoheitlichen Würdenträger widmete, war auch Homura die besondere Gabe zu eigen, mit ihrer Körpergeste, den Zügen ihres schönen, glatten Gesichtes und dem tief dringenden Augenpaar, ganze Bände zu sprechen, die an Argumenten selten auf würdige Konkurrenz trafen. Letztere waren wohl nicht nur Schön wie der Nachthimmel, sondern auch respekteinflößend gleich der Gefahren hinter diesem bezaubernden Schleier. Dagegen waren Shiros helle braune Augen kaum mehr, als ein Erdhügel, eine Ansammlung von Schmutzpartikel. Sein Schwert mochten die Worte schärfen, doch ihre Waffe war die Erfahrung, zusammengetragen aus vorangegangenen Entwicklungen. Homura hatte gelernt, dass der Mensch sich – mehr, als vor allem anderen – vor dem Unbekannten fürchtete. Und sie hatte aufgehört ein Mensch zu sein. Was aber war sie dann? „Ach verdammt“, seufzte er resigniert, „ich sehe schon, es macht keinen Sinn, dagegen weiter zu argumentieren, ganz gleich, was ich sage.“ Er stemmte eine Hand gegen das Bein, während er sich mit der anderen am Hinterkopf kratzte. Das er bei Mami nicht nur eine, sondern gleich zwei falsche Angaben gemacht, sich ihr als der Magical Boy Kei Tsumoya präsentiert hatte, wollte er seiner Partnerin nicht unbedingt erzählen. Er fürchtete, er würde nur ihr Misstrauen erregen, wenn er ihr dies eingestünde. Immerhin, er schätzte jetzt schon, dass sie von ihm als einen notorischen Lügner dachte. Er erhob sich, schwerfällig wie ein müder Bär, und sagte: „Bevor ich mich aber jetzt als Doppelagent versuche, bitte ich dich, meinen Energievorrat aufzustocken.“ Diese Bitte nickte sie ab. Sie fasste in ihre Rocktasche, holte den Soul Gem hervor, hielt ihn Shiro hin und konzentrierte sich auf die Übertragung ihres Magieflusses auf den seinen. Es war für ein versiertes Magical Girl keine schwierige Aufgabe, mit dem kleinen magischen Artefakt Magie auf fremde Objekte oder von lebendem Gewebe überzogene Körper zu wirken. Doch je nachdem, was sie mit dieser Magie anzurichten gedachten, entleerte sich der Soul Gem seiner Brillianz und wurde zusehends trüber, bis sich erste schwarze Flecken zeigten, deren Ausbreitung, wie Tinte in einem Wasserglas ähnlich, voranschritt. Dies passierte auch so gerade, als Homura mit der Wiederherstellung von Shiros Lebensenergie endigte und erschöpft zusammensackte. „Homura!“ Noch bevor ihre Knie die Ziegel des Daches berührten, stützte er sie und half ihr langsam runter. „Das …“, sagte sie erschöpft, „kam unerwartet.“ Den Grief Seed, der sich noch immer in ihrer nun zittrigen Hand befand, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und führte ihn langsam an den Soul Gem heran, bis sich beide Kleinode sanft berührten. Die schwarze Perle saugte begierig nach der Finsternis im Inneren des Soul Gems, wie ein Baby an der Brust der Mutter. Der natürliche Drang schnell heranzuwachsen, war in jedem Lebewesen fest verankert. Und einem Grief Seed, der nicht mehr als ein gereinigtes Hexenei war, verlangte es unersättlich nach noch mehr Finsternis, um auf bald als neuer Fluch auf die Welt losgelassen zu werden. Homura atmete noch einmal tief durch, erhob sich dann zusammen mit Shiro, dessen Fürsorge für sie wieder verschwunden war und betrachtete die schwarze Perle. „Den müssen wir schleunigst entsorgen, wenn wir nicht wollen, das sich der ganze Spuk mit der Hexe wiederholt.“ „Gebt ihn einfach mir“, hörten die beiden plötzlich eine ihnen sehr vertraute Stimme und blickten zur gleichen Zeit zu der Stelle, an welcher sie sie ausmachten. „Ein so gut genährter Grief Seed ist ein willkommenes Geschenk für die Erhaltung unseres Universums.“ „Inkubator“, sagte Homura, mit dem düsteren Versprechen eines grausamen Todes in ihrer Stimme. „Das optimale Haustier“, sagte Shiro, dessen Laune mit der neugewonnenen Energie angestiegen war. „Er kann Kunststücke, er kann reden und er ist sofort zur Stelle, wenn´s Fresschen gibt.“ Er stierte in erwartungsvoller Hoffnung, ihre Mundwinkel würden sich zumindest in einem schmalen Grade hochwärts bewegen, zu Homura. Die aber betrachtete nur das schwarze Ei, das eine bedrohliche Aura auszustrahlen begonnen hatte und sich somit gezwungen sah, seiner Bitte zu folgen und warf sie es in seine Richtung. Eine zweisekündige akrobatische Einlage seitens Kyubey begann damit, dass er sich mit einem Satz in die Höhe beförderte und den Flug des Kleinods mit den Pfoten abfing. Darauf trat er diesen, als er eine Drehung nach hinten und zurück zum Boden vollzog, in einer geraden Bahn den Himmel entgegen, landete und sich der weiße Kern seiner roten eiförmigen Bemalung auf dem Rücken wie eine Rollklappe öffnete. Das Hexenei sank im Sturzflug auf ihn zu und verschwand in eben dieser Öffnung, die der Inhalt eines unbekannten Lagers wurde. Die Öffnung versiegelte sich und er kratzte sich mit der Hinterpfote übers Ohr, als sei dies eine unbedeutende, alltägliche Handlung gewesen. Shiro aber war begeistert von dem, was er da sah und klatschte fasziniert in die Hände. „Hui, na das war doch mal ein aufwendiges aber cooles Kunststück. Machst du das immer, wenn´s Fresschen gibt? Ich möchte fast nur aus diesem Grund Grief Seeds sammeln.“ Auf diese Aussage folgte einer Erwiderung des Aliens, wie er es noch nie zuvor von ihm gesehen hatte. Kyubey legte sich mit dem Rücken längs über die Kacheln, wand den kleinen Körper einem Tier gleich, dass sich eines grausamen Juckreizes zu erwehren versuchte und behielt dasselbe unschuldige und doch nichtssagende Gesicht bei, welches ihm so eigen war. Homura ballte die zwei Hände zu Fäusten. Ihre Nägel gruben sich in das dünne Fleisch der Handflächen. Zwar nicht fest genug, um die Haut zu durchbohren und die Lebensessenz aus dieser schmalen Öffnung raus zu quetschen, aber auch nicht Sanft genug, als das ihre Hände davon nicht zittern mochten. Kyubeys nämliche Sorglosigkeit gegenüber den beiden jungen Menschen, welche ihm auf drastische Weise zu verstehen gaben, dass es in ihrer Gegenwart nur eine bedingte Sicherheit für ihn gab, bedeutete in einer Sprache, die Homura selbst nur all zu gut sprach, dass er mit einem weiteren Anliegen zu ihnen gekommen war. Und gleich, dass ihr Gesicht von der Eiseskälte einer Tundra bestrichen, war es dem Hexer an ihrer Seite dennoch aufgefallen, dass sie im Inneren wie ein dampfender Kessel über eine prasselnden Feuer brodelte. „Willst du mit der Frage nicht herausrücken?“, fragte sie dann schließlich in einem kalten, fast mechanischem Tone. Hierauf beendete das Alien, was auch immer es da tat, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und lenkte die roten runden Augen auf das Magical Girl. „Erstaunlich“, sagte es. „Du weißt also, wofür ich unter anderem hier bin?“ „Du willst wissen, was unsere Beweggründe sind, dass wir dich daran hindern, mit Madoka Kaname und Sayaka Miki einen Pakt zu schließen.“ „Akemi Homura, du weißt wirklich zu faszinieren“, nickte er ihr anerkennend zu. Nur, solange man die Hintergründe nicht kennt, dachte Shiro, ohne sich in das Gespräch der beiden einhaken zu wollen. „Doch“, knüpfte Kyubey an die vorangegangenen Worte an, „du wirst es mir nicht sagen, oder?“ „Richtig, das werde ich nicht“, bestätigte Homura. „Darf ich denn erfahren, wieso nicht?“ „Weil du es nicht verstehen wirst.“ Auf diese Antwort legte Kyubey unverständlich den Kopf zur Seite. „Es würde sich deines rationalen Verständnisses entziehen. Etwas oder jemand wie du, der sich nicht einmal im Ansatz ein Bild zu machen vermag, was auch nur ein möglicher Grund für uns Menschen sein könnte, würde die komplexe Einfachheit der Antwort nur hinterfragen.“ „,Komplexe Einfachheitʻ“, gluckste Shiro. „Ein Oxymoron.“ Kyubey wiederum, der immer nach dem Rationalem und dem Logischen in diesem Universum strebte, schien sich bei dieser Antwort keinen festen Boden unter den weißen Pfoten zu erfühlen. Er trieb schwerelos und ohne klare Richtung in einem endlosen Raum, ohne sich jemals Gedanken über die Grenzen der Unendlichkeit an sich zu machen. Er würde niemals, obwohl doch bereits so weit gereist, zur Endlichkeit vorstoßen können. Warum sollte er auch, denn es gab sie nicht. Anders, als der Mensch, der niemals aufhören würde, die Grenzen der Unendlichkeit zu suchen. Der begrenzte Intellekt ließ den Glauben an den Anfang ohne Ende niemals zu. Und genau deshalb, so wusste Shiro, so wusste Homura, würde Kyubey niemals die Entität des Wesens des Menschen erfassen können, weshalb er niemals die Grenze des Grenzenlosen erreichen würde. Genauso wenig wie zwei Geister sich trafen, wenn der eine seinen Frieden gefunden, und der andere, unfähig seine letzte Ruhe anzunehmen, ein Gefangener im Diesseits der Lebenden blieb. Genauso wenig wie der Künstler, der mit viel Fantasie an sein Werk heranging, und der Geschäftsmann, der sich der sich ernst und nüchtern, dem ernst des Lebens und der Realität verschrieben hatte. Genauso wenig wie das Alien, dass sich um das Wohl aller sorgte, und der Mensch, der es sich erlaubt, den Einen über alle anderen zu stellen. „Mehr werde ich dir nicht sagen“, sagte Homura. „Nun verschwinde.“ Die verhassten Worte aufgenommen, nickte das Wesen Kyubey kurz und verflüchtigte sich. Still, langsam und ohne den Blick abzuwenden, verschwand er wie der Schatten in der Nacht. „Und weg ist er“, bemerkte Shiro ernüchtert. Homura wandte sich gleichgültig um und ließ sich wieder auf ihrem gewohnten Platz nieder. Neben ihr lag noch immer der Regenschirm, welchen Shiro ihr am verregneten Morgen vorbei gebracht hatte. Sie nahm ihn und reichte ihn dem Hexer hin. „Sicher, dass du ihn nicht noch einmal brauchst? Vielleicht wird es noch einmal regnen.“ Homura schwieg. Ihre Augen waren auf das eine Fenster fixiert, in welchem gerade das Licht erstarb. „Jetzt also Schweigen.“ Er nahm den Schirm seufzend entgegen und ließ ihn in eine der breiten Seitentaschen seiner Hose verschwinden. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du sauer auf mich bist.“ „Bin ich nicht“, war ihre Antwort. „Aber ich bin auch nicht glücklich darüber, was du getan hast.“ „Ich pflichte dir bei. Ich hätte die arme Frau lieber ihrem Schicksal überlassen sollen.“ „Vielleicht …“ Shiro verengte skeptisch die Augen. „Das kannst du nicht ernst meinen.“ „Vielleicht … war es die richtige Entscheidung“, meinte Homura mit bitterlicher Miene. „Vielleicht lag ich ja falsch mit der Entscheidung, dir nichts von Mami zu erzählen. Ich weiß es nicht.“ Plötzlich sah sie auf. Ihre Augen funkelten, als wäre sie der Verzweiflung nicht mehr fern. Das genügte, um Shiro hellhörig und gefügig für das Folgende zu machen: „Aber zum Wohle unser beider Ziele bitte ich dich, nicht noch einmal eigenmächtig zu handeln. Wir können uns weitere solcher Fehltritte nicht leisten. Dieses Mal war es Mami Tomoe, mit der es uns vielleicht gelingt, sie nicht in diese ganze Geschichte zu verstricken. Doch wer oder was wird es das nächste Mal sein? Wir können nicht die selbstlosen Retter sein, die wir so gerne wären. Wir sind beide nur Schachfiguren in einem grausamen Spiels, auf Leben und Tod. Und wir streben nach einem Ziel, dem wir uns vollkommen hingeben müssen.“ Er begriff, was sie ihm sagen wollte. Ein Gefäß aus honigsüßer Galle ergoss sich über ihn. „Unser Ziel bedeutet auch Opfer. Jene, die wir nicht retten können, wenn wir uns strikt an den Plan halten.“ „Ja.“ Homura nickte wie jemand, der seine eigene Idee verteufelte. „Madoka Kaname und Sayaka Miki sind die einzigen beiden, für die wir uns voll einsetzen müssen.“ „Ja …“ Über Shiros Züge legte sich der Ekel einer ganzen Menschheit. Beide schwiegen sich an. „Mann, Mann, Mann. Auf jedem Friedhof ist die Stimmung fröhlicher.“ Die beiden schraken auf und wandten sich der Richtung zu, aus der die Stimme kam. Dort, vor einem nachtblauen Hintergrund, dem einige schwarze Türme mit vielfarbigen Lichtern verdeckten, stand ein Mann, wenige Meter von ihnen entfernt. Er grinste schelmisch in ihre Richtung. „Habe ich dich endlich gefunden, Vispas.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)