Schwarzgrün von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: ----------- * „… Und diesen Klingelton ordne ich Frau Haruno zu.“ Seine Ohren erreichten fröhliche Töne, das Gute-Laune-Lied passte zu Sakura, wie er fand. Izuna nahm das gereichte Mobiltelefon entgegen. Es war klein, ein altes Modell, dessen Tasten groß und die Zwischenräume recht weit waren. Es war das zweite Mobiltelefon, das er sich geholt hatte, es war unbeschädigt und vollkommen funktionstüchtig, wie Madara festgestellt hatte. Er hatte jeden Kontakt gelöscht außer sich selbst und speicherte Sakuras Nummer hinzu. Izuna hatte nur sehr selten erreichbar sein wollen, er sah aber ein, dass es in Notfällen praktisch war, ein Mobiltelefon bei sich zu haben. Festnetz wurde so gut wie nicht genutzt, zudem wäre es für Izuna – und auch Madara – umständlich, dauernd in den Flur zu rennen, um einen Anruf entgegenzunehmen, denn das Telefonapparat war alles andere als modern mit seiner Wählscheibe und dem wendelförmigen Kabel. „Wann, glaubst du, wird Sakura aus dem Krankenhaus entlassen?“, fragte er seinen Bruder und legte das Mobiltelefon neben sich auf das Bett. Madara war mehr als verdutzt darüber, dass Izuna seine Pflegerin beim Vornamen genannt hatte. Er hatte tatsächlich einen Narren an dieser Frau gefressen. Abermals musste Madara sich fragen, ob sich alles genau so entwickelt hätte, wenn er wen anders eingestellt hätte. Nein, sicher nicht, antwortete er sich selbst. Sakura war in dieser Hinsicht etwas Besonderes, andere hätte Izuna einfach ignoriert oder verjagt, und er glaubte fest daran, dass sie seinem Bruder gänzlich aus seinem Loch helfen könnte. Aus diesem Grund war sie für ihn wertvoll und er würde sich stets um ihr Wohlergehen bemühen. „Ich kann es dir nicht genau sagen“, sagte Madara und setzte sich neben Izuna auf das Bett. „Ich fragte eine Schwester, wie lange Patienten nach so einer Operation etwa im Krankenhaus bleiben müssen und sie meinte, einen bis drei Tage.“ Er beobachtete Izuna von der Seite, sah, wie sein jüngerer Bruder den Mund zusammenkniff. Er vermisste Sakura. Der ständige Gedanke daran, dass sich seine Vorleserin im Krankenhaus befand, nahm ihm den Spaß an dem aktuellen Hörbuch. Gestern und heute hatte er nur kurz hineingehört und sich dann gewünscht, dass Sakura bei ihm wäre und ihm vorläse. Zum wiederholten Male rief er sich Fragmente ihrer Dialoge, aber auch Sakuras Monologe in Erinnerung. „Ich bin mir sicher, dass die Operation gut verlaufen ist und sie sehr bald wieder auf den Beinen wird stehen können.“ [center"]___ Den gelegten Katheter entdeckte Sakura am Morgen des darauf folgenden Tages, ebenso drei Pflaster auf ihrem Bauch, der abgeflacht war. Sie hatte die Lampe über dem Kopfende eingeschaltet, da es noch dunkel war. Ihr tat nichts weh, ihr war nicht übel und sie hatte genügend geschlafen, aber sie fühlte sich schlapp und der Gedanke, sich nun nicht mehr um eines der Grundbedürfnisse zu kümmern, war seltsam. Sie bildete sich ein, den Katheter deutlich zu spüren. Da sie sich nicht aufzurichten, geschweige denn aufzustehen traute, inspizierte sie das Zimmer mit ihren Augen. Es war so viel schöner als das, was sie in der anderen Einrichtung zugewiesen bekommen hatte: Die Wände waren pastellbeige, die Vorhänge zart, die Stühle sahen bequem aus. Alles schien zu funkeln. Es war gut, dass sie Madara vertraut hatte. Bereits jetzt wusste sie, dass sie sich hier wohler fühlen würde als im letzten Krankenhaus. Das erste Mal warf sie einen genaueren Blick in den Spiegel zu ihrer Rechten. Sie wunderte sich nicht über die leichenhafte Blässe ihrer Haut, wunderte sich auch nicht über die eingefallenen Augen oder darüber, dass sie mitgenommen aussah. Sie sah furchtbar aus und es erschreckte sie nicht einmal; sie nahm den Anblick, den der Spiegel ihr bot, fast schon gelassen hin. Ihre Haare waren sichtlich fettig und daneben juckte die Kopfhaut an einigen Stellen, ihre Haut war fahl, stumpf, stellenweise extrem trocken und fühlte sich unangenehm an.   Bald erschien eine Schwester mit Frühstück im Zimmer und erkundigte sich über ihre Verfassung. „Ich werde Ihnen helfen, sich frisch zu machen.“ Sie füllte eine Schüssel mit lauwarmem Wasser und wusch Sakura den Rücken. Ihr wurde erklärt, wie lange sie geschätzt im Krankenhaus bleiben und worauf sie besonders achten musste: In den ersten zehn Tagen sei Baden und sehr warmes Wasser tabu, ebenfalls müsse sie, sofern sie Sport machte, sich Zeit lassen und langsam anfangen. Der Katheter werde voraussichtlich übermorgen entfernt werden, und Sakura nahm sich fest vor, gleich danach zu duschen. Nachdem ihr eine spezielle Unterwäsche angezogen worden war, wusch sie sich selbst das Gesicht, und auch die Zähne putzte sie sich alleine über der Schüssel. Sie würde im Bett bleiben. Das Frühstück bestand aus Brötchen oder Brot, Marmelade, Margarine, Honig, Aufschnitten und einem Heißgetränk. So viel Auswahl, dachte Sakura bei sich, während sie auf einer mit Margarine und Käse beladenen Brötchenhälfte kaute. Draußen wurde es langsam hell. Sie bekam ein Päckchen Antibiotika, die sie die nächsten drei Tage zu sich nehmen musste, und nachdem sie sich den Bauch mit beschmierten Brötchen vollgeschlagen hatte, tippte sie rasch eine Nachricht an Madara, in der sie schrieb, dass die Operation offenbar gut verlaufen sei und es ihr – mehr oder minder – gut gehe. Eine halbe Stunde später erhielt sie seine Antwort: Er freue sich, dass die Operation gut verlaufen sei, er werde es heute nur zur abendlichen Besuchszeit schaffen. Sie war ein wenig enttäuscht. Madara schickte ihr Izunas Telefonnummer, für den Fall der Fälle, wie er es formulierte. Keine zwei Stunden später wurde ihr angezeigt, dass sie von Izuna angerufen wurde. Verdattert starrte sie einige Sekunden lang auf ihr Mobiltelefon, bevor sie endlich mit hektischer Bewegung den Anruf entgegennahm. „Hallo?“ „Frau Haruno“, kam es von Izuna am anderen Ende der Leitung. „Ich…“ Er verstummte, denn er wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Der Anruf war ein spontaner Entschluss gewesen, er hatte nicht darüber nachgedacht, was er ihr mitteilen könnte. „Wie geht es Ihnen?“, fragte er sie schließlich, etwas verunsichert darüber, dass sie ebenfalls nichts zu sagen hatte. „Es geht mir gut. Es tut mir leid, Ihr Anruf hat mich ein wenig überrascht. Haben Sie einen Vertrag? Soll ich Sie vielleicht zurückrufen?“ Einen Vertrag hatte er nie für nötig gehalten, und so bat er sie, ihn zurückzurufen. Das Mobiltelefon fest in beiden Händen haltend, saß er im Wohnzimmer und wartete, und als er angerufen wurde, nahm er den Anruf sogleich entgegen. Er wurde gefragt, wie weit er mit den Hörbüchern sei. „Frau Haruno, ich würde Sie gerne duzen. Macht Ihnen das etwas aus?“, fragte er, und als sie zögerlich bejahte, sagte er: „Um ehrlich zu sein, ich bin nicht besonders weit gekommen.“ Weshalb genau, sagte er ihr nicht, ebenso sagte er ihr nicht, dass er sie vermisste. Es freute ihn, wieder ihre Stimme zu hören, auch wenn sie schwach war und am Telefon etwas anders klang. „Wissen S-… Weißt du, wenn du möchtest und es deinem Bruder nicht zu viele Umstände macht, kannst du ihn fragen, ob er das Buch mitnehmen kann nächstes Mal.“ Es war ungewohnt, den anderen zu duzen. Das telefonische Vorlesen war eigentlich keine so schlechte Idee. Da sie noch morgen und übermorgen hier bleiben würde und außer ihrem Mobiltelefon und ihrem Notebook, um das sie Madara noch bitten sollte, nichts hatte, womit sie sich beschäftigen könnte, könnte sie Izuna via Telefon vorlesen. Ihr Einfall fand bei Izuna offensichtlich Anklang. Das Telefonat dauerte nicht lange, aber Sakura fühlte sich danach belebt. Sie erinnerte sich, dass sie noch ihre Eltern kontaktieren musste, es führte kein Weg daran vorbei. [center"]___ Sie vernahm ein Klopfen an der Tür. Im ersten Augenblick war ihre Freude über Madaras Besuch immens. Als er allerdings in ihrem Sichtfeld erschien, gepflegt und im Anzug unter dem Mantel, verwandelte sich die Freude in Schamgefühl. Sie saß hier, mit fettigem Haar, einem furchtbaren Hautzustand, ungewaschen, mit Sicherheit unangenehm riechend. Sie zog die Lippen in den Mund, senkte den Kopf. Sie hätte sich irgendwie gewisse Körperpartien waschen können, mit Sicherheit. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er an den Tisch trat. Madara zog sich den Mantel aus und hing ihn akkurat über die Stuhllehne. Auf den Tisch legte er das mitgebrachte Buch ab, das er in eine Tüte verstaut hatte. Draußen schneite es. Er trat ans Bettende. „Wie fühlen Sie sich? Gefällt Ihnen das Zimmer?“ „Es ist schön“, sagte sie. Die Zähne hatte sie sich geputzt, dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Mundhygiene seit Tagen vernachlässigte. Mit einem Mal wünschte sie, er hätte auch am Abend keine Zeit für sie gefunden. Rasch verbarg sie den vergessenen Katheter unter der Decke, obwohl er ihn bereits gesehen hatte. „Frau Haruno, ist alles in Ordnung?“ Er machte einen Schritt nach vorne, dann einen zweiten. Er ließ sich auf das Bett nieder, legte seine Hand auf die ihre. Sakura hatte die Finger fest in die Decke gekrallt. Ein leiser Schluchzer erreichte seine Ohren. „Weinen Sie?“ Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, und während ihr gesamter Leib vor Scham brannte, versuchte Madara in Erfahrung zu bringen, was mit ihr nicht stimmte. „Haben Sie Schmerzen? Soll ich eine Schwester rufen?“ Sakura schüttelte den Kopf. Die Tränen rannen über ihre Wangen, über ihre Lippen. Sie wollte nicht weinen, konnte aber keine Kontrolle über sich erlangen. „Ich fühle mich schmutzig“, brachte sie schließlich stückchenweise hervor, und Madaras Lippen verließ ein Laut der Erleichterung, denn er verstand. Er ergriff ihre Hände und nahm sie ihr vom Gesicht. „Sehen Sie mich an“, sagte er bestimmend. „Sie müssen sich nicht schämen, Frau Haruno.“ „Wirklich?“, fragte sie zitternd und tränenerstickt. Er schmunzelte in sich hinein. „Ja, wirklich.“ Sie wusste selbst nicht so recht, was sie tat, als sie sich an seine Brust warf, das Gesicht in seinen Anzug vergrub. Eine massive Hitzewelle schoss durch seinen Körper, sein Inneres erbebte, seine Hände wurden schwitzig. Sakuras Kopf ruhte nun an seiner Brust, einige Male schluchzte sie noch, dann kehrte völlige Stille ein. Sie nahm seinen Duft wahr, nahm ihn wahr wie eine ferne Erinnerung, denn er war größtenteils verflogen. Madara saß wie zu Stein erstarrt da, überrumpelt von Sakuras Aktion. Es war etwas her, dass er einer Frau körperlich so nahe gewesen war. Er konnte nicht sagen, was er empfand, und so forschte er mit gerunzelter Stirn intensiv nach einer Antwort. Sakura gab einen leisen Seufzer von sich. Ihr rosafarbenes Haar roch entgegen aller Erwartung durchaus noch angenehm, nach Kirsche. Den Duft, der offenbar tagelang beständig blieb, hatte er stets wahrgenommen, wann immer er nach ihr das Badezimmer betreten hatte. Madara schluckte. Sie spürte, wie er zuerst einen, dann den anderen Arm um sie legte; er schloss sie in eine lasche Umarmung, die fester wurde, als sie sich von Madara zu entfernen versuchte. Er mochte ihre Nähe, auch wenn sie ihn ziemlich unvorbereitet getroffen hatte und er sich nicht sicher gewesen war, was er davon zu halten hatte. Es fühlte sich gut an, es fühlte sich schön an. Ihm war, als hätte man ihn sämtlicher Belastung entledigt wie einem Kleidungsstück. Sie kam ihm so schmal, so zerbrechlich vor, obwohl sie eine starke Frau war. Das Geräusch von kullernden Rädern drang von draußen zu ihnen, und Madara löste die Umarmung. Tiefes, unergründliches Schwarz traf auf tränendurchsetztes Grün. Er stand auf, holte aus seinem Mantel eine Packung Taschentücher und reichte sie ihr stumm. Sakura tupfte sich die Tränen weg und sank auf das Bett. Ihr Unterleib schmerzte. Sie versuchte, sich zu entspannen, schloss die Augen und atmete einige Male kontrolliert ein und aus. „Entschuldigen Sie bitte. Danke“, sagte sie schließlich leise und mit rauer Stimme. „Ich habe meine Eltern angerufen. Sie wollen beide morgen vorbeikommen.“ Von ihrer Mutter hatte es Ärger gegeben, weil Sakura sie nicht gleich über ihren Zustand in Kenntnis gesetzt hatte. Gerade ihrer Mutter, die vor einer Woche ihre langjährige Arbeit verloren hatte und deshalb am Boden zerstört war, hatte sie nicht mitteilen wollen, dass sie im Krankenhaus lag. „Gut“, kommentierte Madara. „Ich hatte keine Zeit, Ihnen etwas zu kaufen.“ Dafür brachte er das Buch mit. In Sakuras Ohren hörte sich das wie eine Entschuldigung und eine Rechtfertigung an. „Das Essen hier ist viel besser als im anderen Krankenhaus.“ Allgemein seien die Standards gut, und Madara konnte nur nicken. Er erzählte ihr über das Frauenklinikum das, was er von Hashirama wusste. Man hatte es neben der Psychiatrie erbaut. Sakura war in der Nacht kurz aufgewacht und hatte jemanden laut schreien gehört. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob es Einbildung gewesen war, nun glaubte sie nicht, dass sie sich etwas eingebildet hatte. Hoffentlich würde sie später kein mulmiges Gefühl haben, das sie beim Einschlafen hinderte. Madara verließ Sakura erst, als ihm mitgeteilt wurde, dass die Besuchszeit um sei. Im Auto dachte er über seine Nachhilfeschüler, Studenten und das Großkolloquium nach, versuchte, seine Gedanken von Sakura wegzutragen. Das wollte ihm nicht gelingen, denn er kam immer wieder zu Sakura zurück. [center"]___ „Können Sie alleine aufstehen?“ „Ich habe es bis jetzt nicht ausprobiert“, gestand sie der Schwester. Es war eine andere als gestern, aber nicht minder freundlich. Sakura atmete tief durch und schwang die Beine über den Bettrand. Sie fühlte sich schwer. Mit dem Katheter in der Hand bewegte sie sich mit langsamen Schritten vorsichtig ins Bad. Es war ansehnlich, sauber bis auf die Fugen und erstrahlte vor Sauberkeit im künstlichen Licht. Sakura wurde wieder der Rücken gewaschen, den Rest erledigte sie alleine. Sie trug die einzige Creme auf, die sie da hatte, damit ihre Haut nicht so trocken war. Sie frühstücke heute am Fenster. In ihr Blickfeld drängten sich drei trostlose Gebäude, im Hintergrund ein wintergrauer Himmel. Der Ausblick im anderen Krankenhaus hatte ihr besser gefallen – der Rest stellte sie mehr als zufrieden. Sobald sie aufgegessen hatte, rief sie Izuna an. Sie stellte das Mobiltelefon auf Lautsprecher und las ihm ein Kapitel vor. Sakura hatte sich eine Flasche Wasser auf den Tisch gestellt, aus der sie einen Schluck trank. Sie besprachen das Kapitel zusammen, teilten einander mit, welche Stellen ihnen besonders gefallen hatten. Am Anfang hatte sie ihm ohne wirkliches Eigeninteresse vorgelesen, nun fand sie, dass das Buch gelungen war und wollte selbst weiterlesen. Izuna wollte Sakura eigentlich erzählen, dass Madaras Geburtstag nahte und er nicht wusste, welches Geschenk er seinem Bruder machen sollte. Aber er überlegte es sich anders und beschloss, das Thema erst aufzuwerfen, wenn Sakura aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Am Nachmittag kamen ihre Eltern an und brachten ihr Blumen und Schokolade. Sie musste sich Vorwürfe von ihrer Mutter anhören, während ihr Vater einfach nur froh war, dass die Operation geglückt war und seine Tochter nicht lange zur Beobachtung bleiben musste. Sie verweilten bis zum Abend. Die Zeit hatten sich Mebuki und Kizashi mit Spaziergängen in der Gegend und einem Restaurantaufenthalt vertrieben. Madara tauchte auf, als sich Sakuras Eltern auf den Rückweg machen wollten. Er machte auf die beiden Eindruck mit seiner Erscheinung und seiner Art zu sprechen. Sie waren ihm sehr dankbar dafür, dass er ihnen anbot, sie zum Bahnhof zu fahren, damit sie nicht ein zweites Mal Geld für ein Taxi ausgeben mussten. Madara kehrte nicht zu Sakura zurück, sondern rief sie an, sobald Mebuki und Kizashi im Zug waren. Er versprach ihr, morgen Abend vorbeizukommen und legte dann auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)