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Sterben kann so schön sein...

... oder auch nicht
von
Koautor:  Shizana

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Eri, das wird dir gefallen: Shizuku und Reiji leben in einem kleinen Häuschen nahe des Meeres. Sie haben es sehr schön eingerichtet, ein äußerst gemütliches Plätzchen zum Leben in Abgeschiedenheit. Nicht weit gibt es eine kleine Strandbucht, wo die beiden ein Boot mittlerer Klasse angelegt haben. Sie leben allein hier, seit ihre jüngste Tochter auf ein Internat gezogen ist.

Aufgabe 1: Lasst euch ein wenig durchs Haus führen und höre dir ein paar der Lebensgeschichten an. Erfahre dadurch, dass Shizuku und Reiji eine Tochter haben, die Musik studiert, und Shizuku als Pianistin künstlerisch tätig ist. Sie ist außerdem, trotz ihrer Erblindung, Wassergymnasiastin und nimmt jährlich an Wettbewerben teil, in denen sie zwar nicht gewinnt, aber sehr gute Leistungen erzielt.
Aufgabe 2: Shizuku serviert euch selbstgemachten Kuchen. Sie erzählt fröhlich, dass sie sich über euren Besuch freut und Reiji hält euch an, dass ihr unbedingt zum Abendessen bleiben müsst, da seine Frau hervorragend kocht. Da bis dahin noch Zeit bleibt, kannst du entscheiden, ob du mit Reiji und den Jungs das abklingende Wetter nutzen und am Strand spazieren willst oder ob Shizuku euch auf dem Piano vorspielen soll (oder beides).
Aufgabe 3: Hilf Shizuku später beim Kochen.
Aufgabe 4: Genieße ein entspanntes und ausgelassenes Abendessen mit dem Pärchen und den Jungs. Allerdings weigert sich Anubis, euch beizuwohnen. Bring ihm später etwas nach draußen, wo er sich auf die Hollywoodschaukel verzogen hat.
Aufgabe 5: Auf deinem Rückweg triffst du auf Thoth. Das ist die Gelegenheit, dich bei ihm zu entschuldigen und die Wogen zu glätten. Frage ihn, warum er so komisch zu dir ist, seit ihr den Olymp verlassen habt, und ob es mit seinem Gespräch mit Zeus zu tun hat. Er wird dir darauf nicht wirklich antworten, sondern nur sagen, dass das nicht dein Problem ist und es nichts ändern würde, wenn er darüber mit dir reden würde. Komplett anzeigen

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Haus am Meer

Als Shizuku und Reiji gesagt hatten, dass ihr Haus nicht weit weg war, hatten sie etwas untertrieben. Der Marsch führte etwas außerhalb von Izumo, immer am Meer entlang, das ihr Leben scheinbar die ganze Zeit prägte, selbst zu stürmischen Zeiten. Und doch stand ihr Haus sicher, in einer Strandbucht, umgeben von Felsen, jedoch beim Eingang und auf der Rückseite frei genug um einen Vorhof und einen kleinen Garten zu besitzen. Als hätte Susanno-o persönlich diesen Ort in den Fels gehauen, damit seine zwei treusten Anhänger wirklich sicher vor seinen Stimmungsschwankungen sein konnten und ihm doch nahe waren. Für mich wäre das wohl nichts gewesen, schon allein aus dem Grund, dass ich die Gefahr im Meer zu ertrinken selbst hier noch zu allgegenwärtig fand.

Dennoch, diese Idylle hatte etwas. Die Luft war sauber, das Rauschen des Meeres spielte sicher eine beruhigendes Schlaflied, natürlich nur, wenn man nicht daran dachte gleich ertränkt zu werden, und der seichte Wind wehte an einem sommerlichen Morgen eine erfrischende, salzige Meeresbrise in das eigene Schlafzimmer. Und dann noch der Strand vor der Haustür... Im Sommer sicher sehr ideal, wenn die Sonne unterging und man barfuß über den warmen Sand lief und die Sonne sich im Meer versenkte. Am romantischsten war dieses Idyll dann sicher mit der Person die man liebte. Jemand, der einem nahe stand und mit dem man durch dick und dünn gehen konnte. So einen Partner wie Shizuku hatte.

„Die ideale Kulisse für einen Liebesroman...“, wisperte ich andächtig, und brachte damit zum Ausdruck, was ich seit unserer Ankunft hier gedacht hatte.

„Und das ist noch nicht alles. Wir haben sogar unseren eigenen Hafen der Liebe“, erklärte Reiji breit wie ein kleiner Junge grinsend und verwies zum Strand, an dem ein kleiner Steg gebaut war, neben dem ein kleines Boot, groß genug für zwei, angestoßen durch die Meereswellen schaukelte. Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass es nur durch ein Seil gehalten, nicht doch noch abgetrieben worden war.

„Das Haus ist wirklich groß, wirklich sehr groß. Lebt ihr hier wirklich alleine?“

Staunend stand Apollon vor dem Haus und hielt sich die Hand vor die Stirn, als würde er so hoffen mehr zu sehen, auch wenn das Haus nach oben hin nicht sonderlich groß war. Selbst mich hatte es gewundert, dass dieser kleine Palast den beiden alleine gehörte. Persönlich hatte ich eher mit einer kleinen Wohnung gerechnet und mich schon gefragt, wie die Jungs mitsamt mir in ein beengtes Wohnzimmer passen sollten, aber nun... nun wunderte mich das 'Wie' gar nicht mehr.

„Eigentlich nicht. Aber unsere Tochter geht seit Jahren auf ein Internat. Sie möchte in Oxford studieren, wenn sie groß ist. Hin und wieder besucht sie uns aber in den Ferien. Dann machen wir Ausflüge am Strand, oder fahren mit dem Boot aufs Meer und verweilen dort ein paar Tage.“

Als Reiji über seine Tochter sprach, erkannte ich diesen traurigen Schimmer in seinen Augen. Wahrscheinlich vermissten sie ihre Tochter sehr, doch sie wollten ihr auch nicht im Weg stehen und taten alles, damit sie glücklich war, auch wenn dies bedeutete, dass diese große Entfernung zwischen ihnen stand.

„Also, kommt doch rein, hier draußen ist es so kalt. Drinnen ist es ganz angenehm. Wenn ihr wollt, zeigen wir euch gerne das Haus.“

Die Traurigkeit war genauso schnell aus Reijis Gesicht verschwunden, wie sie gekommen war. Stattdessen lächelte er uns nun an, und öffnete die Tür, die er weit aufhielt, damit Shizuku, gefolgt von uns das Haus betreten konnte.

Über die Türschwelle zu treten war, als ob man eine neue Dimension betrat. Alles im Flur strahlte soviel Herzlichkeit und Wärme aus. Schon auf der kleinen Kommode am Eingang, da wo Shizuku die Hausschlappen für uns, ihre Gäste, hervorholte, stand ein Bild von Shizuku und Reiji, vor denen ein kleines Mädchen in einem niedlichen rosafarbenen Kleid stand. Wahrscheinlich ihre Tochter. Irgendwie hatte ich das in Anbetracht der Tatsache, dass Shizuku blind war, nicht erwartet. Vielleicht war diese gebrochene Erwartungshaltung doch unsensible von mir gewesen.

„Die Schlappen sind so bequem, so bequem.“

Freudig jauchzte Apollon auf, als er in die Schlappen schlüpfte, die Shizuku uns hingestellt hatte. Als wollte ich mich von seinen Worten überzeugen, schlüpfte ich ebenfalls in die Schlappen und sie waren wirklich bequem. Warm und flauschig.

„Willkommen bei Reijis und Shizukus Tour durch das Casa del Mare.“

Reiji hatte sich vorsichtig an uns vorbei geschoben und sich neben seine Frau gestellt, die uns mit einem eben so breiten Lächeln wie ihr Mann begrüßte.

„Hier in der untersten Etage findet ihr das gemütliche Wohnzimmer, an dem unsere Küche mit kleiner Theke angrenzt. Für Shizuku extra mit Tür, damit ich nicht immer beim Kochen störe und nasche.“

Ich kicherte leise, denn Reiji hatte ja schon bei unserem ersten Gespräch deutlich gemacht, das er Shizukus Essen liebte. Da war es wohl nur eine Selbstverständlichkeit, dass er hin und wieder zu naschen versuchte und Shizuku ihr Reich beschützen musste.

„Geradeaus den Flur entlang findet ihr übrigens ein Badezimmer. Wenn ihr euch also etwas frisch machen wollt, tut euch keinen Zwang an.“

Wir folgten Reiji und Shizuku, die uns wirklich durch die unterste Etage führten. Das Wohnzimmer war wirklich sehr geschmackvoll eingerichtet. Mit cremefarbenen Sitzmöbeln, einen großen Fernseher, einem Glastisch, der wesentlich klarer war als mein eigener und einer Tür, die in den Garten führte, bei dem eine Hollywoodschaukel stand. Groß genug für zwei.

„Und das hier ist mein Stolz, im Wohnzimmer“, fuhr Reiji schließlich fort und verwies auf eine Bar die im hinteren Teil des Wohnzimmers stand und atmosphärisch ausgeleuchtet war. Wirklich geschmackvoll, sie erweckte sogar die Illusion, dass man in einer echten Bar war, denn hinter dem Tresen stand ein großes Regal, in dem verschiedenste Flasche standen. Wodka, Whisky, Rum, ein paar bunte Aperitifs. Mit Sicherheit war diese Bar genauso gut ausgestattet wie eine echte. Noch dazu machte Reiji eine gute Figur dahinter. Obwohl er schon älter war, wirkte er mit einem Mal wie Mitte 20. Seine Strähnen fielen ihm verspielt ins Gesicht und seine braunen Augen waren mit einem Mal so aufgeweckt, als luden sie einen ein, alle seine Sorgen preis zu geben.

„Hon~ Dein Stolz im Wohnzimmer ist ja wohl eindeutig nicht die Ecke deiner Vergangenheit“, murrte Shizuku und lief auf ihren Mann zu, wobei Dionysos ihr aus dem Weg ging. Die Götter hatten wohl auch bemerkt, dass Shizuku nichts sehen konnte, um so überraschender war es, wie frei und sicher sie sich auf ihren Mann zu bewegte. Ohne anzuecken.

„Vergangenheit?“, fragte Hades, der scheinbar auch ein gewisses Interesse an den beiden gefunden hatte. Wen hätte es verwundert, sie waren Interessant. Nicht nur ihre Beziehung miteinander, sondern auch wegen ihrer Ausstrahlung, die wider aller Differenzen so strahlend hell war. Wie die aufgehende Sonne nach einer kalten, düsteren Nacht.

„Ich habe während meiner Ausbildung bei meinem Großvater als Barkeeper gearbeitet. Wie wäre es, wollt ihr mein Markenzeichen probieren?“

Sein Markenzeichen? Fragend sah ich zu den Jungs, die ebenfalls keine Ahnung zu haben schienen, was Reiji genau meinte, was Shizuku ein leises Lachen entlockte.

„Jeder Barkeeper muss in seiner Ausbildung einen Drink erfinden, der als SEIN Markenzeichen anerkannt wird. Als seine Visitenkarte. Reiji hat zwar nie eine Ausbildung als Barkeeper abgeschlossen, aber in seiner Zeit hat er auch seine ein oder andere Visitenkarte erschaffen. Bei den Frauen war sein Zassho sehr beliebt. Er wirkt sehr einfach, hat aber einen erfrischenden Geschmack und breitet sich fruchtig im Mund aus, als würde er streuen. Dadurch das er so mundig ist, nannten die Männer ihn Unkraut, weil man ihn wirklich überall in der Bar stehen sah.“

„Ja, er war ungewollt und doch tranken sie ihn alle“, setzte Reiji bei Shizukus Erklärung nach und griff behände zu einer Flasche hinter sich. Seine Bewegungen waren sehr geschmeidig, als er die Gläser und alle nötigen Zutaten zusammenstellte.

Mein Blick als der Name des Drinks erwähnt wurde, glitt zu den Jungs, die mit einem Mal diesen melancholischen Eindruck machten. Wahrscheinlich lag es daran, dass Takeru Yui immer Zassho genannt hatten. Nicht nur, dass sie wieder an ihre Zeit in der Schule erinnert wurden, nein da war sie auch wieder, Yui, die uns schon die ganze Zeit wie ein Phantom begleitete und immer unausgesprochen blieb.

„Ich habe damals drei Monatsgehälter zusammen gespart, um einen Ring für Shizuku kaufen zu können. Auch wenn meine Eltern mir genug Taschengeld gaben, damit es schon nach dem ersten Monat klappte, wollte ich diesen Ring unbedingt mit meiner eigenen harten Arbeit erwerben.“

Während er etwas Whisky, Waldmeisterlikör und Saft, von dem ich nicht erkannte, was es für einer war, vermischte, sah Reiji zu seiner Frau, die verlegen wegsah. Verliebt wie am ersten Tag, irgendwie beneidenswert.

„Und deswegen ist dieser Ring auch heute noch der wertvollste Besitz, neben meinem Klavier“, säuselte sie ihm leise entgegen und legte dabei zwei Finger an den Ring, den sie an ihrem rechten Ringfinger trug.

„Bevor Reiji nach Europa gegangen war, haben wir geheiratet. So waren wir immer verbunden.“

Noch während Shizuku sprach, goss Reiji den fertig gemischten Drink in fünf Gläser, die er den Jungs, abgesehen von Anubis reichte. Wahrscheinlich wirkte Anubis zu jung auf den verantwortungsbewussten Mann, allerdings fragte ich mich, warum er mir keinen Zasshou mischte, denn kaum, dass sein Mixer leer war, fühlte er diesen wieder, allerdings mit anderen Zutaten.

„Shizuku, möchtest du ihnen noch den Rest des Hauses zeigen, während ich das hier fertig mache?“ Shizuku nickte auf Reijis Bitte und schlängelte sich an der Bar vorbei und ging wieder in Richtung der Tür, die raus aus dem Wohnzimmer führte. Gefolgt von Hades, Apollon, Thoth und mir. Anubis hatte es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht und sah aus dem Fenster, als wartete er darauf, dass das Wetter endlich besser wurde, damit er raus aus diesem Menschen überlasteten Haus kam. Dionysos hingegen genoss den Drink, den Reiji bereitet hatte und verfiel in einen angeregten Plauderton mit dem Mann.

Innerlich seufzend folgte ich der größeren Gruppe die Treppen hinauf.

„Hier oben haben wir ein Gästezimmer, das Schlafzimmer unserer Tochter und unseren Schlafbereich. Außerdem noch ein kleines Bad. Als Ayane noch hier gewohnt hatte, gab es jeden Morgen Streit um das Bad. Sie ist wie ihr Vater so verdammt stur. Statt einfach das Bad unten zu nehmen, wollten beide ihre Morgenwäsche immer in diesem hier oben übernehmen. Ayane ist deswegen häufiger zu spät in den Kindergarten gekommen.“

Es war für mich nicht deutlich auszumachen, ob Shizuku nun traurig wegen dieser Erinnerungen war, oder ob sie einfach nur in aller Wehmut und Melancholie an die Zeiten zurückdachte, in denen ihre Tochter Ayane bei ihnen gewesen war. Allerdings, wenn ihre Tochter schon alt genug war auf ein Internat zu gehen, stellte sich mir die Frage, wie alt Shizuku und Reiji wirklich waren. Wenn beide sich vor ungefähr 15 Jahren kennengelernt hatten... mussten sie wirklich früh geheiratet, oder Ayane unehelich bekommen haben. Wahrscheinlich war das auch der Fall. Wenn man es recht bedachte, hatte Reiji etwas gesagt, dass seine Eltern ihm genug Taschengeld gegeben hatten, damit er den Ring schon frühzeitig kaufen konnte.

„Wie alt ist eure Tochter?“ Ich konnte nicht an mich halten und musste diese Frage stellen. Das Mädchen auf dem Foto im Flur war maximal fünf Jahre alt gewesen.

„Sie ist Zehn. Und schon genauso entschlossen und stur wie ihr Vater. Da sie später mal in Oxford studieren möchte, wollte sie unbedingt auf eine rein englischsprachige Schule. Es hat etwas gedauert bis wir eine fanden, aber dann haben wir das Internat entdeckt. Zwar sprechen sie dort auch japanisch, aber großteils wird dort in englisch unterrichtet.“

Auf einmal wurde mir einiges klar. Shizuku konnte wohl daher englisch. Sie hatte ihrer Tochter helfen wollen und daher die Mühe auf sich genommen englisch zu lernen. Sie liebten nicht nur einander, sondern auch ihre Tochter, die für beide wahrscheinlich sogar der Beweis ihrer unbändigen Liebe war.

„Ich kenne noch jemanden, der seinem Vater viel bedeutet und in gewisser Weise ähnlich ist...“, merkte plötzlich Hades an, der seinen Blick dabei auf Apollon richtete. Dieser schien den Wink nicht zu verstehen und sah seinen Onkel fragend an.

„Wen denn, wen denn?“

Er hatte es wirklich nicht verstanden. Das war so typisch Apollon. Dennoch, ich konnte nicht anders als darüber zu kichern, denn eigentlich war das ganze viel zu offensichtlich, wen Hades meinte, auch wenn mir die Ähnlichkeiten von Zeus und Apollon selbst, abgesehen von den offensichtlichen, fremd waren.

„Nya-chan, warum lachst du? Weißt du wen Onkel Hades meint? Sag schon, sag schon!“

Lachend schüttelte ich nur den Kopf. Das war einfach zu herrlich, wenn Apollon wie ein kleiner Junge Antworten forderte, die eigentlich offensichtlich waren.

„Das musst du mir irgendwann mal erklären, Hades.“ Statt Apollon zu antworten, hatte ich entschieden, lieber Hades meine Aufmerksamkeit zu schenken. Damit setzte ich wohl das deutlichste Zeichen, dass ich Apollon nicht antworten würde.

„Wie gemein, ihr ignoriert mich! Warum sagt ihr mir nicht, wen Onkel Hades meint, warum? Meint ihr Dee-Dee und Zeus, meint ihr sie?“

Immerhin den Wink mit Zeus hatte Apollon wohl verstanden. Den Rest wohl eher nicht.

„Was ist das für ein Raum da hinten?“ Um vom Thema abzulenken und wieder zur eigentlichen Tour zurück zu kommen, hatte Hades zur Ablenkung auf ein Zimmer verwiesen, das nicht wie ein weiteres Gästezimmer wirkte.

„Das ist mein Trainingsraum“, erklärte Shizuku und führte uns zu dem Zimmer, das sie ohne zu zögern öffnete und uns hineinließ.

Sie hatte nicht zuviel versprochen. Es war wirklich ein Trainingsraum. Mit Gewichten und einem Laufband, allerdings waren die Geräte so gestellt, dass in der Mitte noch genug Platz war um Bodenübungen zu machen. Die Wände hingegen waren geschmückt mit Urkunden und Medaillen die die Teilnahme an sportlichen Events bezeugten.

Neugierig sah ich mich um und las mir die Urkunden durch, die auf eine Sportart hinweisen.

„Rhythmische Wassergymnastik?“, fragte ich schließlich an Shizuku die stolz nickte.

„Ja. Mein kleines Laster. Ich habe vor drei Jahren damit angefangen. Hier trainiere ich meine Ausdauer und Muskeln. Am Land ist es zwar eine andere Sache, aber ich hab ja auch das Meer direkt vor meiner Tür um üben zu können. Ich nehme jedes Jahr an der kleinen Meisterschaft teil und manchmal übe ich auch mit unserer kleinen Synchronschwimmgruppe. Wir haben zwar noch nie etwas gewonnen, aber wir geben immer unser Bestes.“

Man hörte, wie stolz Shizuku auf das war, was sie tat. Und alles was sie tat, machte sie nur noch bewundernswerter. Sie schaffte Dinge, die soviel Kraft kosteten und war so furchtlos dabei.

„Nebenbei spiele ich auch gerne Klavier. Unten im Wohnzimmer, gleich links von der Tür steht mein Baby. Reiji muss es aller paar Monate für mich stimmen. Am Anfang war er so ungeschickt dabei, doch nun ist er so geschickt, als habe er noch nie etwas anderes getan.“

Erneut war in den Worten Shizukus diese Geste, die eindeutig zeigte, wie groß die Liebe in dieser Familie war. Es war sicher kein schweres für Shizukus Klavier einen Fachmann zu rufen der es stimmte, doch da es sich hier um Shizukus „Baby“ handelte, war es nur sehr unwahrscheinlich, dass Reiji auch nur einen anderen Mann dran lassen würde.

„Nun ärgere ich mich, dass du deine Lyra nicht mitgenommen hast, Apollon“, wandte ich mich neckend an den Sonnengott, der sofort etwas errötete und sich verlegen mit der Hand über seinen Hinterkopf strich.

„Apollon-san, du spielst ebenfalls ein Instrument?“, fragte Shizuku interessiert und wandte sich dabei an Apollon. Dieser lachte leise und bestätigte ihre Worte.

„Man könnte sogar sagen, er ist ein wahrer Gott der Musik. Er kennt Lieder von denen ich mich wundere, woher er sie kennt“, setzte ich nach, da Apollon dieses Gespräch scheinbar nicht vertiefen wollte und es irgendwie witzig mit anzusehen war, wie verlegen der sonst so stürmische Apollon werden konnte, wenn es um seine Person ging.

„Ach was, das tue ich nicht, ganz sicher nicht. Viele Lieder kenne ich aus meinen Träumen und dann lassen sie mich nicht los, weswegen ich sie spielen muss, das muss ich dann.“

Aus seinen Träumen? Verwundert neigte ich meinen Kopf etwas zu Seite. Hatte er dieses eine Lied auch aus seinen Träumen? War das möglich? Wobei, Apollon war der Gott der Weissagung, vielleicht überschritten seine Fähigkeiten auch Welten.

„Das kann ich gut verstehen. Wenn man einmal ein Lied im Sinn hat, das einen nicht mehr los lässt, kann man es nur ziehen lassen, indem man diese Vision realisiert.“

War das Neid, den ich plötzlich spürte? Es war schon seltsam. Shizuku und Apollon hatten eine Gemeinsamkeit. Sie konnten Musik spielen, ohne ihre Partituren zu lesen, rein aus dem Gehör. Und ich war stolz auf diese eine Gemeinsamkeit gewesen, dass ich die Musik liebte und Apollon augenscheinlich auch. Noch dazu hatte er dieses eine Lied gespielt, dass ich wirklich mochte, weil es von Kousuke Toriumi gesungen wurde, oder viel mehr von Cecil Aijima.

„Also, wie sieht es aus, wollt ihr noch einen Drink und ein Stück Kuchen? Ich habe heute früh einen frisch gebacken.“

Ich zuckte schuldbewusst zusammen, als Shizuku plötzlich meine Hand nahm und mich aus dem Zimmer zog, gefolgt von den Jungs. Hatte sie gemerkt, dass ich so gemein war? Sicher hatte sie das, die Frau konnte Gedanken lesen. Oder sie hören, oder wie auch immer sie das machte.

„Wenn ihr wollt, spiele ich euch etwas vor. Musik ist immer das beste zu Reijis Drinks und einem leckeren Stück Kuchen. Sie beruhigt die Nerven und entführt einen in traumhafte Welten, wo es keine Sorgen gibt.“

Bestimmend aber in einem passenden Tempo zog Shizuku mich zur unteren Etage, ins Wohnzimmer zurück, wo immer noch Anubis und Dionysos zusammen mit Reiji waren.

„Reiji, deine Drinks sind wirklich einmalig und können sich mit richtig guten Wein messen“, erklärte Dionysos lachend und nippte an einem Drink, der nicht wie der erste aussah. Ich wollte gar nicht wissen, der wievielte das hier schon war, doch Dionysos war sicher trinkfest genug um das zu überstehen. Solange wir ihn später nicht zurück in die Stadt tragen mussten, war mir alles recht.

„Macht es euch nur bequem, ich hole den Kuchen. Hon, würdest du bitte hinter deinem Spielplatz hervorkommen? Wir haben Gäste“

Sanft schob mich Shizuku in Richtung des Wohnbereichs mit der cremefarbenen Ledercouch und drückt mich sanft in diese, so dass ich nicht länger stehen konnte und keine andere Wahl hatte, als mich wirklich zu setzen.
 

Innerhalb kürzester Zeit hatten Shizuku und Reiji uns wirklich vorbildlich mit Kuchen und Getränken bewirtet. Doch irgendwie konnte ich keinen rechten Hunger aufbringen, selbst in Angesicht der Tatsache, dass der fluffige Käsekuchen wirklich köstlich aussah. Nicht einmal der pinke Drink, alkoholfrei, den Reiji für mich gemacht hatte, schien mich anzusprechen. Es war wirklich nur zu seltsam. Erneut bemerkte ich wieder, dass ich keinen Hunger hatte, anders als Apollon, der sich schon ein zweites Stück genehmigte. Selbst Anubis genehmigte sich, mit misstrauischen Blick Bissen um Bissen von dem Kuchen. Da ich nicht die Spaßbremse sein wollte, begann ich langsam, Stück für Stück, die mir gereichte Kuchenecke zu essen. Shizukus Kuchen war wirklich phänomenal. Der frische Geschmack zeugte davon, dass sie wirklich frische Zutaten benutzt hatte, wahrscheinlich sogar Eier von einem Bauern.

Der Geschmack war mir dennoch nicht fremd, denn Zuhause hatte ich mehr als einmal einen Käsekuchen nach der Art gemacht, wie es wohl die Japaner taten. Zumindest hatte in dem Rezept japanischer Käsekuchen gestanden und die Zubereitung unterschied sich stark von der des deutschen Pendanten.

„So schmeckt also das Original...“, wisperte ich leise und nahm mir noch einen Bissen. Ja, der Geschmack war vertraut, aber er war dennoch anders.

„Nun ja, er ist anders als der Käsekuchen aus Deutschland. Ich hoffe, er ist dir nicht zu ungewöhnlich“, antwortete Reiji auf meine Worte und lächelte dabei.

Ungewöhnlich? Mit Sicherheit nicht. Soviel war mir klar, als ich mit dem Kopf schüttelte.

„Nein, nein, so meinte ich das nicht. Zuhause habe ich schon ein paar Mal diesen Käsekuchen gemacht. Zumindest sagte das Rezept, dass es so original wäre. Irgendwie ist der Geschmack aber anders. Besser.“

Ich konnte meinen Finger nicht drauf legen. Aber es war wirklich ein anderer Geschmack. Besser als meiner. Benutzte Shizuku vielleicht eine geheime Zutat?

„Wenn man von Menschen umgeben ist, die man mag, schmeckt jedes Essen besser. Man kann in einem Sternerestaurant mit dem besten Essen der Stadt dinieren, ohne jemanden den man mag oder liebt, wird es nur zweitklassig sein. Mit Menschen die man aber mag, wird selbst das Burgermenü vom Fast Food Restaurant neben an zum besten Erlebnis des Tages.“

Fragend sah ich zu Shizuku die mich lächelnd ansah. War es das? Lag es daran, dass ich mit Shizuku, Reiji und den Göttern hier saß?

Ich dachte darüber nach. Viel zu oft hatte ich meinen Käsekuchen mit vollkommen unbekannten Personen gegessen. Ich hatte ihn zwar noch nie schlecht gefunden, aber so ein außergewöhnliches Erlebnis wie jetzt, war er auch nicht gewesen.

„Wenn ich Zuhause bin, muss ich wohl mal wieder für meine Freunde backen...“, wisperte ich daher als Antwort und nahm erneut einen Bissen. Die Frage war nur, wann ich nach Hause kommen würden.

Vielleicht hatte Thoth Recht und ich war nicht genug auf mein Ziel fokussiert. Doch, was war mein Ziel? War es wirklich nur nach Hause zu kommen? Zuhause konnte ich schnell sein. Wenn ich Thoth bat, schickte er mich sicher auch so zurück. Sicher hätte Zeus das auch getan, wenn ich es einfach gesagt hätte, dass ich es wollte. Aber so direkt hatte ich das nicht gesagt. Stattdessen hatte ich gebeichtet, mehr von dieser Welt sehen zu wollen. Diese Welt, dass hatte für mich die anderen Jungs eingeschlossen. Takeru, Tsukito, Baldr, Thor und Loki.

„Spätzünder...“

Erschrocken sah ich auf und blickte zu Thoth, der mir einem gleichgültigen Nicken auf Shizuku und Reiji wies. Beide sahen mich besorgt an und mir war erst jetzt bewusst geworden, dass ich mich von diesem Gespräch ausgeschlossen und in meine eigene Gedankenwelt zurückgezogen hatte.

„Verzeiht, ich war wohl gerade in Gedanken. Ich hab wohl tatsächlich ein wenig Heimweh“, erklärte ich und versuchte die ganze Angelegenheit einfach weg zulächeln.

„So weit von Zuhause ist es nur verständlich, dass du Heimweh hast. Aber du hast gute Freunde bei dir, die dir sicher helfen, so dass du nicht allzu traurig bist.“

Ich nickte etwas auf Reijis Worte hin. Sicher, sobald die Götter merkten, dass etwas nicht stimmte, würden sie sich ein Bein ausreißen, damit es mir besser ging. Eine Tatsache, die mir schon wieder gar nicht gefiel.

Doch mehr missfiel mir, wie egozentrisch ich war. Ich war nicht die einzige, die fern der Heimat war. Hades, Dionysos und Apollon sowie Anubis und Thoth waren ebenfalls einiges an Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Auch wenn es bei ihnen mehr freiwillig war.

„Das werden sie sicher, wie ich sie kenne... Besonders Ahollon hier.“ Sanft klopfte ich Apollon auf die Schulter und lächelte dabei. Ich musste diese Gedanken einfach verdrängen, einfach verstecken. Bloß nicht traurig sein, stark sein und Lächeln, so wie ich es immer tat. Niemand sollte sich um mich sorgen. Zumindest niemand der mich sah, oder der mich nicht kannte.
 

Der Kuchen war bis auf den letzten Bissen verspeist worden und im Hintergrund erklang die beruhigende Melodie, die Shizuku ihrem Klavier entlockte. Sie wusste wirklich wie man spielte und allein mit dieser Melodie Bilder im Kopf der Zuhörer malte. Ich hatte mich vollkommen entspannt und war leicht an Apollons Schulter gelehnt immer wieder etwas weg gedöst. Vielleicht lag es daran, dass soviel passiert war, aber in regelmäßigen Abständen wurde ich mir doch bewusst, wie anstrengend diese Reise war.

Auch in diesem Moment befand ich mich wieder an der Schwelle eines leichten Dämmerschlafes und nahm nur durch einen leichten Schleier ein Gespräch zwischen Reiji und den Jungs wahr.

„Es ist wirklich lange her, dass wir so eine lebhafte Meute im Haus hatten. Mit euch fühlt man sich glatt wieder um ein paar Jahrzehnte jünger. Shizuku strahlt so übers ganze Gesicht wie zuletzt, als Ayane zu Besuch war.“

Ich hörte das Klirren von Gläsern, wahrscheinlich hatte Reiji erneut mit Dionysos angestoßen, der wirklich eindeutig zu viel vertrug. Soviel zum Thema, dass er mein Saufpartner war. Reiji hatte es tunlichst vermieden mir Alkohol zu geben, was wahrscheinlich daran lag, dass ich das einzige Mädchen unter Männern war. Abgesehen von Dio, der einiges vertrug, hatte er sonst keinem mehr auch nur ein alkoholisches Getränk angeboten, wobei Anubis von Anfang an nur Wasser oder Saft bekommen hatte.

„Was haltet ihr davon, wenn ihr noch bis zum Abendessen bleibt? Natürlich nur, wenn ihr noch nichts vor habt.“

Von einer Bewegung Apollons, der mich scheinbar ansah, wach gerüttelt, erhob ich mich wieder in eine aufrechte Position und rieb mir die Augen. Ich war definitiv wieder weg gedöst. Peinlich. Und vor allem, laut meinem Gewissen unverschämt gegenüber Shizuku und Reiji, die aber durch die Jungs von unserer Flucht vom Schiff erfahren hatten und scheinbar zu ahnen schienen, dass unsere Reise nicht gerade leicht gewesen war. Mein Körper signalisierte mir zumindest, dass sie es nicht war, dabei war ich erst einen Tag unterwegs gewesen. Es fühlte sich aber an wie Wochen. Gerade jetzt, da ich zur Ruhe kam, wirklich zur Ruhe, wurde mir das aber bewusst.

„An sich haben wir noch kein neues Ziel. Wir dachten ja, dass wir den alten Schulfreund der Jungs am Tempel treffen könnten. Aber da haben wir uns geirrt. Ich brauch also einen neuen Plan“, erklärte ich müde.

Einen neuen Plan brauchte ich in der Tat. Einen der Thoth zeigte, dass meine Suche nach Takeru nicht sinnlos war. Dass sie einen Zweck und einen Sinn hatte.

„Verstehe. Nun bei einem guten Essen kommen immer die besten Ideen. Meine besten Drink Kreationen habe ich damals nach einem Bissen von Shizukus fantastischen Essen gehabt.“

Ideen beim Essen? Das mochte vielleicht auf Reiji zutreffen, aber nicht auf mich. Meine besten Ideen für Geschichten hatte ich in der Badewanne, oder in Momenten wo ich ungestört war. Alleine, in meiner Wohnung, mit meinem Harada im Arm. Angestarrt von einem Kyubey. Oder wenn ich mit Freunden sprach. Allerdings hatte mir das Gespräch mit Dio auch keinen Plan für Takerus Fundort gebracht.

„Ich freue mich wirklich schon auf Shizu-Shizus Essen. Danke für die Einladung, Rei-Rei. Wirklich Danke.“

Apollon strahlte übers ganze Gesicht. Es schien dem Sonnengott wirklich nicht schwer zu fallen, Sympathien für andere zu bekommen. So schnell wie er Shizuku und Reiji die gewohnten Doppelnamen gegeben hatte. Und die beiden schien es nicht zu stören. Wahrscheinlich fanden sie die Meute genauso sympathisch.

„Anubis!“

Mein Blick wandte sich zu Thoth, der ernst zum Balkonfenster sah, welches Anubis aufgeschoben hatte. Fragend und mit zuckenden Ohrsträhnen, sah der junge Ägypter den Lehrer an, der ergebend seufzte.

„Bleib in der Nähe.“

„Ka Bara!“, erklärte Anubis auf Thoths Mahnung und verschwand durch die Tür in den Garten. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass der Sturm sich etwas verzogen hatte. Zwar wehte noch ein starker Wind, aber der Regen hatte inne gehalten und schien in den nächsten Stunden auch nicht so schnell wieder zu kommen.

„Ein Spaziergang zur Verdauung scheint mir eine gute Idee. Was haltet ihr davon? Wir könnten am Strand auf Schatzsuche gehen.“

Reiji hatte sich von seinem Platz erhoben und sah zu uns. Mit Sicherheit tat mir etwas frische Luft gut. Nicht das ich wirklich noch einschlief und Apollons Schulter noch mehr als Kissen missbrauchte.

„Schatzsuche?“ Apollons Augen strahlten, als Reiji eine Schatzsuche erwähnte und war sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Wie ein kleiner Junge eben doch.

„Dann kommt nur mit. Shizuku, ich hole deine Jacke.“

Mit einem freudigen Lächeln verließ Reiji das Wohnzimmer und ging in den Flur. Wahrscheinlich war so ein kleiner Spaziergang ein Ritual der beiden. Sie konnten ja nicht ewig Klavier spielen oder hinter der Bar stehen und wie aktive Fernsehjungkies erschienen sie mir auch nicht. Im Gegenteil. Beide waren sehr vital und hatten sich sicher auf die ein oder andere Weise ihre Jugend erhalten. Beneidenswert, in jeglicher Hinsicht, vor allem wenn man noch nicht einmal einen Partner hatte, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte, so wie die beiden.

Mich reckend, erhob ich mich von der Couch und ging in Richtung des Flures, wo meine Schuhe standen, und die Jacke hing, die über dem gelben Shirt lag und dieses knallige Kleidungsstück dezent zu verbergen wusste. Wobei ich immer noch nicht abstreiten konnte, dass ich dieses Oberteil wirklich bequem fand. Die Jungs hatten sich für mich wirklich richtig Mühe gegeben und ich hatte sie zum Dank im Tempel angemault. Manchmal fragte ich mich echt, was falsch mit mir lief.

Ich hatte genug Zeit darüber nachzudenken, als wir im Flur waren und auf Reiji und Shizuku warteten, die kurze Zeit später kamen und mit uns gemeinsam das Haus gen Strand verließen.
 

Reiji hatte Apollon am Strand gezeigt, was der Sturm angespült hatte. Vieles davon war Müll. Treibholz, doch irgendwie gelang es Reiji aus allem einen Schatz zu machen. Er begann plötzlich Geschichten zu erzählen, über versunkene Schiffe, von Meerjungfrauen, versunkenen Städten. Die Geschichten waren wirklich lebendig, so dass Apollon förmlich an seinen Lippen hing und lauschte. Ich hingegen hatte mich etwas weiter entfernt von der Gruppe gestellt und sah auf das Meer. Es wirkte bedrohlich, fast als drohte es mir unter den Winden, ihm nicht zu nahe zu kommen.

„Ich hatte gedacht, dass dich die Nähe von Shizuku und Reiji etwas aufmuntern würde...“ Ich zuckte zusammen, als Ninja-Hades wieder aufgetaucht war. Wo kam er nur immer her? Und vor allem warum immer dann, wenn ich nicht mit ihm rechnete?

„Tut es auch... ich meine, sie sind Menschen wie ich“, erklärte ich schnell und zog dabei die Jacke etwas dichter um mich. Die Luft hier war wirklich noch etwas kühl. Seltsam, dabei hatte man mir mal gesagt, dass Japan um diese Jahreszeit nicht allzu kalt war.

„Seit wir hier sind, wirkst du... abwesend...“

Wahrscheinlich hatte Hades Recht. Ich war wirklich etwas abwesend gewesen. Müde und ausgelaugt. Dabei lag es nicht einmal an Shizuku oder Reiji. Die beiden waren einfach toll. So liebevoll und offen. Durch und durch sympathisch.

„Das ist also doch so auffällig. Wäre ich Zuhause würde das niemand merken... hoffe ich. Wenn ihr als vollkommen Fremde das merkt, bedeutet das allerdings, dass ich nicht sonderlich gut darin bin, das geheim zu halten“, murmelte ich leise und ließ einen leisen Seufzer die Freiheit kennenlernen.

„Mir geht viel im Kopf herum. Wegen mir, wegen euch, wegen Thoth, wegen Susanno-o. Ich frage mich, ob das was ich hier eigentlich tue richtig ist... Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie wir Susanno-o finden sollen. Ich kenne ihn nicht... Der Tempel war so etwas wie meine einzige Hoffnung. Er könnte überall sein, aber ich will daran glauben, dass Zeus uns her geschickt hat, weil er hier ist. Gleichzeitig... was wenn wir ihn wegen meiner Ziellosigkeit bereits verpasst haben? Oder was, wenn wir ihn finden? Was dann? Ich meine ihr könnt dann mit ihm reden und das freut mich, weil ihr einander sicher lange nicht mehr gesehen habt, aber... Ich bin eine vollkommen Fremde für ihn, genauso wie für euch. Ich habe ehrlich irgendwie Angst ihn zu treffen und mache mir jetzt schon Gedanken, was er von mir halten könnte. Ich hasse diesen Gedanken, ich habe ihn viel zu oft...“

Ich konnte Hades einfach nicht in die Augen sehen und sah zu Boden. Seltsam, als ich die drei kennengelernt hatte, war diese Sorge nicht da gewesen, ebenso hatte ich mir bei Thoth und Anubis nie Gedanken darüber gemacht. Doch gerade jetzt... gerade jetzt schlich diese Angst an mir hoch. Was wenn die Jungs mich auf dieser Reise besser kennenlernten? Auch wenn ich mir gewünscht hatte, einmal an Yuis Stelle zu sein, ich war nicht sie und ich würde nie wie sie sein.

„Wir haben auch Angst...“

Verwundert sah ich zu Hades auf, als er so plötzlich auf meine Worte zu reagieren schien. Er durchschnitt damit die Stille, die entstanden war und die er wohl gehalten hatte, abwartend, ob ich noch etwas sagen würde, oder nicht.

„Wir haben uns alle lange nicht mehr gesehen. Wir haben kaum gehört was die anderen gerade machten oder taten und natürlich, wir waren in der Schule damals Freunde, aber sowie Menschen sich verändern, können das auch Götter. Zwar halten wir an diesen Erinnerungen fest, aber wir wissen nicht, ob Takeru noch der ist, den wir damals kennenlernten. Zumal dieser Sturm... Wenn das sein Werk ist...“ Hades hielt inne und sah auf das Meer hinaus. Verständlich. Sie hatten auch das Leid der Menschen gesehen und das sprach nicht dafür, was sie an der Schule von Zeus gelernt hatten. Im Gegenteil, es schien den Eindruck zu machen, dass Takeru alles vergessen hatte.

„Und wenn schon... wenn es sein Werk wäre... dann müssen wir nur herausfinden warum. Er ist euer Freund, also solltet ihr die Letzten sein, die an ihm zweifeln. Selbst wenn das was ihr von ihm kennt nur ein vergangenes Bild ist... Und deswegen...“

Ernst sah ich Hades an. Wenn die Götter Angst hatten, musste ich meine eben runter schlucken. Ich musste weiter mein bestes geben.

„Ich werde alles geben, dass ihr Susanno-o wiederseht. Versprochen!“

Ich gab mir alle Mühe, soviel Selbstbewusstsein wie möglich in meine Worte zu legen. Ich durfte nicht zweifeln, nicht wenn es darum ging, dass die Götter einen Freund wiedersehen konnten.

„Und was willst du, Erenya?“

Hades Frage traf mich wie ein Schlag. Schon wieder. Ich hasste diese Frage. Ich hasste sie, hasste sie, hasste sie.

„Es geht doch gerade nicht um mich, sondern um euch und Susanno-o. Vergiss diese blöde Frage.“ Ja, sie sollten alle diese Frage vergessen. Was ich wollte, war gerade nicht so wichtig. Ich musste mein bestes geben. Dafür, dass nicht mehr so viele Menschen litten und dafür, dass die Götter ihren Freund wiedersahen und... das Thoth dieses Rätsel löste und nicht daran verzweifelte. Mit etwas Glück, konnten wir das alles auf einmal erledigen, auch wenn die Götter es wohl sein würden, die die meiste Arbeit dafür erledigten.

„Du musst diese ganze Verantwortung nicht alleine auf deinen Schultern tragen... Es tut mir leid, dass du dieses Gefühl zu haben scheinst.“

Verwundert sah ich Hades an. Was meinte er damit? Wofür entschuldigte er sich denn nun? Er hatte doch nichts getan. Mir war nichts passiert, auch wenn er mir gerade nahe war. Oder hatte mich bereits eine Welle im Sand eingebuddelt?

Hoffend, dass dies nicht der Fall war, sah ich an mir hinab. Nein, ich war definitiv Sand frei.

„Onkel Hades, Nya-chan! Schaut mal, schaut mal!“

Synchron wandten Hades und ich unseren Blick zu Apollon, der etwas freudestrahlend in seinen Händen hielt. Atemlos blieb er vor uns stehen und hielt uns eine kleine Muschel entgegen.

„Rei-Rei hat die gefunden. Er sagte, Take-Take habe sie an Land gespült, damit sich jemand an ihr erfreuen kann.“

Fragend hoben sich meine Augenbrauen, wobei es mehr Zweifelnd als wirklich fragend war. Sicher, in ausgehöhlten, runden Muscheln konnte schon mal etwas wohnen, aber diese erschien mir doch etwas zu klein.

Dennoch, irgendwie hatte mich die Neugier gepackt. Vielleicht konnte man ja etwas sehen. Vorsichtig tippte ich die Muschel an, doch nichts passiert.

„Der einzige der sich damit wohl erfreu- AUA!“

Entsetzt zog ich meine Hand zurück und sah auf die Muschel, aus der ein kleiner, dünner Arm mit Schere guckte. Ein kleiner Krebs... Ein winzig kleiner Krebs.

„Alles okay, Nya-chan?“

„Mein Unglück ist schuld daran...“

Im Angesicht der Tatsache, dass dieser winzige Krebs eigentlich nicht stark genug sein konnte, um wirkliche Schmerzen zu verursachen, empfand ich meine Reaktion doch schon als albern. Denn es hatte ehrlich gesagt nicht einmal wirklich wehgetan. Vielmehr war es der Schock, gezwickt zu werden, gewesen, der Phantomschmerzen ausgelöst hatte.

„Ja ja... alles okay... Und hör auf zu behaupten es sei deine Schuld gewesen, Hades. Ich war einfach unvorsichtig. Da, gucke.“

Um beiden zu beweisen, dass wirklich nichts passiert war, hielt ich ihnen meinen Finger entgegen und lächelte. Da war wirklich nichts, außer einer kleinen roten Stelle.
 

Der Spaziergang am Strand hatte mir wahrscheinlich doch besser getan als gedacht. Die anfängliche miese Stimmung meinerseits war wieder umgeschwenkt, so dass selbst ich mehr Begeisterung für Reijis Geschichten zeigte. Es war sogar lustig zu sehen, wie er seine Geschichten aus bekannten Mythen und Legenden erzählte.

„Also~ Was wollt ihr noch hören?“, fragte Reiji schließlich, als wir auf dem Weg zurück zu ihrem Haus waren. Scheinbar hatten wir sein Repertoire immer noch nicht vollständig ausgeschöpft.

„Hon, also ehrlich, du redest wie ein Wasserfall heute...“, stellte Shizuku lachend fest. Sie lief eingehakt neben ihren Mann her, der sich ihrem Tempo mit aller größter Vorsicht angepasst hatte.

„Mich würde viel eher interessieren, was das für eine Bildungsreise ist, von der Erenya-chan uns erzählt hatte.“

Das hatte ich vollkommen verdrängt. Irgendwann, als wir im Tempel, auf dem Rückweg zu den Jungs, gewesen waren, hatte ich erwähnt, dass wir eine Bildungsreise unternahmen. Was ich dabei nie erwähnt hatte war, worum es in dieser Bildungsreise ging. Verdammt. Mir musste schnell etwas einfallen.

„Naja eigentlich ist es eher eine Schnitzeljagd. In Verbindung mit einer Bildungsreise über verschiedene Kulturen. Aber nicht nur darüber.“

Panik war in mir aufgestiegen, weil ich den Jungs nichts von meiner Ausrede erzählt hatte und doch deckte Hades sie sogar mit seinen Worten. Wobei er da noch eine Kleinigkeit hinzufügte, die ich niemals erwähnt hätte.

„Genau. Wir sind einem Rätsel auf der Spur, einem großen mysteriösen Rätsel. Jemand hat Nya-chan ein Reiseticket nach Ägypten geschenkt, irgendjemand. Wir wollen nun herausfinden, wer das war, wer das war.“

Ein unschuldiges Lächeln zierte Apollons Lippen. Er log nicht einmal. Es war die Wahrheit, nur hatte er sie anders verpackt.

„Und als Thoth-sensei nach Griechenland kam, fand dieses Rätsel auch unser Interesse. Außerdem, können wir unterwegs viel von Erenyas Kultur lernen und sie von unserer und wir können viel voneinander lernen.“

Gerührt sah ich zu Dionysos. Auch er machte bei dieser Halbwahrheit mit. Ich hätte mir wahrscheinlich etwas anderes einfallen lassen, eine Lüge, die Shizuku sicher durchschaut hätte. So hingegen... wer sollte das schon durchschauen?

„Aber warum fährt Erenya-chan so ganz alleine nach Ägypten? Da hätte wer weiß was passieren können“, fragte Shizuku schließlich, mit aufrichtiger Sorge in der Stimme.

„Weil ich manchmal etwas zu naiv und neugierig bin... Ich hab eigentlich keinen Augenblick darüber nachgedacht. Erst als ich auf Thoth und Anubis traf, wurde mir bewusst, wie dumm ich gewesen bin. Aber da es nur ein Hinfahrt Ticket gab, gab es kein zurück mehr. Für die Zukunft werde ich mir das aber merken.“

Da ich nicht erwarten konnte, das Thoth unsere Aussagen unterstützte, war es nun an mir, zu antworten. Wobei es war wohl richtig, dass ich antwortete, alles andere wäre unglaubwürdig gewesen.“

„Und dann hat dich Thoth einfach so nach Griechenland mitgenommen? Warum hat er dich nicht nach Deutschland zurückgebracht?“

Ups. Das war wohl der einzig unlogische Part an unserer Geschichte. Der einzige der jetzt nur antworten konnte, war Thoth, doch der schwieg. Erwartete er, dass ich antwortete? Oder jemand anderes?

„Shizuku... Es ist doch egal, was für Gründe Thoth hatte. Du weißt doch, wenn ein Mann einen Entschluss gefasst hat, widerspricht er jeglicher Logik.“

Was auch immer Reiji damit andeuten oder sagen wollte, ich hatte das Gefühl, dass sich hier noch ein Fan von mir und Thoth als Pärchen gefunden hatte. Wobei das gerade alles andere als so aussah. Unsere Beziehung im Moment war wahrscheinlich sogar noch unterkühlter als die zwischen der Titanic und dem Eisberg.

„Sag, Erenya-chan, wie fühlt es sich, umgeben von so vielen netten Jungs?“, fragte Shizuku schließlich. Sie wollte eindeutig das Thema wechseln und doch irgendwie bei ihm bleiben.

„Wie es sich fühlt? Uhm... Sollte es sich seltsam anfühlen? Oder angenehm?“

Wie sollte ich das empfinden? Ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich war dankbar, dass sie da waren. Gleichzeitig machte ich durch sie auch eine Gefühlswelle nach der anderen mit.

„Es ist... Keine Ahnung. Irgendwie als wäre ich unter Freunden. Also nicht nur männliche, sondern auch weibliche. Wobei, bei Dio muss man aufpassen. Er ist ein richtiger Aufreißer.“

Letzteres war zwar nicht böse gemeint, aber dennoch die Wahrheit, was auch Shizuku erkannt hatte, weswegen sie lachte. Es wunderte mich allerdings, als sie sich von Reiji löste und bei mir einhakte. Sofort und ohne zu zögern, passte ich mein Schritttempo an, oder versuchte es, denn sich auf eine andere Person einzulassen war nicht so leicht. Doch Shizuku schien mir, wie schon beim Tempel, zu vertrauen.

„Wie wäre es, wenn du mir Zuhause beim Kochen hilfst? Dann können wir die Jungs, Jungs sein lassen und mal von Frau zu Frau sprechen.“

Von Frau zu Frau? Sicher, das war vielleicht nicht schlecht. Frauen waren empathisch anders gepolt als Männer. Und Kochen tat ich für mein Leben gern. Noch dazu konnte ich so vielleicht den ein oder anderen japanischen Trick beim kochen lernen und die nächsten Kochabende mit Franzi verbessern.
 

In der Küche Shizukus sah es wirklich aufgeräumt aus. Noch dazu war sie geräumig genug für zwei. Wahrscheinlich kochte sie mit Reiji auch oft genug darin.

„Also, Erenya-chan, was können wir für deine Reisegruppe kochen?“

Die Frage Shizukus war nicht überraschend und doch kam sie so unerwartet, dass ich nicht wusste was ich antworten sollte. Sicher glaubte sie, dass ich die Jungs schon ein paar Tage kannte, denn von Deutschland nach Japan über Ägypten und Griechenland war sicher keine Reise die man innerhalb von zwei Tagen einfach so machte.

Noch dazu, wusste ich abgesehen von Anubis Neigung zum scharfen Essen nicht wirklich, was die anderen mochten.

„Hades mag Erdbeerdaifuku... uhm... Anubis mag es scharf“, fing ich an und dachte angestrengt nach. Hatte ich in der Serie irgendwelche Vorlieben von Apollon, Dionysos und Thoth gesehen? Nun, abgesehen von Dionysos den man wahrscheinlich mit seinen Weinflaschen füttern könnte und womit er dann glücklich war.

„Dann machen wir Erdbeerdaifuku als kleinen Nachtisch. Was hältst du von Curry?“

Curry? Mein Herz schlug vor Freude. Endlich konnte ich mal wieder ein original japanisches Curry essen. Das letzte was ich hatte, war aus einem Supermarkt gewesen. Angeblich mild und es hatte mir die Zunge weggeätzt. Auch wenn Curry nicht original japanisch war, so wollte ich es doch so gerne immer schon machen wie die Japaner und nun hatte ich die Chance von einer Japanerin zu lernen und mein eigenes Eri-Curry auf eine neue Stufe digitieren zu lassen.

„Curry klingt wirklich großartig. Auch wenn ich dann wohl ein Glas Milch brauchen werde. Was soll ich tun, Frau Kommandantin?“ Euphorisch und hoch motiviert, salutierte ich vor Shizuku, die leise kicherte. Mit einer Hand verwies sie auf einen Schrank am Boden.

„Schäl bitte die Kartoffeln.“

Da Shizuku auf den unteren Schrank verwiesen hatte, ging ich davon aus, dort die Kartoffeln zu finden und in der Tat, als ich den Schrank öffnete, waren sie auch wirklich da.

„Wie viele brauchen wir?“

Da Shizuku die Herrin dieser Küche war und sie sicher wusste, was zu tun war, wollte ich mich ganz auf sie verlassen. Ich bevorzugte meist vier bis fünf Kartoffeln, allerdings war die Anzahl der Mitessenden größer als für gewöhnlich bei mir. Mindestens zehn Kartoffeln würden es da wohl werden.

„Mh... Gute Frage, ich überlasse das deinem Bauchgefühl.“

Mit einem Lächeln sah Shizuku zu mir hinab und legte mir gut sichtbar einen Kartoffelschäler hin. Es war schon seltsam, dass sie das mir überlassen wollte, dabei wollte ich doch von ihr lernen. Sollte ich wirklich zehn Kartoffeln nehmen? Reichten die? Waren die zu wenig? Sollte ich kleine Kartoffeln nehmen? Oder doch lieber große und dann weniger?

„Mach dir keine zu großen Gedanken. Ist es zuviel, kann man den Fehler wieder korrigieren. Beim kochen, wie auch im realen Leben. Manchmal gibt es sogar kein Richtig oder Falsch. Egal was passiert, mach dir keine Sorgen, sie mögen dich. Und sie werden sicher auch das Curry mögen. Wenn nicht, werden sie es dir aber auch ehrlich sagen und dann machst du es beim nächsten Mal einfach besser.“

War das nun eine Lektion zum kochen, oder eine Lektion zu den Jungs? So ganz sicher war ich mir nicht, aber ich entschied mich für zehn mittlere Kartoffeln.

„Ob sie mich mögen ist wirklich fraglich. Apollon mag jeden. Er ist eine echte Frohnatur, manchmal etwas naiv aber doch herzensgut. Und irgendwie nervt es mich, dass er so fürsorglich ist und dabei vergisst, dass er sich damit schaden könnte. Dio hingegen... Dio ist tiefgründiger als man denkt. Nach außen hin ist er der flirty Weintrinker. Doch er macht sich schon genug Gedanken um andere, so dass er sich selbst in Sachen reinhängt, die er nicht nötig hätte, oder die ihn nichts angehen. Und Hades denkt immer dass alles schlechte der Welt sein Verschulden ist. Deswegen ist er so distanziert manchmal. Dabei wäre er anderen schon sehr gerne nahe. Besonders seinen Freunden. Momentan merkt man das nicht, weil er ziemlich offen geworden ist, aber dennoch trägt er dieses Laster mit sich herum. Das merkt man daran, dass er kaum Körperkontakt zulässt. Keine Umarmung, kein Händeschütteln. Als er mich getragen hat, war er total steif und verkrampft, so als könnte jeden Augenblick der Boden unter seinen Füßen aufreißen und ihn verschlucken.

Dann ist da noch Anubis. Ich finde ihn eigentlich total niedlich und süß und liebenswert. Allerdings mag er Fremde nicht sonderlich und ich bin eine Fremde. Irgendwie ist es ja süß, wie er sich sorgen macht und das auch zeigt, aber ich weiß nicht, ob er irgendwann an dem Punkt ankommen wird, mir zu vertrauen. Dabei würde ich gerne mal richtig mit ihm reden. So fühle ich mich immer, als wollte ich ihn veralbern, weil ich ihn volllaber und er mich nicht versteht. Der einzige der ihn versteht ist...“ Ich stockte in meinen Ausführungen und besah mir die Kartoffel, die ich während meines Redens zu schälen angefangen hatte.

„Der einzige der ihn versteht ist Thoth. Bei ihm bin ich mir so gar nicht sicher, ob er mich mag oder ob ich ihn mögen will. Er ist immer so kühl und allwissend. Und wenn er mal was nicht weiß, geht er an die Decke. Irgendwie seltsam. Ich kenne das von mir. Ich bin auch immer total frustriert, wenn ich etwas nicht weiß und auch nicht so schnell auf die Lösung komme, oder nirgends etwas darüber finde, was ich nicht weiß. Auch wenn Thoth und ich so verschieden sind, sind wir uns irgendwie ähnlich. Und momentan ist er derjenige, dem ich unbedingt helfen und nahe sein will. Gerade er, der mich so von sich stößt und so auf Distanz geht. Ich werde einfach nicht schlau aus ihm. Dabei meinte Hades mal, ich soll ihm vertrauen.“

Eine Kartoffel nach der anderen landete, in Würfel geschnitten und geschält, in einer Schüssel Wasser. Shizuku hatte aufmerksam zugehört, während sie die Karotten abgewaschen und zu mir gelegt hatte.

„Vielleicht nimmst du es nur so wahr, dass er auf Distanz geht. Er weiß vielleicht selbst nicht, wie er mit dieser ganzen Situation umgehen. Würde er dich von sich stoßen, wäre er doch nicht mehr in deiner Nähe. Aber er ist es noch, selbst nach eurem Streit.“

Shizuku hatte Recht. Thoth war wirklich noch bei mir, auch wenn ich mich fragte, wieso eigentlich. Nicht einmal ich wäre danach bei mir geblieben. Allerdings, da war immer noch dieses Rätsel.

„Und wenn er nur wegen des Rätsels bei mir bleibt? Dann ist er mir auch nicht sonderlich nahe, wenn ich nur Mittel zum Zweck für die Befriedigung seines Wissensdurst bin. Ich meine, wenn er sich nur deswegen mit mir herumquält...“

„Hat er gesagt, dass du eine Qual bist?“

Ich schwieg auf Shizukus Frage. Natürlich hatte Thoth das nicht gesagt. Allerdings war er auch niemand, der einfach so seine Gedanken ausplauderte. Oder doch?

Unsicher warf ich die letzten Würfel der letzten Kartoffel in die Schüssel Wasser. Ich wusste einfach zu wenig. Warum er mich so mied, was Zeus zu ihm gesagt hatte und noch viel mehr.

„Der Typ macht mich einfach wahnsinnig...“, murrte ich schließlich und machte mich an die Kartoffeln.

„Das ist eben die Aufgabe eines jeden Mannes“, scherzte Shizuku und briet das Fleisch, dem Geruch zufolge Schwein, in der Pfanne an.
 

Der Duft des Currys erfüllte nicht nur die Küche, auch das Wohnzimmer, und verbreitete eine heimische Atmosphäre. Dennoch war mein Blick starr auf Anubis leeren Platz gewandt. Der junge Ägypter hatte sich geweigert, wieder reinzukommen, wahrscheinlich weil es ihm doch zuviele Fremde waren.

„Oh, Shizuku~, du hast dich heute wieder selbst übertroffen“, schwärmte Reiji nach dem ersten Bissen und gab seiner Frau einen sanften Kuss auf die Wange.

„Das Lob solltest du an Erenya-chan geben. Sie hatte die Idee das Fleisch mit etwas Rotwein abzulöschen.“

Ich spürte wie meine Wangen heißer wurden, als Shizuku ausplauderte, dass wir Fleisch und Zwiebeln mit einem kleinen Schluck Rotwein abgelöscht hatten. Vollkommen untypisch für das japanische Currygericht, aber ich hatte es unbedingt probieren wollen, schon alleine weil Dionysos mit aß. Natürlich verfehlte diese Information nicht ihre Wirkung und mit einem strahlenden Lächeln, fixierte mich Dionysos.

„Das macht man eben so. Dadurch löst sich der Fond und das Fleisch bekommt zusätzlich noch etwas mehr Geschmack. Man sollte ihn also nicht raus schmecken.“ Verlegen versuchte ich das ganze zu überspielen und genehmigte mir selbst einen Bissen des Currys. Abgesehen von der Schärfe, die für mich wirklich mehr als zuviel war, schmeckte es wirklich ausgezeichnet.

„Die Würzung hat außerdem Shizuku übernommen.“

Definitiv hatte die Shizuku übernommen. Meines wäre wohl wesentlich zu mild gewesen. Da ich aber auch wollte, dass es Anubis schmeckte und er scharf bevorzugte, war ich als Würzverantwortliche aus dem Rennen gewesen.

„Nya-chan, warum weinst du?“

Zu scharf, definitiv zu scharf. Davon mal abgesehen das ich wirklich nichts scharfes vertrug. Mir kamen dann sofort die Tränen und später die Bauchschmerzen. Ich fürchtete mich jetzt schon vor den Bauchschmerzen.

„Ich weine nicht...“, wisperte ich leise und griff zu dem Glas Milch, welches ich mir voraussichtlicherweise schon auf den Platz gestellt hatte und trank einen großen Schluck daraus.

„Stimmt ja, einige sind scharfes Essen nicht gewohnt. Du scheinbar auch nicht, Erenya-chan“, merkte Reiji mit einem Lächeln an. Es war nicht belustigt oder negativ, sondern eher besorgt.

„Es geht schon... ausnahmsweise... Für mich muss es keine Extrawurst geben und die anderen scheinen es ja zu mögen.“

Ein Blick zu den Griechen zeigte mir, dass sie wirklich nichts zu beanstanden hatten. Vielleicht lag es daran, dass auch sie diverse Scharfe Speisen hatten. Also doch alles nur eine Gewöhnungssache. Aber daran wollte ich mich wirklich nicht gewöhnen. Dennoch aß ich tapfer weiter meine Portion, versuchte aber soviel Reis wie möglich unter die Bissen zu mischen, hoffend, dass dadurch die Schärfe schwand.
 

Etwas unsicher stand ich nahe der Hollywoodschaukel mit dem Essen für Anubis in der Hand. Er war der einzige, der noch nichts von dem Curry probiert hatte und irgendwie war ich mir auch unsicher, ob es ihm scharf genug war. Seine rote Bohnenpaste war damals immerhin das Gebräu aus der Hölle gewesen, das mir beinahe das Lebenslicht ausgeknipst hätte.

Da ich es aber nicht anders gewohnt war, als das man mein Essen an Schärfe nachwürzte, hatte ich Shizuku um Chiliflocken gebeten, die sie auch tatsächlich im Haus hatte. Bewaffnet mit den Chiliflocken in meiner Jackentasche und dem Tablett auf der Hand, holte ich tief Luft und näherte mich Anubis, dessen Ohrsträhnen plötzlich zuckten.

„Hey, Anubis...“, begann ich und ging etwas um die Schaukel herum, so dass ich das Tablett vorsichtig neben ihm abstellen konnte. Das Essen selbst stand unter einer Wärmeglocke, für den Fall, dass Anubis länger brauchte, um Vertrauen zum Essen zu fassen.

„Es gibt Curry. Ich weiß leider nicht, wie scharf dein Essen sein sollte, deswegen habe ich dir das hier mitgebracht.“

Lächelnd stellte ich die kleine Dose Chiliflocken auf die flache Wärmeglocke und entfernte mich etwas von der Schaukel und dem Ägypter.

„Wenn es dir zu unscharf ist, kannst du damit nachwürzen. Ich bringe dir später auch noch ein paar Erdbeerdaifuku vorbei. Hades meint sie seien wirklich gut. Sie sind zwar nicht scharf, aber lecker. Vielleicht magst du sie ja.“

Ich beobachtete Anubis und sah, wie seine Ohrsträhnen erneut zuckten. Sicher waren das seine Ohren. Ganz bestimmt waren sie das, sonst konnten sie doch nicht so zucken.

„Ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist. Ich hoffe... ich kann dich irgendwann besser kennenlernen, Anubis. Du bist der einzige... bei dem diese Worte irgendwie genauso gemeint sind, wie ich sie sage. Aber... ich werde dich nicht dazu drängen, ja? Mir reicht es schon, dass du noch bei der Gruppe bist. Dann kann ich mir noch etwas einreden, dass du mir nahe sein möchtest.“

Gott, was laberte ich da nur? War ich schon immer so sentimental? Wobei, auf Anubis traf es wirklich zu. Er war der einzige, den ich wirklich kennenlernen musste. Die Serie hatte nicht viel von ihm hergegeben und die Informationen aus dem Spiel waren recht dürftig gewesen. Er war mir ein unbekannter Vertrauter.

Alles im Leben braucht seine Zeit. Unerbitterlich kamen mir diese Worte Zeus' wieder in Erinnerung. Ja. Wahrscheinlich würde es auch noch einiges an Zeit brauchen, bis Anubis und ich uns verstanden.

„Bara...“, nuschelte der junge Ägypter und nahm das Töpfchen mit den Chiliflocken, an dem er neugierig schnupperte.

„Ka~“

Er schien zu verstehen was darin war, denn er entließ einen begeisterten Laut. Nur wenige Sekunden später hob er die Haube von dem Tablett und stippte mit einem Finger in das Curry und leckte diesen nachdenklich ab. Immerhin, er würde es essen.

„Lass es dir schmecken, Anubis.“

Lächelnd wandte ich mich von ihm ab und ging wieder in Richtung des Hauses. Doch inmitten meiner Bewegung gefror ich förmlich, als das Licht von der Tür seine Silhouette umspielte. Sein Blick ruhte ernst auf mir und mein Herz schien mir in die Hose rutschen zu wollen. Seit unserem Streit war es das erste Mal, dass wir einander gegenüber standen, ohne Publikum.
 

Wie gerne hätte ich in diesem Moment mein Herz und mein Gewissen zum Schweigen gebracht. Sie fochten einen unerschütterlichen Kampf miteinander und ließen meinem Kopf außer acht, auch wenn der sich wie Hades versuchte einzubringen und vollkommen ignoriert wurde.

„Ähm...“ Ein dämlicher Anfang. Der dümmste den ich wohl kannte. Was war so schwer daran zu sagen „Es tut mir leid?“

Nichts. Wobei, es war Thoth, bei dem ich mich entschuldigen musste.

„Ich... Also... ich habe Anubis etwas zu Essen gebracht...“ Wo war eine Wand wenn man sie brauchte um sich den Kopf dagegen zu schlagen? Noch schlimmer war wohl nur, dass Thoth weiterhin schwieg und mich förmlich mit seinem Blick erdolchte. Wer konnte es ihn verübeln?

„Ich muss es einfach sagen...“, nuschelte ich leise und versuchte mit Mut zuzusprechen. Ignorierend, das Thoth mich hörte. Augen zu und durch.

„Ich habe viele unfaire Dinge zu dir gesagt. Vieles das nicht richtig war und... Es tut mir leid, Thoth. Ich wollte dich nicht kränken oder verletzten und... eigentlich gibt es wahrscheinlich keine Möglichkeit das wieder gutzumachen, aber... es tut mir wirklich leid.“

Ich hatte es gesagt. Und das ohne geschlossene Augen. Ich hatte ihm ins Gesicht gesehen, damit er merkte, wie ernst es mir war. Doch... er schwieg.

Verunsichert, löste ich meinen Blick von seinen Augen, von denen mir zum ersten Mal wirklich bewusst war, dass sie lilafarben waren. Eine Augenfarbe die ich wirklich sehr mochte.

„Ich kann verstehen, wenn du mir nicht glaubst... Aber... ich hab es ernst gemeint, als ich sagte, dass ich dir helfen will, dieses Rätsel zu lösen. Es tut mir leid, dass ich ebenfalls nichts von Zeus erfahren habe, was dir helfen könnte. Aber, ich werde mein bestes geben um dennoch Stück für Stück mit dir dieses Rätsel zu lösen. Und wenn du mir nicht mehr helfen willst dann... Dann sag es mir einfach, ja? Ich werde mich dennoch anstrengen, damit du dieses Wissen bekommst. Nur bitte... sag mir doch was los ist. Warum bist du, seit wir vom Olymp weg sind, so anders? Was ist zwischen dir und Zeus passiert, dass du so bist?“

Ich ertrug es wirklich nicht mehr. Es war, wie ich es zu Shizuku gesagt hatte. Der Gott, von dem ich gerade wollte, dass er mir am nächsten war, entfernte sich scheinbar immer weiter von mir. Der Gott, dem ich helfen wollte.

Erneut strafte mich Thoth mit Schweigen. War das meine Quittung dafür, dass ich ihn soviel Unrecht getan hatte?

„Bitte, Thoth...“, wisperte ich leise flehend. Ich wollte es doch nur verstehen. Ich wollte ja nicht einmal, dass er mir alles erzählte, sondern einfach nur Klarheit.

„Was würde es ändern, wenn ich dir das sage?“

Als er das erste Wort gesagt hatte, hatte ich wirklich gehofft, er würde mir antworten, doch alles was er mir als Antwort schenkte, war eine Gegenfrage.

„Was es ändern würde? Ich könnte dich vielleicht verstehen...“ Ich wusste aber, dass er Recht hatte. Ja, ich würde ihn verstehen, aber was würde das ändern? Ich würde ihn nur verstehen, aber Thoth, würde immer noch so sein.

„Es reicht wenn du verstehst, dass das nicht dein Problem ist.“

Fast wie in Zeitlupe, lief Thoth an mir vorbei. Mir kamen gerade so viele kitschige Serien in den Sinn, in denen die Protagonistin sich nun umwenden und nach dem Arm des Helden greifen würde. Verzweifelt und doch rettend. Mir war schwindelig von diesen wenigen Worten, die mir das Gefühl gaben, dass Thoth nur eine noch viel größere Mauer zwischen uns errichtete.

„Warte!“

Ich wandte mich um und griff nach seinem Arm, doch alles was ich zu fassen bekam, war Luft und der Anblick von Thoth, der sich, ohne sich noch einmal umzudrehen, zu Anubis gesellte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Also ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht, was Shizana immer damit hat, dass ich es schaffe soviel Humor in diese FF zu bringen. Das meiste ergibt sich doch auch schon. Und hey, wenn der Schluss mal nicht überdramatisch ist, dann weiß ich auch nicht.
Beim Schreiben hatte mich besonders das Ende so mitgenommen. Ich war am überlegen, sagt Thoth was zu Entschuldigung oder sagt er nichts. Irgendwie entschieden meine Finger und mein Kopf, dass schweigt und mich damit quält. Aber das tut der gute ja schon die ganze Zeit.
Ich bin echt gespannt was nun passiert, denn eigentlich ist mein FF-Ich nun in der Position wo sie eigentlich nur noch weglaufen will. Wo sie wirklich alleine sich irgendwo verkriechen will, damit niemand sieht, dass sie weint. *nick* Mal sehen ob FF-ich die Chance dazu bekommt. Komplett anzeigen

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