Life as a Pokemon von Ryouxi ================================================================================ Prolog: -------- Es war ein lauwarmer Herbstabend, wohl einer der letzten Tage dieser Art. Bald schon würde es Winter in Flori, einer kleinen Stadt der Region Sinnoh, werden. Bereits jetzt war fast nichts mehr von den schönen Blumen zu sehen, die die Stadt sonst großzügig schmückten. Viviana mochte ihre Heimat eigentlich gerade deswegen, doch was sollte sie schon groß tun? Die Jahreszeiten konnte sie schließlich nicht beeinflussen. Das Mädchen saß gerade mit ihrer Mutter auf einer Holzbank im Garten und schaute dem Sonnenuntergang zu. „Wollte Shinya nicht gleich vorbeikommen?“ Vivianas Mutter war eine fröhliche Person, so dass sie sich immer wieder über Besuche des Jungen freute – und das, obwohl er so gut wie jeden Tag vorbeikam. Shinya war Vivianas Sandkastenfreund und zudem nahezu besessen von Pokémon. Er betonte immer wieder, dass er Pokémontrainer werden wollte, auch wenn sein Vater ihn noch zu jung dafür fand, er war ein ziemlich strenger Mann. Viviana dagegen mochte lieber süße Pokémon und konnte es gar nicht leiden, wenn diese Geschöpfe gegeneinander kämpfen mussten. „Ähm ja, er hat sich wohl ein wenig verspätet.“ Viviana wirkte oft schüchtern, was vor allem an ihren weichen, braunen Augen lag – der Schein konnte allerdings trügen. „Du kennst doch Shinya.“ Der Junge ließ sich gerne von allem Möglichen ablenken. Und auch wenn er nicht weit weg wohnte, so konnte ihm auf dem Weg hierher alles mögliche begegnen, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ja schon, aber er weiß doch ganz genau, dass ich keine Ahnung von einem Lagerfeuer habe.“ Verlegen lachte die Frau laut auf. Sie war nicht nur ein fröhlicher Mensch, sondern mochte es auch draußen zu sein. Und so wollte sie die letzten schöne Tage dieses Jahres genießen, um nochmal zu grillen. Da sie selbst aber immer wieder betonte, das nicht zu können, und ihr Mann wie so oft unterwegs war, hatte sie dazu Shinya eingeladen. Viviana hatte nichts dagegen, immerhin war der Junge ihr bester Freund. Trotzdem vermisste das Mädchen manchmal seinen Vater. Dieser ging den Großteil des Jahres seiner Arbeit als Pokémonforscher nach und kam nur manchmal nach Hause. „Mutter, wenn du willst, kann ich auch das Feuer machen.“ Zwar hatte Viviana das noch nie gemacht, aber sie hatte oft genug zugeschaut und auch manchmal geholfen – was meist aber nur darin bestand, einen neuen Holzscheit aufzulegen. „Ach was mein Liebling, Shinya wird schon gleich auftauchen.“ Ihre Mutter war immer so besorgt, dabei war Viviana doch mittlerweile alt genug um auf sich selbst aufzupassen, oder? Nun, sie war vielleicht erst fünfzehn, trotzdem mochte sie es nicht, wenn ihre Mutter so mit ihr umging. Immerhin war Shinya noch ein Jahr jünger als sie und er sollte das Feuer machen. Viviana verbarg ihren Ärger perfekt und spielte, anstatt ihrer Mutter zu antworten, an einem ihrer geflochtenen Zöpfe. Die Frau betonte immer wieder, wie sehr sie Vivianas braunen Haare mochte, und wie sehr diese zu ihren Augen passten – dabei hatte sie doch genau die selbe Augen- und Haarfarbe wie ihre Tochter. Viviana hatte bereits damit gerechnet, dass sie die halbe Nacht hier sitzen müssten und hatte sich daher eine Decke geholt, da ihr, trotz des milden Wetters, kalt geworden war. Doch kaum hatte es sich das Mädchen in der kuscheligen Decke bequem gemacht, hörte es plötzlich eine freudige Stimme. „Hey ihr beiden. Entschuldigt die Verspätung.“ Wie aus dem Nichts stand plötzlich der rothaarige Junge vor den beiden Frauen. Wie so oft grinsend. „Mein Vater hat mich aufgehalten.“ Verlegen kratze er sich am Hinterkopf. Viviana richtete den Blick auf ihre Hände, die sie auf ihrem Schoß zusammengelegt hatte. Obwohl Shinya ein Jahr jünger als sie war, sah er bereits älter aus. „Dein Vater? Was wollte der denn von dir?“ Man hörte deutlich, dass Vivianas Mutter nicht viel von Shinyas Vater hielt. Sie fand, dass er viel zu streng mit seinem Sohn umging, und ihn in seiner Freiheit einschränkte. Hätte Viviana es gewollt, hätte sie vermutlich bereits mit zwölf Jahren von zu Hause weggehen können, um Pokémontrainer zu werden. „Ob du es glaubst oder nicht, er hatte ein Geschenk für mich.“ Grinsend schaute er die Frau an. Er wusste von deren Abneigung, verstand sich aber trotzdem bestens mit ihr. „Aha, und was?“ Nun blickte auch Viviana auf. Was ihre Neugierde anging, so hatte sie diese von ihrer Mutter geerbt. Dass Shinya einfach so etwas von seinem Vater geschenkt bekam, war schon eine Seltenheit. Doch es musste wohl etwas Tolles sein, sonst hätte er nun nicht so sehr gegrinst. Auch seine rotbraunen Augen glänzten, als er antwortete. „Das hier!“ Und schon warf er einen kleinen roten Ball. Viviana erkannte diesen erst als einen solchen, als bereits ein ungewöhnliches Geräusch zu hören war – es klang fast wie ein Schnarchen. Augenblicklich begann die Frau in schallendes Gelächter auszubrechen. Viviana schaute dagegen einfach nur auf das Pokémon, das irgendwie einem Teppich ähnelte. „Was... Was ist das?“ Nur langsam begann sich Vivianas Mutter wieder zu beruhigen. „Was willst du denn mit dem Bettvorleger?“ Immer noch lachte die Frau leise. „Was heißt hier denn Bettvorleger?“ Gespielt beleidigt schaute Shinya die Frau an. „Bummelz ist ein Pokémon, und zwar meines.“ Stolz schaute er auf das schlafende Pokémon herunter. Viviana fragte sich, wie sich Shinya nur so sehr über das Pokémon freuen konnte. Okay, er hatte sich schon immer gewünscht, ein eigenes Pokémon zu haben, aber selbst das Mädchen erkannte, dass dieses Pokémon kaum nützlich war. Doch wenn der Junge so glücklich damit war, dann freute sich auch Viviana für ihn. „Ich weiß nicht warum, aber mein Vater hat es mir vorhin einfach geschenkt. Er meinte, er hätte eingesehen, dass es mein Traum ist, Pokémontrainer zu werden, und dass er daran wohl nichts mehr ändern kann – womit er auch vollkommen recht hat. Auf jeden Fall hat er mir dann noch Bummelz gegeben und gemeint ich soll später bloß nicht wieder ankommen, wenn ich meinen Traum nicht erfüllen konnte. Glaubt er wirklich, ich würde einfach so aufgeben?“ Was das Reden anging, war er das Gegenstück zu Viviana. Sie saß einfach nur da und hörte aufmerksam zu, ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter. „Denkst du nicht, es hat eine Grund, dass dir dein Vater gerade ein Bummelz gegeben hat?“ Viviana musste auch gar nichts sagen, alles was im Moment in ihren Gedanken herumschwirrte, sprach ihre Mutter gerade aus. „Ja ich weiß. Aber auch wenn Bummelz nicht gerade das stärkste Pokémon ist, so ist es doch nicht völlig nutzlos.“ Auch wenn es süß war, zweifelte Viviana irgendwie an Shinyas Worten. „Oder was meinst du dazu, Viviana?“ Zum ersten Mal wurde das Mädchen nun direkt von Shinya angesprochen. „Ich denke schon, dass du dein Ziel erreichen wirst. Zudem ist es unglaublich süß, ähm... Darf ich es mal streicheln?“ Shinya lachte. Er kannte die Vorliebe Vivianas für süße Dinge nur zu gut. „Natürlich darfst du.“ „Weglaufen wird es dir wohl kaum“, mischte sich die Mutter grinsend ein. Manchmal konnte sie wirklich fies sein. Doch weder Shinya noch Viviana gingen weiter darauf ein. Während Viviana das kleine Pokémon vorsichtig aufhob, auf ihrem Schoß wieder ablegte und es streichelte – wobei Bummelz nur mal fragend den Kopf hob – machte Shinya das, wofür er hergekommen war, Feuer. Schließlich war das Feuer fast herunter gebrannt, das Fleisch gegrillt und bereits gegessen. Während des Essens war nichts besonderes mehr vorgefallen. Viviana hatte Bummelz nicht mehr hergegeben und Shinya war erstaunlich ruhig gewesen. Es wirkte fast so, als ob er etwas sagen wollte. „Okay Kinder, ich bin dann mal aufräumen“, meldete sich Vivianas Mutter zu Wort und begann bereits, das dreckige Geschirr abzuräumen. Mit voll beladenen Händen verschwand die Frau im Haus und ließ so die beiden alleine. Das Mädchen schaute in das fast erloschene Feuer und wusste daher nicht, was Shinya machte. „Vivi?“ Die Frage klang ein wenig besorgt, weshalb das Mädchen schließlich doch von dem schlafenden Bummelz aufschaute. Der Junge hatte sich auf einen Stuhl links des Feuers gesetzt, so dass sich die Beiden nun gut anschauen konnten. „Wirst du nun auch auf Reisen gehen?“ Auch wenn sie sich für ihren Freund freute, so war das im Augenblick doch Vivianas größte Sorge. Immerhin war das schon immer Shinyas Traum gewesen, und nun hatte er sein eigenes Pokémon. Trotzdem wollte das Mädchen nicht, dass er wegging. „Macht dich das traurig?“ Ein leichtes, traurig wirkendes Lächeln lag auf den Lippen des Jungen. „Ich werd' ja nicht für immer weg sein. Außerdem...“ Shinya stand auf und setzte sich neben das Mädchen auf die Bank, „...kannst du ja mit kommen.“ Ein hoffnungsvoller Ausdruck erschien in seinen Augen. „Äh, du meinst ich?“ Ein wenig verwirrt schaute sie den Jungen an. Sie hatte zwar kein Pokémon, mitgekommen wäre sie aber trotzdem gerne. Die beiden waren bisher immer zusammen gewesen und Viviana wollte nicht, dass sich daran etwas änderte. „Du Dummerchen, wen soll ich denn sonst meinen?“ Kurz wuschelte er dem Mädchen durch die Haare, welches sofort damit begann, diese wieder zu richten. Sie mochte es nicht, wenn Shinya das machte. „Aber keine Angst, das musst du jetzt nicht entscheiden, okay?“ Verwundert schaute Viviana ihn an. „Und wann dann?“ So wie sie Shinya einschätzte würde er wohl kaum noch ein paar Tage warten, dazu war er viel zu ungeduldig. „Hör mir zu“, Shinyas Augen funkelten und das Mädchen erwartete bereits das Schlimmste. „Morgen früh werden wir aufbrechen“, kurz deutete er auf Bummelz und dann auf sich selbst. „Du weißt, dass ich es nicht mag Abschied zu nehmen. Deswegen werde ich bis Sonnenaufgang am Markt auf dich warten, ich muss auch noch ein paar Sachen besorgen. Wenn du bis dahin da bist, dann werde ich dich mitnehmen, wenn nicht, dann... Na ja, überleg es dir einfach.“ Shinyas Lächeln war nun einem ernsten Gesichtsausdruck gewichen. „Ich würde wirklich gerne mitkommen, aber ich weiß nicht, was meine Mutter dazu sagen wird.“ Auch wenn sich Viviana sicher war, dass sie es ihr erlauben würde, sie wollte einfach keine leeren Versprechen geben. „Schon klar“, nun lächelte er wieder leicht. „Also dann, bis morgen, Vivi.“ Kurz nahm Shinya das Mädchen in den Arm, rief sein Bummelz zurück in den Ball und ging dann. Zurück blieb eine mehr oder weniger traurige Viviana. Nachdem das Feuer vollkommen erloschen war und nur noch die kleinen Sterne am Himmel Licht spendeten, ging das Mädchen zurück ins Haus. „Da bist du ja endlich. Was habt ihr denn noch alles gemacht?“ Ihre Mutter hatte das Geschirr bereits abgespült und hatte bis eben ein Buch gelesen. Sie klang ein wenig besorgt, vielleicht auch, weil sie ahnte, was Shinya vorhatte. „Shinya will morgen schon aufbrechen“, antwortete Viviana schließlich. Irgendwie sträubte sich etwas in ihr, ihre Mutter direkt zu fragen, ob sie mit durfte. „Ach, das hatte ich mir irgendwie schon gedacht.“ Mit einer Hand strich sich die Frau eine Strähne aus dem Gesicht. „Kannst du denn nicht mit ihm gehen?“ Es schien fast so, als konnte ihre Mutter Gedanken lesen, doch dafür war sie ihr sehr dankbar. „Ja, das hat er mir angeboten“, antwortete Viviana zaghaft. „Na was gibt es denn dann noch zu überlegen, oder magst du etwa nicht mitgehen?“ Ein wenig war das Mädchen nun doch von der Reaktion seiner Mutter überrascht. „Es ist nur, dass ich dann schon morgen früh los muss.“ „Na, wenn das deine einzige Sorge ist. Wie wäre es, wenn du dich schon mal schlafen legst, und ich packe schon mal ein paar Sachen für dich?“ „Danke Mutter, aber ich mache das morgen schon selbst.“ Schließlich konnte sie das auch noch alleine machen. „Und danke, dass du mich mit ihm mitgehen lässt.“ Kurz umarmte Viviana ihre Mutter und ging dann in ihr Zimmer, um sich schlafen zu legen. Sie hatte sich ihren Wecker gestellt, so dass sie morgen früh noch genug Zeit zum Packen und zum Verabschieden von ihrer Mutter hatte. Schnell schlummerte sie ein und landete sogleich in einem Traum. Kapitel 1: ----------- Viviana hatte einen seltsamen Traum gehabt, aus dem sie durch das laute Piepen ihres Weckers gerissen wurde. Kaum war sie erwacht, konnte sie sich nur noch vage an ihren Traum erinnern. Das Einzige, das sie noch sicher wusste, war, dass es um Pokémon gegangen war. „Uff, was für ein Traum...“ Doch nun wollte sie erst einmal den Wecker ausmachen, das Piepen nervte wirklich. Ohne ihre Augen auch nur einmal geöffnet zu haben, griff sie nach dem Wecker, doch irgendwas war falsch, sie kam nicht an den Wecker. Erschrocken riss das Mädchen die Augen auf. Alles um sie herum schien riesig, träumte sie etwa noch immer? Mit einem Schlag war all ihre Müdigkeit verflogen und sie sprang auf – oder zumindest versuchte sie das. Sie verhedderte sich, warum auch immer, in der Decke und landete mit einem erstaunlich leisen 'Bump' auf dem Boden. „Aua“ Sie wollte sich an die schmerzende Stelle am Kopf fassen, und erst dann fielen sie ihr auf, ihre felligen Pfötchen. „Wha!“ Was war mit ihr passiert? Schnell stand sie wieder auf ihren nun vier Beinen, wenn auch nicht sehr sicher. Was war das nur? Sie hob eine Pfote und fiel prompt auf die Nase. Auf vier Beinen zu stehen war schwieriger als man dachte. Als sich Viviana erneut aufgerichtet hatte, tappste sie, nun etwas vorsichtiger, zu dem großen Spiegel, der in ihrem Zimmer stand. Nachdem sie noch ein paar Mal gestolpert war, sah sie schließlich ihr Spiegelbild. Einen Moment musste das Mädchen überlegen, ob es nun wirklich vor seinem Spiegel stand. Denn was es vor sich sah, war eindeutig nicht Viviana, auch wenn es hellbraune Augen und Haare hatte – oder eher Fell. Viviana kannte das Pokémon, dass nun vor ihr stand, es war ganz eindeutig ein Evoli. Sie fand es zwar unglaublich süß, aber was hatte es in ihrem Zimmer verloren? Das Mädchen ahnte bereits schlimmes, auch wenn es sich nicht erklären konnte, wie das möglich sein sollte. Als sie sich schließlich vorsichtig bewegte, wurde ihr Verdacht bestätigt, sie war dieses Evoli! Geschockt stand Viviana noch eine ganze Weile vor dem Spiegel. Draußen verschwanden die letzten Sterne am Horizont, und in der Ferne färbte sich der Himmel leicht rosa. Doch von all dem bekam das Mädchen im Augenblick nichts mit. Es starrte einfach nur das Evoli vor sich an, und dieses starrte zurück. Träumte sie etwa immer noch? Aber für einen Traum fühlte sich alles hier viel zu echt an. Aber was sollte es denn sonst sein? Sie war verwirrt. Hin und wieder zuckte sie mal mit einem ihrer nun sehr langen Ohren oder hob eine Pfote, nur um sich zu vergewissern, dass wirklich sie das war. Schließlich seufzte Viviana und ließ ihre Ohren hängen, das war doch nur ein Traum, ein böser Traum. Dann aber begann sie das ganze positiv zu sehen, immerhin war sie eigentlich keine so negative Denkerin. Das Ganze hatte sicherlich auch seine gute Seiten, nicht war? Zum Beispiel war sie nun eines der süßesten Pokémon, die sie kannte, auch wenn sie sich selbst nicht streicheln konnte. Aber sie war ein Pokémon, dann hatte sie auch die Fähigkeiten solcher – auch wenn sie ungefähr genauso von Nutzen war wie Bummelz – und würde Shinya so keine größere Last auf seiner Reise sein – zumindest dachte sie das. „Shinya“ erschrocken schaute Viviana aus dem Fenster, die Sonne war kurz davor aufzugehen. So schnell es ging, eilte das nun Pokémon gewordene Mädchen aus seinem Zimmer – der nervtötende Wecker hatte mittlerweile auch aufgehört zu klingeln. Während sie mehr stolpernd als laufend in die Küche kam, kamen ihr noch weitere Dinge in den Kopf. Sie hatte noch nichts für die Reise gepackt – aber würde sie überhaupt etwas mitnehmen können? Immerhin war sie nun ein Pokémon. Und ein Evoli mit Vivianas Tasche um sah sicher merkwürdig aus, zudem konnte das Mädchen nicht mal so richtig laufen. Das war doch zum Verzweifeln. Während sie sich noch ärgerte, kam ihr der nächste Gedanke in den Kopf. Was war mit ihrer Mutter? Sie hatte sich doch noch von ihr verabschieden wollen, doch so war das völlig unmöglich. Und wenn sie einfach abhauen würde, würde sich die Frau sicherlich Sorgen machen. Aber... Sie war ja nicht einmal da, das war gar nicht üblich für sie. Ein wenig verwirrt schaute sich Viviana um, und nun? Einen Moment lang vergaß das Mädchen ihre Eile und schaute sich unentschlossen um. Ihr Blick fiel auf den Tisch vor ihr, er wirkte nun riesig. Viviana schluckte kurz, als ihr ihre schreckliche Lage wieder bewusst wurde. Doch schnell wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf etwas Anderes gezogen, einen Zettel der anscheinend auf dem Tisch lag – zumindest sah es von hier unten so aus. „Ein Zettel?“ Es war also wirklich etwas passiert, nur dann hinterließ sie Zettel. Aber wie sollte sie denn jetzt da ran kommen? Unschlüssig schaute sie zu dem Stück Papier hoch. „Ich darf noch nicht mehr Zeit verlieren.“ Bei Sonnenaufgang würde Shinya Flori verlassen, egal ob Viviana nun da war oder nicht. Trotzdem wollte sie wissen, was auf diesem Zettel stand. Also machte sie sich daran, auf einen der Stühle zu springen, um dann auf den Tisch zu gelangen – zumindest war das der theoretische Plan. In der Praxis gestaltete sich das ganze aber schwieriger. Beim ersten Versuch berührten Vivianas Pfoten zwar die Sitzfläche, aber sie rutschten wieder ab, so dass sie heute bereits zum wiederholten Mal schmerzhaft auf dem Boden landete. Sie konnte ja nicht mal richtig laufen, geschweige denn springen. Beim zweiten Mal schaffte sie es aber immerhin auf die Sitzfläche, auch wenn sie ziemlich unsicher stand und beinahe wieder runter gefallen wäre. Ihre Beine zitterten nun ziemlich heftig. Trotzdem gestaltete sich der Sprung auf den Tisch als wesentlich einfacher, immerhin hatte sie dort eine größere Fläche zum Landen und konnte nicht runter fallen. Nach einem vorsichtigen Blick über die Tischkante konnten sie ihrer Beine kaum mehr tragen. Von hier oben sah es noch höher aus als von unten. Sie wollte aber nicht noch mehr Zeit verlieren, also nahm sie ihren noch übrig gebliebenen Mut zusammen und schlich schon fast zu dem Zettel, der natürlich auf dem Kopf lag. Um ihn lesen zu können musste sie ihn also erst einmal umdrehen, na toll. Mit einem kurzen Blick auf ihre fingerlosen Pfoten machte sich Viviana daran, das Stück Papier zu drehen. Sie konnte nur noch zuschauen, wie der Zettel zu Boden flatterte, auch ihr böser Blick änderte nichts daran. Kurz ließ sie Ohren und Schweif hängen, doch dann machte sie sich wieder an den Abstieg, was sie schlucken ließ. Wenn sie gedachte hatte, der Aufstieg wäre schwierig gewesen, dann würde das hier nun eine Qual werden. Wie sollte sie denn unfallfrei auf ihren Pfoten landen? Diesmal hatte sie nur einen Versuch, wenn sie diesen vermasselte, würde das eine schmerzhafte Landung werden. Trotz allem zögerte Viviana den Sprung nicht lange heraus. Da sie sich nicht traute nur auf den Vorderpfoten zu lande, diese waren ja eigentlich ihre Arme, landete sie sicher auf allen Vieren. Auch wenn sie durch diesen gelungenen Sprung mutiger wurde, vollführte sie den zweiten Sprung mit derselben Technik. Nun konnte sie sich endlich diesem Zettel widmen, und wehe, es stand nichts wichtiges darauf, sie hatte genug Zeit deswegen vertrödelt. Liebe Viviana, es tut mir Leid, dass ich nun nicht bei dir sein kann. Ich hätte mich gerne noch einmal richtig von dir verabschiedet, aber es gab einen wichtigen Notfall bei der Arbeit. Das wird vermutlich noch eine Weile dauern, also warte nicht auf mich – nicht dass Shinya ohne dich aufbricht. Ich hoffe, ihr beiden vertragt euch weiterhin gut und habt viel Spaß, und passt gut auf euch auf. Übrigens steht ein Frühstück für dich im Kühlschrank. Und melde dich mal bei mir, immerhin will ich auch wissen, was ihr so anstellt. Das war typisch für ihre Mutter – keine Grüße, keine genaueren Informationen. Aber Viviana konnte das nur recht sein, auch wenn sie gerne auf den Brief geantwortet hätte. Im Augenblick gab es wichtigeres. Die Sonne warf ihre Strahlen bereits durch das Fenster und das Mädchen befürchtete, dass Shinya bereits losgegangen war. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihn noch einholen wollte. Während sie zur Haustür eilte, grummelte ihr Magen leise. Die Nachricht ihrer Mutter hatte ihren Hunger geweckt – im Kühlschrank stand etwas zu essen, an das sie aber vermutlich nicht herankommen würde. Wenn sie so von hier verschwinden würde, würde ihre Mutter sicherlich Verdacht schöpfen. Sie hatte nicht auf ihre Nachricht geantwortet, die mitten auf dem Boden lag, das Essen stand unberührt im Kühlschrank, und möglicherweise würde sie auch bemerken, dass Vivianas Zimmer nicht so aussah, als hätte sie noch ihre Tasche gepackt. Trotzdem musste sie nun los. Sie hatte es sich so sehr in den Kopf gesetzt mit Shinya zu gehen und wollte nicht, dass er alleine unterwegs war, dass sie fast vergaß, dass sie auf einmal ein Pokémon war. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie hier geblieben wäre, um herauszufinden, was mit ihr los war, falls das überhaupt möglich war, doch diese Option kam ihr im Moment gar nicht in Gedanken. Ihr wurde jedoch schnell wieder bewusst, dass sie sich in ein kleines Evoli verwandelt hatte, als sie plötzlich vor der großen Haustür stand. Sie schien wie eine unüberwindbare Mauer. Bis jetzt hatte das Mädchen Glück gehabt, da alle Türen offen gestanden hatten, doch bei der Haustür war dies natürlich nicht der Fall. Eigentlich war es ganz einfach, sie musste einfach nur die Klinke erreichen und diese herunterdrücken – doch sie war ein kleines Pokémon, ihr Ziel schien unerreichbar. Trotzdem begann Viviana sofort an der Tür herauf zu springen, sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren. Schon nach wenigen Sprüngen konnte sie mit ihren Pfoten die Türklinke erreichen, doch sie wusste wirklich nicht, wie sie diese öffnen sollte. Nach einigen weiteren Versuchen sah sie schließlich ein, dass das so nichts werden würde. Einen Augenblick blieb sie schwer atmend stehen und schaute zu der Klinke herauf, es blieb dem Mädchen nur noch eins übrig. Viviana fixierte noch einmal das Stück Metall über sich, ehe sie ein weiteres Mal nach oben sprang und sich in der Klinke verbiss. Ein seltsames Gefühl, denn eigentlich gehörte es nicht zu Vivianas Hobbies auf Türklinken herumzukauen – doch es funktionierte, mit ihrem Körpergewicht zog sie den Griff nach unten und die Tür öffnete sich leicht. Zufrieden ließ Viviana von dem Griff ab und fiel, nicht gerade geschickt, wieder zu Boden. „Nun wäre auch das geschafft“, erleichtert schaute das Pokémon in die Freiheit, die nun vor ihm lag. Ohne weiter darüber nachzudenken, zwängte es sich durch den dünnen Türspalt und atmete tief ein. Die Kälte füllte schmerzend Vivianas Lungen, doch sie fror nicht. Dass das an ihrem nun recht dicken Fell liegen konnte, daran dachte sie nicht. Sie ging davon aus, dass es noch immer so warm war wie gestern, auch wenn in Wirklichkeit der Winter langsam, aber sicher seine Hände über dem Land ausbreitete. Mit ein wenig Ekel biss Viviana in das Holz der gemaserten Tür und zog diese langsam wieder zu. Ihr Vorhaben entpuppte sich als ein ziemlicher Kraftakt, doch sie wollte die Tür unter keinen Umständen offen stehen lassen. Nachdem die Tür endlich ins Schloss gefallen war, hätte sich das Mädchen am liebsten eine Pause gegönnt, doch nun musste sie wirklich los. Auch wenn die Sonne kühl und nicht wärmend wirkte, so stand sie eben doch am Himmel und war das Zeichen dafür, dass Shinya bereits aufgebrochen war. So schnell wie möglich eilte Viviana zum Markt. Immer wieder stolperte sie und musste sich mühsam aufrappeln – ihre nun vier Beine machten sie wahnsinnig. Auch wenn ihre Stürze die meiste Zeit von dem dicken Fell an ihrem Hals abgefangen wurden und sie daher kaum etwas spürte, waren sie doch recht kräftezehrend. Zudem erschien ihr der Weg länger als je zuvor, was an ihrer geringen Größe liegen musste, so dass sie, an ihrem Ziel angekommen, völlig außer Atem war. Erschöpft ließ sie sich zu Boden fallen und schaute sich, schnell atmend, um. Von Shinya keine Spur, im Markt würde er sicherlich auch nicht mehr sein. Stattdessen verkrampfte sich mit einem Mal ihr kleiner Körper. Sie hatte die kalte Luft zu tief eingeatmet, so dass ihre Lunge nun zu brennen schien. Wie aus Reflex steckte sie die Nase unter ihrer rechte Pfote. Obwohl diese nicht sonderlich groß war, wurde die Luft schnell wärmer. Am liebsten wäre Viviana noch eine Weile so liegen geblieben. Denn obwohl sie auf dem kalten Boden lag, war ihr warm und sie empfand es als unglaublich angenehm. Doch es dauerte gar nicht lange bis sie merkte, dass sie hier nicht bleiben konnte. Nicht nur weil sie dann Shinya verlor, sondern auch weil hier Menschen waren. Eigentlich hatte sie keine Probleme mit anderen Menschen, doch nun war sie ein Pokémon und dazu noch ein ziemlich süßes. Nicht nur sie war dieser Meinung, sondern auch ein schon etwas älteres Mädchen, das auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Es hatte schulterlange, lilafarbene Haare und trug einen Pony. „Aww, was machst du denn hier?“ Fragend hob Viviana ihren Kopf, als sie die freundliche Stimme hörte. „Du bist ja niedlich.“ Viviana mochte es nicht, dass mit ihr wie mit einem Haustier geredet wurde, gleichzeitig war sie aber froh, dass sie die Worte noch verstehen konnte. Trotzdem sprang sie nun auf. „Ich bin nicht niedlich, kapiert?“ Aus ihrem Mund klang das wohl kaum glaubwürdig, immerhin fand sie selbst, dass Evoli total süß war. Doch daran hätte sie eigentlich keinen Gedanken verschwenden brauchen, hätte sie gewusst, dass ihre Worte für das fremde Mädchen völlig unverständlich waren. „Magst du etwa spielen?“ Das Mädchen lachte kurz und ging dann in die Hocke. „Na komm her“, lockte es mit fröhlicher Stimme. Viviana kannte sie zwar nicht, aber trotzdem war sie ihr unsympathisch. Nicht etwa weil sie unfreundlich war, sondern einfach nur, weil sie so mit ihr redete. Dass sie selbst so mit süßen Pokémon redete, das verdrängte Viviana im Augenblick gekonnt. Einige Sekunden schaute sie noch das seltsame Mädchen an – das, nebenbei gesagt, ziemlich groß war, auch jetzt noch, wo es in der Hocke saß – bis sie sich plötzlich einfach umdrehte und davon lief. Nicht so schnell wie vorhin und darauf bedacht dieses Mal nicht zu stolpern. Auf dem Weg zu einem sicheren Versteck kam sie an einigen verwelkten Blumen vorbei. Der Anblick machte Viviana traurig, trotzdem blieb sie nicht stehen und erreichte schließlich die schützenden Bäume. Mit einem kurzen Sprung verschwand sie im Unterholz – langsam gewöhnte sie sich an ihr zusätzliches Paar Beine – und schaute vorsichtig aus diesem hervor. Das Mädchen war ihr nicht gefolgt. Viviana wusste nicht, in welche Richtung Shinya gegangen war, doch sie hatte eine Vermutung. Langsam kroch sie wieder aus ihrem Versteck, in dem sie sich langsam albern vorgekommen war, und lief am Waldrand entlang. Sie wollte Richtung Windkraftwerk. Dort gab es eine Brücke, über die man zum Ewigwald kam. Viviana konnte sich gut vorstellen, dass Shinya dorthin wollte. Und wenn nicht, dann musste sie ihn wohl oder übel suchen gehen. Das Mädchen hoffte das Beste, während es an den verwelkten Blumen vorbeilief. Schon bald würde nichts mehr von ihnen übrig bleiben, und wenn doch, dann würde es unter einer weißen Decke begraben sein. Wieso hatte Shinya denn nicht bis zum Frühling warten können? Der Winter war wohl die denkbar schlechteste Zeit für einen Anfänger wie ihn, um auf Reisen zu gehen. Bei den Gedanken beschleunigte Viviana ihre Schritte leicht. Immer seltener stolperte sie, was sie ein wenig übermütig werden ließ. Sie schnürte an einem Zaun, der sie vom Fluss, welcher im Osten Floris floss, trennte, entlang, als sie plötzlich einen Schrei hörte. Kapitel 2: ----------- Über den Fluss hinweg glaubte Viviana ihren Freund erkennen zu können. Ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten, rannte das Mädchen los. Und obwohl sie nun solch kurze Beine hatte, kam sie schnell genug voran – vorausgesetzt, sie stolperte nicht dauernd. Dies war nicht oft der Fall und so hatte sie schnell die Brücke überquert, die auf die andere Seite des Flusses führte. Von hier konnte sie wesentlich besser sehen und nun war sie sich auch sicher, dass das da Shinya war. Vor Freude wäre sie am liebsten zu ihm gerannt, doch etwas hielt sie zurück. Sie sah nicht nur Shinya, sondern auch ein rosafarbenes Pokémon, das einer Schnecke ähnelte, und gerade von Bummelz gekratzt wurde. Es war unglaublich, doch dieses Pokémon konnte wirklich kämpfen. Schalellos schien dies auch bemerkt zu haben und verschwand daher ziemlich schnell wieder. Eigentlich griffen diese Pokémon nicht einfach so an, das wusste selbst Viviana. Vermutlich hatte Shinya es geärgert oder so, das war ja typisch für ihn. Trotzdem freute sich Viviana noch immer darüber, dass sie Shinya gefunden hatte, und nun lief sie auch auf diesen zu. „Shinya“, rief sie freudig und glaubte wirklich, dass Shinya sie verstehen würde. Sie war bereits ziemlich nah, als sich der Junge zu ihr umdrehte. Nicht etwa, weil er seinen Namen gehört hatte, sondern einfach nur wegen des Rufes des Pokémons. „Was? Schon wieder so eins?“ Wegen ihrer Freude vergaß Viviana völlig, dass Shinya gerade erst von einem wilden Pokémon angegriffen worden war. „Los Bummelz! Setz' Kratzer ei...“ Er verstummte, ehe er das letzte Wort aussprechen konnte. Viviana bemerkte, dass er sie angreifen wollte, und blieb ruckartig stehen, weshalb sie sich überschlug. Aus diesem Grund konnte sie auch nicht sehen, weshalb sich der Junge selbst unterbrochen hatte, Bummelz schlief tief und fest. Einen Moment lang glaubte Viviana, dass Shinya sie erkannt hatte, doch als sie sich wieder aufrichtete, sah auch sie das schlafende Pokémon. Enttäuscht ließ sie ihre Ohren hängen. Shinya erkannte sie also nicht? Natürlich, sie war jetzt ein Pokémon und es war nicht anders zu erwarten gewesen, trotzdem machte sie diese Erkenntnis nun traurig. Mit leicht schief gelegtem Kopf schaute Viviana zu dem nun noch größeren Shinya auf. Sie war froh, dass Bummelz eingeschlafen war, denn sie hatte wenig Lust, zerkratzt zu werden. Und auch wenn sie nun ein Pokémon war, so wusste sie nicht, wie sie angreifen sollte. „Was ist mit dir? Willst du mich doch nicht angreifen?“ Neugierig musterte Shinya das kleine Pokémon. Viviana gefielen diese Blicke gar nicht, immerhin kannten sie sich seit Kindertagen. Wie konnte Shinya sie nun nicht mehr erkennen? Auch wenn sie nun ein Evoli war? „Soll ich dich etwa einfangen?“ Bei diesen Worten zuckten Vivianas Ohren ungewollt. Sie wollte nicht eingesperrt werden, vor allem nicht, weil sie nicht wusste, was dann mit ihr passieren würde. „Nein!“ Rief sie daher schnell und schüttelte eifrig ihren Kopf. Aufmerksam beobachtete sie nun den Jungen, nicht dass er doch noch auf dumme Ideen kam. „Haha, verstehst du mich etwa?“ Shinya sah lächelnd auf das Evoli herunter und ging schließlich in die Hocke. „Keine Angst, ich tue dir schon nichts. Siehst du?“ Vorsichtig streckte der Junge eine Hand in die Richtung des Pokémons. Das war Shinya, wie sie ihn kannte – auch wenn er auf den ersten Blick kein Stück darüber traurig war, dass Viviana nicht am vereinbarten Treffpunkt aufgetaucht war. Erfreut darüber, Shinya wieder zu sehen, aber auch von Schuldgefühlen geplagt, tappste sie auf den Jungen zu und drückte ihren Kopf schließlich gegen seine Hand. „Nanu? Gehörst du etwa jemandem?“ Neugierig strich er zum Hals des Evolis, wo sich natürlich kein Halsband befand. „Es macht sich bestimmt jemand Sorgen um dich, du solltest besser wieder nach Hause gehen.“ Mit ihren großen, braunen Augen schaute sie den Jungen eindringlich an. Er war immer sehr freundlich und fürsorglich. Auch wenn er sie nun nicht erkannte, so behandelte er sie zumindest mehr oder weniger wie einen Menschen – ganz im Gegensatz zu dem Mädchen vorhin. „Aber wieso soll ich nach Hause gehen? Du hast mich doch extra gefragt, ob ich mit dir kommen soll.“ Verunsichert schaute sie zu Shinya auf. Sie hatte es zwar schon befürchtet, doch nun war sich Viviana sicher, dass kein Mensch verstehen konnte, was sie sagte – sie war wirklich ein Pokémon geworden. „Ich will bei dir bleiben.“ Mit nun sichererem Blick schaute sie den Jungen an. Selbst wenn er das Evoli weg schickte, was konnte er schon dagegen tun, wenn es ihm stur folgte? Viviana kannte Shinya gut genug. Wenn sie nur stur blieb, würde der Junge schnell weich werden – und um sie kümmern würde er sich auf jeden Fall, auch wenn es nicht sein Pokémon war. „Weißt du, du erinnerst mich sehr an jemanden“ begann Shinya plötzlich und völlig unvorhergesehen zu sprechen. Ein traurig wirkendes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Wir hatten uns verabredet, aber sie ist nicht erschienen.“ Er setzte sich auf den Boden und strich sich durch die Haare. „Natürlich hätte ich damit rechnen sollen, aber man darf doch nicht so einfach die Hoffnung aufgeben.“ Selten hatte Viviana ihren Freund so offen reden hören, doch es rührte sie sehr, vor allem weil sie schuld daran war. „Aber... Ich bin doch gekommen, siehst du? Ich bin doch hier.“ Irgendwie versuchte sie diese Worte auszudrücken, damit Shinya sie verstehen konnte, doch natürlich gelang ihr das nicht. Sie wedelte leicht mit ihrem Schweif, bewegte ihre langen Ohren und knabbte Shinya anschließend sogar noch leicht in den Finger. Doch das alles half nichts und führte zudem zu einem Missverständnis. „Natürlich, du willst viel lieber spielen als jemandem wie mir zuzuhören.“ Kurz lachte er auf und strich Evoli noch einmal über den Kopf, ehe er seine Hand zurück zog. „Aber du solltest lieber zurück nach Hause gehen. Es gibt sicherlich jemanden, der dich sehr mag, und dem solltest du nicht davon laufen.“ Shinya sagte dies alles mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Trotzdem wurde Viviana mit einem Mal traurig. Sie wusste selbst nicht warum, doch dieses Gefühl kam so plötzlich über sie, dass sie näher an Shinya herantrat und sich an dessen Beine drückte. Der Junge kicherte leise. „Magst du denn nicht nach Hause zurück?“ Wieder schüttelte Viviana den Kopf und hoffte, dass Shinya sie dieses Mal verstehen würde. „Ach Mann, wieso können Pokémon und Menschen nicht richtig miteinander reden?“ Fragend blickte er Evoli an, als ob es die Antwort auf diese Frage kennen würde. Doch das schaute einfach nur zurück und fragte sich dabei, ob der Junge diese Frage ernst meinte. Natürlich wäre das sehr praktisch, aber wie kam er nun darauf? „Ach, was rede ich hier eigentlich? Ich muss los, und du solltest wieder zurück.“ Leicht drückte er Evoli von sich und stand dann auf. Kurz klopfte er den Staub von seiner Hose und rief dann Bummelz – das noch immer vor sich hin schlummerte – zurück. „Aber wieso soll ich zurück gehen, wenn du das nicht tust?“ Verärgert blickte Viviana auf. „Ich komme mit, da kannst du machen, was du willst.“ Sie war sich bewusst, dass Shinya sie sowieso nicht verstand, aber sie hoffte, dass er zumindest ihre Entschlossenheit bemerkte. Mit einem nachdenklichen Blick auf Evoli ging Shinya schließlich los. Der Tag war mittlerweile vollkommen angebrochen. Die Sonne stand hoch am Himmel und wärmte trotzdem kaum. Viviana war es trotz allem warm, und es wäre ihr vermutlich auch warm gewesen, wenn sie nicht schon seit geraumer Weile Shinya hinterhergelaufen wäre. Ein bisschen war sie doch froh, dass nun nicht Hochsommer war, ihr dichtes Fell hätte sie vermutlich umgebracht. Allerdings quälte sie im Moment etwas ganz anderes – sie hatte Hunger. Wie lange waren sie nun schon unterwegs? Sie hatte heute noch keinen Bissen zu sich genommen, sie wusste ja nicht einmal, was Pokémon überhaupt aßen. Ihr Blick war fest auf Shinya geheftet. Er hatte sicherlich etwas für sie dabei, allein schon wegen Bummelz, aber ob ihr das auch schmecken würde? Viviana machte ein paar schnelle Schritte, um nun neben dem Jungen gehen zu können. Er hatte sie nicht mehr wegschicken wollen, war aber auch nicht weiter auf sie eingegangen. Aber Viviana war sich sicher, dass Shinya durchaus schneller gegangen wäre und nur ihretwegen langsamer machte. Zwar konnte sie schneller gehen, aber vielleicht hatte er mitbekommen, wie sie anfangs noch einige Male gestolpert war. Der frische Wind fluffte Vivianas Fell auf, als sie um einen der steinigen Berge traten. Sie legte die Ohren an und neigte den Kopf leicht zu Seite – dieser Wind war wirklich ätzend. Auf ihrer bisherigen Reise hatte der hohe Berg ihnen Windschutz gegeben, doch nun flachte er recht zügig ab. Mit dem Wind jedoch trat auch ein neues Geräusch an Vivianas Ohren. Sie war überrascht, dass sie es überhaupt hören konnte, doch das musste eindeutig ein Fluss sein, auch wenn sie im Augenblick noch keinen sah. Mit größeren Sprüngen, und dieses Mal ohne ein einziges Mal zu stolpern – nachdem sie den halben Tag gelaufen war, funktionierte das mit den vier Beinen ganz gut – lief sie in Richtung des Geräusches. Was Shinya in dem Augenblick tat, war ihr egal. Sie hatte Durst. Der Junge hatte immer wieder etwas getrunken, doch egal wie bettelnd Vivianas Blick gewesen war, er hatte ihn nicht mitbekommen. Und obwohl sie so durstig war, hatte sie sich doch kein einziges Mal aufgedrängt, das mochte sie überhaupt nicht. Wäre sie noch ein Mensch gewesen, hätte sie einfach nach etwas Wasser gefragt, aber nun verstand Shinya sie ja nicht mehr. Am Fluss angekommen begann Viviana gierig das Wasser aufzuschlecken. Sofort ging es ihr etwas besser und sie setzte sich, für den Moment zufrieden, hin. Dass sie aus dem Fluss getrunken hatte, war kein Problem für das Mädchen, immerhin war das Wasser hier sauber, und woher sonst sollte man ohne Wasservorräte in der Wildnis Wasser herbekommen? „Wenn du so sehr Durst hattest, warum hast du denn dann nichts gesagt?“ Die plötzliche Stimme hinter ihr ließ Viviana zusammenzucken. Für einen Moment lang glaubte sie, Shinya konnte wirklich ihre Worte verstehen, bis sie bemerkte, dass das nur einer seiner Witze war. Am liebsten hätte sie den Jungen angeknurrt, aber sie wollte es lieber nicht ausprobieren. Stattdessen schaute sie Shinya einfach nur an, ein Ohr hatte sie dabei abgeknickt. „Was ist, hast du etwa auch Hunger?“ Shinya grinste, als er sich neben Evoli niederließ und sich mit dem kühlen Flusswasser das Gesicht wusch. „Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst nicht mitkommen?“ Mit seiner nun nassen Rechten strich er dem Evoli über den Kopf. „Du bist wirklich anhänglich.“ Lächelnd kramte Shinya in seinem vollgepackten Rucksack herum und holte ein Sandwich hervor. Sofort setzte Viviana den besten Bettelblick auf, den sie hatte. „Was schaust du denn so?“ Viviana mochte es gar nicht, dass sie nun so betteln musste, aber wo sollte sie denn sonst etwas zu essen herbekommen? Wasser konnte sie noch alleine finden, aber ein Sandwich beispielsweise wuchs nicht einfach an Büschen. Also setzte sie noch einen drauf und ließ ihre langen Ohren hängen. „Ist ja gut, du bekommst ja etwas. Aber ich werde nicht viel für dich haben. Bummelz braucht nicht so viel und ich war eigentlich nicht darauf vorbereitet, einen weiteren Weggefährten zu bekommen.“ Immer noch lächelnd begann er in seinem Rucksack zu wühlen. Glücklich schaute Viviana ihm zu, er hatte sie nun also doch bei sich akzeptiert – daran gezweifelt hatte das Mädchen auch nicht. Auf einmal wurde ihr ein Apfel vor die Nase gehalten. „Hier, ich hoffe, er schmeckt dir auch. Sonst habe ich leider nicht viel, was ich dir geben könnte. Was isst ein Evoli eigentlich so? Bummelz braucht nur ein paar Blätter. Oder isst du die vielleicht auch?“ Ein wenig überfordert schaute sie Shinya an, antworten konnte sie ihm ja sowieso nicht. Doch bei der letzten Frage schnappte sie sich schnell den Apfel. Sie hatte wenig Lust drauf, dass der Junge es auf einen Versuch ankommen ließ. Während Viviana zufrieden an dem Apfel herum knabberte – es gab natürlich besseres, aber auch wesentlich schlechteres – wurde sie von Shinya beobachtet. Kaum hatte er seine Mahlzeit beendet, begann er wieder zu sprechen. „Hast du eigentlich einen Namen?“ Viviana schaute nur mal kurz auf, ehe sie weiter aß, viel mehr war ihr nicht möglich. Selbst wenn sie nicken würde, würde der Junge nicht weiter darauf eingehen. Allerdings fragte sie sich, was er jetzt schon wieder vorhatte und hörte daher aufmerksam zu. „Diese Freundin, von der ich dir vorhin erzählt hatte, du erinnerst mich wirklich sehr an sie. Vielleicht meint es das Schicksal ja gut mit mir? Sie kommt nicht mit, dafür tauchst du auf einmal auf, schon komisch.“ Warum konnte Shinya nicht einfach darauf kommen, dass sie Viviana war? Das Mädchen hatte das Gefühl, gleich zu platzen. Es war doch wirklich gemein, dass sie nichts sagen konnte. „Ab sofort werde ich dich einfach Vivi nennen, ich finde, das passt gut zu dir.“ Shinya lachte kurz auf und schaute das Evoli lächelnd an. Viviana fiel beinahe aus allen Wolken. Das war der Spitzname, den Shinya ihr vor langem gegeben hatte, war ja auch nichts Schlimmes bei. Nur musste sie sich nun vorstellen, wie Shinya herumlief und wildfremden Pokémon, die ihn an sie erinnerten, diesen Namen gab. Wie kam er eigentlich darauf? Doch dann beruhigte sich Viviana wieder. Sie hätte nicht gedacht, dass Shinya sie so sehr vermissen würde, wenn sie nicht mitkäme. Sie war sich sicher gewesen, dass es das Wichtigste für ihn war, Pokémontrainer zu werden, aber auch das Mädchen schien eine gewisse Rolle zu spielen. Danach sagte Shinya allerdings nichts mehr. Viviana konnte den Apfel in Ruhe aufessen und musste feststellen, dass diese kleine Mahlzeit sie wirklich satt gemacht hatte. Natürlich, ihr Körper war nun um einiges kleiner und somit musste sie auch weniger essen, daran musste sie sich noch gewöhnen. Als sie wieder aufstand, schmerzten ihre Pfoten leicht. Sie war heute schon sehr viel gelaufen und ein Großteil des Bodens auf dieser Route bestand aus Fels, selbst wenn sie noch ein Mensch gewesen wäre, hätten ihre Füße geschmerzt – sonst lief sie nicht so viel. Doch noch war es nicht wirklich schlimm, so dass sie munter hinter Shinya herhüpfte, der bereits ein kleines Stück voraus gegangen war. Die schwache Sonne am Himmel neigte sich bereits wieder dem Horizont zu und Viviana fragte sich unweigerlich, wo sie heute Nacht denn schlafen würden. Sie hatte ja schon gemerkt, dass es für sie fast überall bequem war, aber Shinya hatte kein solch dichtes Fell, das ihn schützte. Sie liefen noch lange, selbst als die Sonne als großer, roter Ball ihren baldigen Untergang ankündigte. Die Gegend hatte sich nicht sehr verändert. Neben ihnen war wieder ein großer Berg aufgetaucht, der sie vor dem Wind schützte. Diesen hätte Viviana im Augenblick aber vermutlich gar nicht mehr wahr genommen. Sie bewegte sich so wenig wie möglich. Jeder Schritt war eine Qual. Ihre Pfoten waren wund gelaufen und sie hielt immer mal wieder an, um über ihre wunden Ballen zu schlecken. Anfangs hatte sie das wirklich eklig gefunden, doch es linderte die Schmerzen leicht und sie verhinderte so den gröbsten Schmutz. Dieser Weg war wirklich nichts für das Evoli, wieso gab es hier denn so wenig Gras? Bis jetzt war sie weitergelaufen, weil sie Shinya nicht aufhalten und vor allem nicht verlieren wollte. Doch dieser ging immer langsamer, und Viviana spürte deutlich, dass dies an ihr lag. Als sie ein weiteres Mal stehen blieb, spürte sie plötzlich wie sie hinter den Vorderpfoten gepackt und hochgehoben wurde. „Na komm schon, du bist ja völlig erschöpft.“ Mit diesen Worten drückte er das Evoli an seinen Oberkörper und ging weiter. Viviana war das ziemlich unangenehm, doch sie konnte sich nicht wehren. Erst jetzt, als sie ihre schmerzenden Pfoten nicht mehr belasten musste, spürte sie erst, wie erschöpft sie war. Nachdem sie sich etwas dichter an den warmen Körper gedrückt hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis sie einschlief. Kapitel 3: ----------- Als Viviana erwachte, war es um sie herum erstaunlich warm, sie lag auf einem Bett. Erleichtert öffnete sie die Augen, also war doch alles nur ein Traum gewesen. Aber... Das hier war definitiv nicht ihr Zimmer. Erschrocken sprang sie auf – dieses Mal eleganter, an ihre vier Beine hatte sie sich nun wirklich gewöhnt – und landete auf ihren wunden Pfoten. Ein Laut des Schmerzes entkam ihrer Kehle, während sie sich wieder fallen ließ. Leise seufzte sie, es war also doch kein Traum gewesen. Ihr Blick schweifte an ihren Vorderläufen entlang zu ihren Pfoten, die seltsam weiß waren. Es sah aus wie Creme, aber wie war die da hingekommen? Wo war sie hier? Viviana hob ihren Kopf und schaute sich somit in einem fremden Raum um. Hier drinnen gab es nicht viel, ein zweites Bett neben ihr, an der Wand stand ein Tisch mit einigen Sachen darauf und... „Vivi, du bist wieder wach?“ Auf einmal wurde sie gepackt und hochgehoben. Als sie leicht gedreht wurde konnte sie Shinya direkt ins Gesicht blicken. „Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht, weißt du?“ Der Junge grinste sie breit an und Viviana schaute nur überrumpelt zurück. Das Mädchen mochte es gar nicht, so in die Luft gehalten zu werden. Doch ehe sie sich wehren konnte, erschien ein fremdes Gesicht in ihrem Blickfeld, das sofort einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ah. Wie geht es denn unserer kleinen Patientin?“ Der Mann, mit kurzem schwarzen Haar, beugte sich weiter zu dem Evoli vor. Er hatte eine raue, aber auch warme Stimme. „Aber das sieht doch ganz gut aus. Dein Evoli war einfach nur erschöpft gewesen, kein Wunder, wenn ihr an nur einem Tag von Flori bis hier her gelaufen seid. Für so ein kleines Pokémon ist so eine Strecke viel länger als für einen Menschen.“ Er grinste Shinya an und Viviana konnte dem Mann nur zustimmen. „Natürlich. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Leicht drückte der Junge das Evoli noch etwas näher an sich. Viviana fragte sich, was noch alles vorgefallen war, während sie geschlafen hatte. Irgendetwas musste sie doch verpasst haben, oder warum sonst war Shinya auf einmal so aufdringlich? „Nichts zu danken. Allerdings solltest du dein Pokémon in den nächsten Tagen nicht allzu sehr belasten. Es dürfte zwar wieder ausgeruht sein, aber seine Pfoten sehen nicht so gut aus. Am besten rufst du es in seinen Pokeball zurück.“ Viviana verstand nicht ganz, was hatten diese Worte zu bedeuten? Obwohl sie alles bestens verstand, spitzte sie ihre Ohren noch etwas mehr. „Na gut, ich werde schon auf sie aufpassen.“ Als würde er seine Worte unterstreichen wollen, strich er über Evolis Kopf. „Aber ich muss jetzt wirklich los, die Sonne ist schon aufgegangen. Vom faul herumsitzen erreicht man schließlich nichts.“ „Das glaube ich dir gerne.“ Der Mann lachte kurz auf. „Früher, als ich jung war, war ich auch immer so übereifrig. Aber glaub mir, manchmal ist es besser sich einfach mal auszuruhen.“ „Ach ja? Das stimmt vielleicht, aber solange ich nicht erschöpft bin, brauche ich mich auch nicht auszuruhen.“ Shinya lächelte weiterhin freundlich, während er seinen Rucksack, den er bereits aufgesetzt hatte, nochmal richtete. Diese Bewegung war für Viviana nicht gerade angenehm. Warum setzte der Junge sie nicht wieder ab? „Mit solch einer Antwort hatte ich schon gerechnet.“ Erneut lachte der Mann, ging aber nicht weiter auf das Thema ein. „Dann noch viel Spaß auf deiner weiteren Reise und pass gut auf dich und deine Pokémon auf.“ „Das werde ich, und noch mal vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Shinya von dem Mann und verließ den doch recht kleinen Raum. Für einen Augenblick wurde Viviana, die noch immer getragen wurde, von dem grellen Sonnenlicht geblendet. Sie waren wohl noch immer auf dem Weg zum Ewigwald. Zumindest waren sie im Moment noch von Felsen umgeben, mit etwas anderem hatte das Mädchen aber auch nicht gerechnet. Zwar hatte es sich noch nie so weit von Flori entfernt, dennoch wusste es, dass man die Strecke bis zum Wald kaum an einem Tag schaffte. Umso überraschter war Viviana, als sie in der Ferne die ersten Bäume ausmachte. Wie weit war Shinya gestern noch gelaufen? Oder hatte sie vielleicht länger als nur eine Nacht geschlafen? Viviana störte es, dass sie nicht wusste, was passiert war, während sie geschlafen hatte. Aber noch mehr störte es sie, dass sie den Jungen nicht einmal fragen konnte. Sofort hatte sich Shinya auf den Weg zu den Bäumen gemacht. Ein kühler Wind wehte ihnen entgegen. Obwohl Viviana die Kälte dank ihres Felles kaum wahr nahm, merkte sie doch, dass es kälter war als gestern. Shinya schien diese Temperatur aber auch nicht viel auszumachen, dabei hatte er nur ein Sweatshirt an. Ein wenig unruhig zappelte Viviana in Shinyas Armen rum. „Shinya? Wann lässt du mich wieder runter?“ Nicht dass es sie stören würde, getragen zu werden, vor allem da ihre Pfoten noch mehr schmerzten als gestern. Es war auch nicht unangenehm, auf dem Arm des Jungen war es sogar richtig bequem. Trotzdem war es ihr unangenehm, einfach so getragen zu werden. Die Tatsache, dass sie nun ein kleines Pokémon war, änderte dabei nichts an ihrer Meinung. „Was ist denn? Warum so unruhig? Tu ich dir irgendwie weh?“ Der Junge verlangsamte seinen Schritt etwas und schaute auf das Evoli hinunter. „Tut mir ja Leid, aber absetzen kann ich dich nicht.“ Shinya lachte kurz auf und Viviana wusste sofort, dass es keinen Sinn hatte, es weiter zu versuchen. Also machte sie es sich in Shinyas Armen noch ein wenig bequemer und schaute sich die Gegend an. Der Wald kam immer näher, und Viviana freute sich schon darauf. Mit dem Wald hatte sie stets einen grünen, lebendigen Ort verbunden, doch so, wie in Flori keine Blumen mehr blühten, so trugen die Bäume hier nur noch vereinzelt Blätter – und diese waren dann braun, rot oder gelb verfärbt. Natürlich sah der Wald auch so wunderschön aus, aber Viviana mochte es nun mal lieber grün, auch wenn er so mit viel Fantasie vielleicht wie ein Blumenfeld hätte wirken könnte. Sah es aus der Ferne noch schön aus, wirkte der Wald aus der Nähe einfach nur trist. Nachdem Shinya die ersten Bäume passiert hatte, drückte sich Viviana eher unterbewusst leicht an den Jungen. Die an den Bäumen verbliebenen Blätter raschelten leicht im Wind. Immer mal wieder fiel eines der vertrockneten Blätter zu Boden, doch das waren auch schon die einzigen Bewegungen, die Viviana wahrnehmen konnte. Den Ewigwald hatte sie sich eigentlich immer voller Leben vorgestellt, dass man überall Pokémon sehen konnte. Aber sie erblickte kein einziges. Wie hatte sie das auch glauben können? Sie war wohl einfach zu naiv gewesen. Wenn Menschen kamen, versteckten sich die meisten Pokémon – oder war hier wirklich keines? Langsam wurde Viviana nervös, was allerdings weniger daran lag, dass der Wald so ruhig war, sondern eher, dass sie langsam realisierte, was hier vor sich ging. Dass sie ein Pokémon war, dass sie nicht wusste, was gestern alles geschehen war und dass sie nun endlich ihre Hilflosigkeit erkannte. „Was ist? Was hast du denn, ist dir kalt?“ Shinyas Stimme riss das Pokémon aus seinen Gedanken. Sie beruhigte sich wieder ein wenig. Solange der Junge auf sie aufpasste, konnte Viviana nichts passieren, zumindest redete sie sich das nun ein. Sie würde schon eine Lösung finden, hoffentlich. Doch wie hatte Shinya eigentlich ihre momentane Gefühlslage mitbekommen? Fragend schaute sie zu dem Jungen auf, der lächelnd zurück schaute. „Du bist wirklich süß.“ Wäre Viviana noch ein Mensch gewesen, wäre sie nun zweifelsohne rot angelaufen. Doch so senkte sie einfach schnell wieder ihren Blick und redete sich ein, dass er das gesagt hatte, weil Evoli nun mal ein süßes Pokémon war. Als sie dann noch Shinyas erstaunlich warme Hand auf ihrem Kopf spürte, wäre sie vor Scham am liebsten im Boden, der leider viel zu weit entfernt war, versunken. „Mach dir keine Sorgen, ich werde schon gut auf dich aufpassen.“ Auch wenn Viviana eben noch am liebsten im Boden versunken wäre, beruhigten sie diese Worte ungemein. Eben hatte sie noch daran gedacht, und nun sprach es der Junge auch schon aus. „Ich danke dir, Shinya.“ Sie sprach sehr leise, aber ihr Freund konnte es sowieso nicht verstehen. Sie waren schon eine ganze Weile im Wald unterwegs und hatten noch immer kein Pokémon gesehen. Vielleicht übersah Viviana sie aber auch einfach nur, zumindest ließ sie sich nicht mehr davon beunruhigen. Shinya lief nicht mehr so schnell wie gestern und so kam es, dass sie halb am Dösen war, als sie plötzlich eine Stimme hinter sich hörten. „Hey du da, Rotschopf!“ Es war eine Frauenstimme und irgendwie kam sie Viviana bekannt vor. Neugierig hob Evoli ihren Kopf und wünschte sich noch im gleichen Augenblick, sie hätte es nicht getan. Sie kannte nicht nur die Stimme, sondern auch die Frau, die nun hinter ihnen stand – na gut, sie hatte sie mal gesehen, aber das genügte ihr schon. Abrupt blieb Shinya stehen. „Was? Wen nennst du hier Rotschopf?“ Der Junge klang nicht verärgert und musterte das Mädchen vor sich genauer. Es hatte schulterlange, lilafarbene Haare und trug einen Pony. Viviana legte ihre langen Ohren an. Wie war die so schnell hierher gekommen? „Oh, entschuldige.“ Grinsend blieb das Mädchen ein paar Schritte von Shinya stehen. „Mein Name ist Anzu. Willst du auch nach Ewigenau?“ Noch hafteten Anzus lilafarbene Augen auf Shinya, doch Viviana war sich sicher, dass sich das bald ändern würde. Vielleicht hatte sie ja aber Glück und das damals war ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Sie hatte keine Lust wie ein süßes Tier behandelt zu werden. „Mein Name ist Shinya, freut mich.“ Freundlich lächelte er Anzu an. „Und ja, mein nächstes Ziel wird Ewigenau sein. Aber vorher wollte ich mir hier noch ein neues Pokémon fangen.“ Stolz über seine Worte schaute er das Mädchen an. „Ah, also bist du auch ein Pokémontrainer. Wie wäre es mit einem Kampf?“ Innerlich schien sich das Mädchen schon vollkommen auf solch einen vorzubereiten und Viviana hoffte nur, dass Shinya ablehnte. Sie musste sich nicht mit Pokémon auskennen oder wissen was für welche diese Anzu besaß, um zu wissen, dass Shinya mit seinem Bummelz kaum Chancen hatte diesen Kampf zu gewinnen. „Das wäre mir wirklich eine große Ehre, aber ich muss leider ablehnen. Ich habe gestern erst mein Pokémon bekommen und du bist sicherlich sehr stark.“ Viviana ärgerte sich, dass Shinya dieser Tussi einfach so ein Kompliment machte. „Ja, das bin ich wohl.“ Ein selbstbewusstes Lächeln legte sich auf Anzus Lippen. „Aber wenn das deine einzige Sorge ist. Wir kämpfen dein Pokémon, gegen eines meiner, ich werde auch mein Schwächstes nehmen, das ist doch nett von mir, oder? Oder hast du etwa Angst um dein kleines Evoli?“ Etwas Herausforderndes lag in ihren Worten, worauf Shinya allerdings nicht einging. „Tut mir Leid, aber Evoli ist nicht mein Pokémon.“ Die Worte mussten sicherlich seltsam für das Mädchen klingen, immerhin hielt er Evoli gerade in seinen Armen. „Was? Dieses unglaublich süße Evoli gehört nicht dir? Warum hast du es dann bei dir?“ Und da war er wieder, der Ton, in dem sie damals schon mit Viviana geredet hatte. „Als ich meine Reise begonnen habe, ist es mir einfach gefolgt.“ Beruhigend strich der Junge über Vivianas Kopf. „Und du bist nicht auf die Idee gekommen, es einzufangen?“ Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen stemmte Anzu ihre Hände in die Hüfte und legte den Kopf leicht schief. „Also ich hätte es sofort eingefangen, so ein Evoli ist unglaublich interessant, aber ich hatte nicht gewusst, dass es niemanden gehört.“ „Das habe ich nie gesagt“, antwortete Shinya schnell. „Es gehört nur nicht mir. Aber es ist so zahm, vielleicht wurde es von seinem Besitzer getrennt.“ Viviana mochte es gar nicht, wie im Augenblick über sie gesprochen wurde. Doch sie war froh, dass Shinya dieser Ansicht war, es wäre schrecklich, wenn sie jemand einfangen wollte. „Ach so? Darf ich es dann mal halten? Ich hatte es schon in Flori gesehen, da ist es aber weggelaufen.“ Anzu lächelte freundlich und Viviana hoffte, dass Shinya ihr das nicht gestatten würde. Jetzt konnte sie nicht mehr so einfach davon laufen. „In Flori? Wie kannst du dir so sicher sein, dass es dasselbe ist?“ Na gut, in dieser Gegend ein wildes Evoli zu sehen, war wohl eher die Ausnahme, aber trotzdem konnte es passieren. „Och, das denke ich mir einfach mal so. Weißt du, ich habe noch nie ein Evoli mit solch hellem Fell gesehen.“ Anzu kam lächelnd näher und streckte Viviana ihre Hand entgegen. Eher unbeabsichtigt legte diese ihre Ohren an. „Aww, es ist wirklich lieb und so süß.“ Man sah Anzu an, dass sie sich am liebsten das Pokémon geschnappt und nicht mehr hergegeben hätte. Glücklicherweise gab Shinya das Evoli nicht einfach so ab, worüber Viviana sehr erleichtert war. „Aber wieso hast du denn nicht einfach versucht es zu fangen? Wenn es jemandem gehört, dann hätte es eben nicht funktioniert.“ Fragend schaute sie den Jungen an, während sie ihre Hand auf Evolis Kopf legte. Auch dass dieses seinen Kopf einzog konnte diese Berührung nicht verhindern. „Es erinnert mich einfach zu sehr an jemanden. Außerdem will ich viel lieber coole Pokémon fangen.“ Wie so oft, wenn er von diesem Thema sprach, funkelte in Shinyas Augen dieser besondere Glanz. „So? Aber Evolis Entwicklungen sind doch cool, findest du nicht?“ Endlich zog Anzu ihre Hand wieder zurück und musterte Viviana mit einem nachdenklichen Blick. „Wenn du es nicht willst, darf dann ich versuchen es zu fangen?“ Einen Augenblick lang stockte Vivianas Herz und sie drückte sich dichter in Shinyas Arme. „Tut mir leid, aber so lange Vivi das nicht möchte, kann ich das wohl nicht zulassen.“ Mit seinen Fingerspitzen begann er leicht Vivianas Kinn zu kraulen. Augenblicklich wurde das kleine Pokémon ruhiger und schaute Anzu siegessicher an. „Na wenn du meinst.“ Sie richtete ihren Blick wieder auf Shinya und schien Viviana gar nicht mehr zu beachten. „Aber was für ein Pokémon hast du dann?“ Trotz allem schien Anzu noch immer auf einen Kampf aus zu sein. „Ach ja, ein Bummelz.“ Wieder glänzten die Augen des Junges, auch als das Mädchen plötzlich breit zu grinsen begann und schließlich eine lockerere Haltung einnahm. „Okay.“ Ein Kichern konnte sich Anzu jedoch nicht verkneifen. „Shinya, du bist wirklich in Ordnung. Weißt du schon, wo du heute Nacht schlafen willst?“ Bei dieser Frage sträubte sich Vivianas Fell, doch sie wusste jetzt schon, dass Shinya das Angebot, das gleich folgen würde, nicht ablehnen würde. „Nein. Bis es dunkel wird ist ja noch ein wenig hin. Ich schätze ich werde einfach irgendwo mein Lager aufschlagen, wieso?“ „Ich dachte mir einfach nur, dass ein Neuling wie du nicht unbedingt alleine hier rum laufen sollte. Außerdem ist ein wenig Gesellschaft immer ganz nett. Also wenn du magst, könnten wir bis Ewigenau zusammen bleiben?“ Viviana hoffte, dass Shinya dieses Angebot ablehnen würde. Sie wusste nicht warum, aber diese Anzu war ihr unsympathisch. „Oh, das wäre toll. Ich bin zwar nicht völlig alleine“, kurz fiel sein Blick auf Evoli, „aber mit einem Menschen kann man wesentlich besser reden. Ich nehme dein Angebot wirklich gerne an.“ Er lächelte fröhlich vor sich hin, während Viviana am Liebsten zu weinen begonnen hätte. Auch wenn es vielleicht gemein war, wünschte sich das Evoli, dass Shinya ihr mehr nachtrauerte. Zwar wusste sie, dass Shinya nicht so ein Mensch war, trotzdem war sie enttäuscht, als er nun mit diesem Mädchen reisen wollte. Diese Gedanken waren egoistisch, ohne Zweifel, aber Viviana hielt sie trotzdem weiterhin für angebracht und richtig. „Das ist ja super, dann lass uns mal weiter gehen. Oder willst du noch länger hier rumtrödeln?“ Munter setzte sich Anzu wieder in Bewegung und ohne zu zögern folgte Shinya ihr. Kapitel 4: ----------- Sie waren noch gelaufen, bis die Sonne hinter den Wipfeln der Bäume verschwunden war. Erst dann hatten sich Anzu und Shinya dazu entschlossen, ein Lager aufzuschlagen. Während dieses ganzen Weges konnte Viviana nicht mehr ruhen, nicht etwa weil sie schon den ganzen Tag von Shinya getragen wurde, sondern weil sie das fremde Mädchen einfach nicht aus den Augen lassen konnte. Auch die Gespräche der Beiden, die sie fast während der ganzen Zeit führten, belauschte das Evoli aufmerksam. Wirklich interessant waren sie für Viviana allerdings nicht, immerhin kannte sie sich mit Pokémon nicht wirklich aus. Zwischendurch sprach Shinya auch mal über Viviana, doch das schien Anzu eher weniger zu interessieren. Als sie dann endlich einen netten Platz gefunden hatten, an dem sie übernachten wollten, konnte Viviana zum ersten Mal an diesem Tag festen Boden unter ihren Füßen spüren, ohne gleich von Schmerz durchflutet zu werden. Ihre Pfoten hatten sich mehr oder weniger erholt und so tappste sie auch gleich munter los, und zwar immer Shinya hinterher. Anfangs war es noch schwieriger, doch schnell hatte sie sich wieder an das Laufen auf allen Vieren gewöhnt. „Es scheint ja wirklich an dir zu hängen.“ Anzu kicherte leise und ging dann in die Knie. Einen Moment lang glaubte Viviana ein Déjà-vu zu haben. Am liebsten wäre sie weggelaufen, aber sie konnte Shinya unmöglich alleine mit diesem Mädchen lassen. So blieb das Evoli einfach stehen und schaute zu Anzu. „Na komm schon her, oder hast du etwa Angst vor mir?“ Anzu setzte ein leichtes Lächeln auf, wobei Viviana fast schon ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie sich trotzdem keinen Zentimeter rührte – aber eben nur fast. Eigentlich war sie eher folgsam, doch sie hatte sich bereits dazu entschieden, dass sie dieses Mädchen niemals leiden würde, und wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ Viviana nicht mehr so schnell davon ab. „Ach, lass Vivi doch erst einmal in Ruhe. Wir sollten etwas zu essen machen, zumindest ich habe einen Bärenhunger, du etwa nicht?“ Shinya beugte sich lächelnd zu dem Evoli herunter und legte kurz seine Hand auf dessen Kopf. „Vielleicht braucht es einfach nur ein wenig Zeit um sich an dich zu gewöhnen.“ „Sagtest du nicht, dass es dich sofort hatte knuddeln wollen?“ Anzu richtete sich wieder auf und schaute Shinya mit schief gelegtem Kopf an. „Aber diese Freundin von der du sprachst, du sagtest dieses Evoli erinnere dich an sie. Wieso hast du es nach ihr benannt, war sie etwa genauso stur?“ Anzu grinste. Aus ihrer Stimme konnte man deutlich den scherzenden Ton heraushören, trotzdem meinte Viviana, dass dieses Mädchen ihr gegenüber böse gesinnt war. „Nein, nein, sie ist wirklich nett.“ Shinya kratzte sich verlegen am Hinterkopf und begann dann in seinem Rucksack zu kramen. „Was mich an sie erinnert hat sind diese Augen, aber frag mich bloß nicht warum.“ Immer noch lächelnd richtete sich der Junge wieder auf und hielt nun eine Dose in der Hand. „Du scheinst sie ja wirklich zu mögen, hm?“ Anzu stand nun wieder und machte sich gerade daran, den Holzhaufen, den sie eben noch gesammelt hatten, mit einem Feuerzeug zu entzünden. „Ach was, wir kennen uns nur schon ewig.“ Der Junge schien nervös, was sich Viviana beim besten Willen nicht erklären konnte. Und doch hatte sie das Gefühl, als wüsste sie doch, warum Shinya nun so reagierte. „Aber dann magst du sie doch?“ Das Mädchen grinste entschuldigend. „Tut mir leid, schlechte Angewohnheit. Aber sag mal, was magst du uns da eigentlich zu essen machen?“ Mit einer leichten Handbewegung deutete sie auf die Dose in Shinyas Hand. Dieser zögerte kurz ehe er antwortete. „Das hier“, dabei hob er die Dose leicht, „sind Zutaten für eine Gemüsesuppe. Ich hoffe du magst das auch.“ Shinya lächelte fragend ,während er noch einen kleinen Kochtopf aus seiner Tasche holte. Viviana schaute aufgebracht den Jungen an. „Was soll das? Warum kochst du für sie?“ Sie war verärgert und enttäuscht zugleich, und das obwohl sie sehr wohl wusste, dass es blödsinnig wäre, wenn jeder für sich kochen würde. Aber warum machte dann nicht Anzu etwas für beide? Wie erwartet gab es keine wirklichen Reaktionen auf das Evoli, nur Anzu schaute es kurz an. „Natürlich. Das ist wirklich nett von dir, wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sag Bescheid.“ „Ist ja nicht viel Arbeit, das bekomm ich schon alleine hin.“ Shinya war gerade dabei etwas Wasser und danach die Dosenfüllung in den Topf zu geben, um das Ganze dann über dem Feuer erhitzen zu können. „Wenn das so ist.“ Lächelnd ging Anzu wieder in die Knie. „Na komm schon, du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben.“ Ihre Stimme war nun wieder weicher, wie es bis jetzt immer gewesen war, wenn das Mädchen mit dem Evoli gesprochen hatte. Dieses dagegen ließ sich nicht von Anzu ablenken. Völlig unbeeindruckt setzte sich Viviana einfach hin und schaute Shinya geduldig zu. Es dauerte noch eine Weile, in der Anzu ununterbrochen auf sie einredete, bis es das Mädchen schließlich aufgab und wieder aufstand. Ganz zu Vivianas Missfallen, denn nun ging Anzu zu Shinya und ließ sich neben diesem nieder. „Ich glaube, es mag mich nicht.“ Anzu wirkte irgendwie niedergeschlagen. Eigentlich wurde in solchen Situationen Viviana immer mitfühlend, doch dieses Mal interessierte sie das recht wenig. Woran sie allerdings nicht gedacht hatte war, dass Shinya ihr nun nur noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde. „Hey Vivi“, wurde das Evoli plötzlich von Shinya angesprochen. „Anzu ist wirklich ein ganz nettes Mädchen, sie will dir doch nichts böses. Na komm schon her.“ Der Junge lächelte, was Viviana aber kein Stück besänftigte. Eher ärgerte sie sich nur noch mehr, weil Shinya nun auch schon anfing wie Anzu zu reden. Damit es nicht noch schlimmer wurde, stand Viviana schließlich auf und ging langsam auf die beiden Menschen zu – oder eher gesagt auf Shinya. „Wow, du scheinst ja wirklich ein Händchen für so was zu haben.“ Anzu schaute zwischen dem Pokémon und dem Jungen hin und her. „Oder es hängt einfach nur sehr an dir.“ Sie kicherte leise und schnappte sich dann Viviana, die dummerweise zu nah an das Mädchen herangekommen war. Ehe sie sich versah, fand sie sich auf Anzus Schoß wieder. Am liebsten wäre sie geflohen, doch sie wollte nichts riskieren und ließ es daher über sich ergehen. „Hab ich dich endlich.“ Sie strich dem Evoli erstaunlich sanft über das weiche Fell. „Siehst du, kein Grund, Angst vor mir zu haben.“ Sie kicherte leise und begann nun den dichten, gräulichen Pelz an ihrem Hals zu verwuscheln. Dieses Gefühl gefiel Viviana fast schon und es fiel ihr schwer, sich dagegen zu sträuben. Trotzdem blieb sie weiterhin liegen und ließ sich streicheln, zumindest bis Anzu auf einmal mit ihr zu reden begann. „Das ist doch schön, oder? Weißt du, Shinya ist wirklich ein netter Junge und du hängst anscheinend sehr an ihm.“ Anzu sprach so leise, dass nur Viviana sie verstehen konnte. „Also wäre es doch toll, wenn wir uns auch gut verstehen.“ Anzu lächelte und Viviana wusste sofort, worauf das Mädchen hinaus wollte. Verärgert sprang sie von Anzus Schoß. „Lass bloß deine Finger von Shinya.“ Sie versuchte das Mädchen mit einem bösen Blick anzuschauen, was Viviana nicht wirklich gelang. Trotzdem schien man ihre Absichten zu erkennen. „Vivi, was ist denn los? Was hast du gegen Anzu, hm? Wenn du sie nicht leiden kannst, dann solltest du lieber gehen.“ Shinya klang nicht böse, sondern eher tadelnd, aber auch das klang nicht wirklich ernst. Trotzdem fühlte sie sich verraten. Shinya hielt also lieber zu dieser Anzu, als zu ihr. Mit einen letzten Blick auf den Jungen lief das Evoli davon. Warum nur war sie plötzlich ein Pokémon? Das alles wäre doch gar nicht geschehen, wenn sie noch ein Mensch wäre. Der Waldboden war durch das viele Laub sehr weich und angenehm für Vivianas Pfoten. Und so war es auch wenig wundersam, dass das Evoli sehr weit gekommen war, ehe es stehen blieb. Dann sollte Shinya doch machen, was er wollte, das konnte ihr doch egal sein. Doch schnell war Vivianas Ärger verflogen, als sie sich umschaute. Sie war mitten in einem dunklen Wald. Durch die fast blätterlosen Bäume fiel das schwache Licht der zahlreichen Sterne am klaren Himmel auf das Evoli. Den Mond konnte Viviana nicht sehen. Kurz überlegte sie, ob sie nicht doch lieber zurück laufen sollte, schließlich hatte sie auch Hunger, allerdings wusste sie nicht, ob sie wieder zu Shinya finden würde. Sie hatte nicht darauf geachtet, wo sie hin gelaufen, oder wie weit der Weg gewesen war. Also schmiegte sie sich erst einmal an einen dicken Baumstamm um sich auszuruhen und nachzudenken. War sie etwa eifersüchtig auf dieses Mädchen? Das konnte natürlich gut sein, immerhin war Shinya ihr bester Freund und zudem konnte sie Anzu nicht wirklich leiden, aber war das ein Grund um wegzulaufen? Vermutlich war alles einfach zu viel. Erst hatte Shinya plötzlich ein Pokémon und wollte aufbrechen, sie hatte ja nicht mal richtig Zeit gehabt, sich zu überlegen, ob sie wirklich mitwollte. Dann war sie auf einmal ein Pokémon, ohne zu wissen warum und wie sie das wieder rückgängig machen könnte. Und dazu niemanden mit dem sie reden konnte. Vielleicht hatte sie ja einfach Angst. Ein helles Licht unterbrach je ihre Gedanken. Fast schon erschrocken schaute Viviana auf, doch es war nach wie vor dunkel, hatte sie sich das etwa nur eingebildet? Schnell sprang sie wieder auf und setzte sich langsam in Bewegung. Sie wollte wissen, was das gewesen war, also lief sie in die Richtung aus der sie glaubte, dass es gekommen war. Natürlich hatte sie das nicht sehen können, doch in diesem Augenblick leitete sie ihr Gefühl. Nachdem sie schon einige Meter gelaufen war – was für Viviana mit ihrer momentanen Größe nicht gerade wenig war – glaubte sie langsam verrückt zu werden. Wo sollte denn bitte mitten in der Nacht zu ein helles Licht herkommen? Sie konnte sich das ja nur eingebildet haben. Es gab hier natürlich auch Pokémon, aber sie hatte kein noch so leises Geräusch gehört, und das obwohl sie, seit sie ein Evoli war, doch einiges besser hören konnte, das hatte sie bereits gemerkt. Also hatte sie nun auch noch Halluzinationen. Mit einem leisen Seufzer blieb sie stehen und ließ die Ohren hängen, was tat sie hier eigentlich? Sie sollte lieber umkehren und sich bei Shinya entschuldigen. Doch als sie sich gerade umdrehen wollte, erblickte sie vor sich eine hell schimmernde Fläche. Ohne weiter darüber nachzudenken, begab sie sich zu dieser, konnte das etwa was mit dem Licht von eben zu tun haben? Vorsichtig setzte sie einen Schritt nach dem Anderen. Obwohl sie sich in einem, für sie riesigen Wald aufhielt und immer näher auf die leuchtende Fläche zuging, empfand Viviana keinerlei Angst. Ob es an ihrer Neugierde lag oder nicht interessierte sie in diesem Moment aber auch wenig, sie ging einfach immer weiter, bis sie schließlich nur noch einen Sprung weit von dem seltsamen Platz entfernt stehen blieb. Sie befand sich vor einer Lichtung. Das hohe Gras schimmerte weiß und wurde von keinem Blatt unterbrochen. Nur am Rande der Lichtung sah sie die vertrockneten Blätter, die den gesamten Waldboden bedeckten. Das war, im Vergleich zu dem weiß wirkendem Gras, allerdings nur nebensächlich. Schnell merkte Viviana aber, dass es hier ohne Magie zuging. Das, was sie sah, war ganz normales Gras, das im hellen Licht des Mondes weiß zu schimmern schien. Denn nun konnte sie den fast vollen Mond über dem Wald sehen. Und trotzdem wirkte dieser Anblick so magisch, dass das Evoli einen Moment lang inne hielt. „Wie schön.“ Viviana setzte sich hin und schaute auf die Lichtung hinaus. Das sah zwar toll aus, aber wirklich weiter brachte sie das auch nicht. Sie musste zurück zu Shinya, wo auch immer dieser sich gerade aufhielt. Entmutigt ließ sie die Ohren hängen. Auf einmal meinte Viviana ein Geräusch zu hören. Erschrocken schaute sie auf. Der Anblick vor ihr hatte sich nicht verändert, und doch kehrte nun die Angst in sie zurück. Schnell richtete sie sich wieder auf und schaute sich um. Vermutlich war es nur ein Pokémon gewesen, doch was, wenn dieses sie angreifen würde? Viviana lief ein Stück an der Lichtung entlang, doch auf dieser war alles ruhig. „Hallo? Ist da jemand?“ Unsicher schaute sich das Evoli um, doch es blieb nach wie vor alles ruhig. Auch wenn sich langsam aber sicher ihr Fell sträubte, kam sie nicht umher, eine ihrer Pfoten auf das schimmernde Gras zu setzen. Auch wenn sie mittlerweile wusste, woher dieses Schimmern kam, war Viviana noch immer davon fasziniert. Vorsichtig trat sie weiter auf die Lichtung vor. Die paar Sekunden würden jetzt auch nichts mehr ändern, immerhin hatte sie noch die ganze Nacht, um nach Shinya zu suchen. Dies bereute sie aber sofort wieder, als sie auf einmal etwas vor sich erblickte. Sofort versteifte sich ihr Körper und sie war jeden Augenblick zu einer Flucht bereit. Vor ihr stand ein Pokémon, da war sie sich sicher, auch wenn sie noch nie ein solches gesehen hatte. Es schien so, als würde es leuchten, als wäre die Luft um es viel klarer als die restliche hier. Das Fell Evolis sträubte sich, dabei empfand Viviana nicht einmal wirklich Angst. Es kam Viviana wie eine Ewigkeit vor. Sie schaute einfach nur dieses geheimnisvolle Pokémon an, und dieses schien sich keinen Zentimeter zu rühren. Auch wenn sie weiterhin auf der Hut blieb, entspannte sie sich langsam wieder. Das Pokémon hatte ein helles Fell, das zu leuchten schien, allerdings auf eine andere Weise als die Wiese. Einzig seine Pfoten hatten eine braune Farbe. Doch was Viviana besonders ins Auge fiel waren die hellgrünen Blätter, die sich an mehreren Stellen des Pokémon befanden, sie schienen zu ihm zu gehören. Sogar die Ohren und der Schwanz schienen Blätter zu sein, die ebenfalls zu leuchten schienen. Auch wenn Viviana wusste, dass es seltsame Pokémon gab, so war sie in diesem Moment von dem Anblick überwältigt. Ihr schien, als sei das kein normales Pokémon vor ihr. „Wer... wer bist du?“ Schließlich hatte Vivianas Neugierde gesiegt und sie trat sogar noch einen Schritt näher auf das eigenartige Pokémon zu. Die Luft um das Pokémon schien so klar, so rein. Vermutlich war es nur eine Täuschung, genau auch wie das Leuchten, bei der Wiese war es ja genauso gewesen, trotzdem war das Evoli wie in einen Bann gezogen, es vergaß einfach alles andere um sich herum. „Ich habe dich bereits erwartet.“ Die Stimme klang genauso klar wie die Luft um das fremde Pokémon aussah. Sie hatte etwas Fesselndes. Wie gebannt schaute Viviana zu dem größeren Pokémon herauf. „Wir brauchen deine Hilfe.“ Die klaren, braunen Augen schienen Viviana nahezu zu durchbohren. Diese schluckte kurz und nahm dann einiges an Mut zusammen, um überhaupt verständlich antworten zu können. „Ihr?“ Das Pokémon schien nicht zu reagieren, schaute das Evoli einfach nur an. „Ähm, natürlich, wenn ich euch denn helfen kann.“ Langsam aber sicher fragte sich Viviana ob das nicht alles nur ein Scherz war. Wieso sprach dieses Pokémon so seltsam, warum konnte sie es überhaupt verstehen und warum dachte es, dass gerade sie ihnen – wer auch immer damit gemeint war – helfen konnte? „Mein Name ist Folipurba. Ich bin der Schützer dieses Waldes, doch seit kurzem verschwinden hier Pokémon. Du bist hierher gekommen, um etwas daran zu ändern.“ Ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken schaute Folipurba auf Evoli herunter. „Viel Glück.“ „A-aber, ich bin doch gar nicht... Ich...“ Nur kurz hatte Viviana ihren Blick verwirrt von dem anderen Pokémon abgewandt. Doch als sie nun wieder da hin schaute, wo eben noch das mysteriöse Pokémon gestanden hatte, sah sie einfach nur die schimmernde Lichtung. Die Luft schien nicht mehr so frisch, und auch die Lichtung hatte etwas ihrer Magie verloren. Verwirrt drehte sich das Evoli um und lief in den Wald zurück. Was hatte das denn zu bedeuten? Hatte man sie nur ärgern wollen? Aber so hatte dieses Folipurba doch gar nicht gewirkt. Aber sie war nicht hierher gekommen, um irgendwem zu helfen. Sie war doch nur hierher gekommen, weil Shinya hierhin gegangen war. Ohne ihn würde sie vermutlich noch immer zu Hause sitzen. Wieso musste das alles nur ihr passieren? Je weiter Viviana lief, desto mehr hoffte sie, dass das alles nur ein böser Traum war, und sie jeden Augenblick wieder aufwachen würde. Als ein Mensch und in ihrem Zimmer. Der volle Mond verschwand langsam wieder hinter den Wipfeln der Bäume. Kapitel 5: ----------- Durch einen starken Stoß wurde Viviana aus ihrem Schlaf gerissen. Zunächst verwirrt schaute sich das kleine Pokémon um, doch schnell wusste es wieder, warum es hier mitten im Wald auf dem Boden lag. Es dauerte nicht lange, bis sie das Gesicht dieser nervigen Anzu vor sich sah und trotzig aufstand, wo sollte sie jetzt hin? Vorsichtig schaute sie sich um. Noch war es dunkel im Wald, doch die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich bereits einen Weg auf den feuchten Waldboden. Viviana war sich sicher, dass sie von etwas geweckt worden war, denn auch wenn der Boden unbequem schien, in ihrer momentanen Form war er doch erstaunlich gemütlich. War hier also noch jemand? „Hallo?“ Verunsichert, aber auch etwas ängstlich schaute sie sich um. Sie hatte schon viele Geschichten über diesen Wald gehört, was, wenn sie angegriffen wurde? Ihre Unsicherheit hielt jedoch nicht lange an, als es in ihrer Nähe plötzlich in einem Gebüsch raschelte. Es war kein großes Gebüsch, also konnte sich auch nichts sonderlich Großes darin befinden. Nun wurde das Evoli von Neugierde ergriffen und näherte sich langsam. Auf einmal schob sich etwas, was stark an einen Wattebausch erinnerte, aus dem Gestrüpp. Fragend legte Viviana den Kopf schief. Es war klar, dass es sich hierbei um ein Pokémon handelte, doch es gab so viele und sie kannte nur so wenige. Das vor ihr konnte doch alles mögliche sein. Ehe sie sich versah, stand ein Pokémon, das etwas größer als sie selbst war, vor ihr und beäugte sie unschlüssig. Es hatte starke Ähnlichkeiten mit einem Hasen, mal davon abgesehen, dass es wie ein Mensch aufrecht stand. Mit einem Schlag war alle Unsicherheit verschwunden, immerhin wirkte dieses Pokémon weder angriffslustig noch angsteinflößend, eher schien es verwirrt und sogar geängstigt. „Hallo, ich heiße Viviana“, begann das Evoli langsam, nachdem das fremde Pokémon wie erstarrt einfach nur noch vor ihr stand. „Ich werde dir nichts tun, du brauchst keine Angst zu haben.“ Sprach sie dann langsam weiter, in der Hoffnung, so den Anderen beruhigen zu können. „Was? Ich habe doch keine Angst! Ich...“ Es folgte eine kurze Pause, welche Viviana das Gefühl gab, ein trotziges Kind vor sich zu haben. „Hast du vielleicht meine Mama gesehen?“ Mit einem Mal wurden die Augen des noch sehr kindlich wirkenden Pokémons groß und schauten Viviana traurig an. „Deine Mutter? Tut mir leid, aber bis jetzt ist mir erst ein Pokémon über...“ Sie unterbrach sich abrupt selbst. War es das, wovon dieses Folipurba geredet hatte? Hilf uns. „Ist sie etwa verschwunden?“ Das war es, was ihr gesagt worden war, dass hier Pokémon verschwanden, auch wenn sie noch immer nicht verstand, was das mit ihr zu tun hatte. „Ja genau, hast du sie gesehen?“ Für einen kurzen Moment schlich sich ein Schimmern in die Augen des Kleinen, was es Viviana nur noch erschwerte zu antworten. „Gesehen habe ich sie nicht, aber ich helfe dir gerne sie zu suchen.“ Etwas Besseres hatte sie sowieso nicht zu tun, und so einem Kleinen musste man einfach helfen. Und auch wenn sie dieses Folipurba eher als wahnsinnig abstempelte, vielleicht sagte es ja die Wahrheit und Viviana konnte hiernach wieder ein Mensch sein. Vielleicht wollte sich aber auch nur jemand einen Spaß mit ihr erlauben. „Ja? Das ist ja toll.“ Mit einem Schlag verschwand die Trauer von eben und der Kleine sprang freudig auf Viviana zu. „Ich bin Haspiror und du? So ein Pokémon wie dich habe ich hier noch nie gesehen?“ Neugierig musterte Haspiror das kleine Evoli, was dieses zum Schmunzeln brachte. Ein wenig erinnerte sie diese Neugierde an sich selbst. „Ich heiße Viviana und bin ein Evoli, also eigentlich nicht, nur...“ Sie war sich nicht sicher, ob sie sich dem anderen Pokémon anvertrauen sollte, immerhin konnte sie sich vorstellen, wie das rüber kommen würde. „Nicht? Bist du etwa gerade erst geboren worden?“ Fast schon aufgeregt sprang das Haspiror um Viviana herum, den Eindruck erweckend, es wolle spielen. „Ähm, ja genau, so in etwa“, sagte sie dann einfach und entschloss sich dazu, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Sie glaubte sowieso nicht, dass dieses Pokémon ihr weiterhelfen konnte. Schließlich ging das Evoli langsam los, immerhin suchten sie jemanden. Und auch wenn sie nicht wusste, wo sie überhaupt hinging, nur hier herum zu stehen brachte auch nichts. „Wo gehst du hin?“ Trotz der Frage folgte Haspiror ihr, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. „Wir wollen doch deine Mami suchen, oder? Oder weißt du etwa wo sie ist?“ Freundlich schaute sie den Kleinen an, der neben ihr herlief. Wenn er eine bessere Idee hatte, dann würde Viviana ihn gerne anhören. Sie konnte ja nicht ahnen, was als nächstes kam. „Na ja, ich denke ich weiß wo sie ist.“ Etwas betreten schaute Haspiror zu Boden und blieb stehen. „Also, ich glaube... Na ja, dort habe ich sie das letzte Mal gesehen.“ Mit einem Mal wirkte das eben noch so fröhliche Pokémon wieder sehr niedergeschlagen, was Viviana ihm beim besten Willen nicht verübeln konnte. „Mach dir keine Sorgen, wir werden deine Mami schon finden. Bringe mich einfach zu diesem Ort, ja?“ Nach wie vor versuchte Viviana den Kleinen aufzumuntern und so setzte sie auch nun ein leichtes Lächeln auf, während sie Haspiror durch den Wald folgte. Nach einer ganzen Weile, es war bereits später Mittag, erreichten die Beiden eine hölzerne Hütte, die eher einem Geisterhaus ähnelte. Viviana glaubte nicht, dass dort jemand lebte, nicht nur weil das Haus mitten im Wald stand, sondern auch weil es sehr verwahrlost aussah. Kaum war Haspiror stehen geblieben, setzte sich das Evoli hin und rieb seine Pfötchen aneinander. Sie waren recht lange unterwegs gewesen und sehr weit gelaufen, und auch wenn der Waldboden dank des Laubes meistens sehr weich war, schmerzten Vivianas Pfoten. „Hier.“ Sie bemerkte, wie der Kleine etwas näher an sie ran rückte. „Meine Mama und ich hatten hier in der Nähe geschlafen. Irgendwann bin ich aufgewacht und habe mich hier her geschlichen, ich war neugierig.“ Kurz machte das Pokémon eine Pause und schaute Viviana schuldbewusst an. „Ich habe ein Licht in den Fenstern gesehen und Geräusche gehört, doch als ich zu meiner Mama zurück wollte, war sie weg.“ Viviana hatte das Gefühl, dass der Kleine den Tränen nahe war, doch wusste sie nicht, was sie machen sollte. „Ich habe sie die ganze Nacht gesucht, aber nur dich gefunden.“ Mit einem leisen Schniefen schaute er das Evoli an. Dieses glaubte nicht, dass seine Mutter mit Absicht weggelaufen war. Wenn sie ihr Kind gesucht hätte, hätte sie es sicherlich auch gefunden, oder? Schnell schüttelte Viviana den Kopf, um diese Gedanken abzuschütteln. „Du sagst, du hast Licht in den Fenstern gesehen? Ist dieses Haus bewohnt?“ Fragend schaute sie das Haspiror an, das sich nun auch mal hinsetzte. „Eigentlich nicht, nur manchmal kommen Menschen aus der Stadt, aber die leben hier nicht.“ Das Pokémon schaute zur Tür des Hauses, als erwarte es, dass diese sich gleich öffnen würde. „Dann sind wir also in der Nähe von Ewigenau.“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Sie glaubte zumindest nicht, dass sie sich noch in der Nähe von Flori befanden, ihr Heimatort war auch so schon weit genug von dem Wald entfernt. „Sollen wir mal nachschauen?“ Noch während Viviana fragte, stand sie bereits wieder auf und ging in Richtung des Hauses. Vielleicht hatten sie ja Glück. Viviana hatte ein mulmiges Gefühl, als sie sich dem alten Haus näherte, ließ sich aber nichts anmerken. Immerhin wollte sie Haspiror nicht verängstigen, oder zumindest nicht noch mehr. Vor dem Haus wuchs hohes Gras, was das ganze noch verwilderter wirken ließ. Allerdings fiel Viviana auch auf, dass es an einigen Stellen ungewöhnlich platt war, was auf ein paar Pokémon schließen ließ, die hier durchgekommen sein mussten. „Viviana, meinst du, das ist eine gute Idee?“ Fragte Haspiror leise und folgte dem Evoli nur zögerlich. „Du willst doch deine Mama wieder sehen, oder?“ Für einen kurzen Moment blieb das Evoli stehen, drehte sich zu Haspiror und schlenkerte leicht mit seinem Schweif. „Wenn sie wirklich da drinnen ist, dann braucht sie vielleicht unsere Hilfe. Willst du dir später etwa Vorwürfe machen, weil du jetzt gekniffen hast?“ Viviana meinte es nicht böse, aber sie hoffte, dass sie den Kleinen so etwas mehr animieren konnte. Denn egal wie viel Angst Viviana hätte, für ihre Mutter würde sie all ihre Ängste überwinden. „Nein, natürlich nicht!“ Viviana hatte genau das erreicht, was sie hatte erreichen wollen. „Aber... du hast recht.“ Haspiror ließ seine Ohren hängen. „Trotzdem ist hier etwas...“ Auf einmal hörte Viviana ein Geräusch, das hier nicht her gehörte und wurde fast im selben Moment grob zur Seite gestoßen. Sie spürte kleine Zweige und Blätter, die ihren Körper streiften, gleichzeitig breitete sich ein brennender Schmerz auf ihrer linken Wange aus. „Was haben wir denn hier?“ Viviana realisierte nur langsam, was da gerade geschehen war. Erst als sie versuchte, sich wieder aufzurichten, bemerkte sie, dass sie sich inmitten von Gestrüpp befand. Haspiror musste sie hier rein geschubst haben, doch die Stimme, die sie eben gehört hatte, gehörte nicht zu dem kleinen Pokémon. Vorsichtig lugte das Evoli aus seinem Versteck und erblickte einen Mann mit kurzen schwarzen Haaren, in seinen Händen baumelte Haspiror. Viviana wollte ihm helfen, doch wie sollte sie das anstellen? Sie war so klein und hatte vom Kämpfen keine Ahnung, sie war schon zufrieden, dass das mit dem Laufen mittlerweile klappte. Während Viviana gedanklich mit sich selbst rang, erklang plötzlich noch eine zweite Stimme. „Was ist denn, Ken?“ Eine Frau mit schulterlangem roten Haar stand plötzlich in der Tür des alten Hauses und schaute abschätzend auf das Pokémon, das noch immer von dem Mann festgehalten wurde. Irgendwie gefiel das Viviana gar nicht. Allein schon wie die beiden gekleidet waren, ließ eher auf ein paar fiese Diebe schließen, irgendwas war hier oberfaul. „Schau mal, was mir gerade in die Arme gelaufen ist. Meinst du, das bringt uns was?“ Ken drehte sich zu der Frau, so dass sich Viviana eine bessere Sicht auf das ganze Geschehen erlauben konnte. „Was weiß ich.“ Sie klang desinteressiert, und als ob sie das Ganze noch unterstreichen wollte, kaute sie monoton auf einem Kaugummi herum. „Geh damit zu Taylor, ich hab noch was vor.“ Hatte sie sich eben noch an den Türrahmen gelehnt, so stieß sie sich im nächsten Moment von diesem ab und ging an Ken vorbei. Sofort zog sich Viviana in ihr Versteck zurück. Nachdem die Frau verschwunden war, seufzte Ken nicht gerade leise und schaute dann Haspiror an. „Na komm schon.“ Ohne auch nur auf das Pokémon zu achten ging Ken zur Tür. Viviana wollte gar nicht wissen, was darin vor sich ging. „Vivi!“, rief der Kleine noch mit verzweifelter Stimme, ehe er im Dunkeln des Hauses verschwand. Sie musste sich sehr zurückhalten, um den Beiden nicht einfach hinterher zu rennen. Nachdem sich die Tür mit einem dumpfen Geräusch wieder geschlossen hatte, blieb das Evoli noch eine Weile bewegungslos in seinem Versteck sitzen. Sie wusste, dass sie Haspiror irgendwie da raus holen musste, immerhin hatte er sie gerettet, und sie war es ihm einfach schuldig, doch alleine konnte sie das nicht schaffen. In dem Haus befanden sich noch mindestens zwei Leute und die hatten sicherlich auch starke Pokémon bei sich. Ihr fiel nur eine Möglichkeit ein, sie musste Shinya finden, auch wenn das bedeutete, dass sie mit dieser Anzu auskommen musste. Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, machte sie sich schweren Herzens auf die Suche nach ihrem Freund. Dabei hielt sie immer die Augen offen und achtete auf jedes Geräusch, immerhin wusste sie, dass diese Frau hier unterwegs war. Wer wusste schon, was diese Leute wirklich vorhatten, sie war nun auf jeden Fall vorsichtig. Was aber ein wesentlich größeres Problem darstellte, war, dass sie Shinya finden musste, in einem riesigen Wald, in dem sie sich null auskannte. Es war zum Verzweifeln, doch das kleine Pokémon lief einfach immer weiter, ungeachtet der schmerzenden Pfoten, und ungeachtet der Tatsache, dass es nicht wusste, wo es hin lief. Sie glaubte fest daran, dass sie Shinya finden würde. Es war bereits dunkel, als Viviana sich eine kurze Pause gönnte. Erschöpft hatte sie sich niedergelassen, als sie plötzlich etwas hörte. Aufgeschreckt flüchtete sie sich hinter den nächsten Baumstamm, und hoffte, dass es nicht diese Frau war. Im Schutz der Dunkelheit fühlte sie sich einigermaßen sicher und das Geräusch schien nicht näher zu kommen, aber entfernte sich auch nicht. Ab und zu konnte sie eine Stimme hören, die definitiv zu einer Frau gehörte. Obwohl sie eigentlich Shinya suchen wollte, die Neugierde ließ sie näher an die Quelle der Geräusche heranschleichen. Gerade als Viviana ein flackerndes Licht zwischen den Bäumen erblickte, das vermutlich zu einem Lagerfeuer gehörte, verstummten die Geräusche. Nur noch ab und zu war ein metallisch klingender Ton zu hören. Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, schlich aber trotzdem langsam weiter. Das trockene Laub unter ihren Pfoten raschelte bei jedem Schritt, was das Evoli jedes Mal zusammen zucken ließ. Sofort als sie die Flammen erblickte, blieb sie stehen und duckte sich auf den Boden. Sie versuchte noch mehr als das Feuer zu erkennen, doch es war einfach unmöglich. Es wäre ein wahres Wunder gewesen, wenn sie Shinya auf Anhieb gefunden hätte, doch dort vorne konnte sich so gut wie jeder aufhalten, nur eben nicht Shinya. Am Besten wäre es, wenn sie erst einmal einen Bogen um- Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sie gepackt und hochgehoben wurde. Panisch versuchte sie sich aus dem Griff zu befreien, sie wand sich, trat um sich, versuchte nach irgendwas zu schnappen, doch es brachte alles nichts. Vor lauter Panik bemerkte das kleine Pokémon nicht einmal, das es angesprochen wurde. Als sie dann auf den Rücken gedreht wurde, war das Einzige, was sie sah, rotes Haar, was sie noch mehr in Panik geraten ließ. Mit großer Mühe gelang es ihr, der fremden Person in den Arm zu beißen, was Wirkung zeigte. Augenblicklich wurde sie losgelassen und landete unsanft auf dem Boden. Das kümmerte Viviana jedoch recht wenig, sofort sprang sie wieder auf und rannte überstürzt davon. Sie wollte einfach nur weg, sie durfte nicht auch noch gefangen werden genommen, sie konnte Haspiror nicht einfach so im Stich lassen. Erst nachdem sie einige Meter gelaufen war und spürte, dass sie nicht verfolgt wurde, blieb sie stehen und versuchte sich erst einmal zu beruhigen und wieder zu Atem zu kommen. Sie zitterte am ganzen Leibe, und erst jetzt bemerkte sie die Schmerzen, die sich in ihrem Körper ausbreiteten. Kapitel 6: ----------- Als Viviana ihre Augen öffnete, war sie von dicken Nebelschwaden umgeben. Kurz blinzelte sie verwirrt, bis ihr klar wurde, dass sie eingeschlafen sein musste. Dass sie nach dem, was sie am vorherigen Abend erlebt hatte, überhaupt zur Ruhe hatte kommen können, verwunderte sie doch sehr. Doch sie war noch frei, also war ihr niemand gefolgt, oder zumindest hatte sie niemand gefunden. Langsam stand das Evoli auf und schüttelte sich kurz. Die Feuchtigkeit hatte sich in dem blassbraunem Fell abgesetzt, und zum ersten Mal, seit sie sich in diesem Körper befand, spürte sie so etwas wie Kälte. Trotz allem war es kein sehr starkes Gefühl und nachdem sie losgegangen war, verschwand es auch immer schneller. Sie musste noch immer Shinya finden. Der Boden war nun mit feuchten Laub bedeckt, so dass sich das Pokémon fast geräuschlos fortbewegen konnte. Doch wohin sollte sie? Jetzt, in dem dichten Nebel, sah sie noch weniger als bei Nacht. Vermutlich würde erst die Sonne etwas Klarheit in diese trübe Suppe bringen, doch mit einem kurzen Blick zum Himmel wurde klar, dass dies nicht so schnell geschehen würde. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, doch selbst wenn, würde sie hinter einer Wolkendecke verschwinden. Viviana wusste schon, warum sie den Herbst nicht sonderlich mochte, er war nass, kalt und ungemütlich. Ohne es zu merken stellte sich ihr Fell auf, als sie an den immer näher rückenden Winter dachte, der noch mehr Kälte mit sich brachte. Zwar war sie in ihrem neuen Körper nicht mehr ganz so kälteempfindlich, doch das war noch lange kein Grund, den Winter gut zu heißen. Ehe sie noch mehr über das Wetter nachdachte, richtete Viviana ihre Gedanken wieder auf das, was wichtig war. Immerhin hatte sie einen Freund zu retten und konnte sich keine Trödeleien erlauben. Schlimm genug, dass sie gestern einfach so eingeschlafen war. Sie hatte bereits ein kleines Stück zurückgelegt und wusste natürlich wieder mal nicht, wo sie eigentlich hinging. Eine leise Stimme flüsterte ihr zu, dass sie in die Richtung ging, aus der sie gestern gekommen war, was ihr aber auch ganz recht war. Natürlich konnte es dort noch sehr gefährlich sein, doch nun konnte sie sich leiser fortbewegen. Außerdem hatte sie großen Durst, und auch Hunger. Viviana war sich sicher, dass das gestern Menschen gewesen waren. Wenn sie in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen hatten, hatten sie vielleicht auch ein paar Überreste dort gelassen. Im Moment würde das Evoli so ziemlich alles essen, die letzte Mahlzeit war immerhin schon einiges her. Je weiter sie lief, desto vorsichtiger wurde sie, hier musste es doch irgendwo gewesen sein? Sie wusste weder, wie weit sie gestern gerannt war, noch, ob sie nun überhaupt in die richtige Richtung lief. Jemand wie sie sollte nicht alleine im Wald umher laufen. Als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, glaubte sie plötzlich etwas zu hören, das nicht hierher gehörte. Kurz zögerte das Pokémon und atmete tief ein. Fast erschrak sich Viviana über ihr eigenes Verhalten, sie hatte das Gefühl, dass sie sich, je länger sie in diesem Körper war, immer eigenartiger verhielt. Noch während sie sich fragte, was ihr das bringen sollte, stieg ihr der köstliche Duft von Essen in die Nase, irgendjemand kochte hier. Sofort war Viviana gewarnt, schließlich hieß das, dass hier noch jemand war, allerdings überwog ihr Hunger im Augenblick, so dass sie sich langsam der Quelle des Geruches näherte. Durch den Nebel hatte das Pokémon keine sonderlich weite Sicht, so dass es geschah, dass sich vor ihm plötzlich eine kleine Lichtung erstreckte. Hier war der Nebel noch dichter, doch das Evoli war sich sicher, dass sich auf der Wiese jemand befand und glaubte sogar ein Feuer sehen zu können. Zögernd stand das kleine Pokémon nun da, vor ihr gab es etwas zu essen, aber auch einen Menschen, der ihr vermutlich nicht friedlich gesonnen war. Doch nun, da sie schon den Geruch von etwas Essbarem aufgenommen hatte, hatte sie das Gefühl, der Hunger würde sie umbringen. Langsam lief Viviana am Rand der Lichtung entlang und hoffte, dass sie so etwas näher an das Lager heran kam. Schließlich blieb ihr aber nichts anderes übrig, so dass sie sich aus dem Schutz des Waldes löste und durch den Nebel über die Lichtung schlich. Bereits nach wenigen Schritten wurde der Nebel schwächer und das kleine Feuer war nun deutlich zu sehen. Vorsichtig ging Viviana noch ein paar Schritte und ließ sich dann zu Boden sinken. Auch wenn sie sich noch immer im Nebel aufhielt, sie wollte kein noch größeres Risiko eingehen und schaute sich erst einmal alles genauer an. Am Feuer bewegte sich etwas, doch das Pokémon kam gar nicht erst dazu herauszufinden, wer oder was sich dort bewegte. „Wer bist du denn?“ Erschrocken von der plötzlichen Stimme sprang Viviana auf, blieb dann aber wie erstarrt stehen. Die kühle Stimme war von links gekommen und tatsächlich stand dort nun jemand. Das Evoli brauchte gar nicht lange sich zu drehen und war dann doch etwas erleichtert, vor ihr stand ein Pokémon. „Ich heiße Viviana.“ Neugierig musterte sie das fremde Pokémon – es war noch etwas größer als Haspiror und hatte ein blau-schwarzes Fell. Seine gelben Augen schienen das Evoli förmlich zu durchbohren. „Wieso bist du hier?“ Die Frage war so kühl, dass Viviana sich augenblicklich sehr unwohl fühlte und einfach nur weg wollte. Sie hatte diesem Pokémon doch gar nichts getan. „Ich... ich suche nur-“ „Tora! Wo bist du denn?“ Erschrocken von der plötzlichen Stimme schaute Viviana auf und entdeckte einen Schatten, der auf sie zukam. Trotzdem blieb sie nun ruhig stehen, denn sie kannte die Stimme, auch wenn sie sie noch nicht allzu oft gehört hatte, leider nur allzu gut. „Was machst du denn hier? Willst du nicht mit uns frühstücken?“ Mit diesen Worten kam Anzu so nah an die Beiden heran, dass sie auch Evoli erkennen konnte. „Nanu?“ Sobald Viviana sich sicher war, dass es sich hier wirklich um Anzu handelte verlor sie all ihre Furcht und rannte zum Feuer hin. „Shinya! Shinya!“ Sie war sich sicher, dass ihr guter Freund noch bei diesem Mädchen war und sie musste auch gar nicht erst lange suchen. Direkt neben dem Feuer saß der Rothaarige und schaute ein wenig verwirrt wirkend zu dem Evoli, das gerade in vollem Lauf auf ihn zukam. Ehe er sich versah, sprang das Pokémon ihm direkt in die Arme. “Hey!“ Viviana konnte verstehen, dass er so erschrocken reagierte, immerhin war sie doch etwas stürmischer gewesen, als sie gewollt hatte. Doch als der Junge sie sofort wieder von sich stieß, schaute sie ihn verletzt an. Augenblicklich erinnerte sie sich wieder, warum sie eigentlich weggelaufen war und ließ die Ohren hängen. „Was ist nur los mit diesem Pokémon?“ Anzu stand mittlerweile direkt hinter dem kleinen Pokémon und musterte es. Auf ihrem Arm hielt sie Sheinux, das das Evoli ebenfalls nicht aus den Augen ließ. „Sie scheint wirklich böse mit dir zu sein“, lachte das Mädchen leise und setzte ihr Pokémon auf den Boden. Verwirrt schaute Viviana zwischen Shinya, Anzu und dem blauen Pokémon hin und her. „He, Shinya! Ich bin's, Viviana! Warum sollte ich böse mit dir sein?“ Vielleicht war sie weggelaufen, aber doch nicht weil sie böse mit Shinya war. Na ja, vielleicht ja doch, aber daran war doch nur diese Anzu schuld. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er dich versteht?“ Tora, Anzus Sheinux schaute Viviana mit einem schiefen Grinsen an, was diese etwas unsicher werden ließ. „Aber wir sind doch gute Freunde“, unsicher schaute sie zu Shinya hin der mittlerweile aufgestanden war. Mit angelegten Ohren tappste sie auf ihren Freund zu, warum hatte er nur so grob reagiert? „Na wenn du meinst“, hörte sie Tora hinter sich kichern. Dieses Pokémon war ihr einfach nicht sympathisch, auch wenn Viviana ihr das nie zeigen oder gar sagen würde – zumindest nicht, wenn sich auch die andere entsprechend verhielt. „Was ist denn los, du kleines Monster?“ Shinya behielt sie genau im Auge. Bei seinen Worten hätte Viviana am liebsten geschmollt, doch in ihrem neuen Körper gelang dies nicht. Schließlich setzte sie sich einfach hin und legte fragend den Kopf schief. Der Junge seufzte nach einem kurzen Moment einfach nur und ging dann in die Hocke. „Dir kann man wirklich nicht lange böse sein. Aber mach das nicht noch mal.“ Viviana fragte sich, was er damit meinte und blieb lieber noch etwas sitzen. „Vielleicht war es ja nur ein Missverständnis? Immerhin hattest du dich angeschlichen.“ Anzu lachte kurz auf und kramte dann Teller aus ihrem Rucksack. Vorsichtig ging das Evoli auf Shinya zu und wurde auch sofort gestreichelt. Eigentlich hatte sie die Beiden gesucht weil sie Hilfe brauchte, doch sie hatte Hunger, und nun gab es etwas zu essen. Außerdem musste sie irgendetwas Böses getan haben, von dem sie selbst aber nichts wusste. Erst als sie einen Verband um Shinyas Hand entdeckte, ahnte sie, was geschehen sein musste. Schuldbewusst schmiegte sie sich sanft an die verbundene Hand und verfluchte sich dafür, dass der Junge sie nicht verstehen konnte. „Du hast sicher Hunger, oder?“ Glücklicherweise war Shinya kein nachtragender Mensch. Und so bekam sie endlich etwas zu essen, was sie nicht nur schnell runterschlang, weil sie Hunger hatte. Kaum waren auch die anderen fertig lief sie nervös zu ihrem Freund, versuchte ihn Richtung Wald zu schieben, zu ziehen, versuchte irgendwie auf ihr Problem aufmerksam zu machen. „Willst du etwa spielen?“, war das Einzige, was dabei heraus kam. „Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Oder bist du immer so?“ Fragte das sichtlich genervte Sheinux, das es sich vor dem herunter gebrannten Feuer gemütlich gemacht hatte. „In der Nähe sind Diebe, die einen Freund von mir gefangen genommen haben“, antwortete Viviana unruhig. Mittlerweile war sie sich sicher, dass es Diebe sein mussten. „Nur weil jemand ein Pokémon fängt, ist er noch lange kein Dieb“, erwiderte das Pokémon ruhig. „Das meine ich nicht. Er wurde nicht mit einem Pokéball gefangen. Seine Mutter haben die auch.“ Das Evoli fragte sich, warum sie mit diesem Pokémon eigentlich darüber redete, was sollte es daran schon ändern können? „Wo?“ Auf einmal schien Viviana Toras volle Aufmerksamkeit zu haben. „In diese Richtung“, Viviana deutete in die Richtung aus der sie gekommen war. „In einem alten Haus.“ „Dann schau mal zu und lerne.“ Zu sagen, dass Tora arrogant war, wäre untertrieben. Doch wenn sie Shinya und Anzu wirklich verstehen lassen würde, was los war, dann dürfte sie auch arrogant sein. Und tatsächlich, das Pokémon hatte nicht mal eine Minute gebraucht, da waren die Beiden bereit dem Sheinux zu folgen. „Danken kannst du mir später“, war das Einzige was sie von sich gab, als sie an Viviana vorbei in den Wald lief. Anzu folgte ihrem Pokémon, nur knapp hinter ihr Shinya, der das erleichterte Evoli trug. Trotzdem würden sie nicht so schnell dort sein, vor allem nicht, wenn sie sich unterwegs noch verliefen. „Anzu? Wohin bringt uns dein Sheinux eigentlich?“ Fragte Shinya nachdem sie schon eine ganze Weile gelaufen waren. Er wirkte erschöpft, immerhin schleppte er auch noch ein Evoli mit sich herum. „Weiß auch nicht. Vielleicht spürt sie etwas. Eigentlich ist sie sehr ruhig und nicht so aufgedreht.“ Und so liefen sie immer weiter, bis Tora auf einmal stoppte. Aufgeregt schaute sich Viviana um, doch das Haus konnte sie nirgends erblicken. Doch für eine Pause war sie jetzt zu ungeduldig, sie mussten weiter. Kurzerhand befreite sie sich, sprang auf den Boden und lief zu dem Sheinux. „Was ist denn? Warum bist du stehen geblieben?“ Nervös schaute sie sich um und versuchte irgendetwas Ungewöhnliches zu erkennen, aber sie konnte weder etwas hören, sehen noch riechen. „Was soll denn sein? Ich darf doch wohl mal stehen bleiben.“ Tora warf den Kopf nach hinten. Das Evoli glaubte nicht wirklich, dass das der Grund war. Natürlich konnte sie einfach nur eine Pause machen wollen, doch die Sache schien ihr wirklich wichtig gewesen zu sein, und sogar Viviana hatte die Strecke ohne Pause geschafft. „Hey ihr beiden, was habt ihr denn?“ Gerade als Anzu einen Schritt auf die beiden Pokémon zu machen wollte, bewegte sich plötzlich der Boden unter diesen. Viviana spürte nur einen heftigen Ruck und fand sich im nächsten Augenblick gut zwei Meter über dem Boden wieder, umschlossen von einem Netz. Sofort versuchte sie sich panisch aus dem Netz zu befreien, doch es war zwecklos, sie verhedderte sich nur noch mehr. Tora schien ruhiger, doch auch sie versuchte sich frei zu beißen. Es ging alles so schnell, dass weder Anzu noch Shinya reagieren konnten. Evoli hatte es bereits aufgegeben und erst jetzt bemerkte es, dass es sich mittlerweile wesentlich höher über dem Boden befand. Über ihnen flog ein großes, schwarz gelb gestreiftes Pokémon, welches Viviana stark an eine Biene erinnerte. „Hey! Was soll das? Lass uns runter!“ Tora schien weniger verängstigt, eher war sie wütend und zerrte nur noch mehr an dem Netz. Viviana hätte ihr am liebsten gesagt, sie solle aufhören, doch in dem Moment brachte sie keinen Ton heraus. Anscheinend hatte sie doch mehr Höhenangst als gedacht. Noch einige Male fuhr das Sheinux das fremde Pokémon an, ohne eine Antwort zu erhalten und fügte sich dann ihrem Schicksal, zumindest so lange, bis sie zum Landen ansetzten. Viviana hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst, als sie sah, wo genau sie waren. „Ah, Honweisel, was hast du mir denn Schönes mitgebracht?“ Neben einem grünhaarigen Typen stand mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen die Frau, der Viviana gestern schon begegnet war, nun war auch sie eine Gefangene. Außerdem konnte sie sich nun sicher sein, dass es sich hierbei wirklich um Diebe handelte. Während Viviana sich wünschte, dass Shinya hier wäre, um sie zu retten, begann Sheinux sofort wieder an dem Netz herum zu beißen. „Das Sheinux ist wirklich nervig“, war das Einzige was die Frau zu dessen Fluchtversuchen sagte und richtete dann ihre volle Aufmerksamkeit auf Evoli. „Ein Evoli dagegen habe ich hier noch nie gesehen, das ist sicher einiges wert.“ Ihr widerliches Grinsen wurde nur noch breiter. „Taylor, kümmer dich um die beiden.“ Der Mann neben ihr gehorchte aufs Wort und packte das Netz. „Hey! Finger weg! Fass mich nicht an!“ All ihr Ärger schien sich mit einem Mal zu entladen, als auf einmal ein greller Blitz zu sehen war, der auch Viviana nicht verschonte. Als sie wieder zu sich kam, glaubte sie im ersten Augenblick blind zu sein. Es dauerte einige Sekunden, bis sie wieder völlig zu sich gekommen war und sie feststellen musste, dass sie sich in einem dunklen Raum befand. Um genauer zu sein in einem kleinen Käfig in einem dunklen Raum. Sie war sich nicht sicher, was genau passiert war, doch nachdem sie die ganzen anderen Käfige, die neben ihrem in diesem Raum standen, erkennen konnte, war sie sich sicher, dass sie sich im Inneren des alten Hauses befand. Dafür, dass sie in jedem der Käfige einen Schatten ausmachen konnte, war es hier drinnen bedrückend still. „Tora? Bist du hier?“ Fragte Viviana zögerlich und versuchte, sie irgendwo auszumachen. „Was denkst du denn? Wo soll ich denn sonst sein?“ Kam sofort die patzige Antwort von unten, Viviana war trotzdem froh, dass das Sheinux noch bei ihr war. Sie schien direkt in dem Käfig unter dem des Evolis zu sitzen. „Vivi?“ War plötzlich eine Stimme aus dem Nachbarkäfig zu hören, was Evolis Erleichterung nur noch größer werden ließ. „Haspiror? Bist du das?“ Sie steckte ihre Nase durch die Gitterstäbe und wäre am liebsten gleich zu dem Kleinen in den Käfig gekommen. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“ „Ich hatte ja gehofft, dass du uns alle hier raus holen kannst, aber jetzt sitzt du wohl auch hier fest.“ Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören, doch Viviana blieb positiv. „Keine Angst, ich habe Hilfe geholt, jetzt müssen-“ „Jetzt müssen sie uns nur noch finden, was?“ Tora schien ziemlich genervt, Viviana war froh, dass sie ihr nun nicht gegenüber stehen musste. „Natürlich wird Anzu uns finden, aber wir müssen auch etwas tun. Oder willst du hier einfach nur sinnlos rumsitzen?“ „Deine Freundin hat recht, Vivi.“ War Haspiror eben noch niedergeschlagen gewesen, so schien er jetzt der Optimismus in Person zu sein. Viviana konnte sich trotz der Situation ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. „Na gut, aber wie stellt ihr euch das vor?“ Fragte sie wieder etwas vorsichtiger. „Lass das mal meine Sorge sein. Wir müssen nur alle zusammen arbeiten.“ Dafür, dass Tora sonst arrogant wirkte, und auch bei diesen Worten ein arroganter Ton mitschwang, zweifelte Viviana in diesem Moment nicht daran, dass sie eigentlich ein herzensgutes Pokémon war. Kapitel 7: ----------- Es war ruhig. In dem spärlichen Licht, das durch die zugenagelten Fenster fiel, waren die Umrisse der Käfige deutlich zu erkennen. Viviana hatte sich, an Haspirors Käfigstäbe gedrängt, eingerollt und wartete darauf, dass sich die Tür zu dem Raum öffnete. Sie hatten einen Plan und auch wenn sie bezweifelte, dass es funktionieren würde, so mussten sie es einfach versuchen. Die Gitterstäbe waren mit keiner Attacke zu durchbrechen und fingen gleichzeitig alle Attacken ab, die man hätte auf die Gauner richten können. Es würde auf jeden Fall schwierig werden. Als sich die Tür nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete, presste das Evoli seinen Schweif so gut es ging auf seine Ohren. Die dunkle Gestalt trat in den Raum und brachte etwas mehr Licht mit sich. Gerade als sie sich einen der Käfige schnappen wollte, war ein lauter, schmerzender Schrei zu hören. Erschrocken wurde der Käfig fallen gelassen, riss einen Stapel Käfige mit sich, die mit viel Krach auf dem Boden zum Liegen kamen. Viviana taten die Pokémon in den Käfigen leid, doch dies war ihre einzige Chance. Tora war aufgefallen, dass der Käfig zwar sehr stabil, das Schloss aber einfach zu knacken war. Nur kam man aus dem Käfig nicht an das eigene Schloss, zudem standen die Käfige so, dass man auch nicht das Schloss eines anderen Gefangenen erreichen konnte. Nun hatte sich die Situation aber geändert. Der Mann, der sich fluchend den Fuß hielt, schien seinen Fehler jedoch nicht zu bemerken und verließ erst einmal wütend den Raum, nach Taylor schreiend. Das war die Chance. Man hörte, dass sich die Pokémon in den zu Boden gefallenen Käfigen, bereits an die Arbeit gemacht hatten. Auch wenn das Schloss einfach zu knacken war, war doch etwas Geschick und auch Stärke gefragt. Schließlich war ein leises Knacken zu hören und Freude breitete sich im Raum aus, jedoch nur für einen kurzen Moment. Ein Staralili hüpfte aus dem Käfig, unbeholfen mit den Flügeln schlagend. Dieses Pokémon würde kaum ein Schloss knacken können. Viviana wollte es schon aufmunternd anfeuern, doch Sheinux kam ihr zuvor. „Schnell, flieg los! Suche nach zwei Menschen, ein Mädchen mit blauem und ein Junge mit rotem Haar!“ Schon flatterte der Vogel los, und das keine Sekunde zu früh. Kaum war es durch die Tür geflattert, tauchten schon die zwei Männer auf. „So eine Scheiße!“, fluchte Ken weiter, doch Taylor beruhigte ihn. „Es war nur ein Staralili. Lass uns lieber nach den Anderen schauen.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begannen die Beiden damit die Käfige zu überprüfen und trugen daraufhin einen Käfig nach dem anderen nach draußen. Viviana schaute beunruhigt zu. Wenn sie hier weggebracht würden, hätten sie ein Problem. „Wo bringen die uns hin? Viviana?“ Beunruhigt hüpfte Haspiror in seinem Käfig herum und schaute fragend zum Evoli. Niemand hier drinnen konnte wissen, wo sie hingebracht wurden. „Ich... Ich kann es dir nicht sagen. Aber hab keine Angst. Bis sie uns alle hier weggebracht haben, wird Staralili zurück sein.“ Viviana versuchte so beruhigend wie möglich zu klingen und schaute sanft das kleine Pokémon an. „Sind diese Menschen eure Freunde? Deine und Toras?“ Haspiror hatte aufgehört herum zu hüpfen und klang nun mehr neugierig als sonst etwas. (als alles Andere) „Ja, also Shinya ist mein Freund...“ Anzu konnte sie noch immer nicht leiden, aber sie wusste, dass sie nichts gegen ihre Anwesenheit unternehmen konnte. Wohl oder übel musste sich Viviana mit dem Mädchen abfinden und vor allem darauf achten, dass sie sich Shinya nicht weiter nähern konnte. „Wow“, Haspiror schien wirklich beeindruckt. „Meine Mutter sagt mir immer, ich soll mich von Menschen fernhalten. Dann sind nicht alle so wie... diese Menschen?“ Die letzten zwei Worte waren nur ein leises Zischen. „Nein. Solche Menschen sind sogar die Minderheit. Aber es ist gut, wenn du dich von Fremden fernhältst.“ Viviana dachte daran, wie Anzu sie hatte einfangen wollen. „Es gibt genügend Menschen, die wilde Pokémon einfangen. Nicht so wie hier, aber...“ „Ich verstehe schon“, unterbrach Haspiror ihre kurze Pause. „Du wurdest so gefangen, oder?“ Viviana schaute etwas verwirrt zu seinem kleinen Freund und musste dann leise kichern. „Nein, Shinya würde mich niemals einfangen...“ Kurz überlegte Viviana noch, doch sie entschied sich, nichts weiter dazu zu sagen. Sie wusste nicht einmal, ob der Kleine das eben Gesagte verstanden hatte. Dass sie eigentlich ein Mensch war würde sie lieber für sich behalten. Wozu sinnlose Sorge verursachen? Haspiror blieb still, so dass Viviana weiter sprach. „Ich bin mir sicher, dass Shinya kommen und uns befreien wird.“ Bei dem Gedanken an den Jungen lächelte das kleine Pokémon leicht. „Du hältst ja ziemlich viel von ihm, dafür dass du ihn erst seit zwei Tage kennst“, mischte sich Tora ein. Ohne nachzudenken antwortete Viviana. „Wir kennen uns schon viel länger.“ Wie kam Tora auf zwei Tage? Sie kannte die beiden doch kaum. „Letzte Nacht hat er aber etwas anderes erzählt. Er meinte, dass er kurz nach Antritt seiner Reise von dir verfolgt worden war. Der arme Junge war voller Sorge, weil du auf einmal weggelaufen bist.“ In ihrer Stimme lag ein herausfordernder Ton, der Viviana innerlich zusammenzucken ließ. Stimmt ja, als Pokémon kannte Shinya sie erst seit kurzem. „Ähm, ich...“ Viviana wurde aus der Situation gerettet, als plötzlich wieder die beiden Männer durch die Tür kamen und die nächsten Käfige mitnahmen. Das Evoli beobachtete das Geschehen, während ihre Gedanken bei Shinya waren. Die Zeit verging und es wurde langsam immer dunkler im Raum, so dass man noch weniger als ohnehin schon sah. Unter bedrückender Stille war Käfig für Käfig hinausgetragen worden, so dass sich nun nur noch wenige Pokémon im Raum befanden. Als es nun an ihren Käfig ging stand das Evoli, das sich bis eben an Haspirors Gitterstäbe gedrückt hatte, auf und platzierte sich in der Mitte ihres Käfigs. „Vivi!“ Der Kleine wirkte verängstigt und es machte den Eindruck, als würde er jeden Moment losweinen. „Mach dir keine Sorgen, wir werden hier schon rauskommen“, Viviana warf Haspiror ein Lächeln zu welches, kaum wurde sie durch die Tür nach draußen getragen, verblasste. Es dämmerte bereits. Wo blieb Shinya nur? Vor dem kaputten Tor, das auf das Grundstück führte, stand ein kleiner Laster. Neben ihm stand die rothaarige Frau und blickte auf das Evoli. „Du bist ein wahrer Prachtfang.“ Sie grinste das kleine Pokémon an und schaute zu wie Taylor es zu den anderen Käfigen in den Anhänger stellte. „Wann sind wir denn endlich fertig? Es wird gleich dunkel?“ Sie klang genervt und zog ihre Jacke näher an sich. Heute war es wirklich kälter als die vergangenen Tage. „Es sind nur noch ein paar, wenn...“ Er schien noch etwas sagen zu wollen, drehte sich dann aber einfach um und ging wieder rein. Ihm entgegen kam Ken mit dem Käfig, in dem Sheinux saß und lauthals aber trotzdem noch mit einer gewissen Würde meckerte. „Wartet nur bis Anzu hier ist. Ihr werdet es bereuen mich eingesperrt zu haben und um Gnade winseln ihr kleinen -“ Sie wurde unterbrochen, als plötzlich ein krächzen und fast zeitgleich ein metallisches knacken zu hören war. „Tora! Ist dir was passiert?“ Zum ersten Mal war Viviana erleichtert Anzus Stimme zu hören. „Karasu, Staralili! Macht euch daran die anderen Pokémon zu befreien.“ Ein schwarzer Vogel kam in den Anhänger geflogen und begann damit Schloss um Schloss zu knacken. Auch Staralili tauchte auf, doch wirklich helfen konnte es mit seinem kleinen Schnabel nicht. „Danke für deine Hilfe, das hast du wirklich toll gemacht.“ Das Evoli lächelte es dankend an und sprang dann aus dem Wagen. „Was soll das? Hört sofort auf!“ Lizz rief verärgert ihr Honweisel. „Honey, mach sie fertig!“ Das Bienenpokémon begann sofort heftig mit seinen Flügeln zu schlagen. „Tora!“ Mehr brauchte Anzu auch nicht zu sagen, damit ihr Pokémon in Position ging. Es begann sich aufzuladen. „Mit dir habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen. Das ist für vorhin!“ Es entlud die gesamte Elektrizität auf dem Honweisel, das keine Chance zum Ausweichen hatte und sofort K.O. ging. Evoli stand einfach nur da und schaute, obwohl sie diese Kämpfe eigentlich nicht mochte, fasziniert zu. „Vivi!“ Shinya lief auf das Evoli zu und hob es vorsichtig hoch. „Alles Okay? Ist dir was passiert?“ Sie war so froh, dass er endlich da war. Kurz rieb sie ihren Kopf an dem Jungen, dann sprang sie von dessen Armen. Sie musste zu Haspiror, denn er war noch immer im Haus. Sie lief an Ken, der erst jetzt zu verstehen schien, was hier vor sich ging, vorbei in das alte Gebäude, Shinya dicht hinter sich. „Lizz, überlass die mir.“ Der schwarzhaarige schien auf einmal völlig in seinem Element zu sein. „Los Hippo!“ Ein wahrer Riese erschien vor Tora und ging sofort in den Angriff über, indem er nach dem kleinen Pokémon zu schnappen begann. Viviana bekam nur noch mit, wie Anzu ihr Pliprin rief, ehe sie wieder im Inneren des Hauses verschwand. Sie hatte vergessen, wie dunkel es hier drinnen war, so dass sie einen Augenblick blind weiter rannte - ein Fehler. Das Evoli konnte gerade noch den Käfig vor sich sehen, als es von der Seite einen Stoß abbekam und unter einem Keuchen gegen die hölzerne Wand des Hauses geschleudert wurde. Es blieb regungslos liegen. „Evoli! Na warte, das wirst du bereuen. Bummelz, komm raus!“ Das kleine Faultier erschien und wirkte sogar einigermaßen munter. „Setz Kratzer ein!“ Ein verächtliches Geräusch war zu hören, es kam von Taylor, der hinter dem Käfig stand. „Willst du mich verarschen? Bamelin, weich aus und greif es mit Aquaknarre an!“ Das Meereswiesel wich mit einer schnellen Bewegung aus und griff noch im Sprung an. Bummelz hatte keine Chance. Langsam kam Viviana wieder zu sich, ihr Rücken schmerzte und sie zitterte, doch ansonsten schien ihr nichts passiert zu sein. Sie hörte Shinya nach seinem Bummelz rufen und sprang, die Schmerzen ignorierend, sofort auf und rannte zu ihrem Freund um sich vor ihn zu stellen. „Wie kannst du es wagen, seinem Pokémon etwas zu tun?“ Ungeachtet der Tatsache, dass sie keinerlei Kampferfahrungen hatte, stürmte sie auf das Bamelin zu, versuchte es trotz seiner Ausweichmanöver zu beißen und wich selbst dessen Angriffen aus. Dies ging eine Weile so, bis es ihr tatsächlich gelang sich in einen von Bamelins Schwänzen zu verbeißen. Kurz wurde sie herumgeschleudert, ehe sie den Halt verlor und nach einem schnellen Flug durch die Luft vor Shinyas Füßen landete. „Vivi!“ Ertönte es zeitgleich von Shinya und Haspiror. Der kleine Hase sprang gegen seine Gitterstäbe, konnte diese aber nicht durchbrechen. „Junge, es wär besser wenn du von hier verschwindest, du hast hier nichts zu suchen.“ Taylor schien nicht kämpfen zu wollen, doch Shinya ließ sich, trotz der Tatsache, dass er dem Mann völlig schutzlos gegenüberstand, nicht einschüchtern. „Ich lasse nicht zu, dass ihr einfach so diese Pokémon einsperrt!“ Er hob Evoli auf und nahm es schützend in den Arm, als Bamelin zum Angriff ansetzte. „Tztz, alles muss man hier selbst machen.“ Viviana sah, wie Tora fast schon zu langsam zu ihnen stolzierte und dabei Elektrizität um sich sammelte. Noch bevor Bamelin seinen Angriff zu Ende führen konnte, wurde es von dem Stromschlag vernichtend besiegt. „Fuck!“ Taylor rief sein Pokémon zurück und eilte völlig überstürzt nach draußen. Viviana hoffte, dass er nicht einfach so entkam. „Danke Tora, das war wirklich in letzter Sekunde“, bedankte sich Shinya und machte sich daran, nachdem er Viviana abgesetzt und sein besiegtes Bummelz zurückgerufen hatte, die im Raum verbliebenen Käfige zu öffnen. Ein Pokémon nach dem anderen verließ fluchtartig den Raum. Evoli hatte sich hingesetzt und wartete darauf, dass die Schmerzen etwas nachließen. Zumindest hatten sich ihre Pfoten mittlerweile ein wenig erholt. Tora blieb neben ihr stehen und schaute sie abschätzend an. „Nun, ich denke du hast dein Bestes gegeben.“ So wie sie es sagte, waren diese Worte sehr negativ belastet, trotzdem ging Viviana nicht weiter darauf ein. Sie stritt ohnehin schon sehr ungern, doch im Augenblick hatte sie nicht mal mehr wirklich Kraft dazu, sich zu ärgern. „Danke für deine Hilfe“, murmelte sie fast schon und schaute nur vor sich auf den Boden. „Kein Ding. Ich mag dich zwar nicht wirklich, aber wir sind jetzt in einem Team, und da hilft man sich gegenseitig.“ Als würde sie ihre Arroganz unterstreichen wollen, drehte sich Tora nach diesen Worten um und ging hinaus. Viviana wartete noch, bis Shinya fertig war und verließ dann mit diesem ebenfalls das Gebäude. Als Viviana nach draußen trat, atmete sie tief ein. Die Dämmerung hatte sich bereits über den Wald gelegt, allerdings war es wärmer als am Morgen. Ihr Körper schmerzte bei jeder noch so kleinen Bewegung, doch sie war froh, dass es nun vorbei war. Anzu hatte den Grünhaarigen abgefangen und so wie seine beiden Kollegen ebenfalls K.O. geschlagen. Kurz verblieb Vivianas Blick auf dem Pokémon, das neben dem Mädchen stand. Dieses Pliprin musste ziemlich stark sein, immerhin hatte es nicht nur die drei Gauner, sondern auch das Hippoterus besiegt. Zum ersten Mal war Viviana froh darüber, dass sie Anzu bei sich hatten. Ohne sie hätten sie nichts ausrichten können. Trotzdem wäre es ihr lieber, wenn jemand anderes, den sie leiden konnte, bei ihnen wäre - oder Shinya alleine stark genug wäre. Gemeinsam schleppten die beiden Menschen die Diebe zu deren Kleinlaster und fesselten sie mit einem Seil, das dort herumlag. „Ich habe schon die Polizei in Ewigenau informiert, aber die werden erst morgen jemanden schicken können. Bis dahin wird das hier hoffentlich halten.“ Mit diesen Worten und einem kurzen Nicken zu den Gefesselten verschloss Anzu die Plane des Wagens. Das Evoli hatte sich währenddessen im weichen Laub niedergelassen und dem Treiben der Beiden zugeschaut. Sie war froh, dass diese Mistkerle ihre gerechte Strafe bekommen würden. „Vivi?“ Sie schaute auf und erblickte Haspiror, neben ihm ein elegant wirkendes Pokémon. „Danke, dass du mich und meine Mutter wieder zusammengebracht hast!“ Nun musste der Kleine doch weinen und Viviana lächelte ihn an. Sie war so glücklich, dass sie helfen konnte und dass der Kleine nun auch wieder in guten Händen war. „Und hör ab sofort auf das, was deine Mutter dir sagt“, verabschiedete sie sich, als die Beiden im Unterholz verschwanden. Sie schienen den anwesenden Menschen nicht zu trauen, das war aber auch verständlich nach dem was geschehen war. Dennoch war sie ein wenig traurig darüber, dass sie Haspiror gerade vermutlich zum letzten Mal gesehen hatte. Nachdem sie den Kleinen nicht mehr hören konnte, richtete Viviana ihre Aufmerksamkeit auf die beiden anderen Pokémon Anzus. Ob diese auch so arrogant waren? Zumindest waren sie ein eingespieltes Team. Auch wenn sie es nicht zugeben mochte, vielleicht war es ganz gut, dass Anzu bei Shinya war. Zumindest so lange bis dieser alleine zurecht kam. Sie seufzte und ihr Blick fiel auf Sheinux, welches das Evoli fixierte. Viviana fühlte sich unwohl und erwiderte den Blick daher nur sehr kurz. Glücklicherweise kam in dem Augenblick Shinya zu ihr und zum ersten Mal war sie wirklich froh darüber, dass er sie hochhob. „Ist alles okay? Du hast ziemlich viel abbekommen.“ Er strich dem kleinen Pokémon sanft über den Kopf. „Danke dass du mir geholfen hast, das war wirklich mutig von dir.“ Der Junge lächelte und alleine dafür hatten sich die ganzen Strapazen gelohnt. Trotzdem tat ihr im Moment alles weh und sie wollte sich einfach nur ausruhen. Mittlerweile hatte sich der Himmel über ihnen verdunkelt und die ersten Sterne wurden sichtbar. Sie schlugen ihr Lager nicht weit vom Haus auf und entfachten ein Feuer um etwas zu essen zu kochen. Natürlich hätten sie auch in dem Haus schlafen können, aber nach den heutigen Vorkommnissen war niemandem so wirklich danach in diesem Gebäude zu übernachten. Viviana hatte sich auf Shinyas Schoß eingerollt und ließ sich streicheln. Je länger sie sich in diesem Körper befand, desto eigenartiger wurde ihr Verhalten. Hatte sie es anfangs gehasst so angefasst zu werden, so genoss sie nun die angenehmen Berührungen auf ihrem schmerzenden Körper. Gegenüber des Jungen saß Anzu - auf ihrem Schoß Tora, die zu schlafen schien. Neben ihr hatte sich ihr Pliprin niedergelassen. Ihr Kramurx hüpfte etwas abseits durch das trockene Laub und schien nach etwas zu suchen. Während Viviana regungslos dalag, ruhte ihr Blick auf dem alten Haus. Sicherlich galt es als Geisterhaus, doch das einzige Grauen, das sie mit diesem Gebäude verband, war das, welches sie selbst dort erlebt hatte. „Du und deine Pokémon seid ein starkes Team“, diese Worte der Bewunderung holten Viviana wieder in die Gegenwart zurück und sie richtete ihren Blick auf das lodernde Feuer. Langsam aber sicher stieg der Duft des Essens in ihre Nase und ließ dem Evoli das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Danke“ Anzu grinste und strich sich eine ihrer blauen Strähnen aus dem Gesicht. „Du wirst sicher auch mal so stark sein.“ Ihre Worte klangen mehr ironisch als ernst gemeint, doch Shinya nickte nur freudig. Anzu hatte den Jungen gar nicht verdient. Hoffentlich würden sich ihre Wege in Ewigenau wieder trennen. Dann müsste Shinya eben sehr schnell stärker werden. Zur Not würde sie auch selbst kämpfen, wenn das hieß, dass sie wieder alleine sein könnten. Viviana schnaufte und vergrub ihr Gesicht in Shinyas Schoß. „Wie geht es deinem Bummelz?“ Obwohl sie immer noch etwas stichelnd klang, war Anzu nun schon viel ernster. „Ich glaube es hat nicht so viel abbekommen. Trotzdem sollte ich mit ihm und auch mit Vivi in ein Pokécenter gehen, wenn wir Ewigenau erreicht haben. Dann kann auch noch mal nach ihren Pfoten geschaut werden.“ Sanft strich er über die durchgelaufenen Verbände und seufzte kurz. „Du solltest dich doch schonen - und jetzt bist du doch so viel gelaufen.“ Sprach Shinya nun das Evoli an. Er strich Viviana über den Rücken, wobei es leicht zusammenzuckte. Vermutlich würde sie morgen ein paar blaue Flecken haben. Dann begann der Junge die alten Verbände zu entfernen, ihre nicht mehr ganz so wunden Pfoten mit einer Salbe einzureiben und neue Verbände anzulegen. Mit einem leichten Seufzer schloss Viviana ihre Augen und genoss die angenehmen Berührungen, während sie auf ihre Mahlzeit wartete. „Shinya, warum hast du deinem Bummelz eigentlich keinen Namen gegeben?“ Unterbrach Anzu schließlich die entstandene Stille. „Wieso? Es heißt doch Bummelz.“ Fragend schaute Shinya das Mädchen an, er schien mit dem Namen völlig zufrieden zu sein. „Aber jedes Bummelz heißt doch so. Ein Name stärkt das Band zwischen Trainer und Pokémon. Es wird es dir danken, glaub mir.“ „Ich weiß doch gar nicht wie ich es nennen sollte.“ Der Junge war nachdenklich geworden, jedoch war er nicht sehr kreativ veranlagt. Auch Anzu schien kurz zu überlegen. „Es ist sicherlich ein sehr friedliches Pokémon“, überlegte das Mädchen laut, „dann nenn es doch Benjiro.“ Shinya schaute sie einen Moment nachdenklich an und lächelte dann. „Ich werde es mir überlegen.“ Viviana hatte dieses Gespräch nur unbewusst mitbekommen. Nachdem sie ihre Augen geschlossen hatte, bemerkte sie, dass sie erschöpfter war, als sie gedacht hatte. Das Murmeln der beiden Menschen und das Knistern des Feuers hörte das Evoli nur noch gedämpft, der leckere Geruch und die sanften Berührungen ließen das kleine Pokémon schließlich in die Welt der Träume sinken. Kapitel 8: ----------- Viviana wurde schlagartig von einem lauten Motorengeräusch und dem immer näher kommenden Rascheln des Laubes geweckt. Augenblicklich sprang sie auf, verlor dann jedoch den Halt und kullerte von Shinyas Schlafsack, in dem dieser friedlich weiterschlief. Ihre Füße schmerzten nach wie vor - wenn auch nicht mehr so stark. So wie ihr Rücken und geradezu jeder Muskel, den sie gestern irgendwie hatte nutzen müssen. Verärgert darüber, dass der Morgen schon so schlecht begann, richtete sie sich wieder auf und bemerkte erst jetzt den verachtenden Blick auf sich. „Du bist eine Schande für alle Pokémon.“ Tora saß vor Anzus leerem Schlafsack. Das Mädchen war gerade dabei sich ihre Jacke überzuziehen. Die Dämmerung schien gerade erst angebrochen und die Luft noch kälter als während der vergangenen Tage zu sein. Das Feuer brannte nicht mehr, sodass es nichts gab an dem man sich hätte wärmen können. Viviana war froh, dass sie ihr dichtes Fell hatte, welches sie nun warm hielt. Sie versuchte Toras Kommentar und den Blick ihrer stechend gelben Augen, der nach wie vor auf das Evoli gerichtet war, zu ignorieren so gut es ging. Hinter Viviana bewegte sich nun auch Shinya, der ebenfalls von den Geräuschen des näher kommenden Wagens wach geworden war. Freudig drehte sich das Evoli um und musste für einen Moment den Drang unterdrücken, dem Jungen zur Begrüßung übers Gesicht zu schlecken, was war nur los mit ihr? Stattdessen stupste sie einfach mit ihrer Nase gegen die des Jungen, woraufhin dieser Viviana gut gelaunt begrüßte, aufstand und sich ebenfalls eine Jacke überzog. Als der weiße Van vorfuhr, ging Shinya zu diesem und Viviana folgte ihm auf den Schritt. Die Tür öffnete sich und eine junge Frau mit schulterlangem, blauem Haar stieg aus. Ehe sie ein Wort sagte öffnete sie die Hecktür des Autos aus der Augenblicklich ein Arkani sprang. Viviana kannte dieses Pokémon, da es oft von der Polizei eingesetzt wurde. Es war so wunderschön und stark zugleich, dass sich etwas Ehrfurcht in Viviana ausbreitete. Erst dann wandte sich die Frau der kleinen Gruppe zu. „Hallo, ich bin Officer Rocky, habt ihr gestern Abend die Polizei gerufen?“ Sie ließ ihren Blick kurz von Anzu über Sheinux zu Shinya und dem Evoli, das dicht an dessen Bein stand, wieder zurück zu dem Mädchen schweifen. „Ja genau, ich bin Anzu Kirai. Wir haben die Drei in ihrem Laster da eingesperrt.“ Sie deutete auf den schwarzen Wagen, der nur einige Meter weiter stand. Die Polizistin nickte kurz und ging dann zu dem Kleinlaster, dicht gefolgt von ihrem anmutigen Pokémon. Als die Beiden die noch schlafenden Gauner aus dem Wagen zerrten, verspürte Viviana ein Gefühl der Genugtuung. Zugleich war sie aber auch glücklich darüber, dass sie den Pokémon im Wald hatte helfen können. „Ich danke euch, diese drei werden schon seit einiger Zeit von uns gesucht“, bedankte Rocky sich. „Kann ich euch noch irgendwohin mitnehmen?“ Sie hatte gerade die Hecktür verschlossen, die Diebe so mit dem Arkani eingesperrt und stand nun vor Anzu und Shinya. „Danke für das Angebot, aber wir gehen lieber zu Fuß weiter.“ Der Junge lächelte breit. Rocky nickte nur und verabschiedete sich dann freundlich von der kleinen Gruppe. Mit viel Lärm verschwand der weiße Van genauso schnell wieder, wie er gekommen war. Viviana schaute ihm nach, bis er nur noch zu hören war und blickte dann noch mal zu dem alten Haus. Es stand in Nebel gehüllt da, doch wirkte es kein bisschen bedrohlich. Ihr Blick wanderte weiter zu dem schwarzen Kleinlaster, ob ihn jemand abholen würde? „Hey Langohr, bist du da angewachsen oder was?“ Als Viviana sich umdrehte stand Tora vor ihr. Ihre gelben, stechenden Augen schienen das Evoli förmlich zu durchbohren. „Tora, warum bist du so gemein zu mir?“ Vivianas Stimme klang leise. Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Gestern hatten sie sich doch noch einigermaßen verstanden, aber seit heute Morgen war sie nur noch fies. „Ich mag einfach nur keine Schwächlinge!“ Hatte sie das Evoli gestern nicht noch für ihren Einsatz gelobt? Und was war aus dem 'Wir sind jetzt ein Team' geworden? Diese Gedanken schossen Viviana augenblicklich durch den Kopf, doch sie sagte nichts. „Außerdem magst du Anzu nicht“, fuhr es nach einer Pause, in der es zu überlegen schien, fort. Das Evoli fühlte sich ertappt. „Ich mag es gar nicht, wenn man was gegen meine Freunde sagt.“ Tora hatte Recht. Viviana war es gar nicht aufgefallen, aber sie mochte Anzu nicht, weil sie ihr unsympathisch war. Genauso konnte es auch bei Tora der Fall sein. Sie konnte keine Freundlichkeit von dem Pokémon erwarten, wenn sie selbst mit schlechtem Beispiel voran ging. Verunsichert schaute sie an dem Sheinux vorbei, das sie noch immer anschaute, und lief dann einfach zu Shinya, der gerade seinen Rucksack schloss. „Na du?“ Er lächelte das Pokémon an und zog dann seinen Rucksack auf. Auch Anzu war bereits fertig, so dass sie langsam losgingen. Das Mädchen rief ihr Sheinux zurück, wofür Viviana ihr sehr dankbar war. Sie wusste nicht, wie sie nun mit dem Pokémon umgehen sollte. „Evoli scheint ja wieder bei Kräften zu sein“, merkte Anzu mit einem Blick auf das kleine Pokémon an. „Scheint so, zum Glück.“ Shinya schien wirklich erleichtert. Wenn die Beiden nur wüssten, was ihr alles schmerzte. Aber sie war wohl auf, da hatten sie Recht und darüber war sie auch froh. Es wäre schrecklich, wenn sie eine noch größere Last für ihren Freund darstellen würde. Und auch wenn ihr jeder einzelne Muskel schmerzte, heute würde sie den Weg alleine schaffen, ohne getragen werden zu müssen. Irgendwo hatte Sheinux ja recht, sie war schwach. Aber für Shinya würde sie stärker werden, schließlich wollte sie den Jungen beschützen. Sie waren seit gut einer Stunde in einem gemütlichen Tempo unterwegs und folgten dem Weg, den Officer Rocky mit ihrem Wagen gekommen war. Viviana hatte sich mittlerweile an die Schmerzen gewöhnt. Vielleicht waren sie auch einfach nur nicht mehr so schlimm wie noch am Morgen. Auf jeden Fall konnte sie ohne Probleme neben Shinya her laufen. Dieser schaute jedoch nur selten zu dem kleinen Pokémon herunter, da er sich mit Anzu unterhielt. Viviana hörte nur mit halbem Ohr zu, da es nur um das Trainerdasein ging. Sie hatte mitbekommen, dass der Junge sich gerne noch ein Pokémon fangen würde, bevor sie in Ewigenau ankamen. Das Evoli machte sich allerdings keine weiteren Gedanken darüber. Sie tapste munter neben ihrem Freund her und schaute sich aufmerksam um. Der Wald wirkte nach wie vor unbewohnt und es befanden sich immer weniger Blätter an den hohen Bäumen. Am Himmel zogen sich dichte Wolken zusammen, die ein Unwetter ankündigten. Im Augenblick stand die Luft still, aber Vivianas Vorahnung verstärkte sich, je weiter sie gingen und wie näher die fast schwarzen Wolken kamen. Sie hatte die Hoffnung, dass sie die Stadt oder zumindest einen Unterschlupf erreichten, ehe was auch immer sich da zusammenbraute losging. Regen war nur dann schön, wenn man ihm zuschauen konnte, ohne selbst nass zu werden. Viviana wurde von ihren Gedanken abgelenkt, als sie auf einmal ein leises Rascheln hörte. Es kam aus einem Gebüsch vor ihnen und sie glaubte kurz etwas orangefarbenes gesehen zu haben. Ihre Neugierde war geweckt. Kurz schaute sie zu den beiden Menschen auf, die sich noch immer unterhielten und nichts gehört zu haben schienen. Als sie an dem Busch vorbeigingen, blieb das Evoli einfach stehen - sie wollte nur kurz nachschauen. Die Beiden würden ihr Verschwinden sicher nicht bemerken, so schnell würde sie wieder bei ihnen sein. Nachdem die beiden Menschen ein Stück weiter gegangen waren, steckte Viviana neugierig ihren Kopf durch die dünnen Zweige und Blätter des Gestrüpps. Bevor sie irgendetwas erkennen konnte, bekam sie einen Stoß ab und purzelte rückwärts auf den Weg zurück. „Aua!“ Das Evoli richtete sich wieder auf und schaute verdutzt den Busch an. „Hallo? Ich tu dir nichts.“ Vorsichtig näherte sie sich erneut. Was mochte sich nur darin verstecken? Plötzlich sprang etwas goldenes aus dem Busch hervor und auf Viviana zu. Erneut fiel sie zu Boden, über ihr stand ein Vulpix. Genauso wie Arkani kannte sie auch dieses Pokémon sehr gut. Es war so hübsch und seine Entwicklung war wunderschön. Doch dieses Vulpix sah anders aus, es hatte nicht die übliche Färbung. Sein Fell glänzte in einem bezaubernden Goldton. Die Pfoten, die sechs Schwänze, wie auch die Tolle auf seinem Kopf waren orange-braun und seine Augen waren hellbraun. Nur der Bauch hatte die normale Weißfärbung. „Ein Evoli?“ Kurz schien das größere Pokémon verwirrt, doch dann sprang es zurück und ließ Viviana sich erneut aufrichten. „Tut mir leid, ich dachte du gehörst zu dieser Diebesbande.“ Es setzte sich hin und schleckte sich die rechte Vorderpfote. „Mein Name ist Pixi.“ Ihre hellen Augen ruhten auf dem Evoli. „Ich heiße Viviana“, stellte auch sie sich vor, „und vor diesen Dieben brauchst du keine Angst mehr zu haben, die wurden festgenommen.“ Sie lächelte und war fast ein bisschen stolz über ihre Worte. „Festgenommen?“ Pixi unterbrach ihre Körperpflege und schaute das Evoli aufmerksam und fragend zugleich an. „Genau, mein Freund und ich haben sie besiegt und die Polizei hat sie mitgenommen.“ Kurz zögerte sie - hatte sie jetzt zu viel gesagt? Pixi kniff die Augen zusammen. „Also ich bin mit zwei Menschen unterwegs“, ergänzte sie schnell aber unsicher. Dies dürfte Erklärung genug sein. „Dann waren das die Beiden, die ich eben gesehen hatte.“ Es war viel mehr eine Feststellung, als eine Frage. „Und du? Ein Evoli ist eher untypisch für diese Gegend. Kommt ihr von weit her?“ Obwohl sie so viele Fragen stellte, wirkte Pixi eher desinteressiert. „Nein, wir kommen aus Flori, also...“ Das Vulpix hob eine Braue. „Ich meine Shinya ist dort gestartet und ich habe mich ihm angeschlossen.“ Das Evoli hasste sich für sein Gestotter. „Bist du ein Pokémon?“ Was sollte diese Frage denn? Das war doch offensichtlich. Viviana schaute das Pokémon einfach nur an. „Haha, entschuldige die Frage.“ Es kicherte kurz und stand dann auf. „Vergiss es einfach.“ Die beiden Pokémon schauten sich einfach nur an, als es Viviana auffiel. Vulpix war ebenfalls kein Pokémon, das üblich für diese Region war. Das hatte sie als kleines Kind immer sehr schade gefunden, da sie Vulpix so schön fand. „Und du?“ Stellte Viviana die Gegenfrage. Hatte hinter dieser Frage mehr als nur ein Scherz gesteckt? Sie waren beide Pokémon aus einer anderen Region, die eine ungewöhnliche Fellfärbung hatten. Bei sich selbst war sie sich zwar unsicher gewesen, da sie schon lange keine Bilder mehr von einem Evoli gesehen hatte, aber bei dem Vulpix war sie sich sicher. Erneut schauten sie sich nur an, ohne dass einer etwas sagte. Konnte sie sich Pixi anvertrauen? Irgendwie fühlte sie sich sicher bei ihr. „Ich habe gehört, dass es Menschen gibt, die sich plötzlich in Pokémon verwandeln, deswegen meine Frage... Ist mir so rausgerutscht“, fügte sie kleinlaut hinzu. Viviana fühlte sich mit einem Mal sehr aufgeregt. „Kennst du solche Menschen?“ Platzte es aus dem Evoli heraus. Vielleicht konnte dieses Pokémon ihr helfen, wenn es mehr darüber wusste. Pixi musterte sie eine Weile und schien zu überlegen. „Aber verrate es niemandem“, das Vulpix setzte sich wieder und sprach nach einem zögerlichen Nicken Vivianas weiter. „Ich suche nach solchen Pokémon, nun ja, weil mir selbst dieses Schicksal widerfahren ist.“ Pixi hatte kaum ihren Satz beendet, da sprang Viviana bereits in die Luft. Sie war so glücklich. Das erste Mal, seitdem sie in diesem Körper steckte, fühlte sie sich nicht völlig verloren. Da war jemand, der das Gleiche durchmachte wie sie, der sie verstehen konnte, dem sie alles problemlos anvertrauen konnte, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Das Vulpix sah so aus, als ob es etwas sagen wollte, doch da es nur schweigend Viviana anschaute, ergriff diese schließlich das Wort. „Ich bin so glücklich. Also eigentlich ist das nichts, weswegen man sich freuen sollte.“ Sie nahm sich schnell zurück, da sie Pixis Gefühle nicht mit ihren Äußerungen verletzen wollte. „Sorry, ich bin nur froh, dass ich nicht die Einzige bin.“ Konnte man so großes Glück haben? Oder waren viele Pokémon einmal Menschen gewesen? „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ Pixi schaute das Evoli ernst an und ließ es dadurch innerlich zusammenzucken. War das etwa so rübergekommen? „Nein! Ich... es tut mir-“ „Ich mach doch nur Spaß“, unterbrach das Vulpix ihr Gestotter lachend - wurde dann aber wieder ernst. „Wie kommst du zurecht? Wie lange bist du schon so?“ Ihre braunen Augen ruhten auf dem Evoli, das etwas über Pixis Scherz schmollte. „Seit vier Tagen, glaube ich“, sie war froh, dass sie nun mit jemandem reden konnte, auch wenn das eigentlich nicht ihre Art war. „Es ist ätzend, aber ich versuche das Beste draus zu machen.“ Ganz so schlimm war es vielleicht nicht, trotzdem wäre sie lieber ein Mensch geblieben. Ihre Gedanken wanderten zu Shinya und sie musste die Tränen unterdrücken. Es war sehr wohl schlimm, die meiste Zeit unterdrückte Viviana einfach nur diese Gedanken. „Hey“, wollte Pixi sie mit sanfter Stimme beruhigen und tapste langsam auf das kleinere Evoli zu. Nachdem sie diesem kurz über die Stirn geschleckt hatte, setzte sie sich neben das überrascht schauende Pokémon. „Was ist dein sehnlichster Wunsch?“ Viviana dachte daran wieder ein Mensch zu sein, gab aber dennoch eine andere Antwort. „Ich möchte, dass Shinya glücklich wird und sein Ziel erreicht“, erwiderte sie ohne aufzusehen. „War Shinya dein Freund? Weiß er, was mit dir passiert ist?“ Pixi stellte viele Fragen, was Viviana aber nicht störte. Vielleicht würde es ihr besser gehen, wenn sie über alles sprach. Immerhin trug sie das ganze schon ein paar Tage mit sich herum und es belastete sie nicht gerade wenig. Leise begann das Evoli zu erzählen. „Wir sind seit Kindergartenzeiten miteinander befreundet. Shinya wollte schon immer Pokémontrainer werden. Vor kurzem hat er dann ein Pokémon geschenkt bekommen und wollte gleich am nächsten Tag los. Das kam alles sehr schnell. Hätte ich mitgewollt, hätte ich mich am nächsten Morgen mit ihm treffen können - er mag Abschiede nicht so. Natürlich wollte ich mit ihm gehen, doch als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich... so.“ Sie hob eine Pfote hoch und ließ die Ohren hängen. „Tut mir leid, dass ich dich damit vollquatsche“, ein leises Schniefen war zu hören. „Sei nicht traurig.“ Das weiche Pokémon schmiegte sich an Viviana. Wäre sie noch ein Mensch gewesen, hätte sie das Vulpix vermutlich fest in die Arme geschlossen, doch jetzt genoss sie einfach nur die Nähe. „Wenn du magst kann ich bei dir bleiben und dir ein paar Tipps geben.“ Pixi lächelte das Evoli aufmunternd an. „Danke. Aber warum bist du so nett zu mir?“, fragte Viviana nach einer kurzen Pause. Ob sie auch einfach nur nach Gleichgesinnten suchte? „Weißt du was ich mir wünsche? Dass ich all den zu Pokémon gewordenen Menschen helfen kann, wieder ihre Ursprungsform zu bekommen.“ Pixis Lächeln wirkte traurig. „Dann weißt du wie ma-“ Vivianas Euphorie wurde von einem lauten Donnern unterbrochen. Das Geräusch kam so unerwartet, dass die beiden Pokémon zusammenzuckten. Aus einem Baum in der Nähe flog ein Schwarm Staralili los. Die leichte Brise, die bisher die wenigen verbliebenen Blätter an den Bäumen bewegt hatte, war während ihres Gesprächs immer stärker geworden. Nun wehte den beiden Pokémon ein nicht zu unterschätzender Wind entgegen, der nicht nur die kahlen Zweige, sondern auch größere Äste in Bewegung setzte. Ein greller Blitz erleuchtete den mit schwarzen Wolken zugezogenen Himmel. Dafür, dass es fast Mittagszeit war, war es erstaunlich dunkel geworden. Vivianas Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Sie waren genau in das Unwetter gelaufen. Sie sprang auf und lief los. Wie sie Shinya kannte, hatte er so eben ihre Abwesenheit bemerkt, sie hatte doch länger gebraucht, als eingeplant. Hinter sich spürte sie Pixi. Sie war froh, dass das Pokémon bei ihr blieb. Die beiden Pokémon schienen eine unsichtbare Grenze überschritten zu haben, denn von einem Augenblick auf den Nächsten begann es wie aus Kübeln zu schütten. In nur wenigen Sekunden war Vivianas dichtes Fell bis auf die Haut durchnässt. Man konnte kaum mehr zwei Meter schauen, dennoch verringerte Viviana ihre Geschwindigkeit nicht. Durch das Rauschen des Regens, der beim Rennen in ihr Gesicht peitschte, hörte sie noch, wie Pixi ihren Namen rief, doch es war schon zu spät. Plötzlich verschwand der Boden unter den Vorderpfoten des Evolis, so dass sie den Halt verlor und einen Abhang hinunter kullerte. In einer schlammigen Pfütze kam sie endlich zum liegen. Nun war ihr Fell nicht nur nass, sondern auch von Schlamm verklebt. In ihrem Schweif und dem flauschigen Fell am Hals hatten sich zudem kleine Zweige und Blätter verfangen, die sie zwickten. Sie schüttelte sich, doch das brachte kaum etwas. Viviana blickte den Hang hinauf, doch sie konnte weder dessen Ende, noch Pixi erkennen. Der starke Regen ließ eine vernünftige Sicht nicht zu. Zudem schien es immer dunkler zu werden. Ein starker Windstoß ließ das Evoli frieren. Vivianas Körper schmerzte, ihr nasses Fell hing schwer an ihr und die mit Wasser und Schlamm durchweichten Verbände machten das Ganze auch nicht angenehmer. Sie brauchte eine Pause. Die Bäume hatten spätestens jetzt all ihre Blätter verloren, doch hier unten wuchsen Tannen. Viviana war dies erst aufgefallen, als sie endlich das Schlammloch verlassen hatte, um zu einem Baumstamm in der Nähe zu gehen. Auf einmal stand sie nahezu im Trockenen. Mit einem Blick nach oben erkannte sie die dicht benadelten Äste des Baumes, die die meisten Tropfen abfingen. Das Evoli schüttelte sich erneut um die gröbste Nässe aus ihrem Fell zu bekommen, dann ging sie etwas um den dicken Stamm, so dass sie sich im Windschatten befand. Auf dem weichen, mit vertrockneten Nadeln bedeckten Boden ließ sich das Pokémon, dicht an den Baumstamm gepresst, nieder und lauschte dem Prasseln der Regentropfen. Was Pixi wohl gerade machte? Ob sie nach ihr suchte? Hoffentlich würde sie das Vulpix wiederfinden. Hoffentlich würde sie Shinya wiederfinden, schoss es ihr durch den Kopf. Bedrückt rollte sich Viviana ein, den nassen Schweif über ihr Gesicht gelegt, und versuchte sich irgendwie ein wenig zu wärmen. Nach einer Weile schloss sie die Augen und wartete darauf, dass der Regen nachließ. Kapitel 9: ----------- „...ana? Viviana?“ Nur langsam kehrte das Evoli in die Realität zurück. Das Rauschen des Regens hatte stark nachgelassen und es war wieder etwas heller geworden. Anscheinend war sie unter der Tanne eingenickt. Trotzdem fühlte sich Viviana nicht wirklich ausgeruht. „Pixi?“ Sie stand auf, schüttelte ihr nach wie vor feuchtes Fell und hielt dann Ausschau nach dem Vulpix, dessen Rufe sie gehört hatte. Sie war froh, dass Pixi scheinbar nach ihr gesucht und sie nun auch gefunden hatte. Durch den nun nicht mehr annähernd so starken Regen, konnte Viviana eine etwas entfernte Silhouette vernehmen, die auf sie zukam. Sie erkannte schnell das Vulpix, dessen Fell ebenfalls durchnässt war. Zumindest schien Pixi nicht in Schlamm gefallen zu sein. Glücklich lief Viviana auf das Pokémon zu und musste unter einem Zucken feststellen, dass ihr Körper noch immer schmerzte und sich nach ihrem Nickerchen zudem etwas steif anfühlte. „Da bist du ja.“ Mit diesen leicht vorwurfsvollen aber hauptsächlich erleichterten Worten blieb Pixi kurz vor dem Evoli stehen. „Wie siehst du denn aus? Da wird mehr als nur etwas Wasser nötig sein.“, murmelte sie eher zu sich selbst. „Tut mir leid, dass du mich suchen musstest“, entschuldigte Viviana sich ohne auf Pixis Frage einzugehen. Sie setzte sich auf den nassen Boden um ihre Beine etwas zu schonen. „Hast du dich verletzt?“ Besorgt kam das Vulpix näher. Sie hatte Vivianas steife Bewegungen sehr wohl bemerkt. Zudem hatte das kleine Pokémon von vorne herein schon Verbände an seinen Pfoten gehabt - auch wenn sich Pixi denken konnte, warum diese dort waren. „Nein“ Viviana schüttelte kurz den Kopf. „Das ist noch von gestern, ich hab mich wohl etwas überanstrengt.“ Sie schaute sich um. Erst jetzt bemerkte sie, dass um sie herum nur wenige Bäume standen. Hatten sie den Rand des Waldes erreicht? „Wie soll ich Shinya denn jetzt wiederfinden?“ Bedrückt ließ sie ihre Ohren hängen. „Sie sind doch auf dem Weg nach Ewigenau. Die Stadt liegt hinter einem See und es führt nur eine Brücke über diesen. Wenn wir uns beeilen, können wir sie dort abfangen.“ Pixi machte eine kurze Pause. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das in deinem Zustand eine gute Idee ist.“ „Nein, ich muss wieder zu ihm. Ich hab Shinya schon genug Sorgen bereitet.“ Viviana war entschlossen und schien jeden Zweifel verdrängt zu haben. Pixi öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber wieder und nickte nur. „Dann los, wir müssen da lang.“ Sie lief los, wenn auch nicht sehr schnell. Viviana folgte ihr blind, da sie den Weg zu kennen schien. Sie waren ein ganzes Stück am Waldrand entlanggelaufen. Der Wald schien auf dieser Seite von einem Berg eingegrenzt zu sein, denn wenn sie zwischen den wenigen Bäumen hervortraten, standen sie mehr oder weniger vor einer Felswand. Natürlich hätten sie auch auf diesem steinigen Gefälle laufen können, doch in Vivianas Zustand war es einfacher über ein paar umgefallene Bäume zu springen und kleinen Ästen auszuweichen. Schließlich erreichten sie Wasser. Auf der Oberfläche zeichneten sich deutlich die Tropfen des nach wie vor fallenden Regens ab. Das Evoli hatte aufgehört den Regen oder die Nässe zu spüren, im Augenblick hatte sie ganz andere Probleme. Das Vulpix blieb keine Sekunde stehen und lief einfach weiter durch das hohe Gras, welches um das Wasser wuchs. Sie hatten den Wald nun endgültig verlassen. Viviana war kurz von der Wasseroberfläche abgelenkt, da sie glaubte etwas gesehen zu haben, als sie stolperte. Während Pixi dem Hindernis elegant ausgewichen war, hatte sie es nicht kommen gesehen. „Alles okay?“ Pixi drehte sich zu ihr um und wollte näher kommen, als sie erstarrte. Viviana merkte schnell warum. Das, worüber sie gestolpert war, begann sich zu bewegen. Gerade als sie sich aufgerichtet hatte und weiterlaufen wollte, traf sie ein Wasserstrahl, der sie einige Meter weiter zum Erliegen brachte. „Viviana!“ Das Vulpix stand wie angewurzelt da. Vor ihnen stand, auf die Hinterbeine aufgerichtet, ein biberartiges Pokémon. Heute war einfach nicht ihr Tag. Viviana rollte sich auf den Bauch, blieb aber liegen und schaute zu Pixi, das nun die volle Aufmerksamkeit des fremden Pokémon zu haben schien. „Hey“, schien sie mit einem Mal aus ihrer Starre zu erwachen. „Das war sicherlich keine Absicht, also warum greifst du sie gleich an?“ Ihr Ärger war deutlich zu hören. Viviana hoffte, dass das Vulpix wusste, was es tat. „Pah, Eindringling ist Eindringling - und ich mag es nicht, wenn man meine Grenzen missachtet.“ Mit einem großen Satz sprang es auf Pixi zu, die elegant auswich. Mit diesem Pokémon schien jedes Gespräch sinnlos. Erneut musste das Vulpix ausweichen, als ein Wasserstrahl auf es zukam. „Kannst du laufen?“, rief sie Viviana zu, die sofort versuchte aufzustehen, aber einknickte. Verzweifelt versuchte sie es erneut, sie konnte wirklich gar nichts. Verärgert über sich selbst wankte sie ein paar Schritte und schien so die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. „Du entkommst mir nicht.“ Mit wenig anmutigen, aber mächtigen Sprüngen kam das Bidifas auf das vergleichsweise winzige Pokémon zu und wollte es mit einer Kopfnuss angreifen. Viviana konnte nichts machen, außer sich innerlich auf die Wucht des Stoßes vorzubereiten. „Vivi!“ Pixi rannte los, doch es war zu spät. Kurz erleuchtete ein greller Blitz die Wiese, dann war für einen Moment nichts weiter als das monotone Rauschen des Regens zu hören. „Langohr! Kannst du eigentlich auch mal was Anderes, als dich immer nur in Gefahr zu bringen?“ Ein paar Meter entfernt stand in stolzer Haltung Tora. Auch ihr Fell tropfte und sie schien mehr als nur genervt. Viviana brauchte eine Weile um zu realisieren, was gerade geschehen war. Knapp neben ihr lag das Bidifas und rührte sich nicht. Es war wohl ein Wunder, dass der Stromschlag sie nicht gleich mit erledigt hatte. Wieso musste das Sheinux sie dauernd retten? Das war echt nervig. „Tora“, sagte sie schließlich einfach, noch immer geschockt. Pixi kam zu ihr und stupste mit ihrer Nase kurz den Kopf des Evolis an, dann richtete auch sie ihren Blick auf das Sheinux. „Ist das eine Freundin von dir?“ Fragend schaute sie wieder zu Viviana. „Ach wie süß, hast du wieder einen neuen Freund gefunden?“ Spottete Tora, bevor Viviana antworten konnte. Hörte sie da etwa einen Ton der Kränkung heraus? „Wie bitte?“ Pixi klang fast drohend. „Erst rettest und dann beleidigst du sie? Was ist denn bei dir kaputt.“ Erstaunt schaute Viviana zu dem Vulpix. Sie sprach nahezu in der selben arroganten Tonlage, wie Tora es immer tat. „Bitte hört doch auf zu strei-“ Viviana unterbrach sich selbst, als sie plötzlich etwas hinter sich spürte. Ohne ein weiteres Wort eilte Tora herbei und stellte sich wie zum Schutz vor das Evoli. „Hey Goldtolle, kannst du kämpfen?“ Zwei weitere Bidifas waren hinter ihnen aufgetaucht. Pixi wirkte über diese Aufforderung wenig begeistert, machte sich dann aber widerwillig bereit. Viviana fühlte sich so unfähig, dass sie sich am liebsten aufgelöst hätte. Jetzt mussten die beiden Pokémon sie auch noch beschützen, nur weil sie nicht mal in der Lage dazu war vor diesen Kolossen zu fliehen. Einer der beiden Gegner begann damit die Wiese unter Wasser zu setzen, ehe Tora mit ihrer Elektroattacke angreifen konnte. Diese fluchte leise und rannte dann direkt auf das Bidifas zu um sich mit einem gezielten Sprung in seinem Nacken zu verbeißen. „Geht weg!“, knurrte es, während es abließ um einer Attacke des anderen Bidifas auszuweichen, welche nun seinen Kameraden erwischte. Diesem schien der Wasserstrahl aber eher wenig auszumachen. Die Beiden waren einfach zu stark. Tora könnte sie locker besiegen, doch dazu mussten die Beiden sich außer Reichweite bringen. Viviana hatte schnell durchschaut, warum sie die Wiese unter Wasser gesetzt hatten. So würde Toras Elektroattacke nicht nur die Bidifas, sondern mit Sicherheit auch die beiden anderen Pokémon erwischen. Viviana gab ihr Bestes um außer Reichweite zu gelangen. Pixi zögerte keine Sekunde und sprang auf das Evoli zu. Mit einem sicheren Biss packte sie es im Nacken und trug es weg. Viviana hasste sie dafür. Tora kämpfte währenddessen tapfer weiter und geriet in eine brenzlige Situation, als sich ein Bidifas auf sie warf um sie zu zerquetschen. Da sie gerade der Attacke des anderen Pokémon ausgewichen war, gelang es ihr nicht rechtzeitig zu reagieren und verbiss sich stattdessen in dem Angreifer, als dieser ihr nahe genug kam. Es schien wenig Wirkung zu zeigen. Das Bidifas zuckte zwar kurz, landete dann aber trotzdem auf dem Sheinux und begrub dieses unter sich. „Tora!“ Viviana befreite sich aus Pixis Griff und starrte wie gebannt zu den Kämpfenden. Sie waren zu weit weg, als dass sie irgendetwas genaueres erkennen konnte, doch Tora war verschwunden. Panik breitete sich in dem Evoli aus und sie schaute zu Pixi, die wesentlich gelassener wirkte. Auf einmal war ein helles Leuchten zu sehen und das Bidifas, das sich eben noch auf Tora geschmissen hatte, ergriff auf einmal die Flucht. Es schien verletzt zu sein. Viviana konnte auf der Wiese ein Pokémon erkennen, das Sheinux ähnlich sah, jedoch war es größer und es hatte schwarzes Fell am Kopf, das struppig abstand. Das andere Bidifas schaute das Luxio überrascht an, doch ehe es etwas machen konnte, sprang Tora auf es zu, biss sich in seinem Hals fest und rammte seine Krallen in den Bauch des Bidifas. Das Knistern war deutlich zu hören, als das Pokémon von Toras Stromschlag durchdrungen wurde. Mit stolzen Schritten kam Tora zu den beiden kleineren Pokémon zurück und schaute vor allem Pixi vorwurfsvoll an. Ihre rechte Vorderpfote schien verletzt, auch wenn sie es sich wohl nicht anmerken lassen wollte. Bei jeder Belastung knickte sie leicht ein. „Na zumindest weglaufen könnt ihr ganz gut.“ Sie drehte ihren Kopf als hätte sie etwas gehört. „Tora, du hast dich entwickelt.“ Sprach Viviana das Offensichtliche aus und versuchte freudig zu klingen. Und schon wieder stand sie in Toras Schuld. Das Pokémon hatte sein Leben riskiert nur um Viviana zu retten. Sie wünschte sich, in Toras Kopf schauen zu können - sie wusste einfach nicht, was in diesem vor sich ging. „Tora!“ Nun konnte auch das Evoli hören, was Tora zuvor bereits gehört hatte. Anzu eilte über die Wiese auf ihr Pokémon zu, dicht gefolgt von Shinya. Die Beiden mussten darauf achten, auf dem hohen, nassen Gras nicht auszurutschen. Tora ging ihrer Trainerin einige Schritte entgegen und ließ sich dann in die Arme schließen. „Du hast dich entwickelt“, stellte auch sie freudig fest und streichelte dem Luxio über den Kopf, der nun von einer dünnen, schwarzen Mähne umschlossen war. „Geht es dir gut?“ Sie schien sofort die Verletzung an Toras Bein bemerkt zu haben und begutachtete diese nun. Shinya lächelte zwar kurz, schien aber voller Sorge zu sein und ging schließlich auf Viviana zu um diese, trotz ihrem dreckigen Fell, hochzuheben und vorsichtig an sich zu drücken. Die Kleidung des Jungen war genauso durchnässt, wie das Fell des Evolis und der Regen prasselte nach wie vor sanft auf sie herunter. „Vivi!“ Er klang erstaunlich streng und hielt das Pokémon etwas von sich weg, so dass er ihm in die braunen Augen schauen konnte. Viviana schaute nur schuldbewusst zurück. Auch wenn sie sich freute wieder bei ihrem Freund zu sein, hatte sie ein nun ein schlechtes Gewissen. „Wieso läufst du denn immer weg und bringst dich dann in Schwierigkeiten? Willst du etwa, dass ich irgendwann vor Sorge sterbe?“ Sein Vorwurfsvoller Blick ließ Viviana schnell den Kopf schütteln, woraufhin sie wieder an den warmen Körper gedrückt wurde. „Dir kann man einfach nicht lange böse sein.“ Shinya streichelte durch das nasse Fell und befreite es vom gröbsten Schmutz. Pixi hatte das ganze aufmerksam beobachtet, bis jetzt schien sie noch niemand bemerkt zu haben. Doch als Anzu ihr Luxio zurück in den Pokéball rief, änderte sich dies schlagartig. „Und nun zu dir.“ Viviana dachte erst, dass Anzu mit ihr sprach. Doch das Mädchen ging an Shinya vorbei direkt auf das Vulpix zu. Hatten ihre Worte gerade noch streng geklungen, so sprach sie den nächsten Satz in ihrer hohen Stimme, die Viviana so sehr hasste. „Du bist ja unglaublich niedlich und so schön.“ Freudig hob sie das Vulpix hoch, bevor dieses irgendetwas machen konnte. „Du bist so zahm, ob du wohl jemandem gehörst? Wie wärs, soll ich dich fangen?“ Augenblicklich knabbte Pixi in Anzus Hand, so dass diese sie leicht erschrocken fallen ließ. Das Vulpix landete elegant im Gras und lief zu Shinya um hinter dessen Beine in Schutz zu gehen. „Huch“ Shinya machte einen kleinen Schritt zur Seite, während Viviana etwas unruhig wurde. „Hast du etwa eine Freundin gefunden?“ Der Junge lächelte sie an und ging dann in die Hocke um dem Vulpix eine Hand zum Schnuppern hinzuhalten. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte der Junge ruhig. Viviana sprang auf den Boden neben Pixi und knickte kurz ein. „Nimm dich vor ihr in Acht, die ist bescheuert“, zischte sie dem Vulpix zu und ließ Anzu nicht aus den Augen. „Das gibt’s doch nicht, wieso mögen die immer nur dich?“ Schmollend schaute das Mädchen Shinya an und stemmte die Arme in die Seite. Sie würde dieses Vulpix so unglaublich gerne fangen - dann würde sie eben erst sein Vertrauen erlangen. „Keine Angst, ich werde dir nichts tun.“ Beruhigte Anzu das Pokémon und ging dann zu Shinya. „Du hast eine schöne Fellfarbe.“ Shinya schien etwas unentschlossen. „Das ist doch total seltsam, oder?“ Er schaute das Mädchen an, die das Vulpix nun genauer musterte. Auch wenn ihr Fell nass war, so schimmerte der Goldton doch deutlich durch. „Wenn es uns nun ebenfalls folgt?“ „Shinya der Pokémonmagnet.“, alberte Anzu herum und grinste den Jungen breit an. „Vielleicht solltest du deinen Berufswunsch nochmal überdenken.“ Shinya boxte ihr mit einem ironischen Lachen leicht in die Schulter und stand dann wieder auf. Viviana knurrte leise. Ihr gefiel es nicht, wie die Beiden miteinander umgingen, sie platzte beinahe vor Eifersucht. Bevor die zwei Menschen so weitermachen konnten sprang Viviana, die dabei entstehenden Schmerzen ignorierend, an Shinyas Bein hoch, so dass dieser sie wieder auf den Arm nahm. „Ewigenau ist hinter diesem See, wir sollten weitergehen. Tora ist verletzt und ich möchte sie schnellst möglichst in ein Pokécenter bringen.“ Anzu strich sich eine nasse Strähne aus dem Gesicht. „Wenn dieser blöde Regen nur aufhören würde“, murmelte sie genervt. „Dann lass uns schnell weitergehen. Ich hab auch wenig Lust heute Nacht im Regen zu schlafen.“ Er drückte Viviana etwas näher an sich und ging dann los. „Sie folgt uns tatsächlich“, merkte Anzu nach einigen Metern an. Gemeint war Pixi, die in geringem Abstand hinter den Menschen her lief. „Ist es okay für dich wenn ich mitkomme?“ Fragte sie Viviana, von der sie, aus ihrer Position, nur den Schweif sehen konnte. „Das wäre toll. Aber ich will nicht, dass du meinetwegen einen Umweg gehst.“ Es knabberte an ihr, dass sie nun schon wieder getragen wurde, obwohl sie diesen Tag doch mal alleine schaffen wollte. Und dann nahm Pixi obendrein auch noch all dies für sie auf sich. „Ich hatte doch gesagt, dass ich Pokémon wie dir helfen will - deswegen bin ich hier. Ich werde dir später alles erklären.“ In den nächsten Minuten und Stunden gingen sie einfach nur, ohne dass irgendjemand ein Wort verlor. Das Einzige, was zu hören war, war das monotone Rauschen des nicht enden wollenden Regens. Hin und wieder schaute Anzu zu dem Vulpix, bis sie fast das Ende der hölzernen Brücke, die über den großen See führte, erreicht hatten. Kapitel 10: ------------ Obwohl die Brücke schon älter war, wirkte sie sehr stabil, dennoch waren keine anderen Menschen zu sehen. An einem sonnigen Tag traf man hier sicherlich viele Angler an. Doch in solch einem - mal stärkeren, mal schwächeren - Regen mied man die teils rutschige Brücke wohl lieber. Mittlerweile war es schon Abend geworden, das Einzige, was man am Himmel sah, waren jedoch die dunklen Regenwolken. Endlich verließen sie den Holzweg. Links und rechts in der Ferne begannen sich Berge zu erheben, die immer höher zu werden schienen, je weiter man ging. Nun konnte es nicht mehr weit nach Ewigenau sein. Ohne es zu merken war Viviana auf Shinyas Armen eingedöst. Sie wachte wieder auf, als sie Anzus laute Stimme hörte. „Endlich sind wir da!“ Sie war nicht nur fröhlich, sondern wirkte auch erleichtert. „Das Pokécenter befindet sich ziemlich inmitten der Stadt.“ Noch etwas verschlafen hob Viviana den Kopf und tatsächlich konnte man in der Ferne die ersten Gebäude der Stadt erkennen. Sie liefen auf einem befestigten Weg, der sie direkt zu diesen führte. Mit einem Blick nach unten sah sie, dass Pixi mittlerweile neben Shinya lief. Trotz des nassen Felles sah das Pokémon noch immer sehr anmutig aus - sie schien kein bisschen erschöpft. Hätten sie eine Pause gemacht, dann hätte man sie doch geweckt? Sie beneidete Pixi für ihre Ausdauer, wie lange sie wohl schon ein Pokémon war? „Wo kommst du eigentlich her?“, fragte Shinya das Mädchen unerwartet. Seine nassen Haare hingen ihm ins Gesicht und generell wirkte er ruhiger als sonst. Ob er wohl erschöpft war? Am ersten Tag war er zwar auch sehr weit gelaufen, aber auf Dauer konnte man das wohl kaum jeden Tag schaffen. Vor allem nicht, wenn man dann noch zusätzliche Last mit sich rumschleppen musste. „Ich bin aus Jubelstadt, eine sehr schöne Stadt, nicht so ein kleines Blumendorf.“ Anzu grinste. Ob sie merkte, dass sie nicht lustig war? Dennoch lächelte Shinya. Jubelstadt war sozusagen die Nachbarstadt Floris, die man durch eine Höhle in die andere Richtung, als in die, in die sie aufgebrochen waren, erreichen konnte. „Und ein Stadtkind kommt so gut alleine in der Stadt klar?“ Die Sticheleien zwischen den Beiden machten Viviana fast so wahnsinnig, wie die Komplimente Shinyas. Vielleicht wäre sie mit Anzu ja sogar ganz gut ausgekommen, wenn sie nur kein Pokémon gewesen wäre. „Ich bin in meiner Kindheit in den Ferien immer zu meinem Onkel nach Flori gefahren, da waren wir fast nur draußen.“ Das Mädchen schien einen Moment abwesend. Viviana glaubte kurz etwas wie Trauer in ihren Augen erkennen zu können. „Nach Flori? Da müssen wir uns doch mal gesehen haben.“ Auf einmal wirkte Shinya wieder munter. „Vermutlich warst du da noch zu jung“, erwiderte sie schnell und schien nicht weiter darüber reden zu wollen. „Vermutlich“, sagte Shinya nur und wirkte nachdenklich. Ob er sich nicht doch an ein solches Mädchen erinnern konnte? Auf einmal war es wieder ruhig, nur der Regen prasselte weiterhin auf die Erde. „Wie alt bist du nochmal?“ Nach einem Moment des Schweigens brach Shinyas Frage die Stille. Das war typisch Shinya. Anzu war nun schon einige Tage mit ihnen unterwegs und er hatte es bisher nicht für nötig empfunden ihr Alter zu erfragen. „Siebzehn.“, antwortete das Mädchen nach einem kurzen zögern knapp. „So alt? Ich bin erst vierzehn.“ Nun schaute Anzu ihn überrascht an, Viviana konnte sich denken, dass sie den Jungen viel älter eingeschätzt haben musste. Er sah auch nicht wirklich wie 14 aus. Doch nun konnte Viviana Anzu zuordnen und so wanderten ihre Gedanken zurück in ihre Kindheit. Drei Jahre Altersunterschied waren in einem Dorf wie Flori nichts ungewöhnliches bei Kindern, die miteinander spielten. Da kam es auch gerne mal vor, dass bis zu sechs Jahren dazwischen lagen. Wenn es nicht so viele Kinder gibt, muss man sich eben auch mal mit älteren oder jüngeren anfreunden. Aber auch Viviana konnte sich an kein Kind wie Anzu erinnern, geschweige denn an ihren Onkel. Doch eigentlich konnte es ihr auch egal sein. Shinya und Anzu hatten sich dazu entschlossen keine Pause mehr zu machen, bevor sie Ewigenau erreichten. Sie wollten nicht nur ihre nasse Kleidung loswerden, sondern auch nach ihren Pokémon schauen lassen. Vor allem Anzu drängte darauf schnellstmöglich die Stadt zu erreichen. Als sie endlich die ersten Häuser passierten, ließ der Regen nach. Gemütlicher als zuvor gingen sie weiter und schauten sich die hohen Gebäude an. Je weiter sie der Stadtmitte kamen, desto belebter wurden die anfangs leeren Straßen. Obwohl der Regen vorerst aufgehört hatte und die Wolken etwas heller wurden, sahen sie immer mal wieder Leute mit Regenschirm. Schließlich standen sie vor dem Pokécenter, das von Außen ziemlich genauso aussah, wie das in Flori. Die Türen öffneten sich von alleine, als sie näher kamen. Viviana war nicht oft in dem Center in ihrer Heimat gewesen, doch die beiden Gebäude schienen nahezu identisch zu sein. „Herzlich Willkommen im Ewigenauer Pokémoncenter, mein Name ist Schwester Joy“, wurden sie von einer jungen Frau mit - zu zwei Zöpfen gebundenem - rosa Haar freundlich begrüßt, als sie an den Schalter traten. Sie trug die übliche Krankenschwesternuniform, während hinter ihr ein beschäftigtes Chaneira, das ebenfalls eine Schwesternkopfbedeckung trug, zu sehen war. „Wie kann ich euch helfen?“ In dem Center schien so wenig los zu sein, dass sich das Chaneira um die vorhandenen Aufgaben alleine kümmern konnte. In Flori war das meist zwar nicht anders, trotzdem kam es Viviana seltsam vor, immerhin war diese Stadt um einiges größer. „Wir haben verletzte Pokémon und meine Lieblinge bräuchten einen Rundumcheck“, antwortete Anzu, nachdem sie Joy begrüßt hatten. „Okay, folgt mir bitte.“ Sie gingen in einen separaten Raum nach hinten, in dem ein großer Tisch stand. Ohne zu zögern ließ Anzu ihre drei Pokémon raus. Karasu flog augenblicklich auf die Schulter des Mädchens, was merkwürdig aussah, da der Vogel viel zu groß schien. Tora setzte sich gleich hin, während Michiru vorsichtig herumlief, aber stets in der Nähe des Mädchens blieb. Auch Shinya ließ sein Bummelz, das zwar wach war, sich aber nicht bewegte, raus. Viviana behielt er nach wie vor auf seinen Armen. Mit einem eleganten Sprung gelang auch Pixi auf den Tisch. Viviana war mehr als nur neidisch, wenn sie daran dachte, wie lange sie gebraucht hatte um auf einen Stuhl zu kommen. „Bist du verletzt?“, fragte Viviana besorgt und spürte wie sie angeschaut wurde. Irgendwie wirkte das Kramurx mit seinen rote Augen unheimlich auf sie. Schnell schaute sie wieder zu Pixi, die an dem Versuch scheiterte, ihr nasses Fell in Ordnung zu bringen. „Nein, aber im Gegensatz zu dir möchte ich nicht wie ein Ferkel aussehen.“ Das Evoli hatte sein dreckiges Fell längst vergessen. Der Regen hatte das Meiste zwar entfernt, doch ihr Fell war verklebt und zerzaust. „Ich bezweifle, dass du hier deine Maniküre bekommen wirst“, mischte sich Tora spöttisch ein. „Ihr zwei passt wirklich perfekt zusammen - peinlich.“ Das Luxio zuckte leicht, als Schwester Joy sein Bein abtastete. „Oh je“, gab Pixi nur als Antwort, im Augenblick schien ihre Fellpflege wichtiger, als eine Streiterei mit Tora, wofür Viviana sehr dankbar war. Luxios gelbe Augen waren auf das Evoli gerichtet, welches den Blick nur stumm erwiderte. So streitsüchtig konnte doch niemand sein, das musste einen Grund haben, der über Vivianas Schwäche hinaus ging. „Was ist los, Tora?“ Ertönte plötzlich die kratzige Stimme des Kramurx, welches bis eben still alles beobachtet hatte. Sofort warf die Angesprochene ihm einen drohenden Blick zu. Karasu plapperte jedoch unbeeindruckt weiter. „Bist du etwa immer noch eingeschnappt, weil sie“, seine Schwinge deutete auf Viviana, „das Lob für deinen Einsatz geerntet hat?“ Fast zeitgleich mit Beendigung des Satzes flog der schwarze Vogel laut krächzend, was wie ein Lachen klang, los und drehte zwei Runden über Toras Kopf, mit schnellen Manövern deren Schlägen ausweichend und landete unversehrt wieder auf Anzus Schulter. „Karasu“, das Mädchen klang tadelnd. „Hör auf Tora zu ärgern. Ihr könnt später spielen.“ „Zumindest scheint dein Kramurx gesund zu sein.“ Joy lächelte, während Karasus rote Augen wieder auf Viviana gerichtet waren, als schiene er etwas von ihr zu erwarten. Die Schwester drückte Anzu eine Salbe in die Hand, von der sie eben noch etwas auf Toras Bein aufgetragen hatte. „Die solltest du zweimal am Tag auftragen und natürlich auch dein Luxio schonen.“ Dankend nahm das Mädchen die Salbe entgegen, während sich die junge Frau daran machte nach dem Pliprin zu schauen. Viviana bekam von all dem kaum etwas mit. Ihr Blick war auf Tora gerichtet, für die es gerade anscheinend nichts spannenderes zu geben schien, als den Tisch unter ihren Pfoten zu mustern. Was hatte Karasu damit gemeint? Tora hatte angefangen so unfreundlich zu werden, nachdem sie die Pokémon im Wald befreit hatten und Haspiror schon gegangen war. Etwa wegen Haspiror? Der Kleine hatte sich bei ihr für die Rettung bedankt, obwohl Tora die Diebe, zusammen mit Michiru, besiegt hatte und das hatte Haspiror auch gesehen. Trotzdem hatte er sich nur bei dem Evoli bedankt. Deswegen war sie so? Weil sie keinen Dank bekommen hatte? Viviana zweifelte daran, doch jetzt wollte sie dies nicht ansprechen. Wenn es wirklich deswegen sein sollte, dann sollten sie das auch nur unter vier Augen besprechen. „Deinem Bummelz fehlt auch nichts.“ Joy hatte mittlerweile auch schon Michiru und Karasu mit dem selben Ergebnis untersucht. „Nun zu diesen Beiden“, sie zögerte kurz, als Shinya das Evoli neben dem Vulpix absetzte. Viviana war froh endlich wieder festen Boden unter den Pfoten zu haben. „Sind das deine Pokémon?“ Fragend schaute sie Shinya an. „Nein, die haben sich ihm einfach angeschlossen“, mischte sich Anzu - mit dem Blick auf das Vulpix gerichtet - ein. „Und ihr wisst nicht, ob sie jemandem gehören?“ Beide verneinten die Frage mit einem Kopfschütteln. „Sie haben nicht die für ihre Art übliche Fellfärbung“, merkte Joy an. „Ist das etwas schlechtes?“ Fragend schaute Anzu die Ärztin an. „Also ich finde das goldene Fell ganz hübsch.“ Nun schaute auch Pixi aufmerksam zu Joy. „Ob es schlecht ist weiß niemand so genau. Man ist noch dabei dieses Phänomen zu erforschen. Solche Pokémon werden auch Shiny genannt, da ihre Färbungen meist leuchtender sind als bei ihren Artgenossen. Es gibt verschiedene Theorien, warum dies so ist, aber eben keine Gewissheit. Das Einzige was man weiß ist, dass solche Pokémon wirklich äußerst selten sind. Deswegen ist es auch so verwunderlich, dass ihr gleich zwei davon bei euch habt.“ Sie strich dem Vulpix über den Kopf. „Bis jetzt habe ich erst ein anderes dieser Shiny Pokémon gesehen.“ „Das ist ja cool!“ Shinyas Blick ruhte auf dem Evoli. Seine Augen waren mit einem eigenartigen Glanz erfüllt. Viviana musste über diese Begeisterung schmunzeln, fragte sich gleichzeitig aber auch, ob alle Shinys einmal Menschen gewesen waren. „Dem Vulpix fehlt nichts“, die Ärztin setzte das Pokémon wieder ab und schaute dann die beiden Menschen an. „Aber vermutlich fühlt es sich mit dem nassen Fell nicht sehr wohl. Ihr seid ja auch völlig durchnässt. Ich werde euch gleich ein paar Handtücher bereitlegen und wenn ihr noch keine Unterkunft für die Nacht habt, könnt ihr gerne hier bleiben.“ Sie sprach mit ruhiger, freundlicher Stimme. „Das wäre wirklich nett, danke.“ Anzu stimmte dem Jungen nur zu. „Es heißt zwar Pokécenter, aber hier wird sich genauso um Menschen gekümmert. Ich werde dann gleich eure Betten vorbereiten.“ Viviana hatte schon Angst, dass Joy sie vergessen würde, doch nachdem die Ärztin ihren Satz beendet hatte, hob sie das Evoli hoch. Dieses konnte ein Zusammenzucken nicht vermeiden. Ihr Körper war sicher von reichlich blauen Flecken geziert. „Was hat sie an den Pfoten?“ Fragend schaute die Frau zu Shinya, bevor sie einen der verschmutzten, zum Teil verrutschten und nicht mehr wirklich als solche erkennbaren Verbände zu lösen begann. „Sie ist zu viel gelaufen.“ Shinya pausierte für einen Moment, fügte dann aber nachdenklich hinzu, dass dies nun bereits ein paar Tage her sei. Die Pfoten sahen wieder relativ genesen aus und im Augenblick gehörten sie auch eher zu den Körperteilen, die Viviana weniger schmerzten. „Es ist auch sehr gut verheilt, sie muss aber auf jeden Fall sauber gemacht werden.“ Die Ärztin setzte das Evoli wieder ab und schaute zu Shinya. „Erst einmal bringe ich euch in eurer Zimmer für die Nacht.“ Das Pokécenter hatte unerwartet viele Räume. Nachdem sie ihre Pokémon wieder zurückgerufen hatten, hatten sie sich in den ersten Stock begeben, wo mehrere kleine Zimmer, mit Feldbetten darin, vorzufinden waren. Durch das Fenster in dem Zimmer, in welches sie geführt wurden, konnte man die vom Laternenlicht erleuchtete Straße sehen. Da es in dieser Jahreszeit bereits früh dunkel wurde, konnte Viviana nicht sagen, wie spät es war. Das Zimmer war nicht sonderlich groß und ihr gefiel es überhaupt nicht, dass die beiden Betten so nah beieinander standen. „Es ist nicht sonderlich luxuriös, aber ich hoffe, dass ihr euch dennoch gut erholen könnt. Die Toiletten sind den Flur runter auf der rechten Seite, gegenüber befindet sich ein Badezimmer.“ Joy wandte sich nun an Shinya. „Soll ich das Evoli noch waschen, oder möchtest du das übernehmen?“ „Danke, aber das kann ich auch noch selbst machen“, antwortete der Angesprochene kaum nachdem die Frage gestellt wurden war. Joy nickte nur lächelnd. Nachdem sie sich gegenseitig eine gute Nacht gewünscht hatten, verließ die junge Frau den Raum und schloss die Tür hinter sich. Vor einem der Betten stellte Shinya seinen nassen Rucksack ab und schaute dann zu Viviana, neben der sich gerade Pixi niederließ. „Bekommst du das alleine hin, oder soll ich dir unter die Arme greifen?“ Grinsend schaute Anzu zu dem Jungen, nachdem sie frische Kleidung aus ihrem Rucksack gekramt hatte. „Keine Angst, dass schaffe ich gerade noch so alleine.“ „Gut, dann bin ich eben mal duschen und denk erst gar nicht daran zu gucken.“ Mit dieser scherzhaften Drohung verließ das Mädchen das Zimmer und ließ die Tür einen Spalt offen stehen. „Na komm Vivi, dann mach ich dich eben schnell sauber und dann dusch' ich auch mal.“ Ehe Shinya sich rühren konnte stand Pixi auf und schaute ihn erwartungsvoll an. „Was? Willst du etwa mitkommen?“ Die sechs Schweife des Vulpix bewegten sich kurz und in seinen Augen war etwas zu erkennen, was dem Jungen sagte, dass er richtig lag. „Na gut, ich werde dich etwas abtrocknen, wir wollen ja nicht, dass du krank wirst.“ Zufrieden tapste sie Shinya hinterher, der mit Wechselkleidung das Zimmer verließ. „Wie machst du das?“ Viviana folgte ebenfalls dem Jungen. Sie war, trotz der Schmerzen, froh, dass sie mal wieder selbst laufen durfte. Sie fragte sich eh, warum Shinya sie so oft trug - so hatte sie ihn nicht eingeschätzt. Nun war ihre Aufmerksamkeit aber auf Pixi gerichtet, die mit nur wenigen Gesten verständlich gemacht hatte, was sie wollte. Bei Tora hatte das damals im Wald auch schon funktioniert. Sie dagegen schien niemand zu verstehen. „Was meinst du?“ Stellte Pixi leicht abwesend wirkend die Gegenfrage und bog hinter Shinya in das Badezimmer ein, in dem bereits das Plätschern von Wasser zu hören war. Hinter einer Milchglasscheibe waren verschwommen die Konturen Anzus zu erkennen. Zu Vivianas Genugtuung schien Shinya jedoch keinen Blick dafür übrig zu haben und steuerte zielstrebig eine Dusche am Ende des Raumes an. Insgesamt befanden sich fünf dieser Kabinen in dem nicht allzu großen Raum. An der linken Wand befanden sich Waschbecken, neben denen Handtücher hingen und auf dem Boden stand ein Mülleimer. „Dass Shinya sofort weiß, was du von ihm willst“, antwortete Viviana, nachdem sie an der Dusche angekommen waren und Shinya irgendetwas am Waschbecken machte. „Tja, wenn du lang genug ein Pokémon bist, dann wirst du das auch noch hinbekommen.“ Wie zur Demonstration schaute sie zu Shinya auf , der gerade eines der, von Joy bereitgelegten, Handtücher in Händen hielt. Viviana fragte sich, wie lange Pixi bereits ein Pokémon war, doch sie kam nicht dazu zu fragen. „Na komm, dann trockne ich dich zuerst einmal ab.“ Sanft hob der Junge das Vulpix auf, rieb kurz das Fell trocken und wickelte dann das Handtuch um das Pokémon. Pixi schien zufrieden, als sie sich in das Handtuch, mit dem sie wieder auf den Boden gesetzt wurde, einrollte und ihren Blick auf Viviana richtete, die nun an der Reihe war und bereits mit Grauen auf die Bürste in Shinyas Hand schaute. Kapitel 11: ------------ Viviana wachte auf, als sie von einem Sonnenstrahl, der durchs Fenster fiel, geblendet wurde. Die Wolken waren also zumindest teilweise aufgerissen, worüber sich Viviana im Moment aber nicht wirklich freuen konnte. Gähnend setzte sie sich auf und schaute sich in dem Zimmer um. Sowohl Shinya als auch Anzu schliefen noch. Die Sonne schien gerade erst aufgegangen zu sein. Pixi hatte es sich an Anzus Fußende bequem gemacht, nachdem diese eingeschlafen war. Das Mädchen schlief wesentlich platzsparender als Shinya, der dem Evoli eher weniger Platz gelassen hatte. Viviana schaute zu dem Jungen. Er wirkte so friedlich, wenn er schlief. Gestern Abend hatte er eine gefühlte Ewigkeit das nasse Fell des Evolis gebürstet, was nicht sonderlich angenehm gewesen war. Trotzdem schmerzte ihr Körper nicht mehr ganz so sehr und mit ihrem nun wieder sauberen und einigermaßen trockenen Fell fühlte sie sich sehr wohl. Dennoch hatte sie keine sonderlich große Lust heute irgendetwas besonderes zu machen. Gerade als sie sich, dicht an Shinya gedrückt, wieder hinlegen wollte, hörte sie ein Rascheln. „Warum magst du diese Anzu eigentlich nicht?“ Pixi hatte sich aufgesetzt und ihre hellbraunen Augen auf Viviana gerichtet. „Ich mag ihre Art einfach nicht, sie ist so überheblich.“ Es hatte eine Weile gedauert, bis das Evoli geantwortet hatte. Sie war etwas überrascht am frühen Morgen solche Fragen gestellt zu bekommen. Dabei gab es doch wesentlich wichtigere Dinge über die sie sprechen konnten. „Aha. Ist es nicht eher, weil sie als Mädchen mit deinem Shinya unterwegs ist?“ Was sollte das denn heißen? Ihr Shinya? „Pixi, wieso sind wir Pokémon“, kam nach kurzem Schweigen die leise Frage. Sie kannte die Andere noch nicht gut genug und ließ es daher, auf ihre Frage zu antworten. Pixis Meinung hätte es vermutlich eh nicht geändert. „Du bist ja wirklich ungeduldig.“ Das Vulpix kicherte kurz. „Na gut, ich bin ja mitgekommen um dir zu helfen. Es gibt verschiedene Theo-“ Sie stockte, als sich auf einmal die Decke hinter ihr bewegte. „Nanu?“, war eine verschlafene Stimme zu hören. Anzu richtete sich auf und schaute leicht verwundert das Vulpix auf ihrem Bett an, während dieses den Blick einfach nur erwiderte. „Na komm schon her.“ Mit freundlichem Lächeln saß das Mädchen nun vor Pixi und schien darauf zu hoffen, dass diese zu ihr kam. Verärgert schaute Viviana zu, wie das Vulpix nach kurzem Zögern aufstand. Schon wieder sprach das Mädchen so, als hätte es ein kleines Kind vor sich, dennoch schien Anzu heute anders. Was Viviana aber eigentlich ärgerte war, dass sie nun schon wieder nicht erfuhr, was hier los war, beziehungsweise zumindest das erzählt bekam, was Pixi wusste. Diese war mittlerweile anmutig zu Anzu stolziert und ließ sich am Kopf streicheln. Viviana konnte nicht verstehen, wie das Vulpix so etwas mit sich machen lassen konnte. „Siehst du, ich tue dir doch gar nichts.“ Anzu schien glücklich über Pixis Zutraulichkeit und begann dem Pokémon langsam über den Rücken zu streicheln. Während sie diese Bewegung stetig wiederholte, sprach sie mit leiser Stimmer weiter. „Du hast ein wunderschönes Fell. Du kannst doch unmöglich ein wildes Pokémon sein? Ich wünschte ich könnte ein Pokémon wie dich in meinem Team haben, dein Trainer macht sich bestimmt Sorgen.“ „Hey! Lass die Finger von Pixi!“ Viviana war aufgesprungen und stand nun an der Bettkante, während sie böse zu Anzu herüber schaute. „Ob ihr wohl zusammengehört?“ Sie sprach eher mit sich selbst, während sie dem Evoli nur einen kurzen Blick zuwarf. „Was hast du denn“, fragte Pixi mit ruhigem Blick auf Viviana. „Wieso lässt du dich von ihr streicheln? Vor allem weil sie dich ganz offensichtlich einfangen will?“ Als sie bemerkte, dass sie bemerkte, dass sie etwas lauter wurde, setzte sich Viviana hin. Dennoch schaute sie aufgebracht zu Pixi. „Du lässt dich doch auch von Shinya streicheln. Es ist einfach angenehm, also was ist schon dabei.“ „Shinya will mich aber auch nicht fangen“, erwiderte das Evoli grummelnd. Hinter sich hörte sie es rascheln, als Shinya aufwachte. „Keine Angst. Ich denke ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.“ „Guten Morgen, du Schlafmütze. Na, gut geschlafen?“ Anzus Begrüßung war fröhlich und lenkte Viviana von ihrem Gespräch ab. „Morgen“, murmelte Shinya und rieb sich die Augen. „Ich fühle mich wie tot.“ Wie zur Demonstration streckte sich der Junge und gähnte herzhaft. „Vielleicht sollten wir erst mal hier in der Stadt bleiben und uns etwas ausruhen. Die letzten Tage waren ziemlich turbulent. Außerdem muss ich noch ein paar Besorgungen machen und will mich ein bisschen umschauen.“ Das Mädchen beendete Pixis Streicheleinheiten und schob sie etwas zur Seite um aufstehen zu können. „Ich weiß ja nicht was du so vor hast, wie wär's, wenn wir uns heute Mittag an der Statue im Osten der Stadt wieder treffen?“ Auf einmal schien es Anzu wirklich eilig zu haben. „Okay. Ich werde mich etwas umschauen und danach kann ich ja mit Bummelz trainieren.“ Shinya wirkte noch nicht sehr wach, dennoch begann er, genau wie Anzu, seinen Rucksack zu packen. „Mach das“, kicherte das Mädchen. „Vielleicht kannst du ja die Arenaleiterin dieser Stadt besiegen.“ „Wirst du denn gegen sie kämpfen?“, fragte er ohne auf die scherzhafte Provokation einzugehen. „Eigentlich möchte ich vorher noch gerne ein Feuer-Pokémon fangen.“ Viviana warf bei diesen Worten einen unruhigen Blick auf Pixi. „Wenn du nicht zu müde bist kannst du ja ein neues Pokémon fangen, um die Stadt gibt es sicher genug. Kamst im Wald ja nicht mehr dazu.“ Anzu stand mittlerweile und schaute sich um, ob sie noch etwas vergessen hatte. „Stimmt, durch die Suche nach Vivi ist das irgendwie in Vergessenheit geraten.“ Kurz strich er dem Evoli über den Kopf. „Und in dem Regen hätte das auch keinen Spaß gemacht. Aber heute scheint das Wetter ja besser zu sein.“ Nach wie vor warf die Sonne ihre hellen Strahlen in das Zimmer. „Dann viel Glück dir.“ Anzu blickte das Vulpix an, das auf dem Bett saß und zurück schaute. „Magst du mich begleiten?“ Ihre Stimme war nach wie vor freundlich. „Gerne“, antwortete Pixi und zuckte kurz mit ihren Ohren. Anzu schien sie problemlos zu verstehen. „Und was ist mit mir?“ Vorwurfsvoll schaute Viviana zu dem Vulpix. „Hast du nicht zugehört? Sie treffen sich nachher doch wieder, du kannst ja aber mitkommen, wenn es so dringend ist.“ Pixi schien genau zu wissen, was Viviana von dieser Idee hielt, denn sie sprang auf Anzus Arme ohne eine Antwort abzuwarten. „Also, bis nachher dann.“ „Wir treffen uns später wieder. Pass auf dich auf, okay?“, verabschiedete sich Anzu und verließ, glücklich darüber, dass Vulpix sich tragen ließ, den Raum. „Wie kann die nur so fit sein?“ Erneut streckte sich Shinya, nachdem Anzu gegangen war und schaute dann zu dem Evoli. „Und wie geht es dir heute Vivi? Willst du mich weiter begleiten? Oder wie deine Freundin lieber bei Anzu bleiben?“, scherzte der Junge. Mit einem Kopfschütteln wollte Viviana deutlich machen, dass sie bei Shinya bleiben wollte. Alleine schon, dass er so etwas fragte, gab ihr Grund genug beleidigt zu sein. Dennoch sprang das Evoli vom Bett, nachdem Shinya seinen Rucksack geschnappt hatte und bereit zum losgehen war. Die Landung schmerzte nicht annähernd so sehr, wie Viviana erwartet hatte. Auch wenn sie noch verärgert darüber war, dass Pixi sich schon wieder aus dem Staub gemacht hatte und dann auch noch mit Anzu ging, freute sie sich endlich mal wieder alleine mit Shinya sein zu können. Sie gingen die Treppe nach unten, wo Schwester Joy bereits herumlief. Ohne die Verbände hatte Viviana eine größere Bewegungsfreiheit, was ihr auf der Treppe erfreulicherweise auffiel. Sie hatte sich so sehr an die Dinger gewöhnt, dass sie nun vermutlich ein Stück gerannt wäre, wenn ihr Körper nur nicht so schmerzen würde. „Ah, guten Morgen. Deine Freundin ist eben schon gegangen, deswegen sage ich es dir auch noch einmal, da du vermutlich ebenfalls Hunger hast.“ Die Ärztin hatte Recht. Zwar wusste Viviana nicht, wie es bei Shinya aussah, doch sie selbst konnte gut mal wieder etwas vertragen. Gestern hatte es ja nicht allzu viel gegeben. „Wenn du der Straße hier in Richtung Kraterberg folgst, kommst du an einigen Cafés vorbei, wo du preisgünstig frühstücken kannst.“ „Das ist sehr nett, ich werd gleich mal schauen, etwas zu Essen kann wirklich nicht schaden.“ Er lachte und schaute dann zu Viviana. „Du hast sicher auch Hunger.“ „Wie ich sehe hat das mit dem Waschen bestens funktioniert.“ Joy lächelte, während sie das Evoli musterte. Dann schaute sie wieder zu Shinya. „Wenn sie noch mal etwas hat, dann scheue dich nicht, hier her zu kommen.“ „Vielen Dank für alles, ich wünsche noch einen schönen Tag und vielleicht sieht man sich mal wieder“, verabschiedete sich der Junge fröhlich und ging dann, dicht gefolgt von Viviana, nach draußen. Die Sonne erhellte die Straße und wurde von einzelnen Pfützen auf dieser reflektiert. Es war noch früh und dennoch waren bereits erstaunlich viele Leute unterwegs. Shinya hinterher tapsend genoss Viviana die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Fell. Nach einem ganzen Tag Regen würde dieses nun hoffentlich vollständig trocknen. Hin und wieder zog eine Wolke vor der Sonne vorbei und warf Schatten auf die Stadt. Man spürte, dass es eigentlich recht kühl war. Zumindest war es hier zwischen den Gebäuden einigermaßen windstill. Shinya hatte das erste Café, das er sah, betreten und an einem der kleinen, runden Tische platz genommen. In dem Laden wurde auch Essen für kleinere Pokémon angeboten, auch wenn Viviana es befremdlich fand aus einem Futternapf auf dem Boden essen zu sollen. Während Shinya die Karte durchschaute, blickte das Evoli durch den Raum. Das Café war gut besucht und an ein paar Tischen konnte sie ihr völlig fremde Pokémon sehen. Aufmerksam schaute sie auf, als der Junge bei der Bedienung bestellte. Es war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, die alles aufschrieb und dann wieder verschwand. Viviana wusste nicht, was Shinya ihr bestellt hatte, es war auf jeden Fall Pokémonfutter gewesen. Als Mensch hatte sie immer bezweifelt, dass dieses Trockenfutter schmecken konnte, jetzt hoffte sie einfach, dass sie sich geirrt hatte. Schon nach wenigen Minuten bekam Shinya Toast mit verschiedenen Aufstrichen sowie eine Tasse Tee gebracht. Der saubere Fressnapf vor Viviana wurde, zu ihrer Überraschung, mit verschiedenen Beeren gefüllt. „Guten Appetit“, wünschte die Bedienung und ließ sie dann wieder alleine. Während Shinya zu essen begann, beschnupperte das Evoli das Essen vor sich. Das Obst roch sehr frisch und angenehm, so dass Viviana das Wasser im Mund zusammenlief. Erleichtert begann sie ebenfalls zu essen. „Hat es geschmeckt?“, fragte Shinya nachdem sie fertig waren und auf die Bedienung warteten. „Ja“ Sie versuchte freudig zu klingen und hoffte, dass Shinya sie verstand. Dieser lächelte nur und kramte Geld aus seiner Börse, die er zuvor aus seiner Hosentasche geholt hatte. Es kostete wirklich nicht viel, dennoch fragte sich Viviana unweigerlich, wie viel Geld der Junge wohl dabei hatte. Unterwegs würde er kaum etwas verdienen und wie sie seinen Vater kannte, hatte dieser ihm nicht sehr viel mitgegeben, beziehungsweise würde ihm auch weiterhin nicht finanziell unterstützen. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und beehren sie uns bald wieder.“ Kaum hatte sie das Geld kassiert, war die freundliche aber anscheinend unter Zeitdruck stehende Dame schon wieder verschwunden. „Dann lass uns mal gehen.“ Shinya schien ungeduldig und ging ziemlich schnell los, so dass Viviana sich Mühe geben musste, mit ihm Schritt zu halten. Je weiter Shinya ging, desto langsamer wurde er, was es Viviana erleichterte mitzukommen. Es dauerte nicht lange und sie kamen an einer großen Statue vorbei, die sich am Rand der Stadt befand und die drei Drachen darstellte. Der Junge blieb kurz stehen um sie sich anzuschauen. Hier würden sie sich später mit Anzu treffen. Beeindruckt schaute Viviana zu den steinernen Drachen auf, die für sie riesig waren. Sie glaubte, diese Drei aus einer Legende zu kennen, doch leider konnte das Evoli nicht die Schrift auf der Tafel erkennen. Gerne wäre Viviana noch etwas geblieben, doch Shinya schien bereits genug gesehen zu haben. Hoffentlich würde sie die Tafel nachher noch einmal genauer untersuchen zu können. Es war immer schön neue Sachen zu lernen und sie würde sich diese Reise sicherlich nicht noch mehr vermiesen lassen, nur weil sie ein Pokémon war. Ab hier wurde das Laufen angenehmer. Die gepflasterten Straßen wichen einem sandigen Weg, der sich unter Vivianas Pfoten deutlich besser anfühlte. Schon bald hatten sie die letzten kleinen Häuser hinter sich gelassen und kamen an zwei übersichtlichen Seen vorbei. Sie lagen in weitem Abstand rechts und links von dem Weg. Wie weit sie wohl noch gehen würden? Kaum hatte sie sich das gefragt, blieb Shinya vor der Wiese stehen, die sich nach den Seen links des Weges erstreckte. Die Hügel, die Ewigenau umschlossen hatten, waren immer flacher geworden und verschwanden nun am Horizont. In der Ferne vor ihnen konnte Viviana jedoch ein neues Gebirge erkennen, dessen Spitze in den Wolken verschwand, die sich darüber zusammengezogen hatten. Das musste der Kraterberg sein. Shinya begann plötzlich auf die Wiese zu rennen und das Evoli gab sein Bestes hinterher zu kommen. Ein angenehmer Ton erreichte ihre Ohren, den wohl auch Shinya gehört haben musste. Er blieb stehen, als ein gar nicht mal so kahler Baum in Sichtweite war, unter dem sich eine Gruppe Pokémon befand, die anscheinend diese lieblichen Töne von sich gab. Viviana erkannte, dass es zwei verschiedene Pokémonarten waren. Die Einen sahen aus wie gelbe Kugeln mit rot-weißen Antennen auf dem Kopf. Die Anderen waren größer, hatten ebenfalls einen runden Kopf, an dem sich eine Art Schwanz befand. Sie hatten eine weiße Körperfärbung mit roten Stellen und schienen im Gegensatz zu den gelben Kugeln zu schweben. Viviana verschnaufte einen Augenblick, doch als sie wieder aufschaute um die Pokémon genauer zu mustern, ergriffen diese bereits die Flucht. Sie hatten den Mensch bemerkt und hüpften und schwebten nach kurzem Zögern eilig davon. „Bleibt doch hier, ich tue euch nichts.“ Er lief ein paar Schritte auf den Baum zu, was die Klingplim und Palimpalim nur schneller werden ließ. Die schönen Töne waren verstummt. „Schade, aber die wären eh nichts für mein Team gewesen.“ Lächelnd schaute er zu dem Evoli, das wieder zu ihm aufgeholt hatte. „Ich hoffe dieser Sprint war nicht zu anstrengend für dich, lass uns kurz eine Pause machen.“ Und schon ließ er sich an dem Baumstamm nieder. Hier war das Gras nicht mehr ganz so hoch wie auf der restlichen Wiese, weshalb Viviana erst einmal ihr Fell schüttelte. Es war voll mit den Samen der Gräser und sicher auch einigen Kletten. Dann setzte sie sich neben Shinya, der seinen Pokéball heraus holte und sein Bummelz herausließ. Es blieb regungslos auf dem Boden vor dem Jungen liegen, war aber wach. „Guten Morgen mein Kleiner, wie geht’s dir?“ Bis auf ein Gähnen seitens des Pokémons gab es keine Reaktion. „Anzu meinte ich sollte dir einen Namen geben, wie wäre es mit Benjiro?“ Das war der Name, den das Mädchen vorgeschlagen hatte. Viviana konnte ein leises Knurren nicht vermeiden. Shinya schien dies nicht zu bemerken und nachdem Bummelz erneut keine sonderlichen Regungen machte, stand es fest. „Gut, dann nenn ich dich ab sofort Benjiro, okay?“ Der Junge lächelte und suchte dann etwas in seinem Rucksack. Aus einer Tüte zog er zwei lila Beeren von denen er eine Benjiro hinhielt. Dieser griff langsam nach der Frucht und begann gemächlich zu essen. Die zweite Beere war für Viviana bestimmt. Eigentlich war sie noch satt von dem Frühstück, dennoch zögerte sie nicht. Diese Beeren waren so lecker, auch wenn es andere waren als heute Morgen, was sie nach dem ersten Bissen feststellte. Schnell war auch der Rest der Beere von Shinyas Hand verschwunden. Sie war froh, dass zumindest das Essen schmeckte und sie mittlerweile auch genug bekam. Benjiro hatte gerade seinen ersten Bissen getan, als ihm seine Beere aus der Pfote fiel, nein, schwebte. Verwundert beobachtete Viviana, wie die kleine Frucht langsam davon glitt und sich dann immer schneller entfernte. Kapitel 12: ------------ „Hey!“ Shinya hatte es ebenfalls bemerkt und lief der Beere hinterher. Viviana wollte dem Jungen folgen, doch sie konnte Benjiro, der traurig seinem Frühstück hinterher schaute, und Shinyas Rucksack nicht alleine lassen. „Geh ruhig“, sagte das Pokémon auf einmal mit einer ruhigen Stimme und legte sich hin, während seine Augen auf das Evoli gerichtet waren. Sie war sich ziemlich sicher, dass das Bummelz dem Jungen hätte folgen können, es aber nicht wollte. Nach kurzem Zögern sprang Viviana los und verschwand im hohen Gras. Benjiro konnte ja auf Shinyas Sachen aufpassen. Der Junge schien stehen geblieben zu sein und seine Stimme war zu hören. Als es vor einem Felsbrocken ankam, blieb das Evoli stehen. Ein blaues Pokémon mit einer weißen Sahnehaube auf seinem Kopf, zumindest sah es so aus, saß vor dem Stein und hielt die Beere in seinen Händen. Nur wenige Schritte vor ihm stand der Junge. „Du kannst doch nicht einfach Sachen klauen!“ Ohne den Menschen aus den Augen zu lassen verschluckte das Meditie die Frucht und ließ sich anschließend im Schneidersitz nieder und schloss seine Augen. Viviana hatte das Gefühl, dass es Shinya reizen wollte. Mit zwei Sprüngen stand sie neben dem Jungen und schaute böse zu dem Pokémon. „Du hättest auch einfach fragen können, wenn du Hunger hast.“ Viviana klang nicht ansatzweise so Vorwurfsvoll wie sie hatte klingen wollen. „Hab ich aber nicht, und jetzt?“ Erwiderte das Meditie kurz lachend und konzentrierte sich dann wieder. Unentschlossen schaute das Evoli zu dem Jungen hoch, der sich eben zwar noch aufgeregt hatte, nun aber wieder ruhiger schien. Vermutlich hatte er dem Pokémon bereits verziehen. Viviana nahm eine entspanntere Haltung ein, als sie plötzlich spürte, wie sie den Halt verlor. Sie wollte ihre Beine bewegen, doch diese berührten nicht mehr den Boden. Verwirrt schaute sie nach unten und begriff, dass dies von dem Meditie ausging, das auch schon die Beere hatte schweben lassen. Etwas panisch schaute Viviana wieder zu Shinya. „Du willst also kämpfen?“ Mit einem Mal war Shinya wieder kampfbereit. „Wie du willst, Benji-“ Er stockte und sah sich um. „Oh nein.“ „Blitzmerker“, murmelte Viviana und versuchte sich irgendwie aus ihrer Starre zu befreien. Auch wenn sie nicht schon wieder kämpfen wollte, so musste sie doch Shinya verteidigen. Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Hey du!“ Ihre Stimme war doch nicht so laut und bestimmt, wie Viviana es erhofft hatte. „Wenn du kämpfen willst, dann lass uns kämpfen. Aber richtig...“ Ihre Stimme wurde immer leiser und sie fragte sich, was sie hier eigentlich tat. Das Evoli hatte keine Ahnung vom Kämpfen. Überraschenderweise wurde das kleine Pokémon wirklich heruntergelassen, oder eher fiel es und landete unsanft auf seinem dichten Halsfell. Es kam unerwartet für Viviana, dennoch sprang sie sofort wieder auf und schaute abwartend zu Meditie, das nun seine Augen wieder geöffnet hatte. „Vivi? Magst du für mich kämpfen?“ Ihre Blicke trafen sich kurz und der Junge nickte. „Ich werde dieses Pokémon fangen!“ Shinya wirkte sehr entschlossen und Viviana würde alles geben, um ihm zu helfen. „Wie niedlich“, mehr gab das Meditie nicht von sich, ehe es seine Augen erneut schloss und sich wieder zu konzentrieren schien. Viviana wollte etwas unternehmen, ehe sie wieder wie vorhin so hilflos in der Luft verweilen musste, und rannte auf das Pokémon zu. Das Evoli warf sich mit voller Wucht gegen das Meditie und taumelte zu seiner Überraschung zurück, als wäre es gegen einen Felsen gerannt. Meditie saß ungerührt vor ihr. „Vivi!“ Sie schüttelte sich kurz und war dann wieder bereit, aber was war das gewesen? „Pass auf, es setzt Scanner ein! Du musst es aus seiner Konzentration bringen!“ Wie sollte sie das denn anstellen? Mit einem schnellen Sprung wich sie Medities Kraftreserve aus und rannte weiter durch das hohe Gras. Sie lies ihren Gegner, der noch einige Male angriff, nicht aus den Augen. Ihr fiel auf, dass er sich vor einer Attacke auf diese und nicht mehr auf seinen Schutz konzentrierte. „Vivi, jetzt!“ Shinya schien es auch bemerkt zu haben. Das Evoli sprang auf das andere Pokémon zu und so direkt in dessen Attacke, welche dieses gerade startete. Ein starker Schmerz durchfuhr Vivianas Körper, so dass sie gar nicht spürte, wie sie das überraschte Meditie rammte. Einige Schritte von diesem entfernt fiel Viviana ins Gras und blieb erst einmal liegen, in der Hoffnung, dass die Schmerzen nachließen. „Vivi! Steh auf!“ Shinyas Zuruf ließ das Evoli aufstehen und zur Seite rollen, ehe es von einer weiteren Kraftreserve getroffen wurde. Erst jetzt sah sie, dass Meditie nicht mehr saß, trotzdem schien ihre Attacke ihm nicht sonderlich geschadet zu haben. „Jetzt greif noch mal an!“ Ohne weiter darüber nachzudenken rannte Viviana erneut auf Meditie zu, den Schmerz ignorierend und dieses Mal traf ihr Tackle auch. Nicht nur das Meditie war überrascht darüber. Viviana schaute zu, wie das größere Pokémon durch ihren Angriff gegen den Felsen hinter sich flog und dann liegen blieb. Sie fühlte sich etwas schlecht und wartete auf weitere Anweisungen von Shinya. „Super gemacht!“ Er klang zufrieden und warf fast zeitgleich einen Pokéball auf das Meditie. Beide schauten angespannt zu, wie das Pokémon in dem Ball weiterkämpfte und Viviana rechnete jeden Augenblick damit, dass es sich wieder befreite, doch dies geschah nicht. Das Leuchten des Balls erlosch und signalisierte so, dass der Fang erfolgreich war. Obwohl Viviana nun stolz auf sich selbst war, immerhin hatte sie ihren ersten Gegner besiegt, auch wenn es eher Glück gewesen war, fühlte sie sich gleichzeitig schlecht. Sie hatte nach wie vor nicht viel für diese Kämpfe übrig. Allerdings hatte sie Shinya glücklich gemacht, der gerade den Pokéball aufhob. „Vielen Dank Vivi. Dank dir hab ich mein erstes Pokémon gefangen“, er lächelte das kleine Pokémon an, welches verlegen seinen Schweif bewegte. Es war schön, dass Shinya mit ihr zufrieden war. „Lass uns zurück gehen, dann schau ich mir auch deine Verletzungen an.“ Verletzungen? Langsam folgte sie dem Jungen und spürte, dass ihr Körper noch immer schmerzte. Sie hatte einiges abbekommen, aber mit etwas Ruhe würde das schon wieder werden, zumindest fühlte es sich nach nichts schlimmem an. Benjiro hielt ein kleines Nickerchen, als sie wieder an dem Baum ankamen. Viviana war froh darüber, dass Shinya nun ein Pokémon hatte, das zum kämpfen geeigneter war. Sie sprang zu dem Bummelz und tippte es mit der Pfote an, damit es aufwachte. Es sollte noch eine Beere bekommen. „Vivi, lass Benjiro doch schlafen“, doch es öffnete bereits die Augen. Obwohl Shinya so aufgeregt war, erinnerte er sich daran, dass sein Pokémon noch kein Frühstück gehabt hatte und gab ihm erneut eine Beere. Dieses Mal passte Viviana darauf auf, dass diese nicht wieder geklaut wurde. „Danke“, Benjiro blickte langsam zu ihr auf und musterte sie einen Augenblick. „Bist du nicht dieses Mädchen?“ Das Evoli erstarrte augenblicklich und lachte dann nervös. „Welches Mädchen denn? Ich bin doch ein Pokémon.“ Auffälliger konnte man sich kaum verhalten. Doch Benjiro ging nicht weiter darauf ein, sondern widmete sich wieder seinem Essen. Wie hatte es sie erkennen können? Noch von damals, als sie es den ganzen Abend gestreichelt hatte? „Alles okay, Vivi?“ Shinyas Frage ließ sie aufmerken. „Du hast dich gut geschlagen.“ Sie tappste zu ihm, um dem Jungen zu zeigen, dass es ihr gut ging. Tatsächlich waren die Schmerzen größtenteils verschwunden, worüber sie sehr froh war. „Okay“, Shinya lächelte und ließ dann das eben gefangene Meditie aus seinem Pokéball frei. „Ich freue mich, dass du jetzt zu meinem Team gehörst. Ich heiße Shinya.“ Stellte er sich dem Pokémon vor, das misstrauisch zwischen dem Jungen und Vivi hin und her schaute. Shinya kramte schnell eine weitere Beere aus seiner Tasche. „Hier, die kannst du haben. In Zukunft brauchst du kein Essen mehr zu klauen.“ Er lächelte das Meditie freundlich an. Dieses nahm die Beere zögernd und setzte sich dann hin um sie zu verspeisen. Viviana fragte sich wie das wohl war. Was, wenn ein Pokémon von einem Menschen gefangen wurde, den es nicht leiden konnte? Konnte sich der Charakter dadurch ändern? Das Meditie wirkte irgendwie ruhiger als noch vorhin. Ihre braunen Augen ruhten auf Shinyas neuem Freund, während sie weiterhin versuchte sich vorzustellen, wie das wohl sein mochte. „Vermutlich sollte ich dir auch einen Namen geben, bevor Anzu wieder meckert.“ Shinyas Murmeln riss Vivi aus ihren Gedanken. „Meditie, hmm... Wie wäre es denn mit Tamaki?“ Begeistert schaute er das Pokémon an. Viviana hatte Mitleid mit dem Pokémon, doch dieses schien sich zu freuen. „Okay Tamaki, ruh dich ruhig hier aus, ich werde etwas mit Benjiro trainieren.“ Gesagt, getan. Er schnappte sich sein Bummelz, das nach seinem Frühstück wohl wieder dösen wollte und entfernte sich einige Meter. Vivi blieb alleine mit Tamaki zurück, was ihr etwas unangenehm war. „Ähm, tut mir leid, dass ich gegen dich gekämpft hab“, begann das Evoli leise. Tamaki schaute es nur an, sagte aber nichts. Sie wusste nicht, was sie groß sagen sollte, also schwieg auch sie. Sie hatte sich neben Shinyas Rucksack gelegt und schaute dem Jungen beim Training mit seinen Pokémon zu. Mittlerweile hatte sich auch Tamaki zu ihm gesellt und schien sein Bestes zu geben, um ihn zu beeindrucken. Nach einer Weile schloss das Evoli einfach seine Augen, genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seinem hellen Fell und lauschte den Geräuschen der Umgebung. Viviana dachte über ihre bisherige Reise nach, was sie schon alles erlebt hatte. Irgendwann blieben ihre Gedanken bei Pixi hängen. Sie wollte endlich wissen, warum sie ein Pokémon war und wie sie wieder ein einfaches Mädchen werden konnte. Erneut versuchte sie selbst eine Erklärung dafür zu finden, doch alles was ihr einfiel, klang in ihren Ohren lächerlich. Viviana öffnete ihre Augen wieder, als das Gras neben ihr raschelte. Benjiro war wohl endlich aus seinem Training entlassen worden und hatte sich neben das Evoli gelegt und seine Augen bereits geschlossen. Sie musterte den lebenden Teppich kurz. „Benjiro?“ Der Angesprochene öffnete mit fragendem Blick seine Augen wieder. „Gefällt dir die Reise eigentlich?“ Sie wusste selbst nicht so recht, warum sie so etwas jetzt fragte. „Ich bekomme ja nicht viel mit“, es klang als würde er kurz kichern. „Macht dir das denn nichts aus?“ Neugierig schaute sie das Bummelz an. „Ich will mich entwickeln, damit ich Shinya nützlicher sein kann als ich es jetzt bin.“ War das jetzt eine Antwort auf ihre Frage gewesen? Aber sie konnte nicht weiter fragen, da es nun wirklich eingeschlafen war. Anscheinend hatte sie Benjiro falsch eingeschätzt. Er wirkte faul und schwach, trotzdem wollte er für seinen Trainer stärker werden. Vielleicht konnte er ja gar nichts für seine Faulheit. Vielleicht war das einfach so eine Eigenschaft bei Bummelz. Als die Sonne bereits sehr hoch am Himmel stand, kam Shinya schließlich wieder zu ihnen. Obwohl Tamaki die ganze Zeit mit ihm trainiert hatte, schien er immer noch fit zu sein. Der Junge strahlte Viviana fröhlich an. „Ich hoffe du langweilst dich nicht zu sehr?“, fragte er Vivi, während er aus seinem Rucksack eine Wasserflasche kramte. Langsam schüttelte sie den Kopf. Nach den letzten Tagen war es mal angenehm, einfach nur dazuliegen und sich auszuruhen. Nun aber stand das Evoli auf und streckte sich. Am Mittag hatten sie Anzu wieder treffen wollen, und der Sonne nach zu urteilen durfte dieser bereits erreicht sein. Wie sie Shinya kannte würde er diese Verabredung einfach vergessen. Viviana gab einen kurzen Laut von sich und schaute, nachdem sie Shinyas Aufmerksamkeit hatte, zum Himmel, so dass der Junge ihrem Blick folgte. Es schien eine Weile zu dauern, bis es in Shinyas Kopf klick machte. „Ah, Anzu. Danke Vivi, was würde ich nur ohne dich machen?“ Er grinste das Evoli schief an und begann seinen Rucksack zu packen. Viviana vernahm ein verachtendes Schnauben von Tamaki. Fragend richtete sie ihren Blick auf diesen. Erst schien er nichts weiter sagen zu wollen, dann sprach er aber doch. „Wie kommt es, dass er so begeistert von dir ist? Du hast ja nicht mal mittrainiert.“ Die Frage klang weniger nach einer richtigen Frage, als viel mehr nach einem Vorwurf. „Ich brauche nicht zu trainieren.“ Die Antwort kam unüberlegt und Viviana hätte sich dafür am liebsten die Zunge abgebissen. „Äh, ich meine, ich bin nicht sein Pokémon.“ Tamakis abschätzender Blick ruhte einige Sekunden auf dem Evoli, bis er schließlich zu Shinya schaute ohne noch irgendetwas zu sagen. Ob das Meditie ihr wohl böse war, weil es ihretwegen gefangen wurde? Aber es schien auch nicht sonderlich traurig darüber zu sein, nun zu Shinya zu gehören. „Okay ihr beiden, kommt zurück.“ Mit diesen Worten holte Shinya Benjiro und Tamaki zurück in ihre Pokébälle, die er sogleich an seinem Gürtel verstaute. „Dann lass uns mal zurück gehen.“ Viviana streckte sich noch einmal und folgte dem Jungen dann über die Wiese zurück auf den Weg. Der Rückweg erschien Viviana soviel länger als der Hinweg. Vielleicht lag es daran, dass sie endlich mit Pixi reden wollte. Als sie endlich die ersten Häuser Ewigenaus passierten, hüpfte sie einige Schritte vor. „Was ist denn los, Vivi?“, kicherte Shinya hinter ihr. „Sag bloß du freust dich Anzu zu sehen.“ Er hatte das nicht provokant gemeint, dennoch sträubte sich Vivianas Fell. Bestimmt nicht! Als die große Pokémonstatue endlich in Sichtweite war, saß Anzu bereits vor dieser. Bei ihr saßen drei Pokémon und auf der Statue konnte sie noch Karasu ausmachen. Sonst war, trotz des schönen Wetters, nicht sehr viel auf dem Platz los. Pixi war die erste, die die Neuankömmlinge bemerkte, die geradewegs auf die kleine Gruppe zukamen. Obwohl Viviana die ganze Zeit so ungeduldig gewesen war, wurde sie nun auf einmal langsamer und kam hinter Shinya an der Statue an. Kapitel 13: ------------ „Du bist zu spät. Ich hoffe nur, dass du eine gute Ausrede hast“, wurden sie von Anzu begrüßt. „Wieso? Es ist doch Mittag“, erwiderte Shinya grinsend und setzte sich rechts neben dem Mädchen auf die Stufen vor der Statue. „Na gut. Hast du denn was gefangen?“ Fragte sie nun interessiert. Viviana war vor Shinya stehen geblieben und schaute zu Pixi, die vor Anzu saß. Tora und Michiru saßen links neben Anzu. Währen Tora sie zu ignorieren schien, schaute das Pliprin sie kurz an. „Oh ja!“ Stolz holte er sein neues Pokémon aus seinem Ball um es Anzu zu zeigen. „Ein Meditie. Vivi hat mir beim Fangen geholfen. Ich habe ihn Tamaki genannt.“ Er schien nicht nur stolz auf seinen Fang, sondern auch auf den Namen zu sein. Völlig unerwartet fing Anzu auf einmal an zu lachen. „Tut mir leid.“ Sie hatte sich wieder beruhigt. „Das ist wirklich ein cooles Pokémon, aber Tamaki?“ Wieder musste das Mädchen kichern. Viviana ärgerte sich etwas darüber, dass sie Anzu nur zustimmen konnte. „Wieso? Was ist denn falsch an dem Namen?“ Shinya wirkte fast etwas beleidigt und beobachtete sein Meditie. „Na ja, der Name ist etwas langweilig, finde ich. Aber wenn er Tamaki gefällt ist es gut.“ Lächelnd streichelte sie über den Kopf des Pokémons. Als die beiden Menschen dann begannen über Attacken und derlei Zeugs zu sprechen, hörte Viviana nicht mehr zu und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf Pixi. Diese erwiderte ihren Blick nur kurz und entfernte sich dann langsam von der Statue. Viviana folgte ihr, bis sie schließlich so weit weg waren, dass keines der anderen Pokémon sie mehr hören konnte. „Also, warum bin ich ein Pokémon?“ Begann Viviana, nachdem Pixi keine Anstalten gemacht hatte etwas zu sagen. Nun seufzte sie leise. „Okay“ Sie setzte sich wieder hin und betrachtete kurz ihre rechte Pfote. „Wie Schwester Joy gestern schon sagte, gibt es verschiedene Theorien. Wie genau es passiert kann ich dir auch nicht sagen. Aber wenn ein Mensch einen starken Wunsch hat, diesen als Mensch aber nicht erfüllen kann, so erwacht er als Pokémon. Ich bin bereits vielen wie uns begegnet, und alle hatten einen solchen Wunsch, dessen Erfüllung sie als Pokémon näher kamen. Deswegen ist das meine Theorie.“ Pixi machte eine kurze Pause und schien auf eine Reaktion seitens Viviana zu warten. „Wenn man es schafft den Wunsch zu erfüllen, wird man wieder ein Mensch.“ Viviana wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Sie versuchte das gerade Gehörte nur irgendwie zu verarbeiten. „Hast du auch einen solchen Wunsch?“ Pixis hellbraunen Augen fixierten das Evoli während sie geduldig auf eine Antwort wartete. „Na ja“ Viviana überlegte eine Weile. Sie war gerade etwas überfordert. „Ich weiß nicht genau. Ich will nicht, dass Shinya etwas auf seiner Reise passiert. Und ich denke, ich wünsche mir am Meisten für ihn, dass er die Meisterschaft gewinnt“, murmelte sie. Das Vulpix nickte nur. „Dann weißt du ja, was du zu tun hast.“ Mit aufgerissenen Augen schaute sie Pixi an. „Wie soll ich das denn machen?“ „Du bist jetzt ein Pokémon. Da kannst du sicher mehr für ihn machen als als Mensch.“ Sie wurde schief angegrinst. „Ach, noch etwas. Ich habe gehört, dass man kein Mensch mehr werden kann, wenn man sich fangen lässt, oder sich entwickelt, also pass auf.“ Na toll, also musste sie auch noch ein schwaches Evoli bleiben. „Pixi, was ist dein Wunsch?“ Fragend schaute sie wider das hübsche Pokémon an. „Ich möchte all jenen helfen, die das gleiche durchmachen, wie ich damals. Auf einmal war ich ein Pokémon, ich konnte mich niemandem anvertrauen und niemand konnte mir sagen warum.“ „Aber dann...“ Viviana stockte. „Kannst du dann jemals wieder ein Mensch werden?“ Konnte Pixis Geschichte stimmen? Wenn man erst durch den Wunsch ein Pokémon wurde, dann ergab das, was sie gerade gesagt hatte gar keinen Sinn. Aber Viviana war auch so schon genug verwirrt, also fragte sie nicht weiter nach. „Ich weiß es nicht.“ Die Antwort klang nicht traurig. Vermutlich hatte sich das Vulpix mit seinem Schicksal abgefunden. „Pixi?“ Unterbrach Viviana nach einer Weile die Stille, die entstanden war. „Wie lange bist du schon so?“ Diese Frage hatte sie schon die ganze Zeit gestellt. „Ein paar Jahre, denke ich. Ich habe nicht wirklich mitgezählt. Nach einer Weile verliert man sein Zeitgefühl.“ Viviana schaute vor sich auf den Boden. Schon mehrere Jahre. Ob sie das so lange aushalten könnte? „Aber mach dir keine Sorgen, so tüchtig wie Shinya ist, wird sich dein Wunsch sicherlich schnell erfüllen und dann kannst du wieder ein Mensch sein.“ Sagte Pixi etwas herablassend. Ob sie wohl neidisch war? „Na egal, das reicht sicher erst mal an Infos. Lass uns zurück gehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten stand Pixi auf und ging wieder zurück zu den Anderen. Etwas zögernd folgte das Evoli ihr, blieb aber abrupt stehen, als es Toras verwirrten Blick, der auf ihr ruhte, sah. Hatte sie etwa gehört, worüber sie geredet hatten? Panik stiegt in Viviana auf. Aber warum wäre es eigentlich so schlimm, wenn ein anderes Pokémon bescheid wusste? „Was glotzt du so?“, rissen Pixis schroffe Worte Viviana aus ihren Gedanken. Tora musterte die beiden Pokémon noch kurz misstrauisch, ehe sie ihren Blick auf Anzu richtete. „Was, wenn sie was gehört hat?“ Flüsterte das Evoli nervös ihrer Freundin zu. „Und wenn schon, vermutlich wird sies eh nicht glauben.“ Das Vulpix schien sich keine weiteren Gedanken zu machen und schritt elegant auf Anzu zu. Das Mädchen begann sofort sie zu streicheln, was Pixi nutzte um Tora noch weiter zu provozieren, indem sie es übertrieben genoss. Das Luxio stand einfach auf und ging um die Statue herum. Zögerlich folgte Viviana ihm. „Tora?“ Fragte sie vorsichtig, als sie sich dem anderen Pokémon, welches sich hinter der Statue niedergelassen hatte, näherte. „Was willst du?“ Herablassend schaute sie auf das Evoli herunter. „Ich... Tut mir leid wegen gestern.“ Viviana schaut den Boden unter ihren Pfoten an. „Daran muss ich mich wohl gewöhnen“, entgegnete sie nur trocken. „Ich streng mich ja wirklich an, ich versuche es zumindest. Das ist alles noch so neu für mich“, nuschelte das Evoli und versuchte so auch in Erfahrung zu bringen, ob Tora ihr Gespräch nicht doch mitbekommen hatte. Diese kniff ihre gelben Augen zusammen, während sie Viviana fixierte. „Du bist also so ein kleines, verwöhntes Hauspokémon?“ Die Frage war nicht ernst gemeint, so dass Viviana einfach schwieg. „Bist... warst du wirklich ein... Mensch?“ Überrascht schaute sie auf und sah, wie angespannt Tora vor ihr saß. „Ja“, ob Tora ihr das glaubte? „Goldtolle dann wohl auch, kein wunder dass ihr so unfähig seid“, murmelte das Luxio eher zu sich selbst. Danach begann es Viviana neugierig zu mustern. „Dann muss ich mich wohl entschuldigen, dafür dass ich Erwartungen an dich hatte. Als Mensch kommst du an ein Pokémon nun mal nicht ran, auch wenn du jetzt so einen Körper hast.“ Tora beendete ihre herablassende Rede, doch Viviana verstand schon wie sie es meinte und lächelte leicht. „Danke Tora.“ „Denk nicht, wir sind jetzt Freunde“, wendete diese schnell ein und stand auf. Fragend schaute sie Tora an. Konnte sie sie nicht leiden, weil sie eigentlich ein Mensch war? Weil sie schwach war? Genervt schaute sie zur Statue auf, auf der Karasu saß, der die beiden Pokémon wohl die ganze Zeit über beobachtet hatte. Na toll, dachte sich Viviana, während sie kurz in seine roten Augen blickte. „Komm mit“, murmelte Tora und ging einfach los. Verwundert folgte sie ihr, bis sie unbeobachtet waren. „Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“, fragte Viviana leise. Sie war froh darüber, dass sich Tora nun etwas auf sie einließ. Diese schüttelte kurz ihren Kopf. „Du magst Anzu nicht. Ich kann es verstehen, aber so jemanden möchte ich nur von ihr fernhalten.“ Ihre ehrlichen Worte überraschten Viviana. Toras herablassende Art war auf einmal verschwunden. Sie wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. „Tut mir leid, wenn du eifersüchtig bist, aber dafür kann Anzu recht wenig. Sie hat es ebenso wie alle andern verdient glücklich zu sein und wenn Shinya sich nun dafür entscheidet mit ihr befreundet zu sein, dann solltest du dich damit abfinden.“ „Bitte?“ Überrascht schaute Viviana das Luxio an. Obwohl sie es nicht zugeben wollte, spürte sie doch, dass Tora recht hatte. „Anzu hat eine schwere Zeit hinter sich, in der ich immer an ihrer Seite war. Du kannst das natürlich nicht verstehen, aber wenn du dich weiterhin so verhältst, dann erwarte keine Freundlichkeit von mir.“ Viviana nickte langsam. „Danke Tora, dass wir normal reden konnten. Ich werde darüber nachdenken.“ Sie lächelte leicht, auch wenn ihre Gefühle durcheinander waren. Schließlich gingen sie zurück zu den Anderen. Pixi hatte es sich mittlerweile auf Anzus Schoß bequem gemacht und ließ sich streicheln. Von Tora kam ein leises knurren. Nun konnte sie auch verstehen, warum sie Pixi nicht mochte, es war Eifersucht. Aber war es nicht genau das Verhalten, dass sie eben an Viviana gegenüber Anzu bemängelt hatte und nicht dulden wollte? Viviana huschte schnell zu Shinya. „Na, wo wart ihr denn?“ Er schien glücklich und legte seine Hand auf den Kopf des Evolis. „Ist doch toll, dass die beiden sich nun zu vertragen scheinen, ich hatte schon etwas Sorge.“ Anzu lächelte ihr Luxio liebevoll an. Viviana beobachtete das Mädchen mit ihren braunen Augen und versuchte irgendwie ihre Gefühle zu ordnen. Stimmte es was Tora gesagt hatte? War sie einfach nur eifersüchtig? Anzu schien ja doch ganz nett zu sein. Viviana grummelte leise. Mit Anzu anfreunden würde sie sich wohl trotzdem nicht können. Schließlich hatten die beiden Menschen ihre Pokémon wieder zurück gerufen und sich auf die Suche nach einem Café begeben um etwas zu Mittag zu essen. Pixi und Viviana saßen nun neben dem Tisch, an dem Shinya und Anzu ihre Sandwiches, und aßen ihr eigenes Essen, das sie bekommen hatten. Beziehungsweise Pixi aß, Viviana hatte keinen wirklich großen Hunger. Stattdessen hörte sie Shinya und Anzu dabei zu, wie sie Pläne für die nächsten Tage schmiedeten. Keiner der Beiden wollte die Arenaleiterin der Stadt herausfordern, trotzdem wollten sie für zwei Tage hier bleiben und sich etwas ausruhen. Anzu hatte eine günstige Unterkunft gefunden, wo sie bleiben konnten. „Was ist das jetzt eigentlich mit dir und dieser Tora?“ Fragte Pixi, die ihre Mahlzeit beendet hatte, beiläufig, während sie sich der Pflege ihrer Schwänze widmete. „Was meinst du?“ „Du bist doch vorhin mit ihr verschwunden.“ Nun schaute das Vulpix sie kurz an. „Wir haben nur geredet.“ Viviana machte eine kurze Pause. „Sie ist sicher ganz nett, wir hatten nur einen etwas schlechten Start.“ „Ich finde sie einfach nur überheblich“, erwiderte Pixi, die sich wieder ihrer Fellpflege gewidmet hatte. „Aber wenn es dich glücklich macht.“ Was wohl auf einmal mit dem Vulpix los war? Danach waren sie noch mal kurz im Pokécenter gewesen, Tamaki und Viviana fehlte nichts. Am Abend standen sie wieder an der Brücke, die zum Ewigwald führte. Als sie das letzte Mal über sie gegangen waren hatte es so stark geregnet, dass man nicht wirklich etwas sehen konnte. Doch heute war das Wetter einigermaßen gut. Zwar war die Sonne mittlerweile hinter Wolken verschwunden und würde bald schon untergehen, aber es war immer noch angenehm warm. Viviana bestaunte den großen See, in den gerade Anzus Pliprin abtauchte. Auch Benjiro, Tamaki, Tora und Karasu wurden wieder rausgelassen. Pixi hatte sich neben Anzu gesetzt, die mit Shinya zusammen am Geländer der Brücke lehnte und ins Wasser schaute. Tora saß etwas abseits, aber Viviana entschied, dass es besser war sie dieses Mal in Ruhe zu lassen. Tamaki hatte sich neben Shinya auf das Brückengeländer gesetzt und sah so aus als würde er meditieren. Benjiro lag zu den Füßen des Jungen und schaute Viviana an. Als sich ihre Blicke trafen, schaute das Evoli schnell beiseite. „Was hast du?“ Die tiefe, kratzige Stimme Karasus ließ Viviana aufschrecken. Kurz schaute sie in die roten Augen des Flugpokémons. „Nichts“ Karasus Gegenwart bereitete dem Evoli ein unbehagliches Gefühl. Sie hörte ein kurzes Flügelschlagen und schon saß der große Vogel vor ihr auf dem Boden. „Tora ist wirklich eine gute Freundin, nur manchmal steht ihr ihr Stolz im Weg. Also nehm ihr ihr Verhalten nicht zu übel.“ Verwundert schaute Viviana auf. Worauf wollte Karasu raus? „Ich glaube sie mag dich“, sagte er knapp. „D... Das glaube ich nicht. Also vielleicht, aber ich mag Anzu nicht und das stört sie“, nuschelte sie nervös. „Du musst wissen die Beiden haben viel zusammen durchgemacht. Aber ich kenne Tora gut genug um zu merken, dass sie ein gewisses Interesse an dir hat. Egal was ihr heute Mittag besprochen habt...“ Er sprach nicht weiter und Viviana versuchte irgendetwas aus seinem Blick lesen zu können. Doch das Kramurx war ihr ein Rätsel. „Karasu“, erklang auf einmal ein drohendes Knurren hinter ihnen. Augenblicklich flog der Angesprochene lachen nach oben, während Tora ihn wütend anfunkelte. „Du bist so ein Großmaul.“ „Seit du dich entwickelt hast bist du so gereizt“, lachte Karasu gelassen und setzte sich wieder auf das Geländer. „Halt einfach deinen Schnabel.“ Tora setzte sich neben Viviana. Sie klang zwar immer noch verärgert, aber das Evoli bemerkte, dass es nun eher gespielt war. Schon bald gesellte sich auch noch Michiru zu ihnen und Viviana genoss die ausgelassene Stimmung, auch wenn Tora sie nicht einmal ansprach. Sie musste über Karasus Worte und generell den ganzen Tag nachdenken. Das war eigentlich ein schönes Ende für diesen Tag. Kapitel 14: ------------ „Vivi? Hey, aufwachen du Schlafmütze“, würde das Evoli von einem fröhlichen Shinya geweckt. Verschlafen öffnete sie ihre Augen und schaute sich kurz verwirrt um. Sie lag eingerollt in Shinyas Bett auf dessen Kopfkissen und gähnte ihn nun an. Viviana dachte, sie würden noch einen Tag hier bleiben, also warum weckte ihr Freund sie so früh? „Wolltest du noch schlafen?“ Er lächelte entschuldigend. „Anzu und ich gehen jetzt frühstücken, ich dachte da magst du vielleicht mitkommen.“ Nach kurzem Widerstreben stand Viviana dann doch auf und streckte sich ausgiebig. Sie waren gestern noch lange am See gewesen und demnach erst in ihrer Unterkunft angekommen. Viviana gähnte noch einmal verschlafen und verfing sich, bei dem Sprung vom Bett, ungeschickt in der Decke und landete prompt auf ihrer Nase. Zum Glück war hier Teppichboden verlegt. Die Situation erinnerte sie an ihren ersten Tag in diesem Körper. Nun hellwach sprang Viviana schnell wieder auf. Glücklicherweise war neben Shinya niemand mehr in dem Zimmer. Wäre sie noch ein Mensch gewesen, wäre sie nun unter Shinyas Gelächter rot angelaufen. Schmollend stapfte sie, dich gefolgt von dem noch immer schmunzelnden Jungen, aus dem Zimmer und die Treppe nach unten, wo sie bereits das Frühstück riechen konnte. Anzu saß bereits an einem kleinen Tisch und aß ein Müsli. Ihre Pokémon, wie auch Pixi, saßen in einem extra dafür vorgesehenen Bereich, wo sie, wie auch die Menschen, Frühstück bekamen. Ansonsten war nur noch ein junger Mann anwesend, der keinen Begleiter zu haben schien. Shinya entließ seine Pokémon ebenfalls und so begann dieser Tag mit einem durchaus leckeren Essen. Pixi, die am weitesten von Tora entfernt saß stupste Viviana kurz an. Fragend richtete diese ihren Blick auf sie. „Sollen wir heute was machen?“ Sie klang fröhlich, konnte es sich aber nicht verkneifen noch eine bissige Bemerkung anzuhängen. „Oder kannst du dich von deinem Shinya nicht trennen?“ „Was hast du denn vor?“ Überging das Viviana ihre Stichelei einfach. Nachdem was im Wald passiert war, fühlte sie sich unwohl bei dem Gedanken wieder alleine umher zu laufen. „Will mich nur etwas umschaun.“ Das Vulpix grinste nur, stand dann von dem beendeten Essen auf und lief zur Tür um das gemütlich eingerichtete Haus zu verlassen. Viviana stand zögernd auf, folgte dann aber ihrer Freundin. Nachdem sie sich sicher war, dass Shinya sie bemerkt hatte, verließ sie ebenfalls das Gebäude. Hoffentlich verstand der Junge das nicht falsch. Bis zum Mittag hatten sich die beiden Pokémon an den Seen am östlichen Stadtrand aufgehalten, sich unterhalten und einfach mal entspannt. Besonders viel hatten sie über das Leben als Pokémon geredet. Viviana wollte wissen, wie vielen solcher Pokémon Pixi bereits begegnet war und wie diese damit umgegangen waren. Pixi hatte sogar kurz etwas aus ihrem Menschenleben erzählt, auch wenn es nur die Info war, dass sie eine jüngere Schwester hatte. Viviana fragte dann aber nicht mehr weiter nach. Es war bereits den ganzen Tag bewölkt gewesen, doch um die Mittagszeit zogen fast schwarze Wolken auf und es wurde windiger. Viviana war erstaunt darüber, dass sie den nahenden Regen bereits riechen konnte. Sie entschlossen sich, in die Herberge zurück zu kehren. Pixi hatte keine Lust nass zu werden. „Wenn du nie bei Menschen warst, wie hast du es dann geschafft, dass dein Fell so gepflegt aussieht?“ Zum teil war die Frage ernst gemeint, aber hauptsächlich sollte es ein Kompliment an Pixi sein. In ihrem Gespräch hatte sie erfahren, dass das Vulpix sich stets von Menschen ferngehalten hatte, außer es war eben ein anderes Shiny Pokémon – daran konnte man erkennen, wer eigentlich mal ein Mensch gewesen war – bei ihnen. Viviana bewunderte Pixi dafür, dass diese sich alleine durchschlagen konnte. Pixi setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf. „Ich nehm mir eben viel Zeit dafür.“ Viviana fand die Vorstellung, sein Fell zu putzen, irgendwie abstoßend. Sie sagte nichts weiter dazu. Als sie gerade in eine kleine Seitengasse bogen, hörten sie auf einmal Flügelschläge über sich. Fragend schaute Viviana nach oben und erkannte Karasu. Sofort blieb sie stehend. Pixi wäre wohl am liebsten weiter gegangen, hielt nach ein paar extra Schritten dann aber auch an. „Hallo Pixi“, das Vulpix mit seinen roten Augen fixierend, ließ er sich auf einer Fensterbank nieder. Viviana war überrascht darüber, dass er nur Pixi ansprach. Diese erwiderte die Begrüßung nicht und wartete darauf, dass Karasu weitersprach. „Ich wollte dir eigentlich etwas erzählen, das dich interessieren dürfte, aber anscheinend willst du gerade nicht reden.“ Er sprach gleichgültig und machte Anstalten wieder zu verschwinden. „Sag schon“, kam es genervt von Pixi. Irgendwie wurde Viviana das Gefühl nicht los, dass sie etwas gegen alle Pokémon hatte. „Du suchst doch nach Pokémon mit besonderer Färbung?“ Karasu klang amüsiert. Pixi nickte nur kurz, während sie den Vogel mit ihrem Blick fixierte. „Ich bin gerade so über die Stadt geflogen, als mir ein besonders auffälliges Fiffyen ins Auge gefallen ist“, begann er zu erzählen, sprach dann aber nicht mehr weiter. „Jetzt sag schon wo!“, fauchte Pixi ihn nach einer kurzen Stille gereizt an. Man konnte Karasu deutlich ansehen, was für einen Spaß er dabei hatte. Viviana schwieg zwar, konnte es aber genauso wenig aushalten mehr zu erfahren. Sie konnte es nicht glauben, dass sich noch jemand in dieser Stadt befand, der so war wie sie. „Okay, meine Damen“, kurz streifte sein Blick Viviana, dann flog er los. Die beiden Pokémon am Boden rannten ihm hinterher. Sie bogen gerade scharf um eine Ecke, als sie mit jemanden zusammenstießen. Viviana blickte in die, vor Schreck weit aufgerissenen, Augen eines Fiffyens. Erst als wütende Rufe hinter diesem zu hören war, schien es wieder zu sich zu kommen. Schnell sprang es wieder auf seine Pfoten und rannte an Pixi und Viviana vorbei. Erst jetzt bemerkte das Evoli, dass das Fiffyen mit dem ungepflegten, gelblichen Fell etwas im Maul gehabt hatte. „Lauft!“ Hörte sie einen Ruf von oben. Pixi reagierte sofort und rannte dem Pokémon hinterher, während Viviana noch einen Moment brauchte. Als sie die schnellen Schritte aber immer näher kommen hörte, raffte auch sie sich auf und folgte ihrer Freundin. Hier schien es sich eindeutig um einen Diebstahl zu handeln. Viviana hatte das Gefühl, dass sie noch nie so schnell gerannt war wie gerade. Trotzdem machte es ihr irgendwie Spaß. Außer Puste kam sie bei Pixi an, die mittlerweile nur wenige Schritte von dem Fiffyen, welches ebenfalls stehen geblieben war, stand. Viviana konnte hören, wie sich Karasu in der Nähe hinsetzte. „Was wollt ihr von mir? Das ist mein Essen, verschwindet!“ Er hatte ein Brötchen im Maul und knurrte sie drohend an. Nach genauerem Mustern musste Viviana feststellen, dass das Fiffyen ziemlich mager aussah und auch erschöpft wirkte. „Reg dich ab Kleiner, wir haben kein Interesse an deinem Essen“, meldete sich Pixi mit ruhiger Stimme zu Wort. Das Fiffyen funkelte sie misstrauisch an. „Ich... Wir sind hier, um dir...“ Pixi stoppte und schien sich anzuspannen. „Versucht nicht wieder ganz so schmutzig zu werden“, krächzte auf einmal Karasu und flog dann davon. Verwirrt schaute Viviana ihm hinterher, als sie spürte, wie die ersten Regentropfen ihren Weg zum Boden fanden. Das Fiffyen gab ein kurzes genervtes Grummeln von sich, ehe es sich umdrehte und nun nicht mehr ganz so schnell weiter lief. Pixi und Viviana wechselten einen kurzen Blick, ehe sie ihm mit etwas Abstand folgten. Schnell wurde aus ein paar Tropfen ein richtiger Wolkenbruch. Sie hatten in einer engen Seitengasse zwischen ein paar Containern Schutz gefunden. Bei einer Frau, die allen Anschein nach Obdachlos war und sich aus diversen Utensilien einen Unterschlupf gebaut hatte. Man sah Pixi deutlich an, dass sie sich hier mehr als nur unwohl fühlte. Viviana war einfach nur froh, dass sie nicht schon wieder nass wurde. Sie hatten sich möglichst weit der Frau hingesetzt, die gierig das Brötchen aß, das das Fiffyen ihr gebracht hatte. Sie hatte den beiden Neuankömmlingen keine Aufmerksamkeit geschenkt, generell machte sie keinen sonderlich guten Eindruck. „Ist das deine Mutter?“, fragte Pixi auf einmal wissend. Nicht nur das Fiffyen sondern auch Viviana schaute sie überrascht an. „Wer seid ihr?“, fragte er anstelle einer Antwort. „Ich heiße Pixi und das hier ist Vivi“, mit einer leichten Kopfbewegung deutete sie auf das Evoli. „Und wer bist du?“ „Max“, sagte das Fiffyen kurz. „Woher weißt du dass sie meine Mutter ist? Ich meine...“ „Weil du doch ein Pokémon bist?“ Half Pixi ihm die richtigen Worte zu finden. Max nickte nur. „Du bist doch eigentlich ein Mensch. Ich weiß das, denn ich war auch mal einer. Deswegen bin ich hier, weil ich dir helfen möchte.“ Pixi sprach ruhig und selbstbewusst. Max' Blick schweifte kurz zu Viviana, die schweigend neben dem Vulpix saß. In seinen roten Augen war auf einmal ein Funkeln zu sehen. Viviana konnte sich nur zu gut vorstellen, was gerade in seinem Kopf vor sich ging. „Dann kannst du mich wieder zu einem Menschen machen?“ Fragte er begeistert, wieder an Pixi gewandt. Diese schüttelte den Kopf. „Was ist dein Wunsch?“ Fragte Pixi eher abwesend, während sie ihre nass gewordenen Pfoten betrachtete. Max schaute sie fragend an, schien kurz zu überlegen und schaute dann zu der Frau, an die er sich geschmiegt hatte. Sie hatte ihre Augen geschlossen und atmete ruhig. Trotzdem konnte Viviana sehen, wie sie leicht Zitterte. „Mein Wunsch? Ich will meiner Mutter keine Last sein. Seit wir auf der Straße lebten, hat sie alles getan, damit es mir gut geht und ihre eigenen Bedürfnisse ignoriert. Als es kälter wurde, wurde sie dann krank. Am nächsten Tag wachte ich als ein Pokémon auf. Sie war so traurig darüber, dass ihr Sohn einfach gegangen war, dabei bin ich doch immer noch bei ihr und kann es ihr einfach nicht sagen. Aber etwas Gute hat das Ganze. Ich kann sie zumindest etwas warm halten und an Essen komme ich auch einfacher.“ Er wirkte so traurig und Viviana hätte ihm am liebsten geholfen. Was würde Pixi nun sagen? Diese wirkte für einen Augenblick sehr abwesend, doch dann schien sie wieder in der Gegenwart angekommen zu sein. „Verfolge diesen Wunsch weiter. In deiner jetzigen Form kannst du es schaffen und irgendwann wird es euch besser gehen. Dann kannst du wieder als ihr Sohn zu deiner Mutter zurückkehren.“ Pixi sagte das alles sehr kühl und stand dann auf einmal auf. „Meinst du das ernst?“, fragte Max ungläubig. Da Vulpix schaute ihn kurz fest an, nickte dann und verließ dann einfach den Unterschlupf. Verwundert sprang auch Viviana auf. „Viel Glück“, sie hoffte wirklich, dass Max das schaffte. Dann folgte sie Pixi in den Regen. „Danke“, hörte sie noch das Fiffyen hinter ihr murmeln. Es klang nicht mehr ganz so entmutigt wie zuvor. Viviana eilte zu Pixi, die geradezu aus der Gasse zu fliehen schien. Nach nur wenigen Sekunden war das Evoli völlig durchnässt. Was hatte Pixi auf einmal nur? „Hey, warte doch!“ Endlich hatte sie das Vulpix eingeholt, welches nun seine Schritte etwas verlangsamte. „Willst du ihm nicht sagen, dass er sich nicht entwickeln darf? Oder gefangen werden darf?“ Das war das erste, was ihr in den Kopf kam. „Das ist nicht nötig“, entgegnete Pixi trocken. „Wieso nicht? Denkst du er schafft das nicht?“ Pixi schwieg nur. Viviana tapste neben dem Vulpix her, als ihr auf einmal ein schrecklicher Gedanke kam. „Was, wenn seine Mutter stirbt?“ Es klang grausam aus ihren Worten, aber sie musste es wissen. „Dann wird das mit seinem Wunsch wohl nichts.“ Wie konnte sie nur so kalt dabei bleiben? Doch dann fiel Viviana ein, dass sich Pixi in einer ähnlichen Situation befand. Ihr Ziel konnte sie auch nicht so einfach erreichen. Viviana entschloss sich nicht weiter darauf einzugehen. „Wieso lässt du ihn einfach alleine? Ich meine, mich begleitest du doch.“ „Was soll ich in dieser Stadt? Ich habe mich dir nur angeschlossen, weil ich so einfacher reisen kann.“ Viviana machten diese Worte etwas traurig, da sie dachte Pixi wäre aus Freundschaft noch bei ihr. „Haben alle so... traurige Geschichten?“ Wechselte das Evoli erneut das Thema. Pixi schien das Ganze nicht sonderlich nahe gegangen zu sein. „Du bist die Erste, die einfach so ein Pokémon wurde“, nun schaute sie Viviana musternd an. Als hätte sie ein Geheimnis, das sie vor Pixi verbergen wolle. Doch sie wusste nicht, was für ein Drama sich in ihrem Leben abgespielt haben sollte. Klar, sie hatte Angst gehabt Shinya eine Last zu sein, aber nach dem, was sie eben gehört hatte, glich dies eher eine Alltagssituation. „Und du willst ihm nicht irgendwie helfen?“, fragte sie dann nach einer kurzen Pause. Sie mussten gleich bei der Herberge angekommen sein. Hoffentlich wurden sie, so nass wie sie waren, überhaupt herein gelassen. „Was soll ich denn machen? Hier bleiben und mit ihm Brötchen klauen gehn? Seine Mutter mit einem Feuerchen wärmen? Vielleicht deinen Freund zu ihr führen, damit er die Beiden mit auf seine Reise nehmen kann?“ Sie klang gereizt und Viviana entging auch nicht der ironische Unterton. „Tut mir leid Vivi. Wenn du das willst, kannst du gerne hier bleiben, aber ich kann nicht für alle in Not die Wohlfahrt spielen.“ Überrascht über diese Worte schaute Viviana auf. „Ich dachte gerade das wäre dein Wunsch?“ Sie klang nicht vorwurfsvoll oder verärgert. Diese Aussage verwunderte Viviana einfach nur. Pixi blieb stehen. „Wir sind da“, sagte sie nur. Viviana merkte ihr an, dass sie sich gerade unwohl fühlte. Ehe sie aber noch etwas sagen konnte, schüttelte das Vulpix sein goldenes Fell ordentlich und verschwand dann in das Haus. Viviana wurde das dumme Gefühl nicht los, dass Pixi ihr etwas verheimlichte. Sie hatte sich bereits gestern über diesen eigenartigen Wunsch gewundert, doch das gerade war wohl eindeutig. Aber was sollte sie groß machen? Wenn Pixi es ihr nicht sagen wollte, dann konnte sie sie kaum zwingen. Vielleicht mussten sie sich nur noch besser kennen lernen. Der bisherige Tag war eigentlich schön gewesen, aber anscheinend sah Pixi sie nicht als Freundin. Niedergeschlagen schüttelte das Evoli sein hellgraues Fell kurz und trat dann durch die automatisch öffnende Tür ebenfalls in die Herberge. Kapitel 15: ------------ Shinya hatte das Evoli etwas getadelt, dafür dass es durch den strömenden Regen gelaufen war. Letztendlich freute es ihn aber doch, dass es zurückgekommen war und hatte es abgetrocknet. Anzu hatte sich nur allzu gerne um Pixis nasses Fell gekümmert, was diese deutlich genossen hatte. Den restlichen Tag hörte es nicht mehr auf zu regnen, so dass sie es sich im Aufenthaltsbereich der Herberge gemütlich gemacht hatten. Während Shinya und Anzu Karten spielten, schaute Viviana durch die Fensterscheibe nach draußen in den Regen. Ab und zu rannte mal ein Passant mit einem Regenschirm vorbei, doch ansonsten gab es neben dem Regen nicht viel zu sehen. Viviana musste an Max und seine Mutter denken. Ob die beiden in ihrem dürftigen Unterschlupf wohl trocken blieben? Sie wollte ihnen irgendwie helfen, doch wusste nicht wie. Unerwarteterweise wurde sie angesprochen und somit aus ihren Gedanken gerissen. „Magst du den Regen?“ Neben ihr stand Michiru. Ihr fiel auf, dass sie bisher nie wirklich mit dem Pliprin geredet hatte, was wohl an dessen ruhigen Art lag. „Nicht wirklich. Du etwa?“ Viviana hatte ihren Blick wieder nach Draußen gerichtet. „Nur wenn ich dabei schwimmen kann.“ Selbst ein Wasserpokémon wollte nicht unbedingt in diesem Regen herumlaufen. Die beiden Pokémon redeten noch eine Weile über belanglose Dinge und Viviana musste feststellen, dass Michiru eine sehr angenehme Art hatte. Das Erste was Viviana bemerkte als sie aufwachte war, dass sie den Regen nicht mehr hören konnte. Sie hatte sich gestern ziemlich bald nach dem Abendessen schlafen gelegt. Und nun lag sie hier wach neben Shinya im Bett und die Sonne schien noch lange nicht aufgehen zu wollen. Sie streckte sich kurz ausgiebig und rollte sich dann wieder ein, in der Hoffnung doch noch einmal einzuschlafen. „Hey Vivi, aufwachen!“, holte eine liebliche Stimme Viviana aus ihren Träumen. Das klang so gar nicht nach Shinya. Fragend öffnete sie ihre Augen und blinzelte Anzu, die lächelnd vor ihr stand, an. „Na du, hast du gut geschlafen?“ Ehe sie reagieren konnte, streichelte ihr das Mädchen schon kurz durchs Fell. Vor zwei Tagen wäre Viviana darauf vermutlich wütend aufgesprungen und weggerannt, oder hätte sich womöglich noch gewehrt. Doch nach dem Gespräch mit Tora wollte sie sich wirklich Mühe geben etwas netter Anzu gegenüber zu sein. So ließ sie es nun auch zu, dass Anzu sie auf den Arm nahm und mit ihr den sonst leeren Raum verließ. Es war schon seltsam genug, wenn Shinya sie trug, doch bei einer fremden Person, die sie nicht mal mochte, war es mehr als unangenehm. Anzus Griff war sicher und sanft zugleich, trotzdem fühlte sich Viviana verwundbar. „Schau wen ich mitgebracht habe“, begrüßte sie Shinya, der bereits frühstückte. Beim Anblick Anzus breitete sich augenblicklich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Viviana entspannte sich etwas, als sie merkte, dass diese Freude nicht durch Anzu, sondern viel mehr durch die Tatsache, dass sich das Evoli von ihr tragen ließ, ausgelöst wurde. Ungeduldig begann sie auf Anzus Armen zu zappeln und wurde sogleich auf dem Boden abgesetzt. „Du scheinst ja wirklich Hunger zu haben“, deutete Shinya ihre Ungeduld falsch. „Sorry, dass ich dich nicht vorher schon geweckt habe.“ Er grinste fröhlich und wandte sich dann an das Mädchen. Im Weggehen hörte Viviana noch, wie er fröhlich zu Anzu meinte, „Siehst du, sie hat nur etwas Zeit gebraucht.“ Es freute Viviana, wie glücklich sie ihren Freund damit machen konnte. „Du bist ein richtiger Langschläfer“, wurde sie von Pixi begrüßt. „Was ist denn aus dem 'Halt dich von Anzu fern' geworden?“ Sie hatte erwartet ein Grinsen auf Pixis Lippen zu sehen, doch diese schaute sie nur ernst an. „Ähm, sie hat mich überrascht.“ Viviana hatte keine Lust auf großartige Erklärungen. „Versuchst du dich bei Tora einzuschleimen?“ Nun grinste sie doch. Viviana sagte einfach nichts dazu. „Mach dir keine Hoffnungen, mich mag sie immerhin auch nicht.“ Nach dem Frühstück überraschte Shinya sie mit dem Vorschlag heute noch eine Radtour zu machen, bevor sie morgen weiter gingen. Im Süden der Stadt befand sich die Route 206, auf der sich ein schöner Radweg befinden sollte. „Ich habe gestern in der Stadt einen Radverleih gesehen und wollte mir einfach mal die Gegend anschauen. Magst du mitkommen?“, fragte er an Anzu gerichtet. „Klar. Hoffentlich bleibt es heute trocken.“ Anzu packte freudig ihre Tasche. Pixi, die neben dieser saß, schaute aufmerksam zu. „Ich nehme dann Vulpix bei mir mit.“ „Denkst du die Beiden wollen mitkommen?“ Es fühlte sich befremdlich an, wie Shinya über sie redete, als wäre sie nicht da. „Vivi folgt dir doch eh überall hin und Vulpix scheint sich nun auch angeschlossen zu haben. Ich frage mich, was mit diesen Shinys los ist. Auf meiner ganzen Reise ist mir das noch nicht passiert. Am liebsten würde ich eins fangen“, lachte sie. Viviana spürte, wie sich ihr Körper anspannte. „Diese Vorstellung fühlt sich falsch an“, merkte Shinya an. „Sie wollen doch auch gar nicht gefangen werden.“ „Ach, hast du sie gefragt?“, entgegnete Anzu frech. Nach einem ernsten Blick des Jungens sprach sie dann weiter. „Ist ja gut, ich tu deinen zwei Lieblingen schon nichts. Lass uns jetzt losgehen, bevor es zu spät wird.“ Mit diesen Worten schulterte sie ihre Tasche. Viviana stand erleichtert auf um Shinya zu folgen. Zum einen war sie froh, dass nun nicht mehr über sie geredet wurde und zum anderen musste sie in Anzus Gegenwart jetzt keine Angst mehr haben gefangen zu werden. Sie dankte ihrem Freund, dass er sich so für sie einsetzte. Schließlich hatten sie zwei Fahrräder ausgeliehen. Pixi saß im Fahrradkorb von Anzu, während Viviana bei Shinya mitfuhr. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss einfach den Wind, der durch ihr Fell wehte. Das Wetter war trocken, hin und wieder kam sogar die Sonne hinter den Wolken hervor. Nach ein paar Stunden entschieden sie sich eine Pause zu machen und danach zurück zu fahren. Viviana sprang aus dem Korb nachdem Shinya angehalten hatte. Es tat gut sich wieder bewegen zu können. Nachdem sie ein paar Schritte gegangen war schaute sie sich um. Der Radweg war eine Brücke, die über ein Tal führte. Unter ihnen befanden sich weite Wiesen, die immer mal wieder von einzelnen Bäumen bedeckt waren. Heute war ein windiger Tag, so dass auch ohne den stetigen Fahrtwind Vivianas Fell aufgeplustert wurde. Einige Momente genoss sie einfach nur die Aussicht und das Gefühl. Obwohl sie bereits einige Tage unterwegs war, fühlte es sich so an, als würde sie morgen erst ihre Reise beginnen. Auch wenn sie wieder ein Mensch sein wollte, freundete sie sich langsam mit ihrem neuen Dasein an. „Vivi?“ Sie schaute auf, als sie Anzus lockende Stimme hörte. Die beiden Menschen hatten sich gegen das Geländer lehnend auf den Boden gesetzt und ihr Mittagessen ausgepackt. Zwischen ihnen saß Pixi, die damit beschäftigt war ihr vom Wind zerzaustes Fell zu ordnen. Zu Anzus Rechter saß Tora, vor ihr lief Michiru ein paar Schritte. Tamaki saß links neben Shinya und fixierte das Evoli. Während Benjiro, ausnahmsweise mal munter, die Aussicht genoss. Langsam tapste Viviana auf das Mädchen zu, das ihr ein kleines Gebäck hinhielt. Zögerlich nahm sie es mit dem Mund und ging dann schnell zu Shinya, wobei Pixis Blick auf sich spürte. Anzu freute sich sogleich über Evolis Verhalten, was auch den Jungen glücklich machte. Viviana hingegen fühlte sich seltsam, da ein Teil in ihr das Mädchen immer noch nicht so nah an sich heran lassen wollte. Egal was Anzu ihr da gegeben hatte, es schmeckte verdammt lecker und diese bemerkte das natürlich. „Vivi, willst du etwa noch mehr?“ Verführerisch wedelte Anzu mit einem der kleinen Gebäcke in Vivianas Richtung. Gerne hätte sie es sich geholt, aber diesen Spaß wollte sie dem Mädchen nicht lassen, weshalb sie ihren Blick schnell auf Shinya richtete. „Anzu wird dich schon nicht beißen“, kicherte dieser und legte seine Hand auf Vivianas Kopf. Schnell schüttelte sie die Hand ab und sprang auf um sich das Essen doch zu schnappen. „Du machst ja echt alles, was er dir sagt“, grinst Pixi sie an. Sie standen mittlerweile etwas abseits und schauten in das Tal unter sich. „Ich hatte einfach Hunger“, murmelte sie abwehrend. „Sagt mal“, Karasu landete gerade auf dem Geländer neben ihnen. Vorhin hatte Anzu ihn fliegen lassen und nun war er wohl gerade zurückgekommen. „Was ist eigentlich aus dem Fiffyen geworden?“ Seine roten Augen fixierten kurz jedes der beiden Pokémon. Dank Karasu hatten sie es ja erst gefunden. „Was soll mit dem sein? Vermutlich ist es immer noch da, wo wir es verlassen haben“, entgegnete Pixi genervt. Viviana war sich sicher, dass Karasu mehr wusste, alleine schon, weil er ihr Gespräch mit Tora belauscht hatte. „Danke Karasu für deine Hilfe“, unterbrach sie die entstandene Stille. „Was bekomme ich denn als Lohn?“, fragte er herausfordernd. Überrumpelt von der unerwarteten Frage dauerte es eine Weile, bis Viviana reagierte und ihr halb aufgegessenes Gebäck in Karasus Richtung schob. Dieser krächzte nur erfreut auf. „Iss das mal lieber selbst.“ Mit diesen belustigten Worten flog er wieder auf um sich bei Anzu nieder zu lassen. „Dieser Vogel ist mir viel zu aufdringlich“, murmelte Pixi. „Was ist eigentlich mit Shinyas Meditie los?“, fragte das Vulpix sie auf einmal. Sie hatten nun schon lange Pause gemacht und den schönen Tag genossen. Gerade waren Shinya und Anzu dabei ihre Sachen einzupacken um sich auf den Rückweg zu machen. „Tamaki?“ Überrascht schaute Viviana auf. „Sag nur das hast du nicht gemerkt. Der starrt dich an als, keine Ahnung, als hättest du ihm etwas wichtiges geklaut.“ Viviana dachte kurz nach, in gewisser Weiße hatte sie das auch getan. „Ich habe ihn im Kampf besiegt. Und ich glaube es gefällt ihm nicht, dass ich nicht mal zu Shinyas Team gehöre.“ Vielleicht sollte sie wirklich noch mal mit ihm reden. Zwar wollte sie nicht unbedingt kämpfen, aber sie wollte Shinya unterstützen, und da wäre es besser, wenn sie auf der selben Seite stünden. „Kommst du Vulpix?“, fragte Anzu die gerade auf sie zukam. Pixi ließ sich mehr Zeit als nötig, ehe sie aufstand und auf Anzu zu ging um sich hochheben zu lassen. Viviana graute es bei diesem Anblick. „Wie wäre es, wenn ich dir einen Namen geben würde?“, fragte sie fröhlich. Das Vulpix machte seine Ablehnung gegenüber dieses Vorschlags mit einem bestimmten Kopfschütteln deutlich. Diese Reaktion kam wohl unerwartet, da Anzu enttäuscht ihre Lippen aufeinander presste. Viviana fragte sich, was sie sich wohl für einen Namen ausgedacht hatte. Der Rückweg war, trotz des engen Körbchens, in dem Viviana sitzen musste, sehr angenehm. Es war später Herbst, so dass es bereits früh dunkel wurde. Während sich rechts von ihnen die Gipfel des Kraterberges erhoben, versank links von ihnen die Sonne mit den schönsten Orange- und Rottönen am Horizont. Immer mal wieder schaute sie zu Pixi, der dieser Anblick ebenso zu gefallen schien. Als sie einmal Vivianas Blick bemerkte, grinste sie diese nur schief an. Sie war dankbar dafür, dass Pixi nun bei ihr war. Mit ihr hatte sie jemanden gefunden, mit dem sie sich austauschen konnte und der ihr Kraft gab. So würde sie auf der weiteren Reise sicherlich noch des Öfteren solche unbeschwerten und schönen Tage erleben können. Auch wenn sie sie lieber als Mensch mit Shinya zusammen erlebt hätte. Es war bereits dunkel, als sie wieder in Ewigenau ankamen. Die Fahrräder waren schnell zurückgegeben. Shinya und Anzu wollten nur noch in die Herberge zurück, um zu Abend zu essen, zu duschen und sich dann schlafen zu legen. Für Viviana war dieser Tag sehr entspannend gewesen, doch die beiden Menschen waren fast den ganzen Tag Fahrrad gefahren. Ab morgen würde aber auch sie wieder einen Großteil des Tages laufen müssen, weshalb sie dankbar dafür war, sich jetzt noch mal ordentlich erholen zu können. Gerade saß sie noch auf Shinyas Bett und wartete darauf, dass dieser aus dem Badezimmer zurückkam. Auf dem Bett gegenüber hatte sich Pixi breit gemacht und sortierte mal wieder ihr zerzaustes Fell. „Pixi? Hast du eigentlich einen Trick, damit deine Pfoten am Ende des Tages nicht weh tun?“ „Machst du dir Sorgen, weil es morgen weiter geht? Lass dich einfach tragen“, antwortete sie ohne aufzuschauen. „Danke“, murmelte sie sarkastisch. Als ob sie sich einfach tragen lassen würde, weil sie sich Sorgen um schmerzende Pfoten machte. „Bitte“, entgegnete Pixi tonlos. Nachdem er endlich da war, hatte sich Shinya noch einmal Vivianas Pfoten angeschaut, es schien alles soweit verheilt zu sein. Bevor sie sich morgen zum Kraterberg aufmachten, wollten sie aber noch einmal beim Pokécenter vorbei schauen. „Und bitte lauf nicht wieder einfach weg um dich in Schwierigkeiten zu bringen“, sagte er halb scherzend zu dem Evoli, als auch Anzu ins Zimmer kam. „Aber dank ihr hat sich Tora weiterentwickelt“, mischte sie sich in das recht einseitige Gespräch ein und lächelte fröhlich. „Trotzdem kann ich mir diesen Stress gerne sparen. Jetzt ermutige sie doch nicht auch noch.“ Anzu lachte nur kurz auf und schaltete dann das Licht aus. „Gute Nacht.“ Kapitel 16: ------------ Der Tag ihrer Abreise begann schon mit bestem Wetter, Regen. Da er aber nicht sonderlich stark war, und sie bis zum Mittag sowieso den Höhleneingang des Kraterberges erreicht haben wollte, beschlossen sie, dennoch aufzubrechen. Der Besuch im Pokécenter war kurz und schmerzlos. Danach ging es über Route 211 Richtung Kraterberg. Schon nach kurzem war Vivianas Fell gut nass. Mittlerweile war sie es schon gewohnt, jeden zweiten Tag völlig durchnässt zu enden. Pixi dagegen schien diese Tatsache extrem zu nerven. Viviana vermied es lieber sie anzusprechen. Der Vormittag verging ohne besondere Ereignisse. Hin und wieder unterhielten sich Anzu und Shinya, ansonsten war aber nur das leise Prasseln des konstant schwachen Regens zu hören. Dank des Wetters waren sie aber schnellen Fußes unterwegs, so dass sie wirklich zur Mittagszeit an einer Brücke ankamen. Sie führte über ein Tal, durch das ein reißender, vom Schlamm braun gefärbter Fluss floss. Am anderen Ende konnte man den Höhleneingang nur erahnen, aber er war da. Der Kraterberg türmte sich nicht mehr weit von ihnen auf. Beeindruckt schaute Viviana an ihm auf, doch die Spitze des Gebirges wurde von den dunkelgrauen Regenwolken verschlungen. „Gleich haben wir es geschafft“, meinte Anzu erleichtert. „Na Gott sei dank“, murmelte Pixi leise. Viviana schüttelte kurz ihr durchnässtes Fell und schaute zu ihren schmutzigen Pfoten und fragte sich, was die Höhle daran noch ändern würde. Als sie durch das Loch in der Steinwand traten, breitete sich ein eigenartiges Gefühl in Viviana aus. Sie wusste, dass die Höhlen im Kraterberg recht groß sein mussten. Vermutlich hätte sie selbst als Mensch Angst gehabt. Aber jetzt war sie ein kleines Evoli. Aufmerksam schaute sie sich um und stellte erleichtert fest, dass der Weg, der vor ihnen lag auf Wanderer ausgelegt war und somit einfach zu begehen sein würde. Hin und wieder war sogar eine Laterne angebracht, so dass sie nicht völlig im Dunkeln standen. Dennoch fand sie es hier gruselig. „Sollen wir ne Pause machen?“, fragte Shinya, nachdem sie die erste Lampe passierten. „Hier drinnen sollten wir kein Feuer machen.“ Anzu schaute kurz zu den beiden durchnässten Pokémon. „Aber vielleicht sollten wir sie etwas trocknen.“ Shinya nickte und stellte seinen nassen Rucksack neben sich ab. Auch Anzu befreite sich von ihrem Gepäck. Viviana ging zu ihrem Freund, der sich auf einen Stein am Wegesrand gesetzt hatte und nun in seinem Rucksack etwas suchte. Nervös schaute sie sich um, mit ihrem feinen Gehör konnte sie mehr hören, als es ihr lieb war. Jede Bewegung hallte durch den langen Gang und sie war sich fast sicher wilde Pokémon hören zu können. „Na komm her Vivi, ich trockne dich etwas und mach deine Pfoten sauber“, lenkte Shinya sie von den Geräuschen ab. Dankend begab sie sich in Shinyas Hände. Mit sauberen Pfoten und nicht mehr ganz so schwerem Fell fühlte sie sich gleich schon besser. Pixi hingegen schien immer noch nicht sonderlich zufrieden, aber war wohl dankbar dafür, dass sie nicht noch weiter nass wurde. „Hörst du das auch?“, fragte sie Pixi leise, nachdem sie wieder weiter gingen. Die Geräusche schienen nun nicht mehr nur noch von vorne, sondern auch von hinten zu kommen. „Höhlen sind voll mit Pokémon“, wisch diese ihrer Frage aus. „Keine Angst, dir wird schon nichts passieren.“ Pixi versuchte sie gerade wirklich zu beruhigen, wofür sie ihr sehr dankbar war. In dieser Höhle verlor sie sämtliches Zeitgefühl und begann immer öfter etwas zu sehen oder zu hören, von dem sie nicht sicher war, ob es überhaupt da war. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie eine Wegkreuzung, an der Wegweiser angebracht waren. Zum ersten Mal seit ihrer Pause begannen die Menschen wieder ein Gespräch. „Links nach Blizzach, geradeaus nach Elyses, rechts nach Erzelingen und Herzhofen“, las Shinya vor. „Wir wollen nach Blizzach“, meinte Anzu. „Also nach links.“ Anzu nickte stumm und sie machten sich in den linken Gang auf. Ab hier wurde die Höhle für Viviana noch unheimlicher. Waren sie bis jetzt einem geraden Weg ohne Abzweigung gefolgt, so führten dieser Gang an vielen dunklen Abzweigungen vorbei, aus denen unbekannte Geräusche zu hören waren. Auch der Boden hier war nicht mehr so eben. Hier und da lag Geröll herum, dem sie ausweichen, oder über das sie springen musste. Zumindest die Beleuchtung war nach wie vor, wenn auch nicht sonderlich ausgeprägt, vorhanden. Viviana ertappte sich immer wieder dabei, wie sie in den dunkleren Abschnitten, oder bei Abzweigungen näher bei Pixi ging. Diese schien nicht annähernd so beunruhigt zu sein, was Viviana ebenfalls etwas ruhiger werden ließ. Nach einiger Zeit spürte sie, wie sie langsam aber sicher müde wurde. Sie wusste nicht, wie spät es bereits war, oder wie weit sie bereits gekommen waren. Zu ihrem Glück schiene auch Anzu und Shinya bereits erschöpft zu sein. An einer der Laternen, an der sich zugleich noch einer der dunklen Gänge befand, hielten sie schließlich an. „Ich bin dafür, dass wir hier schlafen werden.“ Nach Zustimmung suchend, schaute sie Shinya an, der nickte. „Ich mach uns gleich was zu Essen.“ Shinya hatte seinen Rucksack bereits abgezogen und begann nun einige Utensilien zum Kochen zusammen zu suchen. „Das ist eine gute Idee.“ Erst jetzt bemerkte Viviana, was für einen Hunger sie eigentlich hatte. Trotzdem könnte sie sich auch einfach schlafen legen. Nach dem relativ dürftigen Essen hatte Anzu noch Tora aus ihrem Ball gelassen, damit sie die Nacht über aufpassen konnte. Während sich die beiden Menschen in ihre Schlafsäcke kuschelten, musste Viviana mit dem Boden vorlieb nehmen. Sie hatte sich dicht zu Shinya gelegt, da sie die dunkle Abzweigung, in der sie halb lagen, immer noch beunruhigte. Zum ersten Mal auf dieser Reise verspürte sie einen Anflug von Kälte. Pixi hatte sich zwischen Shinya und Anzu eingerollt und schlief bereits. Tora hingegen befand sich noch ein kleines Stück weiter in dem dunklen Gang, was Viviana ungemein beruhigte. Schnell war auch sie ins Land der Träume versunken. Durch ein lautes Klacken wurde Viviana aus ihrem Schlaf gerissen. Schnell realisierte sie ihre Lage und sprang erschrocken auf. Es hatte sich nicht viel geändert. Die Laterne warf ein schwaches Licht auf den Gang und die Abzweigung in der sie halb lagen. Pixi, Shinya und Anzu schliefen tief und fest. „Bist du nervös?“, fragte Tora und lies das Evoli so erneut aufschrecken. Auch wenn sie von dem Pokémon, das etwas weiter von ihr in dem dunklen Gang saß, nur eine Silhouette erkennen konnte, war sich Viviana fast sicher, dass sie grinste. „Was war das gewesen?“, fragte sie einfach, immer noch das Geräusch in ihren Ohren, von dem sie aufgewacht war. „Ein paar Pokémon“, antwortete Tora ruhig. In diesem Moment war sie wirklich dankbar für die Anwesenheit des Luxios. Wieder etwas entspannter setzte sich Viviana hin. „Hast du keine Angst?“, fragte sie leise und erwartete sich einen spöttischen Spruch anhören zu dürfen. „Ich bin ein Pokémon, das sind Pokémon, warum sollte ich Angst haben?“ Überrascht über diese ernste Antwort schaute Viviana zu Tora auf, die nun ein paar Schritte auf sie zukam. „Du brauchst dich nicht so zu fürchten.“ Das sagte sie so einfach. Genauso wie Menschen anderen Menschen etwas antun konnten, war das auch unter Pokémon der Fall. Das hatte das Evoli selbst bereits von einem Bidifas lernen dürfen. „Wieso bist du ein Pokémon?“, fragte Tora auf einmal. Sie klang wirklich interessiert. „Ich weiß es nicht. Niemand weiß das“, murmelte Viviana ihre Antwort. Wenn sie es doch nur wüsste. „Und du bist so, seit Shinya seine Reise begonnen hat?“ Stummes Nicken seitens des Evolis. „Er hat wirklich viel von dir, also von Viviana erzählt. Es ist nicht schön, wenn Menschen einfach verschwinden und andere Menschen deswegen leiden.“ Sie klang nicht vorwurfsvoll, sondern wirklich traurig. Fragend schaute Viviana das Luxio an, doch dieses schien nichts weiter dazu sagen zu wollen. „Ich habe mich noch gar nicht bei dir entschuldigt. Wegen damals.“ Nun war es Tora die fragend schaute. „Weil ich das Lob für den Kampf im Wald bekommen hatte. Karasu meinte ja, dass du deswegen-“ „Vergiss das einfach. Der plappert manchmal einfach zu viel.“ Viviana entgeht es nicht, wie sie verlegen zur Seite schaut. Dieses kurze Gespräch hat sie wirklich sehr beruhigt, obwohl nach wie vor Echos durch die Höhle hallten. „Danke Tora, du kannst echt nett sein.“ Dafür, dass ihr Start nicht der beste gewesen war, hatten sie sich nun doch völlig normal unterhalten können. „Sag das nicht“, grummelte sie leise. „Ich bin dir dankbar, dass du dir Mühe mit Anzu gibst.“ Sie schien wirklich an dem Mädchen zu hängen. Letztendlich hatte Viviana doch noch ein paar Stunden schlafen können, ehe sich die kleine Gruppe nach einem kurzen Frühstück wieder auf den Weg machte. Sie kamen relativ schnell voran und Viviana war froh, dass sie keinem wilden Pokémon über den Weg liefen. Als sie gerade eine Pause machten, konnte sie auf einmal Schritte von vor ihnen hören, die sich konstant auf sie zubewegten. Auch Pixi schienen sie aufgefallen zu sein, da sie kurz in diese Richtung schaute. „Ist das ein Pokémon?“, fragte Viviana nervös, wofür sie sich ein schiefes Grinsen ihrer Freundin einfing. „Da hast du schon so lange Ohren und kannst sie nicht richtig einsetzen.“ Verwirrt schaute sie Pixi an und konzentrierte sich dann noch einmal auf die Schritte, die nun auch Anzu auffielen. Ein Schatten tauchte in dem Tunnel auf und stellte sich schließlich als junger Mann heraus. So schlecht die Lichtverhältnisse hier auch waren, ihren Augen vertraute Viviana mehr als ihren Ohren. „Oh, hallo“, grüßte er, als er sie bemerkte. Er hatte kurzes schwarzes Haar und trug einen großen Rucksack. „Hey, ist ja wirklich eine Seltenheit, hier jemanden zu treffen.“ Shinya schien sich wirklich zu freuen. „Allerdings, besonders zu dieser Jahreszeit. Ich schätze mal ihr seid auf dem Weg nach Blizzach?“ Beide nickten. „Dann macht euch auf was gefasst, als ich los bin hat es schon geschneit.“ „Die Gegend ist nicht gerade für ihren milden Winter bekannt“, erklärte Anzu, als sie Shinyas fragenden Blick bemerkte. „Und das sagst du mir jetzt?“ Der Junge hatte ihnen noch eine gute Weiterreise gewünscht und war dann weitergegangen. Auch sie hatten ihre Pause schnell beendet und waren nun wieder in dem unendlich wirkenden Höhlensystem unterwegs, stets den Laternen folgend. Viviana bemerkte, wie ruhig Pixi seit dieser Begegnung war. Ob sie sich Sorgen machte? „Tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe. Ich ging davon aus, dass du weißt, dass nach dem Herbst der Winter kommt“, meinte Anzu nach einer Weile. „Das weiß ich auch. Aber hätten wir dann nicht erst mal wo anders hingehen können?“ Shinya beschwerte sich zwar, war dem Mädchen aber nicht wirklich böse. „Sorry Kleiner, aber dieses Ziel ist wichtig für mich. Kannst ja umdrehn, wenns dir zu gefährlich ist“, grinste sie ihn herausfordernd an. „Tz, das hättest du wohl gern, so schnell wirst du mich nicht los.“ Er grinste nur zurück und beendete so das kurze Gespräch wieder. Danach wurde es wieder ruhig und es waren nur ihre Schritte und ihr Atmen zu hören. Und die dumpfen Geräusche irgendwelcher Pokémon, die für Viviana mittlerweile zu Hintergrundgeräuschen geworden waren. Sie waren mal wieder viel zu lange unterwegs gewesen, als Viviana auf einmal etwas roch, etwas sehr schönes. Freudig stellte sie ihre Ohren auf und machte einen Sprung nach vorne. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Shinya, der hinter ihr ging. Fragend drehte sich Anzu zu ihnen um und lächelte dann. „Anscheinend sind wir gleich draußen.“ Sie hatte Recht. Es roch nach frischer kühler Luft, und nach Schnee. Erst jetzt fiel Viviana auf, wie verbraucht die Luft hier drinnen war. Obwohl sie die frische Luft bereits roch, gingen sie noch ein ganzes Stück, ehe sie Licht sehen konnten, das nicht von den kleinen Laternen kam. Ungeduldig lief sie auf den Ausgang zu und trat ins Freie, wo sie ihre Augen zusammenkneifen musste. Nach der dunklen Höhle brauchten ihre Augen eine ganze Zeit, bis sie sich an den weißen Schnee, der die gesamte Landschaft bedeckt hatte, gewöhnten. Sie war so unglaublich froh, endlich aus dieser Höhle raus zu sein. „Na super“, hörte sie Shinya, als dieser ebenfalls ins Freie trat und den ganzen Schnee sah. Er und Anzu hatten sich ganz schön Zeit gelassen. „Es scheint noch nicht allzu spät zu sein. Am Ende dieser Route steht ein Haus, das wir erreichen sollten.“ Shinya nickte. „Dann hoffen wir mal, dass es nicht noch mehr schneit.“ Hier und da fielen ein paar Flocken vom Wolkenbedeckten Himmel. Noch wusste Viviana nicht, ob Schnee schlimmer als Regen war. Im Moment war sie einfach nur froh und machte ihre ersten Schritte nach vorne in den Schnee. Während Anzu und Shinya mit dem schon recht tiefen Schnee, in dem sie bei jedem Schritt einsackten, zu kämpfen hatten, schwebte das Evoli nahezu über die Schneedecke. Es hatte durchaus seine Vorteile so klein und leicht zu sein. Kapitel 17: ------------ Schnell waren Vivianas Pfoten, deren Ballen nicht von ihrem dichten Fell bedeckt waren, kalt geworden. Auch wenn sie ansonsten nicht fror, war es kein schönes Gefühl. Sie blieb stehen und drehte sich zu Shinya, Pixi und Anzu um, die sie etwas hinter sich gelassen hatte. Während sich die beiden Menschen möglichst schnell durch den hohen Schnee bewegten, schaute Pixi immer wieder zu dem hinter ihnen liegenden Kraterberg auf. Damit hatte sie sofort nach Verlassen der Höhle angefangen. Viviana fragte sich, was sie dort oben suchte. „Oh man, das ging jetzt aber schnell. Wie lange brauchen wir noch?“, fragte Shinya, als sie bei dem Evoli angekommen waren. Vor wenigen Minuten war es noch hell gewesen, doch jetzt wurde es sehr schnell dunkel und kälter. Zu allem Übel fielen auch vermehrt Schneeflocken vom Himmel. „Spar dir deinen Atem lieber fürs laufen.“ Viviana hoffte sehr, dass Anzu sich nicht verschätzt hatte, denn hier draußen konnten sie sicher nicht schlafen. Doch gerade schien das Mädchen selbst etwas unsicher und stapfte nun, gefolgt von Pixi, an Viviana vorbei. „Soll die einer verstehn“, murmelte Shinya leise und schaute dann zu dem Evoli. „Na komm, beeilen wir uns auch“, lächelte er es schließlich an und ging weiter. Kam es nur ihr so vor oder war Anzu auf einmal total angespannt? Sie hatten endlich die kleine Hütte erreicht. Es war dunkel, es schneite, und der Wind wurde auch immer schneidender, doch sie hatten sie erreicht. Im Inneren brannte Licht und Viviana fragte sich, ob es okay war einfach zu klopfen. Doch kaum waren sie angekommen, tat Anzu genau dies. Eine ältere Dame öffnete ihnen die Tür und bat sie lächelnd hinein. Ein Kamin heizte das Haus gut auf und Viviana ließ es sich nicht nehmen sofort zu diesem zu laufen um ihre Pfoten zu wärmen. „Oh, dem Kleinen scheint wirklich kalt zu sein.“ Die Frau schien wirklich erleichtert, als sie die Tür schloss. „Wärmt euch am besten erst einmal auf.“ „Ähm ja, danke, dass Sie uns hier aufnehmen“, bedankte sich Shinya, der etwas verwirrt schien. „Ach was, deswegen bin ich doch hier“, winkte die Frau lächelnd ab. Auf seinen fragenden Blick begann sie zu erzählen. „Die Winter hier sind sehr unangenehm und auch länger als in der restlichen Sinnoh Region. Damit Reisende aber auch in dieser Zeit die lange Strecke nach Blizzach überstehen, wurde extra dieses Haus hier errichtet. Ich wohne zwar fast ganzjährig hier, aber es ist toll so viele unterschiedliche Menschen kennen zu lernen und Geschichten von ihren Reisen zu hören.“ Ihre Gedanken schienen kurz abzuschweifen, ehe sie ihren Blick auf Anzu richtete. „Vor einigen Jahren war ein Mädchen hier, dass mich sehr an dich erinnert.“ „Was für ein Zufall“, merkte Anzu schnell an, woraufhin die Frau sie einen Moment lang musterte. „Vielleicht irre ich mich aber auch.“ Diese Nacht schlief Viviana überaus gut. Die weiche Matratze, die sie mit Shinya teilte, war wesentlich bequemer, als der unebene Boden in der Höhle. Hier war es schön warm und sie musste keine Angst vor wilden Pokémon haben. Als sie am nächsten Morgen erwachte, saß Anzu bereits in der Küche und frühstückte. Kaum betrat Viviana diese, eigentlich hatte sie sich nur etwas in dem Haus umschauen wollen, bot ihre Gastgeberin, ihr etwas zu Essen an. Gestern Abend hatten sie sich ziemlich gleich schlafen gelegt, so dass das Evoli dieses gerne annahm. Pixi schaute ihr amüsiert beim Essen zu. Scheinbar hatte sie bereits gegessen und saß mal wieder neben Anzu. „Wirklich reizende Pokémon habt ihr da“, begann die Frau ein Gespräch, während sie das fressende Evoli beobachtete. „Stimmt. Vulpix wäre eine super Erweiterung für mein Team“, erklärte Anzu, was Viviana sofort aufmerken ließ. War ja klar, dass das Mädchen nicht aufgeben würde. Pixi schien über diese Worte jedoch nicht sehr beunruhigt. „Wegen der Arena in Blizzach?“, fragte die Frau weiter, während sie sich einen Tee eingoss. „Genau. Ein Feuerpokémon wäre super.“ Viviana hörte ihnen nicht weiter zu, da sie gleich nach Beendigung ihres Frühstückes wieder zu Shinya ins Zimmer lief. Sie hatte das dringende Bedürfnis, den Jungen zu wecken. Viviana wagte es tatsächlich, dem Jungen über das Gesicht zu lecken. Es dauerte gar nicht lange, dass er mit einem leisen Kichern aufwachte und schließlich das Evoli von sich schob. „Guten Morgen, Vivi“, begrüßte er sie verschlafen und rieb sich dann erst einmal die Augen. Es dauerte noch gefühlt Minuten, bis er sich endlich aufgesetzt hatte. Jetzt hatte Viviana fast ein schlechtes Gewissen, dass sie Shinya aus seinem Schlaf gerissen hatte, aber er sollte noch in Ruhe frühstücken können, ehe Anzu ihn zum Aufbruch drängte. Kurz darauf saß sie wieder in der Küche, neben Pixi, während Shinya ein paar Brote aß und begeistert von dem Start seiner Reise erzählte. Eigentlich war es schade, dass sie so schnell wieder von hier weggingen, aber es war ja klar gewesen, dass weder Shinya noch Anzu eine weitere Nacht hier bleiben wollten. Keine halbe Stunde später hatten sich die beiden Menschen wieder in ihre dicke Kleidung gepackt, um sich nach draußen in die Kälte zu begeben. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft“, bedankte sich Shinya erneut. „Passt auf euch auf und kommt mal wieder vorbei.“ Sie winkte ihnen noch kurz nach, ehe sie sich in das warme Haus zurückzog. Wie auch schon gestern waren sie alle sehr schweigsam, kamen dafür aber relativ schnell voran. Pixi wirkte nicht mehr ganz so aufmerksam wie noch am Vortag. Viviana war dazu übergegangen, nur noch in Shinyas Schritten zu laufen. Sie war zwar sehr leicht und sackte deswegen kaum ein, aber so blieb ihr Fell fast vollkommen frei von Schnee. Es war Mittag, als sie am Horizont den ersten Rauch, der eine Stadt ankündigte, sahen. Gerade liefen sie an einigen, schneebehangenen Nadelbäumen vorbei, als Viviana auf einmal ein Krachen neben sich wahrnahm. Wie versteinert blieb sie stehen, während Pixi zur Seite sprang. Sie entspannte sich, als ihr klar wurde, dass es einfach nur Schnee gewesen war, der von einem der Bäume gefallen war, leider hielt dieser Zustand nur kurz an, bis auch Viviana die Situation ergriff. „Karasu! Schnabel!“, wies Anzu schnell an und der schwarze Vogel schoss auf ein Pokémon zu, dass zwischen den ganzen Bäumen kaum auffiel. Viviana sprang erschrocken zurück, als das große Pokémon nur kurz vor ihr stoppte, um den Angreifer abzuwehren. „Steh da nicht so rum, jetzt komm schon her!“, rief Pixi ihr zu, was Viviana vollends aus ihrer Starre löste. Mit wenigen Sprüngen war sie bei Pixi und Shinya, und schaute dabei zu, wie sich Anzu um das wilde Pokémon kümmerte. Der Kampf dauerte nicht sehr lange. „Das war ein Shnebedeck, oder?“, fragte Shinya sogleich und ließ seinen Blick über die Bäume schweifen, zwischen denen sich das wilde Pokémon zurückgezogen hatte. Anzu nickte kurz. „Ich frage mich, warum es uns einfach so angegriffen hat.“ „Vielleicht sind wir ihm einfach zu nah gekommen“, versuchte er eine Antwort zu finden. Schließlich gingen sie, sehr viel aufmerksamer, weiter. „Für was hast du deine großen Ohren? Du solltest wirklich anfangen, sie zu nutzen“, begann Pixi nach kurzer Zeit ein Gespräch. Das hatten sie doch schon mal. „Ja, wenn das nur so einfach wäre“, entgegnete Viviana etwas niedergeschlagen. Pixi hatte leicht reden, sie war ja schon viel länger ein Pokémon. War doch klar, dass Viviana noch mehr Zeit brauchen würde, zumal sie sowieso schon immer etwas tollpatschig gewesen war. „Jetzt lass den Kopf nicht hängen, du musst dich einfach etwas mehr konzentrieren.“ Viviana wusste, dass es ihre Freundin nur gut mit ihr meinte, trotzdem waren diese Ratschläge nur wenig hilfreich. Im Grunde wusste sie das alles bereits selbst. Trotzdem versuchte sie sich, bis zum Erreichen von Blizzach, besonders auf die Geräusche um sich herum zu konzentrieren. Neben den Schritten, die sie selbst verursachten, konnte sie hier und da Schnee hören, der von einem Baum fiel. Außerdem musste sich in der Nähe ein großer See befinden. Am späten Nachmittag, noch bevor die Sonne ganz untergegangen war, erreichten sie Blizzach. Vivianas Pfoten waren mal wieder halb gefroren und selbst in der Stadt bekam sie fast nichts anderes als Schnee unter die Pfoten. Trotzdem war sie erleichtert, dass sie es endlich geschafft hatten. Ihr erster Gang war tatsächlich der in die Pokémonarena, die in Mitten der Stadt stand. Während Shinya auch diese Arena noch überspringen wollte, er war eben doch nicht so kopflos, wie es manchmal den Schein hatte, wollte Anzu wohl definitiv hier kämpfen. Die Arena sah eher wie eine riesige Schlittschuhbahn aus und Viviana fragte sich unweigerlich, wie hier zwei Pokémon problemlos kämpfen sollten. Der Leiter schien gerade jedoch nicht anwesend zu sein. „Meinst du, du hast eine Chance?“, fragte Shinya und man sah ihm an, dass er eigentlich nicht daran zweifelte. „Vielleicht. Karasu hat einen gewissen Vorteil, aber die größte Chance hätte ich mit Vulpix.“ Anzu schaut kurz zu Shinya und dann zu dem Vulpix herunter. „Na was meinst du, magst du nicht doch an meiner Seite kämpfen?“ Sie lächelte leicht und Pixi schien tatsächlich zu überlegen. Viviana verstand nach wie vor nicht, warum sie so einen Narren an dem Mädchen gefressen hatte. Trotzdem zögerte Pixi auch dieses Mal eine Antwort hinaus. „Du willst doch nicht wirklich für sie kämpfen?“ Sie waren gerade auf der Suche nach einer Herberge und Viviana musste es einfach wissen. „Ich mag meine Feuerattacken nicht“, begann Pixi zögerlich. „Aber ich würde Anzu wirklich gerne helfen.“ „Warum?“, rutschte es Viviana etwas zu schnell heraus. „Ich meine, was ist mit deinem Ziel, anderen wie uns zu helfen? Wenn du bei ihr bist dann geht das nicht mehr. Und wenn du dich fangen lässt, dann...“ Sie wagte es nicht, weiter zu sprechen. „So oder so werde ich kein Mensch mehr werden. Außerdem, ich mag dieses Leben eigentlich gern. Ich würde mich sehr gerne entwickeln, aber dazu brauche ich jemanden wie Anzu.“ Etwas ungläubig schaute Viviana ihre Freundin an. Natürlich konnte sie Pixi irgendwo verstehen, trotzdem stellte sich ihr Nackenfell, bei dem Gedanken für immer so bleiben zu müssen, unweigerlich auf. „Zudem komme ich mit ihr viel schneller und bequemer voran“, ergänzte Pixi grinsend und Viviana wurde klar, dass es keinen Sinn hatte, weiter darüber zu reden. Das Vulpix war alt genug um für sich selbst zu entscheiden. Sie fanden eine kleine Bleibe, aßen danach noch etwas und lagen dann schon sehr früh in ihren Betten. Viviana wie immer bei Shinya, während Pixi es sich bei Anzu gemütlich gemacht hatte. Gestern waren sie viel länger unterwegs gewesen, trotzdem waren sie alle schon sehr erschöpft. Die Kälte zerrte wohl noch zusätzlich an ihren Kräften. Am nächsten Tag schliefen sie besonders lange und gingen danach ausgiebig frühstücken. „Ich habe vor, mich etwas umzuschauen und mit Tamaki und Benjiro zu trainieren“, erklärte Shinya seine Pläne für heute, als er fast fertig mit seinem Essen war. Viviana schaute zu dem Jungen auf und fragte sich, ob sie da wirklich mitgehen sollte. In Ewigenau war das mit dem Training noch ganz angenehm gewesen, doch hier würde sie auf Dauer sicherlich frieren, wenn sie die ganze Zeit nur daneben saß. Mit Anzu mitgehen, oder gar alleine in der Stadt bleiben wollte sie jedoch auch nicht. „Okay, mach du nur. Ich muss mich auch noch auf den Arenakampf vorbereiten.“ „Wieso trainieren wir dann nicht zusammen?“, fragte Shinya, als hätte er gerade eine Eingebung gehabt. Anzu grinste ihn schief an. „Tut mir leid, aber ich befürchte, dass das kein sehr langer Kampf wäre.“ Viviana hätte am liebsten bei diesen arroganten Wörtern geknurrt. „Außerdem muss ich noch ein paar Einkäufe tätigen. Vielleicht kann ich dir heute Nachmittag ja ein paar Sachen zeigen.“ Shinya stimmte fröhlich zu, während Viviana sich wünschte, dass er manchmal etwas nachtragender wäre. Danach verabschiedeten sie sich voneinander und Viviana folgte dem Jungen. Hosted by Animexx e.V. 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