Wie Regen nach der Trockenheit von abranka (DD x BZ) ================================================================================ Kapitel 9: IX. -------------- Im Nachhinein wusste Dudley, dass er diesen 16. Juni vermutlich niemals wieder vergessen würde. Es war ein Montag. Irgendwie war das schon ein wenig sinnbildlich dafür. Zum ersten Mal hörte er, wie der Alarm bei der Strafverfolgungspatrouille losging, der alle anwesenden Eingreifzauberer in den Einsatz rief. Sein Büro lag nahe genug, dass der Alarm hier kaum zu überhören war. Unwillkürlich schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, dass es Blaise gut ging und diesem nichts passieren würde. Dann versuchte er, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Arthur brauchte diese Auflistung von verschiedenen neuen Muggelsüßigkeiten. Er war mit seiner nämlich irgendwann in den späten 90ern stehen geblieben und seither hatte es doch einige Neuerungen gegeben. Am besten würde Dudley ihm auch ein paar Beispiele besorgen. Dann konnte Arthur die Verpackungen archivieren und natürlich einen ganz uneigennützigen Feldtest durchführen. „Dudley!“ Eine blonde Hexe stürmte in sein Büro und Dudley zuckte zusammen. Tracey Davis, wenn er sich nicht vollkommen irrte. Sie gehörte zu denjenigen, die ihm sehr skeptisch gegenüber standen, als war er mehr als überrascht, sie hier zu sehen. Insbesondere so plötzlich und aufgeregt. „Wood und Macmillan wollen dich draußen im Einsatz sehen! Also beweg deinen Hintern und mach dich nützlich!“ Ihre Stimme überschlug sich fast. Dudley sprang auf. „Zieh das an. Es regnet Einhornkotze draußen.“ Sie warf ihm einen Regenumhang zu und machte bereits auf dem Absatz kehrt, ohne zu warten, dass er sich auch in Bewegung setzte. Dudley sprintete hinter ihr her zu der Notfallapparierzone der Eingreifzauberer. Es gab wenige Orte im Ministerium, in denen frei appariert werden durfte. Stattdessen waren einige Notfallbereiche eingerichtet worden, bei denen die Schutzzauber in eben diesen Notfällen deaktiviert wurden. Alarmsituationen gehörten zu diesen Notfällen. Kurz nahm Dudley zur Kenntnis, dass sich das ganze Training ausgezahlt hatte und er locker mit Tracey mithalten konnte, ohne übelst ins Schnaufen zu geraten oder nach Luft zu japsen. „Hand!“, befahl sie, als sie Notfallapparierzone erreicht hatten und Dudley ergriff ihre ausgestreckte Linke ohne groß darüber nachzudenken. Im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, dass sich sein Innerstes nach außen kehrte und wieder zurück. Die ganze Welt drehte sich vor ihm und er bekam keine Luft mehr. Ihm war kotzübel, als er auf dem nassen Asphalt aufschlug, das Gleichgewicht verlor und mit den Knien auf den Boden knallte. „Sorry. Erstes Mal?“, fragte Tracey, doch ihr Gesicht machte deutlich, dass sie keinerlei Mitgefühl für ihn hegte. „Yeah“, brummte Dudley und richtete sich auf. Er zog sich die Kapuze über den Kopf, denn es goss wirklich in Strömen. Sie befanden sich vor einem großen Supermarkt irgendwo auf dem Land. Dessen Eingangsbereich war vollkommen demoliert und sah aus, als wenn tatsächlich eine Bombe eingeschlagen hätte. Die Eingreifzauberer sicherten die Umgebung, einige weitere Hexen und Zauberer waren anwesend und wirkten vermutlich den einen oder anderen Illusionszauber. Rettungskräfte der Muggel kümmerten sich um Verletzte, aber Dudley konnte auch einen oder zwei Heiler von St. Mungos ausmachen. „Mr. Dursley.“ Marigold Wood und Louis Macmillan eilten auf ihn zu. Er kam ihnen ebenso schnell entgegen. Bei all den Handys, die es heutzutage schon gab, musste man damit rechnen, dass die Presse schnell vor Ort war. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. In Gedanken ging er bereits durch, was hier am besten zu sagen wäre. „Was ist passiert?“, fragte er knapp. Mrs. Wood und Mr. Macmillan gaben ihm abwechselnd eine kurze Zusammenfassung. Demnach hatte ein Zauberer versucht, in diesem Supermarkt einzukaufen. An sich war das kein Problem, aber dieser Zauberer hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen und war erst vor zwei Wochen aus St. Mungos abgehauen. Ausgebrochen mochte man fast dazu sagen, denn er war dort in der geschlossenen Abteilung untergebracht gewesen. Als dann der Muggelkassierer seine Knuts und Sickel nicht hatte annehmen wollen, war er ausgeflippt und hatte wahllos mit Zaubern um sich geworfen. Die Heiler von St. Mungos hatten die meisten Flüche bereits rückgängig gemacht, sodass sich die Rettungskräfte jetzt um die Verletzungen kümmern konnten. Entweder hatte der durchgeknallte Zauberer auch einen Explosionsfluch gewirkt, der den Eingangsbereich weggerissen hatte oder aber ein verirrter Zauber hatte eine Gasleitung getroffen. Das war weder aus den Sicherheitskameras noch aus den Erinnerungen der Beteiligten klar ersichtlich gewesen. „Gasexplosion wäre unsere Erklärung“, sagte Mrs. Wood. „Bleiben Sie so nah bei der Wahrheit, wie Sie können“, erwiderte Dudley. „Ersetzen Sie den Zauberstab durch eine Waffe. Behaupten Sie, der Mann wollte mit Spielgeld bezahlen und hat dann mit einer Pistole um sich geschossen. Das macht es den Beteiligten leichter. Sie müssen in der Erinnerung nur den Zauberstab durch die Pistole ersetzen. Das wird ihnen leicht fallen, denn eine Waffe erscheint ihnen bedrohlicher als ein Stück Holz.“ Der Regen prasselte auf Dudleys Kapuze und machte es ihm schwer, wirklich zu begreifen, was er hier sah. Er musste schlucken. War das noch die Übelkeit vom Apparieren oder eine andere? „Sehr gut.“ Mrs. Wood nickte. „Das macht die Arbeit der Vergessenszauberer auch leichter. Erinnerungen zu verfälschen ist auch einfacher.“ „Und es sorgt dafür, dass die Betroffenen die psychologische Behandlung bekommen können, die sie brauchen werden“, murmelte Dudley. Er starrte auf das Chaos. Mrs. Wood eilte in die eine Richtung davon, während Mr. Macmillan in die andere Richtung Befehle und Anweisungen brüllte. Dudley dagegen ging wie in Trance weiter. Das Blaulicht der Muggelfahrzeuge erzeugte irritierende Lichtblitze auf dem nassen Asphalt. Seine Kapuze rutschte nach hinten. Der Regen durchnässte binnen Sekunden sein Haar und kaltes Wasser lief ihm in den Nacken. Er bemerkte es kaum. Das Feuer war beinahe erloschen. Es hatte dem Regen und den Löschbemühungen wenig entgegenzusetzen. Er wusste gar nicht, ob es nur die Feuerwehr war, die da löschte, oder ob da auch Magie im Spiel war. Schwerverletzte wurden mit heulenden Sirenen davon gefahren. Beißender Qualm stieg auf und verschleierte die Sicht. Dunkle Flecken aus dem Asphalt wurden langsam weggewaschen. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass es sich dabei um Blut handelte. Und manche Dinge, die schon abgedeckt waren oder hektisch eingepackt wurden – waren das etwa Gliedmaßen? Dudley drehte sich der Magen vollends um. Er sprintete zu dem Gebüsch neben der Parkbucht, an der er gerade stand, und übergab sich geräuschvoll. Danach ging er einige Schritte weiter und blieb an der kleinen Überdachung für die Einkaufswagen stehen. Dort lehnte er sich an und betrachtete aus blicklosen Augen, wie das Chaos allmählich zu Ordnung wurde und alle Beteiligten ihren Job machten. Er dagegen war hier vollkommen überflüssig. Seinen kleinen Teil hatte er gerade geleistet und er konnte ja noch nicht einmal diese ganzen Eindrücke vernünftig verarbeiten. „Hey.“ Natürlich. Wer sonst sollte ihn in diesem desolaten Zustand vorfinden? „Hi Blaise“, sagte er matt. „Du siehst beschissen aus.“ Dudley drehte den Kopf. Er konnte es sich ungefähr vorstellen. Jetzt merkte er auch, dass er nass war und ihm kalt wurde. Aber offenbar hatte es aufgehört zu regnen. Selbst das hatte er nicht mitbekommen. Blaise dagegen sah wie immer schmerzhaft perfekt aus. Seine kurzen dunklen Locken glänzten etwas feucht, aber das war es auch schon. Sogar dass der Saum seines Umhangs nass und dreckig war, schien einfach dazu zu gehören. „Das erste Mal ist immer am schlimmsten. Das nächste Mal wird es besser.“ Blaise reichte ihm eine Decke, die sich Dudley um die Schultern legte. Erst jetzt merkte er, dass ihm nicht nur kalt wurde, sondern dass ihm längst kalt war. Mit reiner Willenskraft hinderte er seine Zähne daran zu klappern. „Wird es das? Ich habe doch noch nicht einmal groß etwas gesehen.“ Dudley schüttelte den Kopf. Er kam sich so erbärmlich vor. „Aber du bist vorhin das erste Mal appariert, oder? Tracey hat gerade so etwas angedeutet. Sie hat wohl ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht mehr um dich gekümmert hat. Bei jedem anderen hätte sie sich mehr Mühe gegeben.“ Kurz blitzte Wut in Blaises Augen auf. „Yeah...“ „Danach ist einem immer kotzübel und man ist nicht ganz zurechnungsfähig. Also schieb nicht alles, was dir gerade durch Kopf und Bauch geht, auf dich selbst. Unter anderen Umständen könntest du damit besser umgehen.“ Jetzt war es eine Wasserflasche, die Blaise ihm reichte. Dudley nahm sie dankbar und spülte sich als erstes den Mund aus. Der Geschmack auf seiner Zunge war einfach widerlich. Danach trank er gierig. Er hatte auch nicht gemerkt, dass er Durst hatte. „Könnte ich das?“, fragte Dudley. „Ich habe keine Ahnung. Das ist das erste Mal, dass ich die zerstörerische Kraft von Magie wirklich sehe. Was mache ich hier? Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich bin kein Zauberer. Ich habe in dieser Welt doch absolut nichts verloren. Ich bin nur ein dummer, kleiner, fetter Muggel...“ Er schüttelte den Kopf, als seine Selbstzweifel aus ihm herausbrachen. Super, Nervenzusammenbruch vor dem einzigen Typen, den er toll fand. Das war natürlich auch wieder eine Art, sich komplett zu disqualifizieren. „Dudley, aus dir spricht gerade der Schock. Komm mit.“ Blaise fasste ihn am Arm und ehe Dudley protestieren konnte, waren sie zurück ins Ministerium appariert. Die Notfallplattform funktionierte offenbar noch, denn dort übergab sich das Dudley das zweite Mal an diesem Tag. Er war durchaus dankbar, dass Blaise das nicht weiter kommentierte, sondern ihn schlichtweg Richtung der Waschräume bugsierte. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass es hier so etwas gab. Aber es war natürlich einleuchtend. Die Hexen und Zauberer schoben hier durchaus mal Doppelschichten oder brauchten nach einem Einsatz die Möglichkeit, sich zu waschen und umzuziehen. Blaise schob ihn in eine der Duschkabinen. „Wärm dich auf. Ich besorg Klamotten, die dir passen.“ Unter dem heißen Wasser begann Dudley, sich allmählich wieder menschlich zu fühlen. Und Gott sei Dank war das hier kein Massenduschraum, sondern es gab Türen und Wände zwischen den Duschen. Als er sich irgendwann aus seiner Starre löste und das Wasser abdrehte, sah er, dass Blaise ihm schon Handtuch, ein paar Hosen, noch eingepackte Boxershorts, ein T-Shirt und Socken hingelegt hatte. Er trocknete sich ab und zog sich an. Als er rausging, fragte er sich gedanklich, wo er jetzt hingehen sollte. In sein Büro und weitermachen wie bisher? Und was sollte er mit den nassen Klamotten machen? „Gib her.“ Blaise nahm ihm den nassen Stapel ab und warf ihn in den Wäschekorb der Abteilung. „Ich such deine Sachen raus, wenn sie fertig sind. Mach dir keine Gedanken drum.“ „Danke.“ Dudley lächelte schief. „So langsam fühle ich mich wieder menschlicher.“ „Gut.“ Blaise erwiderte das Lächeln. „Mach dir keinen Kopf um das, was geschehen ist. Normalerweise machen sie sich mehr Mühe darum, einen auf das alles vorzubereiten. Bei dir haben sie es komplett verflubbert.“ Er schüttelte den Kopf. „Idioten.“ „Hey, ich dachte, das war alles das bescheuerte Apparieren?“, bemühte sich Dudley, einen Witz zu reißen. Wenn er jetzt begann, diese Situation wirklich ernst zu nehmen, dann würde er vermutlich ein Tief haben, aus dem er die nächsten Wochen nicht mehr rauskam. Nein, Ironie und Witz würden ihm jetzt vielleicht helfen. Oder zumindest konnte er den Zusammenbruch noch so weit hinausschieben, bis er alleine war. „Das hat seinen Teil dazu beigetragen.“ Blaise blieb ernst. „Tee oder Kakao? Wenn dein Magen mitmacht, würde ich dringend zu einem Kakao raten. Schokolade hilft immer und zwar nicht nur gegen Dementorenangriffe.“ Er brachte Dudley zur Küche. Praktischerweise war dort gerade einer der Hauselfen des Ministeriums und freute sich, für die beiden einen Kakao zuzubereiten. Schweigend warteten die beiden Männer, bis der Hauself fertig war. Sie bedankten sich freundlich und schlenderten dann mit ihren Tassen weiter zu Dudleys Büro. Dort ließen sie sich auf den Stühlen nieder. Dudley hinter, Blaise vor dem Schreibtisch. Vorsichtig schnupperte Dudley an seiner Tasse, doch sein Magen rebellierte nicht wieder. Im Gegenteil. Von Kakao schien er gerade sogar sehr viel zu halten. Also nahm er vorsichtig einen kleinen Schluck. Die nächste halbe Stunde, bis Blaise sich wieder zum Dienst melden musste, saßen sie nur schweigend zusammen. Dudley war nicht nach reden und Blaise schien das zu respektieren. Es war ein angenehmes Schweigen, bei dem Dudley erfreulicherweise nicht zu denken brauchte. Die Gedanken kamen erst, als Blaise gegangen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)