Beat of a Damned Lover von Khaosprinz (Übersetzung der gleichnamigen FF auf ff.net) ================================================================================ Kapitel 1: Ein schwarzes Herz ----------------------------- Kai lag auf seinem Futon und starrte an die Decke; er hörte nur halb zu, als Tyson es erneut schaffte, eine weitere unbezahlbare Vase zu zerbrechen. Er seufzte; früher hätte er vermutlich selbst eine weitere unbezahlbare Vase an Tysons Kopf zerschmettert, um dem eine Lektion zu erteilen, aber jetzt gerade interessierte es Kai einfach nicht. Er hörte, wie sich die Tür vorsichtig öffnete, worauf Rays leise Schritte folgten, und er spürte, wie Ray sich ans Ende seines Futons setzte. Kai blickte ihn an; ganz im Gegensatz zu den leichtfüßigen Schritten stand der Ausdruck in den Augen des Neko-Jin, welcher ihm verriet, dass Ray kurz davor war, das gesamte Gebäude einzureißen. "Probleme mit Tala?”, fragte Kai nach. Rays Augen verengten sich ein kleines bisschen. “Gib' ihm Zeit”, fuhr Kai fort, “er wird aufhören, dich zu nerven, sobald ihm langweilig wird.” “Was lässt dich denken, dass er so lange überleben wird?”, fragte Ray giftig. Kai grinste. “Ich hätte nicht gedacht, dass du es zulassen würdest, dass dir jemand so unter die Haut fährt”, kommentierte er. “Es gibt den Teufel und es gibt Tala”, antwortete Ray mit einem Seufzen; er entspannte sich und lehnte sich gegen die Rückseite des Futon. Die einzige Zeit, in der er Frieden hatte, war, wenn er mit Kai zusammen war, aber Rays Zeit mit Kai war sehr begrenzt, da der Phönix oft seine Zauberkräfte benutzte, um stundenlang zu verschwinden. „Willst du was?“, fragte Kai. „Einen kurzen Metallstab“, antwortete Ray. „Ich dachte da eher an Getränke“, sagte Kai und trat Ray vorsichtig mit dem Fuß. „Okay, ein Glas Wasser mit einem kurzen Metallstab.“ Kai rollte mit den Augen. „Nein, du darfst Tala nicht auf den Kopf schlagen“, sagte er. „Ich hab' aber Lust drauf, das zu tun!“, zischte Ray. „Ray, du würdest nicht einmal einen Meter an Tala 'rankommen, wenn du ihn mit einem Metallstab schlagen willst.“ „Wer hat denn davon geredet, dass ich die Drecksarbeit erledige?“, murmelte Ray. „Kein Grund, so racheversessen zu sein“, sagte Kai leise. Als er keine Antwort erhielt blickte er erneut zu dem Neko-Jin und sah, wie der schlecht gelaunt dasaß, die Arme verschränkt und mit einem eindeutig eingeschnappten Gesichtsausdruck. „Was ist los mit dir?“, fragte er leicht irritiert, „was hat Tala dieses Mal gemacht?“ „Er hat gefragt, warum ich lange Haare habe“, sagte Ray entrüstet. „Und was ist daran so schlimm?“ Kai war sich nicht sicher, warum das relevant war. „Er hat mich gleichzeitig mit einer Schere bedroht.“ Kai pausierte, um das einen Moment sacken zu lassen. Erstens: er konnte nicht glauben, dass Ray sich tatsächlich angegriffen fühlte, wo das doch so kindisch war und zweitens: er konnte nicht glauben, dass Tala so kindisch geworden war. Er blinzelte ein paar Mal in Richtung Ray, um zu sehen, ob der Neko-Jin vielleicht Witze machte. „Das ist alles?“ „Was meinst du 'Das ist alles'!“, wütete Ray, „du hast keine Ahnung, wie beleidigend das ist!“ „Du hast Recht, ich habe absolut keine Ahnung, wie beleidigend das ist“, stimmte Kai zu, „für mich hört es sich nur kindisch an!“ Ray antwortete nicht; Kai seufzte und richtete sich auf, darüber grummelnd, dass er sich aus dieser bequemen Position entfernen musste, um die Sache zu klären. Er schaute sich Ray genau an; irgendetwas stimmte nicht an dem Neko-Jin. „Ray?“ Ray sah ihn nicht an und plötzlich waren Kais Sinne aufmerksam. „Schau mich an!“ Kai legte seine Hand auf Rays Schulter, doch der Neko-Jin blickte ihn noch immer nicht an. „Ray!“ „Was?“ „Warum siehst du mich nicht an?“, grollte Kai. Ray antwortete nicht. Seufzend stand Kai auf und ging um Ray herum, um ihn anzusehen; er erstarrte. Ein langer Kratzer zog sich von Rays Augenwinkel hinunter bis zu seinem Kiefer, er sah frisch und rot aus. Kais Augen blitzten auf. „Er ist nicht tief“, sagte Ray leise, während er noch immer Kais Blick auswich. „Darum geht’s nicht!“, schnappe Kai, „hat Tala das getan?“ „Ich glaube nicht, dass er mich treffen wollte“, sagte Ray schnell, „er hat die Schere einfach geworfen und ist gegangen.“ Kai drehte sich um und machte sich auf den Weg zur Tür. Ray sprang auf und hechtete auf Kai zu, um seine Arme in einem verzweifelten Versuch, Kai davon abzuhalten, Tala zu finden, um ihn zu schlingen. „Nicht!“ „Warum zur Hölle nicht?“, knurrte Kai, „keiner verletzt mein Team! Keiner!“ Er kämpfte gegen Ray an, der ihn sicher festhielt. „Ich weiß, du und Tala sind gute Freunde! Ich will nicht zwischen euch geraten!“ Ray rang gegen Kai, der stärker war. „Du hast nichts getan!“, erwiderte Kai, „er ist derjenige, der's vermasselt hat! Ich bring' ihn um!“ „Nein!“, rief Ray, „er hat's nicht so gemeint!“ Die Tonlage von Rays Stimme brachte Kai dazu, innezuhalten und er drehte sich um, um den Neko-Jin anzuschauen, der stur zurückblickte. „Wie lange läuft das schon so?“, fragte Kai langsam. „Wir streiten uns die ganze Zeit“, sagte Ray, „aber das war das erste Mal, dass er mich tatsächlich angegriffen hat...“ „Aber warum streitet ihr?“, verlangte Kai zu wissen. „Oh Kai!“, seufzte Ray, „du weißt, dass wir uns hassen.“ „Ich hasse Brooklyn, aber ich renne trotzdem nicht umher und prügel ihn windelweich!“, schnarrte Kai. „Ihr lebt in verschiedenen Ländern“, stellte Ray fest. Kai schaute ihn böse an und Ray seufzte. „Ich weiß nicht warum“, sagte Ray, „ich versuche, ihn zu ignorieren, aber... er erwischt mich irgendwie immer.“ „Du hattest nicht vor, mir davon zu erzählen, oder?“, realisierte Kai. „Nein“, antwortete Ray, „der einzige Grund, weswegen ich meine Meinung geändert habe, ist, weil ich dachte, dass es klüger wäre, dir davon zu erzählen, bevor du es selbst herausfindest.“ „Ich werde ihn umbringen“, sagte Kai und drehte sich wieder zur Tür. „Nein!“ Ray griff erneut nach Kai. „Hör' mir nur einen Moment zu! Ich erzähl' dir das nicht, damit du und Tala euch streiten oder um den Eindruck zu erwecken, also käme ich selbst nicht damit klar!“ „Warum erzählst du es mir dann!“, rief Kai. „Weil irgendwas mit Tala nicht stimmt!“ Ray lief an Kai vorbei und stoppte vor der Tür. „Ihm geht’s nicht gut und ihn zu verprügeln wird nicht helfen!“ „Tala geht’s nie gut!“, brummte Kai, „das entschuldigt aber nicht, dass er umher rennt und Leute verletzt!“ „Du hast Recht, tut es nicht“, stimmte Ray zu, „aber wenn es der einfache Fall wäre, dass Tala mich einfach zusammenschlägt, dann würde ich mich selbst drum kümmern!“ „Warum tust du es dann nicht?“, fragte Kai. „Weil ihn etwas beschäftigt und ich kenne ihn nicht so gut wie du“, antwortete Ray. „Du hasst Tala“, sagte Kai, „warum machst du dir so viele Gedanken, ob's ihm gut geht?“ „Weil es mir Angst macht, wenn ich in seine Augen schaue“, flüsterte Ray, „und ich weiß nicht, was er als nächstes vorhat.“ Kai runzelte die Stirn als Ray ernst zurückschaute. „Bitte, Kai, Tala umbringen ist nicht die Antwort. Wenn sie es wäre, würdest du das erste Mal von der ganzen Geschichte was hören, weil man Tala tot in einer Gasse gefunden hat“, sagte Ray und schaffte es nicht, ein hinterhältiges Lächeln zu verstecken, „ich will nicht, dass mit ihm schimpfst, als wäre er ein Bully, ich will, dass mit ihm als der Freund sprichst, der du bist.“ Kai seufzte, „Na gut, ich rede mit ihm, aber hinterher bring' ich ihn um.“ Er drehte sich um und ging zur Tür. Ray seufzte als der Phönix ging und strich vorsichtig mit dem Finger über den Kratzer auf seinem Gesicht. „Ich hoffe, ich hab' das Richtige gemacht“, murmelte er und konnte nicht den Schauer verhindert, der ihn überkam, als er sich an den kalten, beinahe wahnsinnigen Blick in Talas Augen erinnerte, als der Wolf die Schere nach ihm geworfen hatte. Worüber Tala und Ray sich stritten waren nur oberflächliche Dinge, aber das Ergebnis war das gewesen, was ihn dem Tod am nächsten gebracht hatte... nun, fast zumindest; Bryan hatte den Neko-Jin auch beinahe getötet. „Die Blitzkrieg Boys werden mich noch ins Grab bringen“, mutmaßte Ray.                                                                                                        Kai lief mit einem Schwert durch sein Anwesen; die Tatsache, dass er ein Schwert hatte, hatte nichts damit zu tun, dass er Tala umbringen wollte, er hatte es eigentlich Daichi abgenommen, der damit eines der Hausmädchen bedroht hatte, aber Kai konnte nicht bestreiten, dass es vielleicht noch nützlich werden konnte. Er betrat den Westflügel und stoppte wie immer vor dem lebensgroßen Gemälde seines Großvaters; es war nun drei Wochen her, dass der alte Mann gestorben war, aber er schaffte es noch immer, Einfluss auf Kai zu nehmen, der niemandem etwas über die Träume verriet. Kai schaute das Bild böse an; er würde seinen Großvater nicht Einfluss auf ihn nehmen lassen. „Er ist tot“, sagte er streng zu sich selbst, „nichts wird ihn zurückbringen.“ „Kann ich Euch helfen, Sir?“ Kai drehte sich um und erblickte Bryans Lieblingsbediensteten, der auf ihn zu ging. Bryan beschwerte sich ständig, dass Kai den Mann loswerden sollte, aber Kai behielt ihn zur Belustigung. „Zerstört dieses Bild“, befahl Kai als er sich wieder zu dem Gemälde umdrehte. „A- aber Sir, das ist ein Gemälde!“, stotterte der Diener. „Und hier steh' ich und dachte, es wäre ein Hund“, sagte Kai sarkastisch, „na und?“ „Ich wollte sagen, es ist ein Gemälde Eures Großvaters“, keuchte der Diener. „Ja, da hast du Recht.“ Kai warf einen letzten Blick auf das Bild „Zerreißt es in tausend Stücke und dann verbrennt es.“ Kai ging den Korridor hinab und sein Gesicht hellte auf, als sein Gedankengang von seinem Großvater zu Bryan wanderte. Er würde es niemals zugeben, aber er vermisste den Falken. Bryan war kurz nachdem die Bladebreakers angekommen waren mit den Worten, dass er die Bladebreakers hasste, gegangen. Auch wenn Kai erfreut war, sein Team wiederzusehen, kam er nicht umhin, als ihre Anwesenheit zu verabscheuen, da er den Falken nicht mehr in der Nähe hatte. Er konnte nicht verstehen, warum er das fühlte und noch viel weniger, was er für Bryan empfand, aber Kai hatte auf unangenehme Weise herausgefunden, dass er alles kontrollieren konnte, bis auf seine Gefühle für Bryan. Auf einen Korridor abbiegend stoppte er, als er seine Beute gefunden hatte; Tala lehnte sich am Ende des Flurs gegen eine Wand und starrte gedankenverloren auf eine Statue eines Vorfahren Kais. Er hörte Kais Schritte als der Phönix näher kam und konnte praktisch den glühenden Zorn spüren, den Kai ausstrahlte. Er seufzte. „Ich wollte ihn nicht treffen“, sagte Tala ohne Kai anzuschauen. „Nicht gut genug, Tala!“, knurrte Kai, als er vor dem Wolf stand, „Wenn du Ray so sehr hast dann geh'! Ray ist ein Gast hier und ich lasse nicht zu, dass seine Sicherheit bedroht wird, vor allem nicht von dir!“ Tala entdeckte das Schwert. „Ich sagte, ich hab's nicht so gemeint!“ Kai hob das Schwert unbewusst an. „Ich schwöre, Tala Ivanov, wenn noch einmal Ray anrührst, schneid' ich dir die Kehle durch!“ „Ein wenig gewalttätig“, kommentierte Tala, „sieht dir gar nicht ähnliche, solche Drohungen zu machen.“ „Sieht dir gar nicht ähnlich, einen meiner Freunde anzugreifen!“ Kai blickte Tala böse an. „Was ist los mit dir? Und was ist dein Problem, dass du Ray ständig belästigst? Er hat dir nichts getan!“ Tala schnaubte. „Als ob diese Mimose mir etwas antun könnte.“ „Unterschätz' Ray nicht“, warnte Kai, „ansonsten werde ich den Teufel tun und ihn stoppen.“ Tala musste fast lachen. „Wenn er mich nur mit einer Feder bedroht, bring' ich ihn um.“ Das war genaus das falsche, was man Kai im Moment sagen konnte. Normalerweise konnte er mit Talas unvorhersehbar gewalttätigem Temperament, gegen das nichts ankam, leben, aber gerade war Kai nicht in der Stimmung dazu und auch wenn Tala auf sich selbst aufpassen konnte, Kai war bereit, einen Elefanten niederzustrecken. „Runter von meinem Grundstück!“, knurrte Kai leise. Tala Augen weiteten sich kaum merklich. „Du machst Witze.“ Kai wurde von Bryans Lieblingsbediensteten unterbrochen, der den Korridor betrat, während er sich mit dem Gemälde seines Großvater abmühte. „Das ist noch nicht vorbei, Ivanov!“, zischte Kai bevor er sich zu dem Diener umdrehte. „Was?“ „Entschuldigt, Sir“, der Diener versuchte, das Gemälde in eine günstigere Position zu wuchten, schaffte aber nur, es sich auf den Zeh fallen zu lassen. „Aber Mr. Kuznetsov ist da“, quietschte er, während ihm Tränen in die Augen schossen. „Mr. Kuznetsov?“, wiederholte Kai. Bryan! Kapitel 2: Dunkle Liebhaber --------------------------- Kai lag auf seinem Bauch in seinem Bett und nutzte seine Nachttischlampe als Lichtquelle, um den dicken Roman zu lesen, während die Nacht sich fortzog. Er musste nicht aufblicken, als sich seine Tür öffnete und jemand ziemlich gelangweilt dreinblickend eintrat. Er verdrehte die Augen, als Bryan Kais Kommode vor die Tür schob, die er verschlossen hatte.   “Ist es wirklich notwendig, das Ding vor die Tür zu schieben?”, fragte Kai, noch immer nicht von seinem Buch aufblickend, “ich muss das morgen früh wieder wegschieben.”   “Du wirst es überleben”, antwortete Bryan, als er auf Kai kletterte. Er knabberte an Kais Hals und blickte dann zynisch über dessen Schulter auf das Buch auf Kais Kissen. “Warum gibst du dich mit so 'nem Kram ab?”   “Weil es gut ist”, antwortete Kai.   “Es ist scheiße!”, widersprach Bryan.   “Okay”, sagte Kai.   Bryan feixte. “Willst du dich nicht wehren, Geldjunge?“   „Wozu? Du wirst mir nur widersprechen, um mich zu nerven“, sagte Kai, während er umblätterte. Das Buch langweilte ihn eigentlich blöde, aber er nahm alles, um mit Bryan zu streiten.   „Wie kann ein Buch interessanter sein als ich?“, fragte Bryan während er Kai in den Rücken stupste. „Ich war für Wochen weg!“, grummelte er, „du solltest darum betteln.“   „Seite wann bettle ich?“, frage Kai grinsend, als Bryans Hand unter Kais Top glitt.   Bryan grollte und schlug das Buch aus Kais Händen.   „Hey!“ Kai holte das Buck zurück und öffnete es wieder, während er auf die Seitenzahlen schaute.   „Oh, um Gottes Willen!“, knurrte Bryan, „komm schon! Ich bin interessanter als irgendein verdammtes Buch!“   „Hängt vom Buch ab.“   Bryan schaute ihn böse an und versuchte es auf eine andere Art. „Also gut, wenn du es so willst, dann kriegst du es so. Ist nicht so, als ob ich dich knallen wollte.“   „Okay.“   Bryan machte ein sehr finsteres Gesicht. „Schätze, dann werd ich wohl jemand anderen flachlegen.“   „Geh' und mach das.“   „Vielleicht hat Kon ja Lust auf ne aktive Nacht.“   „Zweifelhaft, Ray ist nicht gerade begeistert von dir, aber du kannst es immer noch versuchen.“ Kai blätterte um, ein großes Schauspiel daraus machend um Bryan noch ein bisschen mehr zu reizen. Es funktionierte.   „Leg das Buch weg, Geldjunge!“   „Oder du machst was?“   „Oder ich nehm' es dir weg!“   „Dann beeil dich lieber, denn das ist die einzige Möglichkeit, wie du Aufmerksamkeit von mir bekommst.“   „Also gut, dann mach ich das auch!“, grollte Bryan.   „Gut, dann leg' los.“   „Das werd' ich!“   „Nun, so wie ich das sehe, befindet sich das Buch noch immer in meiner Hand, also hast du deinen Job bisher nicht so gut erledigt.“   „Fick dich!“   „Nur, wenn du mir das Buch wegnimmst.“   Bryan riss der Geduldsfaden, er entriss Kai das Buch und warf es wütend über seine Schulter auf die andere Seite des Raumes. Mit einem Grinsen drehte Kai sich unter Bryan um und schaute mit einem Gesichtsausdruck zu dem Falken hoch, der nur als selbstgefällig beschrieben werden konnte. Bryan schaute mit einem Todesblick zu ihm herunter.   „Das wirst du bereuen, mir auf den Sack gegangen zu sein, Geldjunge!“   „Oh, ich weiß nicht“, sagte Kai noch immer grinsend, „dich zu nerven gibt mir irgendwie 'nen Kick.“   „Lustig!“   „Dachte ich mir.“   „Wenn du nicht vorsichtig bist, steh' ich auf, gehe und komm' nie wieder!“   „Wie willst du an der Kommode vorbeikommen? Sie blockiert die Tür“, fragte Kai.   „Ich kletter' aus dem Fenster!“, schnappte Bryan.   „Ich würde Geld bezahlen, um das zu sehen“, sagte Kai, der sich köstlich amüsierte.   „Tu nicht so selbstzufrieden!“, knurrte Bryan, „Ich hab keine Späße gemacht als ich gemeint habe, ich steh' auf und gehe!“   „Ich würde dich nicht vermissen“, sagte Kai ruhig.   Bryan schnaubte. „Glaub nicht, dass ich nicht bemerkt hätte, wie du praktisch zur Tür gerannt bist, als du gehört hast, dass ich hier wäre.“   „Tyson hat einen der Wachhunde ins Haus gelassen, wenn ich nicht gerannt wäre, wäre ich verstümmelt worden. Das hat nichts zu bedeuten, dass ich zufällig in Richtung der Eingangstür gerannt bin“, erklärte Kai geschmeidig.   „Ach wirklich.“ Bryan blickte sardonisch zu ihm runter. „Das werde ich glauben, wenn Schweine fliegen können.“   „Dann halt die Augen morgen besser offen“, sagte Kai, „weil der Koch Tyson vom Dach werfen wird, wenn der nochmal in die Küche schleicht.“   „Oh, sind wir heute clever!“, spöttelte Bryan, „sind wir ganz allein auf diese Bemerkung gekommen oder haben wir Ray 'Hübscher Junge' Kon um Hilfe gefragt?“   „Nein, den hab' ich mir ganz alleine ausgedacht“, sagte Kai, „auch wenn ich gestehen muss, dass die Idee, überall rote Sauce auf Talas sauberem, weißen Oberteil zu verteilen ein wenig von Ray beeinflusst wurde.“   „Hmm“, sagte Bryan, „dieser Kon wird schlechten Einfluss auf dich haben, er wird dich weich machen.“   „Wenn du dir so viele Sorgen machst, dass Ray einen schlechten Einfluss auf mich hat, warum bist du dann hier?“, fragte Kai, „Ich dachte, du hasst meine Bladebreaker Freunde."   „Tu' ich auch“, erwiderte Bryan“, aber ich musste sichergehen, dass sie dir keine komischen Ideen geben, nicht wahr?“   „Was für komische Ideen?“, fragte Kai.   „Wie dieser Kack, dass man auf seine Freunde aufpassen muss“, sagte Bryan.   „Ja, das ist eine blöde Idee“, sagte Kai mit nur einem Hauch Sarkasmus.   „Natürlich ist es das“, sagte Bryan, als ob es offensichtlich wäre, „du würdest mich dazu zwingen, Granger vor dem Koch zu retten, bevor ich wüsste, wie mir geschieht, wenn ich dich noch länger mit ihnen alleine lassen würde.“   „Ich bin so froh, dass du mich vor ihnen rettest“, sagte Kai.   „Nun, ich bin ja auch das Beste in deinem Leben“, sagte Bryan grinsend.   Kai verdrehte die Augen. „Nein, bist du nicht. Ich bin das Beste in meinem Leben, weil ich der mit dem ganzen Geld und Besitz bin.“   „Das ganze Geld steigt dir zu Kopf, Geldjunge“, Bryan stupste die Seite von Kais Kopf mit einem Finger an, „das tut dir nicht gut.“   „Oh, und wie rette ich mich selbst vor solch einem schrecklichen Schicksal?“, fragte Kai.   „Gib' es natürlich mir, ich weiß, was ich damit mache.“   „Warum hab ich daran nicht gedacht?“, murmelte Kai leise.   „Weil du über solche Sachen einfach nicht nachdenkst“, antwortete Bryan, „ich allerdings lege Wert darauf, solche Dinge genau zu durchdenken.“   „Nun, vielleicht möchtest du auch mal über all den willkürlichen Scheiß, der aus deinem Mund kommt, nachdenken“, schlug Kai vor.   „Wenn es dir nicht gefällt, werde ich gehen“, sagte Bryan, „mir ist es egal, ich könnte hier einfach rauspazieren. Ist es das, was du willst?“   Kai antwortete nicht sondern zog Bryan nur zu sich runter, um den Falken leidenschaftlich zu küssen. Bryan grinste in den Kuss; er hatte die letzten drei Wochen bei seiner Mutter verbracht und dann entschieden, dass Kai sehr viel interessanter anzusehen war und kehrte dementsprechend zurück. Tief im Inneren war er froh, den Phönix wiederzusehen. Die blasse Haut, die roten Augen tiefer als der Ozean selbst, und Kai forderte Bryan auf eine Art und Weise heraus, wie kein anderer es konnte oder sich nur traute und Bryan gefiel das.   Kai spürte den Nervenkitzel davon, dass er die Kontrolle verlor; er schämte sich beinahe, es zuzugeben, sogar sich selbst gegenüber, aber er konnte nicht genug von dem Gefühl haben, dass ihm jemand die Kontrolle wegnahm. Er stöhnte leise, als Bryan seine Haut küsste und konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl, als Bryan ihn festhielt.                                                                                                                                 Ray ging durch Kais ausladende Gärten und nutzte das helle Leuchten des Mondes, um seinen Weg zu erhellen; er mochte es, nachts durch die Gärten voller Schnee zu gehen, da die Sterne und der Mond den Schnee im weißen Licht zum Funkeln brachten. Der Himmel war atemberaubend anzusehen und es gab eine Art stillen Friedens, die tagsüber nicht erreicht werden konnte. Er blickte durch die Äste eines Baumes hoch zum Mond; der Mond war voll und heller, als er es seit einer Weile gesehen hatte. Es erinnerte ihn an Zuhause; der Friede, die Stille und die Ruhe erinnerten ihn an die Berge, die er so sehr liebte.   „Keine gute Nacht, um alleine umherzuwandern, Kon.“   Ray drehte sich um und sah Tala auf einer Bank sitzen; er runzelte die Stirn ob dieser Unterbrechung seines Friedens und fuhr unterbewusst mit einem Finger über den Kratzer in seinem Gesicht. „Warum nicht?“, fragte er.   Tala feixte und das Mondlicht leuchtete auf seinen weißen Zähnen. „Heute ist Vollmond, man weiß ja nie, wie viele Werwölfe da draußen 'rumrennen.“   Ray schnaubte. „Wenn du versuchst, mir Angst zu machen, Tala, dann ist das die falsche Art“, sagte er kühl.   Tala sagte nichts und blickte nur hoch zum Mond, wobei das Licht seine eisig blauen Augen füllte, sodass sie zu leuchten schienen, bevor er zu Ray zurückblickte. „nun, sag' nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“   „Was auch immer.“ Ray drehte sich, um zu gehen.   „Na gut, pass nur auf... Ansonsten wird der Kratzer auf deinem Gesicht nicht die einzige Verletzung sein, an der du leidest.“ Tala legte sich zurück auf die Bank und blickte wieder hoch in den Himmel.   Ray stoppte. „Entschuldigung angenommen.“   Tala lächelte ihn spöttisch an. „Ich hab' mich nicht entschuldigt!“   Der Neko-Jin drehte sich nicht wieder um. „Natürlich nicht“, sagte er, als er in der Nacht verschwand.                                                                                                                                 „Ich habe einen Entschluss gefasst“, sagte Tyson.   „Kenny, Daichi, geht in Deckung“, sagte Max, der sich in seinem Bett umdrehte, „wir werden alle sterben.“   „Ich habe entschieden, dass wir für Kai eine Freundin finden sollten“, fuhr Tyson fort, während er Max ignorierte. Er schaute auf, als er keine Rückmeldung erhielt, und erblickte Max, Kenny und Daichi, wie sie ihn alle anstarrten. „Was?“   „Du machst Witze, Tyson, oder?“, sagte Kenny.   „Nein! Denkt doch mal drüber nach, wäre Kai nicht unglaublich dankbar, wenn wir jemanden für ihn finden, den er wirklich mag?“   „Nein, Tyson“, sagte Max, „er würde uns dafür umbringen, dass wir mit seinen persönlichen Gefühlen 'rumspielen. Außerdem ist Kai schwul.“   „Warum sagst du das?“, fragte Tyson.   „Ist das dein Ernst?“ Max hob die Augenbrauen. „Ich hätte gedacht, das wäre offensichtlich.“   „Wieso ist das offensichtlich?“, fragte Tyson.   „Wenn Kai hetero wäre, glaubst du nicht, dass er dann schon längst eines der sexy Fangirls aufgegabelt hätte, die ihm hinterher laufen?“, sagte Max.   „Er könnte es auch nur nicht vom Aussehen alleine abhängig machen“, sagte Tyson, „er ist tiefgründiger als das.“   Max dachte darüber nach. „Er ist schwul.“   Hilary betrat den Raum, ungeachtet dessen, was die Jungs vielleicht taten. „Hat einer Ray gesehen?“   „Er ist wahrscheinlich draußen im Garten und wandert umher, als hätte er noch nie 'nen Busch gesehen“, sagte Daichi mit einem bösen Kichern.   „Zumindest kann Ray die Natur noch wertschätzen, was man von dir nicht gerade behaupten kann!“, keifte Hilary und zog Daichi eine über den Schädel.   „Ich schätze die Natur“, sagte Daichi.   „Sag' das zu dem Busch, den du angezündet hast.“   „Ich wollte ein Barbeque veranstalten, na und, das ist halt etwas schief gegangen.“ Daichi zuckte mit den Schultern. „Kann doch passieren.“   „Nur, wenn du in der Nähe bist“, murmelte Hilary und ging rüber, um sich auf Tysons Bett zu setzen.   „Hilary, glaubst du, Kai ist schwul?“, fragte Tyson sehr ernst.   „Warum? Willst du 'ne Nacht mit ihm verbringen?“, fragte Hilary grinsend.   „Nein!“ Tyson schüttelte es bei dem Gedanken, während Max lachte. „Ich hab mich nur gefragt, ob du glaubst, dass Kai schwul ist oder nicht.“   „Tyson, wenn Kai nicht schwul ist, ess' ich meinen linken Fuß“, sagte Hilary, „ich bin ein Mädchen, wir wissen diese Dinge.“   „Naja, ich glaub's nicht“, sagte Tyson, „und ich finde, Kai ein Mädchen zu suchen, ist eine gute Idee. Ich werde sogar morgen schon starten, hier müssen ein paar Mädels rumrennen, die nur darauf warten, für Kai 'die Eine' zu sein.“   Max und Hilary tauschten Blicke aus.   „Sag' nicht, wir hätten dich nicht gewarnt“, sagte Max. Kapitel 3: Kleine Desaster -------------------------- “Guten Morgen, Ray!” Tyson marschierte zu dem Neko-Jin, der sich gerade in der großen Halle ein Glas Wasser eingoss. “Was ist mit deinem Gesicht passiert?”   “Morgen, Tyson.” Ray dachte schnell über einen Grund für den Kratzer nach. „Der Hund, den du gestern reingelassen hast. Weißt du, der hat Krallen“, log er. Er war sich nicht sicher, warum er log, aber Tyson die Wahrheit zu sagen schien ihm irgendwie nicht richtig.   „Oh man“, sagte Tyson mit nicht zu viel Reue, „wie wär's, wenn du mir hilfst, Kai ein Mädchen zu finden?“   Ray verschluckte sich an seinem Wasser. „Was?“   „Wie wär's, wenn du mir hilfst, Kai ein Mädchen zu finden?“, wiederholte Tyson.   „Ja“, sagte Ray alarmiert, „ich dachte, das hättest du gesagt.“   „Entschuldigen Sie mich, Sir.“   Ray lächelte den Diener an, der an ihrer Seite stand.   „Wissen Sie vielleicht, ob Master Kai bereits aufgestanden ist?“, fragte der Diener.   „Nein, der faule Sack liegt immer noch 'rum“, sagte Tyson, „wobei, das erinnert mich an was. Wenn ich Kai ein Mädchen finden soll, dann muss ich dafür sorgen, dass er nicht mehr so aussieht, als ob man ihn gerade rückwärts durch 'ne Hecke gezogen hat.“   „Tyson, das ist keine gute Idee“, sagte Ray nur halbherzig, während seine Aufmerksamkeit noch immer beim Diener lag. „Gibt es ein Problem?“, fragte er.   „Nun, normalerweise würde ich nicht einmal im Traum daran denken, den Herren zu wecken, aber sein Vater ist hier, um ihn zu sehen“, sagte der Diener, unsicher, ob er das richtige tat.   „Sein Vater!“, wiederholte Tyson, „das muss ich sehen!“   „Nein, wirst du nicht“, sagte Ray schnell, bevor er sich wieder zum Diener umdrehte. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde Kai wecken.“   „Danke, Sir.“ Der Bedienstete verbeugte sich und verließ sie.   „Gute Idee, Ray. Du gehst und holst Kai, Daichi lenkt seinen Vater ab und ich finde Kais erstes Mädchen.“   „Tyson, nein!“, warnte Ray, als er die große Halle verließ, obwohl er genau wusste, dass nichts, was er sagen könnte, auch nur irgendeinen Effekt haben würde.                                                                                                                Kai öffnete die Augen und zog Bryan etwas von der Decke weg, von der jener das meiste beschlagnahmt hatte. Er wusste, dass er wahrscheinlich aufstehen sollte; so, wie er die Bladebreakers kannte, hatten sie schon wieder irgendwelche Dummheiten angestellt, und er musste sich immer noch mit Tala 'unterhalten', weil der Ray verletzt hatte. Kai schaute böse drein bei dem Gedanken; Tala würde dafür zahlen, Ray war Kais Freund und Tala hatte kein Recht, so mit Ray umzuspringen. Kai wusste all dies, aber gerade konnte er sich wirklich nicht aufraffen, also rutschte er weiter zurück bis er die Hitze von Bryans Körper spürte.   Er knurrte, als ein Klopfen an der Tür ihn endgültig aus dem Schlaf riss. „Verpiss dich!“, rief er.   „Kai, wenn du nicht aufstehst, wird Tyson dir ein Mädchen klarmachen und vertrau mir, das wird nicht gut enden!“, erklang Rays Stimme unberührt durch die Tür.   Sowohl Bryan als auch Kai schossen in die Höhe.   Sich ein Oberteil und eine Hose anziehend, schob Kai die Kommode weg von der Tür und zog jene auf.   Ray grinste. „Das hat dich geweckt“, sagte er.   „Was meinst du damit, Tyson will mir ein Mädchen suchen?“ Kai verengte die Augen.   „Ich hätte geglaubt, die Antwort steckt schon in der Frage“, sagte Ray, „naja egal, das ist nicht der Grund, weswegen ich dich geweckt habe.“   „Du hast Tyson doch nicht dazu angestiftet, oder?“, fragte Kai scharfsinnig, in Gedanken noch immer bei der Geschichte mit dem Mädchen.   „Natürlich nicht.“ Rays Augenbrauen schossen allein bei dem Vorschlag in die Höhe. „Seit wann braucht Tyson irgendwen, um ihn auf dumme Ideen zu bringen?“   „Auch wieder wahr“, gab Kai nach, „warum hast du mich geweckt?“   „Ein Bediensteter hat gesagt, dein Vater wäre hier“, sagte Ray.   Kai erstarrte.   „Kai?“   Kai legte eine Hand auf die Schlafzimmer und warnte Bryan, der sich mit seiner Waffe in der Hand hinter der Tür versteckte, subtil, dass er Ray nicht verletzen sollte. „Was? Oh, Vater. Ich werd' in 'ner Minute da sein.“   „Bist du in Ordnung?“, fragte Ray.   „Warum sollte ich das nicht sein?“, fragte Kai, während er versuchte, Bryan mit seinen Blicken zu erdolchen, ohne, dass Ray davon etwas mitbekam.   „Ich würde mich an deiner Stelle dann beeilen“, sagte Ray, „Tyson ist schon weg, um das erste Mädchen zu finden.“   „Oh“, sagte Kai während er die Tür gegen die Wand knallte um Bryans Versuch, Ray zu ergreifen, zu unterbinden. Er zog die Tür zurück und offenbarte den Falken, dessen Nase nun blutete. „War das alles?“, fragte er und versuchte, die Sicht auf Bryan zu verdecken, der nicht gerade leise vor sich hinfluchte, zumindest nach Kais Meinung.   „Ja“, sagte Ray.   „Ich werde dann in ein paar Minuten unten sein“, sagte Kai und schlug die Tür vor Rays Nase zu. Er drehte sich zu Bryan. „Könntest du noch lauter sein?“, zischte er.   „Ich werd Tyson verdammt noch eins umbringen!“, knurrte Bryan, während er seinen Nasenrücken rieb. „Ich hab' dir doch gesagt, dass die Bladebreakers nur schlechte Neuigkeiten bringen!“   Ray starrte auf die geschlossene Tür, die Kai gerade zugeschlagen hatte; vielleicht war es der Umstand, dass Tyson das Problemthema Mädchen auf den Tisch gebracht hatte, dass Rays Sinne schärfer waren als sonst, er wusste es nicht, aber er könnte schwören, dass da noch jemand in Kais Zimmer war.   „Das wird interessant werden“, murmelte er, als er wieder nach unten ging.                                                                                                                Kai betrat das Studierzimmer, von dem ihm gesagt wurde, dass sein Vater ihn darin erwarten würde und tatsächlich stand der große, stolze Mann nahe des Kamins und starrte ins Feuer. Wenn es um's Aussehen ging, hatten Kai und sein Vater die selben Gesichtszüge, Figur und Haltung, der einzige bemerkbare Unterschied waren die roten Augen, die Kai von seiner Mutter hatte. Sein Vater andererseits hatte dunkle Augen, gefärbt in einem leblosen Grau. Sein Vater drehte sich um und betrachtete seinen Sohn von oben bis unten.   „Du hast abgenommen“, sagte Matthew Hiwatari, Kai Hiwataris Vater, in einer kühlen und forschen Stimme.   „Du nicht“, sagte Kai mit derselben kalten Tonlage. Sein Vater war schlank und muskulös und seinem Sohn damit abermals sehr ähnlich, aber Präsentation war alles, worauf es für Matthew Hiwatari ankam, und die bloße Erwähnung von etwas, das suggerierte, dass er nicht perfekt war, machte ihn sauer.   Dieses Mal jedoch schien Matthew die Seitenhiebe seines Sohnes zu ignorieren, als er den jungen Mann betrachtete. Im Großen und Ganzen war Matthew stolz auf seinen Sohn; Kai war ein gutaussehender, gerrissener junger Mann der alles war, was ein Hiwatari sein sollte, abgesehen von seiner unkontrollierbaren Natur, die Kai von seiner Mutter geerbt hatte. Aber Matthew hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass ein Kampf gegen eine willenstarke Person wie seine Frau oder sein Sohn ihn mehr beeinflussen würde als sie.   „Was willst du?“, fragte Kai.   Sie wurden unterbrochen, als sich die Tür öffnete und Bryan gelassen eintrat. Er lehnte sich hinter Kai gegen die Wand und blickte voller Abneigung auf dessen Vater. Matthew sah zu Bryan und dann erwartend zu Kai.   „Dies ist mein Haus und ich erlaube ihm, in diesem Raum zu bleiben“, sagte Kai ruhig.   „Ich werde nicht mit einem Vagabunden im Raum über die Geschäfte der Hiwatari reden!“, zischte er wütend.   „Das sagen alle anderen auch“, sagte Kai.   „Es geht um die alte, verlassene Abtei“, sagte Matthew, „die, die deinem Großvater gehört hat.“   „Was ist damit?“, fragte Kai, während seine Augen sich verengten.   „Ich habe mich gefragt, was du damit vorhast“, sagte Matthew.   „Sie niederbrennen“, sagte Kai und seine Augen blitzten, „warum?“   „Und ein Gebäude verschwenden, das vollkommen in Ordnung ist?“ Matthew grinste hämisch. „Ich kann sie dir abkaufen.“   „Und was würdest du mit ihr wollen?“, fragte Kai und versuchte nicht einmal, seinen Todesblick zu verbergen.   „Sie würde ein gutes Bürogebäude abgeben“, sagte Matthew, „und da ich sehe, dass du dafür offensichtlich keinen Nutzen hast...“ Seine Stimme verhallte und er blickte zu seinem Sohn.   Kai starrte zurück; es war wahr, dass er für seine Mutter keine Liebe empfand, aber sie hatte etwas an sich, das Kai stolz darauf machte, dass sie seine Mutter war. Seinen Vater andererseites, und Kai machte daraus kein Geheimnis, hasste er. Er erinnerte sich an die Tage, als er noch klein war und nur selten seine Eltern gesehen hatte. Er war immer aufgeregt gewesen, sie zu treffen, und auch, wenn seine Mutter ihm keine Liebe gezeigt hatte, so hatte sie ihn dennoch nicht verlassen, während sein Vater ihn jedoch eingeschüchtert hatte, fortgestoßen, und obwohl sein Vater Kai nie auch nur ein Haar gekrümmt hatte, so fühlte sich der Phönix misshandelt.   „Ich werde darüber nachdenken“, sagte Kai und er spürte, wie Bryan sich hinter ihm bewegte. „Und jetzt verschwinde.“   Matthew starrte seinen Sohn einen Moment an. „Weißt du, als du deiner Mutter erzählt hast, was Voltaire in BioVolt macht, hast du ihn eine Menge Geld gekostet."   „Und ich habe eine Menge Leute vor der Kindheit, die ich erleiden musste, gerettet!“, knurrte Kai, Blutdruck schnell steigend. „Ich bereue nicht, was ich getan habe, und nichts was du jemals tun wirst könnte mich dazu bringen, meine Meinung zu ändern und jetzt runter von meinem Grundstück!“   Matthew zuckte mit den Schultern, ging aber und ließ Kai kochend vor Wut stehen; Kai hätte sich treten können, sein Vater hatte noch immer die Fähigkeit, ihn denken zu lassen, dass er etwas falsch gemacht hatte. In blindem Zorn nahm Kai den ersten, zerbrechlichen Gegenstand in Reichweite und hob den Arm, um ihn zu werfen.   „Ich verbiete dir, Vasen zu zerbrechen, wenn du es mir auch nicht erlaubst“, sagte Bryan ruhig, während er Kais Handgelenk wie ein Schraubstock umklammerte.   Matthew verließ den Raum und war auf dem Weg nach draußen, als er Tala erblickte, der sich gegen das Treppengeländer lehnte. „Ich hätte wissen müssen, dass du hier sein würdest“, spottete er.   „Mr. Hiwatari“, sagte Tala kalt; er hasste den Mann mehr als Kai es tat.   „Immer schon hast du Kai irgendwelche Sachen eingeredet“, knurrte Matthew, „ich wette, du hast ihm vorgeschlagen, die Abtei anzuzünden.“   „Ich habe nichts dergleichen getan“, sagte Tala, „die Entscheidung hat Kai ganz allein getroffen.“   Sie beide drehten sich um und sahen, wir Ray aus einem Aufenthaltsraum auf der anderen Seite des Foyer trat.   „Und wer ist das?“, fragte Matthew.   „Ray Kon“, antwortete Tala. „Er hat Kai auch nicht gesagt, dass er die Abtei niederbrennen soll.“   Ray blickte von Tala zu dem Mann, der an der Eingangstür stand; er konnte den Hass zwischen ihnen spüren.   „Du bist der, der dieses Monster da drinnen geschlagen hat“, sagte Matthew und zeigte auf den Raum, aus dem er gerade gekommen war, in welchem man sehen konnte, wie Bryan und Kai über die Vase stritten.   Ray sagte nichts; er war sich nich sicher, was er hätte sagen sollen.   „Bist du stumm?“, fragte Matthew.   „Er redet einfach nicht gerne mit Bastarden wie dir“, sagte Tala schnippisch.   „Aber mit dir redet er, oder was?“, sagte Matthew. „Ich nehme an, du bist der Grund für den Kratzer in seinem Gesicht. Boris hat dich wirklich zu einem blutrünstigen Soldaten gemacht, nicht wahr?“   Tala knurrte.   Mit einem siegreichen Grinsen verließ Matthew Hiwatari das Hiwatari Anwesen und ließ Ray und Tala zusammen zurück. Für einen Moment schwiegen sie beide, keiner bewegte sich, doch dann richtete Tala sich auf und verschwand durch eine andere Tür, wobei er Ray in angespannter Stille zurückließ, die nur von dem einer unbezahlbaren Vase, die gegen eine Wand krachte, unterbrochen wurde. Kapitel 4: Neugierige Augen --------------------------- „Kai! Das ist Tanya!“, sagte Tyson, während er auf Kai zumarschierte und auf ein Mädchen mit einer Menge Brust und wenig Gehirn zeigte.   „Und das war die Tür, durch die sie gerade so raffiniert hereingekommen ist“, antwortete Kai, „und jetzt kann sie genauso raffiniert wieder dadurch 'rausgehen.“   „Kai!“, schimpfte Tyson, „gib' ihr zumindest eine Chance!“   „Nein“, sagte Kai kurz und bündig, „ich habe bessere Dinge zu tun, als meine Zeit mit irgendeinem Mädchen zu verschwenden.“ Er ging in einer Art von Tyson weg, die klar machte, dass immer noch er, Kai Hiwatari, der Captain der Bladebreakers war und seine wertvolle Zeit dementsprechend nicht zu verschwenden war.   Kai blieb neben Ray stehen, der anscheinend an Ort und Stelle festgefroren war. „Bist du okay?“   „Dein Vater“, sagte Ray leise, „er ist kein netter Mann, oder?“   Kai zuckte mit den Schultern. „Er ist nur mein Erzeuger“, erwiderte er leise, „mach' dir keine Gedanken d'rum. Ich hege keinerlei Gefühle für meinen Vater, also kann er mir auch nicht weh tun.“   „Er muss dich in der Vergangenheit verletzt haben“, sagte Ray.   „Das ist vorbei“, sagte Kai, „ich würde da nicht so empfindlich sein.“   Ray schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Eines Tages werde ich es bereuen, so einfühlsam zu sein.“   „Um nichts in der Welt würde ich das ändern, Ray“, flüsterte Kai hauptsächlich zu sich selbst, als er sich davon machte. Er schätzte Rays Freundschaft gerade weil Ray so feinfühlig war; Ray bemerkte Dinge, die Kai nicht sah und manchmal war es Rays Sicht der Dinge, die Kai davon abhielt, etwas dummes anzustellen. Er würde es nicht zulassen, dass irgendwer Ray verletzte; niemand würde diese warmherzige Empfindsamkeit von ihm wegnehmen. Es war eine ganze Kindheit umgeben von Menschen, die ihn liebten, gewesen, die diese Gutherzigkeit in Ray geschaffen hatte und Kai würde das niemals auch nur irgendjemanden  zerstören lassen aus dem einfach Grund, dass es ein Geschenk war, das Kai selbst niemals haben könnte.   „Hey!“ Tyson jedoch war ungefähr so empfindsam wie das Hinterteil eines Schweins. Ein alter Vergleich, aber einer, der seinen Zweck zufriedenstellend erfüllte. „Wo gehst du hin? Wenn du Tanya nicht magst, ich hab' noch mehr!“   „Ich werde gehen und Tala finden“, sagte Kai und ignorierte Tysons Stimme, während er ging.   Tyson schaute zu Ray. „Magst du Tanya?“   Plötzlich fand Ray sich mit einem Mädchen wieder, das kein Englisch sprach, was ein Problem war, da er kein Russisch konnte.                                                                                                             „Da bist du.“   Tala blickte von seiner Bank auf, als Kai ungefähr die Hälfte des Körpers des Wolfs davon runterschob, um selbst dort sitzen zu können.   „Du vermeidest mich“, sagte Kai behutsam.   „Ich hatte dein Eindruck, du wärst hinter meinem Kopf her.“ Talas Gesicht gab rein gar nichts preis und damit war er die einzige Person auf der Welt, die Kai nicht lesen konnte.   „Warum versuchst du ständig, mit Ray zu streiten?“, fragte Kai. „Es muss dafür einen Grund geben.“   „Du meinst, einen weiteren Grund, außer, dass er 'ne Mimose ist?“, fragte Tala.   Kai verdrehte die Augen, sagte aber nichts dazu. Tala dachte über Kais Frage nach. Die Antwort war eigentlich offensichtlich, Tala war nicht der Typ, der sich selbst belog, und in der Hinsicht war er anders als Kai. Der Phönix würde jahrelang versuchen, sich die Dinge, die er fühlte, nicht einzugestehen, während Tala einfach nicht den Nerv dazu hatte, Emotionen abzuweisen, die einfach scheiße offensichtlich waren.   „Es ist die kleine Sachen namens Eifersucht“, antwortete er mit leiser Stimme.   Kai blickte aus den Augenwinkeln zu Tala. „Heißt?“   „Ray verdammt Kon hatte sein ganzes Leben lang immer alles, was er wollte, die ganze scheiß Welt liebt ihn, inklusive dir, und er hat die Besten abbekommen. Ich will nur sichergehen, dass Ray weiß, dass nicht die ganze Welt glaubt, er sei so ein vom Himmel gesandter Drecksengel.“   Kai war still, während er zuhörte, und verarbeitete Talas Worte. „In dem Fall hast du deutlich gemacht, was du willst“, sagte er, „also lass Ray alleine, Tala!“ Er stand auf, um zu gehen.   „Es war nicht meine Absicht gewesen, Ray mit der Schere zu treffen!“, rief Tala ihm nach.   „Stell nur sicher, dass es nicht nochmal passiert“, antwortete Kai, „oder ich werde dich töten.“   Von seinem Beobachtungspunkt auf den Balkons des ersten Stocks aus, hatte Bryan dem ganzen zugeschaut. Es war seltsam; Tala und Kai waren sich so nahe, dass Bryan einen Großteil seines Lebens damit verbracht hatte, Kai dafür zu verabscheuen, dass der seinen Platz an Talas Seite eingenommen hatte. Ihn dafür zu hassen, weil der Phönix besser behandelt worden war als er selbst. Aber jetzt waren die Dinge anders. Kai war sein und Bryan hatte endlich einem Teil der Wut, die sich in ihm für so lange Zeit aufgebaut hatte, Luft machen können, also störte ihn die Tatsache, dass Tala und Kai sich nicht mehr so nahe zu stehen schienen wie früher. Es war seltsam und er mochte es nicht. Er drehte den Kopf, als er eine Bewegung am anderen Ende des Gartens wahrnahm; Ray Kon duckte sich hinter einem Busch und versuchte offenbar, sich vor dem russischen Mädchen, das Tyson von irgendwo angeschleppt hatte, zu verstecken. Bryan runzelte die Stirn, während er den Neko-Jin beobachtete, sicherlich konnte nicht irgendsoein Katzenjunge vom Land der Grund sein, dass etwas zwischen Tala und Kai stand. Wenn er es wäre, würde Bryan ihn töten.   ​                                                                                                          Ray duckte sich hinter einem Busch und blickte sich vorsichtig um; er hoffte, dass Tanya in seine Falle getappt war und nun Max nervte, welcher sehr viel mehr Geduld mit Mädchen hatte. Ray konnte mit ihnen normalerweise auch geduldig sein, aber jetzt gerade gab es jemand anderes, den er sehen wollte, und das konnte er nicht, wenn das Mädchen sich an ihm festklammerte. Ray war überzeugt, dass Tyson sie dafür bezahlt hatte, so anhänglich zu sein. Vorsichtig schritt er durch den Garten und nutzte seinen Hörsinn, um festzustellen, wo das Mädchen war, und als er sichergestellt hatte, dass sie so weit weg von ihm wie möglich war, entspannte Ray sich. Er ging um eine Hecke und entweder durch Glück oder Schicksal fand er den, den er gesucht hatte.   Als er zu der Bank ging, auf der Tala sich ausgebreitet hatte, fragte Ray sich, warum er das tat; nur durch einen Impuls?   „Kann ich mich setzen?“, fragte er.   „Das ist das, was Menschen tun, wenn sie zu einer Bank gehen“, sagte Tala ohne die Augen zu öffnen, allerdings rückte er tatsächlich ein wenig zur Seite, um Ray Platz zum Sitzen zu geben. Ray setzte sich schweigend hin und fragte sich erneut, warum er mit dem Feuer spielte.   „Bist du wegen der Aussicht hier oder gibt es irgendwas, womit du mich nerven willst?“, fragte Tala in einem Tonfall, der Ray eindeutig machte, dass er wirklich nicht willkommen war. Das erweckte die Neugierde des Neko-Jin; was hatte er Tala jemals angetan, dass der Wolf ihn so verabscheute? Er dachte, es wäre vermutlich eine schlauere Idee, einfach aufzustehen und zu gehen, aber er war schon so weit gekommen, also...   „Kais Vater hat gesagt, Boris hat dich zu einem blutrünstigen Soldaten gemacht“, sagte Ray beinahe zurückhaltend, „was meinte er damit?“   Tala öffnete die Augen, auch wenn er nicht zu Ray sah; was immer er erwartet hatte, was der Tiger sagen würde, das war es nicht. „Bist du sicher, dass du die Antwort wissen willst?“, fragte er tonlos.   „Das werde ich erst wissen, wenn du sie mir gesagt hast“, erwiderte Ray, während er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr strich, etwas, das er nur tat, wenn er unsicher war.   Tala zuckte mit den Schultern, es interessierte ihn nicht, was Ray von ihm dachte. „Boris hat mich als Waffe benutzt“, erklärte er, „ich wurde trainiert, um zu töten und alles zu gewinnen, was er wollte. Er hat mich in Experimenten genutzt. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, hat er mich geschlagen. Wenn ich etwas richtig gemacht habe, wurde die Schwierigkeit verdoppelt. Er hat mich gegen Männer, die doppelt so groß waren wie ich, angesetzt; meine Aufgabe war es, sie zu töten, bevor sie mich töten konnten. Wie du sehen kannst lebe ich noch immer, also muss Boris wohl den blutrünstigen Soldaten gekriegt haben, den er wollte."   „Das muss schrecklich gewesen sein“, murmelte Ray.   „Warum?“, fragte Tala, „ich kannte nichts anderes.“   „Aber du hast doch bestimmt gesehen manchmal, dass du ein anderes Leben hättest haben können, ein besseres?“   Tala zuckte erneut mit den Schultern. „Zu dem Zeitpunkt, an dem ich die echte Welt gesehen hatte, war es mir so oder so egal.“   Ray schwieg, während er dies verarbeitete. „Ich hab' nie realisiert, dass die Abtei so... brutal war.“   „Sie hatte ihre Momente“, erwiderte der Wolf, „aber egal, warum kümmert's dich? Du hasst mich, weißt du noch?“   „Vielleicht liege ich da auch falsch“, wisperte Ray fast zu sich selbst, „ich habe dich zu schnell verurteilt und da sind Dinge an dir, die ich nicht verstehe, mit welchem Recht also dürfte ich dich hassen?“   „Wie tiefsinnig von dir“, meinte Tala hämisch, „wie bist du da denn drauf gekommen?“   „Weil Kai dir vertraut“, sagte Ray, „irgendetwas Gutes muss es an dir geben, wenn Kai dir vertraut.“   ​                                                                                                          Kai ging in sein Schlafzimmer und fand Bryan auf seinem Bett sitzend vor. „Hier hast du dich also versteckt.“   Bryan blickte zu Kai auf und bemerkte den verstimmten Gesichtsausdruck. „Du bist doch nicht immer noch sauer, weil ich die Vase zerbrochen habe!“   „Es war meine Vase, ich habe jedes Recht der Welt, sie zu zerbrechen. Du allerdings nicht“, antwortete Kai, während er neben Bryan auf das Bett kletterte und seinen Kopf gegen dessen Schulter lehnte. Er war müde; er wollte, dass alle verschwanden. Tala, die Bladebreakers, sie alle zehrten an ihm und auch, wenn er wusste, dass es falsch war, er wollte, dass sie gingen. Dies hier war alles, was er wollte, ein bisschen Friede nur mit ihm und dem Falken.   War das wirklich zu viel verlangt?   ​                                                                                                          In einem dunklen Raum mitten in der Nacht setzte sich eine Figur an einen Schreibtisch und blickte in die sternenklare Nacht, während der Schnee im Licht des Mondes funkelte und glitzerte. Die Figur drehte sich zurück zum Tisch und schaute nun auf das leere Blatt Papier, das auf dem Holz lag. Einen Stift in die Hand nehmend, begann die Figur zu schreiben.   Lieber Kai Hiwatari,   ich schreibe dir zu einer Zeit, an welcher dein Leben fast beendet sein wird. Zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Brief dich erreicht, werden Dinge ins Rollen gebracht worden sein, unwiderruflich. Du kannst kämpfen und darum betteln, dass dein Leben verschont werden möge, aber letztlich wirst du sehen, dass nichts von dem, was du tust, dich retten kann.   Wenn du diesen Brief liest, wird ein alter Feind dich besucht haben und du wirst abgelenkt sein, deine Aufmerksamkeit wird von diesem Brief fortgezogen werden. Menschen sind hinter deinem Blut her, Kai Hiwatari, und sie werden nicht eher aufhören, als dass es sich in einer Lache am Boden befindet. Du lebst in gefährlichen Zeiten und irgendwann in der nicht weit entfernten Zukunft, wirst du deine Augen schließen und sie nie wieder öffnen.   Du wurdest gewarnt, Kai Hiwatari, und wenn du vernünftig wärst, würdest du deine Freunde fortstoßen. Sie könnten verletzt werden und du wirst in dem Wissen sterben, dass es deine Schuld war.   Versuche nicht, mich zu suchen, ich werde nirgends gefunden werden und niemand wird wünschen, nach mir zu suchen. Wenn du diesen Brief gelesen hast, wird meine Existenz verschwunden sein und die wirst keine Hoffnung haben, herauszufinden, von wo ich diesen Brief schrieb.   Denk daran, Kai Hiwatari; deine Tage in diesem Leben sind abgezählt.   Unterzeichnet   Voltaire Hiwatari   P. S.: Tony vermisst dich sehr. Kapitel 5: Alte Freunde ----------------------- Kai stöhnte leise, als Bryan seinen Hals küsste. Er zog Bryan näher, während er sich gegen die Wand drückte. Er antwortete brutal auf den Kuss, als Bryan seine Lippen auf Kais drückte. Sie waren in dem links von der Stellet, an der das Gemälde von Voltaire Hiwatari einst gehangen hatte. So weit Kai wusste, waren die anderen aus, Sehenswürdigkeien begutachten und Tala war auf der anderen Seite des Hauses.   Kai hatte sich auch früher schon geirrt.   Tyson kam in den Korridor gestürzt und Kai drückte Bryan so gewaltsam zurück, dass Bryan fast stolperte. Er blickte Kai finster an, der sich umdrehte, um Tyson böse anzuschauen.   „Oh, da bist du ja“, grinste Tyson.   „Tyson, wenn du hier bist, um mich einem weiteren Mädchen vorzustellen, dann schwöre ich dir, hetze ich die Hunde auf dich“, grollte Kai.   „Eigentlich hab' ich mich nur gefragt, ob du Ray gesehen hast“, sagte Tyson.   „Oh, du willst ihm also auch ein Mädchen besorgen, nehme ich an.“   „Nein, sei nicht albern, er ist doch schon quasi mit Mariah verheiratet.“   Kai dachte darüber nach; es war Allgemeinwissen, dass obwohl Ray und Mariah sich nahe standen, sie niemals im Leben Geliebte sein würden, aus dem einfach Grund, dass Mariah schon seit fünf Monaten mit Mystel ging. Kai bezweifelte ernsthaft, dass sogar ein Narr diesen einfachen Fakt übersehen konnte und stellte daher fest, dass Bryan Recht hatte und Tyson tatsächlich dumm war.   „Ist er nicht mit euch auf Erkundungstour gegangen?“, fragte Kai seufzend und wünschte sich einmal im Leben, dass er an Bryans Prinzipen glauben könnte: Schlage alles, was du nicht magst.   „So ähnlich, er ist nach der Hälfte abgehauen“, sagte Tyson, „hat irgendwas über irgendwas gesagt, was ich vergessen habe.“   „Hilfreich, Tyson“, kommentierte Kai als er Bryans Arm packte, um den Falken davon abzuhalten, nach einem Schwert zu greifen. Kai fragte sich auf einmal, warum er so viele Waffen an den Wänden hatte.   „Naja, ich dachte einfach, er wäre vielleicht schon zurück.“   „Ich hab' ihn nicht gesehen“, sagte Kai. „Warum gehst du nicht nach ihm suchen?“, schlug er hoffnungsvoll vor.   „Aber du meintest, ich könnte alleine nirgendwo hingehen“, merkte Tyson an.   „Dann nimm Hilary und Max als Belgeitung mit.“   „Aber was ist, wenn Ray gar nicht im Anwesen ist?“   „Dann durchsuch' die Außenbereiche.“   „Und wenn er da auch nicht ist?“   „Dann ist er offensichtlich endlich zur Vernunft gekommen und so weit wie möglich vor dir weggerannt“, murmelte Bryan.   Kai schlug ihn.   „Kai! Ich mach' mir Sorgen“, jammerte Tyson.   „Dann geh' und such nach ihm!“, schnappte Kai, langsam die Geduld verlierend.   „Er sollte eigentlich auch dein Freund sein, weißt du!“ Tyson schaute Kai böse an.   Kai stoppte und realisierte, dass Tyson damit tatsächlich Recht hatte; Ray leise verfluchend, dass er eine Nervensäge sei, sagte er: „Ich schick' 'nen Suchtrupp los.“   Sie durchsuchten alles; das Anwesen, die Gärten und die nahen Parkanlagen. Sie teilten sich auf und gingen in die Stadt, um dort nach Ray zu suchen. Kai rief die Polizei, die Feuerwehr und überprüfte sogar die Krankenhäuser, ob jemand, der auf Rays Beschreibung passte, eingeliefert worden sei. Nichts. Sie fragten in Geschäften, Cafés, Bars und Friseursalons nach. Sie fragten die vorbeigehenden Passanten, aber noch immer kein Zeichen des vermissten Neko-Jin. Tatsächlich war Kai gerade dabei, eine Suche per Helikopter anzufordern, um aus der Luft nach ihm zu suchen, als ihm ein Gedanke kam.   „Hat jemand Tala gesehen?“                                                                                                                           Tala stand vor der verlassenen Abtei und blickte zu ihr hoch, egal, wie sehr er diesen Ort hasste, er würde immer ein Teil von ihm sein. Einen Teil von ihm besitzen. Ein Part von ihm konnte es kaum erwarten, die in Schutt und Asche zu sehen, aber der andere Teil wollte die Erinnerungen festhalten, dass die Abtei ein Teil seines Lebens war und irgendwie, auf eine Weise, die schwer zu erklären war, wusste er, dass ein Teil von ihm sterben würde, wenn sie es auch tat.   „Ich habe mir gedacht, dass du hier bist.“   „Was willst du?“, knurrte Tala, als Ray an seiner Seite auftauchte.   „Niemand sollte alleine sein, wenn er seiner Vergangenheit gegenübertritt.“   „Und was ist, wenn er alleine sein will?“   „Dann sollte er zumindest wissen, dass da jemand ist, sollte er wen brauchen."   „Und du bist wohl dieser Jemand, nehme ich an!“, spottete Tala.   Ray antwortete nicht direkt. „Ich fange an, zu verstehen, warum du mich so sehr hasst.“ Mehr sagte er nicht. Sie blieben für Stunden bei der Abtei; Ray blickte hoch zu dem hohen, alten Gebäude, es war ein wunderschöner Bau, aber die dunklen Geheimnisse, die es behütete, befleckten es. Tala sah Ray zu, als der Neko-Jin um das Gebäude wanderte, er versuchte, Rays Gesichtsausdruck zu lesen, doch Ray schien zu wissen, dass er beobachtet wurde und er blickte zu Tala, der jedoch fortsah.                                                                                                                           Kai schaute auf, als Bryan den Aufenthaltsraum mit einer Waffe in der Hand betrat.   „Warum trägst du eine Waffe?“, fragte Kai, misstrauisch ob der Antwort.   „Ich werde jeden in diesem Haus umbringen, außer dir und mir“, erwiderte Bryan und ludt die Waffe tatsächlich.   „Und was machst du, wenn die Polizei hier auftaucht und sich wundert, warum alle in dem Anwesen außer dir und mir tot sind?“, fragte Kai.   „Sie ebenfalls töten.“   „Du weißt schon, dass das in der Tat illegal ist“, merkte Kai an.   „Du bist der, der sie loswerden will“, argumentierte Bryan.   „Ich will, dass sie gehen, nicht sterben“, antwortete Kai.   „Alles das gleiche“, meinte Bryan.   „Nein, ist es nicht.“ Kai stand auf und nahm Bryan die Waffe weg.   „Geldjunge! Gib' mir das zurück!“   Kai feixte. „Oder du machst was?“   „Oder ich zerr' dich hier raus und fick dich vor all den anderen!“, drohte Bryan.   „Das würdest du nicht wagen!“ Kai dachte darüber nach und realisierte dass doch, in der Tat, Bryan würde es wagen.   „Wenn du das machst siehst du mich nie wieder“, sagte Kai mit einem kleinen Grinsen, als er die Waffe außerhalb von Bryans Reichweite hielt, als der danach griff. Bryan zischte und versuchte es erneut, aber Kai sprang sauber aus dem Weg und versteckte die Waffe hinter sich. Er blickte hoch in Bryans Gesicht als der Falke es auf eine andere Art versuchte und nur Zentimeter von ihm entfernt stand.   „Du glaubst, dass du mir so lange widerstehen kannst?“, fragte Bryan, als er Kais Kopf in den Nacken legte um seine Lippen auf Kais zu legen, während er subtil versuchte, die Waffe zurückzuholen. Kai legte sie in seine andere Hand.   „Hab' noch nie im Leben 'was einfacheres gemacht“, murmelte Kai, als er Bryans heißen Atem auf seiner Haut spürte.   Ihre Lippen berührten sich und Kai presste sich zögernd gegen Bryan. Er schloss die Augen als Bryan ihn gegen die Wand drückte. Bryan erreichte die Waffe, doch Kais Griff um den schmalen Metallgriff lockerte sich nicht.   „Netter Versuch.“ Kai zog Bryan am Hemdkragen näher.   „Geldjunge ist also geil“, grinste Bryan boshaft.   „Wenn du nicht die Klappe hälst und endlich loslegst, platzt hier noch jemand rein“, zischte Kai während der Falke an seinem Hals knabberte und die oberen Knöpfe von Kais Hemd löste-   „Master Kai! Master Kai!“ Bryans Lieblingsdiener stürzte in den Raum, ohne zu Klopfen. Ein Fehler, den er sehr bald bereute, da Bryan die Waffe aus Kais losen Fingern riss und sie auf seinen Kopf richtete. Kai schlug die Waffe aus Bryans Hand und nahm sie erneut an sich.   „Ich bring' ihn um“, grollte Bryan.   „Nein, wirst du nicht“, sagte Kai bevor er seine Aufmerksamkeit auf den Diener richtete. „Was ist?“   Die Augen des Bediensteten wanderten von Bryans Hand, welche unter Kais Hemd war, zu Kais Knien, welche sich an Bryans Hüften klammerten und landeten letztlich auf Bryans Gürtel, welcher achtlos hinter ihnen auf den Boden geworfen wurde. Der Diener wurde scharlachrot und stotterte erbärmlich.   Kai beobachtete ihn mit etwas, das an Belustigung grenze, während Bryan in großer Genervtheit grollte und dabei versagte, die Waffe von Kai zurück zu ergattern.   „J- jemand ist hier, um Euch zu sehen, Master Kai“, stammelte der Diener.   „Wer ist es?“, fragte Kai, als er an Bryan zerrte und keine Anstalten machte, sich zu bewegen.   „Ah... er hat keinen Namen gesagt!“, quietschte der Diener, während er herumwirbelte, um aus dem Raum zu rennen, als er erblickte, wie Bryans Hand Kais Oberschenkel hochwanderte. „Das war alles, Sir!“ Er versuchte, aus dem Raum zu rennen.   „Warte, was auch immer du hier gesehen hast, du wirst es niemande sagen“, befahl Kai, „außer du willst deinen Job verlieren.“   „J- Ja, Sir! Ich werd's keiner Menschenseele erzählen!“   „Und schließ die Tür hinter dir.“   Die Tür wurde zugeknallt, als Bryan grinsend seine Lippen auf die von Kai presste. „Ich dachte, du stehst nicht so auf öffentliche Darbietungen.“   „Du hast nur Glück, dass diese Position bequem ist“, antwortete Kai, während er in Bryans Augen blickte.   „Solltest du dir nicht um den kleinen Katzenjungen Sorgen machen?“   „Wenn irgendwas mit Ray los wäre, würde ich es wissen.“ Kai war langsam vom Reden gelangweilt und er fuhr mit seinen Fingern über Bryans Wirbelsäule. „Machst du jetzt endlich was oder nicht?“   „Was ist mit deinem Besucher?“   „Jeder Besucher kann ein paar Minuten warten“, brummte Kai ungeduldig, „küss' mich, verdammt!“   „Vielleicht“, ärgerte Bryan, während er näher kam, „oder vielleicht geh' ich auch einfach.“   „Oh, so, wie du es letztes Mal getan hast?“, grinste Kai.   „Letztes Mal hast du die Türen, Fenster und Geheimgänge verschlossen“, erwiderte Bryan, „die einzige Art, auf die ich hätte gehen können, wäre die Tür einzureißen. Und da die aus stabiler Eiche mit Metalleinsätzen ist, habe ich mir keine sonderlich großen Chancen eingeräumt und daher war es die sinnvollere Option, dich flachzulegen.“   „Ich dachte, du würdest dich damit brüsten, stärker als jedes andere Lebewesen zu sein.“   „Ja, aber eine Tür lebt nicht“, merkte Bryan auf, „es ist 'ne Tür.“   „Aber sie war mal ein Baum“, sagte Kai.   „Musst du immer Recht haben?“, fragte Bryan mit einem düsteren Gesichtsausdruck.   „Ich kann doch auch nicht ändern, dass ich das immer hab'“, hauchte Kai gegen die Lippen des Falken, als sie sich leidenschaftlich küssten.                                                                                                                           Bryan und Kai traten aus dem Wohnzimmer- oder eher, Kai trat aus dem Wohnzimmer, während Bryan versuchte, ihm die Schusswaffe wieder wegzunehmen. Das erste, was Kai bemerkte, war Ray, der an der Einganstür stand und mit dem Fuß Muster auf dem Boden nachzog. Der Neko-Jin sah Kais Gesichtsausdruck und fand auf einmal, dass die Decke einen sehr interessanten Anblick bot, nun; sie war auf jeden Fall besser, als Kais bitterböser Blick. Er war für Stunden fortgewesen und wusste, dass sie alle nach ihm gesucht hatten, wie die Bladebreakers ihm mehrfach erzählt hatten.   Das nächste, das Kai sah, war Tala, der einige Meter entfernt von Ray stand und der Ausdruck im Gesicht des Wolfs verriet Kai, das etwas los was. Er blickte sich um und realisierte, dass alle sich im Foyer versammelt hatten und verschiedene Minen des Unbehagens hatten.   Boris stand in der großen Eingangstür und schaute sich die Meute an, die sich um ihn versammelt hatte. Seine Augen lagen auf Ray, der ihm am nächsten stand. Tyson versuchte, nach vorne zu gehen, aber Hilary und Max hielten ihn zurück. Daichi wollte ebenfalls weiter nach vorne zu Ray gehen, wurde aber von Kenny davon abgehalten, der sich aus Angst an Daichi klammerte.   Ray blickte ruhig hoch zu Boris, auch wenn er bemerkte, dass Boris sich an einen Ort gestellt hatte, der den Blick der anderen auf Ray blockierte, abgesehen von Tala, der sich desinteressiert gegen die Wand lehnte.   „Mr. Kon.“ Boris lächelte ein Lächeln, das Ray erschaudern ließ, auch wenn ein Lächeln selbst nicht bedrohliches war. „Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem Sie Bryan besiegt haben.“   Bryans Gesicht verfinsterte sich gefährlich, aber Kai wusste nicht, ob diese Wut sich auf Boris richtete oder ob Bryan Ray die Schuld am größten Versagen seines Lebens gab. Nicht riskieren wollend, dass Bryan sich auf Ray stürzte, ging Kai einen Schritt näher an Bryan heran und schüttelte mit dem Kopf, um Bryan zu verbieten, nach vorne zu treten. Boris musste den finsteren Blick des Falken gespürt haben, der sich in seinen Hinterkopf bohrte, denn sein Lächeln wurde breiter.   „Seitdem hatten Sie nicht mehr so viel Glück, oder, Mr. Kon?“, fuhr Boris fort, „Ich kann mir vorstellen, dass Sie die Niederlage gegen Crusher immer noch spüren, wir alle wissen, wie sehr Sie es hassen, Ihre Freunde zu enttäuschen. Vorallem nach Ihrer Niederlage gegen Kai bei den Meisterschaften, und ich habe auch gehört, dass sie Tyson herausgefordert, und auch da verloren haben. Ich frage mich ein wenig, warum Sie überhaupt ausgewählt wurden, um gegen BEGA zu kämpfen.“   „Gibt es irgendeinen besonderen Grund, warum du hier bist, Boris?“, knurrte Kai, während er gegen Boris ankämpfte, der ihn davon abhielt, Boris zu zerfetzen. Wie konnte Boris es wagen, so von einem seiner Freunde zu sprechen! Was Bryan anging, der würde Kai lediglich nicht Boris töten lassen, wenn Kai ihn nicht Boris töten ließ. Boris ignorierte sie beide.   „Ich bin überrascht, dass Ihre Freunde von den White Tigers Sie immer noch ihren Anführer nennen. Wenn ich Lee wäre, hätte ich Ihnen die Führung schon längst abgenommen.“   „Aber du bist nicht Teil der White Tigers, also ist es auch nicht deine Entscheidung“, sagte Tala, der sich kaum merklich rührte, als ob er sich in den Platz, in welchem Boris Ray gefangen hielt, einbinden wollte.   „Wahrhaftig“, gab Boris zu, der einen Schritt von Ray wegging, als Tala einen Schritt nach vorne gemacht hatte, und drehte sich zu Kai um, der vor Wut kochte. Boris hatte vielleicht Mumm, mit einem der Bladebreakers zu reden. Kai kam damit klar, wenn Boris so verächtlich mit Tala oder Bryan redete, aber so mit den Bladebreakers zu reden war verboten.   „Kai, wenn ich dich kurz sprechen könnte-“ Boris ging zügig in den Raum, der einst Voltaires Büro gewesen war, und nach einem kurzen Moment folgte Kai ihm, während er Bryan und Tala bedeutete, zu bleiben.   Sobald Kai die Bürotür geschlossen hatte, eilten Tyson, Max, Hilary, Kenny und Daichi zu Ray, bange zu sehen, ob er in Ordnung war. Ray sagte nichts, lächelte jedoch, um seinen Freunden zu zeigen, dass es ihm gut ging.   Aber Tala sah den getrübten Ausdruck in Rays goldenen Augen. Kapitel 6: Alte Lügen --------------------- „Kai! Bist du okay?” Tyson kam in die große Halle gestürmt, gefolgt von den anderen.   „Tyson.“   „Ja, Kai?“   „Was ist das?“   „Das ist Clara.“   „Bring' sie hier raus“, befahl Kai bündig.   „Kai! Sie ist deine große Liebe!“, protestierte Tyson.   „Nein, ist sie nicht. Bring' sie weg.“   „Aber Kai“   „Nein, Tyson.“   „Gib' ihr wenigstens einen Job!“, sagte Tyson aufrichtig, „sie hat kein Geld.   Kai murmelte ein paar Worte in russisch, nickte aber. „Man weiß ja nie, vielleicht habe ich irgendwann eine blühende Beziehungen mit jemandem aus meinem Personal.“   Neben ihm klirrte etwas und Kai drehte sich um, wobei er Bryans Lieblingsdiener erblickte, der eine Schüssel mit Suppe fallen ließ. Der Phönix grinste.   „Also, was wollte Boris?“, fragte, oder eher verlangte, Hilary.   „Es war nichts“, sagte Kai, „setzt ihr euch jetzt zum Abendessen hin oder hattet ihr vor, mich den Rest des abends zu belagern?“ Er guckte die fünf schmollenden Gesichter mürrisch an, die seinen Stuhl umgaben.   Mit einem Seufzen setzten sich Tyson, Max, Kenny, Daichi und Hilary alle auf ihre Plätze. Bryan kam in den Raum gewandert und setzte sich auf seinen Stuhl neben Kei, wobei er Daichi von dessen Stuhl trat. Er blickte fragend zu Kai, aber Kai schüttelte den Kopf. Bryans Lieblingsdiener nahm die Schüssel mit Suppe wieder weg, die er gerade für Kai hatte anrichten wollen, und servierte stattdessen den Nachtisch.   Sie begannen, zu essen. Kai aß seine Erdbeertorte bereits seit fünf Minuten, bevor er realisierte, dass alle anderen Karottensuppe aßen. Er konnte sich nicht konzentrieren; Boris' Besuch hatte ihn in einer Art beeinträchtigt, die ihn beinahe orientierungslos machte. Er fuhr mit einem Finger die Seite seines Gesichts lang und rief all die dunklen Erinnerungen herbei, die in seiner bitteren Vergangenheit ruhten. Er erinnerte sich an die Abtei, die Prügel, das Training und den Schmerz. Er erinnerte sich an Tala und an alles, was der Wolf hatte erleiden müssen. Er erinnerte sich an Bryan und daran, wie Bryan ihn immer verprügelt hatte, weil er der Enkel von Voltaire Hiwatari war.   Kais Stimmung hob sich, als seine Gedanken zu dem Falken wanderten und er daran dachte, wie er heute war. Kai wusste noch immer nicht, was er für Bryan fühlte, aber er wusste, er könnte es nicht einfach auf sich beruhen lassen. Heute war Bryan alles, was Kai brauchte, und er war froh, dass der Falke bei ihm war. Er dachte daran, wie seltsam es war, dass er Bryan früher verabscheut hatte. Den Neid, den er verspürt hatte, weil Bryan all das konnte, was Kai nicht konnte. Aber heute fühlte Kai sich sicher mit Bryan, er fürchtete weder die Vergangenheit, noch die Zukunft. Und auch, wenn er es niemals zugeben würde, nicht einmal sich selbst gegenüber, er wusste, dass wenn Bryan ging, würde er zerbrechen.   Er rüttelte sich; er war Kai Hiwatari, er brauchte niemanden. Hiwatari, der Familienname schwirrte durch Kais Kopf. Sein Großvater, sein Vater... war er wie sie?   „Kai? Bist du in Ordnung?“   Kai kehrte beim Klang von Tysons Stimme in die reale Welt zurück und bemerkte, dass alle außer Bryan ihn anstarrten.   „Mir geht’s gut“, sagte Kai, „ich hab' nur nachgedacht.“   „Ich hab' auch nachgedacht“, sagte Hilary.   „Oh, oh.“ Tysons Augen wurden groß.   Hilary ignorierte ihn. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir Kais Haus verlassen. Wir waren lange genug hier, und Kai will bestimmt sein Haus wiederhaben.“   „Aber ich habe Kai noch nicht seine wahre Liebe gefunden!“, protestierte Tyson.   Bryans Augen brannten sich in Tyson, aber Kai trat ihn unter dem Tisch mit einem warnenden Blick. Der Falke grollte, blieb aber, wo er war, und plante heimlich, Tysons den Kopf einzuschlagen, wenn Kai gerade nicht hinsah.   „Du willst doch nicht, dass wir gehen, oder, Kai?“, fragte Max, seine babyblauen Augen riesengroß.   „Wir sind lange genug hier gewesen, Max“, sagte Hilary, bevor Kai sich dazu melden konnte.   „Aber wir haben Kai schon ewig nicht mehr gesehen“, sagte Tyson.   „Wir waren für drei Wochen hier!“, sagte Hilary.   Kai ließ sie das selber regeln; er wusste nicht, was er wollte. Ein Teil wollte, dass sie blieben, er hatte sie so sehr vermisst, als sie nicht da gewesen waren, und auch, wenn sie ihn in den Wahnsinn trieben, ein Part von ihm mochte, dass sie hier waren. Ein anderer Teil wollte, dass sie verschwanden; er wollte sein Haus wieder für sich haben und er schwelgte in dem Gedanken an die Stille. Dann dachte er an Boris' Besuch und ein Gefühl wallte plötzlich stark in ihm auf. Es war so etwas wie Angst; was, wenn Boris plante, einen von seinem Team zu verletzen? Er dufte das nicht passieren lassen.   „Hilary hat Recht“, unterbrach er sie, „ihr seid lange genug hier gewesen, also geht nach Hause.“ Er stand auf und ignorierte die überraschten Gesichtsausdrücke die er für sein plötzliches Interesse an dem Thema erhielt. Er verließ die die große Halle ohne ein weiteres Wort. Die anderen blickten ihm mit verschiedenen Gesichtsausdrücken der Verwirrung nach, Kais plötzlicher Stimmungswechsel passte nicht zu Kai und es machte ihnen Sorgen.   Bryan stand auf, er sollte verdammt sein, wenn er in einem Raum voller Bladebreakers blieb und außerdem; Kai war ohne ihn davonspaziert, was bedeutete, dass Bryan ihn zurückholen musste. Er ging durch das Foyer und erblickte Kai, wie er in das Wohnzimmer auf der anderen Seite ging. Herüber schreitend, folgte er Kai und ignorierte den bösen Blick des Phönix und schloss die Tür hinter sich.                                                                                                                  Ray saß auf der Bank im Garten. Der Wind um ihn herum flüsterte leise, und auch, wenn er nicht stark war, war es bitterlich kalt, was den Neko-Jin aber nicht störte, da der sich in Gedanken in der Vergangenheit befand und nicht seiner Umgebung.   ...Ich kann mir vorstellen, dass Sie die Niederlage gegen Crusher immer noch spüren, wir alle wissen, wie sehr Sie es hassen, Ihre Freunde zu enttäuschen. Vorallem nach Ihrer Niederlage gegen Kai bei den Meisterschaften, und ich habe auch gehört, dass sie Tyson herausgefordert, und auch da verloren haben. Ich frage mich ein wenig, warum Sie überhaupt ausgewählt wurden, um gegen BEGA zu kämpfen...   Ray schüttelte wütend den Kopf, das sollte ihn nicht so treffen, und er sollte das nicht zulassen, aber die Worte schwirrten trotzdem durch seinen Kopf und weigerten sich, zu gehen. Sich enger auf der Bank zusammenrollend fragte Ray sich, ob Kai, Tyson und Max genauso dachten wie Boris. Glaubten sie, dass seine Fähigkeiten mangelhaft waren? Es würde ihm das Herz brechen, wenn sie es täten, er vertraute seinen Freunde so sehr, dass er nicht einmal wüsste, wie er reagieren sollte, wenn sie sich umdrehten und gegen ihn wandten.   Nein, Kai würde ihn niemals so belügen, Kai war immer ehrlich und aufrichtig mit ihm gewesen, und wenn Kai glaubte, dass er kein guter Blader war, dann hätte er Ray nicht einmal dem Team beitreten lassen. Sich besser fühlend, richtete Ray sich auf der wieder auf und blickte hoch in den Himmel. Die Wolken waren dunkel und bedrohlich, als es leise zu schneien anfing.   „Was könnte eine streunende Katze hier draußen bei diesem Wetter wohl zu suchen haben?“   Ray erschrak, als Tala plötzlich vor ihm geräuschlos aus dem Schnee auftauchte, um hochgewachsen vor Ray stehen zu bleiben.   „Ich mache gar nichts“, sagte Ray, „also, außer du hast irgendwas intelligentes zu sagen, kannst du bitte gehen.“   Tala verzog verspottend schmollend das Gesicht, bevor er sagte: „Warum schaust du drein wie ein feuchtes Wochenende in Kentucky?“   „Sehr witzig.“   „Dachte ich mir.“ Tala setzte sich neben Ray. Keiner von ihnen wusste, warum Tala hier war und Ray wollte nicht der erste sein, der aufzeigte, dass Tala ihn theoretisch hasste und Tala daher keinen Grund hatte, hier draußen neben ihm auf der Bank zu sitzen.   „Kann ich irgendwas für dich tun?“, fragte Ray.   „Sag' mir eins“, sagte Tala, „als wir bei der Abtei waren und du meintest, du würdest so langsam verstehen, warum ich dich so sehr hasse. Warum hast du das gesagt?“   Ray zuckte mit den Schultern. „Weil es die Wahrheit ist. Deine Zeit in der Abtei ist etwas, das ich nicht habe. Was dich angeht, hatte ich alles, was du nicht hattest, warum solltest du mich also nicht hassen?“ Ray machte ein trauriges Gesicht, er mochte den Gedanken, dass ihn jemand aufgrund seiner Kindheit hassen könnte, nicht. Er konnte einfach nicht verstehen, wie ihn jemand für etwas hassen konnte, was nicht seine Schuld war. Aber das war genau die Sache, bei der er und Tala sich unterschieden; mussten er und Tala so unterschiedlich sein? Tief im Inneren wollte Ray nicht, dass Tala sein Feind war, Kai und der Wolf waren enge Freunde, also musste es an Tala irgendetwas geben, das man... mögen konnte. Ray schielte herüber zu Tala, der mit verschränkten Armen dasaß und die Füße vor sich auf dem Botten hatte. Der Ausdruck des Wolfs war kalt und gefühllos; fühlte Tala etwa nichts?   „Als wir noch in der Abtei waren, hat Boris immer Wege gefunden, um uns zu brechen, uns glauben zu lassen, wir wären nichts wert. Das war eine seine Möglichkeiten, um uns zu kontrollieren. Er schlug uns, und um uns dann zum reden zu bringen schlug er unsere Freunde." Talas Stimme war frei von Emotionen und fest, sein Gesicht nichtssagend. „Boris' Spiel, unsere Köpfe durcheinander zu bringen und unsere Freunde zusammenzuschlagen hört niemals auf. Er wollte Kai zeigen, dass wenn die Bladebreakers jemals den Glauben an sich selbst und einander verlieren, dann wäre Kai nichts weiter als ein schwacher Anführer.“ Tala stand auf und versuchte, zu gehen.   „Danke.“   Tala drehte sich für einen Moment zurück und sah das kleine Lächeln, das Ray ihm schenkte, und wie er zurückhaltend eine Haarsträhne hinter's Ohr strich. Tala sagte nichts und drehte sich lediglich wieder um, in seiner kalten, stolzen Art wegschreitend. Ray sah zu, wie er im Schnee verschwand, und bemerkte plötzlich, dass er lächelte, weil irgendwie, auf irgendeine unverständliche Art, hatte Tala Ray etwas erzählt, bei dem der Neko-Jin Wochen gebraucht hätte, um es zu verstehen, wenn Kai es versucht hätte. Tala hatte Ray gesagt, dass er ein starker Beyblader war, und er hatte es so leicht daher gesagt, dass Ray einen Moment gebraucht hatte, um zwischen den Zeilen zu lesen.   „Ist schon witzig, wie lügen ein Teil deines Lebens wird“, flüsterte er zu Talas verschwindendem Rücken, „du hast dich immer davon überzeugt, dass ich etwas bin, das man hassen muss... vielleicht hasst du mich gar nicht so sehr, wie du glaubst.“ Ein Funken Hoffnung flackerte in Ray auf und das Lächeln, das auf seinen Lippen tanzte, wurde größer.                                                                                                                  „Raus hier“, sagte Kai, als Bryan die Tür schloss.   „Passiert nicht, Geldjunge.“ Bryan stellte sich vor die Tür.   „Ich sagte raus hier!“, keifte Kai, „und hör auf, mich 'Geldjunge' zu nennen!“   „Was auch immer du sagst, Geldjunge.“   Kai wirbelte wütend herum. „Hör mit deinen schlauen Kommentaren auf und lass' mich allein!“ Kai drehte sich zum Fenster und lehnte sich dagegen, die Stirn gegen das kühle, gefrorene Glas drückend.   „Du willst immer alleine sein, nicht wahr, Geldjunge?“ Bryan stellte sich hinter ihn. „Aber ich fange an, mich zu fragen, ob das nicht nur so'n Satz ist, den sagst, damit die Leute denken, du wärst stark.“   Kai konnte Bryans heißen Atem in seinem Nacken spüren, als der Falke näher kam. „Geh weg“, wiederholte er, auch wenn seine Stimme weniger überzeugend war, „lass' mich in Ruhe.“   „Seit wann tue ich, was du mir sagst?“, fragte Bryan, als er Kai umdrehte, um ihm ins Gesicht zu sehen. Kai schaute ihn böse an, aber Bryan grinste nur hämisch.   „Also, was wollte Boris?“, fragte Bryan.   „Geht dich nichts an.“ Kai drehte sich zurück zum Fenster.   Bryan kam Kai näher und seine Hände schlangen sich um Kais Hüfte, während er die Seite von Kais Hals küsste. Kai schloss die Augen und drehte sich in Bryans Armen um. Er suchte nach Bryans Lippen und murmelte etwas, als Bryan ihn gegen das Fenster drückte.                                                                                                                  „Ray! Da bist du ja!“ Tyson rannte auf den Neko-Jin zu, der gedankenverloren durch das Anwesen spaziert war.   „Oh, Tyson.“ Ray lächelte.   „Wo bist du hingegangen? Wir haben uns Sehenswürdigkeiten angeschaut und dann warst du einfach nicht mehr da“, sagte Max, der sich Tyson anschloss.   „Oh, tut mir Leid“, antwortete Ray, „ich bin nur losgegangen, um mir ein paar der weniger bekannten Sachen anzuschauen.“   „Du hast uns Sorgen gemacht“, schimpfte Hilary mit ihm. Ray blickte schuldbewusst zu Boden und Hilary zog ihn in eine energische Umarmung. „Verdammter Neko-Jin.“ Sie zog Ray eine über, als der grinste, und sah ihn dann bange an. „Du hörst doch nicht auf das, was Boris gesagt hat, oder?“   ...Ich bin überrascht, dass Ihre Freunde von den White Tigers Sie immer noch ihren Anführer nennen. Wenn ich Lee wäre, hätte ich Ihnen die Führung schon längst abgenommen...   „Natürlich nicht.“ Ray lächelte wieder. „Als ob ich auf so einen Scheißkerl hören würde.“   „Na, das ist gut.“ Tyson klopfte Ray auf den Rücken. „Hilary denkt, dass es Zeit wäre, Kai wieder alleine zu lassen, was denkst du?“   „Gehen?“, wiederholte Ray, „oh... äh, ist Kai sauer auf uns?“   „Nein, ich finde nur, dass wir gesehen sollten, bevor Kai sauer auf uns wird“, sagte Hilary und zerrte Daichi aus einem Schneehaufen, in den er gerade kopfüber reingesprungen war. „Ja“, sagte Ray, als ihn Enttäuschung durchflutete, „da hast du vermutlich Recht.“ Er drehte sich um, um auf das große Anwesen zu blicken.   „Nun, ich denke, dass du Unrecht hast“, sagte Tyson, „was auch immer, ich kann nicht gehen, ich hab's noch nicht Kais einzig wahre Liebe gefunden.“   „Tyson, jetzt hör' schon auf damit“, seufzte Kenny, „du wirst Kai kein Mädchen finden, also gib' einfach auf.“   „Nein! Das werde ich nicht.“ Tyson verschränkte stur die Arme. „Da draußen muss es irgendwo ein Mädchen für Kai geben.“   Max verdrehte die Augen. „Ich sag's dir schon die ganze Zeit, Kai ist schwul.“   „Ist er nicht.“   „Ist er!“   „Ist er nicht!“ Tyson wandte sich an Ray. „Ich hab' Recht, oder, Ray? Kai ist hetero.“   „Nein, ich denke, Kai ist schwul“, antwortete Ray seelenruhig.   „Zum letzten Mal, Kai ist nicht schwul! Da ist er nicht der Typ für“, bestand Tyson.   „Nein, ich glaube wirklich, er ist schwul“, sagte Ray mit der gleichen Seelenruhe.   „Aber warum?“, fragte Tyson frustriert.   Der Grund, weswegen Ray dachte, dass Kai schwul war, war recht simpel. Und dieser simple Grund, weswegen Ray glaubte, dass Kai schwul war, war der, dass Ray duch das große Fenster im Wohnzimmer ziemlich klar sehen konnte, wie Bryan und Kai sich in einem sehr intensiven Kampf um Zungendominanz befanden. Ray betrachtete das Bild, das nur er sehen konnte, da die anderen mit dem Rücken zu dem Fenster standen, ruhig.   „Nenn's es Intuition“, sagte er. Kapitel 7: Verborgene Wut ------------------------- „Also, was wollte Boris?“, fragte Bryan, als Kai von dem Sofa aufstand, auf dem sie sich ausgebreitet hatten. Sie hatten die Nacht dort verbracht, Kai auf der Suche nach Bryans Körperwärme, da er sich schwach und einsam fühlte.   „Das verrat' ich dir nicht“, antwortete Kai, als er seine Kleidung anzog.   „Und warum nicht?“   „Weil es dich nichts angeht.“   „Doch, tut es“, widersprach Bryan, während er sich ebenfalls wieder ankleidete.   „Nein, tut es nicht.“   „Doch, tut es.“   „Ich spiele dieses Spiel nicht mit dir!“, schnappte Kai, „Ich werd's dir nicht sagen und basta!“   „Sag's mir einfach, Geldjunge.“   „Nein!“   „Warum-“   Sie wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen und Kai, erfreut über die Störung, öffnete die Tür. Es war Ray. Kai schaute ihn finster an, was Ray schnell bemerkte.   „Was hab' ich getan?“, fragte der Neko-Jin.   „Du meinst, abgesehen davon, mitten in Moskau auf einmal zu verschwinden, während die anderen die Stadt erkunden?“, keifte Kai.   „Oh“, sagte Ray, „ja, tut mir Leid. Ich bin nur woanders hingegangen.“   Kai sah ihn an. „Warum glaub' ich dir nicht?“, sagte er herausfordernd.   „Weiß nicht“, antwrotete Ray, „normalerweise belüge ich dich nicht.“   „Ach, das macht dich aber zu einem Engel!“, brummte Kai.   Ray warf ihm einen eher überraschten als wütenden Blick zu, aber Kai interessierte es nicht. Er war schlecht gelaunt und dass Ray einfach mitten in Moskau verschwunden war, hatte nicht gerade geholfen.   „Nun, tut mir Leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe“, sagte Ray leise, Kais letzten Kommentar ignorierend.   „Bild dir bloß nichts ein!“, knurrte Kai.   „Was ist los mit dir?“, fragte Ray und warf einen schnellen Blick zu Bryan, der ungerührt gegen die Wand lehnte.   „Nichts!“ Kai seufzte. „Tut mir Leid“, sagte er knapp.   „Das seh' ich.“ Die Worte verließen Rays Mund, bevor er eine Möglichkeit hatte, sie aufzuhalten, und was es noch schlimmer machte, war der leicht sarkastische Tonfall seiner Stimme. Sobald er sie gesagt hatte, wollte Ray sie packen und sich wieder in den Hals schieben. Er und Kai hatten sich noch nie gestritten, und doch waren sie, nur Zentimeter von einem Zoff entfernt.   Kai schaute böse. „Was willst du überhaupt?“ Seine Stimme war tief und bedrohlich.   „Wir haben entschieden, dich allein zu lassen“, sagte Ray, „Hilary macht sich Sorgen, dass wir anfangen, dich zu nerven.“   „Nun, gut, dass wenigstens einer von euch ein Hirn hat!“, sagte Kai.   Rays Augen verengten sich kaum merklich. „Und was willst du damit sagen?“   Kai rastete aus. „Ihr kommt hier in mein Haus spaziert und ladet euch selbst ein, zu bleiben, einfach ohne mich zu fragen! Ihr fangt an, mit meinen Freunden zu streiten und schiebt ihnen die Schuld zu! Ihr erwartet, dass ich all euren Bedürfnissen gerecht werde und versucht dann, mein Leben zu bestimmen, indem ihr Mädchen aus allen Ecken der Erde anschleppt! Seit Jahren schon verlasst ihr euch darauf, dass ich alles für euch regle oder euch sage, was ihr tun sollt!“, floss es aus ihm heraus. Kai wusste nicht, wo es herkam, aber die Wut, die Verzweiflung, die sich in ihm aufgebaut hatte, platzten einfach heraus. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er diese Dinge gefühlt hatte, bis er sie nun ausgesprochen hatte. Er fühlte sich plötzlich so wütend und er wusste nicht, warum. Boris' Besuch hatte ihn aus der Bahn geworfen und jetzt musste er sich um die Bladebreakers sorgen, weil sie in Gefahr waren, verletzt zu werden. Es war nicht fair, warum konnte dieser Druck nicht auf jemand anderem liegen? Warum konnte die Welt Kai nicht einfach alleine lassen?   Ray schwieg als Kai ans Ende seiner Tirade kam; sein Ausdruck war kühl, als er zu Kai schaute. „Tut mir Leid, wenn du wirklich so von uns denkst“, sagte er ruhig, „wenn du wolltest, dass wir verschwinden, hättest du das früher sagen müssen.   Kai wandte sich von Ray ab, als ob er ihn nicht anschauen wollte. „Verpiss dich einfach, Ray!“   „Das musst du mir nicht zwei Mal sagen“, murmelte Ray und erlaubte es, seine Wut und seine Verletztheit durchscheinen zu lassen. Er ging aus dem Raum und knallte die Tür so fest hinter sich zu, dass ein Bild sich von der Wand löste und auf den Boden krachte. Der Geräusch des zersplitternden Glases brachte Kai wieder zur Vernunft und er wirbelte herum, um die Tür zu öffnen, doch Ray war schon weg. Erneut seufzend lehnte Kai sich gegen die Tür, sich innerlich einen Tritt verpassend.   Bryans Kopf erschien in der Tür. „Geschmeidig“, merkte er an.   „Oh, halt's Maul!“, knurrte Kai, „gerade von dir brauch' ich keine Kommentare!“   „Ich habe lediglich angemerkt, dass wenn du die Bladebreakers loswerden wolltest, dass der richtige Weg war“, fuhr Bryan fort.   „Ich hab' gesagt halt's Maul!“   „Ich geh' dir gern auf den Sack, weißt du noch?“   „Erinner' mich nicht dran!“, brummte Kai.   Sie beide blickten auf und sahen Tala in das Foyer wandern.   „Oh, sieh mal einer an, wer da zurückkommt“, sagte Kap spitz.   „Wenn du glaubst, dass noch ein kleiner Ausraster mich ankotzt wie Ray, dann verschwendest du deinen Atem“, antwortete Tala, während er auf Kai und Bryan zuging. Er zog sie beide zurück in den Aufenthaltsraum und schloss dir Tür hinter ihnen. „Wir müssen reden.“   Kai blickte ihn emotionslos an. „Wusste gar nicht, dass du weißt, was das bedeutet“, sagte er.   „Lustig, Hiwatari“, schnaubte Tala, „sprich.“ Er blickte Kai durchdringend mit seinen eisigen Augen an.   „Über was? Das Wetter?“   „Nein, ich will wissen, was Boris gestern zu dir gesagt hat“, sagte Tala.   „Schaut, ich werde es keinem von euch sagen, also verschwindet!“, knurrte Kai als Bryan und Tala ihn in eine Ecke drängten. Kai war gut darin, aus jeder Situation zu entkommen, aber wenn es um Bryan und Tala ging, konnte er nie fliehen. Er knurrte sie beide an, doch sie schauten lediglich erwartend zurück. Er seufzte; er fühlte sich wieder so müde und ausgelaugt...   „Wie kannst du es wagen, so mit Ray zu sprechen?“, zischte Kai, als er die Tür zu Voltaires Büro schloss. „Wenn du das noch einmal machst, Boris, dann schwöre ich, ich werd' dich umbringen!“   „Das ist irrelevant, ich habe kein Bedürfnis danach, mit Ray Kons Kopf zu spielen, wenn ich mit dir noch ein Hühnchen zu rupfen habe“, antwortete Boris..   Kai runzelte abgelenkt die Stirn. „Welches Hühnchen?“   „Du warst es, der deiner Mutter von den Geschehnissen in Biovolt berichtet hat, oder?“, fragte Boris, seine Stimme dunkel und bedrohlich.   Kai hielt einen Moment inne, überrascht von der Frage. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“   „Versuch' es gar nicht erst, Kai!“ Boris lächelte ihn kalt an. „Ich weiß, dass du es deiner Mutter erzählt hast, lüg' nicht!“   Kai sagte nichts, während er Boris mit seinen Bicken aufspießte; wie hatte Boris herausgefunden, dass Kai der Grund dafür war, dass er Biovolt verloren hatte? Hatte es ihm jemand gesagt? Aber niemand wusste es... nun, niemand außer Bryan. Oder hatte seine Mutter es Boris im Rahmen eines ihrer Spielchen gesagt?   „Ich warte, Kai“, sagte Boris.   „Na schön“, antwortete Kai, „du hast Recht, ich habe meiner Mutter gesagt, was du in der Abtei machst. Du hast alles verdient, was du gekriegt hast, Boris! Was du diesen Menschen, diesen Kindern, angetan hast war barbarisch!“ Er bedachte Boris mit einem tödlichen Blick. „Ich hab's meiner Mutter erzählt und sie ist direkt zu Mr. Dickinson gegangen. Hat sie dir das alles erzählt?“   „Nein, hat sie nicht“, sagte Boris, „aber du gibst es zu? Du sagst, dass du es warst, der die Behörden eingeschaltet hat?“   „Ja! Und ich bereue nichts!“, zischte Kai, „ich habe es genossen, deinem Fall zuzusehen, Boris!“   Boris presste Kai vor Zorn gegen die Wand. „Du magst jetzt gerade stolz auf dich sein, Kai Hiwatari, aber in nicht allzu ferner Zukunft wirst du es bereuen, Biovolt gestürzt zu haben! Ich werde meine Rache an dir kriegen, also pass' auf!“...   Kai schaute zu Tala und Bryan. „Und das ist passiert“, sagte er, „jetzt zufrieden?“   Sowohl Tala als auch Bryan schwiegen, als sie Kai anstarrten, und beide dachten über das nach, was Kai ihnen erzählt hatte.   „Erstens, wir müssen die Bladebreakers loswerden“, sagte Tala zügig.   „Ich kann Ray nicht mit solchen Abschiedsworten gehen lassen“, sagte Kai.   „Was wäre dir lieber?“, fragte Tala, „ein toter Ray oder ein leicht eingeschnappter Ray?“   Kai hielt inne. „Ich werde ihn nicht gehen lassen, solange er glaubt, dass ich ihn hasse“, bestand er.   „Du bist einfältig“, sagte Bryan, „wir müssen uns jetzt um Boris kümmern, und wenn du zu Ray gehst, wird er das gegen dich verwenden.“   „Er hat Recht“, stimmte Tala zu, „ich werde mit Ray für dich reden.“   Bryan und Kai starrten ihn an.   „Was?“ Tala legte genervt die Hände auf die Hüfte. „Hört auf, mich so anzustarren!“   „Du hasst Ray“, sagte Kai stumpf.   „Als ich 'reden' gesagt habe, meine ich Bryans Art zu reden. In anderen Worten, ich werd ihm auf den Kopf schlagen“, antwortete Tala geschmeidig und in einem Tonfall, der Kai sagte, dass der nicht widersprechen sollte; der Phönix konnte nur hoffen, dass Rays Reflexe schneller waren als Talas Faust.   „Wir müssen 'rausfinden, was Boris plant“, fuhr Tala nachdenklich fort.   „Er wird es höchstwahrscheinlich direkt auf mich abgesehen haben“, sagte Kai.   „Was bedeutet, wir können dich nicht alleine lassen“, sagte Tala.   „Ich bin nicht hilflos!“, schnappte Kai.   „Und ich werde nicht noch ein Teammitglied verlieren“, erwiderte Tala.   Das brachte Kai zum Schweigen. Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, welchen Effekts Spencers Tod auf Tala gehabt hatte, aber jetzt realisierte er, dass es Tala schwer getroffen haben muss. Vielleicht war es das, was Ray gemeint hatte, als er Kai erzählt hatte, dass etwas mit Tala nicht stimmte, als der Wolf die Schere nach ihm geworfen hatte. Er hatte nie mit Tala über Spencers Tod gesprochen, auch wenn er es oft vorgehabt hatte. Tala hatte eine bestimmte Technik, um bestimmte Themen zu vermeiden, und Kai war zu beschäftigt gewesen, Ordnung in seinem eigenen Kopf zu schaffen, um zu bemerken, unter was Tala litt.   Es klopfte an der Tür und bevor Kai sagen konnte, was er wollte, betrat ein Bediensteter den Raum.   „Was ist?“, fragte Kai.   „Hier ist ein Brief für Euch, Master Kai.“   „Von wem?“   „Es steht nicht drauf, Master Kai, er wurde persönlich abgegeben.“   Kai seufzte, folgte dem Diener jedoch bis zur Eingangstür, wor auf einem kleinen Tisch an der Seite der fragliche Brief auf einem silbernen Tablett lag.   Kai öffnete den Umschlag und holte das Blatt Papier raus, bevor er den Brief las. Er steckte ihn zurück in den Umschlag, doch die Worte hatten sich in sein Gehirn gebrannt. Die saubere, gebildete Schrift und die dunkle, schwarze Tinte schrieen Kai durch den Umschlag hindurch an. Auch, wenn die Worte verborgen waren, konnte Kai sich an sie erinnern.   Denk dran, Kai Hiwatari; deine Tage in diesem Leben sind abgezählt.   Unterzeichnet   Voltaire Hiwatari   Kai lehnte sich gegen die Wand, als sich die Welt um ihn herum verdunkelte.   Voltaire Hiwatari.   Aber Voltaire Hiwatari war tot. Kapitel 8: Hilflose Angst ------------------------- Kai starrte den Brief an; er konnte ihn nicht verarbeiten, seine Augen lasen die Worte, doch sein Verstand konnte sie nicht akzeptieren. Es konnte nicht wahr sein; es gab einfach keine Möglichkeit auf dieser Erde, dass es wahr war. Es war nicht richtig, irgendwas musste mit seinen Augen los sein, denn niemals konnte das, was seine Augen ihm sagten, die Wahrheit sein. Er wurde sich bewusst, dass jemand in seine Richtung ging, doch er konnte nicht aufschauen, er konnte seine Augen nicht von dem Blatt losreißen.   Voltaire Hiwatari. Aber der Mann war tot, Kai hatte ihn sterben sehen. Das Monster hatte seinen Schnabel tief in das Herz seines Großvaters gesenkt. Voltaire konnte nicht am Leben sein... er konnte einfach nicht.   „Was siehst du denn so aus, als hätte dir gerade ein Fußballer ins Gesicht getreten?“   Kai grollte innerlich über Talas Kommentar; Kai konnte Bryans Sticheleien und Spitznamen händeln, aber Tala musste immer besser sein als der Falke und es fing an, Kai zu nerven. Er konnte Talas gefühllose Anmerkungen gerade überhaupt nicht brauchen, wo war der alta Tala, auf den Kai sich verlassen konnte? Dieser neue Tala nervte Kai.   „Das geht dich 'nen Scheißdreck an!“, schnappte Kai.   Tala war überrascht; er wusste, dass Kai schlechte Laune hatte, aber Kai hatte ihn noch nie angefahren, oder auch Ray nicht. Was war los mit dem Phönix? Tala hatte das Gefühl, dass er Kai gar nicht mehr kannte. Einst hätte Kai mit Tala über Spencers Tod geredet, aber alles, was dieser neue Kai wollte, war anscheinend nur, ihn anzugiften.   „Schön.“ Tala drehte sich zur Eingangstür. „Nächstes Mal frag' ich gar nicht erst!“   Der Wolf schmiss die Tür hinter sich zu und ließ Kai stehen, der sich selbst verfluchte, während er den Brief anstarrte, den er lose in den Fingern hielt. Er blickte wieder runter auf den Brief, unfähig, auf irgendeine andere Art zu reagieren, und las ihn wieder und wieder, als ob er die Worte in seinem Gehirn einpflanzen wollte, auf eine verzweifelte Art, als ob es sie glaubwürdiger machen würde.   Es gab jedoch eine Sache an diesem Brief, die ihn verwirrte, und egal, wie sehr er sein Hirn anstrengte, es konnte ihm keine Antwort geben. Er blickte erneut runter auf die letzte Zeile.   P. S.: Tony vermisst dich sehr.   Aber Kai kannte niemanden, der Tony hieß; vielleicht war damit jemand anderes gemeint, aber wer auch immer den Brief geschrieben hatte, musste sich im Namen geirrt haben. Fast schon nachdenklich ging er zurück in das Wohnzimmer, wo er Bryan auffand, der versuchte, ein großes und teures Schwert von der Wand zu entfernen. Glücklicherweise war Kai schlau genug gewesen, es an der Wand selbst zu befestigen, sodass Bryan unfähig war, es ohne große Mühen von dort runterzukriegen.   „Lass das in Ruhe!“, bellte Kai schärfer als beabsichtigt; es hatte jedoch den gewünschten Effekt, da Bryan bei Kais harschen Worten zusammenzuckte und von dem Stuhl fiel, auf dem er gefährlich balanciert hatte.   „Kein Grund, so zu schreien, Geldjunge!“, knurrte er.   „Tja, dann hör auf, Waffen von meinen Wänden klauen zu wollen“, entgegnete Kai schnippisch, „und nenn' mich nicht Geldjunge!“   „Klar doch, Geldjunge.“ Bryan feixte als Kai ihn hitzig mit seinen Blicken erdolchte. „Was hat dir denn die Unterwäsche verdreht?“   „Das!“ Kai knüllte den Brief zu einem Knäuel zusammen und warf ihn mit aller Kraft zu Bryan.   Bryan fing und entknüllte ihn, er las den Brief schnell und schaute dann wieder zu Kai auf, das Gesicht frei von Emotionen.   „Da versucht jemand, dir Angst einzujagen, das ist alles.“ Er zuckte mit den Schultern.   „Oh, wie kommst du denn dadrauf?“, sagte Kai wie ein Wilder.   „Naja, ich denke, es ist die Sache, die hier geschrieben wurde.“ Bryan schaute runter auf den Brief. „Deine Tage in diesem Leben sind abgezählt, das war für mich der größte Hinweis."   „Hör auf, mich zu verspotten!“, knurrte Kai, „und wer zur Hölle ist Tony! Ich kenne niemanden namens Tony!“   Bryan sagte nichts und er blickte vorsichtig hoch zu Kai; er wusste, wer Tony war, er wusste sehr wohl, wer Tony war. Tony war der Grund, weswegen Bryan einen Großteil seines Leben damit verbracht hatte, Kai Hiwatari zu hassen. Bryan hatte sich jahrelang danach gesehnt, Kai sagen zu können, wer Tony war, er hatte sich danach verzehrt, zu sehen, wie der große Kai Hiwatari unter Schuld zusammenbrach... aber dieses Bedürfnis in Bryan hatte sich aufgelöst, als Kai sein- Bryan stoppte diesen Gedanken. Okay, er fickte Kai, aber das bedeutete nicht, dass er ihn mochte.   Kai sah den Ausdruck auf Bryans Gesicht. „Du weißt, wer Tony ist, oder?“   „Wie kommst du auf die Idee?“, fragte Bryan geschmeidig, „hab' ich gesagt, dass ich weiß, wer Tony ist?“ Bryan machte es sich auf dem Sofa bequem und weigerte sich, Kai anzusehen.   „Musst du nicht.“ Kai stellte sich vor Bryan. „Es steht dir ins Gesicht geschrieben.“   „Na, klar kenn' ich Tony“, erwiderte Bryan kühl. Er mochte den Käfig nicht, in dem Kai ihn gerade einsperrte. „Er ist der Lieferjunge.“   „Ich meine diesen Tony!“, knurrte Kai und entriss Bryan den zerknüllten Brief, um auf die letzte Zeile zu deuten. „Wer ist dieser Tony?“   „Weißt du, wie viele Tonys es auf der Welt gibt?“, fragte Bryan entrüstet, „es gibt allein schon hier in Russland mindestens sechs Milliarden!“   „Er gibt nur sechs Milliarden Menschen auf der ganzen Welt!“, sagte Kai giftig.   „Nun, und 'ne Menge von ihnen heißen Tony“, sagte Bryan defensiv, „zum Beispiel der Lieferjunge.“   „Verarsch' mich nicht!“, rief Kai, der seine aufsteigende Wur nicht mehr im Zaum halten konnte, „der scheiß Lieferjunge heit Clarence und das weißt du!“   „Nun, mir hat er gesagt, er heißt Tony“, sagte Bryan mit schmollendem Tonfall, da er wusste, dass Kai ihn so langsam hatte, „kann ich doch nichts für, wenn er mich anlügt.“   „Oh, sei doch nicht so dumm!“ Kai schaute ihn böse an.   Bryan stand auf und überragte Kai nun, während er finster den Phönix anstarrte. „So redest du nicht mit mir, Geldjunge!“ Seine Stimme war tief und bedrohlich. „Sonst sorg' ich dafür, dass deine Nase sich bald in deinem Kopf befindet!“   „Versuch's doch!“, forderte Kai ihn wütend heraus.   Bryan hob die Augenbrauen und griff nach Kais Handgelenk, welches er auf Kais Rücken verdrehte. Kai knurrte und trat nach hinten aus, doch Bryan wich der Attacke aus und schnappte sich Kais anderes Handgelenk, welches er ebenfalls verdrehte und nach oben drückte. Kai zischte und trat erneut nach hinten, aber mit Bryans festem Griff um seine Handgelenke, war sein Überraschungsmoment verschwunden. Bryan warf ihn gegen die Wand und zischte.   „Du hast Glück, Geldjunge!“   „Glück?“ Kai lachte harsch. „Du hast deine Schärfe verloren, Bryan! Ich erinner' mich noch an die Zeiten, als du die Leute getreten hast, bis ihre Rippen gebrochen sind!“   Bryan rammte Kai erneut gegen die Wand, aber Kai schluckte den Schmerzenslaut runter, er wollte nicht, dass Bryan wusste, dass er Kai innerlich verletzte. Der Phönix konnte den Schmerzen verdammt noch eins widerstehen, die Bryan ihm zufügte; er hatte schlimmeres erlebt. Aber allein die Tatsache, dass es Bryan war, der-   Kai kämpfte gegen Bryans griff und Bryan ließ ihn los. Kochend vor Wut wirbelte Kai herum. „Wenn du das NOCH EINMAL machst, lass ich dich verdammt noch mal verhaften!“   „Ha! Das will ich sehen“, meinte Bryan höhnisch.   Kai spießte ihn mit seinen Blicken auf. „Runter von meinem Grundstück!“   Bryan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, zuckte mit den Schultern und stürmte aus dem Raum. Nicht eher, als dass Kai das Zuschlagen der Vordertür gehört hatte, nachdem er mehrere wertvolle Gegenstände zerbochen hatte, atmete er wieder auf. Er setzte sich hin und rief nach einem Diener.   „Master Kai!“ Bryans Lieblingsbediensteter kam in den Raum geeilt und sah hektisch aus. „Lebt Ihr noch?“   Kais Augenbrauen zuckten in die Höhe. „Offensichtlich.“   „Oh... nun, ja... gibt es etwas, das ich für Euch tun kann?“, fragte der Diener und sah etwas peinlich berührt aus.   „Sag dem Rest der Angestellten, dass sie den Rest des Tages frei haben“, sagte Kai, „ich will, dass sie alle in zehn Minuten verschwunden sind.“   „Jawohl, Master Kai, was mache ich dann?“, fragte der Bedienstete.   „Du verschwindest dann ebenfalls in zehn Minuten von meinem Land!“, schnappte Kai, der sich schnell über den Mann aufzuregen begann.   „Oh! Richtig!“ Der Mann stürmte davon und stieß mit Daichi und Tyson zusammen. Kai sah zu, wie alle drei zu Boden gingen. Der Diener schaute auf, blinzelte ein paar Mal, sah dann Kas Gesicht und kroch beschämt davon.   Sich aufrichtend betraten Daichi und Tyson vorsichtig den Raum, als sie Kais schlechte Laune bemerkten. „Bist du okay?“   „Ich will, dass ihr geht“, sagte Kai, „geht einfach und schaut euch die Sehenswürdigkeiten an.“   „Aber die haben wir schon gesehen“, sagte Daichi, bevor Tyson ihn aufhalten konnte. Daichi kannte Kai noch nicht so lange wie Tyson, der Drache wusste, wann er Kai nicht nerven sollte, und das war einer dieser Momente.   „Dann geht und schaut sie euch nochmal an!“ Kais Stimme war kaum mehr als ein Zischen.   „Aber-“   „Lass uns gehen, Daichi!“, sagte Tyson eilig und zerrte Daichi aus dem Raum.   Kai lauschte, wie die letzten seiner Angestellten das Anwesen verließen; sie gingen schnell und schlossen die Tür hinter sich so leise, wie sie konnte. Das Geräusch hallte trotzdem durch das Haus; Kai legte seinen Kopf auf der Lehne des Sofas ab und schloss die Augen. Er atmete die Atmosphäre des verlassenen Hauses mit einem Gefühl, das Zufriedenheit gleich kam, ein. Er hatte sich so lange danach gesehnt, alleine zu sein, dass es ihn fast in den Wahnsinn getrieben hatte, aber jetzt konnte er sich wirklich auf das konzentrieren, was um ihn herum geschah und auf den chaotischen, verwirrten Schmerz in seinem Kopf. Die Augen öffnend blickte er zur Decke, und seine roten Augen folgten dem detaillierten Muster. Er lauschte dem lauten Ticken einer Uhr, die kalte Luft auf seinem Gesicht spürend. Dies war das, was er mochte, Friede, Alleinsein und ein Ort, um seine Gedanken zu sammeln.   Aber es war nicht das, was er wollte. Er fluchte laut in den Raum, als sich Bryan mit einer fast bösartigen Aura in seine Gedanken schlich. Warum konnte der Falke ihn denn nicht alleine lassen? Er wollte keine Gesellschaft, er wollte nur das, was er hatte... absolute Stille. Aber er war nicht zufrieden. Er wollte das Gesicht des Falken sehen.   Auf sich selbst zornig, verließ er den Aufenthaltsraum und stürmte in das Zimmer, das einst das Büro seines Großvaters gewesen war. Der Raum sah noch aus wie früher, vollgestopft mit Papieren und Akten und den anderen, in einem Büro üblichen Dingen. Kai brannte vor Wut; der Mann konnte nicht am Leben sein, es gab keine verflixte Möglichkeit, dass der Mann noch lebte. Kai hatte ihn sterben sehen und nicht einmal Voltaire konnte von den Toten zurückkehren. Das bedeutete, dass sich jemand mit Kai einen Scherz erlaubte, versuchte, ihm Angst zu machen und ihn zu verwirren. Kai gefiel das nicht, niemand, absolut niemand spielte mit ihm. In seinem Zorn packte er den ersten Aktenschrank, der ihm in die Hände kam, und mit einem wütenden Grollen warf er ihn zu Boden. Das dünne Metall zerbrach unter dem Aufprall auf den Boden, aber Kai hatte etwas angefangen, was er nicht aufhalten konnte; er trat dagegen, rammte seinen Fuß so hart in das Metall, dass es verbog. Er schaute sich nach etwas anderem, das er zerbrechen konnte, um, etwas, das er so zerstören konnte, wie Voltaire ihn zerstört hatte.   Er war froh, dass sein Großvater tot war, er konnte das Glücksgefühl nicht bestreiten, das er spürte, wann immer ihm bewusst wurde, dass er das Gesicht seines Großvater nie wieder würde sehen müssen. Den Monitor des Computers hochwuchtend, warf er ihn durch den Raum. Der Monitor krachte durch das kleine Fenster, wodurch kleine Glassplitter überall umherflogen. Keuchend blickte Kai sich in dem verwüsteten Zimmer um. Er fühlte sich besser. Besser, als er es seit langem getan hatte. All die Wut, die er in sich versteckt hatte, die seine innere Angst so gut verborgen hatte, platzte aus ihm heraus wie in einem Sturm flammender Säure, alles verätzend und verbrennend, was sie berührte. Der Zorn und der Hass gegenüber seinem Großvater, die Wut auf Boris, und der Ärger über ihn selbst, dass er sich so lange hatte kontrollieren lassen, brachen aus Kai aus, und niemand war da, um ihn aufzuhalten.                                                                                                                       Die Wachhunde kläfften Ray an, sie sabberten und knurrten. Er war noch nie ein großer Hundefreund gewesen; als er jung war, hatte er sich vor ihnen gefürchtet, aber nun war die Furcht einer Abneigung gegen alles, was bellte, gewichen. Hunde schienen ihn zu hassen; sogar die kleinen, die alle anderen liebten, hassten ihn. Vielleicht konnten sie die Angst spüren, die Ray vor langer Zeit gefühlt hatte, oder vielleicht sahen sie nur einmal in sein Gesicht und entschieden sich dann, zu bellen.   Er beobachtete die Hunde ruhig; diese waren weder klein, noch freundlich gesinnt, sie waren Wachhunde, die darauf trainiert wurden, anzugreifen, solange ihr Besitzer nichts anderes sagte. Und gegenwärtig waren sie festgebunden, aber Ray konnte sehen, dass das Seil unter den heftigen Anstrengungen der Hunde, sich zu befreien, bald reißen würde. Er stand da, unsicher, ob er weggehen sollte oder stehen bleiben. Wenn er ging, würden die Hunde ihn verfolgen, und wenn er blieb, würden sie sich auf ihn stürzen.   „Hast du etwa vor, als Hundefutter zu enden?“, fragte Tala feixend nach.   „Warum, wärst du gern der Nachtisch?“, fragte Ray als Tala sich neben ihn stellte. Tala schielte zu den Hunder, es waren sechs, die alle knurrten und nach der Person schnappten, die sich gerade so außer Reichweite befand. Tala knurrte sie an, er hatte sie von der anderen Seite des Hauses gehört und sie machten seine Kopfschmerzen nur schlimmer. Fünf der Hunde bemerkten den Ausdruck auf Talas Gesicht; sie hörten auf, zu kläffen und zu knurren, einer setzte sich sogar auf die Hinterbeine und winselte. Tala verdrehte die Augen.   „Wie hast du das gemacht?“, fragte Ray, während er die Hunde dabei beobachtete, wie sie sich beruhigten.   „Du musst sie nur wissen lassen, wer der Boss ist.“ Tala zuckte mit den Schultern. „Und das letzte Mal, dass ich hier war, hab' ich Wolborg auf sie gehetzt.“   „Der letzte da scheint nicht sehr gehorsam zu sein“, kommentierte Ray, als der eine am Rand heulte und grollte, während er noch immer an seiner Leine zog und zerrte.   „Ich hab' nicht gesagt, dass es bei allen klappt.“   „Also doch nicht ganz so perfekt, wie du gerne wärst“, sagte Ray mit einem nur kleinen Grinsen.   „Wenigstens konnte ich die meisten von ihnen zum Schweigen bringen, das ist mehr, als du von dir behaupten kannst“, erwiderte Tala, „warum bist du überhaupt hier unten?“   „Ich hab' nen Spaziergang gemacht.“ Diesmal war es Ray, der mit den Schultern zuckte. „Schätze, hab' nicht gemerkt, wo ich bin.   „Nur einer von den Bladebreakers könnte so abgelenkt sein, dass er nicht mal mitkriegt, wo er hingeht“, spottete Tala.   „Zumindest denke ich über meine Gefühle nach, während du wie ein Stück Stein durch die Gegen wanderst“, konterte Ray.   Das nächste, was er wusste, war, wie sein Rücken gegen das felsenharte Holz eines nahen Baumes gedrückt wurde und er in Talas eisigkalte Augen starrte.   „Du möchtest deine nächsten Worte vielleicht etwas vorsichtiger wählen, während du mir erklärst, was du damit meinst!“, zischte Tala.   „Ich weiß, warum du so gereizt bist mit Kai“, sagte Ray kühl, „ich weiß, warum du vor mir so auf starker Mann machst. Du bist sauer auf dich selbst, weil du Spencer hast sterben lassen. Du gibst dir selbst die Schuld für das, was passiert ist, aber du bist Tala Ivanov und Tala Ivanov gibt sich für nichts die Schuld. Nicht nur das, aber du machst dir auch Sorgen um Kai, du willst nicht, dass jemand Kai weh tut, aber wenn du deine wahren Gefühle zeigst hast du Angst, dass sie dich nicht mehr für den großen, starken Tala halten.“ Ray schaute Tala mit glühender Wildheit in die Augen, doch seine Stimme wurde weicher. „Du lässt es an mir aus, weil du weißt, dass ich dich wie ein Buch lesen kann... und das gefällt dir nicht.“   Tala schwieg für lange Zeit, während der Hund hinter ihnen alles ankläffte, das sich bewegte. Der Wind pfiff laut in ihren Ohren, und der Schnee wirbelte umher, sodass ihre Sicht eingeschränkt wurde.   „Du hälst dich besser fern von mir“, murmelte Tala in Rays Ohr, „oder das nächste Mal, wenn wir uns treffen, schlitz' ich dich auf.“   „Schätze, das bedeutet dann, dass ich Recht habe“, flüsterte Ray ebenso leise zurück.   „Das bedeutet nichts.“   „Lügner.“ Ray spürte, wie der Griff um seinen Kragen enger wurde, aber er zeigte keinerlei Anzeichen von Unbehagen. Talas Augen hypnotisierten ihn, sie waren so endlos, dass Ray Schwierigkeiten hatte, zu atmen... vielleicht war das der Griff, den Tala um seinen Hals hatte. Es gab fast einen schwerenfälligen, dickflüssigen Frieden zwischen ihnen-   Die Leine des Hunde riss endlich und er rannte auf Tala und Ray zu, die sich beide umdrehten und den Hund sahen, wie er knurrend auf sie zu stürmte. Das nächste, was Tala wusste, war, dass er sich gegen Ray warf, sodass sie beide zu Boden fielen. Krallen bohrten sich in seinen Rücken, als Ray auf dem schneebedeckten Boden landete, Tala über ihm. Aber Tala ignorierte den Schmerz in seinem Rücken, während er den Hund mit einem Tritt wegschleuderte. Er war sich nichts bewusst, außer den warmen, weichen Lippen, die seine eigenen berührt hatten. Kapitel 9: Stilles Begehren --------------------------- Kai fiel stark keuchend im Foyer auf die Knie; er hatte all die alten Zimmer seines Großvaters zerstört, die Küchen und das Gewächshaus, hatte sein Schlafzimmer verwüstet und alle Räume auf dem Dachboden, und er hatte alles an wertvollen Töpfen, Vasen und Gläsern zerstört, die er finden konnte. Er war wieder müde und eine neue Welle gedämpften Zorns schwappte durch ihn durch; er war früher nicht so schwach gewesen, er war nicht mehr der starke, unbesiegbare Kai und er schämte sich.   Er hatte versagt. Alles, von dem er sich erhofft hatte, es zu sein, war ihm entglitten, und nach dem Tod seines Großvaters hatte er sich selbst geschworen, dass er nichts und niemandem jemals wieder erlauben würde, ihn so schwach zu machen, doch hier war er nun. Ein einfach Brief hatte ihn wieder in diesen Zustand versetzt, wütend und schwach.   Seine inneren Gedankengänge wurden durch ein lautes Klopfen an der Eingangstür unterbrochen und er knurrte innerlich. Er wollte niemanden sehen, nicht Tala, nicht Ray oder einen der anderen Bladebreakers, und Kai schwor sich, wenn es Bryans Lieblingsdiener war, würde er ihn kopfüber im Schnee vergraben. Es klopfte erneut an der Tür.   „Geh weg!“, keifte er in Richtung Tür, laut genug, dass die Person auf der anderen Seite ihn hören konnte.   Das Klopfen erklang erneut und jemand versuchte, die Klinke herunterzudrücken, aber Kai hatte verschlossen. „Öffne die verfickte Tür, Geldjunge!“   Kai erstarrte. Bryan. Er wusste nicht, was er machen sollte. Er blickte hoch zur Tür, als Bryan erneut dagegen hämmerte, eindeutig gereizt. Kai verlor sich in Gedanken, er hatte überhaupt keinen Schimmer, was er tun sollte. Warum war Bryan hier? Kai wurde sich euf einmal seines Atmens bewusst, als er zur Tür kroch. Davor kniend, legte er vorsichtig eine Hand auf das Holz, als es unter Bryans zornigem Klopfen zitterte.   „Geldjunge! Mach sofort die verdammte Tür auf! Es ist hier draußen scheiße kalt!“   Kai antwortete nicht und schloss die Augen, er wollte Bryan sehen, aber etwas hielt ihn davon ab. Bryan kannte diesen Tony, erzhählte Kai aber nicht davon und erneut wusste Kai nicht über alles Bescheid, was um ihn herum geschah, und er hasste dieses Gefühl.   „Geldjunge, wenn du die Tür aufmachst, erzähle ich dir alles über Tony!“, erklang Bryans Stimme durch die Tür.   Kai sprang auf, schloss die Tür auf und öffnete. „Wer ist Tony?“, verlangte er zu wissen.   „Verrat' ich dir nicht“, antwortete Bryan, als er sich an Kai vorbei schob, der die Tür wieder schloss.   „Du hast gerade gesagt, dass du das tust!“, knurrte Kai, dem gerade bewusst wurde, dass er komplett auf Bryan reingefallen war.   „Ich hab' gelogen“, sagte Bryan simpel, konnte aber sein Grinsen nicht verbergen. Seine Augenbrauen zuckten in die Höhe, als er das zerrissene Gemälde sah, das lose an der Wand hing, und seine Augen nahmen die zertrümmerten Überreste von Voltaires Büro war, die er durch den Türrahmen sehen konnte. „Gibt's da auch noch was, was du heile gelassen hast?“, fragte er.   Kai ignorierte dies. „Warum bist du hier?“, hakte er nach.   „Oh, sind wir wieder bei deinen ganzen, nervigen Fragen?“, kommentierte Bryan, als er sich den schmelzenden Schnee aus dem Haar schüttelte.   „Irgendeinen Grund muss es ja geben“, bestand Kai.   „Ja, es nennt sich verdammter Schneesturm da draußen“, sagte Bryan.   „Oh“, sagte Kai. Er vermied Bryans Blick, als der sich umsah.   „Hast du vor, das alles selbst aufzuräumen?“, fragte Bryan, als er einen Tisch mit nur noch einem Bein zu Boden fallen sah.   „Ich werd dem Personal nachher sagen, das sauber zu machen“, murmelte Kai. Er war schon wieder gereizt; er wollte mehr Antworten von Bryan, und alles, was der tat, war Kai zu fragen, wie der diese Unordnung beseitigen wollte!   „Bisschen schroff“, sagte Bryan, „du kreirst hier ein Chaos und sie müssen es aufräumen.“   „Dafür werden sie bezahlt!“, sagte Kai mit einem kleinen, genervten Brummen. „Und du hast gerade Reden, du zerstörst doch ständig Sachen und räumst sie auch nie auf!“   Bryan feixte. „Ich nerv' dich doch nicht, oder?“   „Du micht nerven? Aber sicher nicht!“, schnappte Kai, „wenn du nichts wichtiges zu sagen hast, dann geh' raus und erfrier in dem scheiß Schneesturm, mir ist es egal!“   „Scheiß drauf.“ Bryan packte Kai und presste seine Lippen auf Kais. Der Phönix erwiderte den Kuss hungrig, als Bryan ihn zu Boden drückte.   Bryan wusste nicht, warum er wieder hier war. Auf halbem Wege, während er sich immer noch darüber aufgeregt hatte, dass Kai ihn als dumm bezeichnet hatte, hatte Bryan sich wiedergefunden, wie er sich wieder zum Haus umdrehte und gegen die Tür hämmerte, um eingelassen zu werden.                                                                                                       „Hey Leute.“ Ray ging auf Tyson, Max, Kenny, Hilary und Daichi zu, die alle zitternd in einer Reihe standen. „Problem?“ Er bemerkte, dass keiner von ihnen einen Mantel trug und so langsam vereisten sie in dem Schneesturm, der sich zwar etwas gelegt hatte, aber bis vor ein paar Minuten noch sehr gewütet hatte.   „K-Kai hat u-uns rausgeschmissen“, sagte Tyson mit klappernden Zähnen, „o-ohne Mäntel.“   „Oh“, sagte Ray.   „Ich hab dir gesagt, w-wir hätten g-gehen sollen, bevor K-Kai sauer auf uns ist“, murmelte Hilary.   „Oh, Hils, Kai ist nur angekotzt, weil ich ihm noch nicht seine wahre Liebe gefunden habe.“   „Tyson, du solltest das lieber aufgeben“, riet Ray ihm.   „Nein! Es ist der Sinn meines Lebens, Kai seine einzig wahre Liebe zu finden!“, meinte Tyson stur.   „Ich glaube, das ist nur 'ne Entschuldigung, um so viele russische Mädchen wie möglich zu treffen“, flüsterte Max in Rays Ohr, während Tyson versuchte, Daichi im Schnee zu begraben. Beide mussten lachen.   „Aber natürlich würde Tyson niemals so etwas tun, da wir ja alle wissen, dass er nur Augen für Hilary hat“, fügte Ray eilig hinzu, als Hilary sie beide giftig anblickte. „Nicht wahr, Max?“   „Was? Oh! Ja! Tyson würde niemals wen anders anschauen!“ Sowohl Max als auch Ray grinsten Hilary unschuldig an, die nur schnaubte. Kenny schaute sich das Spektakel mit einem amüsierten Lächeln an, bis Daichi ihn mit einem Schneeball traf.   „SCHNEEBALLSCHLACHT!“, riefen Daichi und Tyson aufgeregt.   „Oh, Bruder“, grummelte Hilary, als Tyson einen großen Schneeball nach Ray warf, der sich duckte und einen zurückschleuderte. „Jungs! Erbämlich! Allesamt!“ Ein Schneeball traf sie am Hinterkopf und sie wirbelte herum. Sie erblickte Daichi, der sich vor Lachen auf dem Schnee kugelte.   „DU DUMMER KLEINER AFFENGESICHTIGER IDIOT!“, kreischte sie.   „Oh, oh.“ Daichi lief um sein Leben, als Hilary auf ihn zu hechtete. Daichi wich ihr aus und düste durch den Garten. Unglücklicherweise, für Daichi, entdeckte er nicht eine Wurzel, die aus dem Boden schaute, und in welcher sich sein Fuß verhedderte, sodass er in einen großen Schneehaufen stürzte.   Als er die Augen öffnete, sah er ein paar Stiefel, und als er hochblickte, starrte er in die großen, roten Augen von Kai Hiwatari, der milde verblüfft auf Daichi hinabblickte.   „Kai!“ Daichi sprang mit einem riesigen Grinsen auf.   Kai sagte nichts und ging nur an Daichi vorbei zu den anderen, die damit aufhörten, Schnee in Max' Oberteil zu stopfen, als sie ihn bemerkten. Für einen Moment herrschte Stille, als sie warteten, dass ihr Teamcaptain anfing, zu reden.   „Tut mir Leid“, sagte Kai, „ich hab' meine Wut an euch ausgelassen und das war falsch.“   Stille war seine einzige Antworte, zumindest bis Daichi so laut rief, dass es von den Baumkronen wiederhallte: „KAI IST ZURÜCK!“   Kai bereute seine Entschuldigung plötzlich, als Tyson, Max, Daichi und Kenny sich auf ihn stürzten, um ihn in eine Gruppenumarnung zu ziehen. Unfähig, das zusätzliche Gewicht vier wachsender Jugendlicher zu tragen, brach Kai unter ihnen mit einem dumpen Geräusch zusammen. Sie fingen an, „Kai ist zurück! Kai ist zurück!“ wie eine Beschwörung vor sich hinzusingen, ohne zu bedenken, dass ihr Gewicht Kai vielleicht zerquetschen würde, wenn sie weiter auf ihm saßen. Sich von unter ihnen befreiend, wischte Kai den Schnee von seiner Kleidung und ging zu Ray, der mit einem kleinen Lächeln an der Seite stand.   „Was ich zu dir gesagt habe“, fing Kai an, „war dumm und gelogen.“   Ray schüttelte sanft den Kopf. „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Ist schon vergessen.“                                                                                                       Ray kletterte aus der Dusche und wickelte sich ein Handtuch um die Hüften, während er sein klitschnasses Haar über eine Schulter warf. Es war spät in der Nacht, aber Ray hatte nicht schlafen können und eine Dusche zu nehmen schien ihm die beste Möglichkeit zu sein, um zu entspannen. Daher hatte er sich in ein unbenutztes Zimmer geschlichen und die Dusche benutzt, nachdem er sichergegangen war, dass der Raum unbesetzt war und keiner der bösen Blitzkrieg Boys darauf wartete, ihn anzuspringen. Er stand dort und trocknete sein Haar, schweigend und in Gedanken, mit einem Handtuch. Er konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, die Erinnerung blitzte immer wieder durch seinen Verstand. Er wollte sie nicht stoppen. Er erinnerte sich an Talas Augen, seine Lippen. Ihre Lippen hatten sich nur für ein paar, flüchtige Sekunden berührt, aber Ray hatte solche Aufregung bei Talas Berührung verspürt. Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu verjagen; er mochte Tala nicht einmal... mochte er Tala?-   Plötzlich bemerkte er, dass seine Kleidung nicht da lag, wo er sie gelassen hatte; er blickte sich verwirrt im Badezimmer um, aber sie waren nirgends zu sehen. Er wusste, er hatte sie neben der Heizung auf den Boden gelegt; Ray drehte sich erneut um, und mit einem Seufzen öffnete er die Badezimmertür und betrat den ungenutzten Raum, in den er eingedrungen war.   Dort fand er seine Kleidung sauber zusammengefaltet auf einem Futon neben Tala, der ruhig und mit verschränkten Armen dasaß und ihn angrinste.   „WAS ZUR HÖLLE GLAUBST DU EIGENTLICH, WAS DU DA MACHST? MIR MEINE KLAMOTTEN STEHLEN?“ Die Worte hatten eigentlich würdevoll und mit rechtmäßigem Ärger herauskommen sollen, aber stattdessen war sein Tonfall alles andere als erhaben und hatte mehr von einem Kreischen. Ray seufzte.   „Du solltest wirklich lernen, die Badezimmertür abzuschließen“, kommentierte Tala.   „Das ist ein Ersatzzimmer!“, sagte Ray frustriert, „hier kommt niemand rein!“   „Stimmt“, gab Tala nach und er warf einen verschrobenen Blick auf Ray. „Etwas spät für eine Dusche, nicht?“   „Ich konnte nicht schafen“, antwortete Ray, nicht ganz sicher, warum er jeden von Talas Kommentaren beantwortete.   „Und du hast dich schmutzig gefühlt?“, fragte Tala.   „Nachdem du mich geküsst hast, ja, hab' ich.“   Talas Augenbrauen schossen in die Höhe und er lachte kurz auf. „Das war ein wenig fies, ich wäre verletzt, wenn du mich auch nur einen feuchten Dreck interessieren würdest.“   Ray antwortete darauf nicht und sagte stattdessen: „Was willst du überhaupt? Und warum musstest du jetzt meine Klamotten klauen? Ich hätte sie gern zurück, wenn dir doch eh alles egal ist.“   „Ich dachte mir, ich würde mich revanchieren“, sagte Tala mit einem Schulterzucken.   „Revanchieren?“, wiederholte Ray, „warum? Was hab' ich dir getan? Ich war nicht der mit der Schere.“   „Oh, bist du deswegen immer noch angepisst?“ Tala stand auf und stellte sich dicht neben Ray, der sich plötzlich fest an die Wand neben der nun geschlossenen Badezimmertür gepresst wiederfand; er schaute böse zu Tala, der nur grinste. „Dir macht es Spaß, mich aus meiner Wohlfühlzone zu holen, also dachte ich mir, tu' ich dir auch mal den Gefallen.“   „Und wann hab' ich dich aus deiner Wohlfühlzone geholt?“, fragte Ray, darauf bedacht, seine Stimme gleichmäßig klingen zu lassen, als Tala ihm stetig näher kam. Die eisblauen Augen musterten Ray und Ray spürte, wie er rot wurde.   „Du glaubst, du kannst meine Gedanken lesen“, sagte Tala, „und ich nehme an, in gewisser Weise hast du Recht. Du scheinst tatsächlich zu wissen, was in meinem Kopf vor sich geht... aber glaub' nicht, dass das heißt, dass ich dir ausgeliefert bin.“   „Ich würde nicht 'mal im Traum daran denken.“ Ray wurde immer wärmer, während Tala sich ihm weiter näherte. „Also, wie genau hattest du jetzt vor, dich zu revanchieren?“, fragte er und musste sich schwer auf die Worte konzentrieren, und nicht auf die starken Arme, die seinen Fluchtweg blockierten.   „Indem ich dich aus deiner Wohlfühlzone raushole, natürlich“, grinste Tala erneut.   „Oh, natürlich“, murmelte Ray, „wie willst du das machen?“   Tala zwinkerte ihm zu. „Das wäre doch petzen.“   „Oh... richtig“, nuschelte Ray, der das Gefühl hatte, dass Tala seine Revanche eindeutig schon erhielt, wo Ray doch eingesperrt war und sich eindeutig nicht wohl fühlte.   „Wie wäre es, wenn wir ein Spiel spielen?“, schlug Tala vor.   „Sind wir dafür nicht ein bisschen zu alt?“   „Oh, wo ist dein Sinn für Spaß?“, spöttelte Tala.   „Noch in der Dusche“, hauchte Ray.   „Siehst du, ich hab' ganz viele tolle Sachen geplant, um dich aus deiner Wohlfühlzone zu holen“, fuhr Tala fort, „und deine Rolle in dem Spiel ist, zu raten, was ich vorhabe, bevor ich es tue.“   „Na, das klingt aber nach 'ner Menge Spaß“, meinte Ray sarkastisch.   „Ich wusste, du würdest mir zustimmen“, grinste Tala und drehte sich weg von Ray. Und bevor Ray ihn aufhalten konnte, packte er Rays Kleidung und schloss ihn in dem Ersatzzimmer ein, ohne auch nur einmal zurückzuschauen.   Ray seufzte, unterdrückte aber nicht das Lächeln, das sich auf seine Lippen stahl. Er konnte nicht anders, er mochte Tala. Kapitel 10: Andere Perspektiven ------------------------------- Kai drehte sich vom Fenster weg, als es vorsichtig an seiner Tür klopfte und Ray mit einem Stück Papier in der Hand eintrat. Kai überprüfte beinahe besessen, dass Bryan sich nicht im Raum befand, aber dann erinnerte er sich daran, dass er gerade dabei zugeschaut hatte, wie Bryan Tyson im Schnee begrub. Normalerweise hätte Kai sich eingemischt und das unterbunden, aber Bryan verbuddelte Tyson nur, um den Drachen davon abzuhalten, noch mehr Mädchen für Kai zu suchen, was Kai selbst für äußert lästig hielt. Doch wenn Kai ganz ehrlich war, tief im Inneren, dann wusste er, dass der wahre Grund, weswegen er Bryan Tyson vergraben ließ, war, dass Kai den Gedanken an einen besitzergreifenden Bryan schätzte.   „Ich habe nachgedacht“, sagte Ray.   „Das ist mal was anderes“, kommentierte Kai und drehte sich zurück zum Fenster, als Tyson aufheulte.   Ray hielt inne und stellte sich neben Kai an das Fenster; ruhig schaute er zu, wie Bryan Schnee über Tysons Kopf rieb. „Hälst du ihn auf?“, fragte Ray und nickte zu Bryan.   „Warum sollte ich?“, fragte Kai.   „Weil er dabei ist, Tyson tief im Schnee zurückzulassen.“   „Er macht das nur, weil Tyson immer noch versucht, meine 'einzig wahre Liebe' zu finden. Bryan tut mir 'nen Gefallen.“   „Ich dachte, du hasst Bryan, und er hasst dich“, sagte Ray im Unschuldston.   Kai hielt inne; wusste Ray etwas? Er schielte rüber zu Ray, der noch immer aus dem Fenster sah, mit einem kaum unterdrückten Lächeln. „Er tut mir unbewusst 'nen Gefallen“, sagte er vorsichtig und wartete auf Rays Reaktion.   Ray Reaktion war, seinen Ausdruck bedächtig möglichst neutral zu halten, wobei er ziemlich schlimm versagte. Der Neko-Jin räusperte sich, als er sich Kais verdächtigendem Blick bewusst wurde. „Das wird dann alles sein.“ Er schenkte Kai ein strahlendes Lächeln und wedelte mit dem Stück Papier, das er in der Hand hatte, um den Phönix abzulenken.   Kais Blick landete auf dem Papier und, mit geweiteten Augen, schnappte er den Zettel von Ray, dessen Gesicht ernst geworden war. „Wo hast du das her?“, schnappte Kai als er den Brief, der angeblich von Voltaire stammte, anstarrte.   „Wo du ihn gelassen hast“, antwortete Ray.   „Abgeschlossen in meiner Nachttischschublade.“   „Oh, da war er also?“, sagte Ray rasch, während er einen Dietrich versteckte.   Kai legte den Brief ab und packte Ray um die Hüfte, befor er den Neko-Jin kopfüber drehte und ihn schüttelte, sodass der Inhalt seiner Taschen auf den Boden fiel. Jener bestand aus einem Beyblade, einigen Münzen von verschiedenen Kontinenten und dem Dietrich, den Kai in Gewahrsam nahm, bevor er Ray wieder auf den Boden setzte. Kai blickte zu Ray der mit den Schultern zuckte und beschämt errötete.   „Ich bin dein Freund“, sagte Ray, „es ist mein Job, deinen Nachttischaufzubrechen um die Quelle deiner Sorgen und aufgestauten Wut zu ergattern.“   „Oh, ist es das?“, sagte Kai und verpasste Ray einen leichten Schlag auf den Kopf, „und ich nehme an, das ist auch das, worüber du nachgedacht hast.“   „Das ist es in der Tat.“   „Anstatt zu packen, damit du den Flug zurück nach Japan nicht verpasst, den ich für euch arrangiert habe.“   „Hast du?“, fragte Ray, „da musst du mich wohl auf den neuesten Stand bringen. Tala hat mich in 'nem Ersatzzimmer eingesperrt und ich bin da gerade erst rausgekommen.“   „Ja, ich hab' euch nen Flug gebucht, er geht in einer Stunde“, sagte Kai stirnrunzelnd, „warum, genau, hat Tala dich in einem Ersatzzimmer eingesperrt?“   „Da wirst du ihn fragen müsen“, erwiderte Ray, „er hat auch ein paar meiner Klamotten gestohlen, die ich bisher noch nicht wiedergefunden habe.“ Er seufzte irritiert, als er an dem Kragen eines alten T-Shirts zog, während die Hosen, die er trug, einige Löcher und Risse hatten, was bedeutete, dass sie eindeutig schon bessere Zeiten erlebt hatten.   „Warum hat er-“ Kai gab auf. Welche Spiele auch immer Tala spielte, sie würden nicht mehr lange andauern, da Ray sich in zwei Stunden auf einem Flugzeug gen Japan befinden würde.   „Also, willst du hören, worüber ich nachgedacht habe?“ fragte Ray.   „Kann ich dich aufhalten?“   „Also, der Brief scheint eine Art Warnung zu sein-“, begann Ray.   „So ist's richtig, Ray, erstmal das Offensichtliche sagen“, kommentierte Kai und grinste, als Ray finter dreinschaute.   „Aber sieh ihn dir 'mal von 'ner anderen Perspektive an“, fuhr Ray fort. Um weitere Kommentare von Kai zu umgehen, griff er sich den Brief von Kai und schob ihn dem Phönix ins Gesicht. „Na los, lies ihn.“   Kai seufzte, hielt sich aber zurück, zu sagen, dass er den Brief schon tausend Mal gelesen hatte, da Rays Gesicht ihm mitteilte, dass der Neko-Jin gerade keinen Unsinn vertrug. Er las den Brief erneut.   Lieber Kai Hiwatari,   ich schreibe dir zu einer Zeit, an welcher dein Leben fast beendet sein wird. Zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Brief dich erreicht, werden Dinge ins Rollen gebracht worden sein, unwiderruflich. Du kannst kämpfen und darum betteln, dass dein Leben verschont werden möge, aber letztlich wirst du sehen, dass nichts von dem, was du tust, dich retten kann.   Wenn du diesen Brief liest, wird ein alter Feind dich besucht haben und du wirst abgelenkt sein, deine Aufmerksamkeit wird von diesem Brief fortgezogen werden. Menschen sind hinter deinem Blut her, Kai Hiwatari, und sie werden nicht eher aufhören, als dass es sich in einer Lache am Boden befindet. Du lebst in gefährlichen Zeiten und irgendwann in der nicht weit entfernten Zukunft, wirst du deine Augen schließen und sie nie wieder öffnen.   Du wurdest gewarnt, Kai Hiwatari, und wenn du vernünftig wärst, würdest du deine Freunde fortstoßen. Sie könnten verletzt werden und du wirst in dem Wissen sterben, dass es deine Schuld war.   Versuche nicht, mich zu suchen, ich werde nirgends gefunden werden und niemand wird wünschen, nach mir zu suchen. Wenn du diesen Brief gelesen hast, wird meine Existenz verschwunden sein und die wirst keine Hoffnung haben, herauszufinden, von wo ich diesen Brief schrieb.   Denk daran, Kai Hiwatari; deine Tage in diesem Leben sind abgezählt.   Unterzeichnet   Voltaire Hiwatari   P. S.: Tony vermisst dich sehr.   „Worauf willst du hinaus?“, fragte Kai.   „Warnung“, sagte Ray schlicht.   „Da musst du etwas genauer werden.“   „Ich meine, dass dies nicht unbedingt eine Drohung ist“, erklärte Ray, „es könnte eine Warnung sein. Zugegeben, keine nette Warnung... vielleicht hat derjenige, der das geschrieben hat, tatsächlich vor, dich zu verletzen. Er hat offensichtlich vor, dir Angst zu machen.“   „Entweder das oder mein Großvater hat irgendwie eine Möglichkeit gefunden, mir aus dem Land der Toten einen Brief zu schreiben“, sagte Kai zynisch.   „Oder vielleicht ist es ein Freund, der dich auf eine seltsame Art und Weise warnen will.“ Ray warf einen verwirrten Blick auf den Brief.   Kai höb eine Augenbraue. „Du hast eigentlich keinen Schimmer, was das bedeuten soll, oder?“ Er konnte nicht anders, als zu grinsen.   „Ich versuche nur, dir ein paar Ideen zu geben“, sagte Ray verteidigend.   „Bisher macht du deinen Job nicht ganz so gut“, sagte Kai seufzend, „du hast noch nicht erklärt, warum jemand als Voltaire unterschreiben würde, und wer zum Henker ist Tony?“   „Ich weiß nicht, vielleicht hat es etwas mit Voltaire zu tun und deswegen hat die Person das so unterzeichnet“, schlug Ray vor.   „Und der Teil über Tony?“   „Ich weiß nicht, wer Tony ist“, sagte Ray, „kennst du irgendwen, der es weiß?“   „Bryan“, sagte Kai, „aber er will's mir nicht verraten.“   „Ich bin mir sicher, du findest eine Lösung“, sagte Ray, dem unkontrolliert wieder ein Grinsen auf's Gesicht schlich.   Kai nahm Ray den Brief ab. „Was lässt dich glauben, dass das eine Warnung ist und keine Drohung?“   „Weil sie nicht davon reden, dass sie es sind, die dich umbringen werden“, antwortete Ray, „und sie haben den Besuch eines alten Feindes erwähnt. Und dann taucht Boris auf.“   Kai dachte darüber nach. Ray hatte Recht; der Brief bedrohte ihn nicht direkt, er sagte ihm lediglich, dass er bald sterben würde. Irgendwie fühlte er sich dadurch trotzdem nicht besser. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, worauf du hinaus willst, Ray, aber ich versteh' nicht, warum jemand mit dem Namen meines Großvaters unterschreiben sollte.“   „Naja, vielleicht, aber das wäre eine andere Ansicht der Dinge.“   „Stimmt“, gab Kai nach, der sich umdrehte, als seine Schlafzimmertür sich erneut öffnete. Dieses Mal betrat Tala den Raum, mit nichts weiter als einem Handtuch bekleidet. Ray murrte.   „Willst du das den ganzen Tag tragen?“, fragte Kai.   „Da hab' ich noch nicht drüber nachgedacht“, antwortete Tala mit einem Grinsen in Rays Richtung. „Was denkst du, Neko? Ich finde, es hat was, und du wirst mir sicherlich zustimmen, schließlich hast du die ganze Nacht in sowas verbracht.“   Ray verengte die Augen.   Kai schaute zu dem Neko-Jon. „Will ich das wissen?“, fragte er forschend.   „Eindeutig nicht!“, sagte Ray bestimmt mit einem Giftblick in Talas Richtung, dessen Grinsen sich verbreiterte, sodass es nur noch als selbstgefällig bezeichnet werden konnte. „Tala spielt nur wieder seine Spielchen.“ Mit einem scharfen Blick drehte Ray Tala den Rücken zu und wandte sich mit einem sturen Gesichtsausdruck zu Kai. Kai entschied, dass es die Mühe einfach nicht wert war, zu fragen, was da zwischen dem Wolf und dem Neko-Jin geschah. Er war seine Kopfschmerzen gerade erstgeworden und brauchte so schnell keine neuen.   Es klopfte an der Tür und nach der Erlaubnis, einzutreten, betrat Bryans Lieblingsdiener den Raum mit der Hand über den Augen. Kai grinste.   „Warum bedeckt er seine Augen?“, fragte Tala.   „Warum macht er überhaupt irgendwas?“, konterte Kai.   Ray musste in der zwischenzeit unkontrolliert lachen.   „Was ist so witzig?“, fragte Kai beinahe etwas zu scharf.   „Ich kann mir vorstellen, dass er seine Augen bedeckt, weil er etwas gesehen hat, das er nicht wieder sehen will“, sagte Ray mit einem Grinsen.   „Und was könnte das sein?“, fragte Kai, während seine Augen sich in die von Ray bohrten.   „Sag' du es mir, Kai.“   Tala war währenddessen zu dem Diener gegangen und patschte dem gegen das Ohr. „Zeig' ein bisschen Mumm, Mann! Keiner von uns ist ein Dämon!“   „J-Ja Master Tala“, sagte der Bedienstete, der nun vorsichtig die Hand vor seinen Augen wegnahm sich ängstlich umsah, als ob er erwartete, dass Bryan splitternackt vor ihm stand.   „Also, was willst du?“, fragte Tala, „und es heißt für dich immer noch Sir Ivanov!“   „Da ist ein Telefonanruf für Master Kai!“, sagte der Diener eilig.   „Von wem?“, fragte Kai, „und nenn' Ivanov Master Tala, er ist nicht anders als der Rest von uns."   „Er ist vom Flughafen, Master Kai“, sagte der Bedienstete, „sie sagten, es sei wichtig.“   „Ich komme“, sagte Kai, der ein schlechtes Gefühl bei der Sache hatte, bevor er erneut den Brief aus Rays Fingern riss, während er den Raum verließ, der Diener dicht hinter ihm. Ray brauchte ein paar Sekunden, bis er merkte, dass er noch immer in Kais Zimmer war, und dass er alleine mit Tala war. Er wurde rot.   „Du hast es also geschafft, aus dem Zimmer rauszukommen“, sagte Tala feixend.   „Nicht dank dir“, sagte Ray mit einem herablassenden Blick.   „Aber ich sehe, dass du deine Klamotten immer noch nicht gefunden hast.“   „Wo hast du sie hingetan?“, verlange Ray zu wissen.   „Ah, das wäre petzen“, erwiderte Tala, während er Rays Beyblade auf dem Boden bemerkte, wo es noch immer lag, seit Kai ihn auf den Kopf gedreht hatte. „Aber was ist das?“   „Hey! Gib' ihn zurück!“ Ray hechtete auf Tala zu, der seine Hand außer Gefahr brachte und böse gackernd aus dem Raum rannte. „Oh, Tala Ivanov, du wirst mir ganz bestimmt nicht meinen Beyblade wegnehmen!“, knurrte Ray und sprintete Tala hinterher.                                                                                                         „Was meinen Sie, Sie haben den Flug gecancelled!“, knurrte Kai in das Telefon.   „Haben Sie das Wetter draußen gesehen?“, erwiderte der Flugmanager am anderen Ende des Hörers.   Kai sah aus dem Fenster; dicke Wolken sammelten sich hoch droben und drohten mit einem Schneesturm, doch bisher fiel kein Flöckchen zur Erde. „Es schneit nicht!“, motzte er.   „Nun, hier schon“, sagte der Manager pompös, „alle Flüge wurden gecancelled.“   „Nun, wann werden Sie denn wieder fliegen?“, fragte Kai zornig.   „Nun, erstmal muss der der Schneesturm aufhören, und dann müssen wir die Bahnen vom Schnee befreien und dann-“   „Wie lange?“, wiederholte Kai mit tödlicher Stimme.   „Könnte bis zu einer Woche dauern.“   „Eine Woche!“, wiederholte Kai; er wollte, dass seine Freunde jetzt gingen; sie könnten in Gefahr sein. Er wusste nicht, was Boris vorhatte, und der Brief machte ihm Angst, auch wenn er es hasste, das zuzugeben.   „Es tut mir Leid, Sir, aber von hier startet nirgendwo ein Flugzeug hin.“   „Fick dich!“, knurrte Kai und knallte den Hörer auf die Gabel. „Das ist genau das, was ich brauche!“, wütete er. Er stolzierte in das Wohnzimmer und stürmte verärgert zum Fenster.   „Kai?“ Tyson trat vorsichtig ein, völlig mit Schnee bedeckt. Sie beide blickten in den Garten, wo sie sahen, wie Tala Ray gerade mit Drigger aufzog. Sie schauten zu, wie Ray einen Satz auf Talas Hand zu machte, dabei den Wolf rammte und sie beide damit gen Boden krachen ließ.   „Ist Tala nicht am Frieren?“, fragte Tyson, während er zusah, wie der Wolf nur mit einem Handtuch bekleidet im Schnee umherrollte.   „Es ist Tala“, antwortete Kai. Er knurrte leise in Frustration, wohl wissend, dass Boris diesen Schneesturm zu seinem Vorteil nutzen würde. Er musste sich etwas anderes ausdenken, um seine Freunde in Sicherheit zu wissen, sie konnten einfach nicht hier bleiben.                                                                                                         „Tala! Gib mir meinen Beyblade zurück!“, knurrte Ray, als er auf Tala umherkletterte und nach der Hand griff, die genannten Beyblade so grade außerhalb seiner Reichweit hielt.   „Aw, kleines Mietzekätzchen kommt nicht 'ran!“, gurrte Tala, um ihn zu ärgern.   „Gib ihn mir einfach wieder!“, schnappte Ray, während er bitterböse zu Tala heruntersah.   „Fühlst du dich schon unwohl?“, fragte Tala.   Rays Blick wurde noch finsterer.   „Weiß du, was wirklich cool ist?“, fuhr Tala fort, „Das Beste an dieser ganzen Geschichte ist, dass alle durch das Fenster zusehen, und alles, was ich trage, ist ein Handtuch. Hmm, ich frage mich, was sie wohl denken, wenn uns sie uns in dieser Verfassung so nah beieinander sehen.“   „Oh, halt's Maul!“, fauchte Ray, „und gib mir meinen verdammten Beyblade!“   „Keine Chance“, sagte Tala, während er Ray von sich herunter stieß und sich auf Ray rollte, um siegreich zu grinsen. Er lehnte sich weiter in Richtung Ray, der knallrot wurde und versuchte, seinen Giftblick aufrechtzuerhalten, während Tala sich weiter näherte. Ihre Lippen waren wenige Zentimeter voneinander entfernt, als Tala sich geschwind aufrichtete, den Beyblade in die Luft warf und wieder auffing. „Meins, denke ich.“ Er sprang auf und ging lässig in sein Zimmer, um das Handtuch mit echter Kleidung zu ersetzen.   Ray lag da im Schnee und fand sich beinahe wie ein Blöder grinsend wieder. „Ray Kon, du bist ein Narr“, schimpfte er seelenruhig, setzte sich auf und schaute zu den Gärten. „Aber er ist so heiß.“                                                                                                         „Ich möchte, dass du und die anderen in ein Hotel gehen“, sagte Kai leise zu Tyson, „ich will keinen Stress“, fuhr er fort und unterbandt damit Tysons Frage, bevor der die stellen konnte. „Geht einfach in ein Hotel, und Tyson, tu' bitte nur einmal im Leben das, was ich sage.“   Tyson schwieg für einen Moment. „Das hat 'was mit Boris zu tun, oder?“   Kai schaffte es gerade so, nicht hintüber zu fallen von dem Schock, dass Tyson etwas kluges gesagt hatte. „Bitte, Tyson, tu' es einfach für mich. Wann frage ich dich schon, etwas zu machen?“   Tyson war still, doch dann grinste er. „Inklusive all der Male, die du mich gebeten hast, auf der Straße zu spielen?“   Kai wurde vor einer Antwort auf diese Frage gerettet, als Bryan den Aufenthaltsraum betrat und Tyson ganz unzeremoniell körperlich aus dem Raum warf. Er griff Kai und drückte ihn gegen die Wand. „Und warum sind die Verlierer immer noch nicht weg?“, fragte er.   „Weil der Flug gecancelled wurde!“, antwortete Kai, „ich wette, Boris lacht sich gerade seine verfickte lila Perücke ab!“   Bryan grinste unheilverkündend. „Hat Geldjunge etwa schlechte Laune?“   „Glaub' ja nicht, dass du irgendwas von mir kriegst!“, schnappte Kai, genau wissend, was Bryan wollte.   „Ich mag es, wenn Geldjunge schlechte Laune hat.“ Bryan kam näher.   „Du bist verabscheuungswürdig!“, knurrte Kai.   „Aber du magst es“, sagte Bryan.   „Tu' ich nicht!“   „Lügner.“ Bryan sperrte Kai zwischen ihm selbst und der Wand ein und erwiderte den tödlichen Blick der roten Augen, die ein Loch in die Atmosphäre brennen konnten, mit einem breiten Grinsen.   „Geh' weg!“, sagte Kai.   Bryan zuckte mit den Schultern. „Okay.“ Er entfernte sich von Kai, der ihn gleich wieder zurückzog.   „Wag' es ja nicht, jetzt einfach wegzugehen!“, grollte Kai.   Bryans böses Grinsen hatte etwas siegreiches, als er seine Lippen gegen Kais presste. Der Phönix schlag seine Arme um Bryans Hals und seufzte auf, als Bryan seinen Hals küsste.   Und dann betrat Tala den Raum. Sowohl Bryan als auch Kai sprangen auseinander, als hätten sie sich verbrannt. Sie wirbelten herum, um den Wolf anzusehen, von dem sich sicher waren, dass er sie anstartte. Allerdings machte er nichts dergleichen, er zog gerade ein Hemd an, während er in die Zeitung schaute. Kai war überzeugt, dass er sie nicht gesehen hatte, aber wenn Bryan nicht den Mund halten konnte, war ihr Geheimnis so oder so offenbart. Er sandte Bryan einen wilden Blick, den der Falke schlicht ignorierte.   „Was willst du?“, fragte Bryan knapp.   Tala sah zum ersten Mal auf. „Tut mir Leid, wenn man hier nicht einen Raum betreten darf!“, fauchte er zurück, während Kai hinter ihm eine 'Halt deine gottverdammte Fresse!' Geste in Richtung Bryan machte.   „Schonmal was von klopfen gehört?“, sagte Bryan, „soll ganz modern sein.“   Kai, der sah, dass die Situation so langsam aus dem Ruder lief, sagte: „Gibt's ein Problem?“   Tala blickte zu ihm. „Ich werde mich auf das Sofa setzen, außer, ich muss erst eine Erlaubnis dafür unterschreiben!“   „Warum kannst du nicht gehen und dich auf eine andere Couch setzen?“, fragte Bryan mit einem Grollen.   Tala schaute ihne finster an. „Was ist das Problem mit diesem hier?“ Er ließ sich herausfordernd auf das genannte Sofa fallen.   „Nichts, außer, dass es in diesem Raum steht“, erwiderte Bryan knapp.   Kai schloss die Augen; wenn Tala und Bryan einen solchen Streit vom Zaun brachen, dann konnte niemand sie mehr aufhalten, und es war immer Tala, der den letzten schlauen Kommentar abgab und Bryan, der den Streit dadurch verlor, dass er etwas dummes sagte.   „Bryan, hör' auf, mich anzufahren“, sagte Tala, „wenn du deinen Freund so sehr ficken willst, dann mach' es in einem der Schlafzimmer.“   Sowohl Bryan und Kai starrten ihn mit vor Erstaunen großen Augen an.   „Ich bin nicht sein Freund!“ Die Worte wichen aus Kais Mund, bevor er sie aufhalten konnte, und er fluchte innerlich, als er merkte, dass er gerade in eine Falle getappt war.   Tala wandte seine eisigen, azurfarbenen Augen langsam zu Kai und sagte ruhig, bedächtig: „Ich habe nicht gesagt, dass du sein Freund bist.“ Kapitel 11: Doppelgedanken -------------------------- „Wie kann ich Ihnen helfen, die Herren und die Dame?“, fragte der Mensch an der Rezeption des 'Golden Hotel'.   „Wir sind hier, um einzuchecken“, antwortete Hilary, die sich ihren Weg durch die Jungs bahnte, um an den Tresen zu gelangen.   „Sicher“, lächelte der Angestellte, „wenn Sie mir nur bitte ihre Reisepässe zur Identifikation geben würden.“   „Oh, nein“, murmelte Ray, als ihm etwas durch den Kopf schoss.   „Problem?“, fragte Max.   „Ich hab' meinen Reisepass nicht“, antwortete Ray, „er ist der Tasche der Jeans, die Tala mir weggenommen hat.“   „Warum hat Tala dir eine Jeans weggenommen?“, wunderte sich Kenny.   „Lange Geschichte“, sagte Ray, als er seine Taschen abstellte, „passt auf die für mich auf, ich geh' eben zurück und hol' ihn. Wird nicht lang' dauern.“                                                                                                               „Du wusstest es?“, fragte Kai, nicht ganz sicher, was er fühlen sollte.   „Ja“, sagte Tala mit einem Funkeln in den Augen, „ihr musstet es mir nicht sagen, ich hab's auch so bemerkt, dass ihr ständig aneinander geklebt habt.“   „Ich hatte vor, es dir zu sagen“, sagte Kai.   „Wann?“, fragte Tala, „morgen? Nächstes Jahr? Letzte Woche? Wann wolltest du es mir sagen, Kai?“ Sein Blick wanderte zu Bryan. „Und was dich angeht; ich dachte, du hasst Kai.“   „Tu' ich auch“, antwortete Bryan, der sich zum ersten Mal im Leben so fühlte, als gehöre er hier nicht hin und Tala nicht in die Augen sehen konnte.   „Nun, dann hast du aber 'ne ziemlich seltsame Art, das zu zeigen.“ Talas Augen verengten sich kaum merklich. „All die Male in der Abtei, in der ich dich davon abhalten musste, den Hiwatari Jungen windelweich zu prügeln! Was ist mit dem einen Mal, wo du kurz davor warst, ihn zu töten?“   „Du bist der, der mir die ganze Zeit sagt, ich solle mich von meiner Vergangenheit lösen“, murmelte Bryan, genervt davon, dass er derjenige war, der sich schuldig fühlen sollte.   „Und was ist mit Tony?“, fragte Tala, „Hast du ihn ganz vergessen?“   Bryan spießte ihn mit seinen Blicken auf, aber es war zu spät, Kai hatte ihn gehört. „Wer ist Tony?“, fragte der Phönix leise.   Tala grinst hämisch. „Ich sag' dir, wer Tony ist-“   „Tala!“, zischte Bryan.   „Tony ist der, der am nächsten dran war, für Bryan so etwas wie ein Bruder zu sein; Tony ist, wie wir, in der Abtei aufgewachsen“, erzählte Tala Kai, Bryan ignorierend, „er meinte immer zu Bryan, dass er netter zu dir sein sollte, weil es nicht deine Schuld war, dass du Voltaires Enkel bist. Und dann, eines Tages, hast du dich dazu entschlossen, dumm zu sein und Black Dranzer zu klauen. Es war Tony, der dich davor gerettet hat, getötet zu werden. Er wurde dabei verletzt und ist ein paar Tage später gestorben.“   Stille empfing diese Information, als Kais Augen sich weiteten. Er schaute zu Bryan, suchte nach einer Reaktion, aber alles, was der Falke tat, war zu versuchen, Tala mit seinen Blick zu zerfetzen. Aber der Wolf schien ziemlich desinteressiert, da er nur böse zurück guckte, bevor er aus dem Raum spazierte, die Tür hinter sich zuknallend.   „Bryan, sag etwas“, sagte Kai leise, „ist es wahr? War das Tony?“   Bryan sagte nichts, als er aus dem Raum marschierte und das Foyer nach Tala absuchte. Er erblickte den Wolf, als der gerade die Treppen hochging, und drei Stufen auf einmal nehmend, packte er Tala und warf den Wolf zu Boden.   „Du verdammter Bastard!“, grollte Bryan und schlug Tala.   Tala trat zurück und wandt sich aus Bryans Griff. „Was ist mit dir?“, rief er zurück, „du hast mir jahrelang die Schuld dafür gegeben, dass ich Kai dir vorziehen würde! Du hast gesagt, ich würde ihn mehr mögen, als ich dich mag! Du hast mich dafür gehasst, dass ich Kai zu meinem Partner in Teamkämpfen gemacht habe, und nicht dich! Gott weiß, für wie viele verdammte Jahre du Kai Hiwatari gehasst hast! Du hast von dem Tag geträumt, an dem du ihm von Tony erzählen würdest! Und jedes Mal habe ich dich davon abgehalten, Kai grün und blau zu schlagen!“   „ICH WAR EIN KIND, IVANOV!“, brüllte Bryan, „Kinder kommen über Dinge hinweg! Ich bin drüber hinweg!“   „Oh ja, das bist du, klar“, Tala musste fast lachen, „also, wie lange fickst du ihn schon, Kuznetsov? Ich wette, seitdem Voltaire dir aufgetragen hat, ihn zu töten! Ich wette, Voltaire war wirklich zufrieden mit dir am Ende!“   „Was ist dein Problem, Tala?“, fragte Bryan wie ein Wilder, „neidisch, weil ich ihn flachlege und du nicht?“   Dieses Mal lachte Tala tatsächlich. „Du kannst ihn solange knallen, bis die Kühe heimkehren, das interessiert mich kein Stück! Erwarte nur nicht von mir, Mitleid mit dir zu haben, wenn er keinen Bock mehr auf dich hat!“   Bryan guckte ihn finster an. „Wirst du mir auch sagen, was du damit meinst?“   „Leute haben irgendwann keine Lust mehr auf dich, Bryan!“, verspottete Tala ihn, „Boris hat dich nicht einmal mehr angesehen, nachdem Kon dich geschlagen hat! Voltaire hatte keinen Bock mehr auf dich, weil du die ganze Zeit unsere Trainer verprügelt hast! Und was Ray angeht, sogar der hat keine Lust mehr, die Geschichte über seinen größten Triumph zu erzählen!“   Bryan schlug ihn, wodurch Tala nach hinten fiel. Der Wolf ging zu Boden und hielt sich die Nase. Bryan schaute Tala kalt an; sie hatten sich in der Vergangenheit gestritten, es war noch nie ein Tag vergangen, an dem sie nicht irgendeine Art von Auseinandersetzung gehabt hatten, aber das hier. Jetzt, in diesem Moment, hasste Bryan Tala. Sein Zorn war größer als jegliche Wut, die er bisher gespürt hatte. Was ihn anging, hatte Tala ihm gerade Kai weggenommen und dafür hasste er Tala. Er drückte sich an dem Wolf vorbei, als Tala aufstand, und stürmte in sein Zimmer, die Tür heftig hinter sich zuknallend.                                                                                                               Ray hüpfte aus dem Taxi und rannte die Treppen zur Eingangstür des Hiwatari Anwesens hoch; dieses Mal würde es keine Spielchen geben. Ray würde seinen Beyblade und seinen Reisepass zurückholen, ob Tala wollte oder nicht. Die Tür öffnete sich und Bryans Lieblingsbediensteter lugte zur Tür heraus. Als er sah, dass es Ray war, warf er die Tür auf und seine Arme um Rays Hals.   „Wow, wenn ich gewusst hätte, dass ich so begrüßt werde, hätte ich Blumen mitgebracht“, sagte Ray ziemlich überrascht.   „Ich bin so froh, dass Sie hier sind!“, stammelte der Diener, „ich sollte Ihnen das eigentlich nicht sagen und ich werde dafür gefeuert, aber was soll's. Master Kai hatte eine Affäre mit Master Bryan und jetzt nicht mehr.“   Ray hielt einen Moment inne, als der Diener den Neko-Jin dicht an seine Brust presste und jämmerlich weinte.   „Okay.“ Ray entfernte sich ein wenig von dem Mann, bevor der ihn komplett vollheulte. „Erzähl' mir ganz langsam, was passiert ist.“   „Master Bryan und Master Kai waren im Wohnzimmer und kurz davor ihr... Ding zu machen und-“   „Ihr Ding zu machen?“, fragte Ray verdutzt.   „Sie wissen schon, Ding! Was Menschen machen, wenn sie...“ Der Diener wedelte mit der Hand und sah peinlich berührt aus. „Wenn zwei Menschen zusammen sind... normalerweise macht man dabei Kinder, aber nur, wenn 'ne Frau mitmacht.“   „Oh, richtig“, sagte Ray und warf dem Kerl einen seltsamen Blick zu, „red' weiter.“   „Jedenfalls, Master Bryan und Master Kai waren gerade dabei, ihr Ding zu machen, aber dann ist Master Tala reingekommen und jetzt sind alle ganz sauer und aufgeregt! Und Master Kai ist unglücklich, nicht, dass er sonst wirklich glücklich ist, oder zumindest zeigt er es nicht, wenn er glücklich ist, weil er nicht lächelt, und-“   „Whoa!“ Ray hob seine Hand. „Okay, hab' verstanden. Wo ist Kai?“   „Im Wohnzimmer! Und überlegt, seine Sorgen in einem Glas Wasser zu ertränken!“ Der Diener zeigte theatralisch auf eine geschlossene Tür, zu welcher Ray zügig ging und sie mit einem vorsichtigen Klopfen öffnete.                                                                                                               Kai saß auf dem Sofa. Er befand sich an einem sehr schwarzen Ort. Warum hatte Bryan es ihm nie gesagt? Wie hatte er das nicht wissen können? Er erinnerte sich nicht einmal an den Tag; er war in seinen Gedanken ganz vernebelt. Oft hatte er darüber nachgedacht, aber alles, was er noch wusste, war der dunkle, einsame Raum, in dem er zwei Tage als Strafe für sein Vergehen gesessen hatte. Er erinnerte sich, dass er nicht verstanden hatte, welches Vergehen er begangen hatte, er hatte nur den schwarzen Phönix in all seiner Pracht sehen wollen.   Jetzt verstand er, warum Bryan ihn all diese Jahre gehasst hatte; er hatte Kai für das, was er getan hatte, brennen sehen wollen. Kai ließ den Kopf hängen; seine scharfen, roten Augen hatten ihren Glanz verloren. Er wusste, er würde Bryan niemals wieder gegenüber treten können in dem Wissen, was er ihm vor all den Jahren angetan hatte. Selbst wenn Bryan ihm mittlerweile vergeben hatte, Kai konnte sich selbst nicht verzeihen; wegen ihm, wegen seiner Gier, war ein Mensch gestorben.   „Kai?“, Rays leise Stimme klingelte rang laut durch Kais wirbelnde Gedanken, aber er wollte den Tiger nicht anschauen.   „Lass mich allein, Ray“, wisperte Kai.   Ray ging zu der vornübergebeugten Figur und kniete sich vor ihr hin. Er schaute zu Kai hoch, seine goldenen Augen voller Emotionen. „Kai, ich möchte, dass du mich ansiehst“, flüsterte er, „nur für einen Moment, und dann geh' ich wieder.“   Kai schaute ihn nicht; er konnte ihn nicht anschauen, Ray war so ein guter Mensch und so nett und er würde nicht verstehen, wie es sich anfühlte, jemand anderem Leid zuzufügen.   „Schau mich an“, wiederholte Ray, „bitte.“   Kai drehte den Kopf weg, als Ray sich in sein Sichtfeld begab.   Ray seufzte geräuschlos und sah in Kais Gesicht. „Wirst du mir erzählen, was passiert ist?“   „Nein.“   „Bitte, Kai, ich möchte helfen.“   „Lass mich einfach allein.“   „Bist du sicher?“   Kai nickte nur und sagte nichts. Ray richtete sich auf und blickte hinab auf den Phönix. „Was auch immer passiert ist, Kai, es macht dich nicht zum schlechten Menschen.“ Als er keine Antwort erhielt, drehte er sich um, wohl wissend, dass er gerade nichts aus Kai herauskriegen würde, und ging zur Tür. „Wenn du reden möchtest, meld' dich einfach“, fügte er hinzu bevor er sanft die Tür schloss.                                                                                                               Tala war in seinem Zimmer am Fenster, als Ray klopfte und sich selbst einließ.   „Raus hier“, sagte Tala.   „Gib mir mein Zeug wieder“, konterte Ray. Er warf einen bösen Blick zu Tala. „Keine Spielchen mehr, Tala, gib es mir einfach wieder.“   „Sonst?“, höhnte Tala.   „Sonst durchwühl' ich alles.“ Ray runzelte die Stirn.   „Viel Spaß, du wirst es nicht finden.“ Tala schaute zu, wie Ray bloß mit den Schultern zuckte und dann sein Zimmer auf den Kopf stellte, während er nach seinen Sachen suchte. Ray durchstöberte Talas Schubladen, nahm das Bett auseinander und schaute auch da nach, er durchsuchte die Schränke und einige Kisten und er stülpte sogar Talas Badezimmer um. Tala beobachtete all dies mit spöttischer Belustigung, während Ray immer gereizter wurde.   „Du bist nicht mal nah dran“, ärgerte Tala ihn, während Ray unter dem Bett wühlte.   „Was hast du dann damit gemacht?“, fauchte Ray.   „Sag' ich nicht.“ Tala grinste hämisch. „Du bleibst hier und machst weiter, ich hab' Dinge zu erledigen.“   Er verließ den Raum und ging den Flur hinab.                                                                                                               Er hielt inne, als ein Diener an Bryans Tür klopfte. Die Tür wurde geöffnet und Tala erhaschte einen kurzen Blick auf Bryans blasse, scharfe Gesichtszüge. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, und Bryan knurrte giftig, als der Bedienstete den Raum betrat und knallte die Tür in Talas Gesicht zu, sodass der Falke außer Sicht war.   Tala setzte seinen Weg durch den Korridor fort, vorbei an Dienern, die sich Dinge zuflüsterten, als er an ihnen vorbei ging. Er zerschmetterte einen Blumentopf auf dem Kopf eines von ihnen, um ihn zum Schweigen zu bringen, aber es interessierte ihn nicht wirklich, was sie dachten. Die Treppen runter schreitend stoppte er kurz bei dem Aufenthaltsraum, er spürte Kais Präsenz auf der anderen Seite der Tür. Er hielt für einige Sekunden mit einem nachdenklichen Ausdruck inne, doch dann verließ er das Anwesen und ging die Stufen hinab zu dem Taxi, das auf Ray wartete.   „Du kannst gehen“, befahl Tala, als er zur Seite des Fahrers ging.   Der Fahrer sah verwirrt aus. „Er hat gesagt, ich soll auf ihn warten, egal, wie lange es dauert.“   „Mr. Kon hat sich entschieden, die Nacht zu bleiben. Mr. Hiwatari ist etwas furchtbares zugestoßen und Mr. Kon möchte bei seinem Freund bleiben“, sagte Tala geschmeidig.   Der Fahrer zuckte mit den Schultern. „Schön, dann bin ich also frei, aber wer bezahlt mich?“   Tala zog ein Bündel Scheine hervor. „Wie viel schuldet er dir? Ich werd' für ihn zahlen.“   Der Fahrer sagte es ihm und Tala sah dabei zu, wie der Fahrer durch die Einfahrt verschwand. Sobald das Taxi das Hiwatari Anwesen verlassen hatte, ging er selbst durch die Einfahrt, bis er das Haupttor erreichte.                                                                                                               Als er beim Haupttor ankam, wandt Tala sich nach links, wo ein großes, schwarzes Auto auf ihn wartete. Auf den Rücksitz kletternd, wartete Tala bis das Auto wieder losfuhr, bevor er zu sprechen begann.   „Ich hab' mich drum gekümmert.“   „Kuznetsov und Hiwatari sind nicht mehr zusammen?“   „Nein“, antwortete Tala.   „Exzellent.“ Boris machte ein Geräusch des Ekels. „Männer, die miteinander schlafen. Es widert mich an.“   Tala sagte nichts, als der Fahrer vorne eine Kurve machte.   Boris lächelte sein böswilliges Lächeln. „Voltaire war ein törichter Mann, wenn er dachte, er könnte seinen Enkel kontrollieren. Er hatte nicht mehr Kontrolle über Kai, als über Kais Mutter, aber ich bin anders. Kai wird nicht wissen, wo er sich verstecken soll, und sobald Bryan das Anwesen verlassen hat, wird Kai alleine und schutzlos sein."   „Bryan ist bereits am Packen“, sagte Tala, „es wird nicht mehr lange dauern.“   „Hervorragend.“ Boris wandte seinen Blick zur Seite, auf Tala. „Das hast du gut gemacht, Tala, wie immer. Deine Schauspielerei über die letzten Jahre war beispiellos, und keine Angst, du sollst eine Belohnung für deine Loyalität kriegen.“   „Was auch immer mein Herr sagt“, erwiderte Tala leise.   „Nun soll ich meine Rache an Kai kriegen, und da alle weg sind, inklusive dieser neugierigen Bladebreakers, gibt es nichts, was er machen kann.“   „Was ist mit Kon?“, fragte Tala.   Boris runzelte die Stirn. „Ich dachte, er wäre mit den anderen zum Hotel gegangen.“   „Er ist zurückgekommen, er musste noch nach ein paar seiner Sachen suchen.“   Boris verdrehte die Augen. „Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst keine Spielchen treiben mit Ray, das führt nur zu Ärger.“   „Was soll ich mit ihm machen?“, fragte Tala, Boris' Kommentar ignorierend.   Boris dachte darüber nach und sein Lächeln kehrte zurück. „Bring' ihn zu mir. Ich bin, so wie du, von diesem Neko-Jin fasziniert. Es muss einen Grund geben, weswegen er Bryan vor all den Jahren besiegen konnte. Alle dachten, Bryan würde gewinnen, Ray hatte keine Chance, und trotzdem hat er gewonnen. Ja, bring' ihn zu mir, und nachdem ich die Welt von Kai Hiwatari befreit habe, werde ich den Grund für sein Geheimnis kennen.“   Das Auto blieb erneut vor dem Hiwatari Anwesen stehen und Tala stieg aus.   „Und Tala-“   Tala drehte sich um.   „Kai darf dich nicht verdächtigen.“   „Ja, Sir.“ Tala ging zurück in das Hiwatari Anwesen, die Wachhunde anknurrend, als er an ihnen vorbei schritt. Kapitel 12: Ein blutrünstiger Soldat ------------------------------------ Kai ging zur Tür, erstarrte aber, als er Bryan die Treppe herunterkommen sah, mit einem Bediensteten, der eine Tasche in der Hand hielt, dicht hinter ihm. Er sah hoch zu der starken, muskulösen Person mit den blassen Augen. Er wandte den Blick abrupt ab, als Bryan aufsah und ihn erblickte; er wusste nicht, was er sagen sollte. Was machte Bryan bloß mit ihm? Bryan war der einzige Mensch auf der Welt, der ihn in dem, was er sagen oder tun wollte, verunsicherte. Bryan blieb direkt vor Kai stehen und guckte den Phönix an, darauf wartend, dass er sagte, was auch immer er loswerden wollte.   „Warum hast du es mir nie gesagt?“, fragte Kai.   Bryan schwieg für eine lange Zeit; er betrachtete den Menschen, den er so lange gehasst hatte. Er erinnerte sich an die Zeit, in der er freudig Kai getötet hätte, aber all das hatte sich geändert. Der Phönix hatte etwas an sich, das Bryans Aufmerksamkeit einfing. Die rubinroten Augen, die schlanke, athletische Gestalt, das feurige Temperament und die Art, auf die Kai ihn ansah. „Es war meine Entscheidung, ob ich es dir sage oder nicht, und ich habe mich dazu entschieden, es nicht zu tun“, antwortete er.   „Aber irgendwann musst du mal gewollt haben, es mir zu sagen“, sagte Kai, „warum hast du's nie?“   Bryan antwortete nicht, aber Kai konnte sich den Grund denken.   „Tala“, sagte er leise und Bryan nickte. Er sah nun in Bryans Augen. „Wie kann ich mich mit jemanden treffen, wenn ich eine Person getötet habe, die ihm nahe stand?“, flüsterte er, „das Wissen, dass ich jemanden zerstört habe, würde nie aus meinem Kopf verschwinden.“   „Und deswegen gehe ich, Geldjunge“, sagte Bryan abrupt, als er direkt an Kai vorbei ging, dem Diener die Tasche abnahm und das Anwesen verließ.   Kai hielt ihn nicht auf.                                                                                                               Tala schlich zum hinteren Teil des Anwesens, er wollte noch nicht gesehen werden, ging eine der Treppen für die Angstellten hoch und eilte durch zwei Korridore, bevor er bei seinem Zimmer ankam. Die Tür stand noch immer offen und er konnte hören, wie Ray nach wie vor all seine Sachen durchwühlte.   Ray saß auf Talas Bett und knurrte hitzig; er hatte seinen Beyblade gefunden, was ihn schon einmal tierisch erleichterte. Er konnte kaum glauben, dass er ohne aus dem Hiwatari Anwesen gegangen war, und hatte die letzten zehn Minuten damit verbracht, durch Talas Kleidung zu stöbern und sich gleichzeitig pausenlos bei Drigger zu entschuldigen.   Aber seinen Reisepass hatte er immer noch nicht gefunden und das kotzte ihn an; er vermutete, dass Tala ihn hatte, also hatte er entschieden, auf den Wolf zu warten, schließlich würde Tala wohl kaum das Land ohne Wolborg verlassen. Er schaute nun auf diesen Beyblade; es war so anders als sein eigener, das Metall leuchtete in einem grausamen weiß, während Wolborg im Zentrum darauf wartete, ihrem Meister zu dienen.   Er drehte sich um, als jemand den Raum betrat. Tala stand in der Tür und sofort wusste Ray, dass irgendetwas falsch war. Er stand auf und wandt sich um, um Tala ins Gesicht zu sehen. Es war der Ausdruck in Talas Augen und Worte, die er zu Kai gesagt hatte, hallten durch seinen Kopf.   „Weil es mir Angst macht, wenn ich in seine Augen schaue“, flüsterte Ray, „und ich weiß nicht, was er als nächstes vorhat.“   Es war genau dieser Ausdruck in Talas Augen, der Ray Angst machte, nun war er wild und gefühllos.   „Tala?“ Ray trat einen Schritt zurück.   „Dein Zeug schon gefunden?“, fragte Tala mit einem kalten, höhnischen Grinsen.   „Ich hab' meinen Beyblade gefunden“, murmelte Ray, als er nach dem Griff für die Balkontür tastete.   „Na, hier ist dein Reisepass“, sagte Tala, während er jenen aus seiner Tasche zog. Er grinste wieder. „Hab' doch gesagt, du findest ihn nicht.“   „Kann ich ihn wiederhaben?“, fragte Ray, als Tala langsam in seine Richtung ging.   „Das denke ich nicht.“ Tala stellte sich aufrecht vor Ray hin. „Noch nicht, zumindest.“   Sie standen für einen Moment da und starrten einander ins Gesicht; Ray konnte spüren, wie Talas Augen sich in ihn reinbohrten mit eben jenem kalten Ausdruck.   „Was ist mit Kai passiert?“, fragte der Neko-Jin.   „Ihm wurde 'ne unschöne Wahrheit präsentiert“, antwortete Tala, „ein dunkles, unbekanntes Geheimnis seiner Vergangenheit.“   „Zweifellos von dir offenbart.“   Tala schnaubte. „Naja, Bryan wollte es nicht sagen, nicht, solange er Kai noch ficken konnte.“   „Du hast dich also zwischen sie gestellt?“, fragte Ray mit einem unheilverkündendem Blick, „das war absolut nicht nötig!“   „Du kanntest ihr kleines Geheimnis also.“ Tala sperrte Ray ein, sodass der Tiger am Glas der Balkontür gefangen war. „Und du hast ihnen deinen Segen gegeben?“   „Es lag nicht an mir, das zu kommentieren.“   „Wie unheimlich großzügig von dir“, spottete Tala, „Boris war nicht so zuvorkommend.“   Ray Augen wurden groß. „Boris! Du arbeitest wieder für Boris!“   Tala lachte. „Ich habe nie aufgehört, für Boris zu arbeiten.“   „Aber was ist mit Kai? Und mit BEGA? Du hast es gehasst, als Boris zurückgekommen ist, um BEGA zu gründen!“   „Ich habe gesagt, ich würde es hassen, aber eigentlich war es mir egal.“ Tala lehnte sich zu Ray.   „Aber was ist mit Kai? Weiß er, dass du für Boris arbeitest?“   „Bist du bescheuert? Natürlich nicht, glaubst du, Kai hätte mich in sein Heim gelassen, wenn er es gewusst hätte?“   „Aber...“ Ray kämpfte darum, etwas zu sagen, während er versuchte, mit der Situation klarzukommen. Doch dann schaute er zu Tala auf und war unfähig, seine Angst zu verstecken. „Warum erzählst du mir das alles?“   „Weil ich dein Gesicht sehen wollte“, erwiderte Tala und lächelte grausam. „Also, jetzt wirst du mit mir kommen, denn Boris will dich.“   „Nein!“ Ray krachte durch die Balkontüren und rannte zum Rand des Balkons, panisch nach einem Fluchtweg suchend. Er hatte keine Zeit. Tala packte ihn an der Hüfte und warf ihn gegen die Wand.   „Kai!“, Ray spürte, wie sein Kopf gegen die Steinwand schlug und wusste nichts mehr...   Den Neko-Jin aufhebend, trug Tala Ray zum Bett und legte ihn darauf ab. Er überprüfte den Puls, der noch immer kräftig war. Der Neko-Jin war komplett weggetreten, aber um sicherzugehen, holte Tala eine Spritze, die mit eine Schlafmittel gefüllt war, hervor. Er stach sie in Rays Haut und warf die Spritze dann zusammen mit Rays Reisepass in den Mülleimer und verließ den Raum. Da war noch eine Sache, die er machen musste, bevor er Ray zu Boris brachte.                                                                                                               Kai lehnte sich gegen den Türrahmen des Aufenthaltsraumes und schaute zum Haupteingang, durch den vor wenigen Minuten Bryan rausgegangen war. Um ihn herum gingen die Bediensteten ihren täglichen Geschäften nach, und jeder einzelne von ihnen vermied es, ihrem Arbeitgeber in die Augen zu sehen. Kai war es egal; es war ihm egal, was sie von ihm dachten.   „Kai.“   Kai schaute nicht auf, als er hörte, wie Tala die Treppe hinabging.   „Schau mich an.“ Tala stellte sich direkt vor Kai und wartete, dass der hochblickte und ihn anschaute. „Vergib mir“, flüsterte Tala.   Kai schickte ihm einen tödlichen Blick. „Niemals“, knurrte er, „du hattest kein Recht, das zu tun, was du getan hast!“   „Ich weiß.“ Tala schaute auf den Boden. „Du hast Recht damit, sauer zu sein.“   Kais Augen füllten sich mit Wut. „Geh mir aus den Augen, Ivanov!“   Tala nickte und begann langsam, die Treppen wieder hochzugehen.   „Hast du Ray sein Zeug wiedergegeben?“, fragte Kai kalt.   „Natürlich“, sagte Tala, „Kon ist vor ein paar Minuten gegangen, er wird schon wieder beim Hotel sein.“   „Gut“, sagte Kai, „und ich sag' das jetzt zum letzten Mal, Tala. Lass Ray zufrieden.“   „Natürlich“, sagte Tala, bevor er sich erneut daran machte, die Treppen zu erklimmen.   „Ich will, dass du mein Grundstück verlässt!“, rief Kai ihm nach.   Tala kehrte zu seinem Zimmer zurück. Er hielt beim Bett inne und blickte hinab auf den schlafenden Tiger. Die feinen, schwarzen Strähnen waren ihm ins Gesicht gefallen. Die leicht gebräunte Haut war unversehrt, abgesehen von dem fast verheilten Kratzer an der Seite seines Gesichts und die großen, goldenen Augen waren in entspanntem Schlaf geschlossen. Rays Kopf anhebend, glitt Tala mit einer Hand zum Hinterkopf des Neko-Jin. Die Wunde dort war nicht ernst und die Blutung hatte gestoppt. Nachdem er sichergestellt hatte, dass er keine anderen Verletzungen hatte, und dass er nicht in unmittelbarer Gefahr war, im Schlaf zu sterben, hob Tala ihn auf seine Arme und verließ den Raum. Wieder schlich er durch den Hintereingang und über die Angestelltentreppen nach draußen, ohne, dass ihn jemand sah.                                                                                                               „Ich will, dass alle verschwinden“, befahl Kai und zeigte auf die Tür. „Jetzt.“   Er schaute zu und wartete, dass all seine Bediensteten mit verschiedenen Ausdrücken des Mitgefühls und der Verwirrung, das hing davon ab, ob sie gesehen hatten, wie Bryan ging, sein Grundstück verließen. Aber Kai ignorierte sie alle und als der letzte von ihnen weg war, verschloss er die Tür. Er ging zurück in den Aufenthaltsraum, wo Kai einfach auf dem Sofa zusammenbrach und seine Augen schloss. Er wünschte sich, dass Tala nicht mitten bei ihm und Bryan reinmarschiert wäre. Er wollte den Falken sehen, aber ein Teil von ihm konnte Bryan nicht ins Gesicht schauen, nicht mehr, wo er jetzt wusste, was er wusste.   „Scheiß auf die Welt“, murmelte er. In seiner Dunkelheit versuchte er sich an jemanden zu erinnern, den er nie gekannt hatte. Wie war dieser Tony gewesen? Er musste etwas anderes gewesen sonst, wenn er Bryan so nahe gestanden hatte, war er also auch so gewalttätig gewesen? Kai versuchte, sich ihn vorzustellen, war er schlank gewesen? Fett? Dünn? Knochig? Sexy? Hässlich? War er genauso aufgewachsen, wie der Rest von ihnen? Warum hatte er Kai an diesem Tag gerettet? Hatte man es ihm gesagt? Oder war er ein guter Mensch mit starkem Geist gewesen, den die Abtei nie hatte brechen können?                                                                                                               Bryan wanderte durch die Straßen mit seiner Tasche in einer Hand. Menschen drückten sich in der beschäftigen Straße an ihm vorbei, und er schubste sie zurück, nicht interessiert daran, ob sie auf die Straße fielen oder nicht. Zorn brannte in seinem Inneren, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Tala hatte es tatsächlich geschafft, das bisschen Freude, das Bryan im Leben hatte, zu ruinieren, und Bryan sollte verdammt sein, wenn er Tala damit durchkommen ließe. Der Wolf durfte was erleben und vergiss die Tatsache, dass Tala Bryans engster Freund gewesen war. Bryan hatte keine Freunde und brauchte auch keine.   Das einzige, das ihn störte, war der ihm unbekannte Grund, weswegen Tala über Tony gesprochen hatte; vor Jahren hatte er einen Pakt mit Bryan geschlossen, dass er es niemals verraten würde, und dennoch waren diese simplen Worte aus dem Mund des Wolfs geschlüpft, ohne dass dieser überhaupt versucht hätte, sie aufzuhalten. Bryan verstand nicht; es störte ihn, dass der nicht begreifen konnte, warum Tala etwas getan hatte, von dem er versprochen hatte, es niemals zu tun. Bryan erinnerte sich noch glasklar daran, dass er gesagt hatte, dass es Bryans Entscheidung war, ob Kai von Tony erfahren sollte, und dass er, Tala, es niemals sagen und die Entscheidung Bryan damit abnehmen würde. Das war etwas ganz neues, denn über Jahre hinweg hatte Tala Bryan verboten, Kai davon zu erzählen, aber vor ein paar Tagen hatte der Wolf seine Meinung geändert. Bryan versuchte, den Grund für diesen Sinneswandel herauszufinden, aber nichts schien seine Frage beantworten zu können.   Bryan knurrte, als die gleiche Frage durch seinen Kopf wirbelte; nichts hatte ihn mehr so sehr beschäftigt, seit er versucht hatte zu verstehen, warum Ray ihn besiegt hatt. Es nervte ihn, dass er nicht begriff, und es bereitete ihm Kopfschmerzen, sich die ganze Zeit schweigend Fragen zu stellen.   „Ich werd' schon so schlimm wie Geldjunge mit seiner ganzen blöden Fragerei“, grummelte er.   Und was war mit Kai? Was sollte Bryan nun machen? Kai würde ihn niemals auch nur anschauen, nicht jetzt, wo der Phönix sich selbst die Schuld an Tonys Tod gab. Das war das Problem mit Gewissen; sie brachten einem nur Ärger. Bryan wusste, dass er gerissen war, aber er hatte kein Gewissen und musste sich deshalb auch nie wegen irgendwas Vorwürfe machen. Eine Sehnsucht baute sich in Bryan auf und er war sich nicht sicher, warum; er wollte seinen Phönix. Er erinnerte sich an die roten Augen und die blasse Haut.   „Nun, Bryan, es ist eine Freude, zu sehen, dass du auch mal an der Sonne bist.“   Bryan hielt inne, drehte sich aber nicht rum. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter ihm stand. Er kannte die Stimme wie seine Handfläche. Was er jedoch nicht wusste, war, warum Boris direkt hinter ihm stand.                                                                                                               Als Tala in die Abtei ging mit einem noch immer schlafenden Ray auf dem Arm, ging er direkt zu Boris' Büro und war überrascht, als er sah, dass es nicht Boris war, der in dem Bürostuhl saß. Matthew Hiwatari, Kai Hiwataris Vater, schenkte Tala ein kaltes Lächeln. „Also hat sich der Wolf nie von seinem Herrchen befreit.“   „Boris ist nicht mein Herr“, sagte Tala, „Was machen Sie hier?“   „Boris und ich haben ein Geschäft am Laufen“, sagte Matthew knapp. „Aber genug davon. Welche Geschenke hast du Boris mitgebracht?“ Er schaute zu, wie Tala Ray auf dem Stuhl absetzte. „Er ist hübsch, nicht wahr? Solche eine Schande, dass Boris ihn ruinieren will.“   „Was Boris plant geht Sie nichts an.“ Tala stellte sich vor Matthew und blockierte damit dessen Sicht auf Ray. „Ray gehört jetzt ihm.“   Matthew Lächeln wuchs. „Du bist wirklich ein Verräter, nicht wahr? Ich bin neugierig, zu sehen, was du machen wirst, sobald Kai 'rausfindet, dass du Ray geklaut hast?“   „Was macht Sie so sicher, dass Kai wissen wird, dass ich es war?“ fragte Tala mit einem höhnischen Grinsen in Richtung Matthew; er hasste diesen Mann so sehr.   „Oh, du weißt genauso gut wie ich, dass Kai gerade zwar im Dunkeln tappen mag, aber das wird nicht lange anhalten. Bald wird Kai wissen, dass du sie alle verraten hast und er wird nach dir suchen. Er wird dich töten, Tala.“   „Wenn ich untergehen sollte, stelle ich sicher, dass Sie mir folgen werden“, knurrte Tala.   „Das bezweifle ich.“ Matthew schnaubte. „Es gibt Dinge, die ich über meinen Sohn weiß, die du nie erfahren wirst.“   Tala grinste kalt. „Das gleiche könnte ich auch sagen“, sagte er quälend ruhig, als er zusah, wie Matthew sich aus eine Karaffe ein Glas Wasser einschenkte.   „Ach wirklich? Welche Geheimnisse meines Sohnes kennst du denn?“, fragte Kais Vater als er einen Schluck seines Wassers trank.   „Nun, zum einen“, sagte Tala mit funkelnden Augen, „wette ich, dass Sie nicht wussten, dass er schwul ist.“   Matthew Hiwatari verschluckte sich an seinem Wasser und Tala beobachtete mit großer Belustigung, wie er mit vor Schreck geweiteten Augen hustete. „ER IST WAS?“   „Nun, Sie wissen, was passiert, wenn man in der Abtei aufwächst“, sagte Tala gelassen, „es gibt dort keine Mädchen, also schätze ich, ist das einzige, was man machen kann... sich neu zu orientieren.“ Matthews Gesicht ließ ihn böse grinsen. „Das wussten Sie nicht?“ Tala gab ein gespieltes Keuchen von sich. „Wie schockierend unhöflich von Kai, es Ihnen nie gesagt zu haben.“   „Du lügst! Das muss eine Lüge sein!“, stotterte Matthew.   „Warum?“, fragte Tala, „ist es so falsch? Sicherlich sind Sie nicht so engstirnig“, schalt er. Innerlich war er am Gackern, Matthew Hiwatari wusste nichts, wenn er dachte, dass er hier wieder rauskommen würde.   Ihre Unterhaltung wurde von einem leisen Nuscheln unterbrochen, worauf Tala sich umdrehte und sah, wie sich Rays große, goldene Augen langsam öffneten. Matthew stand auf und schaute zu, wie der Neko-Jin so langsam aus seinem von Drogen verursachten Schlaf erwachte. Ray blickte sich verwirrt und angeschlagen um; sein Hinterkopf schmerzte und sein Körper fühlte sich schwer an. Seine Umgebung war dunkel und trübe, seine Sicht verschwommen, doch Ray war sich sicher, dass er in diesem finsteren, kalten und einsamen Raum nicht alleine war.   „Wo bin ich?“ Kapitel 13: Ganz Allein ----------------------- „Was willst du, Boris?“ Bryan drehte sich noch immer nicht um. Er würde den Mann nicht anschauen, er glaubte nicht, dass er den Mann anschauen konnte, ohne nach der erstbesten Waffe zu greifen, die ihm in die Hände kam. Was hielt ihn eigentlich davon ab? Er wollte Boris töten, warum zögerte er also? Boris hatte keine Kontrolle mehr über ihn, warum nicht also einfach umdrehen und den Kerl mit dem kleinen Messer umbringen, das geradezu danach schrie, aus seiner Tasche in seine Hand zu wandern? Es wäre so einfach; Bryan machte sich keine Gedanken darum, ins Gefängnis zu kommen, niemand würde wissen, dass er es war. Die Straße war so voll, dass Bryan schon längst weg sein würde, sobald irgendjemand überhaupt merkte, dass Boris tot war.   „Du hast mich immer schon enttäuscht, Bryan.“ Boris' Stimme war dunkel und kühl, aber Bryan hörte jedes Wort und es machte ihn wütend. „Seit deiner Niederlage gegen Ray hast du deine Schärfe verloren, und jetzt entdecke ich, dass du dich einigen widerlichen Gewohnheiten verschrieben hast.“   Bryan runzelte die Stirn; er war sich nicht ganz sicher, wovon Boris sprach, aber er sagte nichts. Jahrelange Erfahrung hatten Bryan beigebracht, dass Boris einen Grund hatte, hier zu sein, und nicht nur, um über widerliche Gewohnheiten zu schwatzen.   „Bestreitest du es?“, fragte Boris.   „Wie kann ich etwas bestreiten, wenn ich nicht einmal weiß, wovon du redest?“, erwiderte Bryan.   Erst war Stille hinter ihm, doch dann sagte Boris: „Es gab mal eine Zeit, in der ich dich für solch einen schnippischen Kommentar windelweich geprügelt hätte.“   „Dann versuch's doch!“, knurrte Bryan, „gib' mir einen Grund, dir das Genick zu brechen, bitte!“   „Gib' du mir doch einen Grund, Kai in die Brust zu schießen, bitte“, war Boris' noch immer lässige Antwort.                                                                                                     „Wo bin ich?“   Ray fand sich in die leuchtenden, saphirfarbenen Augen Talas aufblickend wieder; als er in das Gesicht des Wolfes schaute, verweilte er auf der Dunkelheit in den Augen, das Blau war tiefer, dunkler und kälter, aber als Ray weiter in sie hineinstarrte, erhellten sie wieder und wurden eisblau, so, wie Ray sie kannte.   „Wo bin ich?“, wiederholte er; er versuchte, sich daran zu erinnern, was geschehen war, aber sein Kopf war leer. Abgesehen von der Erinnerung, dass er in Talas Zimmer nach seinen Sachen gesucht hatte. „Was hast du mit mir gemacht?“, flüsterte er.   Tala sagt nichts und starrte lediglich hinab auf den Neko-Jin, dessen unergründliche, goldene Augen sich in Verwirrung und ansteigender Panik umsahen. Matthew Hiawari stellte sich neben den Rotschopf und er blickte ebenfalls auf den Neko-Jin hinab, doch sein Gesicht war voller Boshaftigkeit und einer Kälte, bei der Ray erschauderte.   „Tala“, versuchte Ray es erneut, eine Antwort von dem Rothaarigen zu kriegen, aber Tala schwieg, während Matthew Hiwatari einen weiteren Schritt in Richtung Ray machte. Der Tiger versuchte, sich zu bewegen, doch seine Muskel waren schwer und träge, sein Kopf drehte sich und daher fiel er in seinen Sessel zurück.   „Sediere ihn“, sagte Matthew naserümpfend, „ich nehme an, Boris will ihn sich sofort anschauen, wenn er zurück ist.“   „Was auch immer Sie sagen“, spottete Tala.   „Das tue ich.“ Matthew wandte sich um, um den Raum zu verlassen. „Außer natürlich, du willst Boris' Befehle verweigern. Das wäre traurig, vor allem nach all den Jahren, die du ihm schon so treu dienst.“ Er öffnete die Tür und drehte den Kopf, um über seine Schulter zu Tala zu schauen. Der war bitter, dass er Matthews Anweisungen folge leisten musste und holte eine neue Spritze hervor. Mathews Lächeln war selbstgefällig, als er mit einem Klicken der Tür den Raum verließ.   Tala wandte sich zurück zu Ray, der genug bei der Sache war, um zu begreifen, was Tala vorhatte. „Komm' her, Mietze“, wisperte er.   „Tala, bitte, nicht“, nuschelte Ray, „bitte nicht. Ich werd' nicht versuchen, abzuhauen, tu's einfach nicht...“ Seine Stimme verhallte; ihm wurde schlecht, als sich alles vor seinen Augen drehte. „... bitte... nicht...“                                                                                                     Kai schaute hoch in den nächtlichen Himmel und fragte sich, wo Bryan war, während er gleichzeitig versuchte, nicht über den Falken nachzudenen; er hatte Kopfschmerzen, und das was er gerade eindeutig nicht brauchte, war jemand, der ihn reizte. Zu blöd, dass der Eindringling, der ein Fenster im Erdgeschoss zerstört hatte, nicht genauso dachte. Kai seufzte genervt, bewegte sich aber kein Stück von seiner Position auf dem Schlafzimmerboden. Es war ihm egal, was sie nahmen; was ihn anging, so war es nur Zeug und er konnte sich immer neues holen. Den Behörden erklären, warum er auf dem Boden seines Schlafzimmers gelegen hatte, um aus dem Fenster zu schauen, während jemand seinen Besitz plünderte würde jedoch ein Problem sein, aber Kai dachte sich, dass er wahrscheinlich einen Anwalt dafür bezahlen konnte, das für ihn zu erledigen.   Hölle, er war reich genug.   Es irritierte ihn, dass solange er versuchte, nicht über Bryan nachzudenken, seine Gedanken zu den Bladebreakers wanderten; die Kette, die um seine Finger gewickelt war und sich kalt anfühlte, hatte sich nun in seiner Hand erwärmt und der schwarze Anhänger leuchtete im Mond, der durch das Fenster hinabschien. Er dachte über das nach, was Ray gesagt hatte.   Kai war kein schlechter Mensch.   „Blöder Neko-Jin“, schnaubte Kai, „wie falsch kann er eigentlich liegen.“ Er hatte jemanden getötet, es gab nichts Gutes in ihm, nur Böses. Wenn nur-   „Ein großes, flauschiges Schaf mit Zähnen, zwei große, flauschige Schafe mit Zähnen, drei-“   Die Stimme durchbrach die Stille der Nacht wie ein Nebenhorn und Kai schoss kerzengerade in die Höhe, um sich wild umzuschauen. „Bryan!“   „Pscht, ich zähle Schäfchen. Zehn große, flauschige Schäfchen mit Zähnen und einem großen, pink leuchtenden Hut, elf große, flauschige-“   „Wo zur Hölle bist du?“ Kai stand wütend auf und begann, die vielen Wanschränke, die an der einen Wand standen, zu öffnen. „Komm' da raus, sofort!“   „Pscht, ich bin beschäftigt! Fünfzehn große, flauschige Schäfchen die eine große Nase und ein kleines Gemächt haben... warte, war es das oder fünfzehn große, flauschige Schäfchen die kleine Nasen haben, aber einen sehr großen Schw-“   Kai riss den großen Schrank neben der Tür auf und fand Bryan darin vor, der einen Gesichtsausdruck hatte, den man ziemlich selbstgefällig nennen konnte. „Was zum Henker?“, fragte Kai relativ ruhig, auch wenn er innerlich kochte. „Verschwinde aus meinem Schrank.“   „Aww, aber mir gefällt's hier drinnen!“, jammerte Bryan, „erinnerst du dich nicht an das erste Mal, dass ich hier war? Du hast mich hier reingeschubst, als Voltaire Klopf-Klopf gemacht hat.“   „Halt einfach den Mund und komm aus meinem Schrank raus!“, fauchte Kai.   „Aww, komm' schon, mach mit! Ich rede nur über die guten, alten Zeiten.“   Kais Augen verengten sich gefährlich, aber Bryan natürlich, der unser aller Lieblings-Bryan war, genoss dies. Er schmollte: „Geldjunge macht keinen Spaß.“   „Verschwinde zum Teufel noch eins aus meinem Schrank.“   „Nein.“   „Jetzt!“ Kai schaute den Falken böse an, während er sich an all die Gründe erinnerte, weswegen er den Kerl so lange gehasst hatte. Er zerrte an Bryans Oberteil; der Falke schaute seelenruhig runter auf die blassen Finger, die an seinem Hemd zogen, und seufzte mitfühlend.   „Du musst dich wirklich mehr anstrengen, Geldjunge.“ Bryan grinste in die lodernden, roten Augen. „Du musst stärker ziehen.“   „Komm einfach aus dem verdammten Schrank raus.“   „Aber warum? Es kotzt dich so sehr an.“   Kai knurrte und drehte sich wütend von Bryan weg. „Verschwinde einfach.“   „Nein“, feixte Bryan, „du solltest mittlerweile wissen, Geldjunge, dass du mich nicht loswirst, selbst wenn du wolltest.“   Kai wirbelte hitzig herum. „Du hast absolut keine Scheißidee, was ich will und was ich nicht will.“   „Du willst, dass Boris stirbt, du willst wissen, warum Tala sich wie ein verklemmtes Arschloch benimmt, du willst wissen, warum du die ganze Zeit so wütend bist und du willst, dass ich meine verdammte Fresse halte, weil du weißt, dass ich Recht habe.“   „Oh, halt einfach dein verdammtes Maul“, knurrte Kai.   „Ich schließe meine Beweisführung ab.“ Bryan trat aus dem Schrank und stellte sich vor Kai. „Nun, ich kann die ganzen Fragen nicht beantworten, aber eine Sache kann ich dir sagen.“   „Und das wäre?“, fragte Kai mit einem seltsamen Gefühl.   „Dass ich ein verdammt guter-“   „BEENDE diesen Satz bloß nicht“, sagte Kai durch zusammengebissene Zähne.   Bryan grinste. „Aw! Geldjunge hat also keinen Bock.“   „Ist das alles, woran du denkst?“ Kai massierte seine Schläfe und ging zum Fenster.   „Nein!“ Bryan fühlte sich beleidigt. „Ich esse auch!“   Kai seufzte und verbarg sein Gesicht mit seinen Händen. „Großartig, ich hab' mit einem sexbesessenen Tyson geschlafen.“   „Die Andeutungen nehm' ich dir übel.“   „Dann geh' und nehm' sie mir woanders übel“, grollte Kai, „ich will dich nicht sehen, also verpiss' dich.“   „Aw, Geldjunge ist gemein!“, schmollte Bryan, „klein Bryan ist traurig.“ Er wimmerte in Spott.   Kai riss der Geduldsfaden. „Schön. Du bleibst hier und ich gehe.“   Bryan schnappte nach Luft. „Heißt das, ich hab' unseren kleinen Krieg geownnen?“   Kai stürmte ohne Bryan eines weiteren Blickes zu würdigen raus; er war so sauer und er wusste nicht, warum. In Kais Zimmer hingegen wartete Bryan, bis Kais Schritte verhallten, bevor er ruhig zu den Balkontüren ging. Sie öffnend, ging er raus aus auf den Balkon und schaute in den Nachthimmel.   Er war nicht der Typ, der die Sterne anstarrte und über sein Problem nachdachte; das war viel zu schrullig für ihn, aber jetzt gerade war er... verwirrt. Es war schwierig und Bryan war es nicht gewohnt, schwierige Entscheidungen zu treffen; er dachte zurück an das, was Boris gesagt hatte, und knurrte bitterlich. Er würde den Mann sterben sehen, und wenn es das letzte war...   Rückblick.   Erst war Stille hinter ihm, doch dann sagte Boris: „Es gab mal eine Zeit, in der ich dich für solch einen schnippischen Kommentar windelweich geprügelt hätte.“   „Dann versuch's doch!“, knurrte Bryan, „gib' mir einen Grund, dir das Genick zu brechen, bitte!“   „Gib' du mir doch einen Grund, Kai in die Brust zu schießen, bitte“, war Boris' noch immer lässige Antwort.   Bryan erstarrte; davon redete Boris also, irgendwie hatte er von Bryans 'Eskapaden' mit Kai erfahren. Bryan seufzte und dachte, dass er es genauso gut einfach von den Dächern der Stadt schreien konnte. 'ICH HATTE SCHWULEN SEX MIT KAI HIWATARI UND ER MOCHTE ES!', dann würden zumindest alle darüber Bescheid wissen und Bryan musste sich nicht mit sinnlosen Unterhaltungen rumärgern, die er mit Menschen hielt, die er langsam in Stück reißen wollte.   „Hast du geglaubt, ich würde es nicht 'rausfinden?“, fragte Boris ruhig, „Ich entdecke alles und jetzt habe ich erneut die Kontrolle.“   Bryans Lippen kräuselten sich. „Was willst du, Boris?“, knurrte er.   „Ich will, dass du tust, was ich dir sage.“ Bryan konnte Boris' heißen Atem in seinem Nacken spüren und er schüttelte sich vor Ekel. „Sonst können Menschen verletzt werden.“   Bryan schnaubte. „Als ob es mich jemals interessiert hat, dass Menschen verletzt werden.“   „Du möchtest doch nicht, dass Kai etwas geschieht, oder?“   Bryans Augen verengten sich zu Schlitzen. „Mach mit Hiwatari, was du willst, ist mir egal.“ Er bluffte und sie beide wussten dies; sie beide wussten, dass Bryan absolut keinen Grund unter den Füßen hatte. Boris hatte wieder die Kontrolle und wie jedes Mal gab es nichts, was Bryan tun konnte.   „Was willst du?“, fragte Bryan, seine Stimme kalt.   „Simpel“, antwortete Boris, „Ich will Kai.“   Rückblick Ende.   … nun schaute Boris runter auf das Gelände und erinnerte sich an Boris Befehl: Stell Kai eine Falle. Bryan hatte gelacht, sich gefragt, warum er auch nur irgendetwas für Boris machen sollte... aber dann hatte Boris sein Ass im Ärmel ausgespielt. Boris hatte Tala. Zumindest hatte er das Bryan gesagt. Und wenn Boris seinen engsten Freund lebendig wiedersehen wollte, musste er Kai übergeben. Bryan knurrte; Tala war sein Freund... und dennoch hatte jener Kai sein Geheimnis verraten. Er hatte Kai von Tony erzählt. Er hatte diese Dinge gesagt, die Bryan innerlich zum Überkochen gebracht hatten. Aber. Er durfte Tala nichts geschehen lassen, denn Tala war sein Freund... oder?   Tala war sein Freund... nicht?                                                                                                     „Ich dachte, Sie wollten Kai alleine, um ihn zu töten“, sagte Tala, als er zu Boris ins Büro kam.   Boris lächelte kalt. „Ich denke, ich werde Bryan noch ein wenig länger mitspielen lassen.“   Tala runzelte die Stirn. „Aber warum? Es ist nicht nötig, Bryan da mit 'reinzuziehen.“   „Bist du hier, um zu gehorchen, oder um mich anzuzweifeln?“, fragte Boris scharf.   „Natürlich um zu gehorchen, Master Boris“, erwiderte Tala geschmeidig, „ich war lediglich neugierig, warum Sie Bryan in ihre Pläne integriert haben.“   Boris lachte. „Wenn du nicht verstehst, warum ich das tue, dann kennst du mich kein bisschen, Tala.“   Tala schwieg. Er kannte Boris weit besser, als Boris wusste, alles, was er tun musste, war still zu sein, damit Boris ihm alles erklärte, unfähig, sich nicht zu rühmen.   „Wenn Kai stirbt, welchen Menschen werden sie sich zuerst anschauen?“, sagte Boris.   „Den jähzornigen Diener, den Kai vor ein paar Tagen gefeuert hat?“   „Nein.“ Boris warf Tala einen genervt-verwirrten Blick zu und drehte sich zum Fenster. „Die ganze Welt weiß von dem Hass zwischen Kai und mir. Wenn jemand Kai tot und ohne jeden Hinweis auffindet, werden sie sofort an meiner Tür klopfen... außer, es gibt wasserfeste Beweise, dass jemand anderes an Kais Tod schuld war.“   „Sie werden Bryan Kais Tod anhängen?“ Talas Augen verengten sich. „Wenn Sie glauben, dass das passiert, dann sind Sie ein Narr! Es gibt absolut keine Möglichkeit auf der Welt, dass Bryan das zulässt!“   „Kuznetsov hat den Eindruck, ich würde dich gefangen halten. Wenn er mir Kai gibt, bekommt er dich zurück. Wenn er Kai behält verliert er dich. Bryan weiß, dass die einzige Möglichkeit, euch beide zu behalten, ist, zu tun, was ich ihm sage.“   „Sir, wenn ich das sagen darf, ich glaube nicht-“   „Behalte deine Gedanken für dich selbst, Ivanov!“, knurrte Boris, „solltest du nicht eigentlich ein Auge auf unseren kleinen Neko-Jin werfen?“   Tala zog sich zurück. „Natürlich, Sir.“   „Ist er immer noch sediert?“   „Natürlich, Sir“, antwortete Tala, „ich habe ihn erneut betäubt, sobald Mr. Hiwatari weg war, und er ist noch nicht wieder bei Sinnen.“   „Gut, allerdings würde ich mich sicherer fühlen, wenn du ihn persönlich bewarchst, da es dort keine Sicherheitskameras mehr gibt.“   Tala verstand die Andeutung; er verließ Boris Büro und ging durch die kalten Steingänge die Treppen hinab zu den Zellen im Keller.                                                                                                     Kai ging in Talas Raum in der kleinen, nutzlosen Hoffnung, dass der Wolf da wäre. Ehrlich gesagt vermisste Kai seinen engsten Freund und er jetzt, wo er Bryan nicht haben konnte, sickerten all diese Gefühle der Einsamkeit in ihn zurück, sodass er sich schwach und lächerlich fühlte. Er dachte darüber nach, das Hotel zu kontaktieren um mit den Bladebreakers zu reden, wohl wissend, dass immer einer von ihnen wach war, egal zu welcher Uhrzeit. Aber sein Stolz hatte ihn aufgehalten. Er hatte zu Bryan zurückgehen wollen, aber auch das konnte er nicht. Seine Fantasie versorgte ihn durchweg mit Bildern eines toten Mannes, den er nie getroffen, aber getötet hatte. Er hatte sich noch nie so gefühlt, er wusste nicht, wie er reagieren sollte; wie konnte man sich schuldig fühlen, jemanden umgebracht zu haben, den man gar nicht kannte? Andererseits, wie konnte man sich nicht schuldig fühlen, wenn man der Grund für den Tod eines anderen Mannes war?   Und Bryan hatte ihn gekannt. Kai hatte jemanden getötet, den Bryan gekannt hatte, und wieder und wieder schwirrte dieser Gedanken in Kreisen durch seinen Kopf wie eine Aufnahme, die sich nicht stoppen ließ. Das Gefühl ging einfach nicht weg, egal wie sehr er es beiseite schob, es verschwand nicht. Er wollte sich nicht von Bryan fernhalten, aber wie konnte er sich ihm nähern, wenn er jemanden ermordet hatte? Kai schaute finster an die Wand und trat wütend nach dem Müllkorb, sodass der durch den Raum flog und seinen Inhalt auf dem Boden verteilte.   Kai versteinerte.   Er starrte lange Zeit auf den Boden.   Er starrte lange Zeit auf den Reisepass.   Er starrte lange Zeit auf Rays Reisepass.   Genau den Reisepass, von dem Tala gesagt hatte, dass er ihn Ray wiedergegeben hatte.   Was ging hier vor?                                                                                                     Tala steckte den Schlüssel in das Schloss der Tür, hinter welcher Ray gefangen war, nachdem er ihn aus seiner Tasche geholt hatte. Er hatte Boris gesagt, er hätte Ray wieder betäubt.   Er hatte gelogen.   Er hatte Ray nicht wieder betäubt, auch, wenn er sich nicht sicher war, warum nicht. Es war eh keine große Sache, Ray war schwach, und auch, wenn er Bryan einst geschlagen hatte, das war lange her. Ray war zu weich, als dass er irgendeine Bedrohung für Tala darstellte. Der Rotschopf öffnete die Tür und trat ein.   Ray warf sich auf Tala mit ausgefahrenen Krallen; ihre Körper prallten aneinander und goldene Augen bohrten sich in blaue. Ray war zornig; weg war der ruhige und sedierte Ray, der schwach die ein Hündchen war. Der Tiger war erwacht, auf der Hut und wütend.   Tala war ein Verräter.   Er arbeitete für Boris; er betrog Kai und Ray hasste ihn dafür. Er knurrte, als seine Klauen die Ärmel von Talas Oberteil zerfetzten und riss an der blassen Haut, die Fänge gefletscht, während sie miteinander rangen; Ray versuchte, sich einen Weg an Tala vorbei zu bahnen, doch der Wolf hielt ihn zurück, auch wenn er von der Raserei und Wildheit überrascht war, die ihn traf. Er hatte sich bei Ray geirrt und der Tiger war herausgekommen, um zu beweisen, dass er keine feige Kuschelkatze war.   Allerdings war Tala körperlich stärker und er drückte Ray gegen die Wand; Ray wehrte sich und rang mit Tala, als der Russe ihn gegen Wand und ihre Körper zusammenpresste, bis der Tiger davon ermüdete, um seine Freiheit zu kämpfen. Ihre Herzen schlugen schnell, hämmerten heftig gegen ihre Brustkörbe sodass sie beide den Herzschlag den Anderen spüren konnten, während hitzige, aufgebrachte goldene Augen lange in eisblaue starrten. Kapitel 14: Launischer Fremder ------------------------------ Kai stürmte durch das Anwesen; er wurde immer wütender, schon zu lange wurde er von anderen ausgenutzt, schon zu lange wusste er nicht, was los war. Der Phönix war erwacht und er würde rausfinden, was geschah... selbst, wenn er dabei sterben würde. Sieben Minuten waren vergangen, seit Kai Rays Reisepass auf dem Boden in Talas Zimmer gefunden hatte, und seit dem war sein komplettes Vertrauen in den Wolf zerstört worden. Sein Bedürfnis, die enge Freundschaft des Rothaarigen wiederzugewinnen hatte sich entflammt und war zu einem Häufchen Asche verbrannt. Tala hatte etwas vor und Kai würde rausfinden, was es war.   Erst musste er Bryan finden. Der Phönix stürmte in sein Schlafzimmer und krachte fast mit dem Falken zusammen, der jenes gerade verlassen wollte.   „Was soll das, Geldjunge“, kommentierte Bryan als er Kais fliegendem Körper auswich, um daraufhin von Kais fliegender Faust getroffen zu werden. „Au! Womit hab' ich den denn verdient?“ Er wollte Kais nächsten Schlag aufhalten, doch der Phönix ließ ihm keine Zeit dafür.   „Was zum Henker ist hier eigentlich los.“ Kai holte ein drittes Mal aus, um Bryan zu schlagen, doch dieses Mal war Bryan bereit und er stoppte Kais gut gezielte Faust mit seiner eigenen, schwieligen Hand. Kais Mörderblick war feurig, doch er prallte von Bryan ab, als wäre er ein Gummiball; der Falke stand einfach da und wartete darauf, dass Kai den engen Griff, mit dem der Phönix sein Oberteil festhielt, lockerte. Mit einem zornigen Fauchen zog Kai sich zurück und drängte sich an Bryan vorbei, um sich an das Fenster zu stellen, wo er seine Stirn gegen das kühle Glas lehnte und die Augen schloss.   Bryan wandte sich zum Fenster und zu Kai. „Schau, wenn das wegen der preislosen Kristallstatue ist, dann war das nicht meine Schuld, sie war Falborg im Weg! Sie war im Weg!“   Kai drehte sich stirnrunzelnd um. „Welche Statue?“   Bryan hielt sofort inne. „Oh, du weißt nichts von der preislosen Kristallstatue, ist schon in Ordnung. Vergiss es.“ Er warf Kai einen Blick zu, der Engel zum Weinen bringen könnte. „Also, warum bist du so wütend? Es ist doch nicht wegen der verstopften Toilette im Erdgeschoss?“   „Verstopfte Toilette?“   „Ich werd' jetzt einfach den Mund halten“, entschied Bryan, als Kais Gesichtsausdruck sich verdunkelte und gefährlich wurde. „Bitte fahr fort. Zu wissen, was dir auf den Sack geht, ist alles, was ich ihm Leben begehre.“   Kai warf den Reisepass nach ihm. Bryan duckte sich und hob den Reisepass auf, als er neben seinen Füßen zu Boden fiel. Kai drehte sich zurück zum Fenster und wartete auf Bryans Antwort. Er hoffte auf einen vernünftigen Kommentar von dem Falken. Er wurde bitter enttäuscht.   „Nettes Bild. Glaubst du, Kon hat seine Haare hergerichtet, bevor er es hat nehmen lassen?“ Bryan duckte sich, als eine Vase auf ihn zuflog. „Vosichtig, Geldjunge! Es ist ein Wunder, dass du überhaupt noch Vasen hast!“   „Dann gib' doch wenigstens einmal in deinem verdammten Leben eine vernünftige Antwort!“, wütete Kai, „Gott! Ich weiß nicht, weswegen ich mich mehr schäme! Dass ich mit dir geschlafen habe oder dass ich tatsächlich geglaubt habe, dass du ein Gehirn hast!“   „Heißt das, ich bin langweilig?“, fragte Bryan leise.   Kai hielt inne und sah verwirrt aus. „Das hab' ich nicht gesagt, das würde ich niemals sagen. Das stimmt nicht.“   Bryan zuckte lediglich mit den Schultern während er vortrat und Rays Reisepass vor Kais Füße fallen ließ. Er fühlte, wie Kais rote Augen ihn anstarrten und versuchten, den Falken dazu zu bringen, den Blick zu erwidern, aber Bryan schaute weg.   „Ich vermute, dass Tala das gesagt hat.“ Kais Stimme war sanft, aber die Wut in ihm stieg lediglich an; Tala hatte so etwas zu Bryan gesagt. Warum? Kai würde nicht aufhören, bis er jede einzelne Antwort kannte. Er würde sie aus Tala herausprügeln, wenn er musste. „Es stimmt nicht“, flüsterte er, während er Bryan näher kam.   „Laut Tala schon“, unterbrach Bryan ihn. Er knurrte leise, er war diese Emotionen und Gefühle nicht gewohnt. Er war ein gefühlloser Kämpfer, der verloren hatte, warum also sollte er nicht langweilig sein?   „Tala hat Unrecht.“ Kai näherte sich Bryan weiterhin. Er dachte nicht nach, er traute sich nicht, wohl wissend, dass er sich nur Fragen stellen würde, die nicht beantwortet werden konnten, die das hier ruinieren würden. Er hatte das Gefühl, dass er sich näher an Bryan heran schlich und er wusste nicht warum; er wollte nicht wissen, warum, alles, was er wollte, war-   „Heißt das, wir haben jetzt Sex?“, fragte Bryan interessiert.   Und mit dieser einen Frage hatte Bryan spektakulär die ganzen Moment ruiniert. Kai seufzte und schloss seine Augen; er musste es einfach akzeptieren, Bryan war kein tiefgründiger Kerl. Bryan feixte und zog Kai nach vorne, seine Lippen auf die des Phönix' pressend. Kai erwiderte die nicht gerade subtile Annäherung und gerade als Bryan wirklich in Stimmung kam, zog Kai sich bestimmt zurück und ging selbstgefällig aus dem Zimmer.   Bryan stand für einen Moment da und sah recht versteinert aus.   „Hey! Komm' wieder her!“                                                                                                                         Ray zerrte an den Handschellen, die um seine Handgelenke lagen. Eine Kette befand sich um seinem Hals, die ihn an der Wand festhielt und ein Seil um die Füße gebunden; Tala hatte Ray einmal falsch eingeschätzt und er würde den selben Fehler nicht noch einmal machen. Er hatte Ray allerdings wieder nicht betäubt und Ray fragte sich, warum.   Dennoch, Ray hatte keine Zeit, dazusitzen und sich zu wundern.   Tala kam jede halbe Stunde vorbei, um nach ihm zu schauen, und ging nach zehn Minuten; zwanzig Minuten waren vergangen, seit der Wolf das letzte mal nachgesehen hatte, das bedeutete also, dass er noch zehn Minuten übrig hatte. Er schaute auf zu der Uhr an der Wand und beobachtete den Sekundenzeiger bange dabei, wie er weiter tickte. Mit einem Knurren zog er so stark an den Handschellen, dass sie in seine Haut schnitten; er hatte sich in Tala geirrt, er hatte gelaubt, dass es etwas Gutes in dem Wolf gäbe, aber da hatte er falsch gelesen. Tala war nichts weiter als ein herzloser Verräter und das war alles.   „Also warum hat er mich nicht wieder betäubt?“, fragte er sich.   Er schüttelte den Kopf und verdrängte die nutzlose Hoffnung. Er war zu hoffnungsvoll und es brachte ihm nur Ärger; er hätte mittlerweile lernen sollen, dass er nicht so schnell vertrauen durfte, und dass er nicht wie Tyson war, der sich wundersamer Weise aus jedem Ärger selbst retten konnte. „Ich wusste, ich hätte auf Lee hören sollen“, überlegte der Neko-Jin laut. Und was sein blödes Geschwärme anging, das er fast für Tala empfunden hatte, das gab es nicht mehr; nicht, dass es das jemals gegeben hatte, da Ray ja nicht einmal schwul war. Ihm war lediglich aufgefallen, dass... Tala sehr gut gebaut war.   „Wem mach' ich eigentlich was vor?“, seufzte Ray und zog an seinen Fesseln; er wünschte sich, dass Drigger bei ihm war, der weiße Tiger machte ihn stets stärker, aber Tala hatte Drigger dem Neko-Jin abgenommen und Ray nur mit seiner eigenen Kraft zurückgelassen. Er zerrte erneut und fluchte laut, als das Metall tiefer in seine Haut schnitt. Vor Wut und Frustration riss er wieder und wieder an den Handschellen, trat nach der Wand, um seinen Gefühlen ein Ventil zu geben. Er würde hier raus kommen, und Tala 'Leck mich' Ivanov konnte einen Scheißdreck tun und ihn aufhalten.   „Verdammter Verräter““, zürnte Ray.                                                                                                                         Tala ging durch die Korridore der Abtei; jeder Raum, jede Zelle hielt eine dunkle und unschöne Erinnerung für ihn parat... und hier war er und ging erneut durch diese finsteren und kalten Gänge, als ob er sie nie verlassen hatte. Tat er das Richtige? Stimmte es, dass er für Boris arbeitete?   Nein.   Er hatte einen Plan, und nichts und niemand würde sich ihm in den Weg stellen, und bald konnte er ihn ausführen...   Aber erst musste er sich um ein kleines Problem namens Ray kümmern.   Den Schlüsselbund herausholend, nahm Tala sich Zeit, die Tür aufzuschließen; war es gut, dass Ray hier war? Tala schüttelte sich, was zur Hölle sollte das bitte heißen? Es war lästig, dass Ray da war, er war nur im Weg und so langsam konnte Tala verstehen, warum Kai die Bladebreakers so nervig fand. Der dumme Neko-Jin hoffte wahrscheinlich, dass Kai ihn finden und hier rausholen würde. Tala schnaubte, das würde niemals passieren.   Er öffnete die Tür.   „VERRÄTER!“   Klauen rissen an seiner Kleidung, ein Körper warf sich gegen seinen und Ray entwich seinen Fingern, bevor er so schnell er konnte den Korridor entlang lief. Tala brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, was geschehen war; das war das zweite Mal, dass Ray ihn angegriffen hatte und dieses Mal hatte der Neko-Jin es geschafft, zu fliehen.   „Scheiße!“, fluchte Tala. Seufzend ging er langsam den Gang entlang; die gute Nachricht war, dass Ray sich in der Abtei nicht auskannte, während Tala sie kannte wie seine Westentasche. Die Abtei war ein Labyrinth voller Kurven und Windungen, die Dunkelheit und die Feuchtheit sorgten dafür, dass jeder Gang wie der andere aussah und es waren nur kleine Details, die einem verrieten, wie man sich zu orientieren hatte. Er rief nach den Wachen, die Boris angeheuert hatte, und machte sie auf die Präsenz eines Flüchtigen aufmerksam.   „Lauf', Ray Kon, du wirst nicht weit kommen.“ Er holte Drigger aus seiner Tasche und sah zu, wie der Beyblade ihn ärgerlich anblitzte. Seine eisblauen Augen wurde frostig, als der Ruf ertönte, dass der Flüchtige auf dem Weg zum Dach des Gebäudes war und er machte sich auf den langen Weg zu den Zinnen der Abtei.                                                                                                                         „Wo gehst du hin?“, fragte oder eher verlangte Bryan von Kai, als der dem Phönix nachmarschierte, dessen zügiger Gang sie zur Eingangstür geführt hatte.   Kai drehte sich zu ihm. „Wie bist du 'reingekommen?“   „Huh? Ich bin durch die Vordertür gegangen“, antwortete Bryan.   „Wie konntest du das tun, wenn ich sie doch abgeschlossen hatte?“, fragte Kai, seine Stimme wie Blei.   „Ähm!“, stammelte Bryan, „naja, ich hab's sie irgendwie zerstört- warum bist du überhaupt die ganze Zeit so genervt von mir?“, konterte er teilweise, um von dem Thema einer gewissen Vordertür anzulenken, die er gerade nicht diskutieren wollte, weil er wusste, dass Kai ihn umbringen würde, und weil Kais Tonfall ihn anpisste.   „Du hast mir nicht gesagt, dass ich einen Mann getötet habe!“, knurrte Kai, als er herumwirbelte, „du hast mir nicht von Tony erzählt!“   Etwas in Bryans Kopf fiel an den rechten Platz; das war also der Grund, weswegen Kai sich so aufführte, als hätte man ihm gerade in den Arsch getreten. „Es ging dich nichts an“, sagte er mit steinerner Miene.   „Oh, das glaub' ich nicht!“, zischte Kai, „all die Jahre, die du mich gehasst hast? Sicherlich hast du es mir sagen wollen! Du wusstest, dass mich das treffen würde, also warum hast du es nie gesagt?“   „Es gibt mehrere Gründe“, begann Bryan. Er ahnte, dass sie für eine Weile hier sein würden und setzte sich mit einem Schnaufen auf die Treppe, befor er fortfuhr. „Erstens: Tala hat mir verboten, irgendwas zu sagen, und ich sag's dir, mein Leben stand da auf dem Spiel. Zweitens: Mit einem Kai zurechtzukommen, der voller Reue und elend ist, ist mein schlimmster Albtraum; du hast keinen Schimmer, wie nervtötend du bist, wenn du 'rumweinst. Drittens...“ Er hielt inne und sagte vorsichtig: „Tony war mein Freund und nicht deiner. Wenn ich ihn dadurch hätte beschämen wollen, dass ich dir sage, dass die Neugierde eines Fünfjährigen ihn umgebracht hat, dann hätte ich das schon vor Jahren gemacht.“ Er hörte auf zu reden und wartete auf Kais Antwort.   „Das ist nicht gut genug!“, grollte Kai.   „Warum wusste ich, dass du das sagen würdest?“, fragte Bryan sich selbst mürrisch.   „Du hättest es mir sagen sollen!“ Kai bestand darauf und stellte sich vor Bryan, um auf ihn herunterzuschauen.   „Naja, hab' ich aber nicht!“, sagte Bryan störrisch, „und ich will da auch nicht weiter drüber reden. Es ist die Vergangenheit, also komm' endlich klar.“   „Komm' endlich klar?“, wiederholte Kai, „komm' endlich klar!“   „Toll, jetzt bist du empört“, sagte Bryan böse. „Ich hasse es. Ich hasse es, wenn du dich empörst und damit auch noch Recht hast!“   „Wegen mir ist jemand gestorben! Glaubst du nicht, dass ich das Recht hatte, das zu wissen?“ Kais Augen blitzten.   Bryan stand auf, er hatte genug. „Nein, denke ich nicht. Normale Menschen würden das vergessen wollen. Also begreif's endlich, Geldjunge! Vergiss es einfach!“   „Nein.“   „Ja!“ Bryan schaute Finger auf Kai runter, seine Größe zu seinem Vorteil nutzend. „Gott, du bist do verdammt stur! Lass' einfach gut sein!“   „Nein.“   „Ich warne dich, Geldjunge! Ich bin so dicht dran, dich da gegen Wand zu drücken und dir das verdammte Maul zu stopfen!“ Bryans Mörderblick wurde von einem flammenden Gesichtsausdruck von Kai erwiedert.   „Glaub' ja nicht, dass du so mit mir reden kannst“, fauchte der Phönix.   Bryan lachte ohne Humor. „Ich rede mit dir wie ich will! Du glaubst, du bist so 'was ganz besonderes, dass du über der ganzen Welt stehst!“   Kai verdrehte die Augen. „Du bist ein Heuchler, weißt du das! Du redest davon, dass ich Dinge einfach vergessen soll, und du hast immer noch nicht vergessen, dass meine Zeit in der Abtei genauso hart war wie deine.“   „Hmm, Gespräch oder Prügel?“, überlagte Bryan laut und voller Sarkasmus, „ich frage mich, was schlimmer ist?“   „So war das nicht“, schnarrte Kai zornig.   „WIE WAR ES DANN?“, brüllte Bryan, der versuchte, lauter zu schreien als Kai. „während alle anderen zusammengeschlagen wurden, hast du ein 'ernstes Gespräch' gekriegt! Die einzigen Male, dass du geschrien hast, war, wenn du an Weihnachten das falsche Spielzeug bekommen hast!“   Kais Faust flog auf Bryan zu, doch der hielt sie in der Luft auf. „Du weißt nicht, wie es für mich war.“ Kais Stimme war tief und voller Gift. „Du weist gar nichts, du dummer Bastard. Du glaubst, du weißt alles. Du denkst, du bist so zäh weil du ein paar Schläge überlebt hast, aber du bist nichts. Ich weiß nicht, was Boris dachte, als er sich dazu entschieden hat, dich zu behalten, aber es war sicherlich sein größter, verdammter Fehler.“   Bryan schubste Kai und trat nach ihm. Kai wehrte sich und schlug Bryan und traf ihn mit dem Fuß, bevor Bryan ihn an die Wand genagelt hatte. Sie schauten einander mörderisch an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Beide genossen den Hass und den Ärger, den sie für den jeweils anderen spürten. Kais flammende rote Augen bohrten sich in Bryans kalte, bösartige Augen; Kai trat ihn erneut, doch Bryan ginste nur böse und warf Kai gnadenlos gegen die Wand. Kai zischte, kämpfte aber dennoch-   Klick.   Sie beide erstarrten. Trotz ihrer rotglühenden Wut aufeinander stoppten sie, als sie bemerkten, dass etwas nicht stimmte. Das Geräusch war von hinter ihnen gekommen, vom Durchgang zum Aufenthaltsraum.   Und dann hörte Kai es erneut. … Klick... Klick... Klick. Es war ein Geräusch, das er nur zu gut kannte, war er doch damit aufgewachsen. Es war das Klicken eines Gehstocks, der auf den Boden prallte, und jetzt konnte Kai Schirrte hören, die stolz und sicher auf den Teppich klopften, als ein Schatten hinter Bryan auftauchte. Kai sah nicht über Bryans Schulter... das musste er nicht. Aber zumindest wusste er jetzt, wer das Fenster zerstört hatte; es muss die Scheibe in der Glastür gewesen sein, die zu den Gärten führte. Der Weg, auf dem der Mann in das Anwesen gekommen war.   Bryan jedoch drehte sich um; er gab kein Geräusch der Überraschung oder des Schocks von sich, aber er starrte auf die Person hinter ihm, den alte Mann, der stolz und arroganz dastand, während er Bryan und Kai anstarrte. Und eine Frage schoss durch Bryans und Kais Köpfe, als die Stille sie erdrückte.   Warum war Voltaire Hiwatari noch am Leben, wenn sie ihn beide sterben gesehen hatten? Kapitel 15: Törichter Narr -------------------------- Ray rannte; er wusste nicht, wohin er rannte, er wusste nur, dass er rannte. Er hatte bald bemerkt, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wo zum Henker in der Abtei er sich befand und wie er nach draußen kam. Er realisierte auch, dass Talas Wissen sein eigenes weit überstieg und der Rotschopf daher einen großen Vorteil Ray gegenüber hatte. Seine einzige Chance war, niemals an einem Ort zu bleiben. Vielleicht hatte er Glück und würde einen Weg nach draußen finden, aber wenn nicht, würde er seine Entführer so lange beschäftigen, bis er einen Plan entwickelt hatte.   Er hatte erst an die Luftschächte gedacht, aber ein schneller Blick verriet ihm, dass das nicht klappen würde. Die kleinen Öffnungen in das System waren an der Decke und mit verschraubten Gittern versehen, die viel zu stabil aussahen, um sich in den kurzen Zeiträumen bewegen zu lassen, in denen Ray eine Wache abgehängt hatte.   „Ich glaube, er diesen Weg entlang!“   Ein Rufen hinter ihm ließ den Neko-Jin wieder loshetzen, und er eilte lautlos in einen Korridor – es war eine Sackgasse.   „Verdammt“, murmelte Ray. Er drehte sich um, doch ein Schatten am anderen Ende zwang ihn zurück gegen die Wand. Der Schatten stoppte, unsicher, in welche Richtung er gehen sollte und Ray hörte, wie sich die Wachen unterhielten. Seinen Mund mit einer Hand bedeckend war Ray an der Stelle festgefroren. Er war so still, er konnte dem Gespräch der Wachen lauschen, als sie sich flüsternd unterhielten.   „Er muss irgendwo hier unten sein.“   „Es ist Glück, dass Boris gerade nicht da ist.“   „Hey, mach dir darüber keine Gedanken. Der einzige, der dafür bestraft wird, dass der Kerl abhauen konnte, wird dieser dumme Rotschopf sein, der bei jedem von Boris' Befehlen sofort springt.“   „In Ordnung, ihr zwei, ihr geht da lang und wir gehen hier lang. Überprüft die Sackgasse lieber auch, nicht, dass er sich da versteckt.“   Rays Augen weiteten sich alarmiert, aber dennoch blieb er ruhig. Wahrhaftig, er war ein Kampfkunst-Experte, aber sie waren größer als er und ein kleiner Fehler konnte ihn seine Freiheit kosten. Die Option 'Flucht' war riskanter, aber er dachte, dass sie eine größere Erfolgschance hatte, als zwei ausgewachsene, muskulöse Männer zu Boden bringen zu wollen; Boris hatte seine Wachen offenbar sorgfältig ausgesucht, beide Männer sahen so aus, als wären sie in ihrem früheren Leben Boxer gewesen. Er hatte sich gerade entschieden, als sie in der Dunkelheit näherkamen und sich langsam bewegten, da sie nirgends gegen stoßen wollten.   Er wartete und ignorierte seinen Instinkt, dass er sich so bald wie möglich bewegen sollte.   Er wartete, bis er das Weiße in ihren Augen sehen konnte.   Er wartete, bis sie ihn fast erreicht hatten.   Mit einem erschlossenen Fauchen warf Ray sich auf die Wache, die ihm näher war, und rammte den Mann, wobei er sein Knie tief in dessen Magen vergrub. Die Wache fiel überrascht nach hinten und schlug gegen die Wand, während die zweite Wache sich auf Ray stürzen wollte, doch der Neko-Jin wich der Attacke aus. Von der ersten Wache, die doof und benommen dalag, wegstolpernd, macht Ray sich aus dem Staub.   „Hey! Komm wieder zurück!“                                                                                                                        Tala nahm sich Zeit, als er durch die Abtei ging. Er wusste nicht, wo er hingehen sollte, um Ray zu finden, also ließ er die Wachen für sich die Arbeit erledigen. Ihre Rufe und Schreie waren recht eindeutige Hinweise über den Aufenthaltsort des Neko-Jin, sodass er ihnen folgen konnte. Es war offensichtlich, dass Ray keine Ahnung hatte, wo er hinging, realisierte Tala, als er zu den Treppen ging, die auf das Dach führten. Sobald er auf dem Dach war würde Ray keine Chance mehr haben, wieder runterzukommen. Er war zwischen den Wachen, die ihn jagten, und einem langen Sturz in die Tiefe gefangen. Tala hatte keine Zweifel, dass Ray den Wachen entkommen könnte, sie waren langsam und dämlich, aber dann müsste Ray an Tala vorbei und dieses Mal war der Wolf auf alles, was der Tiger zu bieten haben könnte, vorbereitet.   „Hey! Er geht auf das Dach!“, ertönte ein Ruf von oben.   Tala musste sich davon abhalten, etwas sarkastisches zu sagen; jeder Idiot konnte sehen, dass Ray auf dem Weg zum Dach war.   „Hey! Hilft mir auch einer von euch da unten?!“   „Du bist ganz offensichtlich ein Idiot“, murmelte Tala, „ich wette, ein Fünfjähriger könnte dich abhängen.“ Er machte sich in einem entspannten Tempo daran, die Treppen zum Dach zu erklimmen. Er war nicht in Eile, Ray Kon saß in der Falle. Der Wolf fragte sich, was Ray wohl durch den Kopf gehen würde, wenn er merkte, dass er eingesperrt war.                                                                                                                        Das einzige, das Ray davon abhielt, laut zu fluchen, als er auf dem Dach ankam, war sein fehlender Atem; die drei Jahre Kais mörderischen Trainings machten sich endlich bezahlt, aber das hieß nicht, dass Ray für immer rennen konnte. Er schalt sich selbst, als er über den Rand des Dachs der Abtei an der nackten Steinwand hinabsah, nicht einmal ein so guter Klippensteiger wie er könnte da unbeschadet runtersteigen. Die Wand war glatt und eindeutig so gebaut, dass Leute wie Ray nicht runterklettern konnten.   Als er hörte, wie die letzte der Wachen dicht an Rays Fersen war, hechtete Ray hinter eine nützliche Erhöhung des Dachs; wenn er es vorsichtig plante, könnte er vielleicht an der Wache vorbei kommen, wenn der Idiot auf der anderen Seite nach ihm suchte...   Der Plan flog jedoch aus dem Fenster, als Ray sah, wie Tala durch die Tür trat und sich gelassen gegen den Rahmen lehnte.   Ray könnte eine Wache austricksen, aber er wusste, Tala würde sich nicht dazu verleiten lassen, den Durchgang zu verlassen; er saß in der Falle.   „Verdammt seist du, Tala“, murmelte er. Er hörte, wie der letzte Wachmann zu seiner rechten umherstampfte und in seiner Eile, verborgen zu bleiben, rutschte er auf dem Eis aus und beinahe vom Dach.   „Ich weiß, dass du da bist, Kon!“, rief Tala in einem Tonfall, der nur als gelangweilt beschrieben werden konnte. „Wenn du jetzt kommst werde ich dich auch nicht bis in die nächte Woche prügeln, wahrscheinlich!“   Ray sah sich nach etwas um, irgendwas, das der für seine Flucht nutzen konnte, aber da war nichts... und Tala wusste das. Still fluchend ging Ray erneut durch seine Optionen.   Erstens: Versuchen, wegzulaufen. Das war von vornherein blöde, es gab keinen Ort, zu dem er hätte laufen können.   Zweitens: Versuchen, sich an Tala vorbeizukämpfen. Ray drängte auch diese Idee beiseite, die Karte hatte er bereits gespielt und es bestand keine Chance, dass Tala da noch einmal drauf reinfallen würde. Dafür war der Wolf zu schlau.   Drittens: Er konnte aufgeben und auf eine weitere Möglichkeit, zu fliehen hoffen. Das einzige Problem an der Idee war jedoch, dass es fraglich war, ob sich überhaupt eine weitere Fluchtchance bot und was würde er in der Zwischenzeit erleiden müssen? Er seufzte und entschied sich, auf Zeit zu spielen.   „Hey Tala“, rief er aus, „es wird nicht mehr lange dauern, bis Kai 'rausfindet, was für ein Verräter du bist! Wie stehst du dazu?“ Er verstecke sich sofort an einem anderen Ort, als er auf Talas Antwort wartete.   „Hör' auf, Zeit zu schinden, Kon, das klappt nicht. Du bist hier gefangen und das wissen wir beide.“   „Hör' du auf, der Frage auszuweichen“, antwortete Ray darauf, „komm schon, sag' mir, wie du dich fühlen wirst, sobald Kai weiß, dass du ein Verräter bist.“   Tala verdrehte die Augen. „Und warum sollte dich das interessieren, Mietzekätzchen?“   „Kai ist mein Freund.“ Ray bewegte sich nach links und duckte sich hinter einem Kamin. „Er vertraut dir, aber das wird er nicht mehr, sobald er weiß, dass du für Boris arbeitest.“   „Und du wirst derjenige sein, der Kai alles darüber erzählt, nehm' ich an.“   „Nein, das ist deine Aufgabe.“   Talas Blick wanderte über das Dach, aber er hatte sogar den Wachmann aus den Augen verloren. Das Dach war groß mit vielen Hebungen und Senkungen, um die Höhen und Tiefen des oberen Teils der Abtei zu verstecken. „Du scheinst dich sehr um Kai Sorgen, Kon, nicht wahr? Gibt's dafür einen besonderen Grund?“   „Ich sorge mich um alle meine Freunde“, erwiderte Ray, „aber Kai war dein bester Freund, er wird verletzt sein, wenn er das 'rausfindet.“ Ray gingen so langsam die Verstecke aus und er wusste nicht, wie lange er noch so weiter machen konnte, jedoch hatte er nicht immer keinen Plan.   „Das wird er bestimmt“, war alles, was Tala dazu sagte.   Ray knurrte ein wenig; er bekam einfach nichts aus dem verdammten Wolf. „In Ordnung, sag' mir, warum du immer noch für Boris arbeitest.“   „Und warum sollte ich dir das sagen?“, fragte Tala, „was lässt dich glauben, dass es dafür einen Grund gibt.“   „Ach komm' schon, du hasst Boris. Das hast du während BEGA ziemlich klar gemacht.“   „Ich habe so getan, als würde ich Boris hassen. Das ist das, was er mir gesagt hat, was ich tun soll.“   „Wenn du Boris also nicht hasst, was fühlst du dann ihm gegenüber?“, fragte Ray. Er war nur noch wenige Meter von Tala entfernt, der noch immer in der Tür lehnte und Rays Fluchtweg blockierte. Wenn Ray ihn doch nur dazu bringen könnte, sich von der Tür zu entfernen.   „Muss ich überhaupt irgendwas fühlen?“, erwiderte Tala.   „Du musst irgendwas fühlen, jeder fühlt irgendwas. Sogar Bryan hat Gefühle, und ihm wurde beigebracht, keine zu haben.“   „Du kriegst nichts aus mir raus, Kon, also gib's auf.“ Tala hatte keine Lust mehr, bei Rays Spielchen mitzumachen. „Es ist Zeit, dass du dich ergibst.“   „Das wird nicht passieren!“, rief Ray, „ich werde nicht aufgeben!“   „Ach wirklich“, grinste Tala hämisch, „deine Entschlossenheit ist bewundernswert, aber ich glaube, du hast da 'was vergessen.“   „Ach ja, was denn?“   „Du hast den Wachmann vergessen, Ray.“   Ray wirbelte herum, als er hinter sich ein Knatschen hörte. Die Wache stand da, mit einem siegreichen Grinsen auf den Lippen, und Ray bemerkte zu spät, dass das alles geplant gewesen war. Tala hatte gewollt, dass Ray weitersprach, um ihn von den Bewegungen des Wachmanns abzulenken. „Verdammt sei dieser Wolf!“, stieß Ray aus als die Wache sich auf ihn stürzte. Er versuchte, zu entkommen, aber der Wächter packte seinen Fuß und ließ ihn zu Boden fallen.   „Jetzt hab' ich dich!“, lachte die Wache.   „Lass mich los! Du musst das nicht machen!“, brabbelte Ray als letzten, fruchtlosen Ausweg. „Wenn du Geld willst, dann hab' ich einen Freund, der dafür zahlen würde, dass ich frei komme! … zumindest hoffe ich, dass Kai für meine Freieheit bezahlen würde“, sagte Ray zu sich selbst, „die Theorie hab' ich noch nie getestet... Kai würde für meine Freiheit bezahlen... oder?“   „Komm' her, du kleine Ratte!“, knurrte der Wächter, als Ray nach ihm trat. Er warf sich auf Ray und dieses Mal bekam er den Neko-Jin fest zu packen. Ray grollte und rang mit dem Mann, konnte ihn jedoch nicht abschütteln. Und dann rutschte der Wachmann auf dem Eis aus und plötzlich fielen sie beide rückwärts, als die Wache die Kontrolle verlor, und zog Ray mit sich mit, als er über den Rand des Dachs der Abtei fiel.   „TALA!“                                                                                                                        Kais Leben war plötzlich surreal und fast wie in einem Traum. Er saß am Tisch des Esszimmers im zweitgrößten Anwesen seines Großvaters; es war nicht so groß wie Kais, das sich auf der anderen Seite der Stadt befand, aber es war groß genug für Voltaires Zwecke... welche auch immer das waren. Kai hatte diesen Ort seit Jahren nicht mehr gesehen, doch laut den Gesetzen gehörte es ihm, da sein Großvater als Tod galt. Was Kai jedoch wirklich verstörte, war, dass er vor nicht allzulanger Zeit noch auf der Beerdigung seines Großvaters gewesen war, er hatte Bryan davon abgehalten, den Sarg zu bekritzeln. Vielleicht hätte er darauf bestehen sollen, die Leiche zu sehen, dachte er launisch, um sicherzugehen, dass der Bastard wirklich tot war.   Jetzt allerdings war es offensichtlich, dass Voltaire Hiwatari tatsächlich lebte und bei bester Gesundheit war, so schien es Kai; er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie Voltaire überlebt hatte, aber er hatte keinerlei Zweifel, dass Voltaire sich seiner Geschichte rühmen würde, nur um Kai zu reizen. Der Phönix seufzte als er von dem großen Tisch, an dem er saß, aufblickte; am anderen Ende des Tisches saß sein Großvater, genau wie in alten Z,eiten... mit der kleinen Ausnahme der Bladebreakers, die auf der anderen Seite mittig des Tisches saßen. Wie sie hier hin gekommen waren wusste Kai nicht, aber er wusste, warum sie hier waren; um sicherzustellen, dass Kai sich benahm. Voltaire war viele Dinge, aber er kannte seinen Enkelsohn. Er wusste, dass Kai lieber sterben würde, als den Bladebreakers Leid zukommen zu lassen, Voltaire wusste, dass Kai alles tun würde, um eine Szene zu vermeiden, die ihn schwach und erbärmlich vor den Bladebreakers aussehen lassen würde. Da war jedoch eine Sache, die Kai ganz gewaltig störte.   Ray saß nicht am Tisch.   Kai hatte keine Chance gehabt, mit den Bladebreakers zu reden, aber ihre panischen Blicke in seine Richtung und angedeuteten Worte sagten ihm, dass sie auch nicht wussten, wo der Neko-Jin war. Tala machte sich auch durch Nichtanwesenheit verdächtig; an und für sich störte Kai das nicht, aber Tala hatte bezüglich Rays Reisepass gelogen, bei welchen anderen Sachen hatte er also noch gelogen? Was versteckte sich noch hinter den eisblauen Augen?   Eine Bewegung an der Wand zog Kais Aufmerksamkeit zu sich und er schielte zu Bryan, der dort angekettet war und versuchte, sich für Kai bemerkbar zu machen. Kai ignorierte ihn, er war noch immer sauer auf den Falken, sauer, dass er Kai so aufgewühlt hatte, sauer, dass er Kais Fragen nicht beantwortete und die eine Sache, die Kai rasend machte, war, dass Bryan einfach alles vergessen wollte. Das machte Kai so wütend und zornig; der Falke ignorierte alle größeren Ereignisse und scherte sich nicht drum, sich über sie Gedanken zu machen. Es machte Kai wahnsinnig.   Er wusste nicht, was er sich gedacht hatte; er und Bryan waren zu unterschiedlich, es gab nichts, was sie zusammen haben könnten... es war eine dumme Idee gewesen. Er hatte es überhaupt nur angefangen, weil er schwach gewesen war, aber das war nun vorbei. Er war nicht mehr der schwache Kai von damals, das würde er sicherstellten. Er brauchte Bryan nicht mehr.   Sein Brüten wurde jedoch durch einen Aufruhr an der Tür unterbrochen und ein Hausmädchen eilte in den Raum, Boris an ihren Fersen, der das Schauspiel vor sich begutachtete, bis er schockiert herumwirbelte, und mit vor Schreck geweiteten Augen auf Voltaire starrte, der Boris steif mit seinem Weinglas gestikulierte. Kai beobachtete Boris vorsichtig, an den Reaktionen des Mannes interessiert. Es war offensichtlich, dass Boris nicht wusste, dass Voltaire noch lebte. Das war interessant.                                                                                                                        „Tala!“   Bevor er begriff, was er da tat, hatte Tala den Durchgang verlassen und schritt zum Rand des Dachs. Ray hing dort, und seine Finger suchten auf dem rauen Stein des Dachs nach mehr Halt, da er abrutschte, während der Wachmann sich in Todesangst an Ray festklammerte. Ray versuchte, sich hochzuwuchten, aber mit der Wache, die von ihm herabhing, fehlte ihm die Kraft.   „Gib' mir deine Hand.“ Tala ging am Rand in die Knie und steckte die Hand nach unten aus.   Ray rutschte ab; der Stein war aufgrund der Eisschicht glitschig und seine krallenartigen Fingernägel verhalfen ihm nicht zu mehr Grip. Er sah hoch in Talas blaue Augen, das Gesicht des Wolfs war unlesbar, aber Talas Hand war in Reichweite. Wenn Ray doch nur die Stärke heraufbeschwören könnte, nach ihr zu greifen. „L-LASS' NICHT LOS!“, kreischte die Wache, „oh Gott, ich kann mich nicht festhalten!“ Er begann, an Ray herumzugreifen, doch mit jeder Bewegung löste sich Rays Halt am Stein.   „Halt still du verfickter Idiot!“, knurrte Tala. Er streckte sich noch weiter nach unten, wo Rays Finger sich an den Stein klammerten.   „Sei nicht dumm!“, rief Ray als Tala sich gefährlich weit nach vorne lehnte, „niemandem ist geholfen, wenn du hier in den Tod stürzt!“   „Halt's Maul und nimm' meine Hand!“, schnappte Tala.   „Nein! Hör' nicht auf ihn!“, schrie der Wachmann hysterisch, „er wird deine Hand nehmen und dich dann in deinen Tod fallen lassen, du Dummkopf!“   Ray zögerte und seine Augen trafen erneut auf die von Tala; seine Hand war so nah und wenn Ray nach ihr griff, könnte er sie packen, aber... würde Tala ihn loslassen? Lag Ray richtig damit, Tala sein Leben anzuvertrauen? Warum arbeitete Tala wirklich für Boris, nach allem, was Boris getan hatte? War Tala wirklich der böse Bastard, für den Ray ihn halten sollte?   „Wenn du dich weiter am Dach festklammerst wirst du fallen“, sagte Tala ruhig.   „Aber vertraue ich dir mit meinem Leben?“, fragte Ray, „du könntest mich loslassen.“   „Das ist das Risiko“, antwortete Tala.   Ray biss sich auf die Lippe; er konnte hier nicht den ganzen Tag rumhängen. Tala hatte Recht, er hatte keine Chance, wieder alleine hochzukommen und irgendwann würde er aus Erschöpfung loslassen müssen und fallen. Er sah wieder hoch zu Tala, dessen Hand noch immer vor ihm ausgestreckt war.   „O-O-OH MEIN GOTT!“, kreischte der Wächter, „DIE MAUER! SIE BRICHT EIN!“   Ray hatte keine Zeit nachzudenken, als die Wand direkt unter seinem Griff begann, einzustürzen und in kleine Felsstücke zu zerbrechen. Er versuchte, sich zu bewegen, doch der Wachmann war in Panik und jede Bewegung ließ den Stein nur noch mehr bröckeln. „Hör auf!“ Ray konnte sich nicht bewegen, die Wache zog ihn nach unten, wenn er jetzt losließ würde er fallen, bevor Tala eine Chance hatte, ihn zu packen.   Der Wächter war hysterisch; er war am Schreien und Heulen, griff hektisch nach Ray, als er seinen schwindenden Griff um den Tiger erneuern wollte... und dann fiel er. Er fiel, als er den Neko-Jin nicht mehr greifen konnte und er fiel, während er vor Todesangst schrie.   Und dann folgte eine ohrenbetäubende Stille, die lauter war, als ein Schrei es je sein konnte.   Alles geschah so schnell und Ray fand sich mit geschlossenen Augen wieder, er durfte nicht runter schauen, doch seine Fantasie versorgte ihm mit dem Bild des am Boden zermatschten Wächters unter ihm.   „Ray!“   Talas scharfe Stimme schnitt durch Rays angsterstarrten Verstand und er schaute wieder hoch zu Talas Gesicht, der noch immer zu ihm herunterstarrte. Der Fels unter seinen Fingern war kaum mehr als Staub und er wusste, was er tun musste.   „Vertraust du mir?“, fragte der Wolf.   „Ja!“   Als sich das letzte bisschen Stein auflöste, sprang Ray in Talas Richtung, griff nach der Hand des Wolf und stürzte sich in dessen starken Halt über ihn; Tala zog den Neko-Jin vom Rand des Dache hoch und sie beide fielen hintüber. Sie landeten hart auf dem Dach und krachten gegen einen steinernen Kamin. Sie lagen da, Seite an Seite unt keuchten vor Erleichterung; sie beide merkten, dass sie die Luft angehalten hatten, während Tala Ray wieder hoch in Sicherheit zog.   „Danke...“, flüsterte Ray.   Tala setzte sich auf und Ray tat es ihm gleich. „Naja, versuch nicht noch einmal, abzuhauen“, erwiederte Tala missmutig, „was auch immer du versuchst, ich werd's ahnen können.“   Ray zögerte, während er auf seine Finger runtersah, die noch immer mit Talas verschränkt waren. Schüchtern schaute er in Talas Gesicht und lehnte sich dichter an ihn heran. Tala sah ihm mit einem argwöhnischen Gesichtsausdruck zu, aber er schob Ray nicht fort, als der Neko-Jin nervös näher kam. Ray schluckte, als er Talas heißen Atem auf seinem Gesicht spüter. Seine Augen schlossen sich, als seine Lippen endlich die von Tala berührten und er rutschte dichter an den Wolf heran. Immer noch nervös, dass Tala ihn forstoßen würde, berührten seine Lippen kaum die von Tala bevor er sich wieder entfernte. Er wollte gerade losstottern, als sich Talas Hand auf seinen Hinterkopf legte und Ray sich wieder nach vorne lehnte, um erneut Talas Lippen zu treffen; dieses Mal mit Zuversicht. Kapitel 16: Befrei mich ----------------------- „Du! Du lebst!“, stotterte Boris.   „Sieht wohl so aus“, erwiderte Voltaire, „faszinierend, nicht wahr? Jetzt denkst du wohl, dass du Kai wohl nicht selbst umbringen wirst.“   Boris erblasste. „Glaub mir, Voltaire, ich würde niemals auch nur davon träumen-“   „Bitte, tu, was dir beliebt.“ Voltaire gestikulierte zu Kai. „Geh' und bring' ihn um, ich werde dir sogar deine Waffe geben.“ Er gab einem Diener ein Zeichen, der mit einem silbernem Tablett, auf welchem eine Schusswaffe lag, zu Boris eilte. „Nur zu, Boris, nimm die Pistole und erschieß meinen Enkel. Er wird nicht weglaufen.“   Tyson schnappte nach Luft und wollte aufstehen, doch Kai hielt ihn mit einem Kopfschütteln auf. Er beobachtete die Interaktion zwischen Boris und seinem Großvater vorsichtig... welche Spiel spielte Voltaire?   „Nur zu, Boris“, ermunterte Voltaire, „nimm die Waffe.“   Boris schaute zwischen Voltaire und dessen Enkel hin und her. Er wusste, dass etwas verdächtiges vor sich ging, aber er wusste nicht, was und er wusste auch nicht, was geschehen würde, wenn er die Waffen ahm und Kai erschoss... aber er wusste auch nicht, was passierte, wenn er sie nicht nahm.   Was sollte er tun.   Voltaire schaute ihn mit einem klaren Blick an und wartete auf Boris' Reaktion; Boris drehte den Kopf und schaute zu Kai. In gewisser Hinsicht war Kai genauso intrigant wie sein Großvater, war dies ein Spiel, um Boris zu fangen? War dieser Mann nicht Voltaire Hiwatari? War Voltaire Hiwatari wirklich tot und dieser Ersatz hatte sich klugerweise wie Kais Großvater hergerichtet? Seine Augen trafen auf die dunklen, roten Augen von Kai und für einen Moment musterten sie einander. Beide versuchten herauszufinden, ob der andere Kontrolle über die Situation hatte, beide versuchten zu sehen, ob der Mann am anderen Ende des Tisches wirklich lebte.   Kais Gesichte verriet keinerlei Emotion, als er zu Boris schaute, der die Waffe in die Hand nahm, doch nicht immer nicht auf ihn richtete; der Phönix schaute zurück zu seinem Großvater, der ebenfalls Boris beobachtete und auf irgendeine Handlung wartete.   „Worauf wartest du, Boris? Töte meinen Enkelsohn“, sagte der alte Mann gelassen.   Boris fing an zu schwitzen, und einen beschuldigenden Finger auf Kai richtend, rief er: „Er mir meine Abtei weggenommen! Er hat mir alles genommen!“   „Dann töte ihn“, wiederholte Voltaire neutral.   Boris löste die Sicherung und hob die Waffe, um sie auf Kais Kopf zu richten.   „Wobei ich erwähnen sollte, dass wenn du meinen Enkel tatsächlich tötest, werde ich dich töten müssen“, fügte Voltaire verschlagen hinzu.   Kai Augen ruckten zu seinem Großvater; das war unerwartet.   Boris wirbelte zu Voltaire und ließ die Waffe fallen. „Was!“   „Ich kann dir nicht gestatten, meinen Enkel ohne eine Strafe zu töten“, erklärte Voltaire.   Kai und Boris starrten einander an und zum ersten Mal hatte Kai kein Problem damit, zuzugeben, dass er keinen Schimmer davon hatte, was hier passierte.   „Aber-“, stotterte Boris, „-du hegst keinerlei Gefühle für Kai!“   „Es bin nicht ich, der wünscht, dass er lebt“, antwortete Voltaire geschmeidig, „ich vermute, du hast meine Schwiegertochter bereits kennengelernt.“   Boris drehte sich erneut ruckartig um als Absätze auf dem Steinboden klackerten und Fleur Hiwatari in den Raum schritt, um sich neben Voltaire zu stellen. Tysons Kinnlade klappte herunter als er Kais Mutter anstarrte. Boris konnte nur versteinert blinzeln, als er das Paar anstarrte. „Was geht hier vor?“   Fleur Hiwatari wandte ihren kühlen Blick auf den Mann und sagte: „Du hast verloren, das geht hier vor.“ Sie legte eine Hand auf Voltaires Schulter. „Mein Schwiegervater hat netterweise zugestimmt, seinen Enkel um meinetwillen zu beschützen. Ich würde es gar nicht mögen, wenn mein Sohn stirbt.“   „D-Das ist Kais Mutter?“, quietschte Daichi.   „Whoa“, keuchte Tyson, „darf ich sie heiraten?“   „Voltaire arbeitet für dich?“, schnaubte Boris, „ich finde das schwer zu glauben.“   Fleur Hiwatari schenkte Boris einen langen Blick und ein glockenhelles Lachen. „Ihr seid alle so dumm“, gurrte sie, „ihr denkt, ihr könnt Voltaire austricksen, dabei kann keiner von euch ihm das geben, was er wirklich will.“   Boris hob die Augenbrauen als er zu Voltaire schaute, der einen verdrießlichen Eindruck machte. „Du machst, was sie will? Sie kontrolliert dich?“   „Mein Schwiegervater wünscht ein weiteres Enkelkind. Das kann er nicht ohne die Zustimmung von mir und meinem Mann haben. Mein Gatte möchte lediglich Geld, aber ich werde den Mann nicht in meiner Nähe dulden, solange ich nicht ein paar Entschädigungen erhalte“, erklärte Fleur, „zum Beispiel der Schutz meines derzeitigen Sohnes, Kai.“   Alle starrten Voltaire an, der den Eindruck machte, als wolle er genau hier und jetzt Fleur die Kehle aufschlitzen. „Du hast dem tatsächlich zugestimmt?“ Boris stand vor Unglaube der Mund offen. „Alles für ein weiteres Enkelkind! Warum zur Hölle willst du noch eins? Eins ist mehr als genug!“   „Ahh, aber dieses Mal wird Voltaire es dich nicht großziehen lassen“, sagte Fleuer, „er wird sich selbst darum kümmern.“   „Das ist dein Ende, Boris“, sagte Voltaire, „du hast zu viele Fehler gemacht und jetzt muss ich das Chaos beseitigen, das du geschaffen hast.“   „Chaos beseitigen?“, wiederholte Boris, „du bist der, der tot sein sollte!“   „Denkst du wirklich, dass ich so dumm bin, mich von einem Bitbeast töten zu lassen?“, höhnte Voltaire, „ich dachte, du kennst mich besser.“   „Aber-“   „Genug geredet“, unterbrach Voltaire Boris' Gestammel, „weiter zum Geschäftlichen. Ich vermute, du bist der, der den Neko-Jin hat.“   Boris öffnete und schloss seinen Mund geräuschlos, sackte aber zusammen und nickte, während er spürte, wie Kais Mörderblick seinen Körper durchbrannte.   „Gib' ihn zurück!“, knurrte Kai, „für was zur Hölle brauchst du ihn überhaupt?“   „Ich will wissen, wie er es geschafft hat, Bryan zu besiegen“, antwortete Boris fast schon scheu.   „Du wirst ihn umbringen“, sagte Voltaire ruhig.   „NEIN!“ Kai stand von seinem Stuhl auf. „Ich werd' dich zur Hölle schicken, bevor ich das zulasse!“   „Setz dich hin, Kai, außer du willst, dass einer deiner anwesenden Freunden stirbt“, befahl Voltaire.   Kai schaute ihn finster an, doch Voltaire nickte zu einem Bediensteten, der eine Schusswaffe aus seiner Jacke hervorholte und sie auf Tysons Kopf richtete. Hilary schrie auf, doch dieses Mal war Tyson derjenige, der ruhig blieb. „Kai, lass' ihn mich einfach töten. Du musst Ray retten!“   Kay jedoch setzte sich wieder hin. Es war klar, dass Voltaire alle Fäden in der Hand hielt und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, sich zu wehren war keine gute Idee im Moment. Lass Voltaire kriegen, was er haben will und denke daran, dass das die einzige Möglichkeit war, um die Bladebreakers zu retten. Es machte keinen Sinn, seine Mutter um Hilfe zu bitten, er wusste nicht, warum sie ihn beschützte, aber sie würde niemals jemandem helfen, den sie nie getroffen hatte.   „Kai! Du musst-“   „Tyson, sei still“, sagte Kai, während er sich wieder zu seinem Großvater wandte. „Wie du wünschst, Großvater.“   „Gut, ich bin froh, dass du dich dazu entschieden hast, zu gehorchen.“ Voltaire drehte sich wieder zu Boris. „Nun, geh. Vergiss deinen Spaß mit dem Neko-Jin. Ich will, dass er stirbt, Boris.“   Boris entglitten alle Gesichtszüge; er konnte nicht glauben, dass dies hier geschah. Nach so vielen Jahren, die er für diesen Bastard gearbeitet hatte, hatte er geglaubt, endlich frei zu sein, aber nicht so.   Wie?   Wie konnte das nicht geschehen?   Mit einem unterdrückten Knurren drehte er sich plötzlich um und begann, zu gehen.   „Boris.“ Kais Stimme war scharf und für einen flüchtigen Moment konnte Boris den Tonfall von Voltaire Hiwatari in ihr hören. Der Mann drehte sich genauso plötzlich wieder um und sah den jüngsten Hiwatari an. „Wo ist Tala?“, fragte Kai direkt. Das war nicht das, was Kai eigentlich hatte sagen wollen, er wollte Boris sagen, dass wenn er Ray auch nur anrührte, würde Kai ein ganzes Magazin in ihm entleeren. Aber das war keine Option und nebenbei, so sauer er auf Tala auch war, Kai wollte seinen rothaarigen Freund zurück.   Boris schaute ihn für einen Moment überrascht an, bevor er lachte. „Du meinst, du weißt es immer noch nicht?“ Er lachte erneut, als sowohl Bryan als auch ihn vollkommen verwirrt anstarrten. „Ihr glaubt, ich habe Tala irgendwo eingesperrt?“ Boris konnte nicht aufhören zu lachen, diese ganze bizarre Situation machte ihm so langsam zu schaffen, doch die Neuigkeit, dass Kai nicht über Tala Bescheid wusste, war so amüsant neben all den anderen Sachen, dass er sich einfach nicht wieder einkriegte. „Tala wartet auf mich in der Abtei, Kai. Er wartet auf seine nächsten Befehle. Er sollte mir eigentlich dabei helfen, den Neko-Jin zu untersuchen, aber das wird nicht mehr passieren.“   „Was?“ Für Kai war die ganze Welt gefroren; das sollte nicht apssieren, Boris konnte nicht meinen, was Kai glaubte, was er meinte. Bryan war ebenfalls sehr ruhig geworden, seine blassen Augen auf den Mann, den er hasste, fixiert.   „Tala arbeitet für mich, Kai!“ Boris war vor Lachen schon am Heulen. „Hat er immer und wird er immer.“   „Oh, Boris, halt den Rand und verschwinde.“ Fleur Hiwatari lehnte sich gelassen gegen den Tisch und sprach gelangweilt: „Du wirst lästig.“   Außer sich vor Wut, dass sein Moment der Freude von einer bloßen Frau unterbrochen worden war, öffnete Boris den Mund, um zu kontern. Dann sah er jedoch Voltaires Gesichtsausdruck und er hatte keine Wahl, als sich ohne ein weiteres Wort davonzumachen.   Voltaire allerdings wandte sich wieder an den Tisch.   „Ich persönlich werde die Bladebreakers zu einem sicheren Ort begleiten“, sagte er ruhig. „Fleur, ich glaube, du hast Kai ein paar Dinge zu sagen, allerdings ist Matthew gerade angekommen und möchte mit dir reden.“   Fleurs angeekelter Blick war offensichtlich, doch sie sagte nichts, als sie aus dem Raum klackte und zur Eingangstür ging, wobei Tyson und Daichi jede ihrer Bewegung beobachteten... bis Hilary ihnen sagte, dass sie etwas weniger widerlich sein sollten.   Kai schaute betäubt dabei zu, wie seine Bladebreakers mit einem Lauf an der Schläfe aus ihren Stühlen und aus dem Raum gezwungen wurden. Sowohl Tyson als auch Max schauten zu ihm zurück, doch er schüttelte den Kopf. Eine falsche Bewegung jetzt und sie würden alle binnen einer Sekunde tot sein.   Kai würde das niemals geschehen lassen.   Sobald sie alle fort waren bemerkte er, dass abgesehen von dem Diener, der noch immer anmutig die Schusswaffe in der Hand hielt, nur noch Bryan mit in dem Raum war.   „Sieh' mich an“, sagte der Falke in die leere Stille.   „Nein.“ Kai stand mit dem Rücken zu Bryan.   „Sieh' mich an, Geldjunge!“ Bryans Stimme war schärfer und Kai hörte das Klirren von Kettern, als Bryan aufstand.   „Nein, ich habe wichtigere Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss.“ Kai fuhr sich mit einer Hand durch's Haar, doch er hatte unterschätzt, wie lang Bryans Ketten wirklich waren und im nächsten Moment spürte er Bryans Atem in seinem Nacken. „Geh' weg.“   „Hast du gehört, was Boris gesagt hat?“, fragte Bryan, „er sagt, dass Tala für ihn arbeitet.“   „Ich habe ihn klar und deutlich gehört“, erwiderte Kai. Er drehte sich noch immer nicht um, doch er konnte nicht anders, als zu fragen: „Glaubst du Boris?“   Bryan hielt für einen Moment inne, bevor er tonlos antwortete: „Boris hat zu oft gelogen, als dass ich ihm noch irgendwas glauben würde, aber...“   „Aber?“, wiederholte Kai als er herumwirbelte. „Aber was? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Tala ein Verräter ist?“   „Naja, wo ist er dann?“, fragte Bryan wild, „wenn er kein Verräter ist, wo ist er dann? Er sollte eigentlich dein bester Freund sein, oder? Wo ist er, Geldjunge? Beste Freunde bleiben an deiner Seite, egal was, aber Tala ist nicht hier!“   „Er wird seine Gründe haben“, argumentierte Kai zurück. „Vielleicht weiß er, dass Boris Ray hat, und versucht ihn zu schützen, indem er so tut, als würde er für Boris arbeiten.“   „Schwachsinn! Was glaubst du, wie Boris Kon überhaupt in die Finger gekriegt hat?“, merkte Boris auf, „er würde nicht gerade zu Boris rennen, ganz so dumm ist er auch nicht.“   „Tala würde Ray niemals an Boris geben.“ Kai spießte Bryan wütend mit seinen Blicken auf. „Du glaubst wirklich, dass Tala für Boris arbeitet, oder?“   „Ja. Je mehr ich darüber nachdenke, dest mehr glaub' ich es“, antwortete Bryan, Kai in die Augen starrend. „Und tief drinnen tust du es auch. Boris hat keinen Grund dafür, zu sagen, dass Tala für ihn arbeitet, außer, es ist die Wahrheit. Es bringt ihm nichts, wenn er darüber lügen würde... und das weißt du.“   „Tala würde nicht für Boris arbeiten“, knurrte Kai, „er hasst Boris. Er würde niemals-“   Bryan griff Kais Gesicht in seinen großen Händen und zwang den Phönix, ihn anzublicken. „Hör' auf mit dem Scheiß. Tala arbeitet für Boris und du weißt es! Tief drinnen weißt du es!“   Kai wurde still; er wusste nicht, was er sagen sollte, er glaubte nicht, dass er irgendetwas sagen könnte. Zum ersten Mal in seinem Leben fehlten ihm die Worte, während er in Bryans Gesicht starrte. Wie hatte der Falke seine Gedanken so einfach lesen können? Er versuchte, sich von ihm zu entfernen, versuchte, die Gefühle, die in ihm aufstiegen und ihm sagten, dass wenn er sich jetzt von Bryan abwandte, würde er alleine sein, loszuwerden. Er brauchte Bryan nicht, da war nichts-   Er krallte eine Hand in Bryans Haar und zog den Falken zu sich, ihre Lippen schmerzhaft aufeinander pressend. Er griff nach Bryans Hals und zitterte fast von dem Verlangen, Bryans Präsenz zu spüren; er fühlte sich dem Falken gegenüber bitter, der ihn so wütend machen konnte, doch ihm gleichzeitig auch den Verstand raubte. Manchmal wünschte er sich, er könnte Bryan einfach wieder hassen wie früher, das war simpel gewesen und so einfach... Zumindest hatte Kai noch gewusst, wo er stand.                                                                                                                       „DU DUMMER IDIOT!“ Blut spritzte gegen die Wand, als Boris' Gürtel Tala erneut ins Gesicht schlug. „WIE KANNST DU ES WAGEN, IHN ENTKOMMEN ZU LASSEN?“ Boris hob seinen Gürtel erneut und ließ ihn abermals in Talas Gesicht peitschen.   Tala stand da und akzeptierte die Bestrafung; er hätte sich wehren können, wenn er wollte, er hatte es in der Vergangenheit getan, aber nun stand er einfach da und ließ Boris seinen Ärger an ihm auslassen. Ihm floss immer noch Blut aus dem Besicht und aus einigen Schnitten an seinem Körper, aber der Schmerz war längst verschwunden; jetzt war sein Gesicht taub und fühlte sich an wie Blei, aber der Schmerz war weg. Sobald Boris zurückgekehrt war, hatte Tala gesehen, dass etwas nicht stimmte; Boris war wütend gewesen und hatte ohne Grund herumgeschrien. Er hatte Dinge umhergeschmissen und die Wachen herumkommandiert. Und dann hatte er den Grund für seine Wut offenbart.   Voltaire lebte noch.   Tala hätte laut loslachen können; von seinem Standpunkt aus war er gut, dass Boltaire noch am Leben war, es lenkte Boris ab und das war es, was Tala wollte. Allerdings hatte sich die Wut nur noch verstärkt, als Tala ihm von Rays Fluchtversuch erzählt hatte. Es war schon eine Weile her, dass Boris das letzte Mal so zornis war, aber nun prügelte er Tala ohne Sinn und Verstand, wieder und wieder. Nicht aufhörend, bis Talas Gesicht sich anfühlte, als ob es zu einem unerkenntlichen Haufen geschlagen worden war.   …   Daher benötigte Tala einen Augenblick, bis er bemerkte, dass die Prügel aufgehört hatten und dass Boris sich schwer atmend gegen die Wand lehnte. „Vergeben Sie mir, Master“, sagte er durch einen Mund voller Blut und geschwollene Lippen, „es wird nicht wieder passieren.“   „Das ist jetzt egal!“, zischte Boris, „Kon muss sterben, heute noch.“   Tala blickte auf, unfähig, die Erinnerung an Rays Lippen, seine Augen und sein zögerliches Lächeln zu verdrängen. „Sterben?“, wiederholte er, „was ist mit-“   „Vergiss das!“, schnappte Boris, „der Plan hat sich geändert! Alles hat sich geändert!“   „Ja, Sir.“ Tala tat einen Schritt zurück. „Wie soll es gemacht werden?“   „Ich werde einer der Wachen sagen, sie sollen Kon irgendwo ins nirgendwo fahren“, sagte Boris.   „Wollen Sie, dass ich sie begleite?“ Tala wischte ein Rinnsal metallischen Bluts von seinem Mundwinkel.   „Nein, du hast genug angestellt“, fauchte Boris, „und ich brauche dich hier bei mir.“   Das passte Tala mehr als nur perfekt; Ray würde verschwinden, ohne, dass an ihm herumexperimentiert würde. Der Fahrer würde ihn irgendwo einfach aussetzen und alles, was Ray tun musste, war der Straße zurück in die Stadt zu folgen. Ray war klug genug, das alleine zu schaffen, was bedeutete, dass Talas Pläne nicht gefährdet wurden.   „Geh und hol' ihn“, befahl Boris, „warum erst später wenn wir's auch jetzt schon tun können.“   „Ja, Sir.“                                                                                                                       Ray saß auf einem Stuhl und schaute sich um. Der Ort, an dem er dieses Mal hinterlassen wurde, war viel besser als seine erste Unterkunft in der Abtei. Er war gut eingerichtet und nach einer kurzen Untersuchung entdeckte er, dass es Kais alte Zimmer waren, vermutlich von seiner Zeit in der Abtei. Er hatte sein eigenes Badezimmer, in welchem Ray, sehr zu seiner Erleichterung und Freude, eine Dusche hatte nehmen können und Tala hatte ihm etwas heiß begehrtes Essen dagelassen.   Tala.   Rays Gedanken drifteten zurück zu dem Rotschopf und auf das Dach hoch über dem Rest der Welt, wo sie-   Ray schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Tala war ein Verräter und- aber war Tala wirklich ein Verräter? Es stimmte, er arbeitete für Boris, aber Ray war überzeugt, dass Tala einen Grund dafür hatte, dass er für Boris arbeitete, es musste einen Grund geben; Boris war noch immer der grausame Mann, der er immer sein würde und Ray war sich sicher, dass Tala nicht für ihn arbeiten würden, wenn er nicht seine Gründe dafür hätte.   Er seufzte und wandte sein Gesicht zur Decke. „Bitte, hab' einen Grund“, murmelte er, „ich möchte dich mögen, Tala.“   Sein Verstand driftete dann zurück zu Kai und den anderen, er hoffte, dass es ihnen gut ging und am Meisten betete er dafür, dass Tyson nicht versucht hatte, Kai ein weiteres Mädchen aufzuzwingen. Er fragte sich, ob die Bladebreakers noch immer im Hotel waren oder ob sie sich irgendeinen Ärger eingebrockt hatten. Es konnte nicht schlimmer sein als das, in was er hereingeraten war. Zum Henker, er war dabei, Gefühle für seinen Entführer zu Entwickeln, nichts konnte schlimmer sein als das!   Er wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete und Ray fand sich selbst wieder, wie er errötend aufsprang als Tala in den Raum trat - er erstarrte. „Oh mein Gott!“   Talas Gesicht war schwarz und blau, seine Lippen waren geschwollen und aufgeplatzt, getrocknete Blut verkustete über den Wunden, die die Schnalle der Gürtels verursacht hatte. Tala hatte kaum Zeit, den Neko-Jin zu bemerken, bevor der mit kreidebleichem Gesicht zu ihm rannte. Ray streckte die Hand aus, um Talas Gesicht zu berühren und Tala zog sich instinktiv zurück, aber Rays Gesichtsausdruck fing seine Aufmerksamkeit.   Ray sah... besorgt aus.   Jemand machte sich Sorgen um ihn. Tala fand das nur schwer zu glauben und es war vorher noch nicht geschehen. Falls Kai sich jemals um ihn gesorgt hatte, dann hatte er es nie gezeigt, und Bryan wusste nicht einmal, wie man sich Sorgen machte. Aber da stand Ray und sah sich jeden Zentimeter von Talas Gesicht an und hob die Hand erneut, um sanft ein Rinnsal Blut an seiner Stirn wegzuwischen. Er war so zart und Tala wusste nicht, was er tun sollte, niemand war je so zart mit ihm umgesprungen und auf gewisse Weise machte es ihm Angst. Was sollte er tun? Einfach dastehen, während Ray das Blut wegwusch? Niemals! Er sollte verdammt sein, bevor er das geschehen ließ!   „Warum arbeitest du für jemanden, der dich schlägt?“ Rays Stimme war ein Flüstern. „Es muss einen Grund geben. Sag' es mir Tala. Red' mit mir.“ Er kam näher, unfähig fern zu bleiben, und schob eine Strähne roten Haars von einem böse aussehenden Schnitt auf Talas Wange beseite. Er streckte sich und legte seine Lippen vorsichtig auf die geschwollenen, brennenden von Tala. „Sei offen zu mir.“   Eine Hand packte Rays Handgelenk und zwang es nach hinten; Talas Finger gruben sich in Rays ungezeichnete Haut, unterbrachen den Blutfluss, sodass Rays Haut unter dem Druck weiß wurde. „Sei Still. Da ist etwas, das du wissen musst.“ Kapitel 17: Sein Lächeln ------------------------ Er stand neben dem Fenster und sah zu, wie das Auto durch die Tore der Abtei fuhr, sein Gesicht ausdruckslos und seine Augen leer, während er zuschaute, bis das Auto verschwand. Aber seine Gedanken waren woanders, zurück in jenem Zimmer, wo der Neko-Jin sich geweigert hatte, zu verschwinden, bis er das Blut von Talas Gesicht gewaschen hatte. Tala hatte darüber nachgedacht, Ray gewaltsam von seiner Person zu entfernen, aber etwas hatte ihn gestoppt; Ray war so sanft und zärtlich gewesen, so sehr, dass Tala wollte, dass er wieder zärtlich war und er hatte sich selbst nicht mehr dazu in der Lage gesehen, diese blasse und unversehrte Haut zu beschädigen. Also, mit zusammen gebissenen Zähnen, hatte er sich hingesetzt während Ray sanft das getocknete Blut weggewischt hatte und hatte sich geweigert, auch nur eine von Rays Fragen zu beantworten, entschlossen sagend, dass sie Ray nichts angingen. Alles was Ray getan hatte war, über seine Sturheit zu lächeln und ihn mit etwas mehr Desinfektionsmittel zu behandeln als nötig. Nun fühlte Tala den langen, dünnen Schnitt noch, der von seinem Auge bis zu seiner Lippe verlief, Ray hatte jede einzelne Wunde sanft gesäubert und darauf geachtet, Tala nicht mehr wehzutun als sein musste, auch wenn Tala angemerkt hatte, dass das Desinfektionsmittel tatsächlich mehr schmerzte als die Wunden selber.   „Da bist du ja.“   Tala drehte sich nicht um, als Boris den Raum betrat. „Sir“, erkannte er die Anwesenheit des Anderen an während sich die Tore der Abtei langsam und beeindruckend schlossen; was Tala anging, so war Ray jetzt sicher. Der Fahrer würde ihn bei der Straße lassen, damit er erfror, und wieder davonfahren. Aber wenn Ray genau Talas Anweisungen folgte, würde er zurück in der Stadt sein, bevor das geschah. Tala war sich nicht sicher, warum er Ray geholfen hatte, aber jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, konnte er nur Rays totes Gesicht sehen, die glasigen Augen weit geöffnet während der Neko-Jin tot dalag, erfroren...   Tala mochte es nicht, der Gedanke ließ ihn vor etwas, das an Ekel grenzte, erschaudern, wenn er an das Bild von diesen zärtlichen Fingern dachte, die eingefroren waren. Aber Ray zu helfen hatte seinen Plan nicht beeinflusst und das war die Hauptsache. Nichts würde Talas Plan durcheinander bringen.   „Ich habe den Fahrer angewisen, Kon zu erschießen, sobald sie aus der Stadt raus sind“, sagte Boris, der sich neben Tala an das Fenster stellte. Er seufzte dramatisch. „Aber du und ich müssen Voltaire besuchen, was auch immer der Irre vorhat, es stimmt bestimmt nicht mit Fleur Hiwataris Wünschen überein. Wir gehen in fünf Minuten.“   Nachdem er zuende gesprochen hatte, drehte er sich weg vom Fenster und ging aus dem Raum, darüber brummend, wie sehr er Voltaire insgeheim hasste und ließ Tala erstarrt beim Fenster zurück. Tala lefte seine Hand auf das Glas als er versuchte, mit dem klar zu kommen, was Boris gerade gesagt hatte.   Er wollte Ray erschießen lassen.   Das konnte nicht richtig sein. Talas Verstand war ein Durcheinander als das Bild von einem toten Ray zurückkehrte, außer, dass sich dieses Mal eine Lache aus Blut unter ihm sammelte, welches aus einer Schusswunde an seiner Schläfe strömte. Er verscheuchte das Bild vehement aus seinem Geiste.   Das ruinierte alles.   Wenn er Ray nachgehen würde, würde Boris das als Ungehorsam seinen Anweisungen gegenüber verstehen und Boris musste Tala vertrauen; er musste, das war der Kernpunkt seines ultimativen Plans, Boris musste ihm vertrauen. Aber das bedeutete, dass Ray erschossen werden würde; außerhalb der Stadt, wo es keine Verstecke gab und der Fahrer würde nicht lange brauchen, um Ray zu erschießen.   „Nein!“ Talas Augen wurden eisig.   Er konnte seinen Plan nicht einfach über den Haufen werfen, nicht nach so langer Zeit.   Er krallte sich an die Fensterbank, seine Zähne knirschten, aber er hatte sich entschieden.   Er würde Ray sterben lassen.   Nichts würde seinen Plan zerstören.                                                                                                                   „Du hast nach mir gerufen, Mutter?“ Kai trat in das Wohnzimmer, wo er sah, wie seine Mutter am Fenster stand und ein Glas Rotwein sachte schwenkte.   „Ja, bitte setz' dich.“ Sie blickte ihn nicht an, oder drehte sich zu ihm, als er gehorchte und sich auf den Futon setzte, zurücklehnte und sowohl Beine als auch Arme kreuzte.   „Was ist?“, fragte er, nachdem sie für einige Augenblicke nichts sagte.   Sie wandte sich vom Fenster zu ihm, tadellos aussehend in ihrem Anzug, der ihre Kurven zeigte. Sie mochte ihren Ehegatten hassen, aber das bedeutete nicht, dass sie nicht wollte, dass er jedes Mal zu sabbern beging, wenn sie den Raum betrat. Sie ging zu dem Tischchen mit den Getränken und goss Kai ein Glas Wein ein, welche er ohne weitere Worte annahm.   „Ich habe von Matthew gehört, dass du schwul bist. Ist das wahr?“   Kai erstarrte, das Glas noch immer in der Luft auf dem, abgestellt zu werden; wie hatte sein Vater das erfahren? „Ich dachte nicht-“   „Kai, es für mich vollkommen belanglos, wem du hinterherrennst.“ Ein sadistisches Lächeln legte sich auf ihre blutroten Lippen. „Doch es ist kein Wunder, dass Voltaire einen weiteren Erben will. Die Hiwatari Familie ist dabei, auszusterben, und das nach hunderten von Jahren. Voltaire hat Panik.“   „Gib' ihm keinen weiteren Erben“, sagte Kai, als er sich aufrichtete, „das darfst du nicht. Jeder, der von Großvater erzogen werden würde, würde ein Monster werden!“   „Mein Liebling, ich habe nicht vor, einen weiteren Erben zu zeugen.“ Fleur füllte ihr Glas erneut mit feingliedrigen Fingern, deren Nägel makellos gefärbt waren. „Voltaire glaubt, wenn er dich beschützt, hat er mich um den Finger gewickelt. Leider hat Voltaire nie verstanden, dass mir diese Familie nichts bedeutet.“   „Warum beschützt du mich dann überhaupt?“, fragte Kai, „und vor was genau? Boris' Plan ist ruiniert, ich hab' keine anderen Feinde, die mich genug hassen, dass sie mich töten würden.“   „Nicht einmal Kuznetsov?“, fragte seine Mutter, „ich dachte, ihr zwei würdet euch hassen.“ Kai sagte nichts und Fleurs Lächeln wurde wissend. „Für jemand, der seine Gefühle für sich behält, bist du leichter zu lesen als ein Buch.“   „Du weichst meiner Frage aus“, erwiderte Kai angespannt. „Warum mich beschützen? Vor wem schützt du mich? Und warum jetzt? Jahrelang hast du daneben gestanden und zugeschaut, als mein Großvater und Boris mich praktisch ermordet haben.“   „Warum jetzt?“, wiederholte Fleur, „weil ich endlich die Macht habe.“   Kai runzelte die Stirn. „Ich versteh' nicht.“   „Ob Voltaire nun lebt oder nicht, er wurde offiziell als tot deklariert“, erklärte Fleur, „seine einzige Möglichkeit, das zu ändern, besteht darin, wenigstens ein legal lebendiges Mitglied der Hiwatari Familie dazu zu bringen, ein Dokument zu unterzeichnen, dass bestätigt, dass sie ihn lebendig gesehen haben. Und keiner von uns plant, das zu tun.“   „Vater würde“, widersprach Kai, „deswegen wollte er auch die Abtei, es hatte nichts mit Boris zu tun. Großvater hat ihm gesagt, mir die Abtei abzunehmen.“   „Genau darum geht es mir“, sagte Fleur ruhig,“ als Voltaire für tot erklärt wurde, hast du alles erhalten, was er besessen hat. Matthew wurde übersprungen weil Matthew nicht in der Lage war, Black Dranzer zu kontrollieren. Sein Testament hat sich in dem Moment geändert, als du Interesse an diesem besonderen Bitbeast gezeigt hast.“   Etwas in Kais Kopf machte Klick. „Und deswegen beschützt du mich, nicht wahr? Im dem Moment, in dem ich sterbe, geht alles Geld an meine nächsten Verwandten, was du und Vater wären, außer, dass Vater alles sofort an Großvater geben würde.“   „Exakt.“ Fleur lächelte ein wenig. „Gut zu wissen, dass du immer noch ein Hirn hast.“   „Aber wie hat Großvater überlebt?“, fragte Kai, „er lag im Sterben als ich ihn in der Abtei zurückgelassen habe.“   „Voltaire hat überlebt, weil ich ihn gerettet habe“, antwortete Fleur schlicht.   Kai starrte sie an. „Du hast ihn gerettet? Er stand so kurz vor'm Sterben und du hast ihn gerettet?“   „Voltaire ist kurz nachdem ich ihn gerettet habe ins Koma gefallen. Ich habe ihn öffentlich für tot erklären lassen und habe eine Beerdigung arrangiert, bevor er wieder aufgewacht ist. Der Arzt, der ihn für tot erklärt hat, ist ein persönlicher Freund von mir.“ Fleurs sadistisches Lächeln kehrte zurück. „Alle dachten, ich war so stark, dass ich so eine traurige Aufgabe bewältigen konnte. Sie haben nicht verstanden, dass ich Voltaire hasse, doch die Öffentlichkeit wird denken, was die Öffentlichkeit denken wird und ich muss das Gesicht der Hiwataris wahren.“   „Aber warum hast du ihn am Leben erhalten?“, bohrte Kai erneut nach.   „Komm schon, ich dachte, du hättest ein Hirn.“ Fleur Hiwatari warf ihrem Sohn einen missbilligenden Blick zu. „Rache. All die Jahre hatte Voltaire mich eingewickelt, hat mich dazu gebracht, ihm alles zu geben, was er wollte. Jetzt hat sich das Blatt gedreht und ich habe vor, dass Voltaire unumstößlich feststellt, dass ich nun die Kontrolle habe.“   Kai verarbeitete dies.   War es gut, dass seine Mutter die Fäden in der Hand hielt?   Er verdrängte den Gedanken und sagte stattdessen: „Du hast mir immer noch nicht gesagt, vor wem du mich beschützt.“   „Denk darüber nach“, sagte sie ruhig, während sie ihm ins Gesicht schaute. „Es ist wirklich einfach, wenn man die Teile nur zusammensetzt. Denk über alles nach. Etwas seltsames ist passiert. Etwas, das du nicht verstehst.“   Er schaute zu ihr zurück, er verstand nicht, aber er wusste, dass der Versuch, eine direkte Antwort von ihr zu kriegen, wenn sie keine geben wollte, einem Schwimmausflug durch Kleister gleichkam. Tyason hatte das einmal über ihn gesagt, dachte er, vielleicht waren er und seine Mutter sich ähnlicher, als er gedacht hatte. Er strengte sein Hirn an, etwas seltsames das geschehen war. Eine Menge merkwürdiger Sachen waren kürzlich passiert, aber das Meiste davon verstand er nun... außer eins...   Es war offensichtlich, wirklich.                                                                                                                     „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das beginnt mit W!“, sagte Daichi.   „Wand“, antwortete Tyson stumpf.   „Verdammt! Du hast es erraten!“   „Ja, es war irgendwie offensichtlich. Das einzige, was man hier sehen kann, ist eine Wand.“ Tyson wedelte mit der Hand zu besagter Wand, die, ganz wie eine Wand es tat, auf sie herunterblickte. Sie waren in einen dunklen, feuchten Raum im Keller geworfen worden und Bryan war nicht viel später ebenfalls reingeschoben worden. Besagter Falke saß derzeit in der Ecke und zählte die Sekunden, bis seine Vernunft sich wirklich verabschieden würde. So eng mit den Bladebreakers zusammen festzustecken würde jeden herausfordern; er war angekettet worden und obwohl Tyson, sehr mutig, versucht hatte, ihn zu befreien, waren die Ketten an seinen Handgelenken und der Wand befestigt worden.   „Ich hoffe, es geht Ray gut“, flüsterte Hilary, als sie sich an Kenny festklammerte, der heftig zitterte.   „Keine Sorge, Hils“, lächelte Max, „Ray ist nicht doof. Er ist vermutlich schon auf dem Weg zu uns.“   „Ich kann es vor mir sehen“, nuschelte Bryan zu sich selbst, „er kommt durch die Tür marschiert, besiegt Voltaire, tötet die Wachen, betäubt Matthew Hiwatari und ist auf bestem Wege, uns hier rauszuholen, als hoppla, sein Haar in der Tür festhängt.“   „Aber Voltaire hat Boris gesagt, dass er ihn töten soll!“, platzte es aus Kenny heraus.   „Mach mal halblang, Ken. Ray wird sich nicht gerade mit offnen Armen Boris entgegenwerfen.“ Tyson klopfte dem kleinen Genie auf den Rücken. „Und nebenbei, Kai wird niemals zulassen, dass ihm etwas passiert.“   „Tut mir Leid, dass ich dich enttäuschen muss, Tyson, aber Kai ist gerade ein bisschen beschäftigt!“, quietschte Kenny hysterisch, „seine toter Großvater ist gerade wieder auferstanden! Das ist nicht gut! Verstehst du denn nicht! Wir sind alle tot! Wir werden alle sterben!“   „Ich glaube nicht, dass Kenny heute seinen Morgenkaffee hatte“, sagte Max nachdenklich, „er dreht immer ein bisschen ab, wenn er keinen Morgenkaffee hatte.“   „Ah, Voltaire weiß nicht, auf was er sich eingelassen hat. Kenny ohne Morgenkaffee ist schlimmer, als eine von Kais Trainingseinheiten.“ Tyson sackte an der Wand zusammen. „Wo wir gerade davon reden, Kai wird nach der ganzen Geschichte ernsthaft Urlaub brauchen.“   „Tyson, komm' ja nicht auf dumme Ideen“, warnte Max ihn, jedoch mit wenig Hoffnung. „Und denk' nicht einmal daran-“   „Ich dachte, wir könnten ihn mit nach England nehmen, vielleicht ist die Liebe seines Lebens ja da.“   „-Kai ein anderes Mädchen zu suchen“, beendete Max seinen Satz seufzend, bevor er mit fester Stimme sagte: „Tyson, wenn du auch nur daran denkst, Kai ein Mädchen zu suchen, wird er dich ganz langsam in mehrere tausend Stücke zerhacken.“   „Da wird er nicht der einzige sein!“, zischte Bryan, „wenn der kleine Spast noch einmal vor Kai von irgendwelchen Mädchen spricht, wird Kai sich anstellen müssen! Ich werd' den kleinen Drachenbastard grillen.“   Tyson wandte sich zu Bryan, als er das hörte, und warf ihm einen kritischen Blick zu. „Ich glaube, du bist nur eifersüchtig.“   Der ganze Raum starrte ihn an, als Bryan langsam sagte: „Eifersüchtig auf was genau?“   „Eifersüchtig auf die Tatsache, dass ich darauf vorbereitet bin, Kai ein Mädchen zu finden. Offensichtlich hast du nicht viel Glück mit den Frauen und brauchst Hilfe.“ Tyson verschränkte seine Arme, als ob er überlegen sei. „Alles, was du hättest tun müssen, war fragen, weißt du. Ich kenne einige Mädchen, die alle an einem Kerl wie dir interessiert wären.“   Max, Daichi, Kenny und Hilary zuckten zusammen, als Bryan aufstand und mit einen klauenartigen Hand nach Tyson griff, wobei er den Drachen von den Füßen hob. „Wenn du auch nur daran denkst, mir irgendein Mädchen ins Gesicht zu schieben, werde ich dich zerreißen.“ Bryan sprach in einer ruhigen, leisen Stimme, doch seine Faust ballte sich in Tysons Oberteil. „Hast du verstanden?“   Tyson nickte recht hektisch. „Keine Mädchen, hab's verstanden.“   „Und versuch' nicht mal, Hiwatari mit irgendeiner blonden Tussi zu verheiraten!“   „Auch keine Mädchen für Kai.“ Tyson gab ihm ein großes und ziemlich eingeschüchtertes Lächeln. „Hab's laut und deutlich verstanden.“   „Guter Junge.“ Bryan setzte Tyson wieder auf die Füße und ging zurück in seine Ecke, wo er sich wieder in genau der gleichen Position wie zuvor hinsetzte.   Tyson räusprete sich und richtete sein Hemd etwas zittrig wieder her, bevor er sich mit einem zu großen Grinsen an die anderen wandte. „Hat jemand Lust auf 'Ich sehe was, was du nicht siehst'?“   Sie wurden unterbrochen, als sich die Tür öffnete und sie alle schnappten nach Luft, als Tala den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss.   Bryan stand mit einem Knurren auf und wollte sich auf Tala werfen, doch die Kette an seinen Handgelenken stoppten ihn kurz vorher. „Was willst du hier, Verräter!“, spuckte der Falke aus.   Talas Gesichtsausdruck änderte sich nicht einmal, als Tyson erneut aufstand und auf den Wolf zustürmte. „WO IST RAY? WAS HAST DU MIT IHM GEMACHT?“   „Er wird sterben, Tala, nicht wahr?“ Bryan kalte, wütende Augen verließen niemals Talas. „Du lässt ihn sterben.“   „NEIN!“ Hilary sprang für ihren Kampf auf und hätte Tala die Augen ausgekratzt, wenn Max und Daichi das nicht vorhergesehen hätten und sie daher festhielten, obwohl auch sie Tala böse anschauten.   Der Rotschopf stand einfach da und schaute sie ausdruckslos an; in seinem Geiste konnte er Rays Gesicht sehen, es verfolgte ihn schon den ganzen Weg von der Abtei hierher, aber jetzt, wo er vor Rays Freunden stand, konnte er das Gesicht des Neko-Jin deutlicher als jemals zuvor sehen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er sich für einen erneuten Kuss vorgelehnt hatte auf dem Dach, sein Lächeln, das nervös und unsicher gewesen war, als ob Tala ihn fortstoßen würde.   Er realisierte, dass Tyson ihn anschrie. „Du darfst ihn nicht sterben lassen, Tala! Bitte, lass Ray nicht sterben! Er ist unser Freund! Und was ist mit Kai? Ich dachte, du und Kai steht euch nahe! Kai will nicht, dass Ray stirbt, aber er kann nicht ihn und uns gleichzeitig retten, er braucht deine Hilfe, Tala!“   „Warum versucht ihr nicht, euch selbst zu retten?“, erwiderte Tala wie betäubt. „Ihr habt alle schon in größeren Schwierigkeiten gesteckt.“   „Aber du weißt, wo Ray ist!“, grollte Tyson, „du kannst ihm helfen!“   „Und warum sollte ich das tun?“, fragte Tala und versuchte, desinteressiert zu klingen, doch sein Mund war trocken und Ray lächelte ihn noch immer an, sanft und zärtlich.   Tyson hielt inne; er wusste keinen Grund für Tala, Ray zu retten. Er schaute Tala verzweifelt mit flehenden Augen an, doch Tala sah nicht zu ihm. Er blickte zu Bryan, der schwer atmend dastand. Der einzige Grund, weswegen Bryan den Wolf noch nicht umgebracht hatte, waren die Ketten, die ihn an die Wand fesselten.   „Verräter!“, zischte der Falke, „verfickter Verräter! In der Hölle sollst du verrotten!“   Aber Tala hörte nicht zu; das Gesicht in seinem Kopf starrte ihn an. Große, goldene Augen schauten in seine als ihre Lippen sich wieder und wieder berührten. Er erinnerte sich daran, wie Ray seine Hand nahm und seine Finger sich durch Talas flochten, während er die ganze Zeit in Talas Gesicht schaute. Das nächste, was er wusste, war, wie er den Raum verließ und die Tür laut hinter sich wieder ins Schloss fallen ließ. Kapitel 18: Wehende Winde ------------------------- Die Autofahrt war für Ray nicht unbedingt angenehm gewesen und jetzt, wo er darauf wartete, dass der Fahrer den Kofferraum öffnete und ihn herauszerrte, versuchte er, seine Schulter wieder einzurenken; seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt und er war geknebelt worden, bevor er in den Kofferraum des Autos geworfen worden war. Aber er hatte sich nicht geweht, so, wie Tala ihn angewiesen hatte; ein Teil von ihm fragte sich, ob es weise war, Tala zu vertrauen, doch der andere Part war nicht davon überzeugt worden, dass Tala Boris gegenüber wirklich loyal war, an der Geschichte war irgendetwas faul.   Seine Gedanken wurden unterbrochen, als der Kofferraum des Autos geöffnet wurde; als nächste wusste er nur, wie er grob gepackt und aus dem Auto gezogen wurde, um dann ganz unzeremoniell auf den schneebedeckten Boden fallen gelassen zu werden, wo er dumpf aufschlug und aufstöhnte. Er rollte sich auf den Rücken, stieß ein Seufzen aus und wollte sich gerade aufsetzen. Der Stiefel des Fahrers drückte ihn zurück auf den Boden und Rays Augen weiteten sich, als das Klicken einer Waffe in seinen Ohren vibrierte.   Als nächstes fand er sich in den schwarzen, nicht endenden Lauf einer Pistole blickend wieder.                                                                                                             „Mir ist langweilig“, sagte Daichi.   Der Rest der Truppe ignorierte ihn, sie alle waren schon eine Weile still gewesen, aus verschiedenen Gründen. Max und Tyson schwiegen, weil sie sich schon längst dämlich gelangweilt hatten mit dem Spiel 'Ich sehe was, was du nicht siehst', Hilary und Kenny klammerten sich aneinander, um der Kälte zu trotzen während Bryan alleine in der Ecke saß, noch immer an die Wand gekettet. Die Anderen hatten nicht mit ihm geredet, seit er Tyson bedroht hatte; in Wahrheit fürchtete sie sich immer noch vor dem Falken und hatten diese Angst versteckt, weil Kai und Tala immer in Bryans Nähe gewesen waren.   Sie hatten auch ein wenig Angst vor Tala, aber der Rotpschopf war nie so körperlich geworden wie der Falke, also hatten sie dementsprechend vor Bryan die meiste Angst.   Aber der Phönix war nicht hier und Tala hatte ascheinend eigene Pläne, also saßen sie hier mit Bryan. Das wäre in Ordnung gewesen... wenn Bryan nicht in einer sehr gefährlich Stimmung wäre; er sah aus, als wollte er jedem Moment Körper zerreißen, und keiner der Bladebreakers waren bereit, das zu testen.   Es hielt sie aber nicht davon ab, zu hoffen, dass Kai bald auftauchen würde.   Dieser Wunsch wurde ihnen erfüllt, als die Tür sich öffnete und Kai eintrat, um sie sich alle anzuschauen. „Ist irgendwer von euch verletzt?“, fragte der Phönix.   „Nein, du?“, fragte Tyson zurück.   Kai schüttelte den Kopf und ging langsam zu der schattigen Gestalt Bryans, der Falke hatte weder aufgesehen noch sonst Kais Anwesenheit anerkannt; in seinem Geist war das einzige, was er sehen konnte, Talas ausdrucksloses Gesicht und Zorn entbrannte jede Faser seines Körper, als die Verletztheit von Talas Verrat drohte, ihn zu überwältigen.   „Bryan?“ Kai stand vor dem Russen; er war sich nicht sicher, wie er vorgehen sollte, aber er hatte keine Wahl. Also setzte er sich leise neben den Falken und lehnte mit dem Rücken gegen die Wand, um sich genau zu überlegen, welche Worte er an den Mann neben sich richten würde.   „Spuck's aus, Geldjunge.“ Bryans Stimme war leise, voller Gift und streitlustig.   Kai hatte nicht das Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, um Bryan die Wahrheit zu sagen.   Aber er hatte keine Wahl.   „Er lebt noch“, flüsterte Kai kaum hörbar.   Bryan war für eine lange Zeit still. Er schaute Kai nicht an, nicht einmal eine seines Haarspitzen rührte sich, während er so aussah, als würde er kaum atmen. Er blieb für eine Weile einfach in der dunklen Ecke hocken, während Kai auf seine Antwort wartete. „Was hast du gesagt?“   „Er lebt noch“, wiederholte Kai.   Bryans klauenartige Hand griff Kai am Hemd und innerhalb einer Sekunde knallte er den Phönix gegen die Wand, hob ihn fast von den Füßen und umschloss den empfindlichen, blassen Hals mit einer schwieligen Hand. Seine hellen Augen trafen finster auf Kais dunkelrote. „Lügner!“, zischte er wütend, „Verdammter Lügner!“   „Nein, bin ich nicht.“ Kai würgte als Bryans lange Finger ihren Griff festigten und er stieß ein Keuchen aus, als der Falke ihn von der Wand wegzog um ihn erneut dagegen zu werfen; er trat aus, wurde aber wieder gegen die Wand geknallt. „Nein! Zurück!“, keuchte er zu Tyson und Max, die nach vorne geeilt waren.   Irgendetwas in Kais Stimme ließ sie gehorchen und sie beide wichen zurück, als Bryan Kai geradewegs ins Gesicht starrte. „Nimm' es zurück! Er ist nicht am Leben! Nimm' es zurück!“, zischte er Kai ins Gesicht und spuckte ihm fast ins Auge.   „Was wirst du tun, wenn ich's nicht zurücknehme?“ Kai musste würgen, während er an seiner eigenen Spucke erstickte, da die Hand um seinen Hals seine Luftröhre blockierte. „Mich umbringen? Das wird die Wahnheit nicht verändern, Bryan, und das weißt du.“   „Fresse halten!“ Bryans andere Faust vergrub sich in Kais Magen und Kai stöhnte vor Schmerz auf.   „Tony lebt noch, Bryan“. Seine roten Augen traten aufgrund des Drucks hervor und seine Sicht verschwamm, aber er bewahrte Ruhe und blieb vollkommen emotionslos. „Er ist es, vor dem meine Mutter mich beschützt.“ Er versuchte, noch etwas anderes zu sagen, aber Bryans Hand packte fester zu und Kai erstickte an den Worten; er konnte nicht atmen und sein Kopf drehte sich, der Druck auf seinem Hals schmerzte, da sein Körper versuchte, zu atmen, es aber nicht konnte. Seine Fäuste schlugen in einem unfreiwilligen Reflex gegen die Wand und er versuchte, Bryan wegzuschieben, doch ohne Luft zu bekommen und Kämpfen zu können, verließen ihn schnell seine Kräfte. Stattdessen hob er eine Hand zu den weiß hervortretenden Knöcheln um seinem Hals.   Dann ließ Bryan los.   Der Falke zog sich harsch zurück und lehnte seinen Kopf gegen die Wand, während er mit dem Rücken zu Kai stand, der hustend und würgend auf den Steinboden fiel; seine Brust dehnte sich stark aus und seine roten Augen waren geweitet, als seine Lungen zu schnell für seinen Hals den Sauerstoff verlangten. Er kippte zur Zeite, keuchend und nach Luf schnappend, während seine Bladebreaker ihn tröstend umgaben und sicher gingen, dass er jetzt nicht an seiner eigenen Spucke erstickte.   „Er lebt nicht“, murmelte Bryan, „Tony lebt nicht, du hast ihn getötet.“   Kai sagte für eine lange Zeit nichts; er konnte nicht sprechen, jeder rasselnde Atemzug brannte in seinem Hals und brachte ihn erneut zum Würgen.   Es war dieser Brief gewesen.   Das war die eine Sache gewesen, die Kai nicht verstanden hatte; seine Mutter hatte ihm erzählt, dass sie Voltaire gesagt hatte, dass der Kai berichten sollte, dass Tony noch lebte, doch Voltaire hatte es so kryptisch verpackt wie möglich, hoffend, dass Tony Kai erreichen würde, bevor der Phönix überhaupt von Tony wusste. Der ganze Brief hatte von Tony gehandelt und jetzt, wo Kai wusste, wer er war, machte alles Sinn. „Ja, ist er.“   ​                                                                                                          Ray blinzelte die Waffe an, sein Verstand raste; diese Pistole war nicht Teil den Plans gewesen, allerdings zögerte der Schütze. Jemanden verprügeln war eine Sache, aber kaltblütig ermorden war etwas ganz anderes. Dieses Zögern stellte sich als Fehler für den Schützen heraus, denn Ray trat ihn zwei Mal. Einmal, um den Mann zu Boden zu werfen und ein weiteres Mal, um ihn zu betäuben. Als der Schütze über den überraschenden Schmerz aufkeuchte, trat Ray erneut aus und dieses Mal flog die Waffe aus der Hand des Schützen, der einen erschrockenen Ausruf machte. Das nächste, was der Schütze sah, war, wie Ray seine Hände von seinen Fesseln befreite, mit einem Fauchen auf die Füße sprang und ein Messer in der Hand hielt; der Schütze sah aufgrund des Messers ziemlich überrascht aus, aber er wusste nicht, dass all die Jahre mit den Bladebreakers Ray beigebracht hatten, dass nie irgendetwas nach Plan verlief.   Daher hatte er sich Talas Messer ausgeliehen.   Tala wusste nicht, dass Ray sein Messer geborgt hatte, aber Ray war sich sicher, dass es dem Wolf nichts ausmachte. „Wenn du mir zu nahe kommst, greif' ich an!“, knurrte er den Schützen an.   Der Schütze war vor Überraschung sprachlos und konnte sich nicht bewegen; es war eindeutig, dass Ray sich bei der ganzen Sache ziemlich unsicher war, da er einen weiteren Schritt nach hinten nahm. Er musterte den mann eindringlich; braunes Haar und eine große Nase waren alles, was auffiel.   Vielleicht war dies ein netter Mann?   „Lass' mich gehen“, sagte Ray und wedelte mit dem Messer, „du musst das nicht machen, lass' mich einfach gehen.“   Der Schütze schaute zwischen Ray und der Waffe, die keine drei Meter von ihm entfernt lag, hin und her. Er dachte über das nach, was Boris gesagt hatte, dass er wüsste, wo seine Familie lebte und wie er gedroht hatte, seinen kleinen Jungen mit einem Schuss zu töten, wenn er diesen Mord nicht beging. Er erschauderte bei dem Gedanken und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber mein Junge ist wichtiger als du.“   Er machte einen Hechtsprung zu der Waffe, aber er war nicht der einzige, da Ray sich ebenfalls auf sie warf. Sie beide landeten Zentimeter von dem funkelnden Objekt entfernt. Der Schütze griff nach vorne und packte die Waffe, bevor er sie an Rays Schläfe setzte, bevor der Tiger reagieren konnte. Er drückte Ray auf den verschneiten Boden und schlug ihm ihs Gesicht, als Ray sich wehrte. „Halt still!“, rief er, „halt still und das hier wird schmerzlos!“   Schmerzlos?   Ray wollte nicht, dass das hier schmerzlos wurde, er wollte leben; er dachte nicht nach, er sah nicht einmal hin, als er das Messer hob, das er noch immer fest in seiner Hand umklammerte. Alles, was er wahrnahm, war der Schrei, der sich aus dem Mund des Mannes drängte, als Ray die Klinge tief in den Schützen stieß. Er gab sich nicht die Zeit, über sein Handeln nachzudenken, als er sich auf seinen Bauch drehte und unter dem Schützen hervorkroch. Das war der Moment, als er es sah. Durch den herabgleitenden Schnee, der nun vom Himmel fiel, sah er es, seine kleine Chance des Überlebens.   Er kämpfte sich auf seine Füße und rannte.   Der Schütze sank in die Knie, als er fest seinen Oberschenkel hielt, in den sich das Messer tief eingegraben hatte; die tropfende Klinge war noch immer in Rays Hand, aber das war nun keine Waffe mehr, die gegen ihn verwendet werden konnte. Er hatte noch immer die Pistole und jetzt, wo Ray ihn wütend gemacht hatte, würde der Neko-Jin sterben. Er warf sich nach vorne in eine Art stolprigen Krebs-Gang und hob die Pistole auf Schulterhöhe und feuerte.   Mit einem Schrei und einem Stolpern krachte Ray auf den Boden, während Blut den Schnee um ihn herum rot färbte.   ​                                                                                                          „Kai, wer ist Tony?“, fragte Tyson. Kai hatte sich wieder entspannt und saß mit geschlossenen Augen an der Wand. Bryan stand noch immer mit dem Gesicht zur Mauer und starrte auf seine Hände hinab. Die Beweise von Bryans brutalem Angriff auf Kai zeigten schon ihren Effekt, da Schwellungen und dunkle Flecken die blasse Haut von Kais empfindlichem und entblößtem Nacken verunstalteten.   „Ein Mann, von dem ich dachte, dass ich ihn getötet hätte“, sagte Kai in einem heiseren Kratzen. Reden war schmerzhaft und es gab kein Wasser in der Zelle, mit dem er das Brennen seines verkrampften Halses hätte kühlen können. „Wir alle dachten, er wäre tot, sogar Voltaire, aber scheinbar hat Mutter gewusst, dass Tony noch lebt, und da war sie nicht die einzige.“ Er musste innehalten, da Schmerzen in seiner Brust aufstiegen und sich ein Keuchen in seinem Hals verfing, sodass er husten musste.   „Red' jetzt nicht“, flüsterte Hilary, „du musst-“   „Ich schulde euch allen den Grund, weswegen ihr in diesem Mist sitzt“, unterbrach Kai sie; er atmete tief ein und entspannte seine Schultern, befor er fortfuhr. „Tony war ein Mann, der in der Abtei aufgewachsen und trainiert worden ist, wie ich, Tala und Bryan. Es gab nichts besonderes an ihm, außer, dass ihm ein Kind aufgezwungen hatte, nach dem er schauen sollte.“ An dieser Stelle warf Kai Bryan einen schnellen Blick zu, um zu sehen, ob der irgendwie reagierte, doch der Falke drehte sich nicht einmal um. „Er und das Kind sind sich näher gekommen und er hat versprochen, auf das Kind aufzupassen und es aus der Abtei 'rauszuholen. Aber das hab' ich alles ruiniert.“   „Wie hast du das alles 'rausgefunden?“, fragte Max, als er zu Bryan hochsah; er hatte den Blick gesehen, den Kai jenem gerade gegeben hatte, und er hatte die Verletztheit bemerkt, die Kai kurz im Gesicht geschrieben gestanden hatte, als Bryan ihn angegriffen hatte. Es brachte ihn dazu, sich zu fragen, was da zwischen dem Phönix und dem Falken lief.   Aber das war gerade nicht wichtig.   „Es scheint, dass meine Mutter von Anfang an wusste, was in der Abtei passierte, aber bis ich es ihr gesagt habe, hatte sie keine Beweise oder Unterstützung, um damit an die Öffentlichkeit zu treten“, antwortete Kai. Er seufzte erneut und machte da weiter, wo er vorher aufgehört hatte. „Ich war fünf Jahre alt, als ich Black Dranzer das erste Mal in den Händen hatte. Da war so etwas verführerisches an dem schwarzen Phönix, dem ich nicht widerstehen konnte. Ich bin in der Nacht aus meinen Räumen geschlichen um zu schauen, wo sie das Bitbeast aufbewahrten. Ich wollte nur mal schauen.“   „Erinnerst du dich an irgendwas davon?“, fragte Tyson, als er sich auf dem Steinboden neben Kai bequem machte, Daichi auf seiner anderen Seite.   „Ich erinnere mich an meine Gefühle und das Verlangen, Black Dranzer zu sehen, aber keine Tatsachen. Meine Mutter hat mir die Geschichte erzählt, auch wenn ich nicht sicher bin, woher sie das weiß,“ sagte Kai, „ich hab' Black Dranzer recht schnell gefunden, zu schnell. Es war, als ob Black Dranzer mich gerufen hat, mir gesagt hat, wo ich langgehen muss, um den Wachen aus dem Weg zu gehen. Allerdings war ich nicht der einzige, der in der Nacht wach war; Tony war auch unterwegs, weil das Kind, auf der aufpassen sollte, auch aus seinem Zimmer verschwunden war. Er ist in den Raum gekommen, in dem Black Dranzer war, und hat gesehen, wie ich gerade nach dem Bitbeast gegriffen hab'.“ Kai hielt inne und versuchte, sich an die Worte zu erinnern, die seine Mutter ihm gesagt hatte. Er versuchte, sich an eine Erinnerung zu erinnern, die er verdrängt und blockiert hatte. „Irgendwas ist passiert, Black Dranzer muss mich angegriffen haben, oder es muss so ausgesehen haben; jedenfalls hat Tona das gesehen und ist nach vorn gesprungen, um mich zu packen, aber Black Dranzer hat ihn angegriffen.“   „Er hat ihn getötet?“, keuchte Daichi.   „Nein, da nicht“, erwiderte Kai, „die Wachen haben den Lärm gehört und haben es geschafft, mich und Tony aus dem Raum 'rauszuholen, bevor sie Black Dranzer verschlossen haben und Boris riefen. Ich war traumatisiert, ich erinnere mich sogar daran, wie ich fürchterliche Angst hatte, aber Tony ging es ziemlich schlecht. Niemand dachte, dass er das überleben würde, aber irgendwie hat er's doch noch 'ne Woche lang geschafft, bevor er gestorben ist.“   „A-Aber ich dachte, d-du hättest gesagt, dass er nicht t-tot ist“, stammelte Kenny, der tatsächlich am Zittern war.   „Nicht körperlich“, flüsterte Kai, „aber der Tony, den das Kind so sehr mochte, ist eine Woche nach Black Dranzers Angriff gestorben. Ich war zu dem Zeitpunkt immer noch im Krankenhaus und habe weder gegessen noch gesprochen; meine Mutter, auch, wenn sie niemals Liebe gezeigt hat, hat mich täglich besucht. Und am siebten Tag nach dem Ereignis, ist sie in die Krankenstation der Abtei gegangen und hat Tony dabei gefunden, wie er versucht hat, mich mit einem Kissen zu ersticken."   „Oh Kai!“ Hilary hatte Tränen in den Augen und sie warf ihre Arme um ihn.   Kai hatte die Erfahrung gemacht, dass er dies einfach etragen musste.   „Meine Mutter hat Tony mit einem Schlafmittel betäubt und hat dem Arzt befohlen, ihn für tot erklären zu lassen und aus dem Gebäude zu schaffen. Boris war zu der Zeit nicht da gewesen und Voltaire selber hatte sich nie 'was um die Krankenstation geschert, deswegen gab's bei ihrem Plan keine Probleme.“   „Aber was hat sie mit Tony gemacht?“, verlangte Daichi zu wissen, „ihn auf die Straße gesetzt?“   „Wenn du den Mund hälst kann ich's dir verraten.“ Kai erholte sich so langsam wieder. Auch, wenn die Male an seinem Hals dunkler wurden, so kehrte seine Stimme jedoch wieder zurück, genauso wie seine Gernervtheit. „Sie hat mir erzählt, dass sie ihn zu einem Menschen gebracht hat, von dem sie wusste, dass sie ihm vertrauen könnte.“   „Wer? Kennen wir ihr?“ Tysons Hände waren vor Spannung ganz verkrampft.   Kai machte sich nicht einmal die Mühe, Tyson für die Unterbrechung anzufahren und nickte stattdessen nur. „Ja, ihr kennt ihn.“   „Und?“ Max platzte bald vor Erwartung. „Wer ist es?“   „Es ist gar nicht so schwer zu erraten“, sagte Kai, als ob es verdammt offensichtlich war, wovon er da sprach, was es für ihn auch war. Aber er sprach gerade mit den Bladebreakers, und wenn Ray nicht in der Nähe war, hatten sie zusammen nicht eine einzige Gehirnzelle. Er seufzte. „Mr. Dickinson.“   „Was?“, keuchte Max, „Mr. Dickinson weiß über all das hier Bescheid?“   „Aber das bedeutet, dass er schon lange über die Abtei Bescheid wusste, bevor er was getan hat!“, brauste Tyson auf, „warum hat er nichts unternommen? Warum hat dich da nicht eher rausgeholt? Warum hat er bis zu irgendeiner blöden Meisterschaft gewartet?“   Kai seufzte. „Tyson, denk' doch mal nach. Die Abtei wurde von Voltaire Hiwatari gesponsort. Mein Großvater war mächtig und er wusste, wie man die kontrolliert, die das Sagen haben. Ohne Beweise konnte niemand auch nur irgendwas machen, und jeder, der sich schlecht über die Abtei geäußert hat, wurde umgebracht. Als ich vor dieser Meisterschaft zu meiner Mutter gegangen bin, hat sie mich ein Dokument unterschreiben lassen, dass ich niemals offenbaren würde, dass ich es war, der die Informationen über die Abteii hab' durchsickern lassen. Deswegen hat meine Mutter meinen Großvater davon überzeugt, mich zu den Bladebreakers zu stecken, damit ich die größten Bitbeasts auf der Welt klaue. Voltaire hat's gemacht weil er mehr Macht wollte, meine Mutter hat's getan, weil es mich in der Nähe von Mr. Dickinson hielt, der mich beschützen konnte und von meinem Großvater fern halten.“   „Ich sage trotzdem, dass er schon früher etwas hätte tun können.“   „Und wer hätte ihnen geglaubt, Tyson?“ Zum ersten mal schaute Kai Tyson direkt ins Gesicht. „Wer hätte geglaubt, dass einer der reichsten Menschen auf dem Planeten mit einem Ort involviert war, der kleine Kinder zu Soldaten geprügelt hat, um damit die Welt zu erobern?“   Tyson wurde still; er hatte natürlich keine Antwort und Kai hatte Recht. Max war derjenige, der das Wort ergriff. „Wir sind vom Thema abgekommen, was ist mit Tony passiert?“   Wieder warf Kai einen kurzen Blick zu Bryans Rücken; der Falke hatte sich während Kai ganzer Ansprache weder gerührt noch umgedreht, auch wenn der Phönix wusste, dass er Dinge gesagt hatte, die auch Bryan noch nicht wusste.   „Mr. Dickinson hat ihn aufgenommen und in ein Krankenhaus geschickt, damit er sich von seinen Verletzungen erholten konnte. Aber Tony war wie besessen von Black Dranzer, er war von dem Phönix niedergestreckt worden, aber er wollte ihn.“ Kai lehnte sich gegen die Wand und versucht, Hilary von seiner Taille zu entfernen. Er schaute böse, als Tyson und Max ihr Lächeln kaum unterdrücken konnten. „Nach einer Weile war Tony besessen von Black Dranzer und er wurde auf sich selbst wütend. Wütend, dass er nach etwas verrückt war, dass ihn fast getötet hatte... und er gibt mir die Schuld dafür.“   „Da kann er dir doch nicht die Schuld für geben!“, rief Hilary aus, „du hast nichts gemacht!“   „Ich war derjenige, der ihn indirekt der Macht von Black Dranzer ausgesetzt hat“, widersprach Kai, „wenn ich nicht gewesen wäre, würde er nicht von Ärzten versorgt werden, die von Mr. Dickinson persönlich angestellt wurden.“   „Aber sicherlich würde er doch einem Kind nicht die Schuld für so etwas geben“, bestand Daichi, „du warst ein Kind!“   „Irrelevant“, antwortete Kai, „und was Tony angeht, bin ich die Wurzel all seines Schmerzes... und das kann ich ihm nicht vorwerfen.“   „Warum hatte deine Mutter auf einmal das Bedürfnis, dir das alles zu erzählen?“, fragte Tyson plötzlich und riss Kai damit aus seiner Träumerei.   Kai blickte Tyson für eine lange Zeit an, bevor er antwortete. Er wählte seine Worte sorgfältig aus, als er sagte: „Für die letzten zwölf Jahre haben sich Ärzte hier in Moskau um ihn gekümmert. Bis er vor fünf Wochen entkommen ist.“ Er ließ diese Worte langsam in die drückende Stille sinken. „Seit dem wurde er nicht mehr gesehen.“   „Sie müssen dich beschützen!“, platzte Tyson leidenschaftlich los, „du musst das Land verlassen, geh' irgendwo hin, wo du sicher bist.“   Er hielt inne, als Kai langsam den Kopf schüttelte. „Das wird nicht funktionieren, Tyson.“ Kais rote Augen flackerten zu der Wand vor ihm. „er wird kommen.“   „Aber du kannst fliehen!“, sagte Tyson ihm fast schon verärgert.   „Das wird nicht funkionieren.“ Kai hob eine Hand und fuhr sanft mit einem Finger über die Male an seinem Hals. „Und wo auch immer er ist, er wird mich finden, egal, wo ich hin renne... er wird kommen.“ Kapitel 19: Kalte Körper ------------------------ Der Abend brach an, als Ray wieder zu Sinnen kam; das erste, das er bemerkte, war, dass ihm sehr kalt war, so sehr, dass es wehtat. Seine Finger waren taub und innerlich fast schon heiß, was er seltsam fand, während er in dem roten Schnee dalag. Wenn ihm kalt war, warum waren dann seine Finger heiß? Sein Gehirn war träge und seine Gedanken waren langsam, auch wenn sein Körper den kalten Wind und den nassen Schnee immer mehr bemerkte. Er fragte sich, wo der Schütze war, was war mit dem geschehen? Warum war Ray nicht tot? Oder vielleicht war Ray tot. Vielleicht war er gestorben und hatte es nur noch nicht bemerkt. War das hier das Leben nach dem Tod? Kalt und voller Schnee? Es dachte, die Hölle wäre voller Feuer... oder vielleicht hatte er es doch geschafft, sich gerade so für die ewige Glückseeligkeit zu qualifizieren, doch wenn das der Fall war, musste es dann so kalt sein?   „Steh' auf.“   Die Stimme war harsch und erbost, doch Ray bewegte sich nicht. Er konnte nicht einmal seine Finger rühren. Er war müde und schwach und, wie er jetzt bemerkte, durch den kalten Wind und Schnee ausgelaugt. War er nicht auch angeschossen worden? … er konnte sich nicht erinnern.   „Steh' auf.“   Da war diese Stimme wieder. Kannte er sie?   „Du musst aufstehen“, befahl die Stimme, „außer, du willst im Schnee sterben.“   Kannte er diese Stimme? Sie hörte sich nicht besorgt an, allerdings hatte Ray sich in letzter Zeit an unbesorgte Stimmen gewöhnt. Vielleicht würde die Stimme verschwinden, wenn er einfach auf dem Boden liegen blieb und nicht antwortete und damit aufhören, in seinem Kopf zu hämmern. „Ich werd' dir nicht helfen!“, schnappte die Stimme ungeduldig, „glaubst du, ich werd' mir Blut über mein sauberes Hemd verteilen?“   Jetzt kannte Ray die Stimme. Wer konnte diese Stimme nicht kennen? „T-Tale?“, krächzte er in den Schnee.   „Oh, du lebst.“ Hände griffen Rays Schultern und zogen ihn hoch; er fühlte keinen Schmerz, eigentlich fühlte er gar nichts, abgesehen von seinen brennenden Fingern.   „Meine F-Finger si-nd heiß“, krächzte Ray heiser.   „Du wurdest angeschossen und im Schnee liegen gelassen und alles, worüber du dir sorgen machst, sind heiße Finger?“   „Es tut weh“, murmelte der Neko-Jin.   „Weichei. Wie müssen dich irgendwo hin bringen, wo es wärmer ist. Kannst du gehen?“   „Nein.“   „Möchtest du, dass ich dich an den Füßen schleife, sodass du mit dem Kopf gegen die Steine krachst?“   „Nein.“   „Dann solltest du besser gehen.“   Ray spürte, dass er aufrecht stand und seine Füße im Schnee waren. Er zuckte nun zusammen, als der Wind gegen ihn blies.   „Geh'.“   Der Neko-Jin tat, wie ihm geheißen und versuchte einen Fuß nach vorne zu setzen, doch er stolperte. Bevor er allerdings auf dem Boden aufkommen konnte, wurde er von einem Paar schwieliger Hände aufgefangen und wieder hingestellt. So ging das für eine Weile weiter; jedes Mal, wenn Ray stolperte, stellte Tala ihn wieder hin und zwang ihn, zu gehen, wiederholend, dass er sich seine Kleidung nicht schmutzig machen wollte, indem er Ray trug.   Aber in Wirklichkeit kam es Tala nur darauf an, Rays Blutdruck wieder in Schwung zu kriegen. Der Neko-Jin musste selbst laufen um das zu erreichen, und so motzte und schimpfte er jedes Mal mit Ray, wenn der Tiger hinfiel. Ray war irgendwann dadurch irritiert und fauchte jedes Mal zurück, wenn Tala ihn schwach nannte, fest entschlossen zu zeigen, dass er nicht schwach war und gehen konnte, ohne Hilfe anzunehmen... was genau das war, was Tala wollte.   „Wo gehen wir hin?“, fragte Ray brüsk.   „Zu der Hütte da drüben“, antwortete Tala, als er Ray wieder auffing und hochzog. „Ich nehme an, das ist der Ort, zu dem du ursprünglich wolltest.“   „Ich weiß nicht“, beschwerte Ray sich, „ich kann mich nicht erinnern.“   „Nutzlos“, war Talas Kommentar.                                                                                                                Tyson und Max sprangen auf, als sich die Tür öffnete und ein Mann mit einer Schusswaffe eintrat. „Bewegung“, befahl der Mann, „außer, ihr wollt verhungern.“   „Huh?“ Tyson und Max schauten zurück zu Kai, der nickte.   „Gehorcht ihm. Mein Großvater mag euch zwar festhalten, aber er lässt einen Gefangenen niemals hungern.“ Er stand ebenfalls auf. „Ich vermute, das ist seine einzige gute Eigenschaft“, nuschelte er.   Tysom und Max marschierten hinaus, gefolgt von Hilary, Kenny und Daichi. Der Mann mit der Waffe wandte sich an Kai und wedelte erwartend mit der Pistole. Kai schaute finster.   „So wirst du mich nicht behandeln“, sagte er herablassend zu dem Mann, „ich werde nicht von einem Mann mit einer Waffe eskortiert und und das sagst du meinem Großvater auch lieber, bevor ich dir diese Pistole abnehm' und dich erschieße.“   Der Mann knurrte, doch Kais Mörderblick wurde intensiver und er zog sich klugerweise zurück, wobei er die Tür geöffnet ließ, damit Kai dann gehen konnte, wenn er bereit war. Der Phönix schnaubte bei dem Gedanken, dass ein bloßer Handlanger ihm sagen könnte, was er zu tun hatte. Er tat einen Schritt nach vorn zu der Tür, doch eine Hand ergriff seinen Arm.   „Geldjunge.“   Kai wirbelte knurrend herum und schlug nach der Hand, die ihn berührte. „Halt dich verdammt noch mal von mir fern“, grollte er, „du hast kein Recht, mich anzufassen.“   Bryan trat einen Schritt zurück, wobei er Kai losließ, als ob er einen elektrischen Sclag abbekommen hatte.   Kais Augen blitzten. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, mich zu würgen, wie du es getan hast. Das machst du nie wieder. Niemals.“   „Geldj-“   „Mund halten“, befahl Kai, und dieses Mal hörte Bryan tatsächlich zu. „Du wirst mir nicht zu nahe kommen“, fing der Phönix an, „du wirst nicht mit reden, du wirst mich nicht anschauen und du wirst mich niemals anfassen. Ist das klar? Du wirst mir nie wieder zu nahe kommen.“   Wieder versuchte Bryan, ihn zu unterbrechen. „Geld-“   „Nenn' mich nicht so“, zischte Kai, „ich hab' dir das letzte Mal, als du mir gegenüber so gewalttaätig warst, versprochen, dass ich dich verhaften lassen würde.“ Er ließ seine lodernden Augen auf Bryan ruhen und sie verengten sich. „Aber wenn du auch nur versuchst, nur noch einmal mit mir zu reden, lasse ich dich töten“, schwor er dem Falken und sah voller Verachtung zur Seite.   Damit drehte er sich um, verließ den Raum und ließ die Tür hinter sich laut zuknallen; er ließ Bryan zurück, der wie betäubt dastand und sich nicht sicher war, was er tun sollte. Was war geschehen? Sicher, er war ein wenig gewalttätig gewesen, vielleicht ein bisschen zu viel, aber das war das, wozu er erzogen worden war. Ihm wurde beigebracht, gewalttätig zu sein.   Es war nicht seine Schuld, dass er nicht wusste, wann er aufhören sollte.                                                                                                                „Was machst du da?“, fragte Ray. Er war ein wenig wachsamer und wurde nun eine Menge mehr wachsamer, als Tala auf ihn zuging und anfing, sein Hemd ohne Nachfrage aufzuknöpfen.   „Willst du verbluten?“, fragte Tala zurück.   „Nun, nein, aber-“   „Na also. Halt den Mund und lass' mich schauen.“ Tala musterte die Wunde intensiv, während Ray dastand und sich fühlte, als würde man ihn röntgen, weswegen er errötete. Er zuckte ein wenig zusammen, als Tala eine Hand hob und die Wunde berührte. Tala sagte ihm, dass er aufhören sollte, so erbärmlich zu sein, aber es war nicht der Schmerz, der die Blitze seine Wirbelsäule entglangschickte; Talas Finger berührten ihn warm, und obwohl sie dafür sorgte, dass die Wunder stach, bemerkte Ray das kaum, als Tala ihm so nahe kam, dass der Neko-Jin Atemprobleme bekam. Er erinnerte sich an Talas Lippen auf dem Dach der Abtei, die Wärme vom Körper des Rotschopfs, er erinnerte sich, wie er seine Finger in den roten Haaren vergraben hatte und es aus seiner perfekten Form zog. Er schaute Tala beinahe weggetreten dabei zu, wie der zu einer Tasche ging, die Ray nun zum ersten Mal sah; der Wolf wühlte durch die Tasche und holte einige Bandagen und eine kleine Flasche hervor. Natürlich hätte Ray daran denken müssen, dass Tala es mit dem Desinfektionsmittel übertreiben würde, aber es war nicht seine Schuld, dass seine Augen wundesamerweise viel mehr von den angespannten Muskeln abgelenkt waren, die unter Talas-   „ARGH!“ Ray ließ diesem Jaulen einen Fluch folgen, während Tala ihn hochnäsig dabei beobachtete, wie Ray davon hinkte.   „Nicht die Wunde berühren!“, keifte Tala ihn an, als Ray eine Hand auf die Verletzung pressen wollte, „weißt du nicht, dass die menschlichen Hände das unsauberste Ding auf der Welt sind?“   „Etwas weniger Desinketionsmittel tut's auch!“, quiekte Ray.   „Oh, hör' auf zu sabbeln!“, sagte Tala irritiert, „jetzt bleib' verdammt noch Mal stehen!“   „Was ist mit mir passiert?“, fragte Ray mit noch immer sehr hoher Stimme, als das Desinfektionsmittel gnadenloss brannte.   „Die Kugel ist nicht wirklich in deinen Körper eingedrungen“, antwortete Tala. „Sie hat dich an der Seite erwischt, ist aber nicht stecken geblieben. Der Schütze konnte nicht gerade schießen.“   „Der Schütze?“ Zum ersten Mal erinnerte Ray sich wieder an ihn. „Oh mein Gott, wo ist er?“   „Tot“, erwiderte Tala stumpf.   „Du meinst, ich hab' ihn getötet?“ Rays Augen wurden schnell immer größer. „Oh Gott! Ich hab' ihn getötet! Ich bin ein Mörder! Ich hab-“   „Bild' dir nichts ein“, schnaubte Tala, „ich hab' ihn getötet.“   Ray wandte seine riesigen, goldenen Augen zu Tala. „DU hast ihn geötet?“   „Ja.“   „Na, das macht die ganze Sache auch nicht besser! Jetzt bist du der Mörder!“   „Oh, bitte, der Typ wäre so oder so gestorben.“ Tala schlug Rays Arm von der Wunde weg, als er begann, die Seite des Neko-Jin zu bandagieren. „Glaubst du wirklich, dass Boris ihn am Leben gelassen hätte?“ „Aber er hatte ein Kind“, sagte Ray leise.   „Und?“   „Tala, verstehst du nicht? Denk' an das Kind. Der Mann ist tot, das ist Mord.“   „Schön. Nächstes Mal werde ich ihn dich einfach erschießen lassen“, erwiderte Tala, als er die Bandage zusammenknotete. „Dann kannst du ihm sagen, dass das Mord ist.“   Ray sah ihn an. „Ist das wirklich alles, was du dazu denkst? Keine Schuld?“   „Nein, ist das seltsam?“   „Das ist nicht seltsam, das ist nicht menschlich“, flüsterte Ray. Er hob seine Hand sanft zu Talas Stirn, wo er mit den Fingern über eine Wunde strich, die Tala von Boris' Bestrafung hatte. „Sei nicht so. Sei nicht Boris' emotionsloser Soldat.“   Damit hatte er einen empfindlichen Punkt getroffen und Tala schlug seine Hand beiseite, sagte aber nichts. Allerdings würde Ray jetzt, wo er angefangen hatte, nicht aufhören.   „Warum arbeitest du immer noch für Boris?“, verlangte er, „sicherlich hasst du Boris. Nach allem, was er dir angetan hat.“   „Ich hab's dir schonmal gesagt, ich hab' keine Gefühle“, sagte Tala.   „Das ist nicht wahr!“, grollte Ray, als der Wolf sich von ihm abwandte.   „Doch, ist es.“   „Warum bist du dann hier?“ Ray folgte Tala und stellte sich vor den Rotschopf. „Wir hatten einen Plan, erinnerst du dich. Ich würde aus dem Auto rauskommen und dem Pfad folgen, von dem du mir erzählt hast, nachdem der Mann mich irgendwo im Nichts ausgesetzt hat. Das war der Plan. Nirgendwo in deinem Plan hast du gesagt, dass du mir folgen würdest.“   „Der Mann hatte eine Pistole, oder?“, Talas Kiefermuskeln spannten sich an. „Du solltest dankbar sein, dass ich überhaupt gekommen bin.“   „Aber warum bist du gekommen?“, beharrte Ray, „sag's mir.“ Er schaute eindringlich in Talas blaue Augen. „Du denkt, du wärst emotionslos, aber das stimmt nicht. Ich kann es in deinem Gesicht sehen. Jedes Mal, wenn jemand Boris erwähnt, kann ich den Zorn in deinen Augen sehen. Ich bin nicht blind, Tala, ich kann alles in deinem Gesicht sehen.“   „Du siehst falsch“, sagte Tala stumpf. Er schaute Ray nicht ins Gesicht, er konnte nicht. Diese goldenen Augen sahen geradewegs durch ihn durch und er wusste nicht, wie. Innerliche verfluchte er den Neko-Jin dafür, dass er ein Hirn hatte. Warum konnte er nicht dumm wie Tyson oder Daichi sein?   „Nein, tu' ich nicht“, murmelte Ray, „sag es mir, Tala. Warum arbeitest du immer noch für Boris?“                                                                                                                Der Speisesaal war still, als die Bladebreakers an dem riesigen, dunklen Holztisch saßen, sogar Tyson und Daichi spürten den Zorn und die Missgunst. Dieses Mal hatte es allerdings weder mit Boris noch mit Voltaire etwas zu tun. Kai saß in seinem Stuhl am Kopf des Tisches, die Wut war offen in jeder seiner Bewegungen zu sehen. Bryan, der am anderen Ende des Tisches so weit wie möglich von Kai entfernt saß, weigerte sich, den Phönix anzusehen, obwohl Kai ihm einige, feurige Todesblicke sandte. Der Beweis von Bryans Angriff war dunkel auf Kais blassem Hals zu sehen und er hatte nichts, um ihn zu verstecken.   Das bedeutete natürlich, dass jeder sie sehen konnte, was Kai so oder so hasste, aber was es noch schlimmer machte, war, dass Voltaire sie gesehen hatte, dass Matthew und Fleur Hiwatari sie gesehen hatten und um den ganzen noch die Krone aufzusetzen, wussten sie Bescheid. Sogar der Handlanger, der den Raum mit der Waffe in der Hand bewachte, sollte jemand versuchen zu fliehen, wusste, wie Kai diese Male an seinem Hals erhalten hatte.   Bryan schaute seinen Teller finster an und rührte mit seiner Gabel in dem siffigen Matsch umher, der einst eine gute Mahlzeit gewesen war; er konnte Kais blutrote Augen erneut zu sich flackern spüren und sein Griff um die Gabel festigte sich. Er war bereit für den Streit, der unausweichlich war, ja, er freute sich sogar darauf; was ihn anging, so hatte er nur das getan, was für ihn natürlich war und obwohl, wie sogar er zugab, er es etwas übertrieben hatte, konnte er nicht verstehen, warum Kai sich so angegriffen fühlte. Wenn Bryan wütend wurde griff er an, das war das, was er tat, und es gab nichts in der Welt, was das änden würde. Auf den richtigen Zeitpunkt wartend, schaute er auf und blickte in Kais rote Augen, sodass sie sich anstarrten. Keiner von beiden ließ locker, entschlossen, nicht der erste zu sein, der aufgab. Doch ein Teil von ihm mochte die Mörderblicke nicht, mit denen Kai ihn bedachte, ein Teil wollte den Kai, der sich nach ihm verzehrt hatte, doch diesen Teil von sich selbst verdrängte er, sich weigernd, ihm Gehör zu schenken.   „Kenny, kannst du mir das Salz geben?“, fragte Tyson mit gedämpfter Stimme.   Das leise, rasselnde Geräusch wurde unterbrochen, als die Türen mit einem lauten Knall aufgeschlagen wurden; der tödliche Blick zwischen Bryan und Kai brach, als sie sich umdrehten und sahen, wie Boris herreinstapfte, die Handlanger ignorierend, die alle ihre Waffen hoben. Er starrte durch den Raum und sobald er gefunden hatte, was er suchte, stürmte herüber.   „Wo ist er?“, verlangte er. „Wo ist wer?“, fragte Kai in einem vernichtenden Tonfall.   „Tala! Wer sonst?“ Boris grollte, als er den jungen Mann von oben herab mit seinen Blicken aufspießte.   „Was ist los, Boris, hast du dein Hündchen verloren?“, erwiderte Kai, während er ruhig sein Weinglas befüllte. „Das ist schade.“   „Spiel' keine Spielchen mit mir, Hiwatari! Wo ist Tala?“   „Boris, wenn ich wüsste, wo Tala ist, wäre er nun in Fetzen“, knurrte Kai, der seinem Ärger erlaubte, an die Oberfläche zu treten, während er Boris in die Augen sah. „Ich würde ihn in Stück reißen.“   Boris ignorierte dies. „Er hat sich mir widersetzt!“, zürnte er, „er muss dem Neko-Jin nachgegangen sein! Ich wusste, dass ich ihm nicht hätte vertrauen sollen!“   „Sieht so aus, als könnte ihm keiner von uns trauen“, sagte Kai nachdenklich, „aber ich kann mir vorstellen, dass du Recht hast und er Ray hinterher ist, allerdings weiß ich nicht, warum.“ Er trank gelassen einen Schluck Wein. „Dennoch, mir macht es das Leben einfacher. Das heißt, dass ich auf diese Truppe hier aufpassen kann, ohne mir um Ray so viele Sorgen machen zu müssen.“   Boris grinste böse. „Ich würde mir ein paar mehr Sorgen um Ray machen, wenn ich du wäre.“   „Wenn Ray etwas passiert wäre, würde ich darüber Bescheid wissen“, erwiderte Kai, „hör' auf zu versuchen, mir Angst einzujagen, Boris."   „Die Katze mag jetzt sicher sein, aber nicht mehr für lange“, erzählte Boris ihm, „Ray mag den Schützen überlebt haben, aber ich hab' noch ein Ass im Ärmel... die Toten können laufen.“   „Wirklich.“ Kai sah Boris erneut neutral an. „Du bist nicht der einzige mit einem Ass. Glaub nicht, dass Ray da draußen ganz alleine und ohne Schutz ist, das ist er nämlich nicht.“   „Wenn Tala bei Ray, dann wird er sich trotzdem nicht gegen mich wehren können“, schnaubte Boris.   „Ich rede nicht von Tala“, war alles, was Kai sagte.                                                                                                                Sie standen für eine lange Zeit in der Hütte. Ray blickte Tala an, der sich weigerte, zurückzuschauen; bald sah der Neko-Jin, dass Tala nicht reden würde. Er seufzte und trat einen Schritt zurück, die Niederlage akzeptierend, und lehnte sich mit einem plötzlichen Gefühl der Erschöpfung gegen die Wand. „Du wirst es mir nicht sagen.“   Es war eher eine Aussage als eine Frage, aber dennoch antwortete Tala: „Nein.“   „Verdammt, Tala.“ Ray blickte wieder hoch zu dem Wolf. „Wie breche ich mit dir nur das Eis? Manchmal denke ich, dass du ein Mensch bist, und dann...“ Er beendete den Satz nicht und seufzte stattdessen. „Trotzdem Danke.“   „Für was?“   Ray schaute fast schon überrascht von der Frage hoch. „Du bist mir hinterhergekommen.“   „Was für ein Fehler das war!“ trauerte Tala, bevor er die Worte aufhalten konnte.   Ray runzelte die Stirn, als sein Interesse wieder erweckt wurde. „Was soll das bedeueten?“   „Es bedeutet, dass dank dir mein Plan ruiniert ist!“, schnappte Tala, dessen Ärger anstieg wie Lava in einem Vulkan.   „Es ist nicht meine Schuld, dass der Kerl eine Waffe hatte, wenn er keine hätte haben sollen“, antwortete Ray ruhig.   „Wenn du nicht hier gewesen wärst, würde mein Plan immer noch laufen!“, schoss Tala zurück.   „Oh, ich verstehe. Du kannst dem Mann mit der Waffe nicht die Schuld geben, weil er tot ist, also schiebst du mir alles zu.“ Rays Augenbrauchen zuckten in die Höhe. „Hat dir schonmal jemand gesagt, wie ichbezogen du bist?   Tala schaute ihn mörderisch an. „Pass auf, was du sagst!“   „Nein. Du bist der, dem du die Schuld geben solltest“, sagte Ray und schaute Tala geradewegs in die Augen. „Wenn es deinen Plan ruiniert hat, mir nachzukommen, warum machst du dir die Mühe? Du hättest den Typen mich einfach töten lassen sollen.“   „Vielleicht hätte ich das!“, stimmte Tala aufbrausend zu.   „Warum hast du's dann nicht?“ Rays eigener Geduldsfaden war endlich gerissen. „Wenn du nicht helfen willst, schön! Verschwinde doch! Ich bin ohne dich bestens zurechtgekommen!“   „Du bist mitten in ein Minenfeld reingerannt!“, fauchte Tala, „ich bin überrascht, dass du sie nicht alle hochgejagt hast!“   Ray wurde sofort der Wind aus den Segeln genommen. „Bin ich?“   „Warum glaubst du denn ist dir der Kerl nicht nachgelaufen?“, erzählte Tala ihm ungeduldig, „er hat da am Rand gesessen und sich um sein Bein gekümmert, während er darauf gewartet hat, dass du wieder zu dir kommst. Er hat nicht schießen können, solange du am Boden gelegen hast.“   Ray verarbeitete dies. „Wirklich?“ Er ging einen Schritt nach vorne. „Also hast du ein Minenfeld riskiert, um sicherzugehen, dass es mir gut geht?“ Er musste bei dem Gedanken lächeln, während er Tala näher kam, der sich weigerte, ihm nachzugeben.   „Du bist ein verdammter Idiot. Das ist alles, was ich sagen kann“, erwiderte Tala aber nun schauten seine Augen in die Goldenen Rays. Als Ray näherkam, wurde er sich jedes leisen Geräuschs bewusst, er bemerkte, wie sich Rays Brust mit jedem Atemzug des Neko-Jin hob und senkte.   Ray schluckte ein wenig nervös als er in Reichweite war, Tala zu berühren, aber er hörte dennoch nicht auf; der Gedanke, dass Tala ihn gerettet hatte, wenn es für den Wolf besser gewesen wäre, es nicht zu tiun, überwältigte ihn und ein Teil wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Der andere Teil lächelte jedoch; vielleicht gab es doch noch einen menschlichen Teil von Tala in der kalten Gestalt vor ihm, die jede seiner Bewegungen beobachtete. Vielleicht konnte Ray nach ihr greifen und das kleine bisschen Tala finden, dass noch fühlte; seine eigene Hand bewegte sich wie von selbst zu dem Wolf und er zuckte zusammen, als seine Fingerspitzen Tala berührten. Der Neko-Jin rückte vorsichtig näher, bis ihre Körper sich berührten und dann legte er den Kopf schief, sodass er immer noch in Talas Gesicht schauen konnte.   Sein Blicke wanderte von den eisigen Augen runter zu den blassen, trockenen Lippen, die noch immer etwas von den Prügeln geschwollen waren. Er fühlte sich ein wenig zittrig, als er die Abstand zwischen seinen Lippen und Talas überbrückte. Ray sog keuchend die Luft ein, bevor er seinen Mund auf Talas platzierte. „Danke“, flüsterte er, legte seine Lippen erneut auf Talas und der Wolf antwortete auf seine fragenden Küsse.   Tala konnte den leicht geöffneten Lippen, die sich sanft gegen seine pressten, nicht widersterhen und er hob die Hand, um eine handvoll von Rays Haar zu greifen, als ihr Kuss leidenschaftlicher wurde; Rays Finger vergruben sich in Talas dichtem, roten Haar, während Talas andere Hand in Rays Nacken wanderte, ihn festhielt und damit den Tiger davon abhielten, zu fliehen.   „Red' mit mir“, murmelte Ray zwischen Küssen; irgendwie hatte Tala ihn gegen die Wand gedrückt und hielt ihn nun mit seinen Händen gefangen. Rays Hände brachten Talas Haare durcheinander, als er sich fester an den Wolf klammerte, fast schon verzweifelt nicht loslassen wollend. „Zeig' mir, dass du ein Mensch bist.“   Tala antwortete nicht und küsste stattdessen Rays Hals, zufrieden, dass er den Neko-Jin abgelenkt hatte, der vor Zufriedenheit schnurrte. In eins sanken sie auf den Steinboden, die ganze Zeit Küsse stehlend oder an empfindlicher Haut knabbernd, um dem jeweils Anderen ein leises Stöhnen zu entlocken. Draußen wehten der Schnee und der Wind, während erneut ein Sturm über dem Land aufzog, der nicht auf das Paar in der Hütte achtete, oder auf den Mann, der tot in einem Haufen blutigen Schnees lag. Kapitel 20: Sprich leise ------------------------ Ray setzte sich auf strich eine Strähne seines losen Haares hinter sein Ohr. Er zitterte und griff nach seiner Kleidung, die achtlos fortgeworfen worfen war, und drückte sie an sich. Zumindest war der Wind draußen und es schien keine Löcher in der Hütte zu geben. Neugierig, wie spät es wohl war, fing er an, nach Talas Uhr zu suchen, von der er wusste, dass sie hier irgendwo sein musste, da er sie ganz unzeremoniell weggeworfen hatte, weil sie sich in seine Haut gebohrt hatte. Er zog sein Oberzeil an und sog scharf die Luft ein, als sein Körper ihn mit einem stechenden Schmerz an seine Wunde erinnerte. Er stand auf und zog seine Hose an, und wo er jetzt seine Größe zu seinem Vorteil nutzen konnte, brauchte er nicht lange, um die Uhr zu finden, zu welcher er nun herüberging.   Vier Uhr morgens entdeckte und er drehte sich um, um gegen die Wand zu lehnen. Er zitterte erneut und sein Atem stieg in kleinen Dampfwölkchen von seinem Mund auf. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden, weswegen er aufschaute und Talas kalte, blaue Augen erblickte, geöffnet und aufmerksam. Sie erstarrten für einen Moment, beide warteten darauf, dass der Andere zuerst sprach, unsicher, wie die Reaktionen wohl sein mögen. Ray räusperte sich und strich eine weitere Strähne hinter sein Ohr. „Du drehst nicht durch?“   Tala blinzelte langsam. „Wegen was?“, fragte er, Ray noch immer ansehend.   „Darüber, dass wir... ähh“, Rays Stimme verhallte nervös.   „Drehst du durch?“, fragte Tala.   „Nein.“   „Warum nicht?“   Ray sah zu Boden. „Ich möchte es“, sagte er leise, „ich will mir selbst sagen, dass es falsch und widerwärtig war... aber ich kann nicht.“ Er zwang sich dazu, aufzuschauen. „Es war zu gut.“ Er errötete und schaute wieder runter.   Talas Augen glitten zu der Decke über ihm; er lag auf dem Rücken und nutzte sein Oberteil als klumpiges Kissen. Wie fühlte er sich? Er hatte mit Ray geschlafen. Boris hatte Männer, die mit anderen Männern schliefen, schon immer für krankmachend empfunden, doch Tala selbst hatte noch nie darüber nachgedacht. Sollte er angewidert sein? Es war offensichtlich, dass Bryan und Kai es nicht waren, aber Kai hatte sich seine Meinungen noch nie von irgendjemandem vorschreiben lassen und Bryan hatte es sich zum Lebensziel gemacht, Boris anzuekeln. Tala war derjenige gewesen, der die Gehirnwäsche hatte. Tala war der Anführer gewesen und es war für Boris essentiell gewesen, den Anführer zu kontrollorieren, wenn er das Team kontrollieren wollte... deswegen hatte er den Plan gehabt.   Der Plan.   Nun, der war jetzt ruiniert. Er sah keine Möglichkeit, das wiedergutzumachen. Warum war er Ray gefolgt? Dadurch hatte er seinen Plan ruiniert; Boris würde ihm nicht mehr vertrauen, warum also hatte er seinen Plan riskiert, um Ray nachzukommen? Er wurde von Ray unterbrochen, der leise mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zu ihm kam; er sah zu, wie der Neko-Jin sich neben ihn setzte, während seine losen Haarsträhnen seine Schultern hinabfielen. Ray schaute ihn für einen Moment an, bevor er sich breitbeinig auf Talas Hüfte setzte und zu ihm runter blickte. Tala hob die Augenbrauen ob dieser Position, sagte jedoch nichts.   „Sag' mir, warum du Kais Vater hasst“, fragte Ray.   Tala starrte ihn an. „Warum fragst du so urplötzlich?“   Ray biss sich gedankenverloren auf die Lippe. „Weil ich dein Gesicht sehen möchte, wenn du es mir erzählst.“   Tala hob erneut die Augenbrauen. „Und was lässt dich glauben, dass ich es dir sagen werde?“   „Nun“, feixte Ray und seine Augen blitzten mit einem Übermut auf, den Tala zuvor noch nicht gesehen hatte. „Erstens wirst du diese Uhr nicht wiedersehen, wenn du es nicht tust.“ Das Feixen des Neko's wurde zu einem Grinsen. „Ich erkenn' 'ne gute Uhr, wenn ich sie sehe.“                                                                                                                   „Wie lange glaubst du werden sie uns hier gefangen halten?“, fragte Kenny; sie waren wieder in der Zelle, dieses Mal mit Schlafsäcken ausgerüstet, aber niemand abgesehen von Daichi schlief, der dich durch nichts und niemanden vom Schlafen abhalten ließ. Der Himmel könnte über ihnen zusammenstürzen und Daichi würde sich nur beschweren, dass das auch bis zum Morgen Zeit hatte.   „Bis was auch immer passieren soll, passiert ist“, erwiderte Kai.   „Und wir können nicht abhauen?“, fragte Tyson nach.   „Ihr seid hier genauso sicher wie überall anders.“ Kai lehnte seinen Kopf nach hinten gegen die Wand. „Mein Großvater hat hier nicht das Sagen und es wäre klüger, den Wünschen meiner Mutter zu gehorchen, als zu versuchen, zu entkommen.“   „Äh, sie erinnert mich an dich!“ Tyson erschauderte und sagte mit verstellter Stimme: „Trainiere oder sterbe schmerzhaft!“   Kai schaute ihn mürrisch an. „Das habe ich nie gesagt.“   „Aber wolltest du, viele Male.“   „Wer würde das nicht?“   „Hey Ich fühle mich persönlich angegriffen!“   „Tyson, bei der Wahl, ob ich eine Klippe 'runterrennen oder dich trainieren soll, würde ich jedes Mal die Klippe nehmen, wenn es heißt, dass ich nie wieder sehen muss, wie du einen Beyblade startest.“   Tyson grinste böse. „Du bist nur neidisch.“   „Und das bin ich warum?“, fragte Kai, nicht sicher, ob er wirklich neugierig sein sollte.   „Weil ich Fanpost bekomme und du nicht.“   „Laut Statistiken habe ich 70% mehr Fans als du“, antwortete Kai mit geschlossenen Augen. „Ein paar Briefe ändern diese Zahlen nicht.“   „Das hast du dir gerade ausgedacht“, sagte Tyson stur.   „Oh, wirklich.“   „Yup. Warum sollten Leute dich mehr mögen als mich?“   „Weil ich sexy bin und du...“ Kai beäugte die verschiedenen Flecken, die von Essen stammten, auf Tysons Shirt und um seinen Mund. „Du nicht.“   „Hey, ich kann auch sexy!“   „Natürlich kannst du das.“   „Ich kann's!“   „Ich weiß, ich glaub' dir.“   „Nein, tust du nicht!“   „Tue ich. Ehrlich, tue ich wirklich.“   „Lügner.“   Kai feixte. „Ich habe noch nie in meinem Leben eine Lüge erzählt.“   „Jetzt weiß ich, dass du lügst!“   „Es ist wahr.“   „Schön“, forderte Tyson heraus, „sag' mir etwas und ich sag' dir, ob ich glaube, dass du die Wahrheit sagst.“   Kai sah ihn neutral an und sagte dann: „Ich mag deine Mütze.“   Tyson blinzelte sehr langsam. „Also, wenn das keine Lüge ist, dann weiß ich auch nicht mehr weiter.“   Neben ihnen lachten Max und Hilary leise zu sich selbst. Sie genossen es, wenn Kai Kreise um Tyson rannte, und dann war da noch die Erleichterung, dass es nicht sie waren.   „Was ist denn falsch mit meiner Mütze?“, verlangte Tyson.   „Nichts. Ich hab' dir gesagt ich mag sie“, antwortete Kai.   „Diese Mütze ist ein Relikt!“, sagte Tyson stolz bevor er besagte Mütze von seinem Kopf nahm und an seine Brust hielt. „Ich habe diese Mütze schon seit Jahren!“   Kai schaute auf das Ding in Tysons Händen. „Sag mir, dass du sie in der Zwischenzeit gewaschen hast.“   Max schielte rüber und musterte besagte Mütze. „Glaubst du, sie ist verseucht?“   „Vielleicht sind da Flöhe drin.“ Hilary rümpfte die Nase.   „Seid ihr schon still?“, jammerte Tyson, „geht und malt Daichi einen Schnurrbart auf oder so!“   Während dieser ernsthaften Debatte hatte Bryan seinen Kopf in seinen Händen gehalten und um Rettung gebettelt, bevor seine Vernunft ihn wirklich verließ; Kai und er hatten sich noch nicht einmal angesehen, und die Male auf Kais Hals würden Kai es auch nicht so schnell vergessen lassen.                                                                                                                   „Er hat meine Eltern ermordet.“   Ray war überrascht, dass er so schnell eine Antwort bekommen hatte. „Was ist passiert?“, fragte er.   „Mein Vater war ein Säufer und meine Mutter war krank. Matthew Hiwatari hat das Haus angezündet und ist gegangen.“ Tala schaute finster zu Ray hoch. „Das ist alles, was du zu dem Thema kriegst, also zieh' Leine!“   „War Matthew Hiwatari schon immer Boris' Puppe?“, fragte Ray.   „Hast du gehört, was ich gerade gesagt habe?“   „Beantworte die Frage.“   „Nein.“   „Dann sag 'Auf Wiedersehen' zu deiner Uhr und zu was auch immer diese Schlüssel gehören.“ Ray hielt die Schlüssel mit einem Lächeln hoch.   Tala erdolchte ihn mit seinen Blicken, doch Ray ignorierte das.   „Du wirst es mir sagen, Tala.“   „Nein, werde ich nicht.“   „War Matthew Hiwatari schon immer Boris' Puppe?“   Tala sagte nichts.   Ray ließ die Schlüssel über ihm baumeln und schaute ihn erwartungsvoll an.   „Wir sollten uns auf den Rückweg machen“, schnappte Tala, „ich bin hier hergekommen, um dich zu holen und zu Kai zu bringen.“   „Wie den bösen, kleinen Jungen, der ich bin“, erwiderte Ray kühl. „Ich frag' mich, wie Kai reagieren wird, wenn er dich das nächste Mal sieht. Glaubst du, dass ihr immer noch Freunde sein werdet oder wird er dich hassen?“   „Das geht dich nichts an.“   „Ich sorg' dafür, dass es mich was angeht.“   „Dann erwarte nicht, dass du deinen nächsten Geburtstag noch erlebst!“   „Du arbeitest für Boris. Ich erwarte, dass Kai das mittlerweile weiß“, sagte Ray, „er wird einen Grund dafür wollen. Was wirst du ihm sagen, Tala? Bist du wirklich Kais Freund oder war das alles nur gestellt?“   „Halt den Mund!“   „Was ist mit Bryan? Er wird dich wahrscheinlich umbringen.“   „Ich hab' gesagt halt den Mund!“   „Ich versuche, dir zu helfen, Tala!“ Ray schaute jetzt finster zu dem Rotschopf herunter. „Wenn du mich nur lässt kann ich dir helfen.“   „Und wie genau gedenkst du das zu tun?“, fragte Tala spöttisch.   „Ich weiß, dass es einen Grund dafür geben muss, dass du immer noch für Boris arbeitest.“ Ray wurde so langsam frustriert. „Du willst, dass ich dir glaube, dass du so eine Art kalter Robotersoldat bist, aber das bist du nicht! Du bist ein Mensch! Du kannst immer noch fühlen und Dinge mögen und Dinge wollen-“ Er hielt inne. Der Ärger und die Verzweiflung verschwanden von seinem Gesicht als ein Gedanke ihn so hart traf, dass er sich für dämlich hielt, dass er noch nicht früher drauf gekommen war. „Es ist Rache, nicht wahr?“   Tala schaute jetzt zu ihm auf, sein Gesicht ausdruckslos.   „Deswegen arbeitest du immer noch für Boris. Du willst, dass er dir vertraut. Du willst, dass er dir so sehr vertraut, dass du dicht an ihn 'ran kommst. Dir geht’s nicht um Bryan oder Kai; es geht nur um dich und dein Verlangen, es Boris heimzuzahlen“, realisierte Ray. „Du willst Rache.“                                                                                                                   Kai schaute erneut auf die Uhr. Es war fast fünf Uhr morgens und, nicht zum ersten Mal, musste er über Ray nachdenken. War er in Ordnung? Wo war er? Wenn Tala losgegangen war, um ihn zu holen, dann hätten sie mittlerweile zurück sein müssen. Nicht einmal Boris wusste, wo Tala war.   Tala.   Kai Innereien verdrehten sich vor Zorn und Schmerz; all die Zeit hatte Tala für Boris gearbeitet! Warum? Es musste einen Grund geben... oder nicht? Er seufzte und schaute runter auf die Bladebreakers; Max und Tyson waren am frühen Morgen endlich eingenickt, genauso wie Kenny. Hilary saß an der Wand gelehnt da, aber Kai war sich nicht sicher, ob sie schlief. Er schaute nicht zu dem Falken. Er konnte nicht. Er würde nicht. Was Bryan ihm angetan hatte war unverzeihlich. Kais Augen verengten sich vor Wut.   „Ich dachte, Tony war tot.“   Bryans Stimme klang hohl und leer, sie hallte fast im Raum wieder.   Kai ignorierte ihn und sein Kiefer verkrampfte sich, als seine Finger geistesabwesend über die Male, die seinen Hals verunstalteten, fuhren.   „Es ist nicht natürlich, dass er noch lebt, wenn er tot sein sollte.“   Der Phönix presste seine Lippen fest aufeinander; er wusste, was Bryan da versuchte, und er würde es ihm nicht einfach machen.   „Nicht einmal Boris wusste, das er noch lebt.“   Es war offensichtlich, dass Bryan nicht still sein würde, ehe Kai etwas sagte, also meinte Kai kalt: „Ich werde dir nicht verzeihen.“   Bryan sah zum ersten Mal auf. „Ich hab' mich nicht entschuldigt.“   „Gut. Weil ich dir nicht verzeihen werde.“   „Das ist okay. Als ob's mich juckt.“   „Solange wir uns da einig sind“, sagte Kai hochnäsig.   Bryan schaute wütend zu Boden; er wusste nicht, warum er überhaupt angefangen hatte zu reden, aber ein Teil von ihm mochte es nicht, dass Kai ihm Todesblicke zuwarf, ein Teil von ihm mochte nicht, dass Kai ihn hasste. Er versuchte, so zu tun, als sei er wütend. Er versuchte, so zu tun, dass er darüber nicht nachdachte aber es funktionierte nicht! Je mehr er sich anstrengte, deso stärker machten ihm Kais mörderische Blicke zu schaffen. Das war nicht richtig; er war Bryan Kuznetsov, niemand interessierte ihn und niemand interessierte sich für ihn. Wut kochte in ihm auf und bevor er wusste, was er tat, war er nach vorne gestürzt und presste Kai zornig zu Boden. Sie schauten sich für einen Moment bitterböse an, bevor Bryan durch zusammengepresste Zähne sprach: „Sag' mir, dass ich langweilig bin!“   Kais Wut wurde durch Unverständnis ersetzt. „Wie bitte?“   „Sag' mir, dass ich langweilig bin“, wiederholte Bryan.   Kais Ausdruck wurde sarkastisch. „Sicher. Weil erwürgt werden so öde ist.“   „Sag es einfach!“   „Warum sollte ich?“   „Weil ich dich hassen will!“, knurrte Bryan, „du hast mich verhunzt, Geldjunge, und ich mag' das nicht! Ich will dich hassen!“   Kai schnaubte. „Aber ich will nicht, dass du mich hasst!“, fauchte er zurück. „Ich will, dass du mich so sehr willst, dass es dir wehtut, mich überhaupt anzusehen.“   Sie starrten sich wieder für einen Moment feindlich an, aber da war ein sadistischen Schimmern in Kais Auge; Bryan wollte ihn noch immer, darüber konnte er nur lachen. Es bestand absolut keine Chance, dass er sich Bryan jemals wieder unterwerfen würde, und das war das, was der Falke mochte, egal wie sehr er es verneinte.   „Ich werde dich für immer hassen“, flüsterte er leidenschaftlich, während er hochsah zu Bryan, "aber das heißt nicht, dass ich will, dass du mich hasst. Du willst mich hassen? Das lass' ich nicht zu. Das ist deine Strafe für das, was du mir angetan hast. Du hattest deine Chance und du hast sie verpasst. Ich werde dich in jeder Art dafür zahlen lassen, die mir einfällt.“   Sein fieses Grinsen wurde siegreich, als Bryans Augen sich böse verengten und eine schwielige Hand sich um Kais Kiefer legte. „Du bist der Teufel“, knurrte er, „schlimmer als dein scheiß Großvater!“   Kais Grinsen wurde nur breiter. „Ich fasse das als Kompliment auf.“   Für einen Moment sah Bryan so aus, als würde er Kai schlagen, aber dann waren die Worte, die er sprach, viel schmerzhafter als jeder Schlag. „Dann werde ich dich hassen. Ich hasse jeden, der es als Kompliment nimmt, wenn er mit Voltaire verglichen wird. " Kais Augen blitzten und er holte mit der Faust aus, doch das zauberte nur ein ironisches Grinsen auf das Gesicht des Falken, der sich aufsetzte.   „Sieht so aus, als wären wir hier fertig“, sagte er wie ein Tier.   „Wir haben nie 'was angefangen“, knurrte Kai.   „Ja, red' dir das nur weiter ein.“   „Kai?“ Tyson war aufgewacht und setzte sich auf, wachsam und angespannt.   „Ist schon okay“, sagte Kai automatisch, als er aufstand und sich zur Wand drehte, während er sauer mit einer Hand durch sein Haar fuhr; Bryan war nicht der einzige, der Probleme hatte, sein Kopf wirbelte vor Gedanken, wie er es noch nie getan hatte. Ein kleiner Teil von ihm wollte zurück zu der Zeit, wo es noch einfach gewesen war, als er und Bryan ihr kleines Geheimnis gehabt hatten, aber der größere Part von ihm wünschte sich, dem Falken nie begegnet zu sein. All diese Emotionen machten ihm zu schaffen und der wollte sich wegen der Wut und Frustration verstecken. Also trat er mit einem Grollen gegen Wand und trat sie erneut, sicherstellend, dass sein Fuß wirklich wehtat.   „Kai!“ Max erwachte bei dem Geräuch und setzte sich auf, leicht zerzaust, aber wachsam. „Was ist passiert? Ist es Ray? Ist es Dranzer? Was ist passiert? Ist jemand gestorben? WO IST DAS FEUER?“   Das weckte natürlich die anderen auf und der ganze Raum sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm. Tyson lachte vor sich hin. „So ist's richtig Max. Noch ein bisschen lauter und du hättest die Toten geweckt.“   Jetzt musste Daichi lachen, Hilary kicherte ein wenig und sogar Kenny lächelte, als Max sich ein wenig verwirrt umsah. Aber etwas in Kais Kopf machte Klick, etwas ergab Sinn, das es vorher nicht gemacht hatte, und Kai stand da, die Augen weit aufgerissen, während er einen Satz, den Bryan gerade gesagt hatte, in seinem Kopf erneut abspielte.   Nicht einmal Boris wusste, dass er noch lebt.   Er.   Tony.   Der Mann, der hinter Kai her war.   Der Mann, der Kai verletzten wollte.   Der Mann, der tot sein sollte.   Und Boris selbst hatte gesagt, dass die Toten gingen. „Er weiß es!“, keuchte Kai, „er weiß verdammt noch eins Bescheid!“   „Was?“, fragte Tyson, der nicht verstand.   „Wo ist das Feuer!“, kreischte Max wild.   „Boris weiß, dass Tony noch lebt! Er wusste es die ganze Zeit! Deswegen ist er meinem Großvater gegenüber so unterwürfig! Das ist sein Trick!“ Kai stand da. „Er weiß über Tony Bescheid! Er weiß, dass Tony lebt! … und er hat Tony hinter Ray her geschickt!“ Er drehte sich zu Tyson. „Du musst etwas für mich tun.“                                                                                                                   „Ich hab' Recht, nicht wahr?“, sagte Ray leise, „du willst Rache.“   Davon gelangweilt, zu Ray hochzuschauen, wandt der Wolf seinen Körper und im nächsten Moment fand Ray sich flach auf dem Boden liegend wieder und Tala lehnte mit hell leuchtenden, blauen Augen über ihm... oder eher, ein nackter Tala lehnte mit hell leuchtenden, blauen Augen über ihm.   Ray wurde rot.   Tala schien ebenfalls inne gehalten zu haben und plötzlich konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was er hatte sagen wollten; stattdessen tat er, was offensichtlich schien, und ließ sich auf den Neko-Jin sinken als ihre Lippen sich hungrig trafen. Rays Augen schlossen sich und er schnurrte; er wollte nicht zurückgehen, er wollte nicht wieder zurück zu den Streitereien... er wollte nur hier bleiben, mit Tala.   Die Idee fühlte sich so seltsam an, aber gleichzeitig auch so richtig.   „Tu's nicht“, keuchte Ray, nachdem sie sich trennten, „nimm' keine Rache. Es würde bedeuten, dass Boris gewonnen hat.“   Tala antwortete nicht, sondern richtete sich stattdessen auf und packte seine Kleidung.   „Du wirst versuchen, ihn zu töten, oder?“, flüsterte Ray, noch immer am Boden liegend. Er drehte den Kopf um den Rotschopf anzusehen. „Tu's nicht.“   „Und warum nicht?“ Die Hosen wieder angezogen, schnürte Tala gerade seine Stiefel.   „Weil dich das nur zu dem emotionslosen Robotermonster macht, von dem Boris will, dass du es bist.“ Ray setzte sich auf. „Das willst du nicht. Sag's der Polizei: Lass sie sich um Boris kümern. Er wird für Jahre ins Gefängnis gehen, vielleicht sogar für sein ganzes Leben.“   „Im Gefängnis zu verrotten ist nicht genug“, erwiderte Tala, „ich will, dass er in der Hölle verrottet." Er lehnte sich herunter und schnappte seine Uhr aus Rays lockerem Griff.   „Aber warum verstehst du denn nicht, dass das das ist, was er will?“ Ray stand auf, um seine Position zu untermauern. „Boris würde lieber sterben, als ins Gefängnis zu gehen, damit würdest du ihm einen Gefallen tun!“   „Ich hab' 'ne Idee: Behalt deine Meinung für dich selbst.“   „Du weißt, dass ich Recht habe!“   „Nein, ich weiß, dass du glaubst, dass du Recht hast.“   „Tala! Du hörst mir nicht zu!“   „Weil ich dir nicht zuhören will“, sagte Tala, als er sein Shirt anzog.   „Tal-“   „Nein!“ Tala wirbelte herum und sah Ray finster an. „Ja, ich will Rache. Ich will Rache für all die Jahre der Folter, Schmerzen und des Elends, die dieser Mann mir und meinem Team angetan hat. Und ich werde diese Rache kriegen... auf eine Art, die ich will. Nichts, was du sagst, könnte das ändern."   „Aber was dann?“, konterte Ray, „wirst du dich freuen, dass du ihn getötet hast?“   Tala lachte säuerlich. „Ich werde tanzen.“   „Okay“, Ray versuchte es nun anders, „wie hast du vor, ihn zu töten? Wo ist der Sinn darin, deine Freunde zu verraten und all die Jahre weiterhin für ihn zu arbeiten?“   „Glaubst du wirklich, dass Boris mir tatsächlich vertraut?“, schnaubte Tala, „er wird rund um die Uhr beschützt und lebt praktisch in einer kugelsicheren Weste. Ich hab' Jahre gebraucht, dass er denkt, dass ich sein hirnloser Soldat bin.“ Er hielt inne und fauchte. „Nun, ich hatte Jahre gebraucht. Du hast die Arbeit von Jahren in einer Nacht zerstört.“   „Warum bist du hinter mir her gekommen?“, fragte Ray leise.   Tala grollte genervt. „Hör' auf, mich das zu fragen! Das wird langsam langweilig!“   „Ich brauche eine Antwort!“ Ray hielt stur an seiner Meinung fest. „Ich muss wissen, warum du gekommen bist, wenn es deinen Plan zerstört hat!“   Talas Mund schloss sich und jetzt war es Ray, der langsam genervt war.   „Hör' auf damit!“, schnappte er, „warum kannst du nicht eine einfache Frage beantworten?“   Tala hielt inne und schaute zur Wand. Draußen schienen der Schnee und der Wind sich gelegt zu haben, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zu stürmen begann. „Du willst wissen, warum ich gekommen bin?“ Er schaute zu Ray und seine eisigen Augen suchten nach Rays. „Da ist etwas an dir...“   Und in dem Moment wurde die Flamme zu einem tosenden Feuer; die Tür brach auf, das Feuer war auf dem Weg in die Hütte und sie waren gefangen. Kapitel 21: Wieder Menschlich ----------------------------- “AUU! AU DIESE SCHMERZEN!“, jaulte Tyson, als er sich auf den Rücken rollte und die Decke über ihm ankrächzte; Kai zuckte bei dem Geräusch zusammen, doch er musste zugeben, dass Tyson trotz mangelhafter Ressourcen einen guten Job machte. Um den Drachen heulten Max, Hiarly, Daichi und Kenny vor Alarm und Panik, riefen nach Hilfe und taten das, was die Bladebreakers allgemein am Besten konnten: Chaos stiften.   Bryan schaute sich all dies mit einem etwas schlechten Gefühl an und er spürte, wie er Kopfschmerzen bekam.   Die Tür wurde aufgeknallt und eine Wache schlitterte hinein. „Was ist los!“, schnappte er.   „Es ist Tyson!“, schrie Max, „er... er-“   „AU! DIESE SCHMERZEN! ICH STERBE! HILFE! HILFE! ES TUT SO WEH!“, klagte Tyson lautstark, als der Wachmann ihm vorsichtig näherkam. „ES ZERFRISST MEINE EINGEWEIDE! DIESE SCHMERZEN! DIESE SCHMERZEN!“ „Wo tut es denn weh?“, fragte die Wache, unsicher, was er tun sollte.   „ÜBERALL! ÜBERALL!“   „Was geht hier vor?“, verlangte ein zweiter Wachmann, während er in den Raum marschierte. „Warum sind hier alle am Schreien?“   „Er hat Schmerzen“, informierte die erste Wache ihn über Tysons Schreie hinweg. „Dann holt ihm 'ne verdammte Schmerztablette!“, fauchte der zweite Wachmann, der sich nach den anderen Gefangen umschaute.   Der blonde Amerikaner war bei seinem Freund und rief nach Hilfe.   Das Mädchen schrie die Wachen an, dass Tyson im Sterben lag.   Das kleine, geniale Kind kroch in eine Ecke und weinte so laut er konnte.   Der kleine Affenkerl schrie Tyson an, dass er sich so wenig wie möglich bewegen sollte.   Und was Kuznetsov und Hiwatari anging-   Der zweite Wachmann sah sich erneut in dem Raum um, mit wachsendem Schrecken.   „Wo sind Kuznetsov und Hiwatari?“   Die erste Wache sprang im Kreis, als er ebenfalls die Abwesenheit der beiden bermerkte.   Die Wachen schauten sich gegenseitig panisch an.   Sie sahen zurück zu Tyson.   Tyson lachte leise und richtete sich auf einen Ellenbogen auf.   „Warum hast du aufgehört zu schreien!“, quietschte die erste Wache.   Tyson lachte erneut. „Denn, mein Freund, ihr seid gerade auf den Ältesten aller Tricks 'reingefallen!“                                                                                                       Der Schnee knartschte unter Kais Stiefeln, als er die Vorderseite des Anwesens erreichte; er sah sich nach irgendwelchen Wachposten um, aber er hatte freie Bahn, niemand war in Sicht.   Nein, ganz stimmte das nicht.   Dort war eine Bewegung bei einem sorgfältg gestutzten Baum.   Kai glitt zurück in eine Alkove und guckte vorsichtig heraus; Boris schlich ebenfalls durch die Gärten. Kai sah zu, wie Boris zu einem der Autos huschte, die vorne geparkt waren; Boris schloss das Auto auf, blickte sich schnell um und glitt dann in den Fahrersitz und startete den Motor.   Der Phönix beobachtete und wartete, dass Boris seine Tür geschlossen hatte und aus der Einfahrt des Anwesens gedüst war, wobei die Räder auf dem glatten Schnee durchdrehten. Kai runzelte die Stirn.   Wo wollte Boris hin?   Er verließ seine Alkove. Er hatte jetzt Zeit, sich darum Gedanken zu machen, er musste Ray erreichen, bevor Tony es tat; darauf achtend, dass er vom Haupteingang nicht gesehen werden konnte, schlich er zu den anderen Autos. Als er allerdings da war, war er sich nicht sicher, wie er als nächstes vorgehen sollte.   „Sucht du die hier?“   Kai wirbelte herum.   Bryan lehnte sich gegen einen schwarzen Mazda und rotierte einen Schlüsselbund um einen Finger; er feixte Kai an und schaute zu, wie Kai sich hinter dem Auto aufrichtete. „Ich glaube, dieses Auto gehört deiner Mutter.“   „Wo hast du die her?“, fragte Kai.   Bryan zuckte mit den Schultern. „Taschendiebstahl ist nicht sonderlich schwer.“ Er wandt sich zurück zu dem schnittigen, schwarzen Auto und schaute es kritisch an. „Also, gehen wir?“   „Wir gehen nirgendwo hin“, grollte Kai, „ich werde Ray alleine finden, ich brauch' deine Hilfe nicht.“   „Der verdammte Neko-Jin interessiert mich einen Scheißdreck!“, fauchte Bryan, „aber wenn es stimmt und Tony noch lebt, dann will ich ihn sehen.   Kai schürzte die Lippen.   „Du hast in dieser Geschichte nicht wirklich die Wahl“, merkte der Falke an, als er die Schlüssel klirren ließ, „ist nicht so, als ob du ohne die hier irgendwo hinkommen würdest.“   Der Phönix verengte seine Augen. „Na schön.“   „Gut.“ Bryan drehte sich zum Auto. „Ich bin mir sicher, Fleur Hiwatari wird nichts dagegen haben, wenn wir uns das ein paar Stunden ausleihen.“   Kai sagte nichts; Bryan öffnete die Fahrertür und setzte sich in den Sitz. Kai stand noch immer auf der Beifahrerseite und grollte tief in seiner Kehle. Er wollte Bryan nicht in der Nähe haben. Er wollte den Falken nicht ansehen; sein Hals tat noch immer von Bryans Angriff weh und sein Stolz hatte hatte ebenfalls einen massiven Schlag abbekommen. Die Tatsache, dass er Bryan erlaubt hatte, solche Macht über ihn zu haben traf ihn schwer; noch nie zuvor hatte er irgendjemanden so nah an sich dran kommen lassen, niemals zuvor hatte er es zugelassen, dass irgendjemand ihn so verletzte.   Nicht, seit sein Großvater ihn geschlagen hatte.   Wann war er so schwach geworden?   Warum hatte er sich nicht gewehrt, als Bryan nach seinem Hals gegriffen hatte?   „Kommst du oder nicht?“, fragte Bryan aus dem Auto heraus.   „Warum hab' ich dich so nah ran gelassen?“, flüsterte Kai zu sich selbst, „warum hab' ich dich mich angreifen lassen?“   Er seufzte, öffnete die Tür und glitt in seinen Sitz.                                                                                                         Die Flammen tanzten in der Tür und sperrten sie ein, die Hitze war so intensiv, dass ihre Haut davon stach; ihre Gesichter leuchteten rot in dem Licht. Ray zog sich zu der hintersten Wand zurück und schluckte vor Angst; der Rauch war dicht, als das Feuer das feuchte Holz der Hütte verbrannte und es fing an, durch die Risse im Boden des Gebäudes zu sickern, in welchem sie gefangen waren.   Ray sah sich verzweifelt nach Tala um und fand den Rotschopf, wie er die alten Bodendielen der Hütte herauszog; die Gedanken des Wolfs lesend, sprintete Ray noch vorne und zwang seine Finger zwischen die Lücken am Boden und stemmte das alte und verrottende Holz hoch. Der Rauch verstopfte ihre Hälser; er füllte ihre Lungen, doch weder der Wolf noch der Tiger ließen sich davon aufhalten.   Sie versuchten, eine Lücke in den Flammen zu schaffen; ihr einziger Weg nach draußen war die Tür, wo das Feuer ihre Flucht blockierte, das an der Tür leckte und auf der Schwelle flackerte. Der einzige Grund, weswegen es so langsam war, war der, dass das Holz der Hütte feucht und siffig war. Das Feuer schmorte, anstatt zu lodern, aber das gab Tala und Ray die Chance zu überleben.   Sie packten die herausgestemmten Bodendielen und zerrten sie zu dem mit Flammen gefüllten Eingang; hier war der Rauch schlimmer, Ray schossen Tränen in die Augen und er hustete, als der Qualm seinen Hals verstopfte. Taial hielt inne, um ihm einen Blick zuzuwerfen, aber er zwang seine Aufmerksamkeit zurück zum Feuer. Wenn sie die feuchten Bodendielen auf das Feuer im Eingang warfen, würde das Feuer einen Moment brauchen, um sie anzufressen; das Feuer würde für einen flüchtigen Moment fast erstickt sein und das war ihre Chance auf Flucht. Eine Decke hätte diesen Job sehr viel besser erfüllt, aber unter diesen Umständen war das ihre beste Option.   Ray hustete; er war schon einmal in einem Feuer gewesen, als er noch ein Kind war. Erinnerungen von Flammen und Furcht schossen in seinen Kopf und ließen ihn panisch werden; er erinnerte sich daran, gefangen gewesen zu sein und nach Hilfe zu schreien. Aber der Rauch hatte ihn erstickt und er hatte nicht rufen können; er war ganz alleine in dem Feuer eingesperrt gewesen, verängstigt und weinend, als die Flammen auf ihn zukamen.   Sogar heute noch war es Rays schlimmster Albtraum.   Er gerit in Panik und er wusste es; er versuchte, sich zusammenzureißen, wieder ruhig zu werden, aber die Flammen und der Qualm nahmen ihm die Sicht-   Eine Hand fasste ihn und das nächste, was Ray wusste, war, wie er ganz unzeremoniell auf den rutschigen Bodendielen durch das Feuer gezogen wurde; er hatte nicht bemerkt, dass er so unkontrollierbar weggetreten war und, als er das Morgenlicht draußen sah, schien der Schnee um ihn herum durch den Rauch und das Feuer zu leuchten.   Tala zerrte ihn weiter; durch das Minenfeld, er trug den Neko-Jin schon fast und brachte ihn fort von dem Feuer, weg aus dessen Richtung und in Sicherheit. Er wollte zu dem Motorrad, das er benutzt hatte, um hier her zu kommen; das Motorrad befand sich in genau der anderen Richtung als die, in die das Feuer geweht wurde, durch die Hütte, weg vom Motorrad und dem Minenfeld.   Dort ließ er Ray fallen, der würgend in die Knie ging, die Schulter des Neko-Jin ruckte, als er auf Händen und Knien landete und nach Luft schnappte und sich selbst schimpfte; er hätte mehr helfen sollen, aber stattdessen war er komplett durchgedreht und zusammengebrochen.   „Es tut... mir Leid!“, keuchte er, „ich hätte mehr helfen sollen, ich war nur eine Last. Tut mir Leid.“ Tala antwortete nicht. Er stand neben seinem Motorrad und dachte nach; er war ebenfalls in einem Brand gewesen, dem, der seine Eltern getötet hatte. Er erinnerte sich noch genau daran. Er hatte versucht, seine Mutter zu retten, das wusste er noch, aber er war zu klein und schwach gewesen, um irgendwas zu tun; dieses Gefühl der Nutzlosigkeit hatte er tief in sich verborgen und war nur wieder an die Oberfläche gekommen, wenn Boris ihn als Kind für einen Ungehorsam bestraft hatte.   Aber jetzt hatte er Ray geholfen.   Irgendwie tröstete ihn das.   Aber er drängte dieses unnatürliche Gefühl beiseite. Er wollte nicht darüber nachdenken, er wollte es nicht fühlen.   Er hatte wichtigere Sachen, über die er nachdenken musste.   Zum Beispiel: Wie war das Feuer entstanden?   „Tala.“ Ray stand auf und schaute den Wolf an.   Tala lehnte sich gegen das Motorrad und schaute den Neko-Jin mit einem emotionslosen Blick an. „Was?“   Ray sah den rothaarigen Russen an; er versuchte, die leeren, blauen Augen zu lesen, die ihn anstarrten, er wollte Talas Gedanken lesen, er wollte wissen, was der Wolf dachte. Er wollte wissen, was der Wolf fühlte. Aber war das überhaupt möglich? Wusste Tala selbst, was er fühlte? Ließ er sich irgendetwas fühlen?   „Warum lässt du dich nichts fühlen?“, flüsterte Ray, „es ist in Ordnung zu fühlen, weißt du. Es ist menschlich zu fühlen.“   „Hn!“, schaubte Tala und wandte den Blick von dem Neko-Jin ab, doch Ray ließ ihn nicht zurücktreten.   „Ich glaube, ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft du mir das Leben gerettet hast“, fuhr Ray in gedämpftem Tonfall fort, als er ganz bedächtig Tala näher kam, „erst auf dem Dach der Abtei, dann bist du hier hin gekommen, um mich zu holen, und jetzt hast du mich mitten aus dem Schlund der Flammen gezerrt.“ Er kam immer noch näher, bis ihre Lippen nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. „Warum? Warum hörst du nicht auf, mich zu retten, Tala?“   „Weil du offensichtlich zu schwach bist, um dich selbst zu retten!“, sagte Tala bissig.   Ray nickte langsam. „Vielleicht“, gab er nach, „aber warum lässt du mich nicht sterben?“   Rays Augen schlossen sich, als seine Hände auf Talas Brust ruhten; der Neko-Jin lehnte seine Stirn gegen Talas Herzschlag. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass in Talas Körper ein Herz pulsierte; es war etwas, das Ray bestätigte, dass es in dieser scheinbar emotionslosen Person doch noch etwas lebendiges gab.   Es gab Ray Hoffnung.   „Du rettest mich immer wieder, Tala.“   Tala sagte nichts; er stand da, als Ray sich gegen ihn lehnte, er wusste nicht, was er machen sollte. Er wusste, er sollte den Tiger wegschubsen, aber Ray war so warm und Tala konnte die Hände des Neko-Jin auf seiner Brust spüren. Auf eine gewisse Art mochte er den Kontakt nicht, aber Ray war so sanft, so zärtlich. Tala wollte, dass er blieb.   „Ich werd's wiedergutmachen“, murmelte Ray, als er wieder hochsah. „Versprochen.“ Zögerlich streckte er sich nach Talas Lippen, geisterte über sie mit seinen eigenen. „Küss mich.“   Tala ließ seine Augen auf Rays ruhen und senkte dann den Blick zu Rays leicht geöffnetem Mund; er fuhr mit einer Fingerspitze über diese Lippen und versuchte, zu verstehen, warum er das tat.   Was war dieses neue Gefühl?   Der Wind wehte um sich herum, aber Tala schütze Ray vor der Kälte.   Der Neko-Jin lächelte; er schmiegte sich so eng an den Wolf, wie er konnte, er genoss diesen seltenen Moment der Stille.   In ihrer Ruhe, bemerkten weder der Wolf noch der Tiger den anderen Zeugen ihres Augenblicks der Serenität.   Die Gestalt, die hinter dem toten Baum stand, beobachtete sie neugierig.   Dann blickte sie zu dem Jungen mit den goldenen Augen.   Das war der, den er wollte.                                                                                                         Die Stille zwischen Bryan und Kai war fast schon erstickend; Kai starrte eindringlich aus dem Fenster, als Bryan aus der Stadt fuhr; der Falke hatte versucht, das Radio anzuschalten, nur, damit Kai es sofort wieder ausmachte. Der Phönix schien zu wissen, wo Ray war, aber Bryan machte keine Anstalten, zu fragen, warum er das wusste; es war offensichtlich, dass Kai ihm gegenüber nicht einmal höflich sein würde.   Nicht, dass Bryan das interessierte.   Der Phönix schien in einer düsteren Stimmung zu sein, die sich mit jedem verstreichenden Augenblick weiter verdunkelte und es dauerte nicht lange, bevor Bryan sich fragte, ob es noch etwas anderes gab, das Kai beschäftigte, abgesehen von seiner Feindlichkeit gegenüber Bryan.   Der Falke wunderte sich, warum Kai so bald nach der Offenbarung, dass Boris die ganze Zeit gewusst hatte, dass Tony noch lebte, angefangen hatte, sich plötzlich solche Sorgen um Ray zu machen. Was war so besonders an Ray? Bryan war auf einmal sehr genervt von dem Neko-Jin; hier saß er und versuchte, nicht daran zu denken, dass er Kai zurückhaben wollte, und alles, woran der Phönix dachte, war dieser Neko-Jin.   „Hätte die Katze töten sollen, als ich die Chance hatte“, murmelte Bryan stur.   Bryan hatte seine Niederlage gegen den Tiger nie vergessen, sogar jetzt sah er Rays Gesicht glasklar in seinem Verstand, in dem Moment, in dem Drigger Folborg aus der Arena geschmissen hatte. Er hasste Ray und jetzt, wo das einzige, an das Kai dachte, dieses scheiß Katzending mit den goldenen Augen war, hasste er ihn noch mehr. Er verabscheute Ray dafür, dass er Kais Gedanken belagerte. Es war nicht fair. Bryan sollte Kais Gedanken vereinnahmen, nicht Ray. Nicht das Katzending.   „Ray hat Black Dranzer“, sagte Kai.   Bryan schlitterte über eine rote Ampel.   Hupen dröhnten von allen Richtungen auf sie ein, Bryan musste schlingern, um dem Weg eines großen Lasters zu entgehen; das Auto rutschte auf einer Eisfläche und kam unkontrolliert von der Straße. Menschen schrien und hechteten im letzten Moment aus dem Weg, als das schwarze Auto auf den Bürgersteig fuhr und gerade so eine Laterne verfehlte.   Kai fluchte. „Brems“, befahl er.   „Was glaubst du, was ich mache?“, knurrte Bryan zurück, „warum genießt du die Fahrt nicht einfach?“   Er trat härter auf das Gaspedal, verfehlte knapp ein kleines Kind und blieb dann endlich mit quietschenden Reifen zum Stehen, nur Zentimeter davon entfernt, mitten in das Schaufenster eines Geschäfts zu krachen.   Dann war Stille.   Bryan lachte. „Weiß du, ich glaube, ich werd' taub“, keuchte er, als der Ladenbesitzer schreiend nach draußen rannte. „Ich könnte schwören, du hättest gerade gesagt, dass Ray Kon Black Dranzer hat.“   Der Falke schaute zu Kai, der seufzte. „Du hast richtig gehört.“   „Ray Kon hat Black Dranzer?“   „Ja.“   „Ray?“   „Ja.“   „Kon?“   „Ja.“   „Ray Kon hat Black Dranzer?“   Kai schaute finster. „Wie oft willst du das noch sagen? Ja, Ray hat Black Dranzer.“   Bryan blinzelte. „Bist du dumm oder so?“, fragte er ungläubig, „erzählst du mir gerade ernsthaft, dass du Ray Kon Black Dranzer gegeben hast?“   „Das ist das, was ich gerade gesagt habe.“ Kai strich sich die Haare aus den Augen.   „Was zum Henker hat dich denn besessen?“, brüllte Bryan fast schon, „hast ihm das als irgendein durchgeknalltes Geburtstagsgeschenk gegeben, oder was?“   „Ich hab' ihn Ray gegeben, weil ich dachte, dass wir alle sicher wären“, erwiderte Kai und grollte sich selbst an. „Ich wusste, dass wenn ich ihn behalte, würde die Macht mich schwach machen und ich würde nachgeben. Aber Ray ist anders, er ist nicht gierig nach Macht. Ich dachte, wir wären sicher.“   „Du verdammter Idiot!“ Bryan schüttelte ob der Unwirklichkeit des Ganzen den Kopf. „Ich glaube, das ist die blödeste Sache, die du je gemacht hast!“   Kai guckte mörderrisch. „Ich wusste nicht von dem Mann namens Tony, der von Black Dranzer besessen ist“, knurrte er.   „Oh, also ist es meine Schuld oder was?“, knurrte Bryan zurück.   „Du hättest mir von Tony erzählen sollen.“   „Ich dachte, er wäre tot!“   „Irrelevant.“   „Ist es nicht!“   „Wenn du mir von Tony erzählt hättest, hätte Ray niemals Black Dranzer gegeben“, erwiderte Kai kühl, „So wie's ausschaut, ist Ray da draußen und hat 'nen Irren an der Hacke.“   „Nun, vergib mir, dass ich nicht vor Angst um Rays Sicherheit schreie!“, fauchte der Falke, „letztlich ist es mir scheißegal, ob Kon stirbt.“   Kai schaute mörderisch, reagierte aber nicht auf diesen Seitenhieb; stattdessen sagte er nur: „Bring das Auto einfach wieder in Bewegung. Wir müssen Ray vor Tony erreichen.“ Kapitel 22: Unnachgiebiges Zögern --------------------------------- Die Gestalt guckte am toten Baum vorbei und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen; der Junge da, der mit dem langen, schwarzen Haar, das war der, den er wollte. Er konnte die Macht von Black Dranzer von dem Jungen aus pulsieren fühlen, wie das Lied einer Sirene, das sich wieder und wieder in seinem Kopf wiederholte. Einst war es von einer anderen Macht blockiert worden, weil die Macht des weißen Tigers versucht hatte, Ray Kon vor der dunklen Macht des schwarzen Phönix' zu schützen. Und für eine Weile war es schwer gewesen, festzustellen, ob der Neko-Jin den dunklen Vogel tatsächlich hatte.   Aber jetzt war es offensichtlich.   Die Gestalt konnte noch immer die Macht des weißen Tigers spüren, aber sie beschütze den Jungen mit den goldenen Augen nicht mehr und pulsierte stattdessen wütend in der Tasche des Rothaarigen, der mit geradem Rücken dastand, während der Neko-Jin versuchte, sich in der dicken Jacke zu vergraben.   Die Gestalt konnte die Macht von Black Dranzer ganz in der Nähe spüren.   Er sabberte vor Erwartung.   Er würde nicht länger Zögern.   Er würde nicht mehr auf Boris hören.   Boris hatte die ganze Zeit über ihn Bescheid gewusst. Es war Boris gewesen, den die Gestalt als erses aufgesucht hatte, nach der Flucht vor den Ärzten. Boris hatte ihm gesagt, dass wenn er Kai Hiwatari tötete, dann würde Boris ihm beibringen, Black Dranzer zu kontrollieren.   Töte Kai Hiwatari und erlange die Kontrolle über den schwarzen Phönix.   Mehr wollte die Gestalt nicht.   Aber Boris war nervig gewesen; er hatte gesagt, dass sie warten müssen, hatte gesagt, dass sie es so aussehen lassen mussten, als ob sie nichts damit zu tun hätten. Boris hatte diesen 'tollen' Plan geschaffen, in welchem, unabhängig von der Meinung der Öffentlichkeit, niemand den Tod von Kai Hiwatari mit ihnen in Verbindung bringen könne.   Aber dann war Voltaire aufgetaucht.   Die Ankunft des alten Mannes und die Offenbarung, dass er nicht tot war, hatte die Dinge verlangsamt und das für zu lange.   Boris war ein Wrack und versuchte, etwas von der Kontrolle über eine Situation, mit der er vollständig überfordert war, wiederzuerlangen. Die Gestalt wollte nicht mehr weiter warten. Kai Hiwatari schien ihm die ganze Zeit gerade so durch die Lappen zu gehen.   Und damit, trotz Boris' Erwartung, dass sie nichts tat, war die Gestalt dem verführerischen Rufen von Black Dranzer gefolgt.   Und die hatte ihn hierher geführt.   Nun war er so nahe, dass die Sehnsucht nach Black Dranzer beinahe unerträglich war.   Er würde nicht länger zögern.   Er würde sich Black Dranzer nehmen.   Jetzt.                                                                                                                  „Du bist dumm!“   „...“   „Ein Idiot!“   „...“   „Ein verdammter Dummkopf!“   „...“   „Du bist dümmer als Tyson!“   „...“   „Du hast nicht 'mal ein Hirn!“   „...“   „Tatsächlich, du bist so dumm, dass ich glaube-“   „Wenn du darauf bestehst, mich weiterhin als dumm zu bezeichnen, trete ich dir den Schädel ein“, riss Kai letztlich der Geduldsfaden, nachdem er minutenlang dabei zugehört hatte, wie Bryan ihm erzählte, wie dumm er war.   „Ich nenn' dich dumm weil du dumm bist“, fuhr Bryan fort, als ob Kai nichts gesagt hätte. „Niemand, niemand mit Sinn und Verstand hätte Black Dranzer einem völlig Fremden gegeben!“   „Ray ist kein Fremder.“   „Ist er schon, wenn es um die Macht und Fähigkeiten dieses Bitbeasts geht!“   „Ray wusste, worauf er sich einlässt, als er ihn angenommen hat.“   „Nein, hat er nicht!“, bellte Bryan, „du hättest ihm auch genauso gut 'ne Zeitbombe geben können!“   „Ja, danke, dass du das deutlich machst“, knurrte der Phönix, der mörderisch aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft schaute.   „Was hat dich besessen? War dein Verstand irgendwie auf Urlaub an dem Tag?“   „Hör' einfach auf zu reden.“   „Vielleicht hast du den Bladebreaker-Virus abbekommen!“, überlegte Bryan.   Kai sah ihn an. „Den was?“   „Den Bladebreaker-Virus“, wiederholte Bryan, „es gab mal eine Zeit, in der du ein Hirn hattest. Das scheint nicht länger der Wahrheit zu entsprechen.“ Bryan wedelte wild mit der Hand. „Ich gebe die Schuld dafür den Bladebreakers.“   „Oh, das tust du, nicht wahr?“ Kai biss die Zähne zusammen. Er war sich nicht sicher, ob er das noch lange mitmachen würde. Bryan schien fest entschlossen zu sein, den Phönix zu nerven, wie ein Ticken eine düstere Stille stört. Kai wusste nicht, warum Bryan so ätzend war, aber es machte ihn krank.   Es war, als ob Bryan wollte, dass er sich aufregte, um zu sehen, wie lange es dauerte, bis Kai platzte.   Warum tat er das?   Wenn Kai nicht reagierte, was bedeutete das?   Wenn Kai der Geduldsfaden riss, war das etwas gutes?   Kai schüttelte langsam den Kopf, um die Fragen in seinem Kopf zu verscheuchen.   Es war egal.   Alles.   Es war egal, was Bryan dachte.   Nach dem, was Bryan ihm angetan hatte, war das einzige, an das Kai denken wollte, warum er es Bryan überhaupt hatte tun lassen; er wollte auf keine andere Art über Bryan nachdenken. Er musste einfach verstehen, warum er so unvorsichtig geworden war mit dem Falken, dann könnte er darüber hinwegkommen und vergessen, dass er je irgendwas gewesen war.   Warum reagierte Kai nicht? Warum reagierte Kai nicht? Immer und immer wieder hallte die Frage in Bryans Kopf, sich wie ein Rad drehend; sein Hirn fühlte sich fast so an, als würde es sich wieder und wieder im Kreis drehen, als er nicht verstand, warum Kai nicht auf seine andauernden Vorhaltungen reagierte. Reagierte Kai nicht, weil es ihn nicht scherte, was Bryan von ihm dachte? War Kai darüber hinweg gekommen und hatte dabei den nutzlosen Haufen Mensch, der Bryan war, zurückgelassen? Warum reagierte Kai nicht? Er wollte, dass Kai ihn anfuhr. Er wollte, dass Kai bei einem seiner Köder anbiss. Dann würde Bryan wissen, wo er bei dem Phönix stand. Er würde wissen, ob er doch noch eine Chance hatte.   Bryan wusste, dass er es verkackt hatte.   Er hatte das sogar schon gewusst, als er seinen Griff um Kais Hals verstärkrt hatte; ein Teil von ihm war überrascht gewesen, dass Kai sich nicht gewehrt hatte. Warum nicht? Hatte er Kai so sehr mit seinem plötzlichen Angriff überrascht?   Zuerst war er nur voller Wut und Erstaunen gewesen. Wut, weil Kai ihm etwas erzählt hatte, dass so unglaublich lächerlich war und Erstaunen, weil da wirklich ein Teil, weit hinten in seinem Verstand, war, der sich fragte, wie hoch die Möglichkeit war, dass Tony noch lebte.   Letztlich hatte Bryan nie eine Leiche gesehen.   Jetzt allerdings sah es ganz danach aus, als ob Tony tatsächlich noch auf der Erde wandelte.   Wie stand Bryan zu dem Ganzen?   Er hatte einen Großteil seines Lebens damit verbracht, Kai für den Tod des einen Menschen verantwortlich zu machen, den Bryan je als Familie angesehen hatte.   Und jetzt sah es so aus, als hätte Bryan Kai ganz ohne Grund gehasst.   All das Hassen, das Verachten, das Verabescheuen, all das Bedürfnis nach Rache, der Wunsch, Kai zu töten, die giftigen Gedanken und die Sehnsucht, Kai leiden zu sehen.   All das und mehr, für NICHTS.   Bryan griff das Lenkrad des Autos so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.   Und dann, um die ganze Situation nur noch unverdaulicher zu machen, hatte er all das hinter sich gelassen. All der Zorn, der Hass, die Verachtung und die Abscheu. Er hatte es alles hinter sich gelassen, sodass er sich selbst eine Chance auf eine Zukunft geben konnte. Als Voltaire ihn in das Hiwatari Anwesen eingeladen hatte, um Kai zu töten, hatte Bryan einen Part des Phönix' gesehen, den kein anderer auf der Welt kannte. Er hatte den geschlagenen, verlorenen, einsamen jungen Mann gesehen, der sich an Bryan gewandt hatte, weil Bryan der einzige gewesen war, an den er sich wenden konnte.   Nicht einmal Tala, Kais engster Freund war da gewesen.   Nein, es war Bryan gewesen.   Er, der Falke; der selbe Falke, der jedermanns Versuche, ihm nahe zu kommen, davongeschoben hatte. Es war Kai gewesen, der sich hinter seine Mauern geschlichen hatte, und Bryan verstand noch immer nicht, wie Kai das geschafft hatte. Er verstand noch viel weniger, warum er es überhaupt zugelassen hatte, dass Kai überhaupt erst versuchte, sich mit ihm anzufreunden.   Anfreunden.   Anfreunden war das falsche Wort. Kai war nie Bryans Freund gewesen. Nicht einmal Tala war Bryans Freund; Bryan hatte keine Freunde, er hatte nur Teamkollegen, aber Kai war auch nie ein Teamkollege gewesen.   Mitleid war, abgesehen von Wut, die erste Empfindung gewesen, die Bryan jemals für Kai gefühlt hatte. Dieses Mitleid hatte ihn beunruhigt; er hatte nicht gewusst, was er damit anstellen sollte, und es hatte seinen Geist übernommen und dabei alle Gefühle des Zorns und des Hasses verdrängt. Dieses Mitleid, das Gefühl unbekannten Mitleids, hatten Bryan verwirrt. Es hatte ihn verrückt gemacht. Und dann war es das gewesen war, was Bryan auf Kai aufmerksam gemacht hatte.   Es gab keinen Zweifel, Kai war sexy und Bryan hatte sich nie für Mädchen interessiert. Frauen waren für Bryan ein Mysterium; möglicherweise weil das einzige Beispiel des schöneren Geschlechts für Bryan seine Mutter war, und rundes, kleines Ding das eine Ewigkeit damit verbrachte, sauber zu machen und zu leise zu summen. Bryan vermutete, dass es spannendere Frauen auf der Welt gab, aber er hatte nie die Energie aufbringen können, tatsächlich da raus zu gehen und eine zu treffen.   Außerdem, wer wollte schon eine Frau, wenn er Kai haben konnte?   Kai war stark, scharfsinnig und schlau. Dank seiner Vergangenheit in der Abtei konnte er verstehen, weswegen Bryan niemals ein normaler Mensch sein würde. Er lobte dich, wenn du etwas richtig getan hast, und bestrafte dich, wenn du die Grenze überschritten hast.   Und das hatte Bryan getan.   Er hatte eine Grenze überschritten und jetzt bestrafte Kai ihn dafür.   Das Schlimme daran war, dass Bryan anfing, es zu bereuen, dem Phönix jemals wehgetan zu haben.   Reue. Ein weiteres, neues Gefühl, das Bryan nie zuvor gehabt hatte.   Er mochte es nicht. Er wusste nicht, wo diese ganzen neuen Emotionen her kamen, aber er mochte es nicht. Sie schlichen sich unaufhörlich an ihn heran. Es war, als ob all der Unterricht, den er hatte erleiden müssen, als Männer versucht hatten, seine Emotionen zu blockieren, nichts mehr wert waren; als ob er all das für nichts durchgemacht hätte, denn es war egal, wie sehr er sich anstrengte, Gefühle und Emotionen kamen langsam zu ihm zurück.   Er mochte es nicht.   Er hatte nicht mehr das Gefühl, dass er Bryan war.                                                                                                                  Tala blieb sehr ruhig; er war sich nicht ganz sicher, wann er plötzlich bemerkt hatte, dass jemand sie beobachtete, aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wusste er. Jemand beobachtete sie; dort, hinter dem toten Baum, beobachtete sie jemand.   Ray lehnte sich noch immer gegen ihn, seine Augen halb geschlossen vor Schmerz, als er seine Seite hielt, wo die Kugel ihn erwischt hatte; er berschwerte sich nicht, aber es war offensichtlich, dass die Verletzung schmerzte. Und jetzt hatten sie einen Beobachter. Es nervte Tala. Er war sich nicht sicher gewesen, was er als nächstes tun sollte, ob er versuchen sollte, sich den anderen wieder anzuschließen oder irgendwo anders hin, bis Gras über die Sache gewachsen war. Jetzt beobachtete sie jemand und Tala war sich noch unsicherer, was er tun sollte.   Er konnte sich denken, dass es kein Freund war.   Es war nicht so, als Tala überhaupt noch viele Freunde hatte.   Er war sich ziemlich sicher, dass es nur Ray war, der bei ihm stehen würde.   Er runzelte die Stirn, als Tala auf den ebenholzfarbenen Kopf, der an seiner Brust ruhte, hinabschaute. Was würde Ray tun, wenn er Kai das nächste Mal sah? Würde er so tun, als empfinde er nichts für Tala und zu Kai zurückgehen, als ob nichts passiert wäre?   Tala rüttelte sich selbst.   Es war nichts passiert.   Sie hatten also Sex gehabt, na und?   Das bedeutete nichts.   Tala schaute zurück zu dem toten Baum und dachte über das Feuer nach.   Die Flammen waren nun verloschen, doch der Rauch stieg noch immer in einem dicken, schwarzen, wabernden Turm gen Himmel auf; hatte die Person hinter dem toten Baum das Feuer gestartet? Warum?   Tala hatte plötzlich den Eindruck, dass dieses Spiel, welches auch immer sie spielten, noch nicht vorbei war. „Tala?“ Rays Augen öffneten sich und er sah sich um. „Ist da jemand bei uns?“   Tala antwortete nicht und starrte stattdessen weiter auf den toten Baum.   Schnee wirbelte auf, der tote, geschwärzte Baum wackelte kurz und ein Mann, abgemagert und schmal, sprang hervor. Er grinste Ray und Tala fieberhaft an, bevor er seine Arme ausbreitete und frohlockend rief: „Hab' dich gefunden!“ Kapitel 23: Brutale Emotion --------------------------- Tala starrte.   Tala war keiner, der sich leicht überraschen ließ, er hatte nie unter Erstaunen oder Ehrfurcht gelitten; wenn man in der Abtei aufwuchs, lernte man, dass alles möglich war. Nicht einmal in seinem Leben hatte er etwas gesehen, was ihn erstarren ließ. Nicht einmal die Neuigkeit, dass Voltaire noch atmete, hatte ihn stocken lassen; letztlich hatten alle Hiwataris einen Hang dazu, selbst bei verschwindend geringen Chancen zu überleben, so sehr Kai auch hasste, das zu akzeptieren.   Wenn du ein Hiwatari warst, dann überlebtest du alles.   Naja, Punkt war, dass die Neuigkeit von Voltaires Überleben Tala nicht einmal mit der Wimper hatte zucken lassen.   Aber das hier, das war... seltsam.   Es hatte Tala weniger als eine Sekunde benötigt, um Tony zu erkennen, der Mann, der vor all den Jahren auf Bryan aufgepasst hatte; Zeit, auch wenn sie Tony verändert hatte, hatte ihn nicht unerkennbar gemacht und Tala vergaß sowieso niemals ein Gesicht. Selbst wenn Tala den Mann bei dem toten Baum nicht erkannt hätte, die Jahre hatten Tony nicht diesen gewissen Blick genommen.   Sie alle hatten ihn.   Jeder einzelne.   Tala, Bryan, Kai, Ian, Spencer und alle anderen.   Wenn jemand in der Abtei aufgewachsen war, konnten sie sofort von jedem erkannt werden, der wusste, wonach er suchen musste; es war etwas in ihren Augen, die Art, wie sie ruhelos und gehetzt aussahen. Die Art, wie sie standen, Schultern nach hinten, Rücken gerade, stolz, einschüchternd und emotionslos. Die Art, wie sie sprachen, klar und unbeteiligt. Die Art, wie sie den Rest der Welt ansahen, irgendwio zwischen Neid und Abneigung. All das konnte Tala noch in Tony selbst sehen.   „Hab' dich gefunden“, sagte Tony erneut, dieses Mal in einem heiseren Flüstern.   Tony schenkte dem Rotschopf keinerlei Aufmerksamkeit, der ihn ohne zu blinzeln anstarrte; er war an dem anderen jungen Mann viel interessierter, der noch immer an Talas Brust stand. „Warst du es, der das Feuer gestartet hat?“, fragte Tala kühl.   Tony nickte. „Natürlich, ich musste ihn da 'raus kriegen.“   Die goldenen Augen blickten durch ebenholzfarbene Strähnen zu Tony, der Argwohn und die Unsicherheit in ihnen brachten Tony zum lachen. Er ging einen Schritt auf das Paar zu und schaute zum ersten Mal zu Tala.   „Ich kann verstehen, warum du ihn magst“, zischte Tony in einem atemlosen Lachen, „schlank, die perfekte Figur, das perfekte Gesicht, alles an ihm ist perfekt.“ Tony lachte erneut. „Abgesehen von dem kleinen Detail, dass er ein Junge ist, kann ich mir vorstellen, dass Boris mit deiner Wahl sehr zufrieden wäre, Tala.“   Talas azurfarbene Augen verhärteten sich.   Tonys Erscheinen war also unerwartet, das bedeutete aber nicht, dass der Wolf seine Überraschung zeigen musste. „Willst du irgendwas, Tony?“   Tony lachte erneut. „Oh ja, da ist etwas, das ich will!“ Er trat einen weiteren Schritt nach vorn. „Und ich glaube, du weißt, was das ist.“ Er grinste Tala anzüglich an, doch seine leblosen Augen zuckten durchweg wieder zu Ray.   „Ich hab' 'ne Vermutung“, erwiderte Tala, „aber ich glaube nicht, dass du das hier finden wirst.“   „Oh, damit liegst du jetzt aber falsch.“ Tony ließ seinen Blick wieder auf Ray ruhen. „Man würde nicht erwarten, dass jemand, der so sanft aussieht, so stark sein könnte, nicht wahr?“, grübelte er, „niemand hat erwartet, dass Ray Kon Bryan besiegen würde, aber er hat es.“ Tonys Lippen kräuselten sich erneut. „Hat Falborg direkt aus dem Stadion geschmissen, ich vermute, deswegen hat Kai ihn erwählt.“   „Kai hat ihn für was genau erwählt?“, fragte Tala knapp.   „Da komm' ich noch zu.“ Tony winkte ab, bevor er wieder zu Ray blickte. „Ich denke, dass Kai sehr vorsichtig nachgedacht hat. Er hat wahrscheinlich auch an dich gedacht, Tala, letztlich hast du nie nach dem schwarzen Phönix gehungert-“   „Schwarzer Phönix?“, wiederholte Tala. Seine Augen verengten sich.   „-aber ich nehme an, dass er dachte, dass du dich von ihm entfernst, vielleicht war da etwas an dir, dem er nicht vertrauen konnte. Du hast dich tatsächlich als Verräter 'rausgestellt, also hatte Kai Recht, heh-heh. Dann wäre da Bryan, auch der wurde nie von Black Dranzer verführt, allerdings ist er vermutlich nicht stark genug, um eine solche Macht zu besitzen.“   Ray war bisher sehr still gewesen; er konnte durch Talas erstarrte Haltung spüren, dass dieser Mann, wer auch immer es war, etwas an sich hatte, Tala dazu brachte, sehr vorsichtig zu sein. Da es scheinbar nichts in der bekannten Welt gab, das Tala Angst machte, fand Ray es sehr bedenklich, dass Tala diesen Mann für so verdächtig hielt.   „Was ist mit dem Weltmeister, Tyson? Nah! Zu dumm!“, sagte Tony gedehnt, „der blonde Amerikaner, zu unschuldig. Kai hat keine anderen Freunde, also war nur noch einer übrig.“ Tony grinste Ray erneut anzüglich an. „Er.“   „Du hast Black Dranzer.“   Es war keine Frage und Talas Augen verließen Tony nicht, doch seine Worte waren an den Neko-Jin gerichtet, der langsam nickte.   Ray zögerte, doch nur für einen kurzen Augenblick. „Kai hat ihn mir bei der Beerdigung seines Großvaters gegeben“, flüsterte er Tala zu, „ich hab' ihm versprochen, auf Black Dranzer aufzupassen.“   „Und ich bin mir sicher, dass du dich ja so geehrt gefühlt hast, dass Kai dich auserwählt hat“, spottete Tony, „von all den Menschen, die Kai kennt, hat er dich auserwählt. Wie rührend.“   „Und ich nehme an, dass Black Dranzer das ist, was du willst“, sagte Tala und schnitt durch Tonys langen Blick auf Ray in einem harschen Tonfall. „Das kann ich verstehen, du warst schon immer so schwach, wenn es um Macht ging.“   Zum ersten Mal flackerte etwas Finsteres über Tonys Gesicht. „Black Dranzer gehört mir! Ich habe ein Recht auf ihn!“   „Ein Recht?“, schnaubte Tala, „bitte, wenn Black Dranzer irgendwem gehört, dann ist es Kai. Du weißt, dass er der einzige auf dieser Welt ist, der den schwarzen Phönix kontrollieren kann.“   „Ich kann es lernen!“, schnarrte Tony, als Ärger sein Gesicht weiter und weiter verdunkelte, bis seine Augen beinahe schwarz waren.   „Das bezweifle ich ernsthaft“, sagte Tala hochmütig, „aber wenn du Black Dranzer wirklich so sehr willst, warum kommst du dann nicht und holst ihn dir?“   „Was?“ Tony sah überrascht aus.   „Was?“ Ray blickte hoch in Talas unleserliches Gesicht. „Tala, ich-“   „Es liegt nicht an dir, zu entscheiden, wem Black Dranzer gehören soll, aber rück' ihn raus“, unterbach Tala ruhig.   „Das ist alles?“, keuchte Tony, „alles, was ich tun muss, ist meine Hand auszustrecken und du wirst mir den schwarzen Phönix geben?“   „Aber natürlich“, nickte Tala und ignorierte die großen Augen und den alarmierten Gesichtsausdruck, den Ray ihm gab. „Komm' und nimm den schwarzen Phönix.“   „Tala, ich glaube wirklich nicht-“, begann Ray.   „Hol' Black Dranzer raus, damit Tony ihn sehen kann“, befahl Tala.   „Aber-“   „Tu es.“   Ray seufzte und betete eher, als dass er hoffte, dass Tala wusste, was er tat; er glitt mit einer Hand in die kleine Innentasche seines Oberteils, wo er normalerweise seinen Beyblade aufbewahrte, und holte das schwarze Bitbeast hervor. Er sah zu Tala. „Was jetzt, du Genie? Soll ich mich selbst umnieten oder soll ich es Tony machen lassen?“   „Halt einfach das Bitbeast hoch, sodass er es sehen kann.“   Wie Ray bald schon lernte, wusste Tala immer, was er tat; manchmal liefen die Dinge nicht so, wie sie geplant waren, Ray war dafür ein großartiges Beispiel, aber das bedeutete nicht, dass Talas Gehirn den Dienst verweigerte. Sobald er Tony gesehen hatte, war der rothaarige Wolf durch verschiedene Möglichkeiten gegangen, die ihnen bei ihrer Flucht helfen könnten. Weglaufen war nicht Talas Lieblingsweg, mit so einer Situation umzugehen, aber in diesem Fall war es die einzige Option, die ihm in den Sinn kam.   Tony zu töten wäre nicht praktisch, ganz zu schweigen illegal, wie Ray zweifellos anmerken würde; Tony war in der Abtei groß geworden, er wusste alles, was Tala wusste. Das war die eine Schwäche jedes Mitglieds der Abtei; für die Welt waren sie unbesiegbar, aber gegeneinander, wenn beide die nächste Bewegung ihres Gegenüber kannten, hatten sie keine Chance. Außerdem war Tala kein geborener Mörder; als er gesehen hatte, wie der Schütze auf Ray zielte, war eine unkontrollierbare Wut über ihn gekommen, er hatte seinen Zorn nicht dämpfen können. Aber das bedeutete nicht, dass er jeden Feind in Sichtweite umbrachte.   Tala war nicht wie Bryan; er nutzte nicht seine Fäuste, um aus schlechten Situationen herauszukommen.   Stattdessen benutzte er seinen Kopf. Er war immer am Denken, immer am Beobachten und immer auf die Chance wartend, dass er seinen Gegner überwältigen könnte. Und das war das, was er gerade tat.   Tony erwartete, dass er kämpfte, erwartete, dass er sich nicht beugen worde. Er würde nicht wissen, was er tun sollte, wenn Tala ihm den Rücken zuwandte.   Ray hielt den schwarzen Phönix hoch.   Die Verwandlung, die Tony überkam, war erschreckend; sein Gesicht sah fast aus, wie das eines Kindes, als er die Hand ausstreckte, als wollte er nach dem Bitbeast greifen. Er stolperte mit einem Keuchen nach vorne und wimmerte erbärmlich.   „Tala?“ Ray versuchte, einen Schritt nach hinten zu gehen, doch Tala hielt ihn auf.   Der Wolf glitt mit einer Hand in Rays Hosentasche und zog die Motorradschlüssel heraus, die Ray ihm abgenommen hatte. „Komm' mit mir, aber lass' das Bitbeast in Sichtweite“, murmelte Tala.   Er legte einen Arm um Rays Bauch und zog ihn zurück; Rays Herz hämmerte in seiner Brust, doch ob es an Tony lag, der langsam näherkam, oder weil die Lücke zwischen ihm und Tala praktisch nicht existierte, wusste er nicht. Sein Körper war gegen den des Wolfs gepresst und in Rays Kopf drehte sich alles.   Tala trat einen weiteren Schritt zurück, bei dem er Ray mit sich zog.   War er da tat war seltsam. Warum ließ er Ray nicht einfach hier? Nimm Black Dranzer und verschwinde. Warum nahm er den Neko-Jin mit?   Warum bloß wollte er Ray nicht loslassen?   Er murrte.   Er würde es akzeptieren müssen.   Der Neko-Jin faszinierte ihn.   Ray faszinierte ihn.   Ray faszinierte sie alle.   Sogar Boris.   Und das war der Moment, als eine kleine Idee in seinem Kopf aufflackerte.                                                                                                                                           „Ich kann nicht glauben, dass ich das hier mache!“, motzte Bryan, „ich kann wirklich nicht glauben, dass ich das hier verdammt noch mal mache!“   „Halt den Mund und leg die Hände zurück auf's Steuer“, keifte Kai zurück, als das Auto gefährlich zur Seite schwenkte. „Wenn ich sterbe, während du fährst, werde ich dich für den Rest deines Lebens heimsuchen.“   „Ich dachte, du wolltest mich nicht einmal anschauen“, knurrte Bryan.   „Werd' ich nicht. Nur weil ich dich heimsuche, heißt das nicht, dass ich dich ansehen muss.“   Bryan seufzte schwer und antwortete: „Wenn du in diesem Auto stirbst, ist es deine Schuld, weil es deine Schuld ist, dass wir überhaupt hier sind. Du bist der, der den schwarzen Phönix so großzügig weggegeben hat.“   Kai sagte nichts. Außerhalb des Autos ging die verschneite Landschaft ohne Unterbrechung weiter; doch Kai konnte die stets verführerische Macht von Black Dranzer spüren. Deswegen wusste Kai, wo er hin musste, er konnte Black Dranzer fühlen; das würde ihn zu Ray führen.   Außer Tony hatte Black Dranzer bereits an sich gerissen.   Wenn dem so war, was war dann mit Ray geschehen?   War Tala wirklich verschwunden, um Ray zu helfen?   Oder hatte er sich einfach nur aus dem Staub gemacht, bis all das hier vorbei war?   Tala.   Kais Kiefer verkrampfte sich. Er hatte Tala vertraut, hatte Tala mit seinem Leben vertraut. Aber der Wolf war ein Verräter und war schon immer einer gewesen; je mehr Kai darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es für ihn, dass er so langsam anfing, das zu akzeptieren. Ein Teil von ihm wollte es immer noch verneinen, wollte denken, dass Tala niemals sein Team verraten würde.   Aber Kai wusste, dass es wahr war.   Tala war immer schon distanziert gewesen, wenn es um seine Meinung gegenüber Boris ging, und jetzt wusste Kai, warum.   Tala war ein Verräter.   Kai wusste nicht warum, aber einfache Logik sagte ihm, dass Boris ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Tala war ein-   „HEILIGE SCHEIßE!“   Kais Augen zuckten nach vorne, als Bryan mit seinem Fuß die Bremse durchdrückte; das Motorrad, das geradewegs auf sie zugefahren war, schien sich auf der feuchten Oberfläche des Bodens fast zu drehen. Es schlitterte in einen großen Schneehaufen zu Bryans Rechten, als das Auto mit quietschenden Reifen über die Straße rutschte und letztlich stehen blieb. Kai keuchte und bevor Bryan überhaupt den Motor abgestellt hatte, war er aus dem Auto gestolpert.   Allgemein die Welt verfluchend knallte Bryan seine Autotür zu und stürmte zu dem umgestürzten Motorrad. Es war mit den Fahrern auf dem Sitz auf die Seite gekracht; es gab ein Stöhnen und dann setzte sich der Fahrer mit dem Helm mit einem russischen Fluch auf.   „Was zur Hölle hattest du denn für 'nen Auftrag?“, knurrte Bryan, „hast du 'nen verdammten Todeswunsch oder was?“   „Was mein Auftrag war?“, wiederholte der Motorradfahrer, als er wütend seinen Helm abnahm, „du warst der, der auf der falschen Seite der verfickten Straße gefahren ist!“   Bryan und Kai erstarrten, als der Helm im Schnee landete und der junge, rothaarige Mann sie wütend mit Blicken aufspießte. „Tala?“ Kais Augen verengten sich und sein Keifer verkrampfte sich erneut. „Du!“   Tala schien nun auch endlich zu bemerken, in wen er beinahe reingekracht wäre, und er schürzte die Lippen. „Oh.“ Er stand auf und wischte sich den Schnee ab. Die Welte drehte sich um ihn und er schwankte mit einem neuen Fluch.   Sowohl Bryan als auch Kai waren wie zur Salzsäule erstarrt; keiner war sich sicher, was sie als nächstes tun sollten, als sie dabei zusahen, wie der Wolf seinen Kopf schüttelte, um ihm wieder zu klären. Ein weiteres, kleines Stöhnen ließ Kai jedoch wieder zu Sinnen kommen und er drängelte sich an Tala vorbei, um sich über das Motorrad zu lehnen. „Ray?“   Ray öffnete die Augen; der Schnee hatte ihn weich landen lassen, aber dennoch fühlte er sich, als ob er von einem Elefanten gerammt worden war. Wacklig stand er auf und blickte in Kais Augen, die ihn ohne zu blinzeln anstarrten. Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten lächelte Ray ein großes Lächeln. „Kai!“   „Bist du okay?“, fragte der Phönix leise.   Ray blickte sich um und versuchte, sich zu orientieren. „Ich denke schon... was ist passiert?“   „Ihr hattet einen Unfall, oder eher hatte Tala einen Unfall.“   Der Neko-Jin setzte sich auf und strich seine Haarsträhnen aus dem Weg; seine Augen wanderten an Kai vorbei zu Tala und Bryan, die keine zwei Meter voneinander entfernt standen. „Ah“, hauchte er leise. „Du weißt also über Tala Bescheid?“ Er blickte zu Kai hoch.   Der Phönix antwortete nicht, doch er richtete sich auf und sein Gesichtsausdruck wurde kalt und finster.   „Kai?“, flüsterte Ray. Er lehnte sich gegen das Motorrad, als er es schaffte, sich aufrecht hinzustellen, während er sich mit einer Hand den Kopf hielt. „Wegen Tala... würdest du ihn erklären lassen?“   „Er hat nichts zu erklären“, erwiderte Kai eisig, „ich will ihm nicht zuhören.“   „Aber-“, Ray hielt inne und biss sich auf die Lippe, als er zu Tala schaute. „-es gibt einen Grund, warum-“   „-warum er uns alle verraten und weiter für Boris gearbeitet hat“, unterbrach Kai abprupt, „ich bin mir sicher, den gibt’s, es hat vermutlich etwas mit Macht zu tun.“   „Nein! Nein, hat es nicht“, schüttelte Ray den Kopf, „Kai, wenn du nur-“   „Werde ich nicht.“ Kai wandte sich von dem Neko-Jin ab, unterließ es aber, einfach wegzugehen. Er suchte allerdings nach einem anderen Gesprächsthema. „Hast du immer noch Black Dranzer?“   „Natürlich“, nickte Ray versichernd, „ich hab' dir versprochen, auf ihn aufzupassen.“   „Gut. Da gibt es nämlich etwas, das du wissen solltest“, fing Kai an.   „Ist dieses etwas zufällig ein seltsamer Mann, der ein ungesundes Bedürfnis nach Black Dranzer hat?“, fragte Ray ruhig.   Kai blickte ihn scharf an. „Woher weißt du das?“   „Weil ich ihn schon die Freude hatte, ihn kennenzulernen“, antwortete Ray, „er hat versucht, mich lebendig zu verbrennen.“   „Sein Name ist Tony“, fuhr Kai fort.   Ray runzelte die Stirn. „Den Namen hab' ich kürzlich noch gehört.“   Dieses Mal war es an Kai, zu nicken. „Du hast ihn in dem Brief gelesen, den ich bekommen hab'.“   „Oh“, Ray blinzelte langsam, „ich erinner' mich. Dann weißt du also, wer er ist?“   „Weiß ich“, seufzte Kai, „er versucht, mich umzubringen.“   Für einen Moment herrschte Schweigen, dem dann jedoch ein Kichern folgte; verwirrte drehte der Phönix sich um, um den Tiger anzuschauen, der da stand und leise vor sich hin lachte. „Tut mir Leid, Kai.“   „Was ist so lustig?“, fragte kai.   Ray schüttelte schnell den Kopf, doch er lächelte noch immer. „Es ist nicht lustig, ist es wirklich nicht...“   „Aber?“   „Scheint es nicht so, als ob jeder dich töten will?“, schnaubte Ray amüsiert, „das wird schon fast zu 'ner Charaktereigenschaft von dir.“   „Ich bin froh, dass dich das so amüsiert, Ray.“   „Nein, bin ich nicht!“ Ray bedeckte seinen Mund um ein weiteres Lachen zu verstecken. „Es ist nur...“, er schüttelte erneut den Kopf. „Tut mir Leid, Kai. Es war ein sehr unnormaler Tag. So langsam macht er mir wohl zu schaffen.“   „Du bist nicht der einzige, der einen unnormalen Tag hat“, murmelte Kai, der zu dem Falken schaute, der gerade versuchte, Tala mit seinen Blicken umzubringen.   Tala stand ruhig da. „Was ist los, Bryan? Hast du nichts zu sagen?“   Bryans Augen verengten sich, doch sein Mund funktionierte immer noch nicht; hier stand er, nur ein paar Fuß von Tala entfernt, und alles, was er wollte, war, den Rotschopf in Stücke zu reißen, er wollte etwas kluges, gerissenes sagen, dass Tala dazu bringen würde, ihn mit seinen Blicken  zu wollen. Aber gerissen und klug war noch nie Bryans Stärke gewesen; er war dazu erzogen worden, ein gewalttätiger, monströser Soldat zu sein, kein Commander mit Köpfchen wie Tala. Seine Füße wollten nicht funktionieren und er konnte seinen Arm nicht heben, um nach ihm zu greifen. Was war mit ihm los? Warum brachte er Tala nicht um?   „Wir reden nicht mit Verrätern.“ Kai blieb neben dem Falken stehen und warf Tala einen kalten Blick zu.   Gelächter platzte aus Tala. „Der ist gut, gerade von dir!“, gackerte er, „wie oft hast du deine wertvollen Bladebreakers betrogen? Und du nennst mich einen Verräter!“ Er lachte erneut.   Bryan knurrte. Das war ein Schritt zu viel. Nur er durfte Kai auslachen. Nur er. Niemand anderes, und vor allem nicht Tala. Er stürzte sich mit einem Grollen nach vorn; genau hier und jetzt wollte er Tala töten, nicht dafür, dass er ein Verräter war, sondern weil er Kai so behandelte, wie er es tat. Tala und Kai sollten Freunde sein, Tala hatte kein Recht, so mit Kai zu sprechen-   „NEIN!“   Bryan wurde zurückgeschoben und es war nur sein guter Gleichgewichtssinn, der ihn aufrecht hielt; mit einem erneuten Knurren wirbelte er zu der Person, die ihn zurückgedrückt hatte.   Ray stand vor Tala, atmete schwer und starrte Bryan entschlossen an. „Wartet nur“, keuchte er, „hört Tala einfach zu.“   Bryan blinzelte den Neko-Jin an. „Bist du vollkommen bescheuert? Du willst, dass ich ihm tatsächlich zuhöre?“   „Hört ihm einfach zu“, wiederholte Ray, als seine Augen zu Kai zuckten. „Bitte?“   Kay schwieg weiter, als er von Ray zu dem überraschten Gesichtsausdruck auf Talas Gesicht schaute; dann senkte sich sein Blick auf Rays Hände, welche nach hinten griffen und nach den Fingern des Rothaarigen suchten. Für ein paar, flüchtige Sekunden sah Kai dabei zu, wie sich Talas lange, blasse Finger mit Rays verflochten, und zwar mit einer Zärtlichkeit, die Kai noch nie zuvor in Tala gesehen hatte.   Die Augen des Phönix' verdunkelten sich, als er über das knurrte, was das bedeutete. „Niemals.“ Kapitel 24: Blutlose Hände -------------------------- Kai blickte von Tala zu Ray und wieder zurück; Ray wandte seinen Blick nervös von Kai ab, doch Tala schaute Kai mit einem warnenden Ausdruck in den Augen an. „Hast du ein Problem, Hiwatari?“, fragte er knapp.   Kai ignorierte ihn und blickte zu dem zurückhaltenden Neko-Jin. „Irgendein Problem damit, mir zu sagen, was zur Hölle du glaubst, was du da tust?“   Ray biss sich auf die Lippe, als er wieder zu Kai schaute. „Ich...“ Seine Stimme verhallte, unsicher, was er als nächstes sagen sollte. „... es ist nicht so schlimm wie du denkst... Tala ist...“, murmelte er, „ich wollte nur-“   „Tala ist ein Verräter“, unterbrach Kai ihn, „das hast du schon gemerkt, oder?“   „Naja, es ist nicht ganz so einfach... Wenn du Tala nur zuhören wü-“   „Er ist nicht derjenige, dem ich zuhören will“, schnitt Kai erneut Rays Germurmel ab, „ich will, dass du mir erklärst, warum du plötzlich eine tiefe Verbindung mit einer Person zu haben scheinst, die als Verräter entlarvt wurde.“   Ray zuckte bei Kais Tonfall zusammen, er war kalt und sauer; er wollte, dass Kai aufhörte, so zu reden, er wollte, dass Kai wusste, dass es noch etwas Gutes in Tala gab. Er wünschte sich, dass nichts von dem hier geschah.   „Ich hab' keine tiefe Verbindung zu Tala“, flüsterte er zu dem Phönix, beinahe unter dem Blick seines Captains schrumpfend, „so ist das gar nicht.“   „Wie ist es denn?“, knurrte Kai.   „Da... da ist nichts zwischen...“ Ray brach ab.   Konnte er das sagen? Konnte er verneinen, dass er irgendetwas für Tala empfand? Denn letztlich war da ja was, was er für Tala fühlte. Etwas, das er vorher noch nie empfunden hatte; er wollte dieses Gefühl erkunden, er spürte, dass es da noch mehr zu fühlen gab, etwas, das er bisher noch nicht entdeckt hatte. Sicher, es war noch sehr früh, aber Ray wusste mit großer Sicherheit, dass es in Tala noch etwas menschliches gab, und er wollte, dass er selbst es war, der diesen Teil in Tala entdeckte. Er wollte derjenige sein, der Talas dunkelste Geheimnisse kannte.   War das töricht von ihm? Machte er sich nur selbst zum Idioten? Benutzte Tala ihn nur? Er wusste es nicht. Aber er würde es auch nicht wissen, bis er es herausgefunden hatte. Und er musste es wissen. Er musste es einfach wissen.   „Also?“, fragte Kai.   „Da sind Dinge, die du nicht verstehst, Kai“, sagte der Neko-Jin leise, „wenn du nur Tala zuhören würdest, mit ihm reden-“   „Ich habe Tala nichts zu sagen“, unterbrach der Phönix ihn abprupt.   „Aber-“   „Ich habe nichts zu sagen“, wiederholte Kai in dem selben, kurzen Tonfall.   „Kai, lass' mich bitte eklären“, beharrte Ray, „da gibt es etwas, das du wissen mussen-“   „Ich wünsche nicht, mit Tala zu reden, und wenn du hier bist, um ihn zu verteidigen, habe ich dir nichts zu sagen.“ Die Stimme des Phönix' schien fast distanziert zu sein. Er warf Ray einen herablassenden Blick zu. „Ich dachte, du wärst etwas besseres, als nur eine weitere von Talas Eroberungen.“   Ray war bestürzt und stammelte: „Wie... woher weißt du das...“   „Woher ich weiß, dass du mit Tala Sex hattest?“, schnaubte Kai, „es steht dir ins Gesicht geschrieben. Ganz ehrlich, ich dachte, du hättest mehr Würde als das, Ray.“   Ray mochte Kais Tonfall nicht; Kais Worte verletzten ihn und plötzlich hatte er das Gefühl, einen Kameraden verloren zu haben. „Kai, ich bin noch immer dein Freund.“   „Das werden wir sehen.“ Kai wandte sich von dem Neko-Jin ab. „Hast du Black Dranzer noch?“   „Ja, natürlich.“ Ray wühlte in seiner Tasche und holte das Bitbeast hervor. „Ich hab' ihn immer bei mir gehabt, wie du's mir gesagt hast-“   „Ich will ihn zurück.“   Rays Augen weiteten sich. „Was? Warum? Ich dachte-“   „Ich will ihn zurück“, wiederholte Kai, „ich kann dir nicht länger vertrauen. Gib' ihn mir.“   „Kai!“ Der Tiger konnte die Verletztheit in seiner Stimme nicht verstecken. „Ich würde niemals-“   „Ich hab' dir gesagt, du sollst mir Black Dranzer geben.“   Rays Augen wurden traurig unter dem kalten und unverzeihenden Blick seines Captains; er wollte mehr sagen, er wollte Kai zur Vernunft bringen. Aber der Phönix war noch nie jemand gewesen, der Vernunft angenommen hätte, also hielt Ray ihm schweigend das fehlbare Bitbeast hin.   Für einen Moment reagierte Kai nicht; er schaute nicht zu Ray, sondern auf den schneebedeckten Boden, der durch den Motorradunfall zerwühlt worden war. Seine Augen verengten sich; natürlich vertraute er immer noch Rays Loyalität, aber Ray war so offen und Tala war zu gerissen, wenn es darum ging, Leute dazu zu bringen, Dinge zuzugeben, deren Geheimhaltung sie geschworen hatten. Kai konnte es nicht riskieren, Ray Dinge zu sagen, die der Neko-Jin nachher Tala verraten würde. Ray würde es nicht absichtlich tun, das wusste Kai... Aber Tala war zu hinterhältig und das störte ihn.   Besser, jetzt alle Bande zu Ray zu durchtrennen.   Er hob den Arm und schnappte sich Black Dranzer aus Rays ausgestreckter Hand; so konnte Tala Ray nicht benutzen und der Neko-Jin war vor Tony sicher. Seine blutroten Augen flackerten zu dem Tiger. „Bist du okay?“, fragte er unberührt.   „Mir geht's gut“, antwortete Ray leise, „Tala hat nicht zugelassen, dass mir irgendetwas passiert.“   „Wie zuvorkommend von ihm.“ Kai wandte den Blick zu dem Wolf, um ihn wütend anzuschauen. „Aber mach' dir nichts vor, Ray. Tala hat dich nicht am Leben erhalten, weil er dich mag. Ich bin mir sicher, dass seine Gründe egoistischer sind“, knurrte der Phlnix, „er hält dich wahrscheinlich für Boris am Leben.“   „Das ist harsch“, kommentierte Tala kühl, „sogar für deine Verhältnisse.“   „Du hast dich noch nie um andere geschert.“   „Hat Bryan auch nicht.“   Kais Augen blitzten. „Und was meinst du damit?“   Talas Lächeln war krude. „Ich kann die Male auf deinem Hals sehen, Kai.“ Seine azurfarbenden Augen wanderten zu Bryan und wieder zurück. „Sieht so aus, als jemand kürzlich versucht, dich zu erwürgen.“   „Das geht dich nichts an.“ Kai streckte den Arm aus, um Bryan davon abzuhalten, sich auf den Wolf zu stürzen.   „Schämst du dich, darüber zu reden, Kai?“ Der Tonfall des Rothaarigen war spöttisch. „Ich vermute, das liegt daran, weil es zeigt, dass du schwächer bist, als du die Welt gerne glauben lässt.“   Kai spannte den Kiefer an; er wusste, was Tala da versuchte; ihm unter die Haut zu gehen, sodass Kai die Geduld verlor. Es war eines von Talas Lieblingsspielen, und er war gut darin. Er testete Kai, versuchte, ihn bis an seine Grenzen zu bringen.   „Du hasst es, als schwach angesehen zu werden, nicht wahr, Kai?“   Ray, der noch immer neben Tala stand, wandte den Kopf zu dem Wolf und runzelte die Stirn. „Hör' auf, das hilft nicht. Hör' einfach auf.“   Tala blickte zu dem Neko-Jin mit der Absicht, noch einen weiteren, schnippischen Kommentar abzugeben; aber der Ausdruck auf Rays Gesicht traf ihn unvorbereitet. Es war kein Ausdruck der Wut oder der Vorwürfe; der einzige Ausdruck auf Rays Gesicht war einer der Verwirrung und Konfusion, als ob er nicht verstand, warum Tala diese Dinge sagte.   Tala wandte den Blick von dem Tiger wieder ab, ein klein wenig verärgert, dass er nicht mehr das Bedürfnis hatte, mutwillige Kommentare zu machen.   Und jetzt befand sich Tala in eine Zwickmühle, von der er niemals geglaubt hatte, dass sie ihm begegnen würde.   Denn eine Idee war ihm in den Kopf geschossen; eine, die Boris' Vertrauen in ihn wieder herstellen würde, die es vielleicht sogar ermöglichen würde, dem Monster nahe genug zu kommen, dass sein Leben ruiniert hatte.   Aber diese Idee würde nur klappen, wenn er Ray benutzte.   Die eine Person auf der Welt, die ihm zuhörte.   Die eine Person auf der Welt, die Tala nicht verletzen konnte.   Das machte ihn eher wütend als alles andere; er wollte seinen neuen Plan ausführen, aber all diese Gefühle und Emotionen schwirrten in seinem Kopf herum und machten diese Idee für ihn ungenießbar.   Seine Idee war simpel.   Boris sehnte sich immer noch danach, zu wissen, wir Ray es geschaffte hatte, Bryan vor all diesen Jahren zu besiegen; er wollte Ray studieren, einen Grund für seinen Sieg herausfinden.   Tala hatte Ray im Griff.   Er konnte Boris Ray geben und all das Vertrauen, das er aufgebaut hatte, wieder zurückgewinnen.   Aber was würde Boris Ray antun?   Er wollte Ray untersuchen, sein Blut testen sowie Rays Stärke und Ausdauer überprüfen.   Das würde Schmerzen bedeuten.   Boris würde Ray als Teil seiner Nachforschungen praktisch foltern.   Tala ballte die Faust, als Erinnerungen durch seinen Verstand flimmerten; was ihm geschehen war würde nun auch Ray passieren.   … Konnte er damit umgehen?   Tala brachte sich ruckartig wieder zur Vernunft.   Was dachte er da eigentlich?   Ray bedeutete ihm nichts. Er war nur körperlich an dem Neko-Jin interessiert; doch was Ray fühlte und dachte bedeutete Tala nichts. Der Rotschopf hatte Gefühle für niemanden. Hatte er noch nie.   So, das war also abgemacht.   Er würde Ray Boris überreichen.   Endlich würde er seine Loyalität dem Mann gegenüber beweisen.   Im Moment dachte Boris, dass Tala ihn verraten und sich ihm widersetzt hätte.   Aber, wenn Tala mit jemandem zurückkehrte, den Boris wollte, würde Boris endlich glauben, dass Tala niemals seine Seite verlassen würde.   Tala würde Boris näher kommen können.   Und seine Rache erhalten.   „Was machen wir jetzt?“, fragte Ray leise, unterbrach damit Talas Gedanken und brachte den Wolf scharf wieder zurück in die Wirklichkeit.   „Wir gehen zurück in die Stadt“, erwiderte Kai.   „Oh, tolle Idee!, spottete Tala sarkastisch, „führt Tony in eine Stadt voller Menschen!“   „Von dir brauche ich keine Kommentare“, schnappte Kai.   „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ein mordender Irrer hinter dir her ist“, sagte der Wolf gedehnt, „Tony wird jeden töten, der ihm im Weg ist, und das weißt du.“   „Was schlägst du also vor, was wir machen sollten?“, fragte Kai knapp.   „Lass Black Dranzer hier“, antwortete Tala, „wir alle gehen, Tony findet black Dranzer und vergisst, dass er dich töten will, weil er so verdammt glücklich ist, endlich das Bitbeast seiner Träume zu haben.“   „Und dann lassen wir ihn auf die Welt los und erlauben ihm, nach Lust und Laune zu töten und zu zerstören, was er will. Brilliant.“ Jetzt war Kai dran, zynisch zu werden. „Das hätte mir einfallen sollen.“   „Das ist besser, als deine Idee.“   Kai ignorierte den Seitenhieb. „Wir müssen ihm eine Falle stellen und-“   „Glaubst du wirklich, dass Tony einfach so in eine Falle reinmarschiert?“, unterbrach Tala, „das wird nicht passieren.“   Die Augen des Phönix' verengten sich. „Ich vermute, du hast eine Alternative.“   Erneut lächelte Tala kalt. „Komm schon, Kai. Du weißt, dass es nur einen Weg gibt, Tony zu stoppen.“ Seine Augen ruhten nun auf Bryan. „Nur einen Weg.“   Kai antwortete nicht; er fühlte sich so verwirrt und verdreht. Über alles. Tala war ein Verräter und hier stand er und tat so, als wäre daran nichts falsches. Was das noch schlimmer machte, war Ray, der neben dem Rotschopf stand und Kai vorschlug, zuzuhören.   Bryan machte es ebenfalls nur schlimmer; eigentich sollte Kai den Falken dafür hassen, dass der ihn angegriffen hatte.   Tat er aber nicht.   Und Kai verstand nicht, warum.   Nicht nur das, aber Bryan hatte eine Verbindung, die niemand jemals verstehen könnte, zu Tony, einem Mann, der Kai töten wollte. Wenn es darauf ankam, wen würde Bryan wählen?   Kai oder Tony?   Seufzend schon er diese Gedanken beiseite und sagte: „Ray, komm' mit mir. Ich werde-“   „-ihn direkt zu Tony fühen“, unterbrach Tala den Phönix ein weiteres Mal, „beste Idee, die du bisher hattest. Wenn du und Ray zusammen seid, wird Tony sich nicht ganz sicher sein, wer von euch Black Dranzer hat. Und während Tony damit beschäftigt ist, Ray umzubringen, kannst du ohne einen Kratzer abhauen. Ausgezeichnet.“   Kai blickte Tala mörderisch an, während Bryan mit stetig steigender Verwirrung und Irritation zwischen ihnen hin und her blickte; er wollte Tala das Gesicht einschlagen, aber wusste, dass Kai ihn nicht lassen würde. Und jetzt kam das Problem Tony schnell immer näher und Bryan wusste nicht, was geschehen würde.   Alles war plötzlich so schwierig geworden.   „Ich werde mit Tala gehen.“   Alle schauten zu Ray, als der gesprochen hatte, und Kai warf ihm einen scharfen Blick zu. „Das ist eine dämliche Idee. Tala wird dich direkt zu Boris führen.“   „Das glaube ich nicht“, ewiderte Ray ruhig, „und da du mir eh nicht mehr vertraust, weiß ich nicht, wie ich dir noch helfen kann.“   „Du wirst mehr von einer Last sein, wenn du mit Tala gehst.“ Kai konnte spüren, wie die Wut in ihm hochkochte.   Warum war Ray so entschlossen, Tala zu vertrauen?   „Ich vertraue ihm.“ Der Neko-Jin blickte neutral in Kais Augen.   „Ich nicht“, schoss der Phönix zurück.   „Und du hast immer Recht?“   „Ja.“   „Bei mir hattest du Unrecht.“ Zum ersten Mal, ließ Ray seinen Ärger durchscheinen. „Ich hätte niemanden auch nur in Black Dranzers Nähe gelassen. Und ich hätte niemals etwas von dem verraten, was du mir erzählt hast.“ Er schaute Kai böse an. „Ich hätte Tala niemals etwas erzählt, von dem du es nicht wolltest. Er wusste nicht einmal, dass ich Black Dranzer hatte, bis Tony aufgetaucht ist.“   Damit wandte Ray sich von Kai ab und schaute zu Tala.   Ein Schimmer des Triumphs flackerte kurz über Talas Gesicht.   Alles lief genau nach Plan.                                                                                                             „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das beginnt mit-“   „Daichi, wirst du wohl aufhören, das zu spielen!“, grollte Tyson, „hier gibt es nichts, was man sehen könnte!“   Daichi verschänkte beleidigt die Arme. „Nun, tut mir Leid, dass ich versuche, mich zu amüsieren!“   „Du sollst dich nicht amüsieren, du sollst über eine Möglichkeit nachdenken, wie wir hier 'rauskommen!“   „Ich dachte, das machst du schon!“   „Tu' ich! Würde aber auch nicht schaden, wenn du dein Hirn ebenfalls benutzen würdest!“   „Ich hab' versucht, über einen Fluchtweg nachzudenken!“, erwiderte Daichi laut, „mit fällt nichts ein!“   „Gib' doch nicht einfach auf!“, zürnte Tyson, „es muss einen Weg hier 'raus geben!“   „Daichi hat Recht, Tyson“, argumentierte Max, als er gelangweilt gegen die Wand trat, „ich bezweifle, dass es nochmal klappt, wenn du so tust, als wärst du krank.“   „Dann müssen wir uns was anderes ausdenken!“, beharrte Tyson, „es muss irgendwas geben, was wir tun können!“   Wütend griff der Drache einen Stein und warf ihn so hart gegen die Wand, dass Funken sprühten. „Wir werden uns etwas einfallen lassen, Tyson“, versicherte Hilary ihm, „das tun wir immer.“   „Aber wir müssen uns jetzt etwas ausdenken!“, rief Tyson, „ich weiß, dass etwas falsch läuft! Ich weiß, dass Kai und Ray in Gefahr sind!“   „Das weißt du nicht, Tyson“, widersprach Hilary, während Kenny zu der Wand ging und den Stein aufhob, den Tyson gerade geworfen hatte.   „Tu' ich! Ich kann es fühlen, und wir sollten da draußen bei unseren Teammitgliedern sein!“   „Werden wir.“ Max trat die Wand erneut. „Wir müssen hier nur 'rauskommen.“   „Wir müssen jetzt gehen!“, stöhnte Tyson.   „Rumstöhnen wird uns nicht dabei helfen, einen Plan zu entwickeln“, meinte Hilary vorwurfsvoll, als Kenny experimentiell den Stein gegen die Wand schlug.   „Nun, alles andere funktioniert nicht!“ Tyson verbarg sein Gesicht vor Frustration in seinen Händen. „Ich hab' mir jeden Einfall durch den Kopf gehen lassen, von dem ich denken kann! Jeder ist schlechter als der letzte!“   „Schau, es ist recht einfach“, grübelte Max, „alles, was wir tun müssen, ist, eine der Wachen dazu zu bringen, die Tür zu öffnen.“   „Ja? Und?“, jammerte der Drache.   „Also müssen wir sie reinlegen“, erklärte die Schildkröte geduldig, „wir haben es schon einmal geschafft, als schaffen wir's auch nochmal.“   „Wie?“   Max zögerte. „... Ich lass' mir was einfallen“, murmelte er.   Tyson grollte erneut und schlug seinen Kopf gegen die Wand, während Kenny das selbe ein zweites Mal mit dem Stein machte.   „Vielleicht können wir die Tür einreißen“, schlug Daichi vor. „Womit?“, fragte Tyson.   „Nun, du hast einen ziemlich harten Kopf, ich bin mir sicher, dass du das könntest“, erwiderte Daichi.   Tyson blickte ihn mörderisch an. „Das ist nicht lustig.“   „Ich hab' keine Witze gemacht.   „Leute!“, unterbrach Max sie, befor ein Streit ausbrechen konnte, „das ist nicht hilfreich. Wir müssen logisch nachdenken.“   Tyson verdrehte die Augen. „Wann hat logisches Denken jemals bei den Bladebreakers funktioniert?“   „Ähm...“ Max dachte darüber nach. „Ich bin mir sicher, es hat schon 'mal geholfen... irgendwann.“   „Oh, das nützt doch alles nichts!“, rief Hilary erbost, „keiner von euch denkt richtig nach!“   „Naja, das ist auch irgendwie schwer, wenn es keine Ideen gibt, die man haben könnte!“, motzte Tyson sie an.   „Ganz im Gegenteil, mein Freund“, sagte Kenny, als ein Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete. „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das beginnt mit I.“   Tyson und Daichi blickten sich im.   „Idioten?“, schlug Max vor mit einem nicht gerade unauffälligen Blick zu Tyson und Daichi.   „Nein“, schüttelte Kenny den Kopf und hielt den Stein in seiner Hand hoch. „Eine Idee!“   Diese dramatische Geste hatte nicht ganz den Effekt, den er erwartet hatte; anstelle von erschrockenem Luftholen ob des Verstehens, gab es nur dümmliche Stille.   „Du wirst den Stein gegen die Wand werfen?“, riet Tyson.   Kenny murmelte etwas unverständliches vor sich hin, bevor er mit einem Seufzen antwortete: „Nein, Tyson.“   „Naja, was sonst kann man denn mit 'nem Stein machen?“, fragte Max; er hielt es für eine vernünftige Frage.   Kenny war da anderer Meinung.   Mit einem Stöhnen der Frustration erklärte er: „Ich schlage den Stein gegen die Wand und erhalte dafür Funken, richtig?“ „Ja?“, sagten Tyson und Hilary gleichzeitig.   „Und Funken machen Feuer.“   „Also verbrennen wir uns bei lebendigem Leib?“ Daichi blinzelte, als er darüber nachdachte. „Ich vermute, das könnte funktionieren-“   „Nein, du Idiot!“ Kenny stieß einen stummen Schrei aus. „Wenn die Wachen bemerken, dass es hier brennt, werden sie uns raus lassen müssen. Wir sind hier, weil Voltaire seinen Enkelsohn unter Kontrolle halten will, er braucht uns lebendig.“   „Ja, du hast Recht“, stellte Tyson fest; er sprang mit einem Grinsen im Gesicht auf. „Naja, es wird wahrscheinlich nicht funktionieren und wir werden wahrscheinlich alle verbrennen, aber es ist'n Plan!“   „Immer langsam mit den jungen Pferden, Sonnenschein. Du scheinst etwas vergessen zu haben.“ Hilary stand ebenfalls auf.   Tyson schaute sie blank an. „Was?“   „Um ein Feuer zu entfachen brauchen wir etwas, das wir verbrennen können.“ Hilary gestikulierte zu dem leeren Raum. „Es gibt hier nichts.“   Tysons Enthusiasmus ließ nach und flaute ab, als er bemerkte, dass sie Recht hatte. „Oh, Mann! Und ich dachte, wir würden endlich irgendwas erreichen!“   „Nein, noch ist nicht alles verloren“, meinte Kenny zu ihm.   Tyson schaute auf. „Aber um irgendwas zu machen brauchen wir etwas, das wir verbrennen können!“   „Ich weiß.“   „Aber wir haben nichts!“   „Das stimmt nicht.“   Tyson blinzelte. „Was meinst du?“   „Tyson“, grinste Kenny, „gib' mir deine Mütze.“ Kapitel 25: Subliminale Drohungen --------------------------------- Rauch wirbelte aus einem Gitter am Boden heraus; es führte zu den Kellern, in welchen man Rufe hören konnte und Männer, die sich gegenseitig abschrien. Von irgendwo inmitten dieses riesigen Gebäudes klingelte ein Feuermelder laut durch das Chaos. Und durch die Verwirrung und den aufsteigenden Rauch, der aus jeder verfügbaren Ritze aufstieg, schlichen sich fünf Schatten am Haus entlang und flüsterten sich panisch zu.   „Kenny, das werd' ich dir nie verzeihen!“   „Was ist dein Problem? Wir sind entkommen, nicht wahr?“   „Aber meine Mütze! Du hast meine Mütze VERBRANNT!“   „Shh! Tyson, sei leise!“, zischte Hilary ihn an, „wir haben dafür jetzt keine Zeit!“   Sie schielte um eine Ecke des Gebäudes und stieß ein kleines, erleichtertes Seufzen aus; sie hatten schon fast die Vorderseite des Gebäudes erreicht, auf dem Parkplatz standen mehrere unbewachte Autos, da die Sicherheitsleute noch immer auf der Rückseite des Gebäudes nach fünf Idioten suchten, die es irgendwie geschafft hatte, ihnen zu entwischen.   „Er hat meine Mütze verbrannt!“, protestierte Tyon, „diese Mütze war mein ganzer Stolz! Mein Baby! Mein geliebtes-“   „Oh, um Gottes Willen, ich kauf' dir 'ne neue!“, schnappte Kenny irritiert, als Max sich um Hilary herum lehnte, um selbst nachzuschauen. „Jetzt gerade haben wir größere Probleme, als deine blöde Mütze, wie kommen wir hier weg?“   „Nun, wenn jemand weiß, wie man ein Auto kurzschließt, sind wir schon unterwegs“, flüsterte Max über seine Schulter nach hinten.   „Seh' ich so aus, als wüsste ich, wie man ein Auto kurzschließt?“, erwiderte Tyson darauf mit einem tiefen, unschuldigen Tonfall.   „Oh, komm schon, so schwer kann das nicht sein“, argumentierte Max, der noch immer um Hilary herum schielte, „Menschen machen das die ganze Zeit.“   Hilary zog ihre Augenbrauen in die Höhe und warf ihm einen Blick zu. „Weißt DU, wie man ein Auto kurzschließt?“   Max nuschelte etwas vor sich hin und gab dann zu: „Nein... aber ich hab's in Filmen gesehen.“   „Oh wirklich, sie zeigen einem eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, nicht wahr?“   „Es kann nicht so schwer sein“, sagte Max erneut, „Kinder schließen immer Autos kurz, so machen sie Spritztouren.“   „Nun, das nächste Mal, wenn du siehst, wie ein Kind ein Auto klaut, weißt du ja jetzt, dass du nach Anweisungen fragen solltest.“   „Es ist nicht nötig, dass du jetzt so drauf bist.“   „Dann benimm dich nicht so idiotisch!“   „Okay, es war nur eine-“   „Leute, das hilft niemandem weiter.“ Kenny erschien an ihrer Seite und verpasste Max eine auf den Hinterkopf. „Wir müssen eine andere Lösung finden.“   „Wir könnten auch einfach 'rausfinden, zu welchem Auto diese hier gehören.“   In eins drehten sich Max, Hilary, Kenny und Tyson um und schauten auf das kleinste Mitglied ihrer Gruppe; Daichi hielt einen Satz Autoschlüssel in die Höhe und blinzelte seine Freunde erwartend an. „Oh, Daichi, ich glaube, ich liebe dich!“, gurrte Tyson, „ich schwöre, ich könnte dich küssen!“   Daichi sah bei diesen Worten recht alarmiert aus, während Max die Hand austreckte und ihm die Schlüssel abnahm; den anderen befehlend, dort auf sie zu warten, schlichen Tyson und Max von ihrer Wand fort und hechteten hinter einen günstig platzierten Baum. Sich umsehend schlichen sie zum nächsten Baum und wieder zum nächsten, bis sie die Autos erreichten.   Versuchsweise probierte Max sein Glück mit dem, das ihm am nächsten stand.   „Und?“, fragte Tyson, der sich panisch umblickte. „Nope.“   „Versuch' das nächste.“   Sie flitzten um das erste Auto herum und versuchten es beim zweiten. Und dem dritten. Und vierten. Fünften. Sechsten. Siebten. Achten. Neunen. Zehnten-   „Ich hab's!“, jubelte Max leise, als die Schlüssel ohne Widerstand in das Schloss glitten und ein Klicken ertönte.   Tyson wedelte mit einer Hand über die Dächer der Autos hinweg und gestikulierte zu den anderen, die noch immer bei der Wand standen; er drehte sich wieder um, als Max ihm die Schlüssel überreichte.   „Warum gibst du mir dir?“   „Ich weiß nicht, wie man fährt.“ „Naja, ich auch nicht.“   „Ich bin mir sicher, dass du das lernst.“ Max klopfte Tyson auf die Schulter und glitt in den Beifahrersitz, als Hilary, Kenny und Daichi sie gerade erreichten.   Hilary warf Tyson einen zweifelhaften Blick zu. „Weißt du, wie man fährt?“   „Nein, du?“   „Nein.“   „Ah“, nickte Tyson mit einem Seufzen und warf dem Auto einen kritischen Blick zu, „so schwer kann das nicht sein.“   „Natürlich nicht, mach' einfach das Gegenteil von dem, was dein Opa macht“, wies Kenny ihn an, als er sich mit Hilary und Daichi auf die Rückbank setzte.   „Richtig“, nickte Tyson und hüpfte auf die Fahrerseite. „Memo an mich: Wenn ich hier lebend rauskomme, Fahrstunden buchen.“ Er kletterte hinein und schloss die Tür. Es gab eine Pause, als Tyson die ganzen Anzeigen und Hebel anschaute, die über die Amatur verteilt waren. „Oh Junge.“   Mit den Augen rollend lehnte Hilary sich vom hinteren Teil des Autos nach vorne und flüsterte in sein Ohr: „Autos funktionieren viel einfacher, wenn du den Schlüssel in das Zündschloss steckst.“   Tyson murrte sie an, tat aber, wie ihm geheißen; er drehte den Schlüssel und der Motor erwachte brüllend zum Leben, Tyson löste die Handbremse, wie er es schon tausend Mal bei seinem Opa gesehen hatte und drückte den Stab hoch, sodass er bei dem Buchstaben R ruhte, unter welchem Tyson Rückwärtsgang verstand.   „Äh, Tyson.“ Max stupste seinen Freund an der Schulter an.   „Ich bin etwas beschäftigt, Max.“   „Das ist wichtig.“   Tyson schaute auf.   Tyson schrie.   Matthew Hiwatari, Kais Vater, stand vor dem Auto und blickte finster auf sie hinab wie ein großer Schatten; er blockierte das Sonnenlicht und schaute auf sie alle hinunter, seine Arme waren verschränkt und sein Blick düster.   Max hob die Augenbrauen. „Nicht schlecht“, kommentierte er, „aber Kai ist immer noch gruseliger.“   Vom Rücksitze grollte Hilary in Frustration. „Drück' schon auf's Gas!“, kreischte sie.   Tyson setzte sich sofort in Bewegung; sein Fuß drückte das Pedal durch, von dem er hoffte, dass es das Gas war, das Auto schoss fast zehn Meter nach hinten, die Räder drehten sich gegen den Kies, als sie auf die Fahrbahn rutschten. Irgendwie griff Tyson nach dem Lenkrad, als sie nach hinten flogen, und drehte es drei Mal; sie drehten sich auf der Stelle, Hilary schrie und Kenny klammerte sich an seinem Sitz fest, als ginge es um sein Leben.   Matthew Hiwatari rannte bereits zu einem großen Harley Motorrad, das alleine geparkt war; er sprang darauf und startete es, das Motorrad beschleunigend, als es nach vorne brauste. Durch reines Glück und etwas, von dem Tyson nachher als natürliches Talent erzählen würde, zeigte das Auto grob in Richtung des großen Haupteingangs mit den zwei Toren, die nach draußen und nach Russland führten. Das Auto anpassend, donnerte Tyson die Einfahrt entlang und das Auto brauste nach vorne, die Räder durchdrehend und der Motor brennend, und Matthew Hiwatari kam ihnen von hinten näher.   Der Rest der Autofahrt war eine Mischung aus einer verschwommenen Straße und gerufenen Anweisungen, von denen Tyson keine hörte. „Pass' auf den Baum auf!“   „Bleib' auf der linken Seite der Straße! Wir wollen keinen Unfall!“   „In dem Fall sollten wir besser auf der rechten Seite der Straße fahren! In Russland fährt man rechts.“   „Nein, tut man nicht!“   „Doch, tut man!“   „Nein!“   „Doch!“   „Nein!“   „Oh, fahr' einfach durch die Mitte!“   „Pass' auf den Busch auf!“   „Mach' schneller, er kommt näher!“   „Schneller, Tyson, schneller!“   „Werd' nicht langsamer!“   „Oh nein, wir werden sterben!“   „Kenny, sei nicht so dramatisch!“   „Pass' auf die Statue auf!“   „Komm' nicht von der Straße ab!“   „TYSON, PASS AUF DEN TORPFOSTEN AUF!“   Tyson sah ihn im letzten Moment und lenkte nach links; das Auto schoss aus dem Haupttor und der Drache drückte so fest er konnte auf die Bremse. Das Auto schlitterte nach vorne, das Gummi brannte; die andere Seite der Straße kam immer näher und näher. Sie all schrien. Die Wand kam näher. Und näher. Sie würden sie treffen. Sie würden-   Das Auto kam ruckartig zum stehen, nur Zentimeter von der Wand entfernt und Tyson ließ den Kopf mit einem Schrei der Erleichterung nach hinten fallen; die anderen seufzten tief auf und Kenny lachte hysterisch.   „Leute.“ Hilary schaute durch das Heckfenster nach hinten und stupste Tysons Schulter.   Der Drache schaute nach hinten und keuchte auf; schwarzer Rauch stieg von den Haupttoren auf und verstopften beinahe alles, die Luft stank mit Dämpfen, die im Hals brannten und das kleine Flackern eines Feuers wurde größer. Das riesige Motorrad lag verlassen auf der Seite, der Motor brummte noch immer. Matthew Hiwatari lag einige Meter entfernt, sein Körper regungslos und sein Arm in einer gebrochenen Position ausgestreckt.   Tyson schluckte. „Ich vermute, er hat den Torpfosten nicht verfehlt.“                                                                                                                          Das Motorrad düste davon und Schnee wirbelte auf; zurückgelassen wurden zwei große Figuren, die mit grimmigem Gesichtsausdruck dabei zusahen, wie das Motorrad ihr Sichtfeld verließ. Kai war nicht glücklich. Tala war ein Verräter, jemand, dem man nicht vertrauen durfte. Und dennoch war Ray bei ihm, entschlossen zu glauben, dass es etwas Gutes in dem Rotschopf gab.   Ein Stirnrunzeln verunstaltete seine roten Augen, als er weiterhin die leere Straße hinabblickte. War er zu streng mit Ray gewesen? Vielleicht hätte der Neko-Jin Black Dranzer geheimgehalten, genauso wie Kai ihn darum gebeten hatte.   Nein, das Risiko war zu groß.   Tala war noch immer auf Boris' Seite und wenn Boris Black Dranzer in die Hände bekam, würde die Hölle ausbrechen.   Neben dem Phönix stand Bryan, die Hände tief in den Taschen vergraben; er wühlte den Boden mit seinem Stiefel auf und trat den Schnee. Es war so weit draußen kalt, der Wind stach und der Himmel über ihnen war trostlos. Wahrscheinlich würde es bald schneien. Bryan schaute zur Seite, wo Kai regungslos stand; sie hatten sich zusammengeschlossen, als Tala der Verräter sie konfrontiert hatte, hatten sie als Team zusammen gehalten. Was beudetete das? Bedeutete es irgendwas? War es überhaupt wert, es zu wissen? Würde Kai sich nur abwenden? Der Falke fluchte lautlos vor sich hin und rüttelte sich. Er brauchte Kais Anerkennung nicht. Er brauchte Kai nicht.   Aber als sie... etwas gehabt hatten... Bryan hatte es gemocht; er hatte es genossen, es was gut gewesen. Kai war etwas gewesen, das Bryan nie zuvor gehabt hatte und das mochte er. Bryan wollte das zurück haben. Er verfluchte sich selbst erneut, aber er wollte es wiederhaben. Er wusste nur nicht, wie er es kriegen sollte. Sein Gesicht verzog sich, als er den Boden anblickte und er trat ihn erneut.   „Du bist nicht mit Tala gegangen.“   Der Falke blickte rasch auf. „Was?“   „Als Tala hier war hast du dich ihm nicht angeschlossen.“   „Warum sollte ich? Er ist ein Verräter“, erwiderte Bryan etwas verwirrt.   „Er ist dein Captain?“   „Und?“   Der Phönix schaute ihn zum ersten Mal an. „Hast du nicht geschworen, deinem Captain immer zu folgen?“   „... Ja“, nickte Bryan langsam, er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. „Was soll's?“   „Ich dachte nur, das würde bedeuten, dass du Tala folgst, egal, wohin er geht.“   „Solange ich Lust drauf habe“, fügte Bryan hinzu, „und ich hab' keine Lust drauf.“   Kai nickte. „Ich verstehe.“   Stille legte sich wieder um sie und wurde nur durch den Wind gefüllt, der von den höher gelegenen Stellen, an denen es noch kälter war, auf sie herabwehte. Aber das frierende Land störte Kai nicht. Er konnte ihn spüren. Black Dranzer. Er brannte sich in seine Tasche; rief nach ihm, griff nach seiner Lust und seinem Bedürfnis nach Macht. Er konnte ihn fast schon hören. Er wusste, dass er wollte, dass er ihn berührte, dass er eine Hand in die Tasche gleiten ließ, um ihn herauszuholen.   Er spannte den Kiefer an und zwang seine Hände gewaltsam davon; Black Dranzer würde ihn nicht kontrollieren, nicht noch einmal. Er würde nicht so schwach sein. Seine Finger kribbelten ungeduldig, Black Dranzer raschelte ruhelos; es war wie eine langsame, süße Melodie, die für Kai alleine war. Der schwarze Phönix sang für ihn, und er wollte ihn; Kais Hand zuckte unbewusst, als sich die lockende Macht aufbäumte und wie eine heiße Welle durch seinen Körper drang.   Seine Finger fühlten sich kalt und schwer an, doch seine Berührung war sacht, als die Entscheidung, sich nie wieder von Black Dranzer rufen zu lassen, sich in verschwommene Worte auflöste, die sich in Kais Hirn benebelt anfühlten. Er konnte Black Dranzer sehen, die Augen, die sich in ihn hinein brannten; sein Hirn schaltete sich aus und alles, was er sehen konnte, waren die überwältigenden schwarzen Flügel, die sich aufrichteten, um sich auszuschütteln, und der Schnabel wurde erhoben und streckte sich genussvoll, als Kais Entschlossenheit schwächer wurde.   Das war die eine Sache in der Welt, die ihn brechen konnte: Macht, es war sein Hunger, sein Verlangen; denn das war die Sache, von der ihm beigebracht wurde, sich nach ihr zu sehnen. Blockiere alles, abgesehen von dem Durst nach Macht. Es war wieder und wieder sein Untergang gewesen, und jetzt geschah es erneut; denn Black Dranzer war in seiner Hand, ruhte schweigend in seiner Handfläche. Er blitzte im Licht des Himmels auf-   Eine Hand ergriff ihn, hart und grausam; Kai holte aus, ließ seinen Angreifer fliegen, dann war da ein Fluch und ein Aufschlag, dem der Phönix keine Aufmerksamkeit schenkte, als der zurück zu dem Bitbeast vor sich schaute-   Das nächste, was er wusste, war, wie er grob gerammt und zu Boden geworfen wurde; die zwei Körper krachten in den Schnee und rangen miteinander, als Black Dranzer von ihm genommen wurde. Der schwarze Phönix schrie vor Zorn auf, und der Teil von Kais Kopf, der dem Biest gehörte, warf sich nach vorne und schlug nach dem, der sie getrennt hatte-   „Komm' wieder zu dir!“, knurrte Bryan und zwang Kais Hand zurück; er saß breitbeinig auf der Hüfte des Phönix' und drückte Kai stärker nach unten. Der Phönix wehrte sich, doch dieses Mal war Bryan bereit und er sperrte den Körper unter sich ein. Kai drehte den Kopf, um nach dem Bitbeast im Schnee zu schauen und Bryans heißer Atem blies auf die Seite seines Gesichts; er blickte zurück zu dem Falken über ihm und entspannte sich. Ihre Nase berührten sich fast, die Lücke zwischen ihren Mündern war beinahe ein solides Objekt anstelle von dünner Luft; ihre Blicke blieben aneinander hängen, als sich etwas anderes, als der Hunger nach Macht in ihnen regte.   Es war ein Hunger, doch von anderer Art und beinahe gleichzeitig spürten sie das Verlangen des Körpers eines Anderen, den Geschmack eines Anderen; Bryan leckte sich in Erwartung die Lippen und es war wie ein Kick, als die rubinroten Augen sich senkten, um zuzuschauen. Die Aufregung stieg an und trotz des kalten, feuchten Schnees, der ihre Kleidung nass machte, war die Luft heiß-   „Na, was haben wir denn da?“   Bryan entfernte sich von Kai und setzte sich auf, um mit erschrockener Aggression zu dem Mann zu schauen, der über ihnen stand; Kai setzte sich ebenfalls auf und sah über seine Schulter zu dem Mann, von dem er halb erwartet hatte, ihn zu sehen, seit er die Wahrheit herausgefunden hatte. Er wandte sich ab und schaute eher zu Bryan als zu dem Mann hinter ihm.   „Ich hab' ich schon gefragt, wann du mich finden würdest“, sagte er emotionslos, „du hast länger gebraucht, als ich gedacht habe.“   Tony schaute finster, durch Kais bloßen Anblick erzürnt, der noch immer so dicht beim Falken saß. „Aber ich hab' dich trotzdem gefunden!“   „Das mag sein“, gab der Phönix zu, „aber ich hab' dir trotzdem mehr zugetraut, als du wert bist.“   Tony knurrte, versucht, eine bissige Antwort zu geben; doch dann, als wenn man einen Hebel umgelegt hätte, hellte er auf und ein hässliches, krudes Lächeln breitete sich auf seinem Mund aus. „Das interessiert jetzt nicht mehr, Hiwatari, denn ich werde dich töten.“                                                                                                                          Das Motorrad war langsamer geworden, als es in Moskau eintraf und der Wind peitschte nicht so grausam an ihnen vorbei; dennoch war der Neko-Jin festgefroren, als er sich wie ein festgewordener Rucksack an Talas Rücken klammerte. Seine Finger waren taub und sein Zittern war schon vor gut zehn Minuten vergangen; sein Körper war dabei, auszuschalten, und Ray hatte das Gefühl, er könnte sich nie wieder bewegen.   Doch das belastete ihn nicht, nicht einmal annährend so viel, wie ihn etwas anderes störte; denn so langsam hatte er Angst, dass er falsch gelegen hatte, es macht ihm Sorgen, dass er sich in Tala geirrt hatte. Volkommen geirrt.   Er hatte keine Besorgnis gefühlt, bis sie Moskau erreicht hatten; Ray hatte nicht gefragt, wo Tala hinfuhr und hatte sowieso nicht gedacht, dass er das überhaupt wissen müsste, doch wo der Wolf nun so zielstrebig Gas gab, begann Ray, sich zu wundern. Sobald sie die Stadt erreicht hatten, hatten sie die Hauptstraßen verlassen und sich stattdessen an leere Seitengassen gehalten, in denen der Wind mit einem monströsen Schrei auf sie hinab heulte. Ein oder zwei Mal hatte er darüber nachgedacht, Tala zu fragen oder ihn zum Anhalten zu bringen; doch seine Lippen waren zu stark zusammengefroren und Ray war sich nicht allzu sicher, dass Tala anhalten würde, wenn er ihn fragte.   Ray bekam erst ein schlechtes Gefühl, als sie die Bahnstation hinter sich gelassen hatten, über eine Hauptstraße in eine Hintergasse düsten, dass Ray plötzlich ein schlechtes Gefühl hatte, dass er wusste, was ihr Ziel war. Das Gefühl war schlimmer geworden, als Tala langsamer geworden war und das Motorrad kurz abgestellt hatte, um jemanden anzurufen; die Unterhaltung war kurz und auf russisch gewesen, was bedeutete, dass der Neko-Jin kein Wort davon verstanden hatte.   Dem Tiger kam der Gedanke, dass er vielleicht absteigen sollte; doch er hatte sich nicht bewegt. Er hatte nicht gewusst, warum, und als Tala sein Handy wegsteckte und das Motorrad erneut startete, hatte Ray sich selbst für seine Dummheit getreten. Vielleicht lag es daran, dass er noch immer versuchte, daran zu glauben, dass es etwas Gutes in Tala gab, etwas Menschliches, das Ray wiederfinden konnte.   Er wusste, dass er es in der Hütte, die sie sich geteilt hatten, gefunden hatte; dort war etwas in Tala gewesen, Sehnsucht, Hunger, etwas, das einen menschlichen Aspekt offenbart hatte. Und Ray hatte ihn gefunden. Vielleicht konnte er ihn wieder finden. Vielleicht war noch nicht alles verloren.   Doch er überdachte seine Hoffnungen, als sie an den Haupttoren der Abtei langsamer wurden; Tala brachte das Motorrad zum Stehen und schaltete den Motor aus. Ray beiseite schiebend, stellte er das Motorrad hin und kletterte hinunter.   „Runter da“, sagte er zu dem Neko-Jin, der noch immer an seinem Sitz festgefroren dasaß.   „Was machen wir hier?“, fragte Ray leise, als er sich selbst umarmte, seine Arm fest an sich drückte, um ihnen wieder Leben einzuhauchen.   Tala schaute zu ihm zurück und für einen Moment, in dem Tala erwartete, dass der Tiger jeden Augenblick brach, trafen sich ihre Blicke. „Wenn du die Antwort nicht kennst, bist du dumm“, erwiderte er kalt, als er sich niederkniete, um sein Hosenbein hochzuziehen.   „Ich kenne die Antwort“, flüsterte der Neko-Jin, als Tala eine kleine Schusswaffe, die an sein Schienbein gebunden war, hervorzog; Ray hatte schon zuvor einen Blick auf sie erhaschen können, doch Tala hatte sie bei sich und außerhalb seiner Reichweite behalten. „Aber ich will trotzdem, dass du es mir sagst.“   „Wo ist der Sinn darin?“, fragte der Wolf, der sich nun wieder aufrichtete und die Waffe in seine Innentasche gleiten ließ.   Ray blickte ihn an, sein goldener Blick traf auf den eisig blauen. „Weil ich will, dass du zugibst, was du hier tust.“   Tala starrte zurück und für einen Augenblick antwortete nicht, dann spannte er den Kiefer an und sagte mit emotionsloser Stimme: „Ich werde dich Boris geben. Das wird ein Zeichen meiner Treue sein und er wird mir wieder vertrauen.“   „Und dann wirst du ihn umbringen“, beendete Ray den Satz.   „Wenn du das schon wusstest, warum hast du dann gefragt?“   „Ich wollte sehen, ob du irgendeine Art von Schuldgefühlen hast.“   Der Rotschopf schnaubte. „Und warum sollte ich die haben?“   „Weil ich nicht will, dass du das machst“, erwiderte Ray. Er lehnte sich in seinem Sitz nach vorne, um den Wolf aus der Nähe anzuschauen, ließ dabei nicht zu, dass ihre Blick sich trennten. „Bitte, Tala. Du weißt, war er mir antun wird, und du wirst ihn an mir experimentieren lassen müssen, bevor er auch nur darüber nachdenkt, dir wieder zu vertrauen.“   „Das juckt mich nicht“, zuckte der Rothaarige mit den Schultern, „du bist der Narr, wenn du geglaubt hast, ich würde irgendwas für dich empfinden.“ Kapitel 26: Scheinbare Wahrheiten --------------------------------- „Du musst das hier nicht machen“, protestierte Ray, als Tala sich zum Abteigebäude wandte, das wie ein großer Haufen auf der verschneiten Erde saß. „Verstehst du nicht, dass das nicht funktionieren wird? Boris vertraut dir nicht, Tala.“   „Und das habe ich dir zu verdanken“, erwiderte der Wolf, „es macht Sinn, dass du mir dabei helfen solltest, Boris' Vertrauen zurück zu gewinnen.“   „Ich hab' dich nicht darum gebeten, mir nachzukomen“, erinnerte Ray ihn und fasste Talas Arm, nur um unwirsch abgeschüttelt zu werden. „Du bist der, der entschieden hat, mir nachzukommen, als du 'rausgefunden hast, dass Boris mich erschießen lassten wollte.“   „Hm, ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist“, überlegte Tala beinahe abwesend, „du musst meinen Verstand reingelegt haben oder so.“   Ray keuchte vor Unglauben auf. „Das kann nicht dein Ernst sein! Ich hab' nichts gemacht und das weißt du.“   „Du hast mich geküsst.“   „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich gezwungen zu haben, mit mir zu schlafen“, konterte der Neko-Jin resolut, „wenn ich mich Recht entsinne, warst du derjenige, der die Kontrolle in der Situation übernommen hat.“   Tala schaute ihn finster an. „Du hast mich angemacht!“, schnappte er.   „Ja, und du warst da ziemlich aufgeregt drüber“, erwiderte Ray herausfodernd.   „Das bedeutet nichts.“   „Bist du sicher?“   „Ich bin sicher.“ Tala bedachte ihn mit einem kalten, emotionslosen Knurren. „Nur, weil wir gevögelt haben, heißt das nicht, dass ich irgendwelche Lebenschwüre abgegeben habe, dich zu beschützen. Du bist ein Werkzeug, das ist alles, komm' klar.“   „Nein, komm' du doch klar!“, grollte Ray hitzig, „ich werde nicht zulassen, dass du mich an Boris überreichst, nur damit du vor deinen eigenen Gefühlen davon laufen kannst!“   „Also wirst du nicht freiwillig mit mir kommen?“   „Bist du bescheuert? Nein, ich werde verdammt noch mal nicht freiwillig mit dir gehen!“   „Mach's doch nicht schwerer für dich, als es ist, ich bin stärker als du.“ Tala trat bedrohlich einen Schritt nach vorn. „Ich könnte dich in jedem Kampf schlagen.“   Ray hob die Augenbrauen. „Wer hat denn irgendwas von kämpfen gesagt?“ Sie waren kaum 30 Zentimeter von einander entfernt; er streckte die Hand aus, griff Tala an der Jacke und zog den Wolf zu seinem Gesicht. Sie trafen sich und Ray presste seinen Mund auf Talas, nutzte seine Lippen, um Tala zu reizen, zog an der Unterlippe des Wolfs mit seinen Zähnen; es dauerte für kaum drei Sekunden an und Tala war kurz davor, zu erwidern, als-   Als er sich aggressiv entfernte, der Speichelfaden zwischen ihnen wurde an die Freiheit gezerrt, als Tala einen Satz nach hinten außerhalb von Rays Reichweite machte und sich den Mund wischte. „Versuch's gar nicht erst!“, knurrte er, „du spielst nicht mit meinem Kopf.“   „Du spielst mit deinem eigenen Kopf, Tala, da brauchst du keine Hilfe von mir“, sagte Ray schwer atmend, seine Brust hob sich in einem tiefen Seufzen und atemlos traf sein Blick auf den von Tala. „Komm schon, gib's zu.“   „Ich habe nichts zuzugeben.“   „Lügner.“ Ray trat einen Schritt auf ihn zu, doch nun ging Tala nach hinten, sodass der Abstand zwischen ihnen gewahrt wurde. Das hielt den Neko-Jin jedoch nicht auf. „Du weißt, dass es falsch ist, mich an Boris zu geben, du weißt, dass du das nicht tun willst.“   „Natürlich will ich das tun.“   „Boris wird mich foltern!“ Die Lautstärke von Rays Stimme stieg an, als der versuchte, Tala zum Verstehen zu bringen. „Er wird mich fesseln und mich untersuchen, an mir herum experimentieren. Er will wissen, wie ich Bryan geschlagen habe, das wissen wir beide, und er wird alles tun, was nötig ist, um das herauszufinden. Er-“ Ray hielt inne und nun wurde seine Stimmer leiser, als er einen erneuten, vorsichtigen Schritt auf den Rotschopf zumachte, der dieses Mal nicht weg ging.   Tala verdrehte die Augen. „Was willst du von mir?“, fragte er mit einem ungeduldigen Seufzen, „ich werde dich Boris geben, das ist alles, wofür ich dich brauche.“   „Ich will nicht, dass du das tust“, flüsterte der Neko-Jin.   „Dann lauf, versuch', mir zu entkommen, du wirst nicht weit kommen.“   Ray schaute die leere Straße hinab; keine Autos fuhren vorbei, niemand ging den Bürgersteig entlanf, da war keiner, der ihm helfen könnte. „Nein, das werde ich nicht tun“, murmelte er und blickte zurück zu dem Russen. „Weglaufen macht es nur einfacher für dich. Und du hast Recht, ich würde nicht weit kommen... aber ich werde nicht mit dir gehen.“   „Was wirst du dann also tun?“, fragte Tala in einem fast schon amüsierten Tonfall, „es sieht für mich nicht so aus, als würdest du dir noch Möglichkeiten geben.“   „Ich werde dich darum bitten, es nicht zu tun“, antwortete Ray in der selben leisen, vorsichtigen Stimme. Er trat einen weiteren, langsamen Schritt auf Tala zu und der Wolf spürte, wie warmer Atem sein Gesicht berührte. „Bitte, Tala, ich will nicht, dass du das tust, Boris wird mich foltern und an mir herum experimentieren. Es macht mir Angst; ich will nicht Boris' Versuchskaninchen sein. Er wird nach seiner Antwort suchen und suchen und er wird nicht aufhören, bis er sie gefunden hat.“ Das Gesicht des Neko-Jin wurde traurig, sein Blick auf den Boden gerichtet. „Aber das Problem ist, dass es keine Antwort darauf gibt, wie ich Bryan geschlagen habe, keine, die Boris zufriedenstellen wird. Bitte, Tala, gib' mich nicht an Boris.“   Für einen Augenblick sagte Tala nichts, er schaute nur auf das gesenkte Gesicht des Tigers, dann schnaubte er. „Du bist schwach“, beschuldigte er, „deine Angst zu zeigen ist dumm, man zeigt seine Angst niemals auch nur irgendjemandem.“   „Du weiß, dass er dich zwingen wird, ihm zu helfen, nicht wahr?“ Rays Kopf schoss wieder in die Höhe. „Ich bin der Grund, weswegen er dir nicht länger vertraut, also wirst du ihm in seiner Forschung helfen müssen, um dieses Vertrauen zurück zu gewinnen... Ich will nicht, dass du mir weh tust, Tala, nur, um damit Boris' Vertrauen wieder zu erhalten, sodass du ihn töten kannst. Es ist nicht fair. Warum kannst du ihn nicht einfach jetzt töten?“   Er blickte Tala an und suchte nach diesen leeren, blauen Augen, die zum ersten Mal den Blick abwandten, als Ray in sie hineinschaute; und Ray realisierte, was die Antwort war, es war so einfach und offensichtlich, dass er sich fragte, warum es ihm noch nicht früher aufgefallen war. Es gab nur einen Grund, weswegen Tala sich all diese Mühen machte, nur einen Grund, weswegen er Boris nicht bereits vor Jahren getötet hatte.   „Du kannst es nicht, nicht wahr?“, flüsterte Ray, „du kannst ihn nicht töten.“   Tala antwortete nicht. „Nach allem, was er dir angetan hat, Kai und Bryan? Spencer? Ian? All das, und du kannst ihn immer noch nicht umbringen?“ Ray bewegte sich, sodass er wieder in Talas Gesicht schaute und musterte ihn eingehend. „Ich hab' Recht, nicht wahr? Du kannst dich nicht wirklich dazu bringen, ihn zu töten."   Das Gesicht des Wolfs war wie aus Stein gemeißelt und seine Augen trafen auf Rays in einem eisigen Blick.   „Boris war dein Herr, er hat dich großgezogen und geformt, und, trotz der Tatsache, dass er dich durch die Hölle geschickt hat, kannst du das nicht vergessen.“ Ray streckte eine Hand aus und seine Finger fuhren über den Aufschlag von der Jacke des Rotschopfes, bevor Tala sich losriss. „Worauf hoffst du also, Tala? Dass Boris etwas tut, sodass es bei dir 'Klick' macht? Das ist es, oder? Deswegen hast du nie aufgehört, für Boris zu arbeiten, warum du Kai und dein Team verraten hast, weil du in der Hoffnung lebst, dass Boris eines Tages etwas tun wird und dann plötzlich deine ganze Kindheit nur noch egal ist.“   Tala knurrte. „Schaut euch den schlauen, kleinen Neko-Jin an, das hat er alles ganz alleine 'rausgefunden.“ Seine Augen blitzen und ein beinahe wahnsinniges Lächeln verunstaltete sein Gesicht. Er griff den Neko-Jin am Mantel und zerrte ihn mit sich nach vorne. „Nicht, dass irgendwas davon relevant ist. Ich werde dich Boris geben, egal, welches Spiel du zu spielen versuchst.“   „Glaubst du, dass du es tun könntest?“, fragte der Tiger und blickte hoch in das Gesicht des Rothaarigen, „wenn Boris dich fragt, meinen Arm aufzuschneiden, würdest du es tun?“   „Ohne zu zögern.“   Der Blick des Neko-Jin senkte sich wieder; er entspannte sich, obwohl Talas Griff sich nicht lockerte, der Wolf hielt ihn stramm fest und zerrte Ray zu den Haupttoren der Abtei, wobei er das Motorrad hinter ihnen verlassen zurückließ. Ray kämpfte oder wehrte sich nicht; Tala hatte Recht, er könnte den Wolf niemals in einem Kampf schlagen.   Aber da war dennoch diese winzige Hoffnung, die wie eine kleine Flamme in Ray Hinterkopf aufflackerte.   Tala zog hart an ihm und der Neko-Jin stolperte; er fiel gegen Tala, der ihn rau auffing, ohne in seine Richtung zu schauen. Rays Lippen waren beim linken Ohr des Rothaarigen und den Kopf drehend, hauchte er: „Ich werde dich nicht aufgeben, Tala, ich weigere mich.“   „Halt's Maul“, befahl Tala knapp, während er den Neko-Jin vor sich schob.   Der Neko-Jin stolperte unter der Gewalt, doch er blieb aufrecht; er stützte sich an einer Säule ab, als er plötzlich mit einem Keuchen stehen blieb. Das alte Abteigebäude war dunkel und leer; es sah unberührt aus und voller Schatten, als ob es von all dem Schmerz und dem Blut, die seine Wände beschmutzten, heimgesucht wurde. Der Hof vor ihm war von einer Schicht funkelnden Schnees bedeckt, der sich träge in der kühlen Brise bewegte.   Groß und geduldig stand in der Mitte, vor der großen Doppeltür, Boris, schaute zu und wartete ruhig, dass Tala näher kam.                                                                                                                  „Ich werde dich töten, Kai“, sang Tony in einer hohen Stimme, „ich werde dich zerschneiden und erstechen, bis du nichts weiter bist, als ein blutiger Haufen Fleischs.“ Er tanzte freudig durch den Schnee und trat ihn in hohem Bogen. „Dann werde ich mir Black Dranzer nehmen, und dann wird er mir gehören! Endlich!“   „Du weißt schon, dass du Black Dranzer nicht wirst kontrollieren können“, erwiderte Kai monoton, „er wurde für mich entwickelt, für mich allein.“   „Boris wird mir die Grundlagen beibringen“, zuckte Tony unbekümmert mit den Schultern, „aber ich werde nicht mit ihm beybladen, ich will ihn nur an meiner Seite haben, FÜR IMMER!“   „Du glaubst, dass Black Dranzer mit so einem langweiligen Leben glücklich sein wird?“ Kai zog eine Augenbraue in die Höhe. „Er wird dich übernehmen, dich kontrollieren, dich benutzen und dich dann töten.“   „Black Dranzer wird mich nicht kontrollieren!“ Tony lachte laut. „Ich bin zu stark für ihn! Ich bin es, der ihn kontrollieren wird.“   „Du bist ein Narr, wenn du das wirklich glaubst“, sagte der Phönix, „sicherlich bist du klüger als das. Rette dich, solange du noch kannst, sonst wird dein Leben es nicht wert sein, gelebt zu werden.“   Tony lachte erneut; er warf den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass es hallte, vom Schnee abprallte und die weiße Landschaft einhüllte. Bisher hatte er nicht bemerkt, dass Black Dranzer auf dem Boden lag, er war zu sehr mit seiner Aufgabe beschäftigt, Kai zu töten, um das Bitbeast zu bemerken. Weswegen Kai die Zeit erhalten hatte, seinen Fuß ruhig über den dunklen Phönix zu stellen.   Er konnte Black Dranzer ärgerlich darüber rascheln spüren, die Macht umhüllte ihn in einer Hitzewelle, bevor sie seine Haut gefrieren ließ; doch Kai ignorierte das, und seine rubinfarbenen Augen wandten sich nicht eine Sekunde von Tony ab, der tanzte und umherhüpfte und zu sich selbst lachte, während er Pläne schmiedete, wie genau er Kai töten würde. Er holte eine Schusswaffe hervor und schaute sie nachdenklich an, bevor er Kai musterte, als ob er ein Gemälde war, das in einer Galerie hing.   Spottend richtete Tony die Waffe auf den Phönix, der sich nicht rührte. „Sollte ich dich erschießen, was meinst du? … Eine Kugel und alles ist vorbei? … Nein! Zu schnell!“   „Du warst die ganze Zeit unter Boris' Fittichen?“, fragte Kai, sein Plan war, Tony abzulenken. Dies wirkte vielleicht offensichtlich und durchsichtig, doch Tony war im Delirium, unbekümmert und zu dumm, um sich zu scheren.   „Zwischendurch“, antwortete Tony, warf die Waffe lustlos beiseite und griff in seinen langen, dicken Mantel. „Er wollte, dass ich warte, bevor ich dich umbringe, er wollte dass ich warte, bis er was auch immer er vorhatte geschafft hat, aber ich konnte nicht. Die Aufregung war einfach zu viel!“   Nun holte er ein langes, schmales Messer aus seinem Mantel hervor; er schaute Kai an, als die Klinge aufblitzte und grinste.   „Das gefällt mir schon eher, ich kann dich wieder und wieder erstechen, die Schmerzen spüren lassen, dich verletzen, dich foltern, dich bestrafen. Letztlich ist das alles deine Schuld.“   „Ich dachte mir schon, das es das ist“, erwiderte der Phönix und schob seine Hände in seinen Taschen, um den entspannten Anlauf zu bewahren, „aber es war nicht meine Wahl, dass du mich gerettet hast, es war nicht meine Wahl, dass du dein Leben für mich riskieren solltest.“   Plötzlich, schneller als ein Lichtblitz, war Tony wütend; er bleckte die Zähne und brüllte Kai an, das Messer schwingend, obwohl Kai wenige Meter entfernt stand. „NICHT DEINE SCHULD!“, schrie er, „natürlich ist es deine Schuld! Du und dein dummer Kindesverstand, die sich nicht von einer Macht fernhalten konnten, mit der du nicht umgehen konntest! Wenn du glaubst, dass es nicht deine Schuld ist, DANN LIEGST DU FALSCH!“   „Es obliegt nicht meiner Verantwortung, dass du Black Dranzers und dem Wahnsinn erlegen bist“, sagte Kai ohne jegliche Emotion, „du kanntest das Risiko, es war deine Entscheidung, dazwischen zu gehen. Du hättest mich sterben lassen können.“   „Und von Voltaire bestraft werden!“ Jetzt lachte Tony wieder, es war ein zorniges Lachen ohne Humor, aber wenigstens hatte er das Messer gesenkt. „Wahnsinn oder Strafe, welch eine Wahl!“   „Ich gebe zu, es war keine gute Wahl, du hättest so oder so verloren“, akzeptierte Kai, „aber mein Großvater sieht seine Familie als nützliche Modelle, er hätte meine Mutter ein weiteres Kind kriegen lassen und er hätte es mit dem neueren Modell erneut versucht.“   „Das mag sein, aber hätte mich trotzdem umgebracht!“, zeigte Tony lautstark auf.   „Hätte er nicht“, widersprach der Phönix, „der einzige Grund, weswegen du überhaupt in der Abtei warst, war der, dass er dachte, dass du stark wärst, er hätte noch immer einen Nutzen in dir gehabt und dich daher nicht getötet.“ Er schaute Tony ohne Gefühl oder gar Interesse an. „Du hast die falsche Wahl getroffen, Tony, du hast Wahnsinn der Strafe vorgezogen, und das war die schlechtere Entscheidung zwischen den beiden."   „Oh? Dann ist es meine Schuld?“ Tony zeigte auf sich selbst in gespieltem Verständnis. „Ich verstehe, es ist alles meine Schuld. Ich vermute, das hätte ich schon vorher sehen sollen.“   „Du warst nur zu falschen Zeit da, hast die falsche Wahl getroffen und wegen all dessen gelitten“, erwiderte Kai, „es ist niemandes Schuld, ich war dumm, zu glauben, damals schon Black Dranzer kontrollieren zu können und du warst dumm, dass du die falsche Wahl getroffen hast.“   „Ja, nun, das ist das, was du denkst!“, knurrte Tony bösartig, seine Stimme schwer von Sarkasmus, der nun durch einen zynischen Tonfall ersetzt wurde. „Und was denkt Bryan über all das hier?“   Bryan hatte seit Tonys Erscheinen an der Stelle festgefroren dagestanden; er hatte Tony nicht angesehen, nicht ein einziges Mal. Aber er hatte der gesamten Konversation zugehört, wie sie hin und her ging zwischen dem Phönix und seinem alten Kameraden; er hatte in die mit Schnee bedeckte Landschaft um sie herum geguckt, als Tony am Rand seines Sichtfeldes umhergetanz war. Jetzt allerdings, wandte er sich um, sich plötzlich des Blickes, den der Phönix auf ihn fixierte, bewusst; Tony stand da und hielt das Messer lose in der Hand.   Er war größer, als Bryan sich erinnerte und er bemerkte, dass auch Tony damals jung gewesen war; es war seltsam, zu denken, dass dieser abgewrackte, dünne, kallöse Mann einst ein gesunder, drahtiger, starker junger Mann gewesen war, dem Bryan ungern gehorcht hatte. Tonys Augen waren eingefallen und dunkel; die Ringe unter ihnen waren tief und versanken in seinem Gesicht, er sah beinahe wie ein Geist aus. Wie der Geist eines Mannes, der einst existiert hatte.   Wahnsinn war nicht nett gewesen zu Tony.   „Du hast dich verändert“, sagte Tony, der Bryan von oben bis unten musterte, „viel stärker, als du es warst, und gemeiner. Aber ich hätte niemals gedacht, dich neben dem Phönix stehen zu sehen.“   Bryan sagte nicht, er sah lediglich dabei zu, wie Tony träge mit dem Messer wedelte. „Boris hat mir ein bisschen über die Tändelei zwischen euch erzählt. Ich würde es ja süß nennen, wenn ihr zwei nicht gottverdammt verrückt gewesen wärt“, kicherte Tony schadenfroh, „du weißt, dass es nicht anhalten würde, es könnte nicht anhalten. Ihr zwei seid nichts als Gegenteile und Bryan ist zu gewalttätig, um seinen Zorn zu kontrollieren.“   Bryans Kiefer verkrampfte sich und er ballte die Fäuste, doch es war Kai, der antwortete. „Wenn du hier bist, um mich zu töten, dann bezweifle ich, dass auch nur irgend etwas lang anhalten wird.“   „Stimmt“, nickte Tony und sein Gesicht verdüsterte sich, „ich bin hier, um dich zu töten.“   „Boris hat dir gesagt, dass du warten sollst“, erinnerte der Phönix ihn.   „Ah, ich kann nicht warten!“, grollte Tony hitzig, „ich werde nicht warten!“ Sein Griff um das Messer festigte sich, als er es vor sich hielt. „Tatsächlich, ICH WERDE KEINEN WEITEREN MOMENT WARTEN!“   Er stürzte sich auf Kai, hechtete nach dem Phönix mit einer solchen Geschwindigkeit, dass Kai zu spät bemerkte, dass er ihn unterschätzt hatte; er glitt aus dem Weg, aber Tony war von Boris trainiert worden, so wie Kai, und er war darauf vorbereitet. Sein Arms streckte sich aus und er zog Kai zurück; Kai wehrte sich, doch Tony kannte all die Tricks und er hatte Kai im Griff. Mit einer Stärke, die fast schon unmenschlich war, zog Tony Kais Kopf zurück und offenbarte den blassen Hals.   Er hob das Messer an Kais Hals, sein ruckartiger Atem auf Kais Gesicht. „Und jetzt wirst du STERBEN!“   „Lass' ihn los.“   Tony blickte überrascht auf, als ob er vergessen hatte, dass sie nicht alleine waren; Bryan stand vor ihm, in einer Hand die Waffe, die Tony zuvor fortgeworfen hatte. Kai fluchte leise vor sich hin; im Nachhinein bemerkte er, dass es gut war, von Tony gefangen worden zu sein, in der Vorbereitung, das Messer gegen ihn zu verwenden. Es war die einzige Möglichkeit, die Kai einfiel, wie er Tony töten konnte, bevor Tony ihn umbrachte, aber der Phönix hatte nicht gewollt, dass Bryan mitmischte.   Tony starrte ihn an und dann lachte er. „Oh, runter mit der Waffe, Bryan, du würdest mir niemals weh tun!“                                                                                                                  „Tala, ich habe gewartet“, sagte Boris, als er zusah, wie der Wolf den zögerlichern Neko-Jin näher zog. „Du bist später, als du angekündigt hast.“   „Das macht nichts, ich habe ihn gebracht, wie Sie gesagt haben“, erwiderte Tala und gestikulierte zu Ray, den er noch immer dicht bei sich hielt.   Boris lächelte Ray an, der knurrend und fauchend zurückschaute. „Ich muss sagen, ich war überrascht“, erzählte er dem Rotschopf, „als du dich meinen Befehlen direkt widersetzt hast, dachte ich, das wäre, weil du gegangen bist, um Rays Leben zu retten, doch hier bist du nun und bringst ihn zu mir.“   „Ich wusste, wie sehr Sie ihn studieren wollten“, antwortete der Rothaarige ruhig, „es schien mir eine solche Verschwendung zu sein, ihn einfach sterben zu lassen, ohne wenigsten ein bisschen geforscht zu haben.“   „In der Tat“, stimmte Boris zu, „ich kann nicht sagen, wie enttäuscht ich war, als ich ihn töten lassen musste, ich bin so erfreut, dass du ihn mir gebracht hast.“   „Und ich bin erfreut, dass ich Ihnen etwas geben konnte, was Sie wollten.“   „Es macht mich froh, das zu hören, Tala“, sagte Boris in einem sanften Tonfall. Er schaute von Tala zu Ray und wieder zurück. „Es hat meinen Glauben in dich wiederhergestellt, für einen Augenblick habe ich mir schon Sorgen gemacht, dass du mich verraten hättest.“   Tala fixierte Boris mit einen azurfarbenen Augen. „Das würde ich niemals tun.“   „Bist du sicher? Du hast dich kürzlich sehr wechselhaft verhalten, ich hab' schon begonnen, zu denken, dass du etwas verwirrt darüber seist, wem deine Treue gehört.“   „Ich bin nicht verwirrt“, versichte der Wolf ihm in der selben langsamen, ruhigen Stimme. „In der Tat, ich habe für keine Sekunde gezweifelt, wem meine Treue gehört.“   Sie tauschten einen Blick aus, Monster und Soldat; Rays Augen flackerten von Talas unlesbarem Gesichtsausdruck zu den festen, schwieligen Händen, die seinen Arm wie ein Schraubstock umklammerten. Ein paar Mal hatte er versucht, sich gegen Talas Griff zu wehren, doch jedes Mal hatte die Hand des Wolfes nur fester zugepackt und daher hatte Ray aufhören müssen. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust und sein Mund war trocken.   Die Luft um sie herum war kalt, aber das war nichts im Vergleich zu dem Ausdruck in Talas Augen. Hatte Ray sich so sehr in ihm getäuscht? Hatten seine Sinne ihn wirklich so sehr im Stich gelassen? Seine Instinkte hatten noch nie falsch gelegen, und er war sich so sicher gewesen, dass er bei Tala Recht hatte. Andererseits, vor nicht allzu langer Zeit, war er sich sicher gewesen, dass es nichts Gutes in Tala gab. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er Tala und alles an ihm gehasst.   Und jetzt sehe man sich an, wo er war. Er hatte sich Tala ergeben. Sich auf ihn verlassen. Ihm vertraut. Sich gegen Kais Urteil gestellt, weil er sich so sicher gewesen war, dass er Recht hatte. Und er hatte falsch gelegen. Ziemlich falsch. Dieser Fehler würde ihn das Leben kosten; dieses Mal gab es kein Entkommen, niemanden, der ihm helfen konnte, niemanden, dem er vertrauen konnte. Es war lustig, wie einem ein einziger Fehler wörtlich den Atem rauben konnte.   Manchmal war das Leben einfach nicht fair.   „Also, wo soll ich ihn hinbringen?“, fragte Tala, „runter in den Keller oder in eine der Zellen?“   „Ich denke, ich möchte ihn in meinem Labor sehen“, antwortete Boris und grub in seinem Mantel nach einem Stück Seil, das er dann Tala zuwarf. „Fessle seine Handgelenke, ich weiß, wie trickreich Neko-Jin sein können.“   Ohne Ray loszulassen, beugte Tala sich nach dem Seil; sich wieder aufrichtend, zog er Ray herum, dass sie sich anschauten, während er beide seine Handgelenke nahm und das Seil fest darum wickelte.   „Tala, du musst das nicht machen!“, flüsterte Ray schnell in einem letzten, verzweifelten Versuch, den Teil von Tala zu erreichen, der menschlich war. „Du musst nicht, du musst ihm nicht gehorchen, du kannst dich abwenden!“   „Ich habe nicht gesagt, dass du reden darfst“, war Talas einzige Antwort, als er das Seil verknotete und einen weiteren Knoten machte.   „Bitte, Tala, ich flehe dich an, das nicht zu tun! Was muss ich tun, damit du aufhörst?“, gab Ray nicht nach, „muss ich betteln?“   „Nichts wird mich aufhalten“, sagte der Wolf mit harter Stimme, er schaute Ray fast schon mörderisch an. „Ich werde kriegen, was ich will, und das bedeutet, dass ich dich Boris geben werde.“   „Aber Boris wird mich foltern, an mir herumforschen, mich auseinandernehmen, und er wird sicher stellen, dass du ihm helfen wirst, nur um Recht zu haben!“   „Ich befürchte, Tala wird nicht lange genug leben, um mir bei meinen Nachforschungen zu helfen.“   Boris kühle Stimme schwebte so sanft zu ihnen herüber, dass sie fast schon der Berührung einer Brise im Sommer gleichkam, aber sie war hart, bitter und gemein. Tala und Ray erstarrten gleichzeitig, die goldenen Augen auf blauen fixiert, als Tala langsam den Blick von Rays gefesselten Handgelenken zu dem Mann wandern ließ, dem er so lange gedient hatte.   Boris stand gut einen Meter dichter als zuvor, in seiner Hand war eine Schusswaffe, die geradewegs auf Tala gerichtet war. Boris schenkte ihm ein einfältiges Kichern und fragte in einem bedrohlichen Tonfall: „Dachtest du wirklich, dass ich so dumm sei?“ Kapitel 27: Goldene Augen ------------------------- Tony und Bryan versuchten, sich gegenseitig in Grund und Boden zu starren, als Bryan die Waffe auf die selbe Höhe wie Tonys Kopf brachte. Tonys Lächeln war krude und gleichzeitig geschmeidig emotionslos. „Komm' schon Bryan, mach' dich nicht selbst zum Narren. Das wirst du niemals tun, nicht nach allem, was ich für dich getan habe.“   Bryan schnaubte. „Du scheinst zu denken, dass die Vergangenheit mich auch nur einen Scheißdreck interessiert“, erwiderte er aggressiv, „mir wurde beigebracht, nicht zu fühlen, erinnerst du dich?“   „Oh, bitte, niemand kann seine Gefühle auflösen, das ist unmöglich“, sagte Tony gelassen, „es ist egal, wie sehr du versuchst, sie zu verscheuchen, sie werden einfach zurückkommen. Vertrau' mir, ich weiß das.“   „Wirklich? Einen Scheiß weißt du, Tony.“   Bryans Stimme war einmal im Leben ruhig, weder schrie er noch war er wütend. Andererseits hatte Tony ihn bisher auch noch nicht angepisst. Die Waffe in der Hand das Falken war ruhig, aber der Phönix wusste, dass Bryan niemals den Abzug drücken würde. Tony war der Grund dafür, dass Bryan Kai so lange gehasst hatte, und der Falke würde sein Urteil nicht so plötzlich komplett umkehren.   Tonys Stärke war unwirklich. Er war stärker als jeder Mann, dem Kai bisher begegnet war, der Arm, der um ihn geschlungen war, war wie ein Arm aus Metall, unzerbrechlich und solide. Die Klinge an seinem Hals machte es unmöglich, sich zu bewegen; nur ein Zoll nach links oder rechts und das Messer würde in seine Kehle gleiten. Tony wusste, was er tat.   Aber solange Tony Kai festhielt, konnte er nicht Black Dranzer festhalten; das Bitbeast flackerte noch immer verärgert unter Kais Fuß und immer wieder schwappte eine Welle der Macht über ihn hinweg. Black Dranzer sprach zu ihm, lockte ihn, ihn freizulassen und Tony zu geben. Sobald Black Dranzer in Tonys Händen war, würde der Phönix frei sein; es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Black Dranzer die Überreste von Tony verschlungen haben würde und dann zu Kai zurückkehrte, sodass sie als Paar Chaos über die Welt bringen konnten.   Natürlich würde Kai für eine Weile stark genug sein, Black Dranzer zu bekämpfen, aber irgendwann würde der Phönix der Macht erliegen und dann würden sich beide Phönixe, rot und schwarz, vereinenen und die gesamte Zivilisation in die Knie zwingen. Kai konnte die Vision vor sich sehen; er hatte zuvor von ihr geträumt, aber jetzt war Black Dranzer so nahe und die Vison sah nach mehr aus, als nur einem Traum, sie schien wie eine fassbare Zukunft.   „Ich sage es noch 'mal, lass' Hiwatari los“, sagte Bryan hart, „sonst werde ich dir in deinen scheiß Kopf schießen.“   Tony lachte sein lautes, gedehntes Lachen, das in Kais Ohren klingelte. „Nein, wirst du nicht! Du kannst nicht, Bryan, du hast nicht das Zeug dazu, mich zu töten! Nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben! Erinnerst du dich nicht? Ich habe dich trainiert, auf dich aufgepasst, wenn du bestraft wurdest, wurde ich bestraft, ich habe dafür gesorgt, dass du in der Abtei kein Niemand warst, ich habe dein Talent gesehen und dich nach vorne getrieben.“ Er lachte erneut. „Denk' darüber nach, du wärst nicht einmal hier, wenn ich dir nicht geholfen hätte.“   „Du hast das nur getan, damit dein eigener Aufstieg in der Abtei beschleunigt werden würde“, ging Kai harsch dazwischen.   Tony knurrte, als seine Wut schnell in ihm aufkochte. „Das weißt du nicht!“   „Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen, warum du einem anderen helfen solltest“, murmelte Kai, „wir alle wussten, was es bedeutete, am unteren Ende der Nahrungskette der Biovolt zu sein, jeder hätte alles gemacht, um an die Spitze zu gelangen.“   „Korrektur, Bryan und ich wussten, was es hieß, der Abschaum zu sein, du wurdest immer gut und nett behandelt, du warst etwas besonderes“, erwiderte Tony laut, „nur Bryan und ich wussten, was es bedeutete, nach Essen suchen zu müssen, für etwas bestraft zu werden, was wir nicht getan hatten, und in all dem Dreck und Schmutz trainieren zu müssen, der von den privilegierten Mitgliedern der Abtei zurückgelassen wurde!“   „Und dann hast du bemerkt, dass Bryan Talent hatte, und hast einen Ausweg gesehen“, fügte Kai leise hinzu.   „Ich war es, der bemerkt hat, dass Bryan nicht so erbärmlich und dumm war, wie alle anderen dachten“, grinste Tony, „das Lob nehm' ich mir.“   „Du nimmst dir das Lob für das?“ Kai nickte zu Bryan, der einfältig dastand, die Waffe noch immer in seiner Hand, während er zwischen Tony und Kai hin und her blickte und nicht wusste, ob er einschreiten sollte. „Wegen dir haben sie Bryan zu einem Mörder gemacht, zu einem gewalttätigen, sadistischen Bastard, den die Autoritäten beinahe getötet haben, um die Schande zu verbergen, dass jemand so gewalttätiges existiert.“   „Es ist nicht meine Schuld, dass Boris alle von Bryans Emotionen abgesehen von Hass weggesperrt hat“, antwortete Tony schmollend.   „Ich vermute nicht“, gab der Phönix zu, er schaute aus dem Augenwinkel zu Tony, der Bryan musterte und dabei zusah, wie der Falke ihn beobachtete. „Sag' mir etwas, warum hat Boris ihn ausgesucht und nicht dich? Du warst älter, physisch stärker, Bryan war nur ein Kind. Warum also hat Boris Bryan mehr bemerkt als dich?“   Tonys Gesicht verdunkelte sich. „Ich weiß es nicht!“ Das Schmollen in seiner Stimme wurde von Bösartigkeit, Wut und Neid vergiftet. Kai hatte einen wunden Punkt getroffen. „Hat er einfach!“   „Ich kann dir sagen, warum“, flüsterte der Phönix so leise, dass Tony ihn fast nicht gehört hätte, obwohl er so nahe war. „Weil Bryan der bessere Blader war, der stärkere Gegner, das größere Talent, Bryan wurde für die Demolition Boys auserwählt, weil er besser war als du. Er hat eine bessere Chance, Black Dranzer zu kontrollieren, als du jemals haben wirst!“   Tony reagierte so schnell, dass er kaum mehr war als ein verschwommener Schatten; er zog Kai zurück, riss am Kopf des Phönix', sodass er ruckartig nach hinten flog und presste die Klinge härter gegen den empfindlichen, blassen Hals. „NIEMAND kann Black Dranzer kontrollieren außer mir!“, knurrte er mit heißem Atem in Kais Ohr. „Niemand!“ Sich umdrehend, spießte er zornig Bryan mit seinen Blicken auf. „Du könntest Black Dranzer niemals haben, du bist nicht besser als ICH!“   Bryan bewegte sich nicht. Er stand nur da und hielt die Waffe fest, doch Kais Körper bedeckte zu viel von Tony, er hatte keinen Platz zum Schießen; um Tony zu töten, müsste er Kai töten, da gab es keinen Weg drum herum.   Tony lachte, lauter und lauter. „Du bist erbärmlich, du kannst mich nicht einmal umbringen! Ich steh' hier mit dem Leben deines Fickfreundes in meinen Händen und kannst nicht einmal die Kraft aufbringen, mich zu erschießen! Du bist nicht einmal Black Dranzers Zeit wert!“ Er lachte erneut, sein Frohsinn gackerte boshaft. „Nicht, dass ich dich dafür anklagen würde! Du warst immer mein Wunderkind; ich habe dich trainiert und auf dich aufgepasst! Du hast zu mir aufgesehen, niemand anderes hätte dir auch nur eine Sekunde ihrer Zeit geschenkt, ich war deine ganze Welt! Ich- AHH!“   Kai hatte die Chance genutzt, auf die er gewartet hatte; während Tonys Angeberei war der unvorsichtig geworden und das Messer war von Kais Hals geglitten. Der Phönix griff das Handgelenk, das die Klinge gehalten hatte, und drehte es hart herum; es gab ein Knacken und Tony schrie vor Schock und Schmerz auf. Aber Kai gab ihm keine Zeit, zu reagieren; blitzschnell rammte der Phönix Tony den Ellenbogen in den Magen, wandt sich aus dem Griff des Mannes und trat ihn in der gleichen Bewegung zu Boden.   Tony krachte mit einem Schmerzensschrei in den Schnee, als sein gebrochenes Handgelenk unter ihm begraben wurde; Tränen schossen in seine Augen und er heulte mit erschütterndem Schluchzen in den Schnee. Sein verrutschtes T-Shirt wieder zurechtrückend, griff Kai ruhig nach unten und holte das Messer zurück, das in dem Kampf davon geflogen war. Er stand über Tony, ohne die Klinge zu erheben, und schaute auf den Mann herab, als der heulte und bittere Tränen weinte.   „Sieh' dich an“, murmelte der Phönix, „du bist kein Mann, du bist nur ein Junge im Anzug eines Mannes. Du bist es, der erbärmlich ist.“   Tony blickte durch Zornestränen zu ihm hoch. „HALT'S MAUL“, brüllte er, „DU WEIßT NICHT, WIE ES IST! Ich hasse dich! Du Monster! Du verdienst es, zu sterben!“   „Ich denke nicht, dass du mich heute töten wirst“, flüsterte Kai, er blickte zu dem Messer in seiner Hand und dann zurück zu Tony. Dann schnaubte er und ließ das Messer fallen. „Du bist es nicht einmal wert.“   Seufzend wischte er den Schnee von seinen Hosen und ging dorthin, wo Black Dranzer im Schnee lag; es aufhebend, schaute er zurück zu Bryan, doch ein Keuchen lenkte seine Aufmerksamkeit zurück zu Tony. Der Mann hatte Black Dranzer gerade zum ersten Mal gesehen.   „Black Dranzer.“ Tonys Augen waren auf dem Bitbeast fixiert, auf Händen und Füße kroch er durch den matschigen, feuchten Schnee nach vorne und streckte sich nach Kai aus. „Black Dranzer, kann er wirklich hier sein, so nah dran?“, keuchte er und schaute dann auf in Kais Gesicht. „Gib' ihn mir!“, verlangte er, „Black Dranzer ist meins, er gehört mir. Gib' ihn mir!“   „Nur, wenn die Hölle einfriert und Tyson eine Diät macht“, erwiderte Kai, warf Tony einen gelangweilten Blick zu und drehte sich um.   „LAUF NICHT EINFACH SO VON MIR WEG! NIMM MIR NICHT BLACK DRANZER WEG!“, heulte Tony. Mit einem zornigen Brüllen schnappte er sich das Messer aus dem Schnee und warf sich gegen Kais fortgehenden Rücken. „BLACK DRANZER IST MEINS!“   Kai wirbelte herum, um zu sehen, wie die funkelnde Klinge auf ihn zukam; er hatte keine Möglichkeit, zu entkommen, das Messer kam immer näher, als Tony seinem Gesicht brüllend immer näher kam. Die Klinge blitze im Licht auf, Tony griff nach dem Bitbeast in Kais Griff. Da war weniger als ein Atemzug Platz zwischen ihnen-   Die Waffe knallte drei Mal. Es hallte auf dem Schnee wieder, wurde von einem Berg zum nächsten hin und her geworfen; es war, als ob tausend Kugeln gefeuert worden wären, doch nur drei hatten ihr Ziel getroffen. Tony fiel direkt vor Kai zu Boden.   Kai schaute hinab, als Tony hustete und sein Körper auf dem Boden bebte; der Phönix kniete sich neben dem blutenden Mann nieder und, während er Black Dranzer in seine Tasche schob, hob gelassen das Messer auf, das Tony fallen gelassen hatte. Tony war drei Mal getroffen worden, allerdings war keine dieser Treffer tödlich und er hatte genug Kraft, um zu versuchen, sich zu bewegen. Eine Hand hielt ihn auf.   „Gib' mir keinen Grund, dich zu töten“, sagte Kai leise.   Tony grinste und Blut schwoll über seine Unterlippe. „Mach dich... nicht- zum Affen!“, würgte er hervor, „du hast nicht... den Mumm.“   „Ich hatte bisher noch keinen Grund, das herauszufinden“, erwiderte der Phönix und hob eine Hand zu seinem Hals, wo er nun zum ersten Mal bemerkte, dass Tony die Haut zerschnitten hatte; nun war dort eine dünne Linie dunklen Blutes, die die weiße Haut verunstaltete. Seine Augen ruhten wieder auf Tony. „Hör auf, hör' mit diesem Wahnsinn auf.“   „Nein!“, stieß Tony auf und hustete, mehr Blut schoss zwischen seinen Lippen hervor. „Black- Dranzer ist mein! Ich werde... dich töten... und ihn... fü- für mich nehmen!“ Er hustete erneut und im Hintergrund hörte man das Geräusch rasselnden Atems. Ein Lächeln legte sich auf seine roten Lippen. „Hätte nicht gedacht, dass er es tun würde“, murmelte er mit Heiterkeit, während er mit einer schwachen Hand in Richtung des Falken gestikulierte, der hinter Kai angelaufen gekommen war.   „Ihm wurde beigebracht, Emotionen zu blockieren, nur Hass zu fühlen, er hatte keinen Grund, dich nicht zu töten.“   „Wa-Warum tötet er- hick- dich dann n-nicht?“, fragte Tony mit zitternder Stimme, als er den Kopf hob, um Kai anzuschauen, „e-er hasst... dich.“   „Dinge ändern sich“, antwortete Kai schlicht, doch seine Finger fuhren über die Male von Bryans Angriff, die noch immer seinen Hals zeichneten.   Das Lächeln auf Tonys Gesicht wuchs zu einem bedächtigen, bösartigen Lächeln heran. „Also... was wird er tun, wenn ich dich töte?“, flüsterte er, er hob seinen Blick von Kais gerunzelter Stirn zu der großen, überschatteten Figur, die hinter dem Phönix stand. „W-Was wirst du tun... wenn ich Kai töte, denn ich werde ihn t-töten.“   „Du wirst überhaupt nichts tun, wenn du nicht still bleibst“, sagte der Phönix zu ihm, „diese Wunden sind nicht fatal, doch du wirst zu viel Blut verlieren, wenn du dich weiterhin bewegst.“   Tony ignorierte ihn; stattdessen fixierten sich seine Augen auf Bryan, der die Waffe gesenkt hatte, sodass sie nun an seiner Seite war. „Was wirst du tun, wenn ich Kai töte?“   Bryan blickte auf ihn herab, seine Mundwinkel verzogen sich wütend nach unten; langsam hob er die Waffe auf Schulterhöhe und zielte vorsichtig. Ein Blick betäubten Unglaubens huschte über Tonys gequältes Gesicht, als ob er nicht akzeptieren konnte, was seine Augen ihm zeigten. Und dann schoss Bryan. Kai zuckte zurück, als Blut und Gehirn auf sein Gesicht spritzen und er richtete sich schnell auf, um zu Tony zu schauen.   Der Mann lag still; sein Körper hatte einmal gezuckt, als die Kugel ihn getroffen hatte, doch nun blieb er leblos und unbeweglich, das Loch in seinem Kopf wie ein tiefer, dunkler Tunnel. Blut befleckte den Schnee um Tony herum, als der Wind wehte und versprach, ein Sturm zu werden. Kai stand schweigend da, als Bryan träge die Waffe zu Boden warf und seinen Blick von dem toten Körper abwandt.   Sie sprachen nicht, denn es gab nichts zu sagen; Bryan hatte seine Wahl getroffen, diese Entscheidung konnte nicht rückgängig gemacht werden und nichts, was Kai sagen oder tun könnte, würde helfen. Tony war etwas der Vergangenheit, ein Fragment von Bryans verdrehter, kranker Kindheit und das war der Ort, an dem er bleiben würde, vergessen und ungewollt. Der Mann, der zu ihren Füßen im Schnee lag, war kein Mann, an den man sich erinnern sollte, sondern ein Körper, der begraben und vor der Welt versteckt werden musste.   Kai drehte den Kopf, um den Falken anzuschauen; das nächste, was er wusste, war, wie Bryan ihn packte, nach vorne zerrte und seinen Mund auf Kais presste-   Der Phönix zog sich feurig zurück. „Wenn du glaubst, dass ich vergesse, was du-“   Bryans Mund legte sich erneut auf den seinen und seine Hand vergrub sich in dem dichten, zweifach gefärbten Haar; erneut lehnte Kai sich nach hinten, um zu reden, doch zum zweiten Mal drückte Bryan sich auf Kai, als die Winde Russlands um sie herum an Geschwindigkeit zunahmen.                                                                                                                          „KAI! Du bist es wirklich! Kai!“ Tyson stürmte nach vorne und lachte hysterisch, als der Phönix sich selbst aus dem Auto hievte und sich zu dem schnell näherkommenden Drachen umdrehte. Tyson blieb kurz vor ihm stehen. „Junge, du siehst furchtbar aus.“   Kai hob eine Augenbraue, doch der Drache hatte Recht; seine Kleidung war nass und verrutscht, seine Haare waren ein Nest und sein Gesicht war blass. Seine Augen waren dunkler als sonst und sie lagen tiefer in seinem Gesicht; er sag abgehärmt und geschlagen aus.   „Kai!“ Max hatte den Russen ebenfalls entdeckt und sprintete herüber, die anderen folgten ihm rasch. „Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“   „Ja, haben wir!“, schimpfte Hilary mit ihm, drängte sich an Tyson und Max vorbei und schaute finster zu dem Phönix, die Hände in die Hüften gestemmt. „Wo bist du gewesen! Wo ist Ray! Was ist mit dir passiert! Hast du auch nur eine Idee, was wir durchmachen mussten! Wir sind durch die Hölle gegangen! Du warst ewig weg, die Polizei hat schon Suchtrupps nach dir losgeschickt-“   „Polizei?“, unterbrach Kai, als Bryan an seiner Seite erschien, nachdem er aus dem Fahrersitz geklettert war.   Sie waren außerhalb der Villa angekommen, direkt vor den Haupttoren, welche weit geöffnet standen, um die Kälte und den Schnee hinein zu lassen. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen, doch als  sie zuschauten, schielte ein Polizist in ihre Richtung und rief dann durch die ganze Villa, um seine Gefährten darüber zu informieren, dass Kai Hiwatari mit Bryan Kuznetsov zurückgekehrt war.   „Ja, ich hab' sie angerufen“, erzählte Tyson ihm, „es ist vorbei, Kai, sie wissen, dass Voltaire noch lebt.“   Kai schaute ihn an und dann zu den großen Türen, die nun noch weiter aufgestoßen wurden, um drei Männer durch zu lassen; zwei von ihnen waren Polizisten, die schweigend vorbei marschierten, während sie die alte, bittere Gestalt von Voltaire Hiwatari flankierten.   „Natürlich, es hat eine Weile gedauert, ihnen zu erklären, dass er noch lebt“, erklärte Max mit einem Lachen, „du hättest ihre Gesichter sehen sollen, ich dachte, der Inspektor macht sich vor Angst in die Hosen.“   „Ja, es hat eine Weile gedauert, bis wir deine Mutter überzeugen konnten, das Formular zu unterschreiben, dass Voltaire noch lebt“, fügte Tyson hinzu, „aber als sie es getan hat, meinte sie, dass er für all seine Verbrechen bestraft werden könnte, dass er verschwinden wird... für immer!“ Er wandte sich zu Kai. „Ist das nicht großartig?“   „Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte der Phönix, der zusah, wie sein Großvater ohne einen weiteren Blick an ihnen vorbei ging; er war sich nicht sicher, was er allgemein von der Situation halten sollte, doch Tyson ließ ihn nicht innehalten, um nachzudenken.   „Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest.“ Die Fröhlichkeit des Drachen löste sich ein wenig auf und er zupfte betreten an seinem verwuschelten Haar.   Kai schaute ihn an. „Und das wäre?“   „Naja... wir sind alle aus der Zelle, in der sie uns hatten, geflohen“, beschrieb Tyson milde bescheide, „und wir haben es geschafft, ein Auto zu stehlen-“   „Dank mir!“, sagte Daichi stolz.   „Ja, jedenfalls, ähm, wir sind mit dem Auto gefahren und... dein Vater hat uns irgendwie verfolgt... auf seinem Motorrad."   Kai blinzelte langsam und Tyson räusperte sich.   „Kai, er ist gegen den Torpfosten gefahren, direkt rein... er ist... tot.“   „Ich verstehe.“ Der Phönix ließ nichts anmerken, keine Anzeichen von Verlust oder Freude, er fragte lediglich tonlos: „Meine Mutter?“   „Sie bedrückt das ganze gar nicht so sehr, wenn ich ehrlich sein soll“, gab Max reumütig zu, „sie hat den Champagner bestellt.“   „Warum sollte sie auch nicht“, argumentierte Kai, „es gehört jetzt alles ihr.“   „Tut mir Leid, Kai“, murmelte Tyson, „ich weiß, dass es dich wahrscheinlich nicht interessiert oder so, aber trotzdem, es tut mir Leid.“   „Das ist doch jetzt alles egal!“, sagte Kenny ungeduldig und erntete damit einen tadelnden Blick von Hilary. „Kai, weiß, dass es schwer für dich wird, die Hälfte deiner Familie verloren zu haben und es tut mir Leid, aber wir vergessen Ray!“ Er schaute Kai an. „Wo ist er?“   ​                                                                                                                       Boris stand mit ausgestreckter Waffe da. „Hast du wirklich geglaubt, ich würde dir noch einmal vertrauen, nachdem du mich so hintergangen hast?“   Tala zuckte beinahe unbekümmert mit den Schultern. „Einen Versuch war's wert. Was hat dich zweifeln lassen?“   Boris lachte. „Ich wusste die ganze Zeit, dass du ein Verräter warst, ich weiß, dass dein innerstes Verlangen ist, mich zu töten, aber ich wusste, dass du es niemals duchziehen würdest.“   Tala verengte die Augen. „Du hast es gewusst? Die ganze Zeit?“   „Ich bin nicht dumm, Tala, ich weiß von dem Hass, den du für mich empfindest“, antwortete Boris herablassend, „er war einfach in deinem Gesicht zu lesen, wann immer du mich angesehen hast.“   „Warum dann das Spiel spielen?“, fragte Tala, „warum so tun, als ob ich keine Gefahr darstelle?“   „Weil ich es amüsant fand, die dabei zuzuschauen, wie du jeden Tag mit deinen Erinnerungen, deinem Stolz und deinem Durst nach Rache gerungen hast.“ Boris entsicherte die Waffe und stabilisierte sie vorsichtig. „Ich wollte sehen, wie lange du durchhalten würdest, bis du durchdrehst.“   „Aber ich hätte dich jederzeit töten können.“   „Dem stimme ich nicht zu, du hättest mich niemals getötet, mich zu töten, hätte dich gezwungen, zuzugeben, dass du einen Grund hattest, mich umzubringen, und in der Öffentlichkeit hast du von deiner Zeit in der Abtei stets mit Stolz gesprochen.“   „Dennoch, mir hätte der Kragen platzen können.“   „Verstehst du denn nicht? Das Risiko ist Teil des Spaßes!“, sagte Boris zu ihm mit einem Lächeln, doch dann verschwand das Lächeln, als Boris' Blick zu Ray wanderte, der mit gefesselten Handgelenken dastand. „Aber dann bist du aufgetaucht“, knurrte der Mann, „und hast alles ruiniert, hast Tala umherschwarwenzeln lassen, um dich zu retten, wie selbstsüchtig!“   „Es war nicht seine Entscheidung, dass ich gegangen bin“, sagte Tala, „ich bin von mir aus gegangen.“   Boris schnaubte. „Ich weiß, dass du das gerne denkst, Tala, aber die Wahrheit ist, dass Ray dir unter die Haut gefahren ist, er hat dich verhext, genaus so, wie viele andere Dinge es vor ihm getan haben.“ Boris seufzte und schüttelte den Kopf. „Die meiste Zeit hast du es nicht einmal bemerkt, doch ich sehe es Tala, jedes Mal. Du gehst durch Phasen, keine von ihnen dauert an, aber sie verzehren dich, bis du alles andere vergisst. Und dann wird dir langweilig und du kommst wieder zu mir zurück gekrochen, es ist nur zu Schade, dass Ray aufgetaucht ist, als er es getan hat, das hat all meine Pläne ruiniert.“   „Wie tragisch“, knurrte der Wolf.   „Ich hatte Pläne, Tala, ich brauchte deine Hilfe, aber du hast mich enttäuscht.“   „Und jetzt wirst du mich töten?“ Der Rotschopf hob die Augenbrauen. „Was habe ich getan, um das zu verdienen?“   „Ist es nicht offensichtlich?“, fragte Boris, „du hast deinen Zweck erfüllt, es hat Spaß gemacht, solange es angedauert hat, aber jetzt ist es vorbei.“ Er blickte Tala mit einem tiefen, suchendem Blick an. „Es ist eine Schande, du warst einer meiner besten Schüler und mein treuester Soldat. Stirb mit dem Wissen, dass ich dich vermissen werde.“   „Das war's also?“ Tala rührte sich, sodass er Boris direkt gegenüber stand, seine Brust entblößt und ungeschützt, er versuchte nicht einmal, nach der Waffe in seiner Tasche zu greifen. „Du wirst mich einfach erschießen?“   „Es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen, Tala.“   „Dann tu' es“, forderte Tala heraus, „erschieß mich, in die Brust, ich werde mich nicht wehren.“   Boris war überrumpelt; so lange er sich erinnern konnte, war Tala immer ein Kämpfer gewesen, mit jedem Atemzug, den er tat. „Du gibst einfach auf?“   „Ja“, antwortete Tala, „weil du Recht hast, ich kann dich nicht töten... aber ich glaube nicht, dass du mich umbringen kannst.“ Er starrte Boris nieder. „Ich bin dein Lebenswerk, es wäre zu viel Verschwendung, wenn du mich einfach töten würdest.“   „Nun, da liegst du falsch“, lachte Boris. In einem Sekundenbruchteil wurde die Waffe gesenkt und Boris feuerte.   „NEIN!“   Ray warf sich selbst vor Tala, sein Körper zuckte, als die Kugel seinen Rücken traf; er schrie auf und fiel vornüber gegen Tala, der ihn mit geweiteten, eisblauen Augen ansah. Blut stieg in Rays Mund auf, er hustete, stöhnte, als sein Kopf gegen Talas Brust fiel; seine Beine knickten unter ihm weg und all sein Gewicht fiel gegen den Wolf.   „Warum?“, fragte Tala lediglich, als er auf das Blut starrte, dass Rays Kinn hinab tropfte.   „Weil es in dir noch etwas menschliches gibt“, grinste Ray ein schmerzerfülltes Lächeln, das sich auflöste, als sein Körper schwächer wurde. „Es tut weh“, flüsterte er, das Blut befleckte Talas Oberteil. Er blickte hoch in Talas Gesicht, als seine goldenen Augen stumpfer wurden, bevor sein Kopf nach vorne kippte.   Talas Augen waren dunkel; sein Mund verfestigte sich in einem kalten Knurren. „Boris, du bist ein toter Mann!“ Kapitel 28: Letzter Auftritt ---------------------------- “Warum müssen wir gehen?”, beklagte Bryan nicht zum ersten Mal, als er sich mürrisch gegen den Bettpfosten lehnte und dabei zusah, wie der Phönix vor dem Spiegel stand und seine Krawatte richtete. „Ich will nicht gehen.“   Sie waren spät dran; die Nächte waren kürzlich länger und heißer geworden und Kai hatte entdeckt, dass die eine Sache, in der Bryan absolut fähig war, aufschieben war. Hinter ihnen war das Bett noch immer ein Durcheinander aus verschwitzten Laken und vergessenen Kissen, die unzeremoniell beiseite geschoben worden waren; sogar ihre Körper wiesen versteckte Male ihrer nächtlichen Dramen auf, der sich verdunkelnde Fleck auf Kais Hals war etwas, in dessen Schöpfung Bryan viel Zeit und Konzentration gesteckt hatte, was Kai in einem Moment der Schwäche zugelassen hatte.   „Ich habe nicht gesagt, dass du kommen musst“, antwortete Kai, „eigentlich habe ich Vereinbarungen getroffen, dass du nicht kommen sollst, nicht, nach deinem Verhalten bei der Beerdigung meines Großvaters."   „Nun, das ist jetzt nicht mehr interessant“, schnaubte Bryan, „der alte Ghul lebt noch, um Himmels Willen.“   „Nichtsdestotrotz will ich dich nicht auf der Beerdigung meines Vaters haben.“   „Aber warum musst du gehen?“   „Er ist mein Vater.“   „Und?“   „Da er mein Vater ist, macht es vollkommen Sinn, dass ich seiner Beerdigung beiwohne.“   „Ich verstehe nicht, warum“, schniefte der Falke, „der Typ war ein totaler Arsch.“   Der Phönix seufzte und wandte sich vom Spiegel ab, um zu Bryan zu schauen, der in einem schmuddeligen Anzug mit schiefsitzender Krawatte dastand. „Trotz all dem war er mein Vater und die Menschen erwarten, dass ich beiwohne, einer eben dieser Menschen ist meine Mutter.“   „Noch so eine Verrückte“, seufzte Bryan. Er warf Kai einen Blick zu. „Von allen Eltern auf der Welt sind deine die bescheuertsten.“   „Während deine eigene Mutter vollkommen vernünftig ist und all ihre Sinne komplett unter Kontrolle hat?“ Kai hob eine Augenbraue. „Das bezweifle ich ernsthaft.“   Bryan machte ein mürrisches Gesicht und schaute beleidigt drein.   „Beweisführung abgeschlossen.“ Kai wandte sich zurück zu dem Tisch neben dem Spiegel und hob Dranzer auf; er zögerte ein wenig, als der Bitchip von Black Dranzer im Licht aufblitzte, doch dann war Bryan hinter ihn getreten und die Verbindung zwischen Mensch und Geist war gebrochen. Er kehrte dem Bitbeast den Rücken und ging zur Tür; sie öffnend, schaute er erwartend für einen Augenblick zu Bryan und gring dann von seinem Schlafzimmer den langen, mit Teppich ausgelegten Korridor entlang, der die Treppen herunter führte.   Bryan hielt inne, dann ging er zu dem Bitbeast, das noch immer auf dem Tisch lag; auf es herunterschauend, runzelte er die Stirn und hob es auf, Black Dranzer wäre weniger von einer Last, wenn er mit den Toten unter der Erde begraben sein würde, sogar Kai hatte dem zugestimmt. Aber der Phönix würde es niemals tun; der Geschmack der Macht war zu einlullend; Bryan andererseits wollte den schwarzen Phlnix für immer verschwunden sehen.   Ihn in seine Tasche stopfend, ging er aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich; er fragte sich, ob jemand schon Tonys verlassenen Körper gefunden hatte, ob sie die Waffe, die neben ihm lag, gefunden hatten. Dann zuckte er mit den Schultern und vergaß es wieder. Nichts davon war noch relevant für ihn. Tony hatte unterschätzt, was Boris Bryan beigebracht hatte, das war sein einer Fehler gewesen und es hatte ihn das Leben gekostet.   Er fand Kai, wie der am oberen Ende der Treppe auf ihn wartete; der Phönix lehnte sich gegen das Gländer und schaute hinab in die Eingangshalle, sein Blick wanderte jedoch hoch, als Bryan näherkam. Der Falke sah ihn erwartend an und stützte seine Ellenbogen auf das Geländer, wohl wissen, was nun kommen würde.   „Ich will sicher stellen, dass ich mich klar ausgedrückt habe, du wirst nicht bei der Beerdigung meins Vaters dabei sein.“   „Doch, werde ich.“ „Nein, wirst du nicht.“ Kais Augenbrauen zogen sich nach unten. „Bei der Beerdigung meines Großvaters hast du dich zum Affen gemacht.“   Der Falke grinste. „Dann kannst du das hier vermutlich meinen letzten Auftritt nenen“, erwiderte er selbstsicher, Kai runzelte die Stirn und Bryan sagte: „Ich werde gehen, du kannst mich nicht aufhalten, Geldjunge.“   „Wo liegt der Sinn darin, zu kommen, wenn ich nicht will, dass du gehst?“   Bryan klopfte ihm auf die Schulter und grinste dann anzüglich in sein Gesicht. „Sagen wir einfach, ich komme für moralische Unterstützung mit.“   Kai schaute ihn finster an. „Du wirst den Sarg entweihen, nicht wahr?“   „Bei jeder Möglichkeit, die mir gegeben wird.“   „Du wirst nichts dergleichen tun.“   „Du kannst micht nicht aufhalten.“   „Ich kann dich davon abhalten, der Beisetzung beizuwohnen.“   „Dann werde ich einfach nachts wieder hingehen, den Sarg ausgraben und ihn dann entweihen.“   „Und ich werde dich dafür ins Gefängnis stecken lassen.“   „Ich werde fliehen.“   „Ich werde dich persönlich in Gewahrsam nehmen.“   Bryan grinste erneut und ein verruchtes Leuchten trat in seine Augen. „Das klingt nach Spaß“, murmelte er.   Kai warf ihm einen dunklen Blick und wandte sich ab, um die Treppen ohne ein weiteres Wort hinab zu gehen; Bryan lachte ihn aus und beobachtete den Phönix, wie er die Treppen herabstieg und sich zu den anderen gesellte, die unten wartete. Erst, als Kai das Ende der Stufen erreicht hatte und in die Eingangshalle getreten war, um sich seinen Bladebreakers anzuschließen, bemerkte der Falke, dass er den Streit gewonnen hatte, zum aller ersten Mal. Er feixte zu sich selbst und dachte über Möglichkeiten nach, wie er Kai damit ärgern konnte, als ihm der Gedanke kam, dass Kai ihn trotzdem einfach hier lassen würde, sobald sich auch nur der Hauch eine Chance bot. Bryan stolperte eilig die Treppen herunter.   „Hey, Kai.“ Max lächelte ihn unbehaglich an. „Wie geht’s dir?“   „Max, nur weil Matthew Hiwatari mein Vater war, heißt das nicht, dass ich irgendwelche Liebe für ihn empfunden habe.“   „Richtig, natürlich nicht.“ Max nickte mit einem verständnisvollen Blick, als ob er wüsste, dass Kai seinen Schmerz nur verbarg.   „Also kannst du aufhören, mir mitlweidsvolle Blick zuzuwerfen.“   Max lachte und knuffte die Schulter des Phönix. „Laut und deutlich verstanden, Captain.“ Er rückte seine Krawatte zurecht und strich dann seinen Anzug glatt. „Was denkst du?“ Er streckte die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst, und seine sauber geschnittene Jacke und Hosen zu zeigen. „Nicht schlecht, hm? Ich frag' mich, ob irgendwer das bemerken wird.“   „Max, es ist wahrscheinlicher, dass du dir ein Mädchen in einem Schwulenklub angelst, als auf der Beerdigung meines sadistischen Vaters.“   Die Schildkröte lachte leise. „Ja, da hast du Recht“, gab er nach, als das Geräusch von trampelnden Füßen die Ankunft Tysons und Daichis ankündigte, die sich ein Rennen von den Küchen aus geliefert hatten.   In ihnren Händen hielten sie beide frisch gebackene Küchlein, welche sie mit sehr viel Elan herunterschlangen. „Yo, Kai, ich schwöre, ich werde deine Küche heiraten“, rief Tyson zu Kai, als er sich zu ihnen gesellte und Zuckerguss von seinem Kragen wegwischte.   „Und ich werde eine Affäre mit deinem Koch haben“, fügte Daichi beglückt hinzu.   „Wie widerwärtig“, murmelte der Phönix, als Bryan an der Wand herumschlich, es nicht darauf anlegend, den Bladebreakers auch nur auf ein paar Meter zu nahe zu kommen.   „Oh ja“, erinnerte Tyson sich um einen Mund voller Kuchen, „deine Mum hat angerufen, sie sagt, du sollst dich beeilen, weil sie will, dass die Beerdigung um elf durch ist, damit sie sich mit jemandem zum Mittagessen treffen kann.“   „Das nenn' ich ne kalte Frau“, pfiff Daichi, „direkt nach der Beerdigung ihres Mannes ausgehen?“   „Naja, du erinnerst dich an Kais Vater“, merkte Tyon an, „er war ein echter Bastard.“   „Tyson, was ist das?“, fragte Kai plötzlich, als seine Aufmerksamkeit zu dem Türrahmen wanderte, aus dem Tyson getreten war. „Ein Bastard? Das ist ein echter Idiot, oder ein Typ-“   „Nein, was ist das?“   „Hä?“ Tysons Blick wanderte zu der Stelle, auf die der Phönix schaute, und dann brach sein Gesicht in ein Grinsen aus. „Oh, das ist dein Date für die Beerdigung.“   „Mein was?“   „Kai, ich möchte dir gerne Annette vorstellen.“ Tyson schlenderte zu dem Mädchen, griff ihren Arm und zerrte sie herüber zu dem Phönix, dessen Gesicht sich dramatisch verdunkelt hatte.   „Oh, Junge.“ Max hatte plötzlich das Gefühl, dass jetzt ein guter Zeitpunkt war, um im Auto auf die anderen zu fahren. Er warf Bryan einen Blick zu, dessen Aufmerksamkeit geweckt worden war und der nun knurrte. Max tappte seinem Kumpel auf die Schulter. „Tyson, ich denke wirklich nicht-“   „Oh, Max, dir hab' ich auch ein Date besorgt.“   „Was? Wo kriegst du all diese Mädchen her?“, fragte Max mehr aus Erstaunen als irgendetwas anderes, als ein Kopf in dem Durchgang zu den Küchen auftauchte.   „Eigentlich war das hier ein „Zwei zum Preis von Einer“-Geschäft.“, erwiderte der Drache, als er zu dem zweiten Mädchen gestikuliert, das sich ihnen näherte. „Maxie, das ist Annettes Zwillingsschwester, Nanette.“   „Ohhh.“   „Und wo ist dein Date?“, fragte Daichi, als Kai sein Date ohne eine Spur von Schuld zurückließ und ging, um sich dem flammenden Falken anzuschließen, der nun mit seiner Faust bedrohlich in seine Handfläche schlug, man fragte sich, ob Matthew Hiwatari vielleicht doch nicht der Einzige sein würde, der an diesem Tag begraben werden sollte. Kais Abgang ließ Max natürlich mit den Zwillingen alleine, nicht, dass es ihn allzu sehr zu stören schien.   „Ich gehe mit Hilary“, erwiderte Tyson unbekümmert. „Huh, mit wem geh' ich dann?“   „Kenny.“   „WAS!“   „Oh, entspann' dich, ihr geht nur als Freunde.“   „Aber warum krieg' ich kein Date?“   „Weil du zu jung bist.“   „D-Das ist nicht fair!“   „So ist das Leben, Daichi, mein Alter.“   „Wer nimmt Kenny mit zur Beerdigung?“, fragte Hilary, die in der Tür zum Aufenthaltsraum erschien und schwarze Samthandschuhe anzog.   „Daichi.“   „Daichi nimmt Kenny mit zur Beerdigung?“   „Als Freunde.“   „Oh.“ Hilary warf Tyson einen misstrauischen Blick zu und blinzelte dann die russischen Zwillinge an, die nun um Max umherschwirrten. „Wer sind die?“   „Sie heißen Annette und Nanette.“   „Du kannst doch keine Dates für eine Beerdigung organisieren!“, schimpfte Hilary mit ihm und zog ihme eine über den Schädel, „das ist unethisch!“ Er wich aus, als sie für einen erneuten Schlag ausholte, und warf den Zwillingen einen finsteren Blick zu. „Warum hat er überhaupt zwei?“   „Eine war für Kai, aber er scheint nicht sonderlich interessiert zu sein.“   „Naja, wäre er auch nicht, oder? Ein schwuler Mann in einer Beziehung mit einem anderen Mann schaut sich normalerweise nicht nach Frauen um.“   „Richtig“, stimmte Tyson zu, dann hielt er inne und starrte sie an. „WAS!“   Sie seufzte und strich ihm zärtlich über die Wange. „Oh, Tyson, die ganze Welt könnte in Flammen aufgehen und du würdest es nicht bemerken.“ Sie wandte sich von den geschockten Drachen ab und ging los, um sich den russischen Damen vorzustellen, als Kenny von den Treppen her kam.   „Warte! Mit wem ist Kai zusammen!“, verlangte Tyson von niemandem bestimmtes und dann starrte er erstaunt den Phönix an, der mit geschlosenen Augen gegen die Wand lehnte, und dann ruckte Tysons Blick zurück zu dem Falken, der ihn anknurrte. „Kai ist mit BRYAN zusammen!“, kreischte er.   Bryan bleckte die Zähne.   Tyson stieß einen kurzen Schrei aus und hechtete in Sicherheit hinter Hilary.   Bryan schlug erneut mit seiner Faust in seine Handfläche. „Wart's nur ab, Granger, ich krieg' dich noch in die Finger.“   „Das wirst du sicherlich nicht“, sagte Kai fest, „du wirst ihn nicht verletzen, verstanden?“   „Wer hat denn irgendwas von verletzen gesagt?“ Der Falke lachte wahnsinnig. „Ich werde den Irren einfach umbringen!“   Kai öffnete den Mund um zu antworten, doch eine Bewegung am Kopf der Treppe ließ die Worte in seinem Hals feststecken, Tala stand da und blickte auf sie alle herunter; der ganze Raum erstarrte. Die Halle war mucksmäuschenstill, abgesehen von Talas Schritten, als er die Treppen herabschritt; er war der einzige von ihnen, der nicht in einem schicken, schwarzen Anzug gekleidet war. Stattdessen trug er einen Pullover und Jeans; eine Hand war in seine Tasche gestopft, während die andere nutzlos an seiner Seite hing.   Er erreichte das untere Ende der Treppen und schaute jeden, der ihn anstarrte, finster an. Er sah zu Kai. „Ich dachte, ihr wärt schon weg.“ „Wir gehen gerade.“ Kais Stimme war frostig und gepresst; er hatte Tala nicht vergeben, noch längst nicht. Talas Verrat konnte Kai fast schon vergessen, aber der Fakt, dass Tala Ray als Werkzeug für sein eigenes Spiel gebraucht hatte, machte ihn rasend; er erdolchte den Wolf mit seinen Blicken, der der kritischen Atmosphäre desinteressiert gegenüber stand.   Stattdessen fragte er mit emotionsloser Stime: „Irgendwelche Neuigkeiten über die Abtei?“   „Keiner kann erklären, warum sie niedergebrannt ist“, antwortete der Phönix, seine Stimme wie Eis in der messerscharfen Umgebung. „Sie haben Boris' verkohlten Körper gefunden, aber die Polizei scheint zu denken, er wurde mehrfach in verschiedenen Teilen seines Körpers angeschossen, bevor er zurückgelassen wurde, um bei lebendigem Leib zu verbrennen.“   „Ich verstehe.“ Kai und Tala tauschten einen Blick aus. „Vielleicht finden sie eines Tages den Schuldigen.“   Kais Lippen kräuselten sich, doch er sagte nichts weiter, als Tala aus der Eingangshalle zu der Tür ging, die in einen der Aufenthaltsräume führte; der Phönix beobachtete ihn, während sich die Eingangstüren öffneten und ein Bediensteter ankündigte, dass ihr Auto bereit war, um sie zur Kirche zu bringen.   Während sich die anderen bewegten und sich untereinander unterhielten, Max mit den beiden Damen an seinen Armen, folgte Kai Bryan und stoppte beim Türrahmen, der in den Aufenthalsraum führte. Tala war neben einem Sofa stehen geblieben, auf welchem die einzige andere Person lag, die nicht an der Beerdigung teilnehmen würde.   Ray schlief mit seinem langen, schwarzen Haar um ihn verteilt; sein Gesicht war blass, doch er heilte schnell und war bereits am Vortag aus dem Krankenhaus entlassen worden. Seine Augen öffneten sich, als Talas Anwesenheit seinen Schlummer störte; er streckte sich und lächelte sanft, als der Wolf sich herunter lehnte, um seinen Mund zu fangen. Rays Hand griff etwas von dem roten Haar und zog den Wolf nach unten, als ihr Kuss hungriger wurde und der Rotschopf auf den Neko-Jin kletterte.   Der Tiger beschwerte sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen, als sein Rücken nach unten gedrückt wurde, doch das wurde konsquent ignoriert, als Tala erneut nach unten reichte, um den Mund des Tigers zu beanspruchen; Kai blickte mit versteinertem Gesicht zur Seite. Er konnte Tala nicht vergeben. Niemals. Und trotzdem war Ray der, der beinahe gestorben war, der angschossen worden war, nur, um den Wolf zu retten. Er konnte dem Wolf so einfach vergeben und Kai konnte das nicht.   Der Phönix seufzte leise und ging davon, das Paar im Aufenthaltsraum alleine lassen; als er nach draußen auf den schneebedeckten Boden trat, wurden die Eingangstüren hinter ihm geschlossen und Kais Atem stieg in der frischen, kalten Luft nach oben auf. Die Sonne stand über ihnen und der Schnee funkelte im Licht; unten bei den Treppen warfen Tyson und Daichi mit Schneebällen, Hilary quietschte und hetzte eilig zu dem Auto, und dann quietschte sie erneut, als sie kopfüber mit Max und seinen Zwillingen zusammenstieß.   Ein Schatten fiel über ihn und Bryan erschien an Kais Seite; er blickte seitwärts zu Kai und dann herunter auf die Bladebreakers mit einer Mischung aus Ekel und Arroganz. Er kämpfte wütend mit seiner Krawatte und zog sie dann ab, warf sie auf den Boden und drehte sich dann wieder zu dem Phönix um, der schweigend dastand und sein Team beobachtete.   Ein Ausdruck des Verlangens huschte über Bryans Gesicht, der Rand von Kais Mund in Seitenansicht und der scharf geschnittene Kiefer; doch Kais Regel war, dass kein physischer Kontakt außerhalb des Schlafzimmers geschah. Es war eine Regel. Doch Bryans Meinung nach wurden Regeln gemacht, um gebrochen zu werden; es war nur eine Frage des Wartens. In der Zwischnzeit hatte der Falke ein Hühnchen zu rupfen.   Er grunzte und sagte grimmig: „Warum ist Tala immer noch hier?“   „Stört dich seine Anwesenheit?“   „Natürlich tut sie das! Er ist ein Verräter!“   „Das habe ich nicht vergessen.“   „Dann verstehe ich wirklich nicht, warum seine Anwesenheit dich nicht stört!   Kai schürzte die Lippen und biss für eine Sekunde die Zähne zusammen, bevor er mit ruhiger Stimme Antwortete: „Was Tala getan und nicht getan hat, habe ich weder vergessen noch vergeben. Aber“, er hielt inne und wählte seine nächsten Worte sorgfältig aus, „ich weiß, dass es Ray belasten würde, wenn ich Tala rausschmeiße und ich bin mir ziemlich sicher, dass Ray Tala folgen würde, was ich nicht will.“   „Lass mich das nochmal klarstellen“, sagte der Falke mit einem relativ anggressiven Tonfall, „du sagst mir, dass der Verräter nur hier ist, um die Bedürfnisse dieses fotzenknechtigen, arschgepeitschen idealistischen Idioten zu befriedigen!“   „Deine Fähigkeit des Verstehens, Bryan, erstaunt mich immer wieder auf's Neue“, erwiderte Kai kühl, „und hör' auf, Ray zu beleidigen, er ist ein Freund.“   „Er ist nicht mein Freund!“, keifte Bryan.   „Nein“, gab der Phlnix nach, „allerdings gehört dieses Anwesen auch nicht dir.“   „Also bleibt Tala hier?“   „Ja, Bryan, Tala bleibt, ob wir mögen oder nicht.“   „Aber das ist nicht fair, was ist mit meinen Gefühlen?“   „Ich dachte, du hättest keinerlei Gefühle oder Emotionen“, antwortete Kai und wandte den Kopf, um den Falken anzuschauen.   Bryan schniefte beleidigt. „Alles außer Wut“, erwiederte er und verschränkte die Arme.   „Natürlich, wie konnte ich das nur vergessen?“, murmelte der Phönix vor sich hin, als er anfing, die Treppen zum Auto hinabzusteigen.   „Ich könnte Tala auch einfach töten“, schlug der Falke vor, als er folgte.   „Du wirst Tala nicht umbringen.“   „Nein“, stimmte Bryan zu, „ich werde ihn foltern, in eine Kiste stopfen und lebendig vergraben.“   „Das wirst du auch nicht tun.“   „Verdammt, Hiwatari! Nie lässt du mich irgendwas machen!“   „Du willst etwas machen? In dem Fall kannst du dich für die nächsten fünfzig Jahre in einen Stuhl setzen, schweigend und unbeweglich.“   „Wo liegt der Sinn darin?“   „Ich hätte endlich meine Ruhe vor dir.“   „Oh, also bin ich lästig, ja? Ich vermute, du bist nicht an irgendwelchen nächtlichen Aktivitäten interessiert.“   „Sag so etwas unpassendes bei der Beerdigung meines Vaters und ich höchstpersönlich werde dich an seinem Stuhl festkleben.“   „Was meinst du mit unpassend? Du meinst so etwas wie, „Lass es uns lautstark in der hintersten Reihe tun, während der Priester weiter über die Wunder des Lebens schwafelt?““ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)