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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 81 - Each Of Their Battles (1)

Turn 81 – Each Of Their Battles (1)

 

 

Das Wasser schwappte beinahe über den Rand der Wanne, als Anya so tief darin untertauchte, dass nur noch ihr Gesicht aus der Decke voller Schaum hervorragte. Die Mundwinkel hingen ganz tief unten und drohten zu ertrinken.

Zu baden war das Erste, was Anya wollte, nachdem sie ohne Logan ins Hotelzimmer zurückgekehrt waren. Matt hatten sie nicht mehr angetroffen, aber er hatte eine Nachricht hinterlassen, in der er schrieb, dass er Harris als fünften Hüter in Erwägung zieht und sich abermals daran machte, ihn und seine Freundin Edna zu finden.
 

Anya tauchte noch weiter unter, damit sie mit dem Mund Blasen des Schmollens pusten konnte.

Bestand also die Möglichkeit, dass ihr am Tag von Redfields Hochzeit nicht gleich ein, sondern zwei Hüter durch die Lappen gegangen waren? Verdammter Kackmist, wie unfair war das!? Allerdings war es merkwürdig genug, dass beide ausgerechnet in ihre Arme gelaufen kamen.

 

Doch auch wenn Anya sich mit diesen Gedanken abzulenken versuchte, war es eigentlich Logan, über dessen Lage sie sich seither den Kopf zerbrach. Inzwischen musste die Polizei ihn doch ausgequetscht haben wie eine rohe Tomate. Saß er hinter Gittern? Wie hoch war die Kaution? Was für eine Strafe folgte auf so schwerer Sachbeschädigung?

Und warum hatte er das getan? Sich selbst beschuldigt, statt die Wahrheit zu sagen und sie dafür verantwortlich zu machen. Zanthe hatte ihr gesagt, dass er als Besitzer des D-Wheels ohnehin eine Teilschuld bekommen würde, weil ein potentieller Diebstahl des Motorrads seitens Anyas nicht nachweisbar war, aber gleich die ganze Schuld auf sich zu laden? Sie verstand es nicht. Oder wollte es nicht. Denn wenn sie so darüber nachdachte, tat es weh, jemanden zu kennen, der so viel für sie tat. Jemand, der nicht ahnte, welch schreckliche Dinge sie schon vollbracht hatte oder noch würde.

Anya fühlte sich, als hätte sie Logans Freundschaft nicht verdient, denn sie konnte sich nicht erinnern, ihm irgendwann mal einen Gefallen getan zu haben. Immer war er es gewesen, der ihr aus der Patsche geholfen hatte, nicht umgekehrt.
 

Der Blick des Mädchens festigte sich, sie tauchte mit dem Kopf wieder auf. Das blonde, nasse Haar lag ihr offen über den Schultern.

„Levrier?“
 

Ja?

 

Der Edelsteinritter tauchte zu ihrer Linken auf, sitzend auf dem Waschbecken des kleinen Badezimmers, dessen Lichtquelle nur gedämpft leuchtete. Anya sah ihn nicht an, sondern blickte stur geradeaus zur weiß-gefliesten Wand gegenüber.

„Wir müssen Logan da rausholen. Irgendwie.“

 

Ich fürchte, das wird nicht so einfach. Das Rechtssystem hat ihn erfasst. Du kannst ihn nicht ohne Weiteres wieder dort herausreißen, ohne dass noch schlimmere Konsequenzen entstehen.

 

Anya schluckte. Ihr Freund hatte Recht, wie so oft. Erstickt erwiderte sie: „Aber ich habe vielleicht … habe vielleicht … sein Leben ruiniert.“
 

Nein, diese Entscheidung hat er selbst getroffen. Wir sollten Nick Harper um Hilfe bitten.

 

Doch Anya fuhr weiter in ihrem gebrochenen Tonfall fort. „Was soll der schon tun? Wie du selbst sagtest, Nick kann nicht aus der Welt schaffen, was schon jeder weiß. Außerdem hasst er Logan. Ich glaube er hasst all meine Freunde und Bekannte. Wieso sollte er etwas für ihn tun?“

 

Weil er es für dich tut. Deswegen solltest du dich nicht sorgen, Anya Bauer. Vergiss nicht, es existieren Kameraaufnahmen des Ganzen, die ganz klar zeigen, von wem die Zerstörung herrührt. Wenn Logan Carter fällt, dann Claire Rosenburg und ihr Manager mit ihm.

 

Die warmen Worte spendeten Anya in der Tat ein wenig Trost, vermochten das schlechte Gewissen aber nicht zu unterdrücken. Sie musste sich trotzdem etwas einfallen lassen. Irgendwas …

 

~-~-~

 

Nachdem Anya ihr Bad nach fast einer Stunde beendet hatte, suchten sie und Zanthe, der seltsam nervös war, ein bekanntes Fast Food-Restaurant auf, um das Frühstück nachzuholen, welches sie durch das Riding Duell verpasst hatten.
 

Die Blonde ahnte nicht, dass ihr Freund ebenso von einem schlechten Gewissen geplagt wurde wie sie, denn ihm tat der LKW-Fahrer leid, dessen Wagen er und Exa sich 'ausgeliehen' hatten. Letzterer hatte sich von ihm getrennt, als Zanthe Anya direkt gefolgt war, um die Sache in Ordnung zu bringen. Doch bei dem Chaoten befürchtete der Werwolf, dass er alles nur noch schlimmer machen würde.

 

Während sie beide an einem roten Tisch neben der Wand saßen, schwiegen sie sich die meiste Zeit über nur an. Wechselten ab und zu ein Wort, als im Fernseher hinter Anya Berichte über das Turnier liefen oder als Anya voller schlechter Laune einem anderen Besucher des Schnellrestaurants beim Vorbeilaufen ein Bein stellte, nur um sich dann zuckersüß zu entschuldigen.

Was Zanthe sehr amüsant fand. „Das eben war aber gar nicht deine Art.“

„Was?“, brummelte die und schob eine Fritte in sich hinein.

„Einen auf Versehen machen. Sonst hättest du den Kerl noch beschuldigt, mit Absicht über deinen Fuß gestolpert zu sein.“ Natürlich interessierten ihn Anyas schlechte Angewohnheiten nur mäßig, aber irgendwie musste er endlich zu dem Thema kommen, das ihm neben Exas Fehltritt keine Ruhe ließ.

Anya, ahnungslos wie eh und je, zuckte mit den Schultern. „Mag sein.“

„Sag bloß, da will an seinen Manieren feilen? Hat das was mit Logan zu tun?“

„Hör auf, Flohpelz“, murrte Anya mit finsterem Blick und tunkte eine weitere Fritte in die Ketchuplache auf dem Tablett vor ihr. „Das ist nicht witzig.“

Der zuckte mit den Schultern. Dumme Anya. Hatte sie angebissen, ohne es überhaupt gemerkt zu haben. „Stimmt schon. Ich merk doch, wie es in dir rattert. Was denkst du gerade?“

„Uh-!“

Ihr Gegenüber aber fuhr ihr schamlos übers Wort. „Du nimmst ihm das doch bestimmt auch nicht mehr ab, oder? Diese ganze 'I save Anya'-Nummer.“

Ebenjene spitzte die Ohren, verharrte mit dem Kartoffelstäbchen in ihrer Hand im Ketchup. „Huh?“

Die Arme hinter dem Hinterkopf verschränkend, lehnte Zanthe sich auf der gepolsterten Bank zurück. „Ach komm schon, so naiv kannst doch nicht mal du sein.“

„Willst du ihm etwa immer noch unterstellen, dass-!?“

Wieder schnitt ihr der Werwolf ins Wort, diesmal verärgert. „Nein, ich will nur sagen, dass-!?“

Ruckartig beugte sich Anya nach vorne. „Dass was!? Er irgendwelche Absi-!?“

„Dass er-!“

„Fahr mir nicht dauernd ins Wort!“

„Lass du mich doch erstmal ausreden, Anya!“

Woran jene aber nicht im Traum dachte. „Verdammt, Flohpelz, dann komm endlich zum Punkt!“

 

„Welcher normale Mensch würde nach dieser Katastrophe von Turnier auch noch den Kopf für dich hinhalten“, keifte Zanthe erhitzt zurück, „und die Betonung liegt dabei auf 'für dich'.“

Anya ballte beide Hände zu Fäusten, die prompt auf den Tisch gehämmert wurden. „Was soll das jetzt heißen!? Dass ich es nicht wert bin-!“

„Es soll heißen, dass da definitiv mehr im Spiel ist als ein 'normaler Mensch'!“, nahm Zanthe ihr sofort den Wind aus den Segel.

Selbstverständlich würde er ihr niemals zugestehen, dass auch er fand, dass sie durchaus 'rettenswert' war. Nicht jetzt, vermutlich auch nicht in naher Zukunft. Sie sollte endlich ihren Staub fangenden Hohlschädel benutzten!

„Denk doch mal nach. Was für eine Sorte Mensch würde so etwas tun?“, versuchte er, genau dies mit ruhigerer Stimme zu erreichen.

Sein Gegenüber zuckte verstimmt mit den Schultern. „Was weiß ich, Freunde?“

Darüber konnte der Werwolf jedoch nur die Augen verdrehen. Und begann mit den Fingern aufzuzählen. „Er schenkt dir sein D-Pad. Er schenkt dir sein Deck. Er schenkt dir sein D-Wheel. Und er schenkt dir seine Freiheit.“

Demonstrativ zeigte er ihr den kleinen Finger seiner Hand, welcher noch gegen die Handfläche gepresst war. „Was wird er dir als Nächstes schenken, sein Leben? Also für mich kommt da nur eine Erklärung infrage.“

„Und die wäre!?“, verlangte Anya zu wissen und machte die Fritte in ihrer Hand schon wurfbereit.

„Aus einem mir völlig schleierhaften Grund steht er auf dich.“

Welche daraufhin flog, wie noch nie eine Fritte geflogen war. Und Zanthe fing sie geschickt mit dem Mund auf, um sie genüsslich zu verspeisen. Zumindest bis er merkte, dass sie bereits eiskalt war. „Igitt!“
 

Als er aber Anyas betrübten, abwesenden Blick sah, erkannte er, dass er sie mit seiner Theorie lieber zu einem besseren Zeitpunkt konfrontieren sollte. Und doch würde er zu gern wissen, wie sie zu dem Thema stand.

„Wer weiß“, murmelte sie schlechten Gewissens, „wenn ja, ist er auf jeden Fall bekloppt.“

„Amen.“

„Es ist nicht viel, aber ich habe überlegt, meine Preiskarte zu verkaufen. Die aus dem Turnier. Damit könnte ich vielleicht die Kaution bezahlen.“

Zanthe bedachte das Mädchen eines mitleidigen Lächelns. „Das ist unverhältnismäßig nobel von dir, aber glaubst du wirklich, dass das reichen wird? Solche Karten bringen vielleicht 1.000$ ein, mehr nicht.“

„Woher willst du das wissen!?“, schnappte Anya beleidigt.

Und erntete gleich noch einen altklugen Blick obendrauf. „Weil -ich- meine Pausen genutzt habe, um die Duell-Zeitschriften zu lesen, die du in -deinen- Pausen einsortieren musstest, schon vergessen?“

Einen Moment sah das Mädchen ihn tatsächlich an, als wüsste sie nicht, dass er von ihrem eigentlichen Job sprach, der einer Kartenverkäuferin in Mr. Palmers Laden. Versöhnlich fügte er hinzu: „Anya, das ist lieb von dir, aber der falsche Weg. Die Karte ist eine Erinnerung an das, was du schon erreicht hast. Du solltest sie nicht verkaufen. Nicht, wenn du einen Freund hast, der dir praktisch die 'Du kommst aus dem Gefängnis frei'-Karte drucken kann.“

Dass Anya nicht begeistert von dem Gedanken schien, Nick um Hilfe bitten zu müssen, konnte Zanthe nachempfinden. Warum genau das so war, wollte sie ihm nicht verraten, was letztlich auch nicht wichtig war, solange auch ihr langsam ein Licht aufging, dass ihr Freund ein 'wenig' paranoid war. Wenngleich dies viel weniger der Fall war als sie tatsächlich ahnte …

„Ich halt's nicht mehr aus. Wir müssen mit Logan reden!“, entschied Anya und sprang auf.

Zanthe zuckte mit den Schultern. „Wir haben noch genug Zeit. Wenn Demon McCheatking uns schon zu sich einlädt, wird er wohl kaum weglaufen.“

„Dem würd' ich alles zutrauen“, knurrte die Blonde säuerlich, „der wird nicht wissen, wie ihm geschieht, wenn wir beide heute Abend seine Bude auf den Kopf stellen!“

 

~-~-~

 

Der nächste Tagespunkt auf Anyas To-Do-Liste sah vor, Logan vom Polizeipräsidium abzuholen, wohin dieser abgeführt worden war. Wie ein freundlicher, junger Polizist ihr jedoch schon im Eingangsbereich mit Nachdruck klar machte, würde sie ihren Freund so schnell nicht zu sehen bekommen. Denn dieser konnte sich die angesetzte Kaution nicht leisten. Und schon gar nicht Anya.

 

So stand sie mit der gefürchteten Anya Bauer-Premium-Wut vor dem eierschalenfarbenen großen Gebäude und wusste nicht weiter. Neben ihr Zanthe, der sie bei der Diskussion mit dem blöden Bullen nicht mal unterstützt hatte, wo er doch sonst so schlagfertig war.

„Scheiße!“, fluchte Anya.

„Hast du wirklich geglaubt, ihn da so schnell rausholen zu können?“, fragte der Werwolf und betrachtete dabei interessiert das außer Betrieb genommene Münztelefon vor dem Polizeipräsidium. „Warst du das?“, wollte er mit Fingerzeig auf den herabhängenden Hörer wissen.

„Nein“, log Anya auf die zweite Frage hin, da sie die erste ungern bejahen wollte. „Und jetzt?“

„Muss er warten, bis Nick das regelt.“

Anya schnaubte. „Das ist mir auch klar! Aber was dann?“

Ihr Freund wandte sich ihr zu. Irgendwas an seinem nachdenklichen Gesichtsausdruck gefiel dem Mädchen ganz und gar nicht. Und ihr Gefühl sollte sich bestätigten, als der Werwolf den Kopf schüttelte. „Anya, es sieht ganz schlecht aus. Du hast es eben nicht mitbekommen, aber ich, dank meiner spitzen Lauscher. Videomaterial, das beweisen könnte, dass du und nicht Logan sich mit jemanden duelliert hat, ist nicht vorhanden.“

„Was soll das heißen!? Ich dachte, die Strecken werden mit Videokameras überwacht!?“

„Werden sie auch, aber die Aufnahmen fehlen.“ Der Kopftuchträger trat einen Schritt zurück und legte eine Hand an sein Kinn, betrachtete den Boden, als wäre dort irgendetwas wahnsinnig Interessantes zum Vorschein getreten. „Und es gibt bisher keine Zeugen, die gesehen haben, was da abgegangen ist. Da hat jemand ganze Arbeit geleistet.“

„Das gibt’s doch nicht!? Zanthe, was machen wir jetzt!?“

„Ohne Beweise … erstmal gar nichts, fürchte ich.“

Anya zuckte hilflos mit den Schultern, hob nach einer Erklärung suchend die Hände. „E-es war früh am Morgen, die meisten haben noch geschlafen, a-aber …“

„Aber sicher nicht alle. Auch zu dieser Tageszeit sind schon Menschen unterwegs“, bekam sie ob ihrer Panik eine zustimmende Antwort. „Denk doch mal nach. Videomaterial würde Claire belasten, da man sie anhand ihrer Monster und ihres D-Wheels erkennen würde. So entschieden, wie dieser Nigel versucht, ihre reine Weste zu wahren, hat er bestimmt seine Finger im Spiel.“
 

Das Mädchen schluckte. Hatte dieser Typ irgendeinen Dämonenzauber über die Strecke gelegt, damit niemand etwas von dem Duell mitbekam? Wenn ja, hatten weder sie noch Levrier etwas davon bemerkt. Was hieß, dass dieser Freak noch viel mächtiger war als sie geglaubt hatte.

 

Zanthe sah zu seiner Freundin auf. „Tut mir leid, dir das so zu sagen, aber Logan hat sich sein eigenes Grab geschaufelt. Er hat gestanden, vermutlich in dem Glauben, das Videomaterial würde ihn zumindest teilweise entlasten. Aber da es im Moment weder Zeugen noch Beweise gibt, dass noch jemand anderes mit von der Partie war, ist er derzeit-“

„Halt!“ Anya wusste, was er ihr damit zu sagen versuchte. Aber sie wollte es nicht hören. Panisch versuchte sie etwas zu finden, das Logan entlasten könnte. „A-aber du hast das Duell doch auch beobachtet, oder nicht? Wenn ja, muss es doch noch andere Menschen gegeben haben.“

„Hmm.“

„Und sag mir nicht, es liegt daran, dass wir übernatürliche Fähigkeiten haben!“, setzte Anya nach.

Ihr Gegenüber drehte sich von ihr weg, grübelte einen Moment vor sich hin, ehe er sich wieder an die Blonde richtete. „So plump die Idee dahinter ist, vielleicht ist genau das der Grund.“

„Aber“, versuchte sie trotzdem noch mit ausgebreiteten Armen zu widersprechen, „das ist doch nicht definitiv. Vielleicht hat sich bisher nur niemand bei den Bullen gemeldet.“

Zanthe seufzte schwer. „Anya … wie lange denkst du braucht der Durchschnittsbürger, um bei der Polizei durchzuklingeln, wenn vor seiner Nase ein ungenehmigtes Riding Duel stattfindet?“

Betreten wich sie daraufhin seinem Blick aus. „Die Bullen sind doch gekommen …“

„Weil die verdammte Strecke eingestürzt ist! Das merkt jeder, ob er nun getäuscht wird oder nicht.“

 

Wie es aussieht, gibt es momentan keine Möglichkeit zu beweisen, dass Claire Rosenburg ebenfalls Teil des Duells war. Wenn man bedenkt, dass Nigel McPherson vermutlich geplant hatte, dich dafür verantwortlich zu machen, wäre es für ihn nicht mehr von Nöten gewesen, dich durch einen Kampf aus dem Weg zu räumen.

 

Levrier erschien zwischen Anya und Zanthe, verschränkte die Arme.

„Also können wir im Moment nichts tun?“, fragte Anya verzweifelt. Die beiden anderen nickten.

„Kch!“ Mit geballter Faust wirbelte sie herum. „Die sperren den Zwerg einfach ein und …“

„... trotzdem ist er die Gelassenheit in Person“, beendete der Werwolf hinter ihr den Satz auf etwas andere Weise als angedacht.

„Weil er weiß, dass ich ihn da irgendwie herausholen werde!“

„Wie denn? Willst du die Zeit zurückdrehen und sein Geständnis ungeschehen machen? Oder einen Handel mit dem Sammler schließen?“ Zanthe konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Falls du es vergessen hast: Dir geht die Lebenszeit aus, die du ihm aufschwatzen kannst. Und deine Seele wird er bestimmt nicht haben wollen.“

 

Der Sammler, dachte Anya fieberhaft. Wenn es hart auf hart kam, könnte der tatsächlich noch etwas daran drehen. Ihr schlimmster Feind … bloß was blieb ihr für eine Wahl? Die wollten Logan hinter Gitter bringen, vielleicht für immer! Das mussten immerhin Schäden in Millionenhöhe sein, die da entstanden waren, da kam er nicht mal eben mit ein paar Sozialstunden und einem Bußgeld davon!

Sofort überlegte sie, was sie dem Sammler anbieten könnte. Ihre Seele? Oder etwa ihren Namen, wie Redfield es getan hatte, um Marc wieder ins Leben zu holen?

Nein, rügte sie eine warnende Stimme in ihrem Kopf, der Sammler hatte sie schon einmal über den Tisch gezogen. Er war an allem hier schuld! Bat sie ihn um Hilfe, würde er noch mehr Macht über sie gewinnen, sie würde nie frei sein!

 

Entschlossen wirbelte Anya zu Levrier und Zanthe um. „Wir werden dafür sorgen, dass dieser Dreckskerl Nigel die Verantwortung dafür übernimmt, klar?“

Ihr Freund, der gerade sein blaues Kopftuch zurecht zupfte, nickte. „Keine Frage, ich helfe dir dabei, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Aber selbst er wird wohl nicht alles einfach so ungeschehen machen können.“

Wieder ballte Anya eine Faust, die sie diesmal langsam anhob. Versprach düster: „Aber er wird sich wünschen, dass er es könnte. Und dann wird er sich wünschen, dass er es kann, egal zu welchem Preis, egal bei wem er diesen Wunsch auch äußern wird.“

Zanthe sah herüber zu Levrier, welcher mit Nachdruck den Kopf schüttelte. Doch keiner der beiden wagte es, dem wütenden Mädchen zu widersprechen.

 

~-~-~

 

Die Wege der beiden trennten sich schließlich. Zanthe verabschiedete sich mit der Erklärung, noch etwas erledigen zu müssen, bis zum Abend. Matt indes war mit Valerie losgezogen, um seinen Nachforschungen nachzugehen. Dass ausgerechnet ihre Erzrivalin sich ganz plötzlich auch für solche Angelegenheiten interessierte, irritierte Anya zwar, doch war sie zu müde, um das Ganze zu hinterfragen. Schon gar nicht, da Redfield bereits einen Plan austüftelte, ihren Vater um Hilfe bei der Suche nach Harris und Edna zu bitten. Was wohl sicher nicht ganz uneigennützig war, wenn man bedachte, wer ihre Hochzeit gecrasht hatte.

 

So entschied Anya letztlich, sich noch ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen, bevor der Kampf Anya Bauer und Fuzzy McFlohpelz VS Claire Cheatingburg und ihrem Pimp Demon in die nächste Runde ging.

Doch ihr Schlaf war unruhig. Albträume von Logan, den sie nie wieder sehen würde, plagten das Mädchen, welches an ihrem eigenen Sterbebett stand und zusehen musste, wie sie dahinsiechte, ohne ihren Freund noch einmal wiederzusehen. Oder sie fiel einfach nur in ein endloses Loch.

 

Als Anya schließlich erwachte, geschah dies jedoch nicht durch das Ende ihrer Träume. Etwas klirrte in der Ferne, dann knackte es neben ihr. Die Blonde fuhr hoch. Es war inzwischen dunkel geworden.

Es dauerte einen Moment, ehe Anya, die von der grellen Werbung an der Front des Wolkenkratzers gegenüber geblendet wurde, sich an die Lichtverhältnisse gewöhnte. Doch gleich das Erste, was sie sah, ließ sie augenblicklich auffahren. Ein Riss, direkt im Fenster, nicht breiter als eine halbe Hand.

„Scheiße“, keuchte sie beim Anblick des gebrochenen Glases. Und sah neben sich, wo in der Wand eine Duel Monsters-Karte steckte.
 

Sie ist eben wie ein Pfeil durch das Fenster geschossen. Dort drüben ist jemand, Anya Bauer!

 

Jene rappelte sich auf, eilte vom Bett zum Panoramafenster und sah sofort, was Levrier meinte. Dort, auf dem Rand der Werbeanzeige von Claire Rosenburg, stand eine düstere Gestalt. Jene verharrte still auf der Stelle, bis ein ovales, schwarzes Portal sich neben ihr öffnete und sie darin verschwand.

„Kali!?“, keuchte Anya, die glaubte, in der Person ihre geschworene Feindin erkannt zu haben.

Augenblicklich rannte sie zurück zu ihrem Bett in der Ecke des Zimmers und riss die Karte aus der Wand. Doch jene war an der Front komplett weiß, während der Kartenrücken seine normale, braune Färbung besaß.

In den Händen hielt sie eine kurze Botschaft, geschrieben in krakeligen Lettern.

„Die Zeit ist gekommen. Triff mich heute um Mitternacht im Ephemeria Bridge Stadium, alleine“, las Anya vor. „Das war eindeutig Kali!“

 

Auch wenn ich davon ausgehen sollte, dass du es selbst weißt: Das ist eine Falle.

 

„Yeah. Und ich hab schon was anderes vor.“ Anya dachte an Nigel, der seine Bestrafung momentan dringender brauchte als diese blöde Ziege.

Trotzdem fragte sich das Mädchen, was ihre Feindin dazu bewogen hatte, sie gerade jetzt herauszufordern. Bisher hatte sie immer Zachariah vorgeschickt oder Nick als Sündenbock missbraucht, statt sich ihr selbst zu stellen. Dieser Einladung nachzugehen hieße, vielleicht mehr über die Beweggründe von Kali zu erfahren. Nicht, dass Anya daran Interesse hätte …

 

Als wenig später Zanthe zurückkam, zeigte sie ihm die Karte.

„Das ist eine Falle“, meinte er, noch im Türrahmen stehend. „Um die Uhrzeit ist dort keiner. Da kann sie mit dir machen was sie will.“

Er gab ihr die Einladung zurück. Erst jetzt, im Licht der Deckenbeleuchtung, fiel Anya auf, dass die Oberseite der Karte nicht natürlich weiß war, sondern Artwork und Effektbox entfernt worden waren. Merkwürdig.

„Ich weiß“, nickte sie auf den Einwand hin, „aber ich habe mir überlegt …“

„Oh nein!“

„Lass mich ausreden, verdammt!“ Anya schnaufte. Sie wusste, dass ihm nicht gefallen würde, was sie gleich sagen würde. „Ich gehe hin. Mag ja sein, dass wir dort ungestört sind, aber irgendwann muss ich sie doch loswerden.“

Zanthe ließ seinen Finger um die Schläfe kreisen. „Na klar, ungestört. Dein Bruder wird bestimmt nur auf der Bank sitzen und zusehen. Und was wird aus Nigel?“

„Du gehst hin.“

„Ich!?“, wiederholte Zanthe und fasste sich ungläubig mit beiden Händen auf die Brust. „Alleine!?“

„Yeah, wieso nicht? Ich geb' dir den Handschuh, damit du das Artefakt bekommst und ihm eine fegen kannst, dann brichst du ihm solange Knochen, bis er Logan entlastet und gut ist.“ Für Anya klang es wie eine Selbstverständlichkeit. Sie schlenderte zu ihrem Koffer vor der Bettkante, in dem irgendwo das Handschuhpaar lag. „Du wirst schon damit fertig, immerhin bist du fast so gut wie ich.“

„Der Sinn dahinter war aber, dass wir ihn zu zweit stellen“, beklagte sich der Werwolf und eilte ihr nach. „Die sind auch mindestens zu zweit, schon vergessen?“

 

Schlagartig wirbelte Anya herum. Doch statt wie sonst aufgrund gewohnten Widerstands die Beherrschung zu verlieren, blickte sie Zanthe auf eine Art an, die ihn für einen Moment glauben ließ, dass sie ihm wirklich vertraute.

„Yeah, wir sind in der Unterzahl. Und ehe wir Summers und Redfield finden, hat sich der Zwerg aus seiner Zelle gebuddelt.“ Sie sah zur Seite, aus dem Fenster. „Außerdem will ich die beiden da raushalten, besonders Redfield. Aber wenn ich Kali nicht zuvor komme, tut sie euch irgendwann noch was an. Spätestens wenn ihr die Sachen ausgehen, die sie mir klauen kann.“

Zanthe folgte ihrem Blick, welcher an Claires Werbung haften blieb. „Ich verstehe, dass du dem nachgehen willst. Aber denkst du wirklich, dass du ihr gewachsen bist? Wir wissen viel zu wenig über sie.“

„Ich bin ja nicht ganz allein. Levrier ist noch da.“

Seufzend wandte der Schwarzhaarige sich ihr wieder zu. „Du hast es dir doch ohnehin schon in den Kopf gesetzt, also hab ich keine Wahl, oder?“

„Nicht wirklich“, grinste Anya keck.

„Also gut. Und was soll ich machen? Denk dran, die sind beide Hüter.“

 

Dass Anya jedoch eine genaue Vorstellung davon hatte, was er alles mit den beiden anstellen sollte, überraschte Zanthe wenig. Doch ihr Hinweis, Claire mit anderen Mitteln als einem Duell auszuschalten, war gar nicht so dumm. Dann bliebe nur noch Nigel, von dem sie auch zu wenig wussten.

Andererseits, so gluckste Zanthe in sich hinein, war Anya nicht die Einzige, die mit einer unsichtbaren Begleitung unterwegs war.

 

So setzten die beiden ihren, wie sie zugeben mussten, nicht ganz so gut durchdachten Plan in die Tat um. Anya bestellte sich ein Taxi und ließ sich zum riesigen Stadion fahren, in dem die Vorrunden des Turniers stattgefunden hatten. Auf einer künstlichen Insel inmitten der Stadt gebaut, konnte man es nur über eine lange Brücke betreten. Das ovale, metallische Stadion unbemerkt zu betreten würde nicht einfach werden, aber Anya besaß gewisse Erfahrungen, was das unbefugte Betreten öffentlicher Gebäude anging.

Zanthe seinerseits musste noch auf seinen eigenen Fahrer warten …

 

~-~-~

 

… neben dem er kurze Zeit später auf dem Beifahrersitz eines „geliehenen“ roten Aston Martins saß. Wo auch immer Exa diesen aufgetrieben hatte. Jener saß am Steuer und grinste breit, den Blick konzentriert auf die Lichtkegel der Scheinwerfer fixiert. Es war stockdunkel draußen, sie fuhren über eine Straße, zu deren Rechten sich ein Wald auf einem Hügel erhob.

„Langsam werd' ich richtig gut darin“, gluckste Exa.

„Im Fahren oder im Stehlen?“, fragte Zanthe neckisch, klang dabei aber eher gelangweilt.

„Wir geben es doch zurück. Wo ist das Problem?“

„Ich habe kein Problem damit. Aber du auch nicht. Und das ist das Problem.“

Sein Freund mit den blonden Braids gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Für dich sieht es so aus, als würde ich jemandem etwas wegnehmen. Das ist okay, hier wird das schließlich als Diebstahl betrachtet.“

„Und da, wo du herkamst, war das anders?“, wollte Zanthe neugierig wissen.

„In gewisser Weise schon.“ Sein Freund nickte dabei. „Fahrzeuge waren für uns zweckmäßig. Sie haben niemandem gehört, sondern wurden benutzt, wenn sie gebraucht wurden. Das galt für Vieles. Aber es gab trotzdem auch private Besitztümer.“

Der Werwolf starrte aus dem Seitenfenster und schmunzelte. „Klingt, als wäre alles sehr harmonisch gewesen.“

„War es auch. Streit gab es selten und wenn, dann dauerte es nicht lange, bis man sich wieder vertragen hatte. Das mussten wir auch.“ Der Blick des jungen Mannes verhärtete sich, wie Zanthe aus den Augenwinkeln im Rückspiegel bemerkte. „Sonst wären wir ausgelöscht worden.“

 

Eine unangenehme Stille zog sich wie ein Vorhang um die beiden. Zanthe hatte eine Menge Geschichten von Exa, seinen Freunden und seiner Heimat erfahren, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Manchmal kam es ihm so vor, als hätte Exa zwei Persönlichkeiten. Der Freund und der Krieger. Letzteren wollte niemand näher kennenlernen, aber ohne diesen Teil seiner selbst, hätte es den Freund Exa nie gegeben.
 

„Ich muss diesem Kerl vielleicht sein Artefakt abnehmen“, gestand Zanthe schließlich.

Exa reagierte ruhig, obwohl der Werwolf ganz genau wusste, dass er sich mit dem Geständnis auf dünnem Eis bewegte. Sein Begleiter fragte: „Hast du dir das gut überlegt?“

„Nein. Ist nicht so, als ob ich nicht noch andere Anliegen hätte. Aber darauf wird es wohl hinauslaufen.“

„Du weißt, was passiert, wenn sie irgendwann auf den Trichter kommt, mich anzugreifen.“

„Yeah. Aber so weit wird es nicht kommen. Ich lasse nicht zu, dass noch einmal jemand, der mir nahe steht, sein Leben verliert.“ Der Schwarzhaarige schloss die Augen. „Weder du, noch Anya.“

Plötzlich musste sein Freund wieder glucksen. „Ich bin ihr übrigens schon mal begegnet. Neulich, als wir uns kurz getrennt haben. Die ist wirklich 'ne Nummer für sich.“

„Ist sie.“ Nachdenklich betrachtete der Kopftuchträger seine rechte Hand, welche er hob und die in dem weißen, fingerlosen Handschuh Anyas steckte. Wortlos ließ er ihn wieder sinken. „Wie besprochen, okay?“

„Wie besprochen“, nickte Exa ihm mit ernstem Gesichtsausdruck zu.

 

Etwa eine Viertelstunde später kam der Wagen vor einem kleinen Grundstück zu stehen, das sich auf einem Hang befand. Ein einzelnes Einfamilienhaus stand darauf, klassisch amerikanisch in weiß gehalten. Von hier hatte man einen guten Blick auf Ephemeria City, welches in der Nacht wie eine einzige Werbetafel leuchtete. So stark, dass es die Nacht zum Tage machte.

Als Zanthe von der Fahrerseite ausstieg, erwartete Nigel McPherson ihn schon zusammen mit Claire vor seiner Haustür. Und doch zog er überrascht seine zerteilte Augenbraue hoch, als der junge Mann alleine näher kam.

„Wo ist Anya Bauer?“

„Verhindert“, erwiderte Zanthe knapp, „ich bin die Vertretung.“

„Ein ehemaliger Hüter, der eine fehlgeleitete Irre unterstützt. Tiefer zu sinken ist kaum möglich“, kommentierte Nigel die Aussage abfällig.

 

Zanthe staunte. Woher wusste der, dass er mal ein Hüter gewesen war? Die beiden waren sich vor heute Morgen noch nie begegnet. Vielleicht spürte Nigel es noch …

Anstatt nachzufragen, konzentrierte der Werwolf sich jedoch lieber auf seine Umgebung. Da waren viele Gerüche. Seiner, Exas, die beiden Spinner da vorne … aber noch mehr. Zwei Menschen befanden sich im Inneren des verdunkelten Hauses. Schliefen vermutlich. Hatte Nigel etwa eine menschliche Familie?

 

„Woher weißt du so viel über mich?“, fragte Zanthe zwischenzeitlich, um seine Umgebung ein wenig mehr zu erkunden. Die Straße hinter ihm verlief in einer Serpentine, etwa zwei Kilometer weiter folgte der nächste Ort. Grundstück und Haus waren von einem einfachen Lattenzaun umzogen. Hinter dem Haus gab es ein paar vereinzelte Bäume.

„Drazen hatte einen Werwolf erwähnt, der zum Hüter geworden ist, nachdem sein Bruder …“

„Danke“, unterbrach Zanthe ihn sofort zerknirscht. „Der Name sagt mir was.“
 

Drazen, schoss es ihm durch den Kopf. Der Alte, der zweite Hüter, den Matt sich vorgenommen hatte? Was hatte der mit der ganzen Sache zu tun?

Sein Gegenüber verschränkte die Arme. „Auch du bist Drazen bereits begegnet. Er ist der Hüter, der die Neulinge einweist, sobald sie auserkoren wurden. Der einzige unter den Hütern, der die Identitäten der anderen kennt.“

Und da traf es Zanthe wie ein Blitz. An dem Tag … an dem Tag, als er kniend im Regen seinen Verlust betrauerte, da war neben Kyon noch ein anderer da gewesen. Ein Mann mit weißem Haar, der lächelnd seine Hand ausgestreckt hatte, ihm aufmunternde Worte zusprach und von der Aufgabe berichtete, die Alessandro ihm übertragen hatte.

Ja, übertragen. Zanthe erinnerte sich. Vor seinem Tod konnte der Hüter einen Nachfolger erwählen, hatte Drazen gesagt. So war er zum nächsten Besitzer von [Angel Wing Dragon] geworden.

 

„So ist das also“, erwiderte der Schwarzhaarige nach einer Zeit und warf einen Blick auf Claire, die stumm Nigels Rechte flankierte. Dann sah er dem Dämon direkt in die Augen. „Wie gesagt, ich bin in Anyas Namen hier. Und sie hat zwei Forderungen. Erstens: Sorg' dafür, dass ihr Freund auf freien Fuße kommt. Du weißt, wen ich meine.“

Nigel hörte sich still an, was Zanthe zu sagen hatte.

„Und zweitens: Übergib uns dein Hüterartefakt. Dann lassen wir dich unbeschadet gehen.“

Schon verfiel der Bärtige in unverhohlenes Gelächter. Wovon sich Zanthe jedoch nicht im Geringsten beeinflussen ließ. Er wartete.
 

Als der Anfall vorüber war, gab Nigel mit seinem normalen, monotonen Tonfall seine Antwort. „Nein. Was geschehen ist, kann ich nicht rückgängig machen. Ihr Freund ist selber schuld, wenn er die Bürde ihrer Taten auf sich nimmt.“

Zanthe erwiderte schnippisch: „Die ganze Schuld. Ich kann mich nicht entsinnen, dass Anya damit angefangen hat, die Strecke zu verwüsten. Das war dein Schützling.“

„Sie hat getan, was ich ihr aufgetragen habe.“ Nigel schüttelte den Kopf, wechselte unvermittelt das Thema. „Du weißt es nicht, nicht wahr? Was sie da wirklich tut.“

Gebieterisch verschränkte Zanthe die Arme. „Ich höre.“

„Deine Freundin ist keine Hüterin. Die Methode, mit der sie die Artefakte an sich reißt, ist mir nicht bekannt, doch eins zeichnet sich ganz klar ab. Jeder Hüter, den sie seiner Macht beraubt, wird nicht ersetzt.“

„Was?“ Mit offenem Mund ließ Zanthe seine Arme wieder sinken.

„Der Kreislauf wird durch ihr Wirken unterbrochen. Es werden keine neuen Hüter auserwählt. Und sie selbst ist nicht dazu imstande, neue zu deklarieren.“

 

War das wahr!? Zanthes Blick wanderte zu Claire herüber, doch er starrte an ihr vorbei. Was hatte das zu bedeuten? Steckte der Sammler dahinter, war das Teil seines Plans?

Zanthe wusste nicht, ob er jetzt, da er sich diesem Vorwurf gegenüber sah, noch duellieren konnte. Unsicher betrachtete er den blassgoldenen Armreif an seinem linken Handgelenk.

 

„Es ist die Wahrheit.“ Nigel streckte bei diesen Worten seinen eigenen, linken Arm aus. An dem ein rotes D-Pad steckte. „Als Hüter ist es meine Pflicht, mein Artefakt zu verteidigen, bis derjenige kommt, dem es wirklich zusteht. Und das ist nicht Anya Bauer.“

Wer? Wer war es dann? Aber Zanthe ahnte, dass selbst Nigel diese Frage nicht beantworten konnte, denn genau die gleiche hatte er vor etwa einem Jahr Drazen gestellt, als er klar machen wollte, dass dieser jemand das verdammte Artefakt behalten könne.

„Du hast meine Antworten auf deine beiden Forderungen vernommen. Kehre um, und wir lassen dich ziehen. Begehrst du das Artefakt trotz allem noch, werde ich dich hier bekämpfen.“ Plötzlich änderte sich sein Ton jedoch, wurde ruhiger und menschlicher. „Bitte triff die richtige Wahl.“

 

Anya helfen und damit den nächsten Hüter seiner Kräfte für immer berauben? Oder es nicht tun? Dann jedoch würde sie vielleicht sterben. Ihre Zeit war bereits so knapp. Was, wenn sie nicht rechtzeitig einen Weg fanden, sie zu verlängern oder den Sammler zu besiegen? Jeden Tag telefonierte Matt mit seinen Bekannten aus Dämonenjäger-Zeiten, um hinter ihrem Rücken nach Möglichkeiten zu suchen, ihr ein paar zusätzliche Tage zu schenken, sollte alles fehlschlagen.

Der Werwolf biss die Zähne zusammen. Anya sollte nichts davon erfahren, sonst verfiel sie am Ende nur in eine Panik, was angesichts der bisher ergebnislosen Suche auch angemessen wäre.

Er konnte sie jetzt nicht im Stich lassen!
 

Wieder landete sein Blick bei Claire. So weit waren sie schon gekommen. Zwei Hüter waren ohnehin fort. Machte es überhaupt noch einen Unterschied, wie viele es gab? Er musste das jetzt entscheiden.

Einmal tief durchatmen …

 

Mit entschlossenem Blick streckte Zanthe den Arm aus. „Wem gegenüber bin ich mehr verpflichtet? Einer Welt voller Hass und Vorurteilen oder einer Freundin? Ich werde kämpfen …“

Seine Miene verfinsterte sich, als sich der Duellhandschuh von seinem Armreif vollautomatisch um die ganze Hand schloss und die verschiedenen Zonen ausfuhren. „… für meine erste Freundin seit einem ganzen Jahrhundert!“

„Am Ende verrätst du also doch deine ursprüngliche Bestimmung. Bedauerlich“, erwiderte Nigel und ließ das rote D-Pad an seinem Arm ebenfalls ausfahren.

Beide schrien: „Duell!“

 

[Zanthe: 4000LP / Nigel: 4000LP]

 

Mit verschränkten Armen beobachtete Claire das Geschehen. Verstohlen sah Zanthe aus den Augenwinkeln zu ihr herüber.

Auch konnte er dieses Mädchen nicht im Stich lassen. Irgendjemand musste diesen Fluch, diesen Pakt brechen. Aus eigener Erfahrung wusste er nur zu gut, dass es nichts brachte, die eigenen Emotionen auszuschließen. Sich selbst von der Welt abzuwenden. Die Realität blieb trotzdem bestehen, ob man wegrannte oder nicht.

„Ich werd' dich mitnehmen. Versprochen“, sagte er zu ihr, ohne aber eine Antwort zu erhalten.

„Das kann ich nicht zulassen.“

Der Einwand seines Gegners brachte den Werwolf jedoch nur dazu, höhnisch aufzulachen. „Seit wann entscheidest du darüber? Ach ja, du hast sie ja in eine willenlose Puppe verwandelt, mein Fehler. Wäre doch interessant zu erfahren, wie sie reagieren würde, wenn sie sie selbst wäre.“

„Sie -ist- sie selbst“, konterte der Bärtige, „diesen Zustand hat sie lange ersehnt. Was ist daran verwerflich, ihn ihr zu gewähren?“

„Alles! Das ist unmenschlich!“ Zanthe griff nach seinem Deck. „Wenn -du- über Emotionen verfügen würdest, wüsstest du das! Ich fange an!“

Mit einem Schlag zog er sein aus fünf Karten bestehendes Startblatt. „Und beginne gleich mit einem verdeckten Monster!“

Welches sich in Form einer vergrößerten, horizontal vor ihm liegenden Karte manifestierte.

Zanthe atmete einmal tief durch. „Das war's fürs Erste.“

 

„Draw Phase“, rief sein Gegner bestimmend aus und zog auf. „Normalbeschwörung: [Phantom Beast Luster-Unicorn].“

Während ein weißes Einhorn erschien, das im Mondlicht regelrecht mit seiner voluminösen Walle-Mähne, dem Spiralhorn auf seiner Stirn und dem Goldschweif erstrahlte, stemmte Zanthe eine Hand in die Hüfte. „Wow, genauso ausdrucksvoll wie sein Schützling. Mir tun jetzt schon die Ohren weh.“

Nigels Monster wieherte majestätisch und stellte sich auf die Hinterläufe auf.

 

Phantom Beast Luster-Unicorn [ATK/400 DEF/1700 (4)]

 

„Monstereffekt: In dem Zug, in dem dieses Monster beschworen wurde, kann ich ein Phantom Beast von meinem Deck ablegen, um eines mit identischer Stufe von dort zu erhalten.“

Anstatt die Namen zu nennen, nahm der Rothaarige seinen Kartenstapel aus dem Schacht, fächerte diesen auf und zog zwei Monster von dort hervor. Ersteres landete sofort auf dem Friedhof. Das andere zeigte er im Gegensatz dazu vor. „[Phantom Beast Cross-Wing]. Zauberkarte: [Fusion Sage]!“

Gleich im Anschluss rammte er die Karte in sein D-Pad, wodurch jene aufrecht vor ihm aufklappte. Abgebildet war darauf ein alter, glatzköpfiger Mann, dessen oberer Teil des Kopfes mit vollständig grünen, aufrecht stehenden Augen bespickt war.

„Damit erhalte ich die Fusionskarte, [Polymerization], von meinem Deck“, erklärte Nigel, wobei sich jene automatisch aus seinem Deck schob und sofort aufgenommen wurde, „die ich sofort aktiviere, um [Phantom Beast Luster-Unicorn] und [Phantom Beast Cross-Wing] zu verschmelzen.“

Vor ihm öffnete sich ein rot-blauer Vortex, in den zunächst das anmutige Einhorn, dann ein goldgelber Vogel mit vier Flügeln, zwei davon am Unterleib, gezogen wurde.

„Fusion Summon“, donnerte Nigel dann doch wesentlich beteiligter an der ganzen Sache als Claire bei ihren Duellen. Der Wirbel spuckte sein Monster aus. „[Phantom Beast Ascension-Patron]!“

Vor ihm erhob sich der weiße Körper des Einhorns, welcher nun die vier goldenen Flügel von Cross-Wing besaß. Gleichzeitig waren auch die Hufe nun mit Miniflügeln besetzt. Am meisten hatte sich das Haupt verändert, denn der lange Hals war verschwunden. Statt eines Pferdekopfes, war dort nun ein Vogelkopf mit Spiralhorn auf der Stirn.

 

Phantom Beast Ascension-Patron [ATK/2000 → 2300 DEF/2500 (6)]

 

Zanthe kratzte sich an der Wange. „Ein gestandener Mannsdämon mit einem strahlenden Vogeleinhorn. Bist du zufällig ein Fan von Freddy Mercury?“

„Solange [Phantom Beast Cross-Wing] auf dem Friedhof liegt, erhalten alle Phantom Beasts 300 Angriffspunkte“, erklärte Nigel jedoch stattdessen und ignorierte die unterschwellige Andeutung seines Gegenüber. „Monstereffekt: [Phantom Beast Ascension-Patron] kann sämtliche Effekte der Phantom Beasts auf meinem Friedhof imitieren. Ich nutze [Phantom Beast Luster-Unicorns] Effekt, um ein Phantom Beast auf den Friedhof zu schicken, um eines mit derselben Stufe zu erhalten.“

„Oh man, kein Sinn für Humor“, murmelte Zanthe kopfschüttelnd, als Ascension-Patron auch noch wie ein Stern zu leuchten anfing, Nigel sein Deck wieder aufnahm und die gewählten Karten vorzeigte. „Ich erhalte [Phantom Beast Rock-Lizard].“

Der Werwolf konnte dabei erkennen, dass eine zweite Kopie davon auf den Friedhof wanderte.

Keine Sekunde später streckte Nigel den Arm aus. „Ich deklariere einen Angriff auf dein gesetztes Monster. Radiant Lightning Horn!“

Seine Kreatur richtete sich auf, stieg ein wenig in die Höhe und ließ aus dem Nichts einen Blitz in sein Horn einschlagen, welches daraufhin zu glühen begann. Dann stürmte das Ungeheuer vorwärts, direkt auf Zanthes Karte zu, welche um die eigene Achse wirbelte. Aus ihr entsprang ein Krieger, dessen Helm mit einem Schleier bedeckt war. Um ihn gewickelt war der lange Federschweif besagten Helms, der durch das Verteilen goldener Energie die Verteidigung des Sternenkundlers zu stärken schien.

„Bye bye, Alrakis“, winkte Zanthe zum Abschied …
 

Constellar Alrakis [ATK/1200 DEF/1500 (4)]

 

… bevor jener von dem Horn seines Widersachers aufgespießt wurde.

„Monstereffekt. [Phantom Beast Ascension-Unicorn] kopiert den Effekt von [Phantom Beast Rock-Lizard], welcher besagt, dass es nach jedem erfolgreichen Kampf 500 Schadenspunkte zufügt.“

„Ah!“ Zanthe wich zurück, als das Horn, welches durch den Angriff direkt auf ihn gerichtet war, noch stärker zu leuchten anfing. Mit einem Hechtsprung und anschließender Seitwärtsrolle wich er rechtzeitig aus, als Ascension-Patron einen grellen Lichtstrahl auf ihn abfeuerte.

Und obwohl er dank seiner guten Reflexe nichts davon abbekommen hatte, spürte er dennoch die Hitze des Angriffs. „Also das ist nicht lustig!“

 

[Zanthe: 4000LP → 3500LP / Nigel: 4000LP]

 

„Kein Sinn für Humor?“, konterte Nigel und setzte den Anflug eines Grinsens auf, ehe er mit seinem Zug fortfuhr. „Ich setze eine Karte. End Phase.“

Die Falle erschien zu seinen Füßen, der Manager verschränkte abwartend die Arme voreinander, dabei seine verbliebenen drei Handkarten haltend.

 

Energisch zog Zanthe auf und zeigte seine neue Karte auch gleich vor. „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Constellar Star Chart]!“

Über ihnen am Himmel zeichnete sich das gleißende Wappen der Constellar ab, dargestellt durch einen Kreis, der in sich einen Windrosen ähnlichen Stern einschloss.

„Solange ich die besitze, kann ich einmal während jedes Zuges eine Karte ziehen, wenn ich das Overlay Network errichte.“ Und genau das hatte Zanthe auch vor. Er schob eines seiner Monster in den linken Klingenabschnitt seines Handschuhs und streckte diesen dann mit gespreizten Fingern nach vorne aus. Vor ihm erschien ein kleiner Schlüssel, den er schnappte und zur Seite ausschwang. „Open a door to the twins! Zeig dich, [Constellar Pollux]!“

Ein aus verschiedenen Schichten von Astronomiesymbolen bestehendes Portal entstand, das aufrecht neben Zanthe stand und wie Glas wirkte. Welches zerbarst, als ein stolzer, weißer Krieger wie aus dem Nichts daraus hervorbrach. Dieser schwang ein langes Schwert, aus dessen Parierstange zwei parallel verlaufende Klingen wuchsen, eine golden, eine weiß – genau wie die beiden Seiten seiner Maske.
 

Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]

 

„Damit kann ich sofort noch ein Constellar als Normalbeschwörung rufen“, erklärte Zanthe und platzierte jenes schon auf dem Handschuh, „Open a door to the serpent! Los, [Constellar Rasalhague]!“

Ein zweiter Schlüssel erschien vor Zanthe, welchen jener in derselben Prozedur griff und zur Seite ausschwang. Ein identisches Portal erschien und zerbrach mit der Ankunft eines kleinen, maskierten Jünglings in goldener Rüstung, welcher einen aus zwei Schlangen verwobenen Zauberstab mit sich führte.

 

Constellar Rasalhague [ATK/900 DEF/100 (2)]

 

„Ich benutze Rasalhagues Effekt und biete ihn sofort als Tribut an, um Alrakis vom Friedhof in Verteidigungsposition zu beschwören.“

Abermals streckte der Kopftuchträger den Arm aus, schnappte sich den vor ihm entstehenden Schlüssel. Gleichzeitig löste sich sein kleiner Krieger in weiße Funken auf, die ein neues Portal in der Luft bildeten, welches sich horizontal drehte und selbstständig auf den Boden presste.

„Open a door to the dragon!“

Nunmehr ein drittes Runenportal entfaltete sich neben Zanthe, doch dieses wirkte ein wenig anders als seine Vorgänger. Zwar bestand es auch aus mehreren Kreisen, doch statt Symbolen der Astronomie, wurden sie mit griechischen Buchstaben gefüllt.

„Verlorener Tänzer! [Constellar Alrakis]!“

Das Tor explodierte wie bei der Eruption eines Vulkans, als der Krieger mit dem langen Federschweif an seinem Helm daraus hervor brach.

 

Constellar Alrakis [ATK/1200 DEF/1500 (4)]

 

„Und jetzt das große Finale!“, verkündete Zanthe und legte die beiden Monster auf seinem Handschuh übereinander. „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“

Stoßartig richtete Zanthe die Hand nach vorne. In ihr materialisierte sich ein aus purem Gold gemachter, schwertgroßer Schlüssel, den er gegen die Stirn legte. „Xyz Summon!“

Mit voller Wucht rammte er diesen in den Boden, woraufhin sich ein gewaltiger, schwarzer Wirbel vor ihm öffnete. Parallel dazu verformten sich Pollux und Alrakis zu gelben Lichtstrahlen, die zielgenau in jenem Strom verschwanden.

Über das Overlay Network zog sich ein weitflächiger Runenzirkel. „Kämpfe, [Constellar Omega]!“

Sogleich zersprang das Gebilde in tausend Teile und brachte einen weißen Zentaur hervor, hinter dessen Rücken ein Gestell aus schwarzen Metallplatten hing, Flügeln dabei nicht unähnlich. Zwei Lichtkugeln kreisten dabei um ihn.
 

Constellar Omega [ATK/2400 DEF/500 {4} OLU: 2]

 

„Und jetzt setzt [Constellar Star Charts] Effekt ein“, sagte Zanthe, deutete auf den Himmel, wo das Wappen seiner Monster grell wie nie pulsierte. „Also ziehe ich!“

Was er auch mit Schwung tat. Nachdem er die Karte zu den übrigen in seiner Hand hinzugefügt hatte, streckte er ebenjene mit dem Blatt nach unten gerichtet aus. „Ich greife dein Monster an! [Constellar Omega], Eye Of The Arrow!“

Sein Sternenkrieger kreuzte die Arme vor seiner Brust, bevor er sie gleich wieder wegriss und den Torso nach vorne streckte. Aus ihm schossen dutzende golden leuchtender Pfeile, die wie ein Wespenschwarm auf den Vogelpegasus zu steuerten.

Doch kaum hatte Zanthe den Angriff befohlen, reagierte Nigel mit einem Knopfdruck an seinem D-Pad. Die gesetzte Karte vor ihm sprang auf. „Fallenaktivierung: [Mirror Force]! Sie reflektiert den Angriff und zerstört [Constellar Omega]!“

Kurz bevor Ascension-Patron getroffen wurde entstand um ihn herum eine halbrunde, spiegelnde Barriere, auf welche die Pfeile prallten.

„Hmpf, 'ne mächtige Karte hast du da! Aber sie wird dir nicht helfen! Effekt von Omega!“, konterte Zanthe selbstsicher und riss eine Overlay Unit unter seinem Monster hervor. Im Anschluss wurde eine der beiden Lichtsphären, die um jenen kreisten, über dessen Brust absorbiert. „Star Of Protection! Dadurch werden alle Constellar bis zum Zugende immun gegen Karteneffekte!“

Die Pfeile begannen damit, eine grelle Schliere hinter sich herzuziehen. Statt an der Barriere abzuprallen, durchbrachen sie diese, was schlussendlich dazu führte, dass sie in alle Himmelsrichtungen zerbarst. Aber kurz bevor der Angriff in sein Ziel einschlug, ertönte von weit oben ein Wiehern. Ein Donner, dutzende Blitzschläge, die jeden Pfeil einzeln niederstreckten und die Silhouette eines zweiköpfigen Pegasus mit Blitzschwingen, die vor Ascension-Patron auftauchte waren genug, um Zanthes Offensive niederzustrecken.

Jener starrte verdutzt Nigel an, welcher eine Karte aus seinem Friedhof aufnahm und vorzeigte. „Das ist [Phantom Beast Thunder-Pegasus]. Sie beschützt mein Monster davor, zerstört zu werden und mich, Schaden aus dem Kampf zu nehmen.“

„Wie ist die da hingekommen?“, begann Zanthe laut zu überlegen, kam jedoch schnell selbst zu der Erkenntnis, dass sie gleich zum Anfang des Duells von [Phantom Beast Luster-Unicorn] vom Deck abgelegt worden war. Er verschränkte die Arme. „Nicht übel. Sag mal, beeinflusst der Pakt eigentlich nur Claire oder auch dich?“

Der Manager grinste plötzlich finster. „Das wirst du selbst herausfinden müssen.“

„Hm. Dann zeig mal, ob das schon alles war, was du drauf hast.“

 

Zanthe schloss die Augen und ging in sich. War es theoretisch möglich, dass der Paktauslöser von seinen eigenen Kräften profitierte? Es sprach insofern nichts dagegen, da eine Leistung gegenüber des Paktnehmers nur erfolgen konnte, wenn die benötigten Fähigkeiten beim Auslöser von Anfang an vorhanden waren. Wieso sollte er sie also nicht selbst für sich verwenden können? Dazu kam noch, dass er mit Claire auf besondere Weise verbunden schien.

Es war klug, ihn darüber im Unklaren zu lassen. Besonders, falls er die Unbesiegbarkeit nicht auf sich selbst anwenden konnte. So wollte er ihn aus der Ruhe bringen, damit Fehler entstanden, dachte Zanthe.

Das Wichtigste war, dass genau dies nicht geschah. Anya hätte Claire beinahe besiegt … beinahe. Wenn es stimmte, was Levrier sagte und der finale Angriff sie vor dem Ziel getroffen hätte, wäre der Sinn des Paktes jedoch erfüllt worden. Was hieß, dass dieser wirklich absolut war und selbst äußere Einwirkungen, die nichts mit dem Duell zu tun hatten, nichts daran änderten.

Sogleich biss Zanthe die Zähne zusammen. Wie war das doch gleich mit dem sich nicht verrückt machen lassen?

 

„Ich bin dran.“ Nigel zog schwungvoll und legte die Zauberkarte sofort in sein D-Pad ein. „[Pot Of Greed] lässt mich ohne Weiteres zwei Karten ziehen.“

Als das grüne, riesige Behältnis mit dem fiesen Grinsen vor dem Dämon erschien, weitete der Werwolf erschrocken die Augen. „Was!? Das ist eine der seltensten Karten, die es in Duel Monsters überhaupt gibt!“

Zwei holografische Karten stiegen aus dem Topf der Gier auf, Nigels Lebenspunkte-Anzeige änderte sich auf 'Draw Two'. Einer Aufforderung, der der Mann umgehend nachkam.

„Du stehst vor dem Manager der Weltmeisterin“, belehrte er dabei seinen Gegner, „sollte sie jemals einen Wunsch haben, eine seltene Karte zu erlangen, werde ich ihr diese besorgen.“

Zanthe stichelte zurück: „Mit Geld oder Magie?“

„Mit einem guten Ruf. Einem, dem weder du noch deine vorlaute Freundin schaden werden.“ Nigel nahm sein Fusionsmonster von dem D-Pad, welches sich daraufhin vor ihm in blauem Licht auflöste. „Tributbeschwörung: [Phantom Beast Rock-Lizard]! Da ich ein Phantom Beast geopfert habe, ist nur ein Tribut notwendig!“

Vor dem Rothaarigen brach der Erdboden förmlich auseinander. Eine riesige, vierbeinige Kreatur erhob sich, an den Armen seines Oberkörpers sowie der Brust und den Beinen durch massive Felsen geschützt. Wütend peitschte die Echsenkreatur mit ihrem langen Schweif umher.

 

Phantom Beast Rock-Lizard [ATK/2200 DEF/2000 (7)]

 

„Auch dieses Monster erhält 300 Angriffspunkte, da [Phantom Beast Cross-Wing] auf dem Friedhof liegt“, erklärte Nigel mit ausgebreiteten Armen.

Doch als Zanthe sah, wie die Echse eine gelbliche Energie auszustrahlen begann, erkannte er sofort, dass etwas nicht stimmte.

 

Phantom Beast Rock-Lizard [ATK/2200 → 2800 DEF/2000 (7)]

 

„Warte! Du hast von 300 Punkten gesprochen, nicht von 600!“

„Du erinnerst dich sicherlich, dass [Phantom Beast Ascension-Patron] die Effekte der Phantom Beasts auf dem Friedhof erhält?“ Nigel ließ die Arme sinken. „Das gilt selbst dann, wenn es selbst darunter ist.“

Das war mal etwas Neues, schoss es dem Kopftuchträger erstaunt durch den Kopf. Also war das Ding selbst dann noch nervig, wenn es längst erledigt war!

„Dein Monster ist völlig ungeschützt! Angriff, [Phantom Beast Rock-Lizard]! Calamity Spikes!“

Mit seiner mächtigen Faust schlug das riesige Monstrum auf den Boden. Unter Zanthes fliegendem Zentaur schoss eine massive Felsspitze aus dem Boden, die dank ihrer Geschwindigkeit keine Chance auf ein Ausweichmanöver offen ließ. Als [Constellar Omega] aufgespießt wurde, brach eine kleine Nebenspitze des Steins ab und wirbelte auf Zanthe zu, welcher sich unter ihr hinweg duckte. Es krachte laut, als jene in Nigels teuren Porsche in der Einfahrt einschlug und ihn vollkommen demolierte.

 

[Zanthe: 3500LP → 3100LP / Nigel: 4000LP]

 

Überrascht drehte sich Zanthe um, als die Alarmanlage einen Moment aufheulte, aber gleich wieder verstummte, weil ihr die Energie ausging. Der Felsbrocken hatte den Wagen förmlich erschlagen, die Frontscheibe, Motorhaube, alles war eingedrückt.

„Du musst ja Geld haben, wenn-“

„Hast du nicht etwas vergessen?“

Der junge Mann war noch im Begriff sich wieder umzudrehen, da traf ihn etwas unglaublich Hartes in den Rücken. Keuchend stürzte Zanthe vorne über und landete im Gras. „Argh!“

 

[Zanthe: 3100LP → 2600LP / Nigel: 4000LP]

 

Rock-Lizard hielt einen Arm nach vorne ausgestreckt.

„Mein Monster fügt dir 500 Schadenspunkte zu, wenn es eine deiner Kreaturen besiegt.“ Nigel lachte finster. „Du tust mir leid, fehlgeleiteter Hüter. Deine Freundin hat dich zum Sterben hierher geschickt, anstatt selbst zu kommen. Wenn es dich beruhigt: Ich werde ihr einen Besuch abstatten, früher oder später, und dich rächen. Das heißt, wenn sie nicht als Erste nach Rache für deinen Tod sinnt.“

Mühsam presste Zanthe sich mit beiden Händen wieder nach oben, ein Felsbrocken rollte von seinem Rücken, welcher furchtbar schmerzte. Verdammt, er war nur einen Augenblick abgelenkt gewesen!

„Du planst ja ziemlich weit voraus“, zischte er dabei, „aber eins solltest du wissen. Du bist nicht der einzige Hüter, der was auf dem Kasten hat!“

 

~-~-~

 

Wiederholtes Surren. Der Klang von Stahl, der auf Stahl traf. Ab und zu Schreie, Befehle, dann wieder die Geräusche eines Kampfes.

Edna Caines hörte. Sie lauschte. Verborgen kniete sie neben einem Baum innerhalb eines kleinen Waldes und wartete. Einen prüfenden Blick auf das Gerät in ihrer Hand werfend, bei dem es sich um ein modifiziertes Smartphone handelte, das gerade eine Art Radar laufen ließ, versicherte ihr, dass sie hier genau richtig war. Drei blaue Punkte, dicht beieinander, bildete das Programm ab. Das hellste Blau, Sinnbild für den stärksten Äther, war, wonach CLEAR eigentlich suchte. So aber nicht Edna, die andere Befehle bekommen hatte.

 

Die komplett in Schwarz gehüllte Afroamerikanerin mit dem Rasterzopf wartete auf den Moment, an dem der Kampf sein Ende fand. Vom Wald aus sah sie herüber zu einem Maschendrahtzaun, hinter dem sich eine Fabrik befand. In ihrem Sichtfeld befanden sich neben einem einstöckigen, grauen Gebäude auch drei Gastanks, vor denen sich die drei Zielobjekte einen unerbittlichen Kampf lieferten.

 

„Der Bannkreis wurde sofort zerstört“, keuchte Zed und parierte mit einem weißen, schlichten Stab den Hieb des Katanas. „Wir müssen etwas tun, Stoltz!“

Jener befand sich einige Meter von ihr und dem weiß-maskierten Dämon im Kimono entfernt und grinste bösartig. Er hob die bandagierte Hand, woraufhin sofort dutzende Felsspitzen unter dem Dämon empor schossen.

Doch anstatt sich aufspießen zu lassen, wirbelte der herum und trat dabei Zed beiseite, die mit derartige Wucht in den Maschendrahtzaun krachte, dass jener beinahe aus den Trägern gerissen wurde. Elegant hüpfte der Einzelkämpfer von einem Stalagmiten zum anderen, wobei sein langes, schwarzes Haar wie ein Schleier hinter ihm her tanzte.

Sein Ziel war der riesige, dürre Undying, welcher unbewaffnet war und stattdessen eine Mauer vor sich erscheinen ließ. Die mit einem diagonalen Hieb des langen Katanas prompt zerteilt wurde.

Stoltz wich zurück, lachte aber. „Noch einmal entkommst du dem Undying nicht, Abnormität.“

Er schwang den Arm aus. In der Luft sammelte sich in rasender Geschwindigkeit Staub, der zu spitzen Projektilen wurde, die auf den Dämon zuschossen. Und mit tänzelnden Bewegungen abgewehrt wurden.

„Wir dürfen den 'Körper' nicht verletzen!“, rief Zed Stoltz alarmiert zu.

Jener musste nun den Schwerthieben ausweichen. „Der Undying ist sich dessen bewusst.“

Und packte, nachdem ein weiterer Schlag ihn verfehlt hatte, den nur kurz ungeschützten Dämon mit seinem unnatürlich langen Arm am Hals. Mühelos hievte er das Wesen vom Boden.

„Zeit für die Abnormität, ihren Schlaf fortzusetzen“, gackerte Stoltz.

Doch der Dämon dachte gar nicht daran, sich seinem Widersacher zu beugen, hob beide Beine an und stieß damit gegen dessen Brust, was dazu führte, dass er losgelassen wurde. Stoltz torkelte nur minimal zurück und griff erneut nach seinem Opfer, das diesmal nicht lange fackelte.

 

Ein Surren. Im hohen Bogen flog der abgetrennte Unterarm durch die Luft und landete ein paar Meter weiter weg, nahe der Wand des Gebäudes.

Für einen Moment starrte Stoltz den übrig gebliebenen Stummel seines linken Arms an. Von der anderen Seite stürmte die Undying mit der hohen, weißen Haube, die ihr Gesicht verdeckte, auf den den Dämon zu, der sich samt seiner Klinge zu ihr drehte und eine Schockwelle von dieser aussandte, die die Angreiferin augenblicklich wieder zurückwarf.

Der Maskierte sprang aus dem Stand auf den mittleren der drei Gasbehälter, hob das Katana über den Kopf. Zed indes wirbelte den Stab, mit dem sie wieder pariert hatte und richtete ihn auf den Dämon, woraufhin sich ein Loch in der Spitze ihrer Waffe öffnete.

„Oh!“, keuchte sie jedoch, als sie erkannte, dass ein Angriff die gesamte Anlage in die Luft jagen würde. „Stoltz!“
 

Doch es war schon zu spät. Der Dämon riss sein Schwert in die Tiefe und öffnete damit einen Spalt, der sich zu einem großen, rot-schwarzen Loch ausweitete. Die Undying kamen von beiden Seiten angerannt, doch sie konnten nichts mehr tun. Ihr Widersacher floh durch das Portal, das sich augenblicklich wieder vor ihren Augen schloss. Doch nicht, bevor ein entsetzter, verzerrter Schrei daraus hervor drang.

 

Edna zuckte dabei glatt zusammen.

„Was war das!?“, hörte sie Zed aufgelöst fragen.

„Da war eine Silhouette, vor der Schwelle des Limbus.“ Der Undying namens Stoltz kicherte. „Es ist also noch jemand hinter dem 'Körper' her.“

Die dunkelhäutige, junge Frau sah die weibliche Undying, wie sie mit dem Ausschwenken ihrer Hand ein ovales, schwarzes Portal zwischen sich und ihrem Kameraden entstehen ließ. „Das darf nicht sein! Wir müssen sofort zurück! Du musst dich aufladen.“

„Ein enttäuschendes Ende. Unsereins kann den Limbus nicht ohne Weiteres betreten.“

„Aber wer dann!? Niemand außer ihm sollte das können!“

Mehr bekam Edna von der Konversation allerdings nicht mit, da die beiden Undying durch das Portal schritten, welches sich daraufhin schloss.

 

„Noch jemand?“, wiederholte sie erstaunt. Ob das einer von CLEARs Leuten, ihren Leuten, gewesen war?

Nein, die Befehle lauteten, den 'Körper' solange zu meiden, bis der Inner Circle etwas anderes anordnete. Was, wenn man die Bedrohlichkeitsstufe dieses Dings betrachtete, eine kluge Entscheidung war. Nein, was immer ihm da aufgelauert hatte, gehörte weder zu CLEAR, noch zu den Undying.

 

Edna erhob sich, schlich vom Wald aus zum Zaun und kletterte wie eine Katze daran hoch, um nahezu lautlos auf der anderen Seite zu landen. Der 'Körper' war fürs Erste also außer ihrer Reichweite, dachte sie, während sie zum dem Gebäude herüber ging und ihren Rucksack dabei abstreifte.

Doch sie würde trotzdem nicht erfolglos zurückkehren, beendete die junge Frau den Satz in Gedanken, kniete vor dem abgetrennten Arm Stoltz' nieder und zog aus ihrem Rucksack einen zylindrischen, gläsernen Behälter. Welcher, wenn sie darüber nachdachte, eigentlich viel zu groß für eine einfache DNA-Probe war. Anscheinend hatte man wirklich von ihr erwartet, gleich ein ganzes Gliedmaß mitzubringen, nach welchem Edna schließlich mit angewidertem Gesichtsausdruck griff.

Sie hasste ihren Job. Aber wenn sie es nicht tat, wer dann?

 

~-~-~

 

„… wirklich? Danke, Papa“, strahlte Valerie in das weiße Smartphone an ihrem Ohr, „ich hab dich lieb. Bye.“

Matt betrachtete die schwarzhaarige, junge Frau neben sich zufrieden, wie sie zusammen den Bürgersteig an verschiedenen, leicht heruntergekommenen Geschäften entlang gingen. „Und? Hilft er uns doch?“

„Er hat es sich überlegt und wird ein paar Privatdetektive anheuern.“

Zu so später Stunde war dieser Teil Ephemeria Citys nahezu verlassen, abgesehen von einem Bettler auf der anderen Straßenseite, dem sie ein paar Münzen in den Kaffeebecher gelegt hatten.

Insgeheim musste Matt zugeben, dass er bezweifelte, wie nützlich sich jene erweisen würden, aber er sagte nichts. Valerie hatte ihn in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob sie vielleicht bei seiner Arbeit helfen könnte. Das wollte er ihr nicht kaputt machen.

 

„Schade, dass deine Bekannten immer noch nichts von diesen beiden gehört haben“, sprach Valerie weiter. Sie war bei den Gesprächen dabei gewesen und hatte sich erklären lassen, wie dieses Netzwerk funktionierte.

„Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie keine Dämonenjäger sind. Irgendjemand hätte von ihnen gehört. Unsere Welt ist kleiner als du denkst, Valerie.“

 

Ein ungeschriebenes Gesetz der Dämonenjäger besagte, dass Informationen hauptsächlich in Kneipen mit Namen ausgetauscht wurden, die etwas Dämonisches in sich hatten. Matt konnte selber nicht erklären, warum dies so war, fand es aber ganz unterhaltsam. Darüber hinaus arbeiteten die meisten von ihnen mit einer Computersoftware, über die Aufträge an einer Art schwarzem Brett ausgehangen wurden.

Alastair, so hatte Matt ihr erklärt, war kein Freund dieser Technik und beschaffte sich seine Jobs lieber auf die traditionelle Weise, das Aufschnappen von Gerüchten. Die meistens von Alector kamen, der sehr wohl mit dem Programm arbeitete, was sein konservativer Freund jedoch nicht wusste.

 

Plötzlich hielt das Mädchen an. „Danke.“

„Wofür?“, wurde sie verwirrt gefragt.

„Dass du mich ein wenig in das alles einbindest. Anya versucht ihr Möglichstes, mich da rauszuhalten.“ Deprimiert senkte Valerie ihr Haupt. „Seit der Sache mit Marc habe ich kaum ein Wort mit ihr gewechselt.“

„Ihr geht’s gut.“ Matt lag auf der Zunge, dass es doch die Schwarzhaarige war, die sich zurückgezogen hatte. Aber es gab Dinge, die man besser nicht aussprach. „Sie will nur, dass du nicht noch tiefer in ihre Angelegenheiten gezogen wirst.“

„Vielleicht möchte ich aber genau das“, gestand Valerie plötzlich so bestimmt, dass ihr Gegenüber zusammenzuckte. „Mein Verlobter ist fort, meine Karriere als Profi-Duellantin verbaut, mein Studienplatz weg. Mit irgendwas muss ich die Leere füllen. Matt, hilf mir dabei, eine-“

 

Weiter kam sie nicht. Einige Meter von ihnen entfernt öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal, in dem sich das Antlitz der beiden widerspiegelte.

Matt stieß vor Schreck gegen Valerie, die lautstark nach Luft schnappte. Schwarze Stiefel traten aus dem Portal vor ihm, ihnen voran eine schier endlos erscheinende Klinge, die zu einem Katana gehörte. Jene Kreatur, in einem schwarzen Kimono samt dazu passender Hose gekleidet, trat ihm gegenüber. Hinter der weißen, mit roten Streifen verzierten Maske konnte Matt nicht erkennen, um was es sich hierbei überhaupt handelte.

„Kali!?“, mutmaßte er von einer früheren Schilderung Anyas.

Valerie fragte erschrocken: „Das ist Kali?“

Aber nein, jene hatte die Maske anders beschrieben, denn eigentlich ging von jener kein fast bis zum Boden reichendes, strubbig-dunkles Haar aus.

In einer langsamen Bewegung wurde die Klinge auf ihn gerichtet. Sofort wich Matt zurück, dabei schützend den Arm vor seine Begleitung haltend. „Hey, langsam, langsam. Du bist nicht Kali, oder? Wer dann?“
 

Das Katana wurde überraschenderweise gesenkt. Die ihm unbekannte Person ließ es zurück in die Scheide an ihrem Gürtel sinken. Matt atmete tief durch. „Danke.“

„Ich kenne einen Weg Anya Bauer zu retten, ohne dabei weitere Hüter zu verlieren.“

Die verzerrte Stimme ließ Matt zusammenzucken, jagte einen Schauder über seinen Rücken. So sehr, dass er die eigentliche Botschaft erst einen Moment später begriff. „Warte! Was!?“

Sein Gegenüber, dem so unmöglich ein Geschlecht zugeordnet werden konnte, verschränkte die Arme. „Ich sagte: Ich kenne einen Weg Anya Bauer zu retten, ohne-“

„Das habe ich schon verstanden.“ Matt löste sich nur zögerlich von Valerie und trat einen Schritt nach vorne.

„Warum bittest du mich dann, mich zu wiederholen?“

„Ich-! Egal!“ Der Dämonenjäger trat näher an den Dämon heran. „Und was muss ich tun?“

„Du brauchst das.“ Um zu verdeutlichen, was jenes Wesen meinte, legte es seine Hand darauf. Auf die Schwertscheide. „Töte den Sammler. Ich bin dazu nicht mehr imstande.“

 

„Den Sammler töten!?“ Valerie eilte an Matts Seite. „Ist das möglich!? Mit diesem Schwert!?“

„Nein. Nicht mit diesem. Dieses ist nur eine Nachahmung.“ Der fremdartige Dämon legte den Unterarm auf den Schwertgriff. „Das Original befindet sich in der Zuflucht der Undying.“

„W-warte mal, das geht mir alles zu schnell …“

„Ich habe keine Zeit mehr. Und du auch nicht. Rufe nach Stoltz, finde das Schwert Ragnarok und töte den Sammler.“

Doch Matt kam nicht mehr dazu, seine Fragen zu stellen, denn das Wesen vor ihm wurde auf einmal wie Asche in einem Windstoß davon geweht. Unter einem merkwürdigen Geräusch, das klang wie ein weit entfernter, mechanischer Schrei.

 

„W-was war das gerade?“, fragte Valerie verwirrt.

„Eine Astralprojektion, schätze ich. Wem immer sie gehörte, irgendetwas ist ihm zugestoßen.“ Matt schluckte. „Dieses Wesen. Woher kennt es ausgerechnet mich?“

„Was war das?“, wollte die junge Frau wissen.

Wenn er das wüsste. Matt zuckte mit den Schultern. Als er die Schwarzhaarige neben sich jedoch ansah, platzte es aus ihr heraus. „Den Sammler töten … das ist doch verrückt!“

Auch Matt konnte sich nicht vorstellen, wie das mithilfe eines Schwertes möglich sein sollte. Und dass ausgerechnet die Undying im Besitz davon waren. Er wusste ja nicht einmal, wo ihr Versteck sich befand, geschweige denn, wie er unbeschadet dort hineinkommen sollte. Betonung auf unbeschadet.

„Wir sollten den anderen davon erzählen“, meinte er.

Zu seinem Erstaunen jedoch schüttelte Valerie den Kopf. „Oder wir gehen dem ohne sie nach.“

„Das ist viel zu gefährlich!“, protestierte Matt sofort, während hinter ihnen ein Auto über die Straße heizte. „Angenommen, dass es diese Waffe tatsächlich gibt, reden wir hier über die Undying! Gegen die haben wir keine Chance!“

Stur wie sie manchmal sein konnte, schüttelte Valerie den Kopf. „Der Dämon hat gesagt, dass du nicht viel Zeit hast. Vielleicht meint er damit, dass die Undying derzeit unterwegs sind. Das wäre die Gelegenheit für eine Infiltration.“

Der Dämonenjäger starrte sein Gegenüber erschrocken an. Sie meinte es tatsächlich ernst. Wusste sie nicht, wie gefährlich ihr Vorschlag war!?

„Valerie, dein Tatendrang in allen Ehren, aber das geht nicht. Ohne zu wissen, wo sich-“

„Du bist vielleicht ein Dämonenjäger“, konterte Valerie neckisch und verschränkte die Arme, „red' dich nicht damit heraus, deren Versteck nicht ausfindig machen zu können.“

Matt machte Augen wie ein Mondkalb, besonders als sie fortfuhr. „Als Another sich als Joan ausgegeben hat, hat er mir erklärt, wie man Leute ausfindig machen kann. Eine Variante ist das Auspendeln. Eine weitere via Beschwörungsformeln.“

„Damit rufen wir die Undying, nicht das Schwert“, wurde ihr erklärt, doch Valerie schüttelte den Kopf.

„Und der Riss im Zeit-Raum-Gefüge, der dabei entsteht, befördert uns direkt vor ihre Türschwelle. Rufe Stoltz, hat dieses Wesen gesagt“, sagte sie und ihr Blick gewann etwas Herausforderndes, „und genau das werden wir auch tun. So eine Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen.“

Matt fühlte sich, als hätte ihn gerade ein Bus überfahren. Sie wussten ja nicht einmal, ob das nicht nur eine Falle war! Niemand konnte garantieren, dass das, was dieses Wesen ihnen gesagt hatte, überhaupt der Wahrheit entsprach.

Und doch. Etwas Vertrautes hatte es umgeben. Nur konnte Matt beim besten Willen nicht sagen, was es damit auf sich hatte und ob das nicht nur Einbildung war …

 

~-~-~

 

„… Blödian!“, schimpfte Anya vor sich hin. Das schwarze Mobiltelefon, welches sie sich unterwegs von irgendeiner blonden Schnepfe unbemerkt 'geliehen' hatte, landete zielgenau in einem Mülleimer neben dem Tor, das den Weg zu den Spielfeldern des Ephemeria Bridge Stadiums blockierte.

Der Vorbereitungsraum war stockfinster. Dank Nick, welchem Anya ziemlich zeitaufwendig erklärt hatte, warum genau er dafür sorgen sollte, dass die Überwachungskameras den Geist aufgeben mussten.

„Aber Anya, das ist eine Falle“, äffte sie ihn höchst erbost zum wiederholten Male nach. Mit dem Abgang des Telefons war auch ihre einzige Lichtquelle verloren gegangen. „Ernsthaft, wie lange machen wir diesen Job jetzt, Levrier?“

Es war ein Leichtes gewesen, im Dunkeln hier reinzukommen. Scheinbar gab es hier nicht mal Wachpersonal und wenn doch, taten sie alles außer das, was in ihrer Stellenbeschreibung stand.

 

Ich würde es nicht gerade als 'Job' bezeichnen. In deinem Fall viel eher als Berufung. Und damit beziehe ich mich auch nicht auf das Nachjagen unserer Feinde, sondern deine kriminelle Veranlagung.

 

„Kannst du nicht einmal auf meiner Seite sein?“, schnarrte Anya und positionierte sich nachdenklichen Blickes vor dem Tor. Irgendwie musste sie da durch, aber von wo aus öffnete man das verdammte Teil?

 

Ich könnte, aber das wäre nicht halb so unterhaltsam.

 

Das Mädchen sah ihm seinen trockenen Kommentar nach. Sie ahnte, dass er nur versuchte, ihr ihre Aufregung zu nehmen. Es gab dabei nur zwei Probleme. Erstens war sie nicht aufgeregt und zweitens regte sie das nur an, sich aufzuregen, was ihr die Anregung nahm, jegliche Regung von Kali mit angemessener Gewalt zu unterbinden. Hrgh!

„Schnauze, wenn du nichts Konstruktives beizutragen hast!“

 

Stimmt. Hier ist dein destruktiver Typ gefragt. Denn wir wissen doch beide, dass du nicht den Umweg gehen wirst, um dieses Tor zu öffnen.

 

Nein, antwortete Anya ihm mit diabolischem Grinsen auf den Lippen, während um ihre rechte Hand Heavy Ts metallischer Handschuh erschien. Diese brauchte sie nur einmal nach vorne zu stoßen, um die ungewünschte Blockade aus ihren Angeln zu heben und fünf Meter weiter ins Innere des Stadions zu buxieren.

 

Als Anya mit einem erfüllten Lächeln auf den Lippen über das Tor schritt, blickte sie nach oben. Das Stadion war in seinem offenen Zustand, über ihnen herrschte eine klare Nacht. Die Sterne funkelten. Und Anya konnte förmlich die Botschaft in ihnen lesen, die irgendwo zwischen 'Kill Kali' und 'Drag her to hell' anzusiedeln war.

Sie hatte noch nicht einmal die riesige Fläche erreicht, auf dem insgesamt 72 Duellfelder gezeichnet und nummeriert waren, da sah sie in deren Mitte bereits die dunkle Gestalt ihrer Widersacherin warten. Anya ließ sich Zeit dabei, sich ihr zu nähern.

„Ich spüre nichts“, flüsterte sie leise, sah sich genau im Stadion um, das etwa anderthalb mal so viel Fläche einnahm wie ein Footballfeld. Nichts außer der selbsternannten Dämonengöttin zu sehen, aber das hieß nicht, dass sich nicht irgendwer auf den Zuschauertribünen verstecken könnte.

 

Ich auch nicht. Sie scheint wirklich allein gekommen zu sein. Und seit wann kannst du Präsenzen spüren?

 

„Keine Ahnung. Wenn ich mich auf eine gewisse Person konzentriere und die nicht allzu weit weg ist, sehe ich ihre Farbe.“ Anya dachte da nur an Redfield, die sie damals gespürt hatte. Blau wie das Meer. „Ist bekloppt. Seit wann kann man Farben erfühlen?“
 

Warum hast du nie etwas davon gesagt?

 

Unbedarft zuckte die Blonde mit den Schultern. „Wenn ich euch jeden Furz mitteile, der mir gerade quer liegt, darf ich irgendwann nicht mal mehr alleine kacken gehen.“

Prompt war Levrier still. Anya fragte sich aufrichtig warum.

 

Aber nachfragen war nicht mehr möglich, als sie Kali letztlich auf einigen Metern gegenüber stand.

„Yo“, begrüßte sie die Kuttenträgerin grimmig. „Was willst du von mir?“

„Von dir? Nichts“, drang deren Stimme gedämpft hinter ihrer weißen Porzellanmaske hervor. „Ich will mir selber einen Gefallen tun. Und endlich einfordern, was mir zusteht. Meine Rache.“

Anya zuckte abfällig mit den Schultern. „Jetzt auf einmal? Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen.“

„Sich auf jemanden wie dich vorzubereiten ist nicht ganz so einfach. Aber jetzt bin ich bereit.“ Kali hob den linken Arm an, an dem ihre rote V-Duel Disk, pardon, -Anyas- rote V-Duel Disk steckte.

Die gluckste aber nur bitterböse. „'kay, wenn du meinst. Dann geb' ich dir jetzt genau eine Chance, mir zu sagen, was dein Problem mit mir ist und wie ich dich beseitigen kann.“

Und ja, Anya wählte bewusst 'dich' statt 'es'. Immerhin hatte der Beef nicht von ihrer Seite aus begonnen, damit das mal klar war!

„Das erfährst du nur, wenn du verlierst“, antwortete Kali geheimnisvoll.

„Und wenn ich gewinne?“

„Mache ich so lange weiter, bis du freiwillig aufgibst.“

Auf die düstere Drohung hin lachte Anya abfällig. „Sofern du noch dazu in der Lage sein wirst.“

Die Duel Disk an Kalis Arm fuhr zu beiden Richtungen aus. „Immer diese leeren Drohungen.“

Auch Anya aktivierte das rote D-Pad an ihrem Arm. „Komisch, dasselbe habe ich gerade auch über dich gedacht.“

„Duell!“, bellte Kali jedoch zornig.

Anders als Anya, deren Ausruf zur Abwechslung anders ausfiel. „Idiot!“

 

[Anya: 4000LP / Kali: 4000LP]

 

„Ich beginne!“, entschied Kali sofort im Anschluss, ehe Anya dazwischenfunken konnte und riss ihr Startblatt aus ihrer V-Duel Disk. Nach einer kurzen Denkpause sagte sie: „Ich setze diese hier und beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Quail]!“

Mit dem Kartenrücken nach oben zeigend materialisierte sich die Falle vor ihren Füßen. Gleichzeitig stiegen ein ganzes Dutzend Lichtpunkte über ihr in die Höhe, die sich durch Energielinien miteinander verbanden. Fast sah es aus, als würde dort ein Monster gezeichnet werden.

Anya kommentierte den Anblick unbeeindruckt. „Hm. Das Ding ist neu.“

Tatsächlich hatte sie den dort oben entstehenden, dickbäuchigen Mechavogel nicht im Duell gegen Isfanel gesehen. Jener streckte seine schmalen, aber langen Schwingen von sich. Durch eine graue Lichtbarriere konnte man in sein Inneres sehen, sehen, wie sich Zahnräder über Zahnräder drehten.

 

Celestial Gear – Synthetic Quail [ATK/1600 DEF/1700 (4)]

 

„Zug beendet.“
 

Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Na endlich! Ich bin dran! Draw!“

Schwungvoll riss sie die Karte von ihrem roten D-Pad und sah sie an. Jedoch musste sie enttäuscht feststellen, dass diese nicht wie erhofft ein Pendelmonster war, um ihren Pendelbereich wirksam aufzubauen.

Trotzdem sah sie entschlossen nach vorn. Es gab mehr als genug Strategien, die sie inzwischen verfolgen konnte, jetzt, da sie ihre wahre Stärke glaubte gefunden zu haben. Ein selbstbewusstes Lächeln blitzte auf. „Dann eben so! Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite]!“

Vor ihr tauchte umgehend ein unbewaffneter Ritter in silberner Rüstung auf, welche mit bunten Edelsteinen gespickt war.
 

Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]

 

„Ich weiß, was der kann“, raunte Kali hinter ihrer Maske, „mach's endlich.“

„Jeez, reg' dich ab.“ Widerwillig nahm ihre Gegnerin das Monster wieder vom D-Pad. „Er kann sich als Tribut anbieten, um einen normalen Gem-Knight aus meinem Deck zu beschwören. Und ich rufe [Gem-Knight Pyrite]!“

Kali zuckte regelrecht zusammen. „W-was?“

Derweil löste sich Alexandrite in weiße Funken auf, die sich an Ort und Stelle zu einem neuen Monster formten. Bei diesem handelte es sich um einen weißen Ritter mit würfelförmigen, silbrigen Schulterplatten, der an beiden Armen je eine Hälfte eines massiven Goldschildes befestigt hatte.

 

Gem-Knight Pyrite [ATK/0 DEF/2800 (6) PSC: <8/8>]

 

„Willst du etwa ernsthaft defensiv spielen?“ Es war das erste Mal, dass Anya Kali derart überrascht und skeptisch erlebte. Scheinbar kannte sie ihren Spielstil ziemlich gut, was wohl auch kein Wunder war, wen sie sie derart hasste.

„Was wenn's so wäre? Würde das deine Strategie durcheinander bringen?“, stichelte die Blonde.

„Niemals. Im Gegenteil.“

„Na dann habe ich eine gute Nachricht für dich. Oder auch nicht. Ich habe nämlich nicht vor, mich zu verteidigen!“ Anya nahm eine Karte aus ihrem Blatt und zeigte diese stolz vor. „Ich aktiviere [Polymerization] und verschmelze den [Gem-Knight Pyrite] auf meinem Feld mit dem [Gem-Knight Sapphire] in meiner Hand!“

Kali wich gar einen Schritt zurück. „Nicht [Gem-Knight Fusion]!? Was zur Hölle wird das!?“

Über Anya öffnete sich ein orange-blauer Wirbel, in den erst der weiße Ritter gezogen wurde, dann noch einer in hellblauer Rüstung. Anya hob entschlossen dreinblickend beide Hände über den Kopf und faltete sie zusammen. „Ein Schrei aus vergangenen Tagen erschüttert die Zukunft! Erster deiner Art, höre meinen Ruf! Fusion Summon!“

Regelrecht panisch fuhr Kali dazwischen: „Willst du mich verarschen!?“

Nein, dachte Anya mit grimmiger Genugtuung ob der offensichtlichen Ratlosigkeit ihrer Gegnerin und riss die Hände nach unten. „Dominiere, [First Of The Dragons]!“

Brüllend kam die Bestie aus dem Wirbel geschossen. Ihre mächtigen Schwingen, breit und mit mächtigen Schuppen bedeckt, wirbelten mit ihren Schlägen holografischen Staub auf. Zwar mangelte es dem Drachen an Gliedmaßen, was er jedoch mit den spitzen Hörnern an seinem langen Körper und den spitzen Zähnen wieder wett machte.

 

First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]

 

Kali keuchte wütend. „Woher hast du den!?“

„Gewonnen“, erwiderte Anya grimmig und sah stolz hinauf zu dem mächtigen Drachen über ihr, „er passt wunderbar in mein Deck, da man nur zwei beliebige normale Monster fusionieren muss. Aber mit [Gem-Knight Fusion] geht das leider nicht, deswegen habe ich die herkömmliche Fusionskarte in mein Deck integriert.“

Sich wieder an die selbsternannte Dämonengöttin wendend, verschränkte Anya die Arme. „Ich habe eine Menge beim Legacy Cup gelernt. Der hier ist die Belohnung dafür.“

„Trotzdem bist du dem Tode geweiht.“

„Keine Ahnung woher du das weißt, aber wenn dem so ist, wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“ Das Mädchen kniff die Augen fest zusammen. „Oder habe ich deinen Kopf in der High School einmal zu oft in die Kloschüssel getaucht, dass du es nicht abwarten kannst, bis ich in die Kiste springe?“

Gesammelt konterte Kali: „Ich bin keines deiner Opfer von damals. Meine Rache an dir basiert ausschließlich auf der Tatsache, dass es dich gibt.“

„Huh?“ Das verwirrte Anya doch ein wenig. „Nur weil es mich gibt? Ich hab dir nicht mal was getan!?“

„Du wirst es verstehen, glaub mir. Dafür werde ich sorgen.“

„Sorg' lieber dafür, dass du nicht dauernd einen Herzinfarkt bekommst, wenn ich eine Karte spiele, die du nicht kennst“, giftete Anya zurück und schwang den Arm aus; „und jetzt mach dich schon mal frisch! [First Of The Dragons], greif ihre komische Wachtel an! Burst Stream of Origin!“

Gierig schnappte jener nach Luft und sammelte in seinem Maul eine rötliche Energie an, die er dann in einem vernichtenden Odem abfeuerte. Der riesige Mechavogel über Kali wurde von der Attacke durchbohrt und explodierte in alle Einzelteile.

 

[Anya: 4000LP / Kali: 4000LP → 2900LP]

 

Wie in Zeitlupe fielen die Schrottteile auf die Maskierte herab, welche erklärte: „Du kennst die Effekte der Celestial Gears: Wenn sie zerstört werden, kehren sie stattdessen auf meine Hand zurück. Und in Quails Fall passiert noch etwas. Sieh gut hin!“

Ein Teil der Trümmer verwandelte sich in pures, gelbes Licht, welches sich in Kalis Hand zu einer Karte formte. Doch der Rest richtete sich wie von Geisterhand auf den mächtigen Drachen aus. Spitz wie sie waren, schossen sie auf Anyas Monster zu, mit der Absicht, es zu durchbohren.

„Wenn Quail zerstört wird, zerstört sie die Karte, die für ihr Ableben verantwortlich war“, lautete Kalis Erklärung dazu.

Anya sah mit gerunzelter Stirn zu, wie ihre wertvolle Preiskarte von den spitzen Trümmern getroffen und durchbohrt wurde. Eine Explosion folgte auf dem Fuß.

„Das war ein kurzer Auftritt“, spottete Kali.

„Ja, deine fette Wachtel war eben nicht gut genug.“ Anya grinste bösartig. „Siehst du?“

In dem Moment hallte wütendes Gebrüll von der Stelle über ihr und blies den Rauch fort. Und [First Of The Dragons] verharrte unverletzt über dem Mädchen und stierte Kali an, als wolle er sie jeden Moment zerfleischen.

„W-was!?“

„Tja, Pech gehabt, denn mein Kumpel hier ist immun gegen Monstereffekte.“ Anya warf einen Blick auf ihr Blatt und konnte genau hören, wie ihre Feindin wütend schnaufte. „Naja, das soll's erstmal gewesen sein. Zug beendet!“

 

Das ließ sich die selbsternannte Dämonengöttin nicht zweimal sagen und zog von ihrer V-Duel Disk schwungvoll auf. „Draw!“

Gleich darauf streckte sie den Arm nach vorn. „Ich aktiviere meine Falle [Gear Crushing]!“

Nervös beobachtete Anya, wie zwei riesige Zahnräder links und rechts vor Kali erschienen. Und dazwischen die Karte eines Monsters, das sie im Gegenzug zur Falle bereits kannte: [Celestial Gear – Synthetic Albatross].“

„Diese Falle zerstört ein Celestial Gear in meiner Hand und erhöht meine Lebenspunkte um dessen Angriffswert“, bellte Kali förmlich.

Ruckartig krachten beide Zahnräder zusammen, mit der Karte dazwischen, und zermahlten diese. Die daraus entstehenden Lichtfunken sprangen auf Kali über.

 

[Anya: 4000LP / Kali: 2900LP → 3400LP]

 

Doch mehr noch, zeigte Kali die eigentlich zerstörte Karte vor. „Wie du weißt, bekomme ich zerstörte Celestial Gears für gewöhnlich auf die Hand zurück. So wie dieses.“

Wodurch die restlichen Funken statt Kali zu berühren, stattdessen in der Monsterkarte verschwanden.

„Klar“, schloss Anya daraus, „damit hast du es leichter, Rückbeschwörungen durchzuführen.“

Durch den Kampf mit Isfanel wusste sie bereits, dass diese Riesenvögel zusätzliche Effekte erhielten, wenn man sie nochmal von der Hand beschwor, nachdem sie auf jene zurückgekehrt waren.

„Ganz recht. Ich beschwöre [Celestial Gear – Synthetic Quail] als Rückbeschwörung.“

Tatsächlich war es nur eine reguläre Normalbeschwörung, wusste Anya. Trotzdem keuchte sie ärgerlich, als über Kali diverse Lichtkugeln aufstiegen und zwischen sich die Form der eben erst zerstörten Mechawachtel zeichneten, ehe jene sich mit ihrem fetten Körper über Kali erhob.

 

Celestial Gear – Synthetic Quail [ATK/1600 DEF/1700 (4)]

 

„Quails neuer Effekt lässt mich noch ein Monster aus meiner Hand beschwören.“ Kali donnerte jene Karte auf ihre Duel Disk. „Rückbeschwörung, [Celestial Gear – Synthetic Albatross]! Durch dessen Rückbeschwörungseffekt kann ich zwei Karten ziehen!“

Und während sie das tat, zeichnete sich neben ihrem alten Vogel ein neuer von selbst, durch dessen rötliche Barriere man die mechanischen Innereien sehen konnte. Markant war besonders sein gebogener Schnabel.

 

Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]

 

„Damit ist alles bereit“, verkündete Kali und hob ihren Arm in die Luft, „ich errichte das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“

Ein Schwarzes Loch auf ihrer Spielfeldseite öffnete sich, in das beide Vögel als gelbe Lichtstrahlen eintauchten.

„Pass gut auf!“

Ihre Gegnerin giftete zurück: „Als ob ich nicht wüsste, was du vor hast!“

Anstatt ein neues Monster zu offenbaren, richtete sich das Phänomen auf, sodass es Anya wie ein Auge betrachtete. Und plötzlich verfärbte es sich rot-blau, wurde zu einem Vortex.

„Tch, das ist neu. Aber ich kann mir denken, was es ist!“

„Incarnation Fork Summon! Ich verschmelze die für die Xyz-Beschwörung genutzten Materialien miteinander! Xyz-Summon, Herald of Purity, [Celestial Gear – Synthetic Armored Dove]! Fusion Summon, Herald of Clarity, [Celestial Gear – Synthetic Armored Finch]! Arise!“

Wieder wechselte der Wirbel seine Lage und richtete sich nach oben aus. Gleich zwei riesige Gestalten schossen aus ihm empor. Links handelte es sich um eine Mechataube, auf deren voluminöse Brust eine weiße Panzerung angebracht war, sodass nur an winzigen Spalten zwischen den spitz zulaufenden Flügeln weiße Energiebarrieren Einblick in ihr Innenleben gewährten. Neben ihr flatterte ein Maschinenfink, ebenfalls geschützt von weißen Platten am Körper. Einzig seine Beine und der Mittelteil seiner Schwingen waren von einer gelben Lichtschicht überzogen. Dabei wurde seine Partnerin von zwei goldenen Lichtsphären umkreist.

 

Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 2]

Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 DEF/0 (4)]

 

„Dank Dove konnte ich ihre beiden Overlay Units fusionieren, ohne sie dabei zu verlieren.“

Anya verschränkte die Arme. „Schön für dich, aber mehr auch nicht. Als Isfanel das gemacht hat, war es noch cool. Bei dir? Reden wir lieber nicht drüber.“

Mit grimmigen Vergnügen vernahm sie, wie ihre Gegnerin schnaubte. Dabei ahnte die vermutlich nicht mal, dass Anya tatsächlich eine Fork Summon mit zwei gänzlich anderen Monstern erlebt hatte und diese beiden gar nicht kannte. Aber das würde sie ihrer Feindin gewiss nicht aufs Brot schmieren.

Die streckte die geballte Faust mit der V-Duel Disk am Arm aus. „Dann weißt du sicherlich auch, dass Finch mir bei seiner Beschwörung eine Gear- oder Synthetic-Zauberkarte aus dem Deck zukommen lässt. Ich wähle [Destructo Gear]. Und aktiviere es auch gleich!“

Lauter Zahnräder erschienen um den Apparat und begannen daran zu reiben. Funken sprühten, als Kali erklärte. „Damit wird sofort eine Zauberkarte von meinem Deck verbannt. [Banished Power Gear]!“

„Nicht dein Ernst“, entfuhr es Anya da, bei der unschöne Erinnerungen an jene Karte geweckt wurden. Ein Abbild des Zaubers erschien und zersprang zusammen mit den Zahnrädern.

„Du kennst sie offensichtlich schon. Dann weißt du auch, dass du sie nie wieder los wirst!“

Ja, das wusste Anya. [Banished Power Gear] verstärkte diese blöden Metallhühner während jedes Kampfes um 500 Angriffs- und Verteidigungspunkte, solange sie verbannt war. Auch wenn dieser Boost nur während des Kampfes anhielt, so gab es keine Karten, die Anya kannte, welche einen verbannten Zauber entsorgen konnten. Und sie besaß solche schon gar nicht, womit sie nichts gegen dieses Power-Up unternehmen konnte.

Kali kicherte böse. „Dich so zu sehen war all die Qualen wert, die ich wegen dir ertragen musste.“

„Übertreibst du es nicht?“, konterte Anya giftig. „Seh' ich aus, als würde ich schon leiden? Das ist mein Standardgesicht.“

„Mal sehen wie lange noch! Ich aktiviere jetzt [Celestial Gear – Armored Synthetic Doves] Effekt! Für eine Overlay Unit erhält ein Monster auf dem Feld 500 Angriffspunkte!“

Anya machte große Augen, als sie das hörte. „Noch ein Boost!?“

Eine der beiden goldenen Sphären, die die riesige Mechataube umkreisten, verschwand in deren Brust. Im Anschluss sendete jene ein hohl klingendes Gurren aus, was den Vogel neben ihr in eine weiße Aura hüllte.

 

Celestial Gear – Synthetic Armored Dove [ATK/500 DEF/2500 {4} OLU: 2 → 1]

Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2000 → 2500 DEF/0 (4)]

 

Demonstrativ ballte Kali eine Faust und hob diese an. „Ich werde …“

„Was?“

„Es mir zurückholen! Angriff auf ihren [First Of The Dragons]!“, bellte die Maskierte wie ein Berserker und stieß die Faust nach vorn.

Über ihr öffnete der riesige Mechafink seinen Schnabel, aus dem ein von Blitzen umschlungener Wirbelsturm schoss.

„Und vergiss eins dabei nicht: Mein verbanntes [Banished Power Gear] verstärkt den Angriff, sodass mein Monster das stärkere ist!“

Die Triebwerke in dessen Innerem begannen sich immer schneller zu drehen.

 

Celestial Gear – Synthetic Armored Finch [ATK/2500 → 3000 DEF/0 → 500 (4)]

 

Als ob sie das nicht wüsste, dachte Anya grimmig und bedeckte sofort ihr Gesicht mit überkreuzten Armen. Denn als der Drache getroffen wurde, bekam auch sie ein paar der Stromstöße ab. Doch die taten nicht einmal halb so weh wie befürchtet.

 

[Anya: 4000LP → 3700LP / Kali: 3400LP]

 

Hinter ihren Armen grinste die Blonde, als sie ihre Gegnerin nach Luft schnappen hörte.

„D-das-!“

 

First Of The Dragons [ATK/2700 DEF/2000 (9)]

 

Der mächtige Drache thronte majestätisch über Anya und funkelte die Kuttenträgerin finster an, als wolle er ihr sagen, dass dieser Angriff keinesfalls ungesühnt bleiben würde.

Langsam ließ dessen Besitzerin die Arme sinken. „Na sowas. Mein Drache ist ja gar nicht im Eimer. Was denkst du wohl, warum ich gerade den ins Rennen geschickt habe. Irgendne Idee, Einstein?“

Nein, nur ein Keuchen kam als Antwort.

„[First Of The Dragons] lässt sich nur im Kampf mit normalen Monstern besiegen. Und jetzt zähl mal 2 und 2 zusammen.“ Anya unterbrach ihre Rede nur kurz, da sie ein leichtes Zwicken in der Magengegend verspürte. „Unberührt von Effekten, unbesiegbar im Kampf. Klingelt's da nicht?“

Es dauerte einen Moment, dann aber begann Kali düster zu lachen. „Verstehe … du hast Angst. Angst vor der Paktkarte Edens, [Sophia, Goddess Of Rebirth]. Natürlich. Dieses Mistvieh ist praktisch der perfekte Konter, da es nicht von Sophia verbannt oder besiegt werden kann.“

„Was ist daran so witzig?“, fauchte Anya, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Unterleib halten musste. Hatte sie doch mehr von dem Angriff abbekommen als gedacht? Oder …

„Weil jene nicht mehr existiert.“ Kali griff in die Innentasche ihrer schwarzen Kutte und zeigte etwas vor, das Anya mit geweiteten Augen betrachtete. Zwei Hälften einer Karte. Jener Karte!

 

Ehe sie den Anblick aber infrage stellen konnte, wuchs der Schmerz so rasend schnell an, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht loszuschreien. Sie sah hinauf zu ihrem Drachen, der vor ihren Augen verschwamm. Nicht jetzt, verdammt! Wenn sie ohnmächtig wurde, konnte Kali mit ihr machen was sie wollte. Und diesmal war niemand da, der ihr helfen würde.
 

Für einen kurzen Moment schloss Anya die Augen. Und sah Logan vor sich, der vermutlich in irgendeiner Zelle mit irgendwelchen Pennern steckte und auf ihre Hilfe wartete. Und die würde er bekommen, auch wenn Anya selber nicht genau wusste, was sie tun konnte. Aber egal was es war, sie schuldete es ihm. Sie schuldete ihm so vieles.

Allen voran … ein friedliches Leben. Und das würde sie nur dann führen können, wenn ihre Feinde von ihr abließen. Auf die eine oder andere Weise.

Ruckartig riss Anya die Augen wieder auf, in denen für einen kurzen Moment ein silbriger Ring um die Pupillen schimmerte. Der Schmerz war wie verflogen.

„Umso besser für mich“, reagierte sie auf das Geständnis ihrer Gegnerin, „wenn du dich nicht hinter deiner Göttin verstecken kannst, sollte das ein Kinderspiel werden.“

Doch Kali beteuerte. „Ich brauche diese Karte nicht! Wenn ich mit dir fertig bin, brauche ich weder dieses Deck noch diese Maske. Dann kann ich endlich ein friedliches Leben führen!“

Für einen kurzen Moment war die Blonde erstaunt vom Ausruf ihrer Gegnerin, der ihrem stummen doch so ähnelte.

„Das“, murmelte Anya dann aber unheilverkündend und legte ihr finsterstes Grinsen auf, „werden wir noch sehen …“

 

 

Turn 82 – Each Of Their Battles (2)

Während Anyas und Zanthes Kämpfe anhalten, setzt Matt die Idee des maskierten Dämons, das Versteck der Undying zu infiltrieren, in die Tat um. Doch trotz Ricthers und Stoltz' Abwesenheit wird der Weg zum geheimnisvollen Schwert Ragnarok blockiert. Gleichzeitig verfolgt der Anführer der Undying einen ganz eigenen Plan, welcher ihn zu niemand Geringerem führt als …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-11-26T19:53:07+00:00 26.11.2017 20:53
Hey
Geniales Kapitel, da hat ja jeder eine riesen Aufgabe vor sich. Matt und Valerie werden das Versteck der Undying infiltrieren, ich glaube die beiden werden noch ein gutes Team abgeben. Zanthe muss sich mit Nigel messen, aber Exa hat ja auch noch seine Finger im Spiel und das verspricht interessant zu werden. Hoffentlich geht das gut.
Oh man, ich will wissen was Kali für ein Problem mit Anya hat und wieso sie so einen Hass schiebt. Das Duell zwischen den beiden wird noch spannend.
Ich bin voll gespannt wie es weiter geht.
Lg fubukiuchiha


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