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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 39 - Identity

Turn 39 – Identity

 

 

Mit dem vom Schoßhündchen des Sammlers ausgehändigten Pamphlet in der Hand, lag Anya der Länge nach auf ihrem Bett und nahm nur widerwillig die Informationen über die erste Zielperson in sich auf.

Einhundert Tage hatte sie für dieses Unterfangen Zeit – nein, nur noch 99, wenn man das gestrige Treffen mit ihrem neuen Erzfeind, dem Sammler, und die schlaflose Nacht danach abzog. Wenn er ihr wenigstens das Fahrrad ersetzt hätte, welches ihr an der Ausgrabungsstelle des zerstörten Turms gestohlen wurde, während sie fort war! Aber nein, selbst dazu war er sich zu fein!
 

Eins hatte sich für Anya bereits recht schnell herauskristallisiert. Wo damals zu Zeiten Edens noch Livington der Schauplatz des Geschehens gewesen war, würde sie dieses Mal weitaus weniger Glück haben. Keine der fünf, ja fünf, in den Informationsblättern erwähnten Personen lebte auch nur ansatzweise in der Nähe ihrer Heimat.

Oder noch präziser ausgedrückt: sie tummelten sich -irgendwo- arschweit weg. Denn dummerweise musste dieser Kyon wohl vergessen haben, die Adressen dieser Typen zu vermerken. Das, oder sie waren schlichtweg unbekannt. Denn wie sonst ließ sich erklären, dass gleich beim ersten Zielobjekt stand: 'zuletzt in der Nähe von Dice gesehen'.

Dice … das war eine Stadt, die laut Google etwa 400 km westlich von Livington lag. Praktisch ein Katzensprung für jemanden wie den Sammler, für Anya hingegen totaler Mist. Sie hatte ja nicht einmal mehr ihren verdammten Führerschein!

 

Seufzend schmiss das Mädchen das Pamphlet in die Ecke ihres unordentlichen Zimmers, wo es neben der schwarzen Ledercouch landete.

„Sieben sagt er“, raunte sie verärgert, „warum sind dann nur fünf in dem Mistding erwähnt?“
 

Weil die anderen zwei vermutlich erst noch geboren werden müssen.

 

Gem-Knight Levrier, wie Anya ihn mittlerweile immer öfter nannte, tauchte mit verschränkten Armen vor ihr auf und sah erwartungsvoll auf sie herab.

 

Im Ernst, es ist bedenklich, dass selbst der Sammler nur so wenige Informationen über diese Menschen sammeln konnte.

 

„Ja“, schnarrte Anya sauer, „vom ersten wissen wir nur den Vornamen, den letzten Ort, an dem man ihn gesehen hat und dass er ein verdammter Werwolf ist!“

 

Immerhin hat der Sammler nicht übertrieben damit, dass es gefährlich werden würde.

 

„Über die zweite Person weiß er immerhin besser Bescheid, auch wenn ich das Wort 'Eden' nicht mehr lesen kann. Von der nächsten ist auch nur bekannt, dass sie die ganze Welt bereist und im Dämonenjägerbusiness arbeitet. Nummer 4 und 5 dagegen sind die Einzigen, unter denen ich mir was vorstellen kann.“

Zu denen gab es nämlich konkrete Namen. Immerhin etwas.

 

Und das Beste ist, dass unsere Nummer 5 vermutlich noch die harmloseste aus diesem Haufen darstellt. Zwischen Dämonenjägern, Werwölfen und Bewohnern Edens ist eine Duel Monsters-Weltmeisterin geradezu auffällig gewöhnlich. Bei der vierten Person, dem Adligen, wissen wir nicht, welche Leichen er im Keller vergraben haben könnte.

 

„Egal, mein erstes Ziel ist der Werwolf. Dieser Zanthe!“

 

Wie willst du ihn aufspüren? Geschweige denn stellen?

 

„Darum mache ich mir Gedanken, wenn ich in Dice bin. Laut Kyons Informationen ist es noch nicht lange her, dass man den Typen dort gesehen hat“, meinte Anya gewohnt kopflos, „heißt also, ich muss mir jetzt ein Flugticket besorgen und da hin fliegen.“

 

Worauf sie natürlich überhaupt keine Lust hatte. Geschweige denn sich das leisten konnte. Ja, da war ihr Magerlohn vom Kartenladen, aber das Meiste von dem Geld strich ihre Mutter ein, damit Anya nicht in eine eigene Wohnung ziehen musste.

Außerdem gab es noch ein anderes Problem. Sie konnte schlecht am Wochenende nach Dice fliegen, wenn die Suche nach dem Typen vielleicht Wochen dauern würde. Urlaub nehmen war wegen des Jobs nicht drin – denn Mr. Palmer hatte ihr genau dies strikt untersagt, nachdem sie vielleicht den einen oder anderen Kunden verschreckt hatte.

Nicht, dass das an und für sich ein Problem für Anya darstellte. Aber wie machte sie ihrer Mutter bekömmlich, dass sie keinen Bock mehr auf kleine Rotzgören und Noobs hatte? Die warf sie doch achtkantig raus, wenn Anya mit der Erklärung kam, sie müsse in Dice etwas erledigen!

Ganz zu schweigen davon, dass sie mit der Wahrheit gar nicht erst ankommen brauchte. Denn erstens: wer würde ihr diesen Schwachsinn glauben, zweitens: wie konnte sie das ihrer Mutter verständlich machen, ohne dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und drittens: wieso so kompliziert, wenn es auch einfach ging?
 

Sie würde wegrennen und für eine Weile untertauchen. Ja, das war dumm, das wusste sie. Aber was hatte sie schon für eine Wahl? Wenn sie nichts tat, würde man in drei Monaten einen Feiertag mehr in Livington genießen und das gönnte sie diesen Spießern schlichtweg nicht!

Außerdem hatte ihre Mutter schon Erfahrung mit Anyas gelegentlichen Ausbrüchen von Zuhause, von daher würde sie es vermutlich nur als weitere Trotzreaktion aufnehmen. Und da war es Anya auch egal, dass sie mit 20 Jahren noch so kindliches Verhalten an den Tag legte, solange es zum Erfolg führte.

Natürlich hatte sie deswegen auch Zweifel und ein schlechtes Gewissen, was für Anyas Verhältnisse nun wirklich Anerkennung verlangte. Aber all das war eben ihre Art, die Dinge anzupacken.

 

Stöhnend rollte sie über das Bett und setzte sich letztlich auf dessen Kante.

„Ich brauch Kohle.“

Der einzige Mensch in Livington, der dumm genug war ihr welche zu leihen, hieß Nick Harper. Ihr idiotischer, bester Freund. Nun musste sie beten, dass er genug Geld in seinem Zimmer herumliegen hatte, um die Kosten für Ticket und Unterkunft abzudecken.

 

Eins beschäftigt mich nach wie vor. Warum schickt der Sammler dich, statt diese Aufgabe selbst zu erledigen? Ganz offensichtlich hat er schon lange alles so ausgelegt, dass er dich in der Hand haben würde.

 

Levrier glitt durch das Bett an Anyas Seite.

„Weil ich gut bin?“, erwiderte diese, als wäre es die einzig logische Erklärung.

 

Er ist dir in jeder Hinsicht überlegen. Ich verstehe das nicht …

 

„Ist vollkommen egal, da ich nicht glaube, dass mir dieses Wissen irgendeinen Vorteil bringen würde. Denn wie du sagst, er ist'n bisschen“, es kostete Anya einiges an Überwindung, dies zuzugeben, „besser als ich. Und jetzt muss ich zusehen, Nicks Sparschwein zu plündern, du entschuldigst mich?“

Denn mittlerweile hatten auch die letzten Livingtoner den Schuss gehört und liefen mit Pfefferspray durch die Gegend, sodass Anya nicht riskieren wollte, auf der Suche nach Geld dem Falschen seine Dollarscheine abzunehmen.

 

~-~-~

 

Anya schwor sich, dass wenn Mrs. Harper jetzt die Tür aufmachen und ihr erster Spruch eine Andeutung sein würde, ihren Sohn zu ehelichen, sie leider ausflippen musste. Denn es war schon unentschuldbar genug, dass sie nun schon seit fünf Sekunden auf die Klingel drückte und immer noch niemand die Tür geöffnet hatte!

 

Vielleicht ist niemand zuhause? Andere Menschen haben nicht das Glück, regelmäßig von ihrem Chef schon am frühen Nachmittag rausgeworfen zu werden.

 

Ne, die waren einfach zu doof dafür, dachte Anya griesgrämig auf Levriers telepathischen Kommentar hin.

Schließlich hatte ihr penetranter Klingelversuch doch Erfolg, die Tür wurde aufgerissen und Nick stand ihr in seinen vollen zwei Metern Größe gegenüber. Die braunen Haare typischerweise zerzaust, neuerdings mit Hipster-Brille auf der Nase und mit nichts bekleidet als einer rot gepunkteten Unterhose.

In Anya starb etwas bei dem Bild, das sich ihr bot.

„Hi, Anya-Muffin“, grinste er über beide Backen.

Zu geschockt, um etwas zu sagen, drehte Anya sich beim Anblick seiner Hühnerbrust weg.

„Willst du mit mir spielen?“, fragte er hoffnungsfroh.

„Geld“, stotterte Anya aus der Fassung gebracht, „ich muss mir ein bisschen was leihen, Nick. Hast du was?“

„Nope. Aber Liebe, hehe.“

„Die will ich nicht!“, donnerte das Mädchen ärgerlich und stampfte mit dem Fuß auf. „Du lügst doch, bei dir liegt immer was 'rum. Geh hoch, zieh dich an und fang' an zu suchen!“

Nick kratzte sich verwundert am Kopf. „Warum denn? Willst du dir endlich die Brustvergrößerung gönnen, die ich dir seit der Middle School ans Herz gelegt habe?“

„Nein!“, schäumte Anya knallrot vor Wut, wagte es aber nicht, sich diesem grässlichen Anblick ein zweites Mal auszusetzen „Erklär' ich dir, wenn du angezogen bist!“

„Schade … aber okay“, gluckste er, „für dich zieh ich meine sauberste Hose an. Nur drei Wochen nicht gewaschen!“

Anya knirschte mit den Zähnen vor soviel Idiotie.

Aber irgendwem musste sie ja die Wahrheit erzählen und sich anvertrauen. Dafür war Nick geradezu ideal, denn er war so dumm, dass er morgen vermutlich schon die Hälfte vergessen hatte. Und selbst wenn er es ausplauderte, würde ihm sowieso niemand glauben. Es war schließlich Nick!

 

~-~-~

 

„Einundzwanzig Dollar“, fasste Anya ernüchtert zusammen und hielt die Scheine mehr als unzufrieden in den Händen.

Hatte sie dafür tatsächlich zwei Stunden ihrer neuerdings besonders wertvollen Lebenszeit damit verbracht, Nicks Chaostempel zu durchforsten? Dort wo sich die Klamotten, Mickey Maus-Hefte, Playboy-Ausgaben und der ganze andere Kram schon gefühlt bis an die Decke stapelten?

Pah! Das war zu wenig, jetzt hatte sie keine Lust mehr, ihm auch nur irgendwas über den Sammler und seinen hinterhältigen Plan zu verraten!

Nick, der an seinem Schreibtisch saß und zwischendurch was am PC erledigt hatte, grinste breit. „So viel?“

„Viel zu wenig! Ich gehe!“

Sprachs und stampfte zur Tür.

 

Immerhin machst du keinen Hehl daraus, dass du deine Freunde ausnutzt. Das habe ich schon immer an dir bewundert, Anya Bauer.

 

„Schnauze, Levrier!“, wies sie ihren Partner zurecht. „Ich hab Wichtigeres zu tun, als Nick dabei zu beobachten, wie er in dieser Müllhalde versifft.“
 

Das kommt von der Frau, von der Nick Harper sich offensichtlich bei seiner Zimmergestaltung hat inspirieren lassen. Und was hast du vor?

 

„Packen, was sonst!? Das hier war reine Zeitverschwendung, die paar Dollar reichen ja kaum für die Belüftung eines Hotelzimmers.“

In einer scharfen Halbdrehung richtete Anya sich an Nick. „Danke für die Knete, kriegste irgendwann wieder, wenn ich besser gelaunt bin. Wir sehen uns dann irgendwann, bye!“

Schon verkündete nur noch das Knallen der Tür, dass die Blonde noch vor wenigen Sekunden Nicks Gast gewesen war.

 

Jener saß auf seinem Stuhl und zog die Stirn kraus, nachdem ein weiteres Knallen deutlich machte, dass Anya den Ausgang gefunden hatte.

„Was ist denn mit ihr los?“, wunderte er sich, seine Idiotenidentität fallen lassend.

 

Nick, der sich seither der Aufgabe verschrieben hatte, Anya durch seltendämliches Verhalten ein ehrliches, herzliches Lächeln auf die Lippen zu zaubern, hatte seine Freundin selten so flügge erlebt.

Natürlich wusste er gut Bescheid um Anyas finanzielle Lage, da kam man bei jemandem wie ihr nicht drum herum. Dennoch überraschte es ihn, dass sie so plötzlich eine große Menge an Geld zu brauchen schien. Und dann für ein Hotelzimmer? Wollte sie verreisen, obwohl ihr Chef ihr untersagt hatte, für die nächsten Wochen Urlaub zu nehmen?

Irgendetwas stimmte da nicht und Nick war nicht wohl dabei. Vielleicht wäre es besser, wenn er ihr hinterher ging, um herauszufinden, warum sie so angespannt war.

 

~-~-~

 

Knapp eine Viertelstunde später war Anya wieder in ihrem ganz eigenen Chaostempel angelangt, hatte sich ihren Koffer von unter dem Bett geschnappt, auf ebenjenes geschmissen und fing damit an, wahllos irgendwelche Klamotten von ihrem Kleiderschrank neben der Tür hineinzuwerfen. Welche man kaum auseinander halten konnte, waren sie doch alle mehr oder weniger schwarz.

Jedes Mal, wenn sie zum Schrank lief, verspürte sie einen kleinen Stich. Denn an einem Haken an der Innenseite der Tür hing ihre zerfetzte Lederjacke.

„Tch“, zischte sie, griff sich das gut Stück und schleppte es zum Koffer.

Und wo sie andere Sachen achtlos in den riesigen Koffer gequetscht hatte, legte sie die Jacke mit größter Sorgfalt hinein.

Nebenbei hörte sie, wie es unten an der Tür klingelte. Da ihre Mutter mittlerweile von der Arbeit zurück war, würde die sich um den garantiert ungebetenen Gast kümmern.

 

Anya indes packte weiter ihre Sachen, als plötzlich die Tür aufflog und Nick strahlend hereingeplatzt kam.

Das Mädchen, auf halben Wege zum Bett, ließ glatt den Stapel T-Shirts in ihrer Hand fallen.

„Was willst du denn hier!?“

„Fragen wie's dir geht. Hab ich eben vergessen!“

„Beschissen. Und noch beschissener wird’s mir gehen, wenn du nicht gleich Leine ziehst!“

Sich nach den Sachen bückend, schmiedete Anya bereits Pläne, was sie mit Nick anstellen würde, wenn er ihrer höflichen Aufforderung nicht nachkommen würde. Eine der harmloseren Möglichkeiten war noch, dass sie ihm mit Hammer und Nägeln einen ganz neuen Look verpassen würde.

„Was hat mein Anya-Muffin denn“, ließ sich Spasmo-Nick jedoch nicht davon beeindrucken, warf sich neben ihren Koffer aufs Bett und wartete ab, „der Nickinator merkt doch, wenn sein Bügelbrett unglücklich ist.“

„Kch …“
 

Sag ihm einfach die Wahrheit, Anya Bauer.

 

Mit den aufgehobenen Shirts in der Hand, gab sich Anya schließlich einen Ruck.

„Ich bin so gut wie tot“, brummte sie, „wortwörtlich … mal wieder.“

Nick weitete die Augen und stand betroffen von ihrem Bett auf. Einen kurzen Augenblick seine Rolle vergessend, fragte er perplex: „Warum, was ist passiert?“

Und Anya begann schließlich zu erzählen. Über die Begegnung mit Kyon und dem Sammler, der Aufgabe und ihre verbliebenen 99 Tage.

 

Als sie ihre Geschichte beendet hatte, legte sie die T-Shirts neben ihre Jacke und schnaufte wütend. „Und so sieht's aus. Ich bin am Arsch. Deshalb muss ich Livington für eine Weile verlassen.“

Nick, der ganz blass geworden war, fuchtelte wild mit den Händen. „Aber der Anya-Muffin kann doch nicht zum Handlager des Oberfiesos werden!“

„Ich habe keine andere Wahl, Nick!“, zischte Anya und stopfte wütend die T-Shirts in den Koffer auf ihrem Bett, welche widerspenstig über den Rand ragten. „Wenn ich nicht mitspiele-!“

Mit der Faust schlug sie neben den Koffer auf ihr Bett. „Dieser verdammte Dreckskerl, das hat er alles geplant gehabt! Ich dachte, ich wäre endlich frei, aber im Endeffekt hat sich nichts verändert!“

„Anya“, erwiderte Nick traurig und legte seine Hand auf ihre Schulter, „ich will meinen Muffin nicht allein ins Unbekannte ziehen lassen. Deswegen komme ich mit.“

„Nein!“ Sofort wich sie von ihm zurück und lachte hysterisch. „Ich weiß nicht, was mich erwartet. Hast du schon mal einen Werwolf gesehen? Ich nicht! Und ich habe keine Lust, mit einem Klotz wie dir am Bein zu krepieren! Du bleibst schön hier!“

„Aber ich kann dich nicht alleine gehen lassen“, beklagte sich Nick, „irgendwer muss dir doch auf die Nerven gehen und ich bin die beste Wahl!“

„Ich hab Levrier, das reicht!“

Nick ließ aber nicht locker, warf sich auf die Knie und hielt sich in gespielt weinerlicher Manier an ihrem Bein fest. „Ich will doch nur helfen!“

„Ach ja!? Dann bleib ganz weit weg von mir, damit ist mir mehr geholfen als mit Geld oder sonstwas!“

 

Wollte sie ihn nur nicht in Gefahr bringen oder war es wirklich die Tatsache, dass sie ihn für Ballast hielt, fragte Nick sich insgeheim.

Er wusste, dass er vorsichtig sein musste mit dem, was er zu Anya sagte. Natürlich wollte er ihr aus ihrer mehr als misslichen Lage helfen. Nur war Anya nicht gerade jemand, dem man zu gutmütig entgegen kommen sollte. Denn wenn man ihr den kleinen Finger reichte, riss sie einen daran schon mal ins Verderben.

Andererseits war sie ihm das Wichtigste und er im Moment der Einzige, der ihre Lage verstehen und ihr zumindest ein wenig helfen konnte. Und vor allem wollte. Bloß wie konnte er sie dazu bringen, ihn mit sich zu nehmen?

 

Flehend sah er auf. „Ich hab noch ganz viel Geld im geheimen Sparstrumpf. Wenn du mich mitnimmst, bekommst du es.“

Anya reckte den Kopf wütend zur Seite, auf solche Albernheiten hatte sie keine Lust. „Von wegen!“

Doch die Gier in ihr war stärker, sodass sie aus den Augenwinkeln auf ihn herab starrte. „ … wie viel?“

Nick zeigte ihr die fünf Finger seiner rechten Hand.

„… fünf Dollar?“, kam es ernüchtert von seiner Freundin.

Grinsend schüttelte er den Kopf. „Fünf Scheine mit zwei Nullen drauf. Sind die viel wert?“

Seine Freundin verstummte wie erwartet. Das waren mindestens 500$, musste sie jetzt vermutlich denken, was wohl durchaus für ihre Zwecke dienlich wäre.

„Vergiss es!“, entschied sie jedoch. „Damit kann ich eine Reise finanzieren, aber was ist mit den anderen sechs? Und den ganzen Unkosten?“

Für Nick alles kein Problem, aber das ahnte Anya leider nicht.

„Bitte“, flehte er kindlich und zwinkerte, „nimm mich mit, ich bin auch ganz artig.“

„Tch! Nein! Und jetzt verzieh dich! Eher würde ich mich freiwillig von Redfield besiegen lassen, als dich mitzunehmen!“

 

Plötzlich sprang Nick auf und grinste über beide Backen.

„Ich hab die Idee“, sagte er, „wir duellieren uns! Kopf, du bekommst das Geld, Zahl, ich komme mit. Oder so.“

„Pah! Du hast nur einmal in deinem kümmerlichen Spinnerleben ein Duell gewonnen, und das nur durch Zufall wie mir zu Ohren kam! Aber wenn du willst, bitte, mit dir wisch' ich den Boden!“

Umso schneller wurde sie ihn los, dachte Anya säuerlich. Wie blöd musste sie sein, solch eine Gelegenheit verstreichen zu lassen!?

„Okay, Deal?“, fragte er und hielt ihr die Hand hin.

„Klar!“, schlug Anya ein.

Was für ein Trottel! Zu dumm, dass nicht nur sie dies in jenem Moment dachte.

 

~-~-~

 

Das Abendrot stand bereits am Himmel, als Anya und Nick vor dem Grundstück der Familie Bauer mit erhobenen Duel Disks Stellung bezogen.

„Reden wir gar nicht lange um den heißen Brei herum, ich will das hinter mir haben!“, verlangte Anya wütend.

„Ok“, gab Nick sich ungewohnt wortkarg.

So riefen beide nur synchron: „Duell!“

 

[Anya: 4000LP / Nick: 4000LP]

 

„Ich fange an!“, bestimmte Anya und zog hintereinander weg sechs Karten. Nur einen halbherzigen Blick auf ihr Blatt werfend, legte sie ein Monster auf die Battle City-Duel Disk. „Dieses hier gesetzt, Zug beendet!“

Vor ihr materialisierte sich in vergrößerter Form und horizontaler Lage ein Kartenrücken. Allein daran würde Nick sich die Zähne ausbeißen, dachte sie grimmig.

 

„Hehe, Draw“, gluckste dieser und füllte sein Blatt ebenfalls auf sechs auf. Als Erstes griff er sich danach eine Zauberkarte aus seinem Blatt. „[Wind-Up Factory] für die Massenproduktion! Ich liebe Spielzeug!“

Durch die permanente Zauberkarte tauchte hinter dem brünetten Kerl ein Fließband auf, das aus einer Luke im Boden Pakete in eine andere Luke auf der gegenüberliegenden Seite transportierte.

Nick knallte im Anschluss ein Monster auf seine Duel Disk. „Los, [Wind-Up Soldier] und gleich den Effekt aktivieren! Stufe rauf, mit Angriffskraft auch, hehe!“

Vor ihm erschien ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugroboter mit Zangenhänden und einem Kopf, der stark an einen U-Magneten erinnerte. Der Aufziehschlüssel auf seinem Rücken begann sich wie wild zu drehen, kaum dass er das Spielfeld betreten hatte.

 

Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]

 

Das Fließband hinter Nick begann sich in Bewegung zu setzen und er erklärte: „Wenn ich was aufziehe, gibt’s ein Geschenk!“

Aus seinem Deck schoss eine einzelne Karte hervor, die Nick kurz vorzeigte und als [Wind-Up Shark] identifizierte, ehe er sie seinem Blatt hinzufügte.

„Und nun Angriff, ka-pow!“, strahlte er mit ausgestreckter Faust.

Sein Aufziehkrieger schoss wie ein Pfeil auf Anyas gesetzte Karte zu, die um 180° um ihre eigene Achse wirbelte und aus sich einen riesigen Elefanten erscheinen ließ, der überall am Körper mit Rubinen bespickt war. Gar seine Stoßhörner bestanden daraus.
 

Gem-Elephant [ATK/400 DEF/1900 (3)]

 

„Wow, deine Hirnzellen laufen ja heute auf Hochtouren, das war ja ein halbwegs kluger Zug! Hast du Koks geschnüffelt oder was?“, spottete Anya und schwang den Arm aus. „Ist auch egal, reichen tut das nämlich nicht! Ich aktiviere den Effekt von [Gem-Elephant]!“

Der Spielzeugroboter schlug mit seiner kleinen Faust gegen einen der Stoßzähne des Elefanten. Anya schob gleichzeitig [Gem-Knight Tourmaline] in ihren Friedhofsschacht.

„Wenn ich ein normales Monster während des Kampfes abwerfe, erhält er 1000 Verteidigungspunkte!“

Sofort glühte ihr Monster kurz in gelber Aura auf, warf den Feind schließlich unter lautem Tröten zurück zur anderen Spielfeldseite.

 

Gem-Elephant [ATK/400 DEF/1900 → 2900 (3)]

 

[Anya: 4000LP / Nick: 4000LP → 3300LP]

 

„Hm“, gab Nick kurz und knapp von sich. Dann grinste er aber wieder, schob eine Zauberkarte in seine Duel Disk und verkündete: „Die verdeckt und Ende in der Maus!“

Während der Schnellzauber vor ihm holographische Form annahm, hörte der Aufziehschlüssel von [Wind-Up Soldier] auf sich zu drehen.

 

Wind-Up Soldier [ATK/2200 → 1800 DEF/1200 (5 → 4)]

 

Anya war gerade im Begriff die nächste Karte zu ziehen, da tauchte Levrier neben ihr auf.

 

Irgendetwas ist anders. Täusche ich mich, oder spielt er besser als sonst?

 

„Tch, er hat ausnahmsweise etwas Glück, mehr nicht. Wie ging das Sprichwort noch, jedes blinde Huhn findet einen Schlächter?“

Für Anya war das nicht mehr als Zufall. Nick und gut? Als ob!

 

Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass sein Verhalten seltsam aufgesetzt auf mich wirkt. Beherzige meinen Rat und unterschätze ihn nicht.

 

Damit verschwand Levrier wieder und wie könnte es auch anders sein, hatten seine Worte bei Anya genau gar nichts bewirkt. Denn für sie stand fest: Nick war ein Idiot und würde es selbst dann noch bleiben, wenn man irgendwann künstliche Gehirnzellen verpflanzen konnte.

„Draw!“, rief sie kämpferisch. Die gezogene Falle betrachtet, schmiedete ihr erzböses Hirn sogleich einen finsteren Plan, wie sie den Trottel schön auflaufen lassen konnte. „Die hier verdeckt!“

Sprachs und schob die Karte in den dazugehörigen Slot unter [Gem-Elephant], woraufhin die Falle hinter ebenjenem erschien.

Dann zückte Anya eine Zauberkarte von ihrem Blatt. „Mit [Silent Doom] reanimiere ich [Gem-Knight Tourmaline] vom Friedhof in Verteidigungsposition!“

Aus einem Loch im Boden entstieg der Krieger in goldener Rüstung, der zwischen seinen Händen Blitze erschuf und in die Knie ging.

 

Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]

 

Ihre beiden Monster von der Duel Disk nehmend, rief Anya: „Und jetzt Tributbeschwörung! Ich opfere die zwei dort und rufe [Gem-Knight Crystal] aufs Feld!“

In blauem Licht lösten sich Tourmaline und der Elefant auf und machten Platz für einen stolzen, weißen Ritter, der seine Hände in die Hüften stemmte. Aus seinen Schulterplatten ragten durchsichtige Kristalle, die ihm seinen Namen gaben.

 

Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]

 

„Angriff!“, befahl Anya umgehend. „Clear Punishment!“

Seine Faust in den Boden rammend, erzeugte Crystal eine Erdspalte, die auf Nicks Spielzeugsoldaten zuschoss und ihn schließlich in die Tiefe riss. Mehr noch, als spitze Kristalldornen daraus empor schossen, war klar, dass der Kleine keine Überlebenschancen gehabt hatte.

 

[Anya: 4000LP / Nick: 3300LP → 2650LP]

 

„Verdammt, ist das einfach!“, raunte Anya mürrisch und gab mit zwei Handkarten ab. „Zug beendet.“

Zugunsten ihrer Falle hatte sie diesmal auf etwas Fusionsaction verzichtet, damit der 'Nickinator' sich schön selber die Tour vermasselte. Sollte er ruhig angreifen. Und wenn nicht, umso besser!

 

Ihr Gegner zog auf eine fünfte Karte auf und fixierte sich auf das Mädchen. „Ich rufe [Wind-Up Hunter]! Und dazu, weil ich einen Kumpel beschworen habe, [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung!“

Gleich zwei Monster materialisierten sich vor Nick. Zum Einen ein weißgrüner, vierbeiniger Roboter mit einer Armbrust in der Hand, zum Anderen ein blauer Aufziehhai – beide reichten kaum über Nicks Hüfte hinaus.

 

Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]

Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]

 

„Jetzt gibt’s wieder ein Geschenk, weil mein Haichen durch seinen Effekt beschworen wurde! Wie Weihnachten!“, strahlte Nick.

Das Fließband hinter ihm setzte sich in Bewegung, wobei gleichzeitig eine Karte aus seinem Deck geschossen kam, die er zwischen seinen Fingern aufnahm. Es war [Wind-Up Juggler].

„Das ist aber nicht das Ende der Kette, denn eigentlich aktiviere ich noch [Inferno Reckless Summon]. Da Shark als Spezialbeschwörung das Feld betrat und nur 1500 Angriffspunkte besitzt, kann ich ihn hiermit verdreifachen! Dasselbe kannst du mit Crystal machen, aber ich weiß ja, dass du nur eine Kopie davon spielst.“

„Uuuuuhhh … okay?“

Wie Nick da seine zwei weiteren Hai-Kopien aus dem Deck nahm und auf die Duel Disk legte, wurde Anya plötzlich unwohl zumute. Das vorhin hätte man als Zufall abtun können, aber täuschte sie sich, oder spielte Nick auf gehobenem Niveau!?

Quatsch, das musste er sich irgendwo abgeguckt haben, auf Youtube gab es dauernd irgendwelche Kloppis, die ihre Kombos erklärten!

Links und rechts neben dem Aufziehhai tauchten derweil zwei weitere seiner Spezies auf.

 

Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]

Wind-Up Shark x3 [ATK/1500 DEF/1300 (4)]

 

„Effekt des ersten Hais, ich reduziere seine Stufe dank seines Effekts um eins auf drei“, rief Nick, „weshalb ich mit ihm und [Wind-Up Hunter] jetzt das Overlay Network öffne! Erscheine, Rang 3 [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“

Verblüfft verfolgte Anya mit, wie seine Monster als blauer und violetter Lichtstrahl in den sich nun öffnenden, schwarzen Galaxienwirbel gezogen wurden und daraus wiederum ein riesiger Spielzeugschiffsträger erschien, der sich vor Nick und den beiden Haien breit machte. Um ihn kreisten zwei leuchtende Sphären.
 

Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2]

 

„Huh!?“

„Effekt von Zenmaity! Im Austausch gegen ein Xyz-Material ruft er ein Wind-Up-Monster von meinem Deck!“, rief Nick, zog den Hunter unter Zenmaity hervor und knallte stattdessen ein anderes auf die Duel Disk. „Zeig dich, [Wind-Up Rat]!“

Vor ihm tauchte eine blaue Aufziehratte auf Rädern statt Beinen auf, gerade groß genug, um von Anyas Schuh nicht vollkommen verdeckt zu werden, sollte diese sich entschließen einfach drauf zu treten. Und sie verspürte irgendwie das Gefühl, genau dies zu tun, da sonst etwas Schlimmes geschehen würde.
 

Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]

 

„Effekt der Ratte! Ich wechsle sie in Verteidigung und reanimiere dafür Hunter, ebenfalls in Verteidigung!“

Das kleine Tierchen fuhr einmal vor Nick im Kreis, woraufhin aus der umfahrenen Stelle der vierbeinige Jäger wieder auftauchte und somit keinen Platz mehr für Monster auf Nicks Duel Disk zuließ.

 

Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]

Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]

 

„Effekt Hunter! Ich opfere jetzt Zenmaity und stehle dir einmalig eine Handkarte!“

„Huh!?“, gab Anya wieder nur zum Besten, da sie bei all den Effekten Schwierigkeiten hatte mitzukommen.

Der Spielzeugflugzeugträger verwandelte sich einen kleinen Pfeil, der sich von selbst in die Armbrust des Jägers einlegte und von diesem auf Anyas Blatt abgefeuert wurde. So zischte er durch eines von Anyas Effektmonstern hindurch, welches diese missmutig in den Friedhofsschlitz schob.

„Tch, was soll das!?“

„Oh, nur eine meiner kleinen Kombos“, grinste Nick und kniff die Augen zusammen, „eine etwas fiese, zugegeben. Denn du musst wissen: ich kann das Ganze ab der Beschwörung von Zenmaity einfach wiederholen.“

„Huh!?“

Nick zuckte mit den Schultern. „Denk nach. Ich rufe jetzt mit Hunter und Rat einen weiteren Zenmaity, rufe mit dem die nächste Ratte von meinem Deck, die reanimiert den abgehangenen Hunter, welcher genau wie eben Zenmaity opfert. Sieh selbst!“

Und in erstaunlich schneller Abfolge wiederholte Nick dieselbe Kombo, bis auch Anyas zweite Handkarte, [Gem-Knight Fusion], getroffen von Hunters Pfeil in den Friedhof abgeschoben werden musste. Womit Anya nun blank war.

Aber anscheinend dachte Nick gar nicht daran aufzuhören, rief er doch mit Hunter und Ratte Nummer 2 einen dritten [Wind-Up Carrier Zenmaity] aufs Feld.

 

Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3} OLU: 2 → 1]

 

Der riesige Schiffsträger feuerte einen Torpedo ab, wie er es immer tat, wenn er ein Monster beschwor. Und genau wie die zwei Male zuvor, verwandelte der sich in die Ratte, die Anya so gerne zerquetschen würde. Die Ratte, die Nick auf seiner Duel Disk einfach in die Horizontale wechselte, um [Wind-Up Hunter] zu reanimieren, den er zuvor abgehangen hatte.

 

Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)]

Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]

 

Schon befand sich sein Feld wieder in der Ausgangsposition mit zwei Haien, der Ratte, dem Schiffsträger und dem Jäger.

Und Anya fragte sich und Nick: „Was zur Hölle geht'n hier ab!?“

„Nichts, bin nur gut drauf“, erwiderte ihr Freund geheimnisvoll, „da du keine Handkarten mehr hast, ändert sich ab hier meine Kombo ein wenig. Ich errichte mit Rat und Hunter das Overlay Network! Erscheine, Rang 3-[Wind-Up Zenmaines]!“

Vor ihm tat sich der schwarze Galaxienwirbel nun schon zum vierten Mal auf und sog den braunen und violetten Lichtstrahl der beiden Monster in sich auf, ehe daraus eine längliche Maschinenkreatur mit Flugzeugflügeln auf den Schultern und Zangenhänden erschien. Der Spielzeugkampfbomber hielt sich über Nick in der Luft mit seinen Propellern. Auch um ihn kreisten zwei Lichtsphären, ähnlich der, die um Zenmaity rotierte.

 

Wind-Up Zenmaines [ATK/1500 DEF/2100 {3} OLU: 2]

 

„Du solltest vorsichtig sein. Er mag schwach anmuten, aber wer sich mit ihm anlegt, zieht viel zu oft den Kürzeren“, rief Nick seiner Gegnerin vergnügt zu.

Er kam so selten dazu, seine besten Monster auszuführen, weil er normalerweise als Idiot zu dumm für solche Sachen sein musste. Es war regelrecht befreiend für ihn, Anya mal mit voller Spielstärke gegenüber zu stehen. Auch wenn die wohl noch gar nicht begriff, was überhaupt los war.

Umso seltsamer war es, dass dies Nick gar nicht kümmert. Die Kombos professionell und ernsthaft durchzuführen war eine Sache, aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr begriff er, dass sein Alterego hier nicht helfen konnte, selbst wenn er das Duell gewann. Anya war zu stur, um ihn mitzunehmen und würde niemals auf seinen Rat hören, solange sie glaubte, er wäre ein Idiot. Womöglich hatte er das bereits unbewusst eingesehen und sich deshalb gar nicht die Mühe gemacht, seine Fassade großartig aufrecht zu erhalten. Vielleicht war die Zeit gekommen, um …

Nick schüttelte den Kopf. Erstmal musste er das hier gewinnen, dann konnte er weitersehen.

So schwang er den Arm aus. „Natürlich habe ich meine Haie nicht umsonst beschworen. Sie können nämlich nicht nur ihre Stufe verringern, sondern auch um eins erhöhen. Das tue ich jetzt und errichte mit ihnen zum fünften Mal in Folge das Overlay Network! Erscheine, Rang 5-[Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“

Seine Haie verwandelten sich ebenfalls in blaue Lichtstrahlen, die von dem schwarzen Loch des Überlagerungsnetzwerks absorbiert wurden. Aus dem Wirbel hervor trat dieses Mal ein riesiger Roboter, der nur noch wenig von einem Spielzeug hatte. Eine Hand ein Bohrer, die andere als separate Einheit neben ihm fliegend, schien der rote Mecha tatsächlich respekteinflößend.

 

Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5} OLU: 2]

 

Und ohne jemals damit gerechnet zu haben, stand Anya nun drei Xyz-Monstern gegenüber.

„Fuck“, war alles, was sie dazu sagen konnte.

„Das war nur der halbe Spaß.“ Nick zeigte eine Zauberkarte vor. „Da ich ein Xyz-Monster besitze, kann ich [Generation Force] aktivieren. Damit erhalte ich eine Xyz-Unterstützungskarte von meinem Deck und dies wird der Spielfeldzauber [Xyz Territory] sein, welchen ich jetzt aktiviere!“

Unweigerlich musste Anya zurückschrecken, als überall um das Spielfeld herum rote Blitze eine Kuppel bildeten, die die beiden Duellanten in sich einschloss.

Nick erklärte: „Damit steigt die Potenz eines Xyz-Monsters während des Kampfes mit anderen Monstern. Es erhält pro Rang 200 Angriffspunkte. Aber warum findest du das nicht selbst heraus? Ich greife deinen [Gem-Knight Crystal] mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] an! Wind-Up Power Punch!“
 

Er hat deine Hand geleert, ganze fünf Xyz-Beschwörungen durchgeführt und besitzt nun ein Monster, das auf 3600 Angriffspunkte kommt! Dieser Junge ist gut!

 

„Schnauze, Levrier!“, befahl Anya, die diese Erkenntnis kategorisch ausschloss. „Eher ist er von einem Immateriellen besessen!“
 

Keine Chance.

 

Jedoch fehlte Anya die Zeit, dem zu widersprechen, denn Zenmaioh schoss nun seine abgekoppelte Faust auf den weißen Ritter des Mädchens ab.

„Das funktioniert nicht!“, fauchte jenes und betätigte den Knopf ihrer Duel Disk, welcher ihre Fallenkarte hochklappen ließ. „[Justi-Break]! Wenn du ein normales Monster angreifst, wird jeder Fucker auf dem Feld zerstört, der keinen gelben Rand hat!“

„Wie erwartet“, murmelte Nick und nutzte den Auslöser seiner eigenen gesetzten Karte, die sich als Schnellzauber zu erkennen gab. „[My Body As A Shield]! Damit zahle ich zwar 1500 Lebenspunkte, annulliere jedoch einen Zerstörungseffekt, der meine Monster betrifft. Netter Versuch, Anya, aber absolut berechenbar.“

 

Wo er Recht hat-
 

„Er kann nicht mal rechnen!“

Allerdings nützte Anyas Protest ihr herzlich wenig, als ihre Falle zersprang und ihr Ritter direkt in die Brust getroffen wurde. In tausend Teile zersprang er, ähnlich wie Anyas Weltbild, was Nicks Person anging. Keuchend wich sie der fliegenden Faust Zenmaiohs aus, die es nun auf sie abgesehen hatte und schließlich zu ihrem Besitzer zurückkehrte.

 

[Anya: 4000LP → 2850LP / Nick: 2650LP → 1150LP]

 

„Ich hätte auch den Effekt von Zenmaioh aktivieren können, um zwei gesetzte Karten zu vernichten“, erklärte Nick nachhaltig gelassen, „aber es ist nicht mein Stil, meine eigenen Karten für so etwas zu opfern, wenn ich nicht zu 100% sicher bin, ob ich damit auch Erfolg haben werde.“

„Stil!?“

Nick zog überrascht eine Augenbraue hoch. Dann begann er schelmisch zu grinsen. „Vergiss es … öh … ich … meinte Stiel. Meinen Besenstiel, weißt du?“

Der junge Mann blinzelte abwartend. Wie würde sie jetzt reagieren? Selbst Anya musste doch bemerkt haben, was er ihr schon die ganze Zeit, erst unbewusst, jetzt willentlich zu zeigen versuchte. Die Erkenntnis aber würde er ihr nicht abnehmen, denn sie musste selbst begreifen, mit wem sie es wirklich zu tun hatte. Sollte sie trotz all der Hinweise keine Schlüsse ziehen, nun …

„Was ist denn jetzt los!? Nick, was treibst du hier!?“

Ihr Gegner seufzte, konnte er aus dieser Reaktion nicht genau abschätzen, was in ihr vorging. Also spielte er das Spiel weiter und duckte sich plötzlich mit Händen über dem Kopf, quiekte „Vergib mir, direkter Angriff mit Zenmaity und Zenmaines!“

„Crap!“

Während der Flugzeugträger zwei kleine Torpedos auf Anya abfeuerte, flog der Spielzeugbomber über das Mädchen hinweg und ließ eine Reihe von Sprengkörpern auf sie herab fallen.

Anya langte panisch nach ihrem Friedhofsschacht. „Effekt von [Kuriboss] aktivieren! Ich verbanne ihn und annulliere einmal Kampfschaden!“

Wenn Nick den nicht dorthin verfrachtet hätte mit seiner ätzenden Kombo, wäre sie jetzt geliefert gewesen. So tauchte über ihr ein brauner Fellball in grauem Cape und mit Sonnenbrille auf der nicht existierenden Nase auf, welcher unter „Kuri!“ ein Dimensionsloch erschuf und die herabfallenden Minen in eine andere Welt mitnahm. Weniger Glück hatte Anya da mit den Torpedos, die neben ihr einschlugen und heftige Explosionen auslösten.

 

[Anya: 2850LP → 1350LP / Nick: 1150LP]

 

„Oh Mist!“, schoss es aus Nick panisch heraus, der sich das offensichtlich anders vorgestellt hatte. Seine vorletzte Handkarte in die Duel Disk schiebend, verkündete er: „Bitte hass' mich nicht! Diese verdeckt! Ich geb' auch an dich ab, Anya-Muffin! Hehe! Eis am Stiel und so.“

Anya zog eine Augenbraue hoch. Dann sagte sie erleichtert: „Puh, er ist wieder normal …“

Ihr entging der scharfe Blick ihres Gegners, den dieser ihr in seiner geduckten Position zuwarf.

 

Anya Bauer … ach vergiss es.

 

„Huh?“

Was hatte der denn jetzt schon wieder, fragte sie sich argwöhnisch. Heute benahmen sich diese beiden Trottel wirklich komisch!

„Mein Zug! Levrier!?“

 

nein.

 

„Doch!“
 

Nein.

 

„Ohne bin ich aber verloren!“ Aufgebracht fuchtelte Anya mit den Händen hin und her. „Nur ein bisschen, um nicht aus der Übung zu kommen!“

 

Vergiss es! Was ist aus deinem Vorsatz, solche Kräfte nicht zu benutzen, geworden!? Außerdem habe ich meine Kräfte erst gestern genutzt! Ich bin nicht mehr das, was ich einst war, Anya Bauer!

 

„Nützlich!? Hmpf, das warst du noch nie! Und nun mach, bevor wir … du weißt schon. Ihn mitnehmen müssen! Du wirst es bereuen, wenn du mich jetzt hängen lässt!“

„Ich kann dich hören, Anya“, mischte sich Nick trocken ein.

 

fein. Lieber riskiere ich bei dem Versuch zu verschwinden, anstatt mir die nächsten Wochen permanent dein Gemotze anzutun. Warum sind wir doch gleich befreundet?

 

„Weil ich so anderen Leuten besonders kräftig in den Arsch treten kann“, erwiderte Anya gallig, streckte ihre Finger ein paar Mal durch und griff dann nach ihrem Deck. Ein weißes Licht begann um die Hand zu leuchten.

Nick griff sich ans Kinn. „Der Cheat-Draw …“

„Für dich die Deluxe-Version mit besonders viel Demütigung!“, keifte Anya und riss die Karte von ihrem Deck, wobei vor ihrem inneren Auge ein genaues Bild im Kopf erschien, welche es sein würde. „Draw!“

Bei der schwungvollen Bewegung ging das Licht ihrer Hand auf die Karte über und Anya wusste instinktiv, dass Levrier sie mal wieder nicht im Stich gelassen hatte.

Sofort knallte sie das nachgezogene Monster auf die Duel Disk. „Ich beschwöre [Gem-Knight Turquoise]!“

Woraufhin vor ihr ein Ritter in türkisblauer Rüstung, mit Bogen bewaffnet, Gestalt annahm.

 

Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]

 

Mit flinken Fingern fischte das Mädchen Sekunden später [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Fusion] aus ihrem Friedhof und zeigte diese vor.

„Ich verbanne Tourmaline, um [Gem-Knight Fusion] zu recyceln, die ich wegen dir abwerfen musste. Aber sie bleibt nicht lange auf meinem Blatt, denn mit Turquoises Effekt werfe ich sie ab, um einen verbannten Gem-Knight zu rufen. Nämlich Tourmaline! Erscheine!“

So geschah es, dass Anya besagte Zauberkarte wieder auf den Ablagestapel legte und den goldenen Ritter vor sich einberief.

 

Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]

 

„Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network!“, krähte Anya und streckte den Arm weit in die Höhe.

Die beiden Krieger verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die von dem schwarzen Galaxienwirbel absorbiert wurden, welcher sich in der Mitte des Feldes auftat. Und so oft, wie Anya dies heute gesehen hatte, würde sie davon vermutlich Albträume bekommen.

„Mach ihn alle, Levrier!“

Aus dem Strom stieg der schlichte Ritter in der weißen Rüstung hervor. Stolz verschränkte [Gem-Knight Pearl] die Arme, umgeben von den sieben rosafarbenen Riesenperlen, die ihm seinen Namen gaben.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]

 

hättest du nicht meinen Kollegen, den Drachen rufen können?
 

Levrier fasste sich an die Stirn, schüttelte den Kopf und seufzte vor Selbstmitleid.

„Nein!“, fauchte Anya. „Der ist zwar viel nützlicher als du, aber in dem Fall brauche ich vor allem eins: rohe Gewalt! Und dafür ist deine Crapkarte genau die richtige!“

Nick verschränkte abwartend die Arme.

Seine Gegnerin griff zeitgleich unter Pearl, um dessen Xyz-Material darunter hervorzuziehen. „Pearl hat keinen Effekt, dafür aber Turquoise, wenn er als Xyz-Material herhält! Ich kann ihn und 'nen anderen Gem-Knight abhängen, um den Angriffswert des gerufenen Xyz-Monsters für diesen Zug zu verdoppeln! Los!“
 

Immer wieder dieselbe Nummer …

 

Levrier streckte seine zu Fäusten geballten Hände weit aus und absorbierte damit die beiden Lichtsphären, die um ihn kreisten. Anschließend begann er in türkisfarbener Aura aufzuleuchten.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]

 

„Perfekt!“, jauchzte Anya und streckte den Arm aus. „Jetzt zeigen wir dem da, warum ich auch gut alleine klar komme! Levrier, Angriff auf [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]! Ach, und Einstein!“

Nick erwiderte grinsend: „Was denn, mein Muffin?“

„Du bist so dumm! Deine kack Feldzauberkarte stärkt auch meine Xyz-Monster! Sieh zu, wie ich dich zermantsche! Blessed Spheres Of Purity!“

Levrier hob die Arme daraufhin in die Höhe, nur um sie dann mit Schwung wieder nach vorne zu richten. Damit kommandierte er seine sieben Sphären, die wie Kanonenfeuer auf Nicks Kampfroboter zu schnellten.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/5200 → 6000 DEF/1900 {4} OLU: 0]

 

„Da können selbst 3600 Angriffspunkte nicht mithalten!“, feixte Anya.

„Ich sagte, ich werde dich begleiten“, murmelte Nick leise und kniff die Augen zusammen. „Und wenn ich das sage, dann meine ich das auch so. Sorry Anya, dieser Sieg gehört mir!“

„Vergiss es!“

Doch Nick schwang bereits mit strengem Blick seinen Arm aus, sodass seine gesetzte Fallenkarte aufklappte. „Mitnichten! [Overwind]! Damit verdopple ich Zenmaiohs Werte, wofür er in der End Phase in mein Extradeck zurückkehrt!“

„Huh!?“

Levrier schlug die Hände über den Kopf zusammen, als er das vernahm.

 

Nicht doch!

 

Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3600 → 7200 DEF/1900 {5} OLU: 2]

 

„Fuck!“, kreischte Anya alarmiert.

Wie kleine Kieselsteine prallten die sieben Perlen an der Panzerung des Roboters ab und kamen nun mit doppelter Geschwindigkeit auf Levrier und Anya zugeschossen. Ersterer ergab sich seufzend seinem Schicksal und wurde von den leuchtenden Kugeln regelrecht zerfetzt, doch Anya war da weitaus weniger kooperativ. Sie zeigte ihnen und Nick per unmissverständlicher Fingergestik, was sie davon hielt. Die Perlen wiederum dankten es Anya mit wenig Erbarmen und deckten sie bei Körperkontakt regelrecht mit Explosionen ein.

 

[Anya: 1350LP → 150LP / Nick: 1150LP]

 

Vor Schreck stolperte Anya und fiel rückwärts auf ihr Hinterteil.

In diesem Moment, als sie zu Nick herüber sah, wie er da fest entschlossen stand und sie nicht aus den Augen ließ, wurde sich das Mädchen dreier Dinge bewusst.

Erstens: Sie hatte sich die letzte Viertelstunde und darüber hinaus ihr ganzes Leben lang eingeredet, ihr bester Freund wäre der schlechteste Duellant auf dem Planeten.

Zweites: Auch hatte sie sich eingeredet, er wäre der dümmste Mensch auf dem Planeten.

Drittens: Beides traf nicht zu. Eher das Gegenteil.

Woraus sie beängstigend schnell für ihre Verhältnisse ein Fazit zog. Nick war so gut wie tot.

Wutentbrannt sprang das Mädchen auf und legte ihre Hand dabei auf ihr Deck. „Ich gebe auf!“

 

[Anya: 150LP → 0LP / Nick: 1150LP]

 

Prompt verschwanden die Hologramme von Nicks Xyz-Armee.

Nick lockerte vor Überraschung glatt seine verbissene Miene auf. „Was? Du und aufgeben?“

„Ja!“, fauchte Anya, nahm ihre Duel Disk vom Arm und warf sie mit derartigem Karacho über den Zaun des Bauergrundstücks, dass es nur so schepperte. Wortwörtlich, sie hatte das Fenster des Wohnzimmers erwischt. Was Anya nicht im Geringsten störte.

Sich die nicht existierenden Ärmel ihres T-Shirts hochkrempelnd, stampfte sie auf Nick zu. „Bild dir bloß nichts ein. Das mache ich nur, um mehr Zeit damit verbringen zu können, deine neuen Gehirnzellen einzeln aus deinem verkorksten Schwammkopf zu zupfen, während ich mir dabei den neuesten Saw-Film als Inspirationsquelle für andere Foltermethoden reinziehe!“

„Aha.“

Anya flogen bald die Augen ob jener daher gesagten, gelangweilten Antwort heraus. Das war Nick, der müsste doch längst die Beine in die Hand genommen und die Flucht ergriffen haben! Wieso rannte er nicht weg, jetzt, wo er offensichtlich intelligent war!?

Vor ihm angelangt, schaute das Mädchen drohend zu ihm hinauf. „Noch irgendwelche letzten Worte, bevor ich dich skalpiere? Vielleicht, warum du neuerdings so gut Duel Monsters spielst?“

„Ja.“ Nick sah zur Seite. „Ich … habe mich im Duell etwas gehen lassen.“

„Das hab ich gemerkt!“

Der Anflug eines Lächelns breitete sich auf Nicks Lippen auf. „Sonderlich oft komme ich nicht dazu, mich ernsthaft zu duellieren. Und mit dir habe ich mich so bisher noch nie duelliert. Du … hättest gewonnen, wenn du nicht ausgerechnet Zenmaioh angegriffen hättest.“

„Wie schade“, ätzte Anya, „aber ich sag dir was! Du kommst trotzdem nicht mit! Weil du noch viel schlimmer bist, wenn du einen auf Intelligenzbestie machst!“

 

Nick, der es nun wagte, die gut einen Kopf Kleinere anzusehen, gab einen überraschten Laut von sich. Statt ihn nämlich böse anzufunkeln, war es nun Anya, die betrübt ins Leere starrte.

„Ich“, nuschelte sie leise, „hab's echt nicht geschnallt bis eben. Dass du … anders bist. Und wenn Levrier es nicht dauernd sagen würde, würde ich am ehesten glauben, dass du jemand Fremdes bist, ein Doppelgänger oder so. Nicht der echte Nick, den ich seit meiner Kindheit kenne.“

„Ich wollte es dir sagen. Schon oft. Aber … es ging nicht.“

Das Mädchen wandte sich von ihm ab. „Keine Ahnung, von was du sprichst. Komm einfach mit, ich will jetzt … einfach woanders sein. Bevor meine Mutter das mit dem Fenster spitz kriegt.“

Sich fragend, wohin es gehen sollte, begann Nick Anya zu folgen.

 

~-~-~

 

Wenig später waren sie am Ziel angelangt. Der Spielplatz. Mittlerweile war kaum noch etwas vom Abendrot zu sehen, stattdessen begann nun die Nacht Livington in ihren Bann zu ziehen. Der Schein der am Straßenrand stehenden Laternen drang bis hierher.

Über den Sand zu den beiden Schaukeln laufend, schwieg Anya, wie sie es getan hatte, seit sie sich auf den Weg hierhin gemacht hatten.

Diese Zeit der Stille hatte sie gebraucht, um ihre Gedanken zu ordnen. Denn so wirklich einschätzen konnte sie ihren Freund nicht. Es kam ihr plötzlich so vor, als kannte sie Nick gar nicht, als wäre das ein Fremder. Wie viel von dem, was er in den letzten Jahren abgezogen hatte, war nur gespielt? Und noch viel wichtiger, warum hatte er anscheinend die ganze Zeit nur den Idioten gemimt? Wieso hatte sie das nicht eher bemerkt?

 

Sich auf einer der beiden Schaukeln neben der großen Rutsche niederlassend, wies sie Nick stumm an, die andere zu besetzen. Der tat dies auch ergeben.

Zusammen schwiegen sie noch eine Weile, starrten in den Himmel, der immer dunkler wurde und beobachteten die Sterne.

Schließlich fand Anya einen Anfang. „Warum?“

Nick antwortete gedämpft. „Nur so. Hab mir nichts weiter dabei gedacht. Wollte euch einfach etwas aufmuntern mit der Art des anderen Nick und irgendwie hat sich das in all den Jahren immer weiter entwickelt. Bis es kein Zurück mehr gab.“

„Du bist dumm“, erwiderte Anya trocken.

Ihr Freund lachte auf. „Ja, vielleicht hab ich mehr mit meinem Alter Ego gemein als man glauben möchte.“

Anya starrte bewusst weiter in den Himmel. „Wer weiß noch davon?“

„Abby, aber noch nicht all zu lange. Ich habe sie erpresst, damit sie dir nichts erzählt, also sei bitte nicht wütend auf sie.“

„Bin ich nicht. Wütend bin ich auf dich.“

„Umso besser. Verdient hab ich es.“ Er ließ den Kopf hängen. „Wer hätte gedacht, dass ich mich ausgerechnet bei einem Duell verraten würde?“
 

Der Ausbruch kam so plötzlich und vor allem für Anyas Verhältnisse erst so spät, sodass es an ein Wunder grenzte, dass Nick nur von der Schaukel in den Sand fiel und nicht aufgrund der Lautstärke bis zum Mond flog.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, du grenzdebiler Spasmo!?“, überschlug die Stimme der Blonde sich förmlich, als sie sich auf den groß gewachsenen, jungen Mann stürzte. „Du hast mich damals bei diesem scheiß Tag Turnier sowas von hintergangen! Wir hätten das Ding locker gewinnen können, wenn Mr. Mime hier sich nicht dazu entschlossen hätte, mir die Tour zu vermasseln!“

Nick am Kragen zu sich hoch ziehend, starrte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen, die einen bedenklich wahnsinnigen Touch gewonnen hatten, diabolisch an. „Irgendwelche letzten Worte, ehe ich dir den Arsch bis zum Genick aufreiße!?“

„Darüber regst du dich als Erstes auf?“

„Worüber sonst, du Hohlbirne!?“, gab Anya ihm mit passender Kopfnuss zurück, ließ ihr Opfer schließlich wieder los und setzte sich zurück auf die Schaukel. Leise nuschelte sie: „Den meisten anderen Scheiß hab ich sowieso vergessen, bei so viel verliere selbst ich den Überblick. Außerdem ist es nicht so, dass ich im Moment Zeit dafür habe, mich für all die Blamagen zu rächen.“

Nick richtete sich auf und klopfte seine Hose sauber, ehe er es Anya gleichtat und wieder Platz nahm.

„Dann bin ich ja beruhigt“, witzelte er, da er sich bewusst war, wie knapp er daran vorbei geschlittert war, den Rest seines Lebens 'Hölle' zu nennen.

„Aber wir sind keine Freunde mehr.“

Anyas kalte Worte schafften es tatsächlich, dass ihm die Kinnlade hinunter klappte.

„Ich kenne dich nicht“, meinte sie weiter und schloss die Augen, „deswegen müssen wir uns erst kennenlernen. Auf der Reise nach Dice. Und vielleicht bin ich so nett und lasse mich irgendwann wieder dazu herab, dich so zu nennen.“

 

Zuerst wollte Nick widersprechen, aber wie er sie so ansah, fehlten ihm die Worte. Ausgerechnet jemanden wie Anya so nachdenklich zu erleben, brachte selbst den sonst so gefassten Nick ins Schwanken. Denn anscheinend nahm sie sich das mehr zu Herzen, als man es ihr jemals zutrauen würde.

Aber war es denn so überraschend?

Sie hatte eben erst auf eine für sie sehr schmerzhafte, demütigende Weise erfahren, dass er sie all die Jahre angelogen hatte. Normalerweise hätte Anya ihn, statt zum Spielplatz, in eine dunkle Gasse führen und auf mindestens zehn kaltblütige Weisen umbringen müssen. Zumindest wäre das ihr gewohntes Muster gewesen.

Dass sie ihm 'nur' die Freundschaft vorläufig kündigte, qualifizierte sie praktisch für einen Platz in Gottes Reich, an ihrer mangelhaft ausgebildeten Gutmütigkeit gemessen.

 

„Heißt das, dass du einverstanden bist, wenn ich dich begleite?“

„Ja“, brummte sie, „aber nur, weil Levrier sagt, dass du ganz nützlich sein könntest.“

Nick schmunzelte. „Keine Sorge, das werde ich. Mach dir um die Kosten für die Reise keine Sorge, die werde ich tragen.“

Anya warf ihm einen verstohlenen Blick herüber, hielt sich dabei an den Trägern der Schaukel fest. „Und wie?“

„Lass das meine Sorge sein, ich bin recht gut in Sachen Hacking. Erinnerst du dich an Nina Placatelli?“

Sofort verfinsterte sich Anyas Ausdruck. „Leider ja! Diese strunzhohle Reporterin, die Abby so übel- Moment mal! Wenn du klug bist, heißt das ja, dass du damals absichtlich-!“

„Warum ich das gemacht hab, erkläre ich dir ein anderes Mal“, schmetterte Nick den aufkommenden Sturm eilig ab und hob die Hände, „es war nur zu unserem Besten! Wenn es dich beruhigt: ich kann ihr Konto knacken und dir damit alles kaufen, was du willst!“

„Tch! … alles?“

Er grinste breit. „Alles. Auch die Brust-OP.“

Nick wusste, dass er nur noch mehr Öl ins Todesfeuer Anya goss, aber genauso kannte er seine Freundin gut genug, um sich in Sicherheit zu wiegen. Denn wie Anya selbst des Öfteren sagte, tötete sie ihre Nutztiere nicht. Außerdem war es sein geborener Zwang, sie zur Weißglut zu treiben, den Teil hatte er nie spielen müssen.

 

„Aber mal was anderes“, änderte er dennoch mit plötzlichem Ernst das Thema, „der Sammler. Ich habe darüber nachgedacht. Dass du seinen Auftrag erfüllen sollst.“

Anya beugte sich interessiert nach vorne. „Ach ja? Lass hören, Einstein!“

„Er kann es nicht.“

„Kann was nicht?“

„Die Aufgabe selbst erledigen. Das ist der einzige logische Schluss“, sprach Nick und sah seine Vorübergehend-nicht-Freundin vielsagend an. „Jemand von seiner Macht müsste locker mit einem Werwolf fertig werden. Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber vielleicht wird er beobachtet.“

Der skeptische Tonfall Anyas wollte nicht abklingen. „Von wem?“

„Jemanden, der noch mächtiger ist als er.“ Nick schüttelte den Kopf. „Das ist aber nur eine Möglichkeit. Eine andere wäre, dass er selbst nicht mehr so mächtig ist, wie er uns glauben lassen will. Da wir nicht einmal wissen, was für Gegenstände du suchen sollst, wäre es denkbar, dass er sie braucht, um sich zu stärken.“

Anya runzelte ärgerlich die Stirn. „Der hat nicht den Eindruck gemacht, neuerdings an Altersschwäche oder sonstwas zu leiden.“

Etwas Schwung holend, begann Nick zu schaukeln. Dabei sagte er: „Als Laie fällt einem das nicht auf. Für ihn geht es darum, anderen Dämonen voraus zu sein. Was denkst du, was sie mit ihm anstellen würden, wüssten sie, dass er geschwächt ist? Aber natürlich ist auch das nur ein Gedanke. Im Endeffekt wissen wir nur, dass du kannst, was er selbst nicht zu tun vermag. Und wohl auch niemand sonst, wenn man bedenkt, dass er auch diesen Kyon hätte losschicken können, statt dich in eine aufwendig geplante Falle zu locken.“

Garstig erwiderte Anya: „Soll ich jetzt einen Freudentanz aufführen?“

„Nein.“ Nick bremste mit den Hacken den Schwung, blieb stehen und sah überzeugt zur Blonde herüber. „Aber es könnte sich noch zu unserem Vorteil erweisen. Außerdem sollten wir noch etwas bedenken. Jemand, der so gut über alles informiert ist wie er, weiß nur in Ansätzen, wonach du suchen musst?“

„Yeah“, brummte Anya, „normalerweise müsste der doch nur mit dem Finger schnippen, um diese Leute vor sich erscheinen zu lassen. Da ist was faul. Entweder ist das wieder so ein dummer Test, oder … keine Ahnung, irgendwas anderes halt.“

„Was auch immer es ist, wir werden es herausfinden, irgendwie. Spiel' erstmal sein Spiel mit, damit wir etwas mehr erfahren. Dann, wenn wir uns sicher sein können, dass du die wichtigste Komponente in seinem Plan bist, werden wir den Spieß umdrehen.“

 

Die Blonde zog überrascht eine Augenbraue hoch. Um dann breit zu grinsen. „Langsam gefällst du mir, Harper!“

Er lachte auf. „Hätte ich das geahnt, hätte ich mich nicht jahrelang zum Affen für dich gemacht. Na ja. Wir sollten zurück. Ich buche noch heute Tickets für den Flug nach Dice, sodass wir so schnell wie möglich los können.“

„Mit gefallen meinte ich, dass ich dich weniger hasse“, stellte Anya eiskalt klar, „auf meiner Racheliste #1 stehst du seit heute nämlich ganz weit oben, Harper!“

„Ich nehme das mal als Kompliment, denn normalerweise ist die nur mit dem Namen Redfield gefüllt.“

„Erinnere mich jetzt bloß nicht noch an die“, brummte Anya und senkte den Kopf, „die dumme Kuh ist ein absolutes Hindernis.“

Nick horchte irritiert auf. „Hindernis? Ich dachte, du wärst über Marc hinweg?“

„Nicht wegen Marc, du Idiot! Sie ist eine von wenigen, an denen ich vorbei muss, um meinen Traum zu verwirklichen.“ Anya sah auf in den Sternenhimmel. „Ja, Harper, du hast richtig gehört. Ich habe einen Traum.“

Als Nick das hörte, zuckten seine Mundwinkel augenblicklich nach oben. „Das ist gut, oder?“

„Natürlich ist das gut! Seit ich weiß, dass ich nicht mehr lange leben könnte … will ich beweisen, dass ich die Duel Queen sein kann! Ich glaube, das ist der erste Traum, den ich je hatte. Und der ist verdammt nochmal perfekt!“

Überrascht davon, erwiderte Nick: „Duel Queen? Der Titel der besten Duellantin auf dem Planeten?“

„Ja! Und um den zu bekommen, muss ich Redfield vernichten. Und dich. Und noch ein paar andere Nervensägen, die ich erst noch treffen muss. Aber alles zu seiner Zeit, ich bin momentan nicht gut genug, mich so zu nennen.“

Dass Anya so viel Einsicht und Ehrgeiz zeigte, erfüllte Nick nur umso mehr mit Stolz. Denn dass sie ihm dies erzählte, zeigte, dass sie auch einen Schritt in die Richtung genommen hatte sich zu öffnen.

„Erzähl mir mehr darüber“, bat er.

Und das tat Anya.

 

 

Turn 40 – Moon Shine Night

Nach einem anstrengenden Flug kommen Anya und Nick schließlich in Dice an. Während Nick die Polizeiarchive durchforstet, um Infos über den geheimnisvollen Zanthe zu finden, bereitet Anya sich auf ihre ganz eigene Art und Weise vor. Mitten in der Nacht, dank eines genialen Einfalls von Nick, machen sie sich schließlich auf die Suche, wobei es Anya tatsächlich gelingt, Zanthe im in der nähe befindlichen Wald ausfindig zu machen. Allerdings …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-07-07T15:28:13+00:00 07.07.2017 17:28
Hi
Super Kapitel, jetzt hat Nick sich also gezeigt ist besser gelaufen als ich gedacht hatte. Ich denke mal, die beiden werden schon das beste aus der Situation machen.
Bin mal auf den Werwolf gespannt.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
14.07.2017 16:19
Hi,
danke dir. Wenn du mit besser gelaufen meinst, dass Nick noch lebt, dann ja.
Aber Anya ist sehr nachtragend. ;-)

LG,
-Aska-


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