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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 05 - Lessons

Turn 05 – Lessons

 

 

„Junge Dame, du wirst mir das jetzt auf der Stelle erklären“, verlangte Sheryl aufgebracht und hielt den Arm ihrer Tochter fest. „Was ist das?“

„Ein Tattoo, sieht man doch“, brummte Anya und überlegte schon, ihre Mutter aus ihrem Zimmer zu werfen. Was wohl aber nicht die beste Idee war, wenn man deren Gemütszustand recht betrachtete.

„Und woher hast du diese Schmiererei?“

„Na aus'm Tattoo-Studio, woher sonst?“ Anya konnte ja schlecht behaupten, dass sie das Mal trug, weil sie mit einem unbekannten Wesen einen Pakt geschlossen hatte. Am Ende würde ihre Mutter sie noch in Victim's Sanctuary einliefern lassen.

 

Sheryl ließ den Arm des Mädchens los und betrachtete das schwarze Kreuz, durch welches ein dorniger Kreis ging. Von derartiger Körperkultur hielt sie ohnehin wenig, aber eine solche Geschmacksverirrung hätte sie selbst Anya nicht zugetraut.

„Du wirst das entfernen lassen“, forderte Sheryl streng.

„Und wer soll das bezahlen? Das ist teuer, Mum.“

„Dein Vater und ich! Und du wirst uns jeden Cent zurückzahlen, sobald du kannst. Haben wir uns verstanden?“

Doch ihre Tochter schüttelte abweisend den Kopf. „Nein Mum. Ich behalte das Teil. Is' cool.“

Fassungslos fasste sich Sheryl an die Stirn. Was hatte Anya sich bloß dabei gedacht? Hätte sie nicht wenigstens vorher Bescheid sagen können? Zwar war sie alt genug, selbst solche Entscheidungen zu treffen, aber dennoch! Es sah furchtbar aus!

„Das Tattoo muss weg! Wenn dein späterer Arbeitgeber das sieht, schmeißt er dich achtkantig raus!“, beharrte sie auf ihrer Meinung.

Anya verzog trotzig das Gesicht und rutschte auf ihrer Couch hin und her. „Dann suche ich mir 'nen Arbeitgeber, dem das nichts ausmacht!“
 

Es war aussichtslos. Ihre Tochter würde ohnehin nicht nachgeben, dachte Sheryl sich frustriert. Sie selbst musste erst einmal darüber nachdenken, wie man das Kind dazu bringen konnte, ein wenig Einsicht zu zeigen. Was bei jemandem wie Anya ein Kampf gegen Windmühlen war.

„Wir reden später darüber. Ich muss gleich los. Was hast du vor, während ich weg bin? Doch sicherlich nicht noch so eine Dummheit, oder?“

„Mum, es ist Wochenende. Was soll ich denn groß anstellen?“

Sheryl verzog verbittert den Mund. „Ich bin gespannt, was dein Vater dazu sagen wird. Und die Sache mit der Schulaula ist auch noch nicht vom Tisch.“

„Ich hab doch schon gesagt, dass wir das nicht waren!“, begehrte Anya auf und sah sie vorwurfsvoll an. In ihren Augen konnte Sheryl erkennen, dass das Mädchen dieses Mal die Wahrheit sprach, aber es konnte nicht schaden, sie noch ein wenig im Dunklen tappen zu lassen.

Was das anging, hatte sie mit ihrer Vermutung vor einigen Tagen tatsächlich recht behalten. Sie hatte einen Anruf von der Schule bekommen, nachdem Anya die letzten beiden Unterrichtsstunden ebenjener geschwänzt hatte. Schlimmer noch, sie hatte die arme Abby noch dazu animiert mitzumachen. Der richtige Schrecken kam aber erst, als der Direktor ihr erzählte, dass Anya, Abby und Nick gesehen wurden, wie sie die in Trümmern liegende Schulaula unbekümmert verlassen hätten. Ganz zu schweigen davon, dass Nick zu diesem Zeitpunkt ziemlich krank und dazu noch verletzt war.

Zwar ging niemand – zumindest offiziell – davon aus, dass Anya etwas Derartiges wagen würde, denn das war selbst für ihre Verhältnisse zu extrem, aber von irgendwoher musste der Schaden schließlich stammen. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass Anyas Fehler sie teuer zu stehen kamen.

„Was die finanziellen Schäden der Schule angeht, müssen wir weitersehen. Ich hoffe für dich, dass du die Wahrheit sagst, junge Dame. Und sei in Zukunft vorsichtig, du kannst dir keine Fehler mehr erlauben!“, mahnte sie ihre Tochter eindringlich, die nur trotzig das Gesicht verzog.
 

Anya sprang schließlich auf. „Geh jetzt, Mum, bevor du noch zu spät kommst.“

Daraufhin umarmten die beiden einander, ehe Sheryl sich verabschiedete. „Versprich mir, dass du in Zukunft vernünftiger handelst, okay?“

Ihre Tochter gab ein Brummen von sich, das Zustimmung ausdrücken sollte. Schließlich verließ ihre Mutter das Zimmer.

 

Und kaum war jene aus dem Haus, schnappte Anya sich das Schnurlostelefon von ihrer Bettdecke und warf sich wieder auf die Couch gegenüber.

Immer das Gleiche, dachte sie dabei. Wenn etwas passierte, war automatisch sie daran schuld! Und wie stellte sich ihre Mutter die Sache mit dem Mal vor? Gerne würde Anya es entfernen lassen, aber das war in dem Fall nicht drin. Nicht, seit sie mit Sicherheit wusste, dass das Ganze -kein- Traum war!

Die gute Nachricht dabei war, dass sie doch noch alle Tassen im Schrank hatte. Die schlechte hingegen, dass sie trotzdem so gut wie verloren war …
 

Die Blondine wählte Abbys Nummer und wartete, bis diese abhob.

„Bei Masters. Abby am Apparat.“ Noch gelangweilter konnte ihre Freundin nicht klingen.

„Ich“, brummte Anya, um auszudrücken, wer da am anderen Ende der Leitung war. „Ist Nick schon da?“

„Ja. Er spielt gerade mit Michael. Und … sie verstehen sich prima. Intellektuell meine ich.“

Anya stöhnte. Michael war Abbys erst acht Jahre alte Stiefbruder und in der Regel ziemlich anstrengend. Aber gut für Nick, so hatte er jetzt genau einen Freund mehr als sie selbst. Was, wenn sie es recht betrachtete, nicht geduldet werden konnte. Niemand war einer Anya Bauer in etwas voraus, es sei denn, sie wollte es so!

„Treffen wir uns dann gleich?“

„Ja. Ich habe vorab schon ein bisschen im Internet geschaut und mir ein paar Titel notiert. Vielleicht steht in den Büchern irgendetwas Brauchbares drin. Wenn die Bibliothek sie hat, heißt es.“ Abby klang dabei nicht sehr optimistisch. Was vor allem daran lag, dass die Stadtbibliothek von Livington ziemlich klein war. Zumindest behauptete Abby das immer.

„'kay. Dann bis nachher.“

„Bye.“

Anya drückte ihre rote Lieblingstaste und starrte das Telefon an. Warum hatte sie sich nochmal dazu breitschlagen lassen, bei der Suche nach Informationen rund um Levrier und Eden mitzumachen? Ach ja … weil sie sterben würde, wenn sie nicht bald einen Weg fanden, den Pakt aufzuheben!

 

Verwirrt blickte Anya sich um. Wieder befand sie sich in der tiefen Finsternis, stand dabei auf dem großen Mosaik der Erde, welches sich langsam drehte.

Levrier verharrte, wie schon bei den Treffen zuvor, in Anyas Gestalt vor dieser und sah sie mit tiefer Besorgnis in den blauen Augen an.

Was willst du?“, zischte Anya.

„Wir müssen reden. Es geht um unseren Pakt.“

Die Blondine zuckte mit den Schultern. „Und was soll damit sein?“

„Es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest. Allen voran: wir haben nicht viel Zeit.“

Verwundert zog Anya das Kinn an. „Soll heißen?“

Die Ankunft Edens ist für den 11. November diesen Jahres vorgesehen. Wenn wir bis zu diesem Tag keinen Weg gefunden haben, Eden zu werden, ist unsere Chance für sehr lange Zeit verstrichen.“

„11. November? Das ist ja schon in zwei Monaten!“, erwiderte Anya aufgebracht. „Und verstehe ich das richtig? Du weißt gar nicht, wie man Eden 'wird'? Hattest du nicht sogar mal behauptet, du wüsstest nicht einmal, was Eden überhaupt ist?“

Levrier wich ihrem Blick aus. „Das ist korrekt. Ich kenne meine Bestimmung, doch nicht, wie ich sie erfüllen kann oder warum ich das muss. Aber ich weiß, dass wenn wir bis zu besagtem Tag keine Lösung gefunden haben, die Konsequenzen schrecklich sein werden. Zumindest für dich.“

Anya verschränkte die Arme und mahlte vor Wut regelrecht mit dem Kiefer. Herausfordernd erwiderte sie: „Alter, was soll das heißen?“

„Du wirst an diesem Tag den Tod finden, wenn wir nicht zu Eden werden. Ich hingegen werde weiterexistieren und mir ein neues Gefäß suchen müssen.“

„Und das sagst du mir erst jetzt!?“ Anya wollte auf Levrier zu stürmen und ihn packen, doch fiel in ihrem Lauf einfach durch ihn hindurch. Stolpernd kam sie hinter ihm zum Stehen.

„Du hast nicht nach den Bedingungen unseres Pakts gefragt, als du ihn abgeschlossen hast“, reagierte Levrier gleichgültig und drehte sich zu ihr um.

Anya schnaubte regelrecht vor Wut. „Und woher willst du überhaupt wissen, ob ich krepieren werde?“

„Weil ich in der Vergangenheit schon einmal versagt habe. Sei dir im Klaren darüber, dass ich ein uraltes Wesen bin, dass bereits seit mehreren hundert Jahren auf diesem Planeten wandelt. Wir dürfen dieses Mal nicht versagen, denn ich bezweifele, dass die Erde noch existieren wird, wenn die nächste Gelegenheit für Edens Ankunft herangerückt ist. Und Edens Ankunft ist an diesen Planeten gebunden.“

„Was ist überhaupt so toll an Eden?“, brauste Anya auf. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du etwas werden willst, von dem du gar nicht weißt, was es überhaupt sein soll!“

Levrier schloss die Augen. „Es fühlt sich an, als gab es eine Zeit, in der ich wusste, warum ich Eden werden muss. Aber sie scheint so fern, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie je existiert hat. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals ein anderes Ziel gehabt zu haben, als Eden zu werden. Und deswegen werde ich diese Chance nutzen!“

Die illusionäre Anya sah das Original entschlossen an. Dieses jedoch kratzte sich am Kopf und schüttelte ebendiesen. „Kumpel, ich hab keine Peilung, ob ich dir da helfen kann. Abzunippeln klingt scheiße, aber dass ich mit dir zusammen zu irgendsonem Ding werden soll, hört sich auch nicht gerade besser an.“

„Das hättest du wissen müssen, als du den Pakt mit mir eingegangen bist. Nun ist es zu spät, denn wer einmal mit mir einen Pakt schließt und sich bereiterklärt, mein Gefäß zu werden, kann nie wieder zurück. Solche Verträge sind nicht so leicht aufzulösen und hätten in einem solchen Fall schwere Konsequenzen für beide Parteien.“

Anya stöhnte. „Alter, mir platzt gleich der Schädel! Heißt das, ich bin verloren?“

„Wenn du es so ausdrücken möchtest? Ja. Gewissermaßen. Aber wer weiß, vielleicht stellt es sich heraus, dass Eden zu werden auch für dich von Vorteil ist?“

„Wohl kaum …“

Plötzlich schwiegen die beiden sich an. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt.
 

Schließlich sagte Levrier: „Ich muss mich noch bei dir entschuldigen, Anya Bauer.“

Das Mädchen sah auf. „Häh? Wofür denn? Dass du mich um die Ecke bringen willst mit deiner irren Paktkacke?“

„Dafür auch. Doch ebenso für meine Täuschungen.“

Wovon redest du jetzt schon wieder!?“

„Ich habe behauptet, verantwortlich für die Gewaltausbrüche deiner Teammitglieder zu sein. Doch in der Tat weiß ich nicht, ob wirklich mein Einwirken dafür verantwortlich gewesen ist. Ich habe meine Präsenz auf deine Kameraden wirken lassen, doch sie haben nicht getan, was ich ursprünglich beabsichtigt hatte.“

Anya verzog angewidert das Gesicht. „Ich will gar nicht wissen, -was- du beabsichtigt hast!“

„Es ist in der Tat ein seltsames Phänomen gewesen, welches mir noch nie begegnet ist. Allerdings ist das auch nicht weiter von Belang, denn da ich keine andere übernatürliche Präsenz bemerkt habe, ist das Wirken fremder Mächte auszuschließen. Und da wäre noch etwas.“

„Jetzt kommt's …“

Levrier schüttelte den Kopf. „Ich habe dich getäuscht. Unser Duell … es war meine Absicht gewesen, zu verlieren. Nur so konnte ich mich in dir verankern, denn hättest du verloren, wäre unsere Verbindung zueinander abgerissen, weil meine Kraft sie ausgelöscht hätte.“ Tonlos fügte er hinzu: „Ich entschuldige mich dafür.“

Anya biss sich auf die Lippen und ballte eine Faust. Dann schrie sie: „Du bist doch vollkommen kacke im Hirn, kann das sein? Was bildest ...“

 

Anya runzelte die Stirn. Dieser Drecksack hatte sie von Anfang an nach Strich und Faden verarscht. Und das Schlimmste dabei war noch, dass er nicht ein einziges Mal wirklich gelogen hatte. Stattdessen hatte er sie wie eine Marionette das tun lassen, was er wollte. Wie sie es hasste, wenn man sie manipulierte! Und jetzt waren ihre Tage im wahrsten Sinne des Wortes gezählt! Wenn Levrier jemals eine greifbare Form haben würde, dann, so schwor sich Anya, würde sie diese zu Brei verarbeiten. Pakt hin oder her!

Sie stöhnte genervt und entschloss sich, dass es an der Zeit war, die Bibliothek aufzusuchen.

 

~-~-~

 

Ihre Freunde warteten bereits vor dem Eingang auf sie. Die Bibliothek von Livington befand sich an einer Ecke der Hauptstraße, mitten an der großen Kreuzung. Wüsste man nicht genau, wovor man steht, würde man sie vermutlich gar nicht als Bibliothek erkennen. Das orange gestrichene Gebäude hatte lediglich ein kleines Schild über der massiven Holztür hängen, auf dem in abgeblätterten schwarzen Lettern „Library“ stand. Ein Indiz, wie wichtig der Stadtleitung das zunehmend verfallende Gebäude war.
 

„Anya, hier bin ich!“, strahlte Nick und winkte. Dabei stand das Mädchen bereits direkt vor den beiden. Mittlerweile hatte er sich von der mysteriösen Lebensmittelvergiftung sowie der Stichwunde an seinem Bein weitestgehend erholt und war wieder bei bester Gesundheit – körperlich zumindest.

„Ich seh's“, kommentierte Anya die Idiotie ihres Freundes trocken.

„Gehen wir rein?“, fragte Abby voller Vorfreude. „Ich kann's kaum erwarten, etwas über Eden herauszufinden!“

„Und ich erst“, erwiderte Anya sarkastisch.

 

Dazu musste man wissen, dass sie ihren Freunden nicht alles über die Konsequenzen ihres Paktes mit Levrier erzählt. Sie wussten, dass Anya bis zum 11. November dieses Jahres zu Eden werden musste, aber nicht, was geschah, wenn sie dabei scheiterte. Sie wollte kein Mitleid von den beiden, denn sie hasste Mitleid wie die Pest. In neun von zehn Fällen war es sowieso nur geheuchelt. Außerdem war alles halb so wild, ihr würde beizeiten schon etwas einfallen.
 

„Ich habe, bevor ich losgegangen bin, hier angerufen und gefragt, ob sie die Bücher haben, die ich mir vermerkt hatte.“ Abby war jetzt so gut gelaunt, dass Anya glaubte, von ihrem Lächeln Karies zu bekommen.

„Haben die hier auch Comics?“, fragte Nick begeistert.

Abby verdrehte die Augen, Anya stöhnte genervt. Letztere fragte: „Und?“

„Die meisten Bücher haben sie nicht. Aber eines mit dem Titel 'Thirty Legends – The Whole Truth'.“

„Das soll wohl'n Scherz sein, oder?“ Anya wusste nicht, ob Abby jetzt genauso durchgeknallt war wie Nick, oder es tatsächlich ernst meinte. Es sah jedoch ganz nach Letzterem aus.

„Ich weiß, der Titel ist bescheuert, aber-“

Anya schüttelte verärgert den Kopf. „Abby, der Titel ist nicht nur bescheuert, der ist absolut durchgeknallt! Das hört sich an, als hätte das irgend'n Übernerd mit Hirnabstinenz geschrieben!“

Die Widersprüchlichkeit ihrer Aussage bemerkte das Mädchen dabei natürlich nicht.

„Hey, in den Auszügen, die ich einsehen konnte, schien mir der Autor sehr kompetent zu sein!“

„Und wie heißt er?“, fragte Anya bissig. „H.P. Craftlove?“

Abby zog einen Schmollmund. „Lovecraft, er heißt Lovecraft, Anya! Und nein. Aber sieh es dir doch erstmal an, bevor du darüber urteilst!“

„Das kann ja heiter werden“, stöhnte die Blondine. Ihre Laune war bereits so tief im Keller, dass sie die Totenruhe störte.

Sollte ihr Schicksal am Ende in den Händen von irgendwelchen Spinnern liegen, die so taten, als wären sie allwissend? Nein danke, ging es ihr da durch den Kopf.

„Und was ist jetzt mit den Comics?“, quengelte Nick.

 

Den hoch gewachsenen Quälgeist ignorierend, betrat Abby, gefolgt von Anya und Nick, die Bibliothek. Gleich rechts von der Tür stand ein alter Holztresen, auf dem ein PC Marke Asbach Uralt stand. Hinter ihm schlief auf einem antik anmutenden Schaukelstuhl eine ältere Frau, deren braunes, zu einem Dutt geschnürtes Haar schon an manchen Stellen ergraute.

Abby räusperte sich vorsichtig, doch die Dame reagierte nicht.

Also klopfte Anya mit der flachen Hand auf den Tresen. „Aufwachen, Kundschaft!“

Augenblicklich schreckte das alte Fossil auf, was Anya diebisches Vergnügen bereitete. Die Frau schenkte der Gruppe aus dicken Brillengläsern einen finsteren Blick. Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf. „Abby! Ich hab schon auf dich gewartet!“

„Hallo, Mrs. Wilson! Haben Sie es gefunden?“

„Oh? Ja, natürlich.“ Sie holte etwas unter dem Tresen hervor und drückte es Abby in Hände. Es war ein alter Wälzer mit braunem Ledereinband.

„So wie das Teil aussieht, wurde es bestimmt seit hundert Jahren nicht mehr angerührt“, sagte Anya abfällig. Im Gedanken fügte sie hinzu: so, wie seit hundert Jahren außer Abby keiner mehr diese beschissene Bibliothek besucht hat.

Wieder erntete sie dafür einen bösen Blick von Mrs. Wilson und reagierte darauf mit dem Stinkefinger, was der Frau einen entrüsteten Seufzer entlockte.

 

Schließlich begaben die Drei sich nach einer kurzen Unterhaltung über Mythen und Sagen an einen der Tische zwischen den Regalreihen. Unnötig zu erwähnen, dass Anya und Nick sich nicht an dem Gespräch beteiligt hatten. Letzterer war zu enttäuscht, dass es hier weder Comics noch Mangas gab.

„Ich geh' mal nach schmutzigen Heftchen suchen, vielleicht gibt’s wenigstens die hier“, meinte er frustriert und ließ die beiden Mädchen allein zurück.

„Wenn er nicht gerade irgendwelche Erotikschinken findet, wird das heute wohl kein sehr angenehmer Tag für ihn werden“, meinte Abby mitleidig und setzte sich in einen der gemütlichen, wenn auch leicht verstaubten Sessel.

Anya nahm neben ihr Platz. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass er die überhaupt als solche identifizieren würde. Ich meine, das ist Nick! Kann der überhaupt lesen?“

„Auch wieder wahr“, seufzte Abby.

„Wenigstens haben wir jetzt erstmal unsere Ruhe.“ Denn wenn sich Anya konzentrieren wollte, was selten genug vorkam, brauchte sie keinen Trottel, der dauernd dazwischen quatschte.

Abby knipste die alte Bankerleuchte direkt vor ihnen an.

„Immerhin haben die hier schon Strom“, meinte Anya abfällig, „ich hatte ja fast damit gerechnet, dass die hier noch Öllampen benutzen.“

„Wenn man noch nie in der Bibliothek war, kann das einen ganz schön überraschen, oder?“ Anya nickte nur und bemerkte den Spott gar nicht, den Abby ihr entgegen warf. „So, dann lass uns mal sehen.“
 

Abby legte das Buch zwischen den beiden Mädchen auf den Tisch und öffnete es derart ehrfürchtig, dass Anya die Galle hochkam. Wem machte es denn Spaß, solche alten Schinken zu lesen? Vor dem Fernseher zu sitzen war doch viel bequemer!

„Hmm, Eden, Eden, Eden …“, murmelte der brünette Pseudohippie vor sich hin und blätterte im Inhaltsverzeichnis. „Ich hab auf der Homepages des Autors einen Auszug gelesen, in dem auch Eden vorkam. Dort wurde es, anders als sonst, nicht als Paradies Gottes bezeichnet, sondern als heilige Stadt. Bewohnt von mystischen Wesen. Ich dachte, vielleicht finden wir hier auch etwas zu Levrier.“

Anya sah auf und guckte Abby ungläubig an, die dies erst gar nicht bemerkte, so versunken war sie in dem Schmöker. Als sie schließlich nichtsahnend aufblickte, meinte Anya barsch: „Masters, hast du dir gerade selbst zugehört? Ich meine, eine Stadt? Ich soll zu einer Stadt werden?“

Verlegen lachte ihre Freundin und rückte die getönte Brille auf ihrer Nase zurecht. „Ja, das klingt etwas weit hergeholt, aber es ist momentan alles, was wir haben. Und nenn' mich nicht immer beim Nachnamen, ich mag das nicht!“

Anya stellte sich bildlich vor, wie aus ihr Häuser und Türme wuchsen. Und genau deshalb dachte sie so ungern nach, denn immer wenn sie es tat, entstanden unschöne Szenarien in ihrem Kopf.

„Da haben wir es“, rief Abby schließlich.
 

Anya beugte sich über das Kapitel zur 'Verborgenen Stadt der Allerheiligsten – Eden' und musste wiehernd auflachen. „Ich werd' ne Heilige, geil!“

„Sei leise, man schreit nicht in einer Bibliothek!“

„Wen juckt's, ist doch außer uns eh niemand hier?“ Anya zog eine Grimasse und verschränkte beleidigt die Arme. Abby konnte man es aber auch nie recht machen.

„Also, hier steht, dass irgendwo in unserer Welt eine Stadt existiert, die Heimat von Wesen ist, die Allerheiligste genannt werden. Das sind im Grunde … unsterbliche Menschen, so wie ich das sehe. Sie haben irgendwann abseits vom Rest der Zivilisation einen Ort geschaffen, der weder per Land, Luft noch Meer zu erreichen sein soll.“ Nachdenklich sah Abby auf. „Klingt zwar ganz nett, aber die Stadt müsste ja dann schon existieren.“

„Sag ich doch“, brummte Anya. Und wieso sollte sie zu etwas werden, das es ohnehin schon gab? „Dieses Buch ist scheiße! Woher will der Kerl das überhaupt wissen?“

„Weil er einst jemanden getroffen hat, der ihm davon berichtete. Wohl ein Verbannter aus Eden. Aber da steht nichts von Dämonen oder Engeln, die Menschen als Wirt benutzen. Auch nichts Weiteres über die Entstehungsgeschichte von Eden.“

„Ich glaube, das war ein Schuss in den Ofen. Leg den Dreck weg und lass uns gehen, ehe ich noch 'ne Stauballergie bekomme!“

Abby nickte. Sie musste selbst zugeben, dass der Inhalt dieses Buches fragwürdig war. Dennoch wollte sie es nicht so schnell dabei belassen. Sie blätterte zurück zum Inhaltsverzeichnis.

„Was suchst du jetzt?“, fragte Anya skeptisch.

„Dämonen, Engel und Pakte … vielleicht steht da etwas, was man mit Levrier in Verbindung bringen könnte.“

 

Warum ist dieses Kind so versessen darauf, mehr über meine Ursprünge zu erfahren?
 

Anya hatte schon befürchtet, dass -der- sich irgendwann melden würde.

„Weil du es uns nicht sagst, du Knallkopf“, zischte sie zwischen ihren Zähnen.

Sofort schreckte Abby auf. „Spricht er zu dir? Sag ihm hi von mir!“

„Er kann dich auch so hören …“

„Oh? Oh! Hi, Levrier!“
 

Bedauerlich, dass sie als Gefäß ungeeignet ist. Sie wirkt viel intelligenter und aufgeschlossener als du.

 

„Halt den Rand“, fauchte Anya. Als sie den entsetzten Blick ihrer Freundin bemerkte, fügte sie verstimmt hinzu: „Nicht du, er!“

„O-oh. Klar. Also, wo war ich gerade …“

„Du warst dabei zuzusehen, wie ich hier elendig verrotte.“

„Anya, Recherchen erfordern Geduld! Du kannst nicht erwarten, dass dir alles sofort in die Hände fällt! Hier ist es anders, als wenn man einfach ins Internet geht und sich mit Wikipedia-Artikeln zudröhnt!“

Anya gähnte demonstrativ. Die stickige Luft und das spärliche Licht machten sie irgendwie müde.

„Wir machen weiter!“, entschied Abby.

 

~-~-~

 

„Wachsen Anya jetzt Hörner?“

„Nein, du Idiot!“ Die Noch-Hornlose verpasste Nick eine deftige Kopfnuss. Verdammt nochmal, sie war weder die Inkarnation eines gefallenen Engels, eine beknackte Wunderstadt noch das verflixte Paradies! Sie war … planlos.

„Zugegeben“, meinte Abby kleinlaut, als sie zusammen die Bibliothek verließen, „die Mehrzahl unserer Treffer war … ein wenig lächerlich, ja. Aber was wir über Pakte mit Dämonen herausgefunden haben, klingt sehr interessant. Gerade weil die verschiedenen Beschreibungen sich bis auf einige Details decken.“

Anya blieb am Straßenrand stehen und runzelte die Stirn. „So wie dieser eine Schinken, in dem stand, dass ich meinen erstgeborenen Jungen an den Dämon abtreten muss?“

„Kann Anya denn überhaupt Kinder kriegen? Ist sie eigentlich ein Mann oder eine Frau?“, fragte Nick, wurde am Kragen gepackt und wäre mitten in den belebten Verkehr geworfen worden, hätte Abby ihn nicht rechtzeitig festgehalten.

Wobei diese zugeben musste, dass Nick im Prinzip recht hatte, Anya gab sich nicht gerade weiblich. Allein ihre Kleidung, die sämtliche Kurven versteckte und immer irgendwelche Totenköpfe und feindseligen Sprüche enthielt, war genug um so manchen schon bei ihrem bloßen Anblick abzuschrecken.

„Hast du Todessehnsucht!?“, herrschte Anya Nick wutentbrannt an.

 

Da tippte plötzlich jemand auf ihre Schulter. Die Blondine wirbelte um und sah in das Antlitz eines hübschen jungen Mannes, den sie noch nie gesehen hatte.

„Was willst du denn, Milchbubi?“, fragte sie barsch.

Der brünette Kerl trug ein schlichtes, babyblaues Poloshirt und Jeans, die eindeutig zu lange getragen waren, denn besonders an ihrem Saum wurden sie deutlich von Schmutz heimgesucht. Dafür hatte sein stoppeliges Gesicht ein freundliches Lächeln, das von kleinen Grübchen in den Wangen verziert wurde. Die eisblauen Pupillen stellten sogar die Schönheit von Anyas Augen in den Schatten.
 

Der Fremde reichte ihr einen Zettel. Anya riss ihm diesen nach kurzem Zögern unwirsch aus der Hand. „Was ist das? Ich kaufe nichts von Pennern!“

„Kennt ihr diese Frau auf dem Bild? Habt ihr sie vielleicht gesehen?“

Anya sah sich das Bild an, Nick und Abby beugten sich über ihre Schultern. Zu sehen war ein Schwarzweißbild einer Frau Anfang 30. Genau wie der junge Mann hatte sie recht kurzes, vermutlich braunes Haar und lächelte in ihrem grauen Kostüm. Es schien ein Ausschnitt eines Familienbilds zu sein, denn sie saß auf einem Stuhl. Hinter ihr stand ein Mann in schwarzem Anzug, doch seine obere Körperhälfte war aus dem Bild herausgeschnitten worden.

„Wer ist das?“, fragte Abby neugierig. Sie musterte den Suchenden und wurde einfach nicht das Gefühl los, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Ähnlich erging es auch Anya. Sie jedoch vermutete allerdings, dass sie diesem Kerl bestimmt schon mal eins übergezogen hatte. Leute wie der nervten sie tierisch.

„Meine Schwester“, antwortete er. „Ich bin Henry. Habt ihr sie gesehen? Sie muss irgendwo hier in der Stadt sein.“

„Geh zu den Bullen und lass uns mit dem Scheiß zufrieden“, sagte Anya abfällig, drückte ihm den Wisch zurück in die Hände und wandte sich schon zum Gehen um. Doch da wurde ihr Arm plötzlich gepackt.

„Aber-“ Mit einem Ruck drehte sie Henry den eigenen Arm auf den Rücken und rang ihn mühelos zu Boden. Stöhnend rief er: „Aua, hey, lass los, was soll-“

„Alter, wer mich von hinten anfasst, muss mit so was rechnen! Wenn du mich noch mal angrabscht, kann deine Familie gleich noch so'n Bildchen von dir verteilen, 'kay!?“

„Schon gut, schon gut, tut mir leid“, ächzte er und wurde schließlich freigelassen. Mit gequälter Mimik erhob er sich und rieb sein Handgelenk. „Man, für ein Mädchen bist du aber ganz schön krass drauf.“

„Und für 'nen Jungen bist du ein ganz schönes Weichei.“

Er musste verschwörerisch grinsen. „Stimmt. Aber ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet. Habt ihr sie gesehen?“

Abby schüttelte den Kopf und legte die Hände ineinander gefaltet auf ihren Schoß. „Leider nein. Wie heißt sie denn?“

„Melinda.“

„A-“ Doch Anya unterbrach ihre Freundin barsch. „Da hörst du es, 'Henry', wir haben sie nicht gesehen. Schönen Tag noch!“

„Warte bitte! Woher … hast du dieses Tattoo an deinem Arm?“, fragte er ohne Vorwarnung neugierig.

Anya betrachtete das Mal und sagte: „Von einem Dä-“

Schon hatte sie Nicks und Abbys Hand vor dem Mund, während Letztere für sie antwortete. „Von einem verdammt guten Tattoo-Studio, hier in der Stadt. Magst du auch so eins haben?“

 

„Nein“, erwiderte Henry plötzlich kühl. „Aber ich würde gerne mal mit euer Freundin reden. Allein, versteht ihr?“

Angewidert von Nicks ungewaschener Hand riss Anya sich schließlich los und starrte ihr Gegenüber finster an. „Und wenn ich nicht will? Du gehst mir auf die Eierstöcke, Kumpel!“

„Es ist wichtig. Ich werde dich nicht eher in Ruhe lassen, bis du mir nicht a-“

„Hackt's bei dir? Bist du so 'ne Art Psychostalker?“, brauste Anya auf. „Verzieh dich, oder ich mach dir Beine!“ Nur, um sie im Anschluss zu brechen …

„Nein!“ In den Augen des jungen Mannes brannte unantastbare Entschlossenheit.

„Na gut, du wolltest es ja so!“ Ehe Anya auf ihn zu stürmen konnte, packten Abby und Nick sie an den erhobenen Armen und hielten sie fest.

„Nicht, Anya! Du kannst dich doch nicht mitten am Tag auf offener Straße schlagen!“

„Und wie ich das kann! Lass mich los, Masters!“

„Hehe, Anyas Arme sind ja dicker als meine. Ich will auch Anabolika.“ Schon hatte Nick wieder den Zorn des Mädchens auf sich gezogen, das gar nicht mehr wusste, wem sie zuerst den Hals umdrehen sollte.

 

Indes verschränkte Henry die Arme und schien nachzudenken. Schließlich rief er: „Hey, Terminatrix, wieso hast du solchen Schiss vor mir?“

„Wie bitte!? Dich skalpiere ich und benutze dein Haar als Klopapier! Schiss? Ich? Anya Bauer kennt keinen Schiss, du-“

Verschmitzt grinste der junge Mann und zuckte mit den Schultern. „Ach so? Und warum willst du dann nicht mit mir reden? Hast du 'Angst', ich reiß dir den Kopf ab?“

Abby und Nick hatten sichtlich Mühe, ihre Freundin festzuhalten, war die mittlerweile in einer Phase, die ihre früheren Opfer auch gerne Armageddon genannt hatten. Am Boden verstreute Zähne und gebrochene Knochen waren meist der Vorbote dieser Katastrophe. Denn dann hatte sich Anyas Kopf auf Autopilot umgestellt und jeder wusste bekanntlich, was dann geschah.

„Muss … töten …“

„Von mir aus. Aber erst nachdem wir uns ausgetauscht haben.“

„JETZT!“

Henry stöhnte. „Hat man dich als Kind zu heiß gebadet? Hmm … ich mache dir einen Vorschlag. Wir klären das mit einem Duell. Wenn du gewinnst, kannst du mit mir machen was du willst.“

Nick grinste. „Wirklich alles?“

Unnötig zu erwähnen, dass niemand näher darauf eingehen wollte.

„Wenn ich aber gewinne, wirst du mir jede Frage beantworten, die ich dir stelle. Steht der Deal?“

„Nein! Wenn ich mit dir fertig bin, passt du durch den Türschlitz, du Knallkopf!“

„Also hast du Angst zu verlieren? Na ja, kann ich irgendwo auch verstehen. Wenn du dich so duellierst, wie du dich artikulierst, dann gute Nacht.“ Henry lachte abfällig.

Anya schnaubte wie ein Stier. „Ach ja!? Alter, mit dir wisch' ich doch den Boden! Wenn sie dich dann zu Mami bringen, brauchst du in Zukunft für Halloween kein Kostüm mehr!“

„Dann stimmst du zu?“

„Natürlich stimm' ich zu!“

Abby seufzte. Es war doch jedes Mal das Gleiche. Merkte Anya denn gar nicht, wie sie nach anderer Leute Pfeife tanzte?

 

Wenige Minuten später standen sich die beiden sich auf dem Bürgersteig gegenüber. Abby kramte die Duel Disk aus ihrem Rucksack, in dem auch ein paar ausgeliehene Bücher lagen und reichte sie schließlich Henry.

„Danke. Leider habe ich keine eigene Duel Disk dabei. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?“

„Schon gut“, lächelte Abby, die den jungen Mann eigentlich ganz nett fand. Wenn er nicht gerade Anya provozierte, war er sehr freundlich. „Zu teilen ist schließlich eine Tugend.“

Er strahlte sie an, sodass das Mädchen verzückte zu Anya und Nick zurück hüpfte. Die Blondine ihrerseits mahlte mit den Kiefern, als stelle sie sich vor, wie sie damit Henry das Fleisch von den Knochen riss.

„Können wir dann anfangen!?“, herrschte sie ihren Gegner an.

„Klar doch.“ Er schob noch sein Deck in Abbys schwarze Duel Disk – ein Überbleibsel ihrer Gothic-Phase – und schon riefen die Kontrahenten: „Duell!“

 

[Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]

 

„Macht es dir etwas aus, wenn ich anfange?“

Anya wollte dies bejahen, doch da zwickte Abby ihr verspielt in die Hüfte. „Masters! Was habe ich dir neulich erst beigebracht!? Nicht-von-hinten!“

„Da gibt’s auch gar kein Kindergeld“, gluckste Nick und bekam Anyas Ellbogen in die Rippen. Was eher weniger daran lag, dass es in den USA so etwas wie Kindergeld gar nicht gab.

„Okay, dann ist es jetzt mein Zug!“, nutze Henry die Gunst der Stunde und zog zu seinem Startblatt eine sechste Karte. Kurz studierte er seine Hand, dann rief er: „Den Einstand macht [Don Turtle]! Wenn er beschworen wird, kann ich weitere [Don Turtles] von meiner Hand beschwören. Doch da sind bedauerlicherweise keine.“

Ein gelber Schildkrötenpanzer tauchte vor ihm auf. Leuchtende Augen verbargen sich in seinem Inneren und man konnte nur ahnen, was sich da in dieser Hülle versteckte.

 

Don Turtle [ATK/1100 DEF/1200 (3)]

 

„Huh?“ Anya blinzelte verdutzt. „Wer spielt denn dieses Kackvieh? Hast du kein Geld für bessere Karten?“

Henry überging ihre Beleidigung und nahm drei Karten aus seinem Blatt hervor. „Diese hier setze ich alle verdeckt. Mein Zug wäre dann auch beendet.“

Mit dem Kartenrücken nach oben erschien die Reihe jener drei Zauber oder Fallen vor seinen Füßen.

 

„Wenn da genauso'n Mist liegt wie dein Monster, ist das Duell schneller vorbei als du 'Gnade'

schreien kannst, wenn ich dir anschließend unsere Klobürste in den Hals stecke! Draw!“

Abby flüsterte zu Nick: „Ihre Gewaltfantasien werden aber auch immer extremer. Was haben ihre Eltern nur mit ihr falsch gemacht?“

„Hehe, sie haben sie auf die Welt gebracht.“

„Nick, das war heute das erste Mal, dass du etwas halbwegs Kluges von dir gegeben hast“, meinte Abby anerkennend, auch wenn sie sich schämte, so über ihre Freundin zu reden. Aber die war ohnehin in ihrem berühmt-berüchtigten Zerstörungswahn und bekam kaum etwas von den Dingen mit, die hinter ihrem Rücken geschahen.

„Jetzt zeig ich dir mal, wie richtig coole Monster aussehen!“, rief Anya selbstverliebt. „[Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire]! Tourmaline, du bist das Herz, Sapphire, du die Rüstung!“

Die Abbilder der Karten wurden in einen Edelsteinwirbel gezogen, der sich über Anya auftat. Aus ihm heraus trat unter Blitz und Donner ein völlig neuer Ritter in goldener Rüstung. Mit wehendem blauem Umhang hielt er zwei Schwerter in den Händen, deren Klingen richtige Blitze waren. Auf seiner Brust prangerte ein bräunlicher Topas.

„[Gem-Knight Topaz]!“, betitelte Anya ihn auch genau danach.

 

Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]

 

„Sieht für ein Fusionsmonster aber ziemlich unscheinbar aus“, meinte Henry unbeeindruckt.

„Weil du keine Ahnung hast, du Dumpfralle!“, erwiderte Anya und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Jetzt rüste ich Topaz mit [Fusion Weapon] aus. Fusionen der Stufe 6 oder weniger erhalten durch sie ganze 1500 Angriffs- und Verteidigungspunkte!“

Eine der Klingen verschwand aus Topaz' Hand, welche sich plötzlich verformte und zu einem Elektroschocker wurde.

 

Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 → 3300 (6)]
 

„Okay. Jetzt sieht die Sache schon etwas anders aus“, musste Henry kleinlaut zugeben.

„Alter, die 'Sache' ist gleich vorbei! Los Topaz, Thunder Strike First!“

Anyas Krieger schoss auf den Schildkrötenpanzer ihres Gegners zu und wollte ihn gerade zerschlagen, als zwei von Henrys Fallenkarten aufsprangen.

„Bevor du das tust, aktiviere ich [Next To Be Lost]! Damit wähle ich eines meiner Monster und lege ein gleichnamiges Exemplar von meinem Deck auf den Friedhof!“ Er zog eine [Don Turtle]-Karte hervor und schob sie in den Friedhofsschacht von Abbys Duel Disk.

„Diese Viecher würde ich auch loswerden wollen“, höhnte Anya. „Und wenn wir schon dabei sind, kannst du diese nutzlose Falle gleich mit entsorgen! Hast du überhaupt eine gute Karte in deinem Deck!?“

„Jede Karte in diesem Deck ist gut“, erwiderte Henry trocken. „Jetzt zu meiner zweiten Falle, [Generation Shift]. Sie zerstört [Don Turtle] und gibt mir das dritte Exemplar davon von meinem Deck auf die Hand.“

Die ominöse Schildkröte zersprang und Topaz' Klinge glitt ins Leere. Anya bekam regelrecht einen hysterischen Lachkrampf. „Oh mein Gott, das wird ja immer besser!“

Henry, der die [Don Turtle]-Karte zu seinen anderen beiden Handkarten steckte, verzog keine Miene.

„Aber wenn du es so haben willst, bitteschön! Denn jetzt kann Topaz dich direkt angreifen! Also los, nochmal Thunder Strike First!“, bellte Anya und streckte den Arm aus.

Ihr Ritter erschien vor Henry und holte zum Schlag aus. Doch der war schneller und aktivierte seine letzte Fallenkarte. „[Defense Draw]! Durch sie kann ich den Kampfschaden dieses Angriffs auf 0 setzen und eine Karte ziehen!“

Der Schlag der Blitzklinge prallte einfach an ihm ab, als wäre der junge Mann aus Stahl. Dann zog er von seinem Deck und lächelte verschmitzt.

„Pah! Fühl' dich bloß nicht zu sicher, Burschi! Denn [Gem-Knight Topaz] kann zweimal pro Runde angreifen! Thunder Strike Second!“

Das Lächeln verflog aus Henrys Gesicht, als ihm der Elektroschocker in den Magen gerammt wurde. Glücklicherweise waren es nur Hologramme, sodass Anyas Ritter durch ihn hindurch reichte. Trotzdem schien er für einen Augenblick so erschrocken, als fürchte er tatsächlich um sein Leben.

 

[Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 700LP]

 

Henry rieb sich tief durchatmend den Bauch.

„Wow“, lachte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wäre meine Falle nicht gewesen, hättest du mich in nur einem Zug fertig gemacht.“

Ja, das hätte sie, dachte Anya wutentbrannt. Aber dieser Idiot hatte ihr gehörig die Tour vermasselt! Dafür würde sie ihn noch bluten lassen! Wortwörtlich!

„Ich beende meinen Zug“, herrschte sie ihn an.

 

„Okay, dann mache ich weiter! Draw!“ Er nahm eine Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Mit [Salvage] hole ich jetzt die beiden [Don Turtles] von meinem Friedhof, da sie Wasser-Monster mit weniger als 1500 Angriffspunkten sind!“

„Ja, ja, spiel' ruhig so viele Witzfiguren wie du willst“, spottete Anya.

„Ganz genau das tu ich auch. Ich beschwöre [Don Turtle], welcher durch seinen Effekt die anderen beiden von meiner Hand ruft.“ Henry ließ sich von den Gebärden seiner Gegnerin nicht beeindrucken.

Vor ihm erschienen die drei Schildkrötenpanzer, in denen sich ihre Bewohner versteckt hielten.

 

Don Turtle x 3 [ATK/1100 DEF/1200 (3)]

 

„Von meiner Hand als Spezialbeschwörung: [Gilasaurus]! Da ich ihn auf diese Art gerufen habe, kannst du eines der Monster von deinem Friedhof reanimieren!“, erklärte Henry, während neben seinen Schildkröten ein brauner Velociraptor erschien.
 

Gilasaurus [ATK/1400 DEF/400 (3)]
 

„Alter, auf welcher Seite bist du eigentlich?“, fragte Anya ungläubig. Jetzt schenkte der ihr auch noch ein Monster! Aber umso besser für sie. „Fein, Sapphire im Verteidigungsmodus!“

Ihr Edelsteinritter in blauer Rüstung kniete neben Anya nieder und erzeugte einen Wall aus gefrierendem Wasser, welcher ihn vor Angriffen schützen sollte.

 

Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]

 

„Gut, dann wäre jetzt wohl der ideale Zeitpunkt.“

„Und für was?“, fragte Anya ihren Gegner desinteressiert. „Etwa aufzugeben?“

„Ich erschaffe das Overlay Network! Zwei Level 3 [Don Turtles] werden zu einem Rang 3 Xyz-Monster! Der Level 3 [Gilasaurus] und der Level 3 [Don Turtle] ebenso! Kommt herbei, [Black Ray Lancer] und [Grenosaurus]!“

Anya traute ihren Ohren kaum. Dieser Kerl besaß tatsächlich Xyz-Monster? „Kumpel, von wem hast du die denn gestohlen!?“

Ein schwarzes Loch machte sich vor ihnen auf und verschluckte Henrys Monster, die zu drei blauen und einem braunen Strahl geworden waren. Dann traten aus dem Strom zwei neue Kreaturen auf.

Die erste, [Black Ray Lancer], war eine schwarze, amphibische Gestalt mit zwei großen Schwingen aus Schwimmhäuten und einer imposanten Lanze in der Hand. Die andere ein roter Dinosaurier auf zwei Beinen, aus dessen Kopf ein flammender Schopf entsprang. Um beide schwebten je zwei leuchtende Sphären.

 

Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]

Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}]
 

„Bwahahaha!“ Anya konnte sich kaum halten vor Lachen. „All die Mühe für -das-!?“

„Zauberkarte! [Xyz Gift]! Damit entferne ich, wenn ich mindestens zwei Xyz-Monster kontrolliere, zwei Materialien von ihnen und darf zwei Karten ziehen. Ich hänge je von [Grenosaurus] und [Black Ray Lancer] eines ab!“

Um jede der beiden Kreaturen verschwand eines der Lichter. Henry zog zwei neue Karten und nahm dann eine andere aus seinem Blatt hervor. „Und jetzt der Gegenangriff! [Union Attack]! Dafür, dass diese Runde nur [Grenosaurus] angreifen und keinen Kampfschaden zufügen kann, erhält er die Angriffskraft von [Black Ray Lancer]!“

„Huh?“

 

Grenosaurus [ATK/2000 → 4100 DEF/1900 {3}]
 

„Oh crap! Jetzt ist das Teil ja stärker als-“

„Als [Gem-Knight Topaz]! Vollkommen richtig!“ Henry strahlte zufrieden und streckte den Arm aus. „Los, Ancient Fire Blast!“

Wie von der Tarantel gestochen stampfte der massige Dinosaurier auf Anyas Ritter zu und blies aus seinen Nüstern eine feurige Wolke, in der der Krieger zu Staub zerfiel.

„Selbst wenn [Grenosaurus] durch seinen Angriff keinen Schaden zufügen kann, hat er einen Effekt, der sich aktiviert, wenn er ein Monster zerstört“, erklärte Henry hitzig. „Wenn ich ein Xyz-Material abhänge, erleidest du 1000 Lebenspunkte Effektschaden! Nimm das!“

Anya sah ungläubig in das Antlitz des Dinos, welcher plötzlich vor ihr stand und sie geifernd anstarrte. Dann schoss er aus seinen Nüstern eine weitere Flamme, die Anya vollkommen eindeckte.

 

[Anya: 4000LP → 3000LP / Henry: 700LP]

 

„Geht's noch?“, begehrte die Blondine im Anschluss aufgebracht auf.

„Die Frage sollte man wohl eher dir stellen“, meinte Henry ernst. Eine Spur Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Du machst dich über mich lustig, ohne mich und meine Strategie zu kennen. Wie kann man nur mit solchen Scheuklappen durch die Gegend laufen? Wie du solche netten Freunde haben kannst, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich.“

Anya knirschte mit den Zähnen. Was bildete der Typ sich eigentlich ein? Der wusste wohl immer noch nicht, mit wem er da überhaupt redete!

 

Auf der anderen Seite schenkte Abby dem jungen Mann ein vergnügtes Lächeln. Wenigstens einer, der ihre Person zu schätzen wusste. Aber sie nahm es Anya nicht übel, dass sie so war, wie sie war. Ein wenig tat Henry ihr auch Unrecht, denn schließlich hatte Anya sie und Nick vor Alastair gerettet, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Bloß das durfte er nicht wissen. Um ein Haar hätte Anya sich verplappert. Seit sie die Realität akzeptiert hatte, ging sie damit ziemlich leichtfertig um, dachte Abby besorgt.
 

„Ich setze meine beiden restlichen Handkarten verdeckt und gebe an dich ab“, sprach Henry tonlos.

 

Grenosaurus [ATK/4100 → 2000 DEF/1900 {3}]

 

Anya zog mit mehr Schwung, als nötig gewesen wäre und stolperte dabei beinahe. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. „Was du kannst, kann ich auch und besser sowieso! Ich beschwöre [Gem-Turtle]!“

Neben ihrer Ritterin erschien eine große Schildkröte, deren Panzer ganz aus einem Smaragd bestand, der in einem goldenen Rahmen gefasst war.

 

Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]

 

Anya streckte plötzlich den Arm in die Höhe und grinste. Das Mal an ihrem Arm begann leicht bräunlich zu glimmen, was Henry zurückschrecken ließ. „Was!?“

„Ich erschaffe das Overlay Network! Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4 Xyz-Monster! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“

Der schwarze Wirbel mitten im Spielfeld tat sich wieder auf und sog das braune Licht, zu dem Anyas Monster geworden waren, in sich auf. Aus dem Strom heraus trat ein ehrwürdiger, schlichter Ritter in weißer Rüstung, um den ein Ring riesiger Perlen tanzte.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]

 

„Da staunst du, was?“, prahlte Anya großmäulig. „So muss ein Xyz-Monster aussehen!“

Doch Henry hatte nur Augen für das Mal an Anyas rechtem Unterarm. Das leichte Glühen verschwand, aber er wandte den Blick nicht ab. Tatsächlich schien er mit den Gedanken an einem völlig anderen Ort zu sein.

Anya bekam davon gar nichts mit. Sie streckte den Arm aus und zeigte auf Henrys Dinosaurier. „Los Pearl, schick das Ding zurück in die Steinzeit! Blessed Spheres of Purity!“

Die Perlen um Anyas Ritter begannen zu leuchten und wurden zu grellen Lichtsphären, die auf [Grenosaurus] zuschossen und ihn in einer Explosion vernichteten. Das Werk verrichtet, fanden sie zu ihrer alten Gestalt zurück und schwebten wieder um [Gem-Knight Pearl]!

 

[Anya: 3000LP / Henry: 700LP → 100LP]

 

„Dein Zug, Nervensäge!“

Henry hörte sie jedoch nicht, sondern starrte Anyas Ritter mit offenem Mund an. Erst, als sie ihm diverse Beleidigungen an den Kopf knallte, wachte er aus seiner Trance auf.

„Schlottern dir jetzt so die Knie, dass dein Krümelhirn auf Durchzug steht?“, zischte Anya erfüllt von Ungeduld.

„Ah … nein. Ich war nur gerade abgelenkt gewesen. Woher hast du diese Karte?“

„Sie hat sie von mir zum Geburtstag geschenkt bekommen!“, antwortete Abby eilig, ehe Anya sich wieder verplapperte.

„Häh?“, machte Nick und kratzte sich am Kopf. „Ich dachte wir wollten sagen, dass sie sie einem Unterstufler abgenommen hat?“

„Nick!“, fauchte Abby wütend und grinste Henry hilflos an. „Nimm ihn nicht ernst, er ist ein wenig durcheinander, ha ha.“

Henry nickte, doch seinem verhärteten Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er ihnen kein einziges Wort davon abkaufte. „Ist ja auch nicht weiter wichtig. Ich war dran, richtig?“

„Auch schon bemerkt? Bravo!“ Anya klatschte zum Spott in die Hände.

Mit nachdenklicher Mimik zog Henry eine Karte und strahlte dann. „Perfekt!“ Er hob seinen Kopf und sah Anya an. „Da ich nicht weiß, über welchen Effekt dein Monster gebietet, hänge ich nun von [Black Ray Lancer] das letzte Xyz-Material ab. Dadurch wird der Effekt deines Monsters negiert!“

Die leuchtende Kugel, welche um seine Unterwasserkreatur schwebte, verschwand. Doch ansonsten geschah gar nichts. Verwirrt blinzelte Henry und betrachtete seinen Lancer. „Was ist los? Wieso funktioniert das nicht?“

Anya ballte eine Faust und presste zornig hervor: „Weil Pearl effektlos ist …“

Plötzlich brach Henry in herzliches Gelächter aus. „Ach so? Das erklärt natürlich einiges. Tut mir leid, mein Fehler!“

Alles was er dafür erntete, war ein kehliges Knurren. Schließlich fing Henry sich wieder und schien bessere Laune zu haben als jemals zuvor. Im Gegensatz zu Anya, deren lebhafte Fantasie sich bereits unschöne Dinge mit ihm ausmalte.

„Also gut, weiter im Text. Ich aktiviere jetzt meine verdeckte Zauberkarte, [Earthquake]! Sie wechselt alle Monster in den Verteidigungsmodus.“

Ein Ruck erschütterte den Ritter und die Amphibie, woraufhin beide schützend ihre Arme vor sich hielten.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]

Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]

 

„Und nun aktiviere ich sofort darauf meinen zweiten gesetzten Zauber, [Shield Crush]! Damit zerstöre ich ein Monster in Verteidigungsposition und Pearl scheint mir da bestens geeignet.“

Ehe Anya auch nur widersprechen konnte, zerschepperte ihr Monster in tausend Stücke. Auf einmal stand sie völlig schutzlos vor Henry. Dieser drehte den [Black Ray Lancer] auf Abbys Duel Disk wieder in den Angriffsmodus.

„Da seine Position durch einen Effekt geändert wurde, kann ich sie für diesen Zug noch manuell wechseln“, erklärte er dabei.

 

Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]

 

„Oh crap!“ Anya runzelte die Stirn. „Aber warte ab, nächste Runde-“

„Es wird keine nächste Runde mehr geben. Denn genau wie ich [Black Ray Lancers] Position wechseln konnte, kann ich noch genauso gut ein Monster als Normalbeschwörung rufen. Und ich habe eines gezogen. [Grass Phantom]!“

Anya klappte die Kinnlade hinunter, als sie den grünen Kohlkopf erscheinen sah, aus dessen Mund Tentakel ragten.

 

Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]

 

Sie rechnete nach. Mit 3000 Lebenspunkten würde sie so schnell nicht- doch sie würde! Die kombinierte Angriffsstärke seiner Monster reichte knapp aus, damit sie … damit sie …

„Oh verdammte Dreckskacke!“, schoss es aus Anya heraus. Sie würde verlieren! Sie! Wo verlieren doch gar nicht in ihrem Wortschatz existierte!

„So kann man es auch ausdrücken“, lachte Henry. „Ich mach es auch kurz, versprochen! Also dann, [Grass Phantom], [Black Ray Lancer], Doppelangriff auf meine Gegnerin!“

Die Tentakel des Kohlkopfs schlossen sich um die Amphibie, welche die Kraft der Pflanze in sich aufsog. Dann wirbelte er mit der Lanze und verpasste Anya einen Hieb, der durch das erstarrte Mädchen hindurch glitt.

 

[Anya: 3000LP → 0LP / Henry: 100LP]

 

Die Hologramme verschwanden und Anya stand da, als hätte Marc Butcher Valerie Redfield gerade vor ihren Augen einen Heiratsantrag gemacht. Diese Niederlage war einfach zu viel für sie. Wie konnte sie von solchen Billigkarten fertig gemacht worden sein? Nicht einmal zu fluchen vermochte sie noch.
 

Henry ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Gutes Duell.“

Anya zwinkerte erst einen Augenblick, ehe sie sich seiner gewahr wurde. Dann schlug sie seine Hand weg. „Verdammter Glückspilz! Fein, ich hab verloren, na und? Ich habe mir ja auch überhaupt keine Mühe gegeben!“

Abby trat neben Anya und warf Henry einen entschuldigenden Blick zu. Mit den Lippen formte sie stumm die Worte „Sie ist eine schlechte Verliererin“ und deutete dabei auf Anya. Die wandte sich trotzig ab.

„Ich gehe jetzt!“, raunte sie missmutig.

„Und unsere Abmachung?“, hakte Henry nach. Dann aber änderte er urplötzlich seine Meinung. „Ist ja auch egal. Ich denke, ich weiß schon alles, was ich wissen wollte. Wenn ihr meiner Schwester begegnet wäret, hättet ihr es mir bestimmt gesagt.“

Abby nickte heftig. „Natürlich. Tut mir leid, dass wir dir nicht helfen konnten.“

„Macht nichts“, sagte er und lächelte wieder. Er gab Abby und dann Nick die Hand, während Anya mit hinter dem Kopf verschränkten Armen mit dem Rücken zu ihnen stand und schwieg.

„Es tut mir leid, dass ich euch belästigt habe. Vielleicht läuft man sich ja mal wieder über den Weg. Würde mich freuen. Aber jetzt muss ich weiter, also bis dann!“ Er nahm die Duel Disk von seinem Arm und gab sie Abby zurück.

„Bye“, hauchte die ihm verzaubert hinterher, als er sich von ihnen schnellen Schrittes entfernte. Sie war einfach nur beeindruckt, wie sehr er sich um seine Schwester sorgte, wie stark er trotz seines auf den ersten Blick schwachen Decks war und wie spielerisch er mit Anyas Eskapaden umgehen konnte.

 

„Bah, guckt mal, wie spät es ist“, murmelte jene schließlich und deutete auf den Himmel. Der war bereits orangerot, die Sonne stand schon tief am Horizont. „Wie lange haben wir überhaupt in dieser bekloppten Bibliothek gehockt?“

„Bestimmt ein paar Stunden“, überlegte Abby, war aber mit den Gedanken noch bei Henry.

„Was für eine Zeitverschwendung! Ich haue ab. Man sieht sich!“, brummte Anya frustriert und trottete ebenfalls, in die entgegengesetzte Richtung, von dannen.

Nun waren es nur noch Nick und Abby. Letztere sah den hochgewachsenen, zerzausten jungen Mann fragend an. „Was hältst du von Henry?“

„Nicht mein Typ.“

„So meinte ich das nicht! Er ist ziemlich cool, oder? Aber“, sie zögerte, „war er nicht ein wenig seltsam? Ich meine, wie er Anyas Mal angestarrt hat?“

Nick gluckste. „Er hatte bestimmt Angst, dass sie ihn verprügelt. Geht mir auch immer so.“

Du gibst einem auch allen Anlass dazu, dachte Abby schelmisch. Trotzdem! Etwas an Henry war seltsam. Zumal er ihr so verdammt bekannt vorkam!

 

 

Turn 06 – Victim's Sanctuary

Abbys neuestem Einfall folgend, besuchen die drei Freunde die Irrenanstalt Victim's Sanctuary am Rande der Stadt. Schnell wird klar, dass die dort untergebrachten Schüler keine Hilfe sein werden bei der Recherche rund um Eden. Als sie das Gebäude wieder verlassen wollen, treffen sie unerwartet auf Valerie, die ihre Freundin Caroline besuchen will. Gerade als zwischen Anya und Valerie ein neuer Streit aufzuflammen droht, gibt es einen Stromausfall und die Vier werden von den Patienten angegriffen. Dabei geht Anya KO, sodass es nun an Valerie liegt, sich einem gefährlichen Spiel zu stellen …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-04-04T20:01:21+00:00 04.04.2017 22:01
Hi
Super Kapitel, da hat die Gruppe ja nicht unbedingt was über Eden herausgefunden, das wäre ja auch zu einfach gewesen.
Aber so einfach geben sie bestimmt nicht auf.
Irgendwas stimmt mit diesem Henry nicht, der ist mir nicht geheuer. Aber jetzt hat Anya ne wichtige Lektion gelernt, Hochmut kommt vor dem Fall.
Bin gespannt wie es weiter geht.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
06.04.2017 18:27
Hi,
danke. Ja, in Kapitel 5 kann man schlecht die großen Geheimnisse lüften. ^^
Aufgeben? Nope, never. Aber ob Anya die Lektion auch im Kopf behalten wird ...
Henry ist eigen und wird noch eine wichtige Rolle spielen.

Danke für den Kommi!

LG,
-Aska-


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