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Der König von Kalaß

von

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Der König und der Störenfried

Fast ein halbes Jahr vergeht im dem Nico und Kara nach wie vor stark in ihre Aufgaben eingebunden sind. Trotzdem haben die zwei mittlerweile zueinander finden können und führen eine liebevolle und endlich auch lustvolle Beziehung. Die junge Frau hatte anfänglich große Schwierigkeit sich ihm vollkommen zu öffnen, obwohl ihre Zweifel ausgeräumt sind. Immer wenn sich die beiden etwas intensiver miteinander befassten, geriet sie in einen fast schon rauschähnlichen Zustand, was sie ausbremste. Sie hat kein Interesse daran bereits nach einem etwas intimeren Kuss die Kontrolle über sich zu verlieren. Die junge Ärztin hat auch mit ihrer Fachliteratur nicht heraus finden können, ob sich das in normalen Pegeln bewegt, doch sie glaubt es sei ausgesprochen ungewöhnlich. Immerhin scheint sich ihr Körper nach und nach daran zu gewöhnen und sie muss zugeben, dass sie sich besser und gesünder fühlt als je zuvor in ihrem Leben, ganz besonders wenn sie kurz zuvor mit ihrem Verlobten zusammen war.
 

Leider arbeitet Nico oft tief bis in die Nacht hinein im Rathaus, um langsam aber sicher Herr der Lage zu werden, während Kara nach wie vor täglich ihre Patienten besucht und dann abends zu Hause lernt. Daher haben sie gar nicht so viele Gelegenheiten sich ihrer Liebe hinzugeben. Manchmal geht Kara nachts ins Rathaus, um ihrem Liebsten zu helfen oder auch eigenen Interessen nachzugehen. Ohne ihn schläft sie nämlich sehr schlecht, weshalb sie sich entweder entscheidet zu ihm zu gehen oder zu Hause zu lernen, doch hinlegen tut sie sich nicht mehr ohne ihn.

Heute sind die beiden allein im Archiv und gehen alte Akten durch. Kara hilft Nico ausnahmsweise nicht, denn sie hat sich ein eigenes Ziel gesetzt. Die junge Frau betreibt Stammbaumforschung, um herauszufinden ob Nico vielleicht doch noch lebende Verwandte in Kalaß haben könnte. Sie kann und will nicht glauben, dass es da niemanden mehr geben soll. Für die Recherche muss sie in die geheimen Archive von Kalaß, zu denen nur der Ratsvorsitzende und von ihm autorisierte Personen Zutritt haben. Früher hätte das ein riesiges Problem dargestellt, doch heute... Kara kann es noch immer nicht fassen wie schnell ihr Nico es bis an die Spitze der Stadt schaffen konnte. Sie kann das alles sowieso noch nicht richtig realisieren und stürzt sich schon deshalb in die Arbeit. Sie setzt sich ein Ziel nach dem anderen und konzentriert sich dann voll darauf. Nico kommt hingegen gut mit seiner Position zurecht. Als Offizier wurde ihm schon oft viel Verantwortung übertragen, in der es nicht selten um Leben und Tod ging. Verglichen damit empfindet er die Politik als weniger nervenaufreibend, wenngleich seine Entscheidungen ebenfalls sehr große Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.
 

Die Geheimarchive enthalten Dokumente, die sich auf das Ende des Krieges und die Zeit davor beziehen. Neben vielem anderen behandeln sie Kriegsabsprachen, den Verbleib aller Waffen nach der Direktive, die Herkunft des Königshauses von Kalaß sowie den Grund für Karas Interesse, die Stammbäume aller Familien adliger Herkunft. Nicos Stammbaum lässt sich nur schwer zurückverfolgen. Kara findet in den offiziellen Dokumenten fünf Generationen, in denen merkwürdigerweise aber seine Großmutter nicht auftaucht. Fehlende Aufzeichnungen über seine Ahnen lassen darauf schließen, dass Nico adliger Abstammung sein könnte.

Da ist aber noch nicht alles über das sie sich wundert. Sie hat Nicos Geburtsurkunde gefunden, in der er logischerweise seinen Nachnamen Dugar noch nicht trägt. Den hat er sich schließlich selbst gegeben. Etwas anderes gibt ihr zu denken. Sein Vorname wurde noch im Babyalter, laut den Akten also kurz nach dem Tod seiner Eltern, von seiner Großmutter nachträglich geändert und zwar von Theron auf Nico. Diese Unregelmäßigkeit müssen die beiden zunächst einfach so hinnehmen. Sie hoffen vielleicht auch darüber etwas in den geheimen Archiven zu finden.
 

Da es eine sehr düstere Nacht ist, möchte Nico seine Verlobte nicht allein in das Geheimarchiv gehen lassen und beschließt sie zu begleiten. Es befindet sich in einem Seitenturm des Rathauses. Das einzige Licht ist eine flackernde Öllampe, welche die beiden mitgenommen haben. Dieser Teil des Rathauses ist, ganz im Kontrast zum edlen Rest, schmutzig und verwahrlost. Dass sie dort ausgerechnet nachts hingehen mussten, verbessert die Atmosphäre nicht unbedingt. Kara läuft ein kalter Schauer über den Rücken und Nico wahrscheinlich ebenfalls, doch das würde er nie zugeben. Manchmal ist er eben doch ein Chauvinist.

Im Archiv angekommen sagt die junge Frau mit gespieltem Selbstbewusstsein zu ihrem Begleiter:

„Ich suche nach den Eltern von Prias Manaj, das ist der letzte männliche bekannte Vorfahr aus deiner Blutlinie. Außerdem halte ich auch gleich Ausschau nach Amrea, deiner Großmutter, die ich vorhin nicht finden konnte.“

Nico sieht seiner Liebsten die leichte Verunsicherung an, ignoriert sie jedoch aus Rücksicht.

„Alles klar. Ich schaue mir die Aufzeichnungen zum Ende des Krieges an, um zu verstehen wie die Klassengesellschaft damals aufgelöst wurde. Ich frage mich wie sich der Adel einfach so mit dem Bürgertum vermischen konnte.“

Die Akten mögen verstaubt sein, doch sie sind besser sortiert, als sie aussehen. Als Kara bereits nach kurzer Zeit fündig wird, ruft aufgeregt:

„Nico, ich habe Prias und Amrea auf ein und demselben Dokument gefunden! Du wirst es nicht glauben, aber Prias Manaj war der Thronerbe, ältester Sohn des Königs Ramon von Kalaß und Amrea Manaj war Prias‘ Ehefrau, die ihrerseits ebenfalls königliches Blut zu haben scheint. Das erkennt man an diesen Symbolen hier neben den Namen und dem zusätzlichen Wort Mana-i.“

Nico legt die Akten über die Auflösung des Königreiches beiseite und geht zu der etwas aufgeregten jungen Frau, die sich an das alte Aktenregal anlehnen muss. Sie deutet auf die königlichen Symbole neben den Namen. Im schwachen Licht der Öllampe erkennt er das Siegel des Königshauses. Es weiß, es ist identisch mit dem Artefakt des Windgottes Fuathel, dem Siegel, das in der Kathedrale von Kalaß eingelassen wurde.

Sie erläutert ihre Vermutung:

„Den Namen Manaj hatten sie sich vielleicht gegeben, um während der Umbruchphase ihre königliche Herkunft zu verschleiern. Nach dem Ende des Krieges wurde Ramon in Yoken exekutiert, aber seine Frau und seine Kinder, durften in der Festungsstadt Tarbas bleiben. Wer weiß schon genau was mit dem Königsadel nach dem Fall des Königreiches angestellt wurde? Schau mal, Nico. Das Wort ‚Mana-i‘ taucht in diesem Stammbaum neben jedem Mitglied der Königsfamilie auf. Ich denke es heißt übersetzt so viel wie ‚von königlichem Blute‘, oder so etwas. Bestimmt wollten sie nicht als Hochadel identifiziert werden, als offiziell alle Dokumente angepasst und die Nachnamen entfernt wurden und haben deshalb diesen anderen Nachnamen erfunden, so wie du deinen. Das muss nicht stimmen, ist nur meine Vermutung.“

Nico weiß, dass das Wort „Mana-i“ nicht für königliche, sondern göttliche Herkunft steht und übersetzt „Ewiges Blut“ bedeutet, was hier aber nichts zur Sache tut und im Endeffekt dasselbe aussagt. Er selbst war, ganz unabhängig von dieser Sache, dem mysteriösen Tod den Gefallenen Königs Ramon vor ein paar Jahren schon einmal auf der Spur und fand ein bisschen was über ihn heraus. Nach dessen Nachkommen forschte er damals nicht. Karas Erklärungen entbehren nicht einer gewissen Logik, ist es doch eine ihrer Stärken anhand von faktischen Beobachtungen zu einer Diagnose zu gelangen, doch ihm gefällt nicht was er da hört.

„Wie kommst du darauf, dass diese Amrea Manaj meine Großmutter Amrea sei? Diese Erklärung bist du mir schuldig geblieben. Sie mag vielleicht alt gewesen sein, aber sieh nur aus welcher Zeit deine Dokumente stammen. Die Frau hätte viele hundert Jahre alt gewesen sein müssen.“

Kara nickt energisch, lässt sich aber nicht verunsichern.

„Es ist als wären die Menschen damals viel älter geworden und klingt unlogisch, aber es gibt in ganz Kalaß keine einzige weitere Person mit diesem Namen und die Verbindung zu dir lässt sich nicht von der Hand weisen. Zudem hat sie kein vermerktes Sterbedatum, denn wenn ich recht habe, ist sie erst vor elf Jahren gestorben und war somit … mehr als fünfhundert Jahre alt?“

„Ergibt das für dich denn irgend einen Sinn?“

fragt Nico bohrend.

„Ich kann dir nur sagen was ich gefunden habe. Die Fakten sprechen dafür, dass sie ein und dieselbe Person waren. Amrea Mana-i ist die einzige Kalaßerin, die namentlich zu deiner Großmutter passen würde. Entweder wurde sie tatsächlich hunderte von Jahren alt, was ich ehrlich gesagt für unmöglich halte, oder sie war eine illegal eingereiste, unregistrierte Person, die diesen Namen annahm und alle Übereinstimmungen sind nur ein großer Zufall?“

Nico runzelt die Stirn.

„Beide Versionen klingen höchst unwahrscheinlich...aber da fällt mir etwas ein, das zum übernatürlichen Alter der Königsfamilie passt. War der Beiname Ramons nicht ‚der Ewige König‘ und soll er nicht viele hundert Jahre das Amt des Königs begleitet haben?“

Kara zweifelt inzwischen an ihrem Verstand. Wenn das wirklich stimmt, dann ist das alles nach dem Krieg vertuscht worden. Die Fakten sprechen dafür, dass Nicos Großmutter uralt war, aber Karas Wissen über den menschlichen Körper versichert ihr, dass dies absolut unmöglich und damit völlig ausgeschlossen ist. Kopf schüttelnd stammelt sie:

„Ja, du hast Recht. Was für ein Unsinn.“

Den jungen Ratsvorsitzenden scheint das allerdings stärker zu verwirren als gedacht. Nachdenklich steht er da und starrt an seiner Liebsten vorbei, hinein in die Dunkelheit der nächtlichen Bibliothek. Sie besinnt sich etwas und schaut sanft zum sichtlich verwirrten Nico.

„Der Grund unserer Nachforschungen war es lebende Verwandte deiner Blutlinie zu finden. Nur einer von Ramons Nachkommen hatte Kinder: sein Sohn Prias mit Amrea Manaj. Diese Kinder blieben, bis auf eine Ausnahme, merkwürdigerweise selbst kinderlos. Das Blut der Königsfamilie vermischte sich anscheinend im Laufe der Zeit mit dem normaler Bürger von Kalaß. Es gibt eine Abfolge von weiteren Verbindungen der Kinder und Kindeskinder, die mich bis zu deiner Geburt führen, ohne dass auch nur ein einziger Abzweig entstand. Da ist wirklich niemand mehr, nur du bist noch übrig.“

Der sonst so gefasste Nico macht einen Schritt nach hinten und sag ungläubig:

„Ist dir klar was du da sagst? Ich wäre ein direkter Nachkomme des Letzen Königs und wenn ich die Monarchie von Kalaß wieder ausgerufen würde, dann wäre ich rein rechtlich sein König?“

Kara nickt ohne die Tragweite dieser Aussage in Gänze zu begreifen.

„Ja, du bist wahrscheinlich ein Nachfahre Ramons und wärst rechtmäßiger König von Kalaß.“

Der junge Mann schnaubt verächtlich.

„Dann würde sich doch rein gar nichts ändern. Auch ohne Geburtsrecht habe ich die Spitze des Stadtstaates erreicht und was würde es ändern, wenn ich ein König anstatt des Ratsvorsitzenden wäre? Es ist als würden mir meine Leistungen abgesprochen, da mir diese Position ohne Tarbasser Verträge ohnehin zustehen würde. Ich will, dass du keinem was davon erzählst, Kara!“

Kara nickt, ohne es vollständig zu verstehen, da sie darin nur noch eine weitere Legitimation für ihn sieht, was doch eigentlich gut ist. Dann kichert sie, was Nico sehr überrascht. Sie murmelt amüsiert:

„Dein laszives Wesen hast du bestimmt vererbt bekommen. Du hast doch bestimmt auch schon mal davon gehört, dass der Kalaßer Königsadel manchmal ziemlich über die Stränge geschlagen haben soll, daher auch das Sprichwort ‚Es gibt keine Jungfrau’n in Nalita.‘, was man sagt, wenn man etwas trotzdem macht, obwohl es offensichtlich dumm ist. Wir beide wissen aber woher das Sprichwort ursprünglich kommt. Der jetzige Hof hat jedenfalls nichts damit zu tun.“

Kommentarlos wendet sich Nico ab. Er legt alle Aufzeichnungen zurück und Kara tut es ihm gleich. Zunächst schweigend treten die beiden den Rückweg an. Dass Nico so lange am Stück schweigt, sieht ihm nicht ähnlich und Kara will ihn in Ruhe nachdenken lassen.

Er glaubt nicht an das Schicksal und ist davon überzeugt sich alles in seinem Leben selbst erarbeitet zu haben. Nichts hat ihm zu dieser Position verholfen, außer seinem eigenen Eifer. Oder etwa doch? Hat er nicht immer ungewöhnlich viel Erfolg im Leben gehabt? Er war Quereinsteiger im Militär und auch in der Politik und doch erreicht er mühelos Führungspositionen, spricht mit Königen wie mit ebenbürtigen Verhandlungspartnern. Warum fällt ihm das erst in der Retrospektive auf? An dem Gedanken etwas zu tun, weil es ihm vorbestimmt sei, findet er keinen Gefallen. Er ist mehr als die Summe seiner Gene, oder nicht? Nico ist vollkommen Gedankenversunken und macht seiner Liebsten erst nach einer kleinen Pause den Vorwurf:

„Willst du damit sagen, dass ich verdorben bin, weil der Adel es vor ein paar hundert Jahren mal war?“

Kara bemerkt die Verärgerung in seiner Stimme. Sie versucht seinen Gedankengang zu ergründen, doch versteht ihn nicht schnell genug.

Ihre Antwort: „Ja, vielleicht“ verstimmt ihn so sehr, dass er ohne Kara anzusehen nun schweigend seine Schrittgeschwindigkeit erhöht. Sie muss fast ein bisschen Rennen, um mit ihm Schritt halten zu können. Sonst ist er doch auch nicht so sensibel, deshalb versteht sie es nicht ganz.

„Nico, was ist los? Was habe ich falsches getan?“

Als er einfach weiterläuft, hängt sie sich mit aller Kraft an seinen Arm, um ihn zu stoppen. Sie presst ein „Jetzt warte doch mal“ aus ihren Lungen und endlich bleibt er stehen. Der Gang in dem sie sich befinden ist sehr schwach beleuchtet, doch Kara glaubt einen wütenden Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen.

„Bitte Nico, mir was los ist!“

Als er sie dasselbe gebeten hat, wäre er froh gewesen sie hätte ihm direkt geantwortet und er will ihr das ersparen. Er starrt nach oben an die mit Spinnenweben verhangene Decke des Gangs und gibt nach:

„Das alles zu hören ist nicht so einfach für mich. Mein ganzes Leben ist auf einer Lüge meiner Großmutter aufgebaut und wenn das alles stimmt, dann war Amrea nicht einmal das, sondern wohl eher eine Ahnin. Sie hat mich mein Leben lang belogen und das Wissen über ihre und meine wahren Herkunft mit ins Grab genommen. Statt dessen wurde sie nicht müde mir irgendwelche Geschichten über die Götter zu erzählen. Vom Windgott Fuathel, seinen Erlebnissen auf der Erde und seinem Sohn, dem Begründer und Ersten König von Kalaß, war sie wie besessen. Oft nahm sie mich deshalb mit in die Kathedrale, um mir sein Siegel und seine Wunder zu zeigen. Sie sagte immer ich sei etwas ganz besonderes und wäre anders als alle anderen Menschen. Nein, sie sagte sogar ich sei etwas Besseres als alle anderen. Das sollte wohl ein Hinweis auf das sein was ich in Wahrheit bin. Ich habe sie damals nicht sehr ernst genommen was das betraf. Natürlich war sie mit ihrer überheblichen Einstellung nicht sehr beliebt bei den Leuten, ich hingegen schon und das trotz meiner wunderlichen Großmutter. Es verletzt mich zu hören, dass sie mir bis zum Schluss nichts von der Wahrheit anvertraute, denn sie war die einzige mit der ich je so tief verbunden war, wie mit dir jetzt.“

Schroff sieht Nico sie an, denn er ist noch nicht fertig. Seine Wut liegt in der Luft was Kara ein wenig einschüchtert, als er sie zurecht weist und ihr erneut einen Befehl gibt:

„Trotzdem, Kara. Sag nie wieder ich sei was ich bin, weil mich meine Ahnen dazu machen! Ich bin das was ich selbst sein will.“

Sie glaubt kurz gesehen zu haben, wie sich seine Augenfarbe änderte, doch das muss am Flackern der Lampe gelegen haben. Noch immer seinen Arm fest haltend, aber zu Boden schauend, flüstert sie:

„So war das gar nicht gemeint… aber ja in Ordnung.“

Sie weiß, dass sie verantwortlich ist für seinen schlechten Seelenzustand und stammelt:

„Es ist meine Schuld, dass du jetzt leiden musst. Hätte ich es doch einfach auf sich beruhen lassen.“

Als er ihr verschrecktes Gesicht wahrnimmt, erkennt er, dass er gerade seinen Ärger an der falschen Person entlädt. Kara kann schließlich nichts für seine zerrüttete Vergangenheit. Er beruhigt sich langsam und fragt nach einer Weile:

„Siehst du mich jetzt mit anderen Augen?“

Kara schüttelt unvermittelt ihren Kopf, wobei ihrem angeschlagenen Verlobten wieder einmal ihre langen, roten Haare auffallen, die er direkt berühren muss. Sie sieht langsam zu ihm auf und sagt dann leise ein wenig unsicher:

„Aber nein, du bist noch genau der ungestüme Lüstling, den ich kennen gelernt habe… und den ich liebe.“

Nico lächelt zärtlich besänftigt, was auch ein bisschen daran liegt mit ihrer Haarsträhne spielen zu dürfen.

„Du bist doch inzwischen selbst ein kleines Raubkätzchen. Letzte Nacht hast du mich schon wieder gekratzt.“

„Hab ich gar nicht!“

dementiert sie, doch er knöpft sein Hemd zwei Knöpfe auf, zieht sich seinen nun sehr weiten Kragen über das Schulterblatt und beweist schelmisch grinsend:

„Und was ist dann das hier?“

Sie wirft ihren Blick darauf und erkennt vier leicht verschorfte, aber zum Glück nicht allzu tiefe, nebeneinanderliegende Kratzspuren auf seinen Rücken, die wohl eindeutig von ihr stammen müssen.

„Oh, ähm…Verzeihung?“

Nico nimmt seine Liebste glücklich in die Arme, denn sie hat ihn schon wieder aufgemuntert. Sie gibt ihm das Gefühl nicht mehr allein auf der Welt zu sein, denn sie ist jetzt seine Familie. Er hat bemerkt, dass sie sich durch ihre Beziehung zu ihm schon sehr positiv entwickelt hat. Sie ist viel offener geworden und kann ihre Gefühle jetzt auch besser ausdrücken als früher. Je länger Nico mit ihr zusammen ist, desto öfter scheint er einfach zu wissen was in ihr vorgeht. Das versucht sie sich von ihm abzuschauen und hat damit auch langsam Erfolg. Ihre Patienten sagen sie sei endlich aufgeblüht. Allen voran Margret sagt das, die sich gern von Karas Beziehungsleben berichten lässt.
 

Doch das friedliche Leben währt nicht lange. Wie ein schöner Traum einmal enden muss, so holt Nico und Kara ein großes Problem wieder ein. Während die beiden versuchen mit aller Kraft eine funktionierende Regierung zu errichten, stürzt Estell den rosheanischen König und besteigt selbst den Thron. Das hebt die Bedrohung, die von dem südlichen Königreich ausgeht, auf eine neue Stufe. Nico bereitet das nach und nach zunehmend Kopfzerbrechen. Hinter verschlossenen Türen sucht er schon seit einer ganzen Weile nach einer Lösung, kann aber einfach keine finden. Wenn Roshea mit aller zur Verfügung stehenden militärischen Macht angreift, wird ihm auch der Pakt mit Yoken nicht helfen und Kalaß wird ein für alle Mal fallen. Ein Krieg zwischen den Mächten des Kontinents Altera scheint unausweichlich und es dauert nicht lang bis an der yokenisch-rosheanischen Grenze zu ersten Gefechten kommt, aus denen sich Nico heraushalten muss, weil er ohne eigener Armee rein gar nichts ausrichten kann.
 

Marco Loran, der nun den Rang des Generalleutnant begleitet, hatte von seiner Königin die Order erhalten nach Kalaß einzudringen, um Nico Dugars Flamme Kara zu entführen. Die Zeit ist reif den Auftrag zu erfüllen und er schleicht sich, durch die immer noch viel zu schlecht gesicherte Stadtmauer von Kalaß, in den Stadtstaat ein. Die Mauer wird zwar von innen ausgebaut, aber nicht lückenlos bewacht. Gegen eine Belagerung mag sie besser ausgestattet sein als zuvor, doch Einzelpersonen können nach wie vor ungesehen in die Stadt eindringen. Unbemerkt schleicht er mitten am Tag durch den Wall und die Gassen der Stadt. Da sein Gesicht bekannt ist, trägt er ein Tuch um Kopf und Hals, doch in den heißen Monaten ist dies hier keine Seltenheit. Einige Bürger schützen sich auf diese Art vor der starken Sonneneinstrahlung, deshalb fällt er damit nicht auf. Er braucht nicht lange um herauszufinden, wo sich Kara und Nico gemeinsam niedergelassen haben, denn das Haus des Ratsvorsitzenden zu finden ist ein Kinderspiel.

Wie es seine Art ist, beobachtet er sorgfältig ein paar Tage lang die Lage. Er beschattet die beiden und entscheidet erst dann wann und wo er am besten zuschlagen sollte. Die Herausforderung an der Sache ist für ihn aber nicht die Informationsbeschaffung, sondern der Anblick des ach so glücklichen Paares. Ihm wird übel, wenn er die beiden miteinander sieht. Besonders Nicos zufriedenes Gesicht fühlt sich für ihn wie ein Schlag in die Magengrube an. Was ist das für eine Welt, in der ein Mann, der Hochverrat begangen hat, mit seiner Gespielin heile Familie und Staatsoberhaupt spielen darf? Er gehört hinter Gitter, wenn nicht gar an den Galgen. Das ist jedenfalls seine Überzeugung. Loran wird sich jetzt ein für alle Mal an seinem Erzfeind Nico Dugar rächen. Er genießt den Gedanken Macht über ihn ausüben zu können. Nicht mehr lange, dann wird er den Spieß umdrehen, so denkt er. Lange kann es auch nicht mehr dauern bis Königin Estell einsieht, dass nur er, Marco Loran, sich als Gatte für sie eignet. Schon jetzt ist er ihr alleiniger Liebhaber und er wird sie schon noch von seiner Würdigkeit für den Thron überzeugen können. Aber dazu muss zunächst dieser Störenfried Nico Dugar aus dem Weg geräumt werden. Zu seiner großen Freude beobachtet er ein typisches wiederkehrendes Verhalten von Nico, das ihm in die Hände spielt. Des nachts arbeitet der Ratsvorsitzende oft im nahe gelegenen Rathaus, während Kara zu Hause zurückbleibt, um in Büchern zu schwelgen. Das kommt Loran natürlich mehr als gelegen und seinen Plänen scheint nichts im Wege zu stehen.
 

Als Nico in einer besonders dunklen Nacht lange nicht Hause kommt, sieht Loran seine Zeit als gekommen. Eigentlich wollte er noch ein paar Tage warten, aber vor ein paar Minuten hat Kara das Fenster, das sich hinter ihrem Rücken befindet, geöffnet und offen stehen lassen. Er hat beobachtet wie sie sich in ihrem Arbeitszimmer in der ersten Etage danach wieder konzentriert an ihren Schreibtisch gesetzt hat, um weiter zu arbeiten. Die Götter sind ihm offensichtlich und eindeutig wohlgesonnen, denn das sind perfekte Voraussetzungen für ihn. Er findet es fast schon fahrlässig von Dugar seine Angebetete in so eine angreifbare Situation zu bringen. Loran lacht freudig in sich hinein.

Er lehnt eine Leiter, die er sich schon vorsorglich besorgt hat, an das Haus, klettert leise hinauf und steigt lautlos durch das Fenster ein. Grinsend geht Loran einen Schutt auf die junge Frau am Schreibtisch zu. Als er vergnügt zu sprechen beginnt, zuckt Kara geschockt zusammen:

„Hallo schönes Kind, lange nicht gesehen.“

Es gibt nur einen Mann auf dieser Welt, der Kara „Schönes Kind“ nennt, deshalb springt sie aufgeregt von ihrem Stuhl auf.

„LORAN!?! Was willst du noch von mir?“

schreit sie angewidert.

Der Eindringling lacht freudig auf.

„Eine ganze Menge, meine Schöne! An dir gibt es auch wahrlich viel, das ein Mann wollen könnte. Ich würde sagen, wir haben noch ein wenig Zeit. Wie wär‘s wenn ich es dir direkt zeige?“

Er nähert sich ihr langsam, während sie versucht weiter zurück zu weichen, was ihr nicht gelingt.

Er fügt hinzu:

„Ich bin besser als Dugar. Das wirst du schnell einsehen.“

Die verängstigte junge Frau sieht Loran angeekelt an, was er genießt.

Dann schweift ihr Blick für einen kurzen Augenblick Links an ihm vorbei, was dem Eindringling bereits verdächtig vorkommt. Er bleibt stehen und richtet sich vollständig auf, denn er kann sich schon denken wo sie hinsieht. Er hat in seiner Erregung, sie so greifbar und wehrlos vor sich zu sehen, den Raum nicht gesichert. Aber auch wenn Dugar, wie er vermutet, wirklich hinter ihm steht, dann hätte es ihm ohnehin nichts mehr geholfen, da er genau weiß, dass er seinem ehemaligen Vorgesetzten im Nahkampf massiv unterlegen ist. Er versteht nur nicht, wie er getäuscht werden konnte. Er ist sich zu einhundert Prozent sicher gewesen, dass Nico Dugar im Rathaus sein muss. Er senkt den Kopf, schließt die Augen und setzt ein Grinsen auf. Das offene Fenster war eine Falle... eigentlich sogar eine offensichtliche, doch er ist genau hinein getappt. Wie es sich Loran schon gedacht hat, tritt Nico hinter dem Vorhang auf der linken Seite des Fensters hervor und stellt in einem unterkühlten Ton fest:

„Ich hätte dich für klüger gehalten, Loran. Du hättest in Roshea bleiben sollen, bei deiner Hure von Königin.“

Loran dreht sich nicht zu ihm um, sondern schreit von ihm abgewandt ungehalten:

„Halt‘s Maul, Dugar! Verdammt, wie ich dich hasse! Machst hier einen auf dicke Hose, dabei bist du der Quell allen Übels.“

Loran zieht sein Schwert und macht einen Satz auf Kara zu. Sie weicht gerade noch zu Seite aus. Er wollte sie allerdings auch gar nicht treffen, sondern sie nur hervorlocken, um sie packen zu können.

Nico reagiert umgehend. Noch bevor Loran richtig bei ihr angekommen ist, hat er ihn schon entwaffnet. Die Bewegungen des Ratsvorsitzenden sind so schnell, dass sein ehemaliger Gefolgsmann Loran ihnen kaum folgen kann, deshalb hebt er mit einem Grinsen auf den Lippen besiegt die Hände. Der Offizier versucht den ihm überlegenen Mann zu beschwichtigen:

„Ok, alles gut. Ich soll keine Hand an deine kleine Braut legen. Hab es verstanden. Lass uns doch einfach wie zwei vernünftige Männer miteinander - .“

Doch Nico hat genug gehört. Mit einem gezielten Hieb schlägt er Loran mitten im Satz bewusstlos.

Kara zeigt keinerlei Mitleid und ist erleichtert, dass es ihr Verlobter erst einmal beendet hat.

Er streichelt ihr sanft über den Rücken.

„Das hast du sehr gut gemacht, Kara.“

Sie atmet tief durch und entgegnet in einem leicht erzürntem Ton.

„Wieso hast du erst so lange gewartet, bis du eingegriffen hast?“

Als er nichts entgegnet, außer einem nichts sagendem Blick spricht sie weiter:

„Aber du hattest recht. Dieses Ekel hat uns wirklich beschattet.“
 

Sie fesseln Loran gemeinsam an einen Stuhl. Seine Beine haben sie an die des Stuhle gebunden und seine Arme sind fest hinter seinem Rücken verschnürt. Als er nach einer kurzen Weile langsam wieder zu sich kommt, brummt ihm der Schädel. Er befindet sich noch im selben Raum. Sein Erzfeind und seine Gespielin sind in ein Gespräch vertieft, das mit Krieg zu tun hat. Seinen ersten Gedanken, der verbalisiert in etwa: „Scheiße“ lauten würde, spricht er nicht aus. Statt dessen entscheidet er sich hämisch zu grinsen und die Augen wieder zu schließen. Als Nico das bemerkt, geht er zu ihm und fragt ihn ungeduldig:

„Wie lautete dein Auftrag, Loran?“

Dieser spuckt als Antwort vor ihm auf den Boden.

„Verrätern wie dir erzähle ich gar nichts.“

Nico zeigt keinerlei Geduld mit ihm und droht unmittelbar erneute Prügel an, als sich Kara einmischt. Sie tut dies jedoch nicht aus Mitgefühl, sondern weil sie wirklich denkt, dass sie mehr Erfolg haben könnte.

„Warte Nico! Wenn er mit dir nicht sprechen will, dann redet er vielleicht mit mir. Verprügeln kannst du ihn auch später noch.“

Loran lacht laut auf als er das hört. Er hat Schmerzen im Genick von Nicos hartem Schlag und die Knebel sind unangenehm eng um seine Gelenke geschnürt, doch er hat immer noch das Gefühl Herr der Lage zu sein.

Kara stellt sich vor ihn. Der Geknebelte Mann sieht zu ihr auf und sagt lüstern:

„Mit dir rede ich gern, meine Hübsche.“

was sich Nico erneut verkrampfen lässt. Unwillkürlich ballt er seine Hände zu Fäusten. Er findet es einfach nur ekelhaft, wie dieser abstoßende Loran mit seinem geliebten Engel spricht. In seinen Augen besudelt er sie mit seinen unreinen Worten. Kara zu Liebe gibt er sich alle Mühe sich noch etwas zu beherrschen. Dass er jemanden so hassen könnte wie diesen Mann, hätte er sich niemals vorstellen können.

Kara wiederholt Nicos Worte etwas ungeduldig:

„Wie lautete dein Auftrag?“

Loran setzt sich aufrecht und hebt seinen Kopf so weit, dass man meinen könnte er schaue auf die vor ihm stehende Kara herab. Mit diesem überheblichen Blick sagt er:

„Sprich mich mit meinem Vornamen an und bitte mich lieb um eine Antwort, Hübsche, dann überlege ich es mir.“

Kara sucht Nicos Blick, der Bände spricht. Er würde Loran lieber umbringen, als sie intime Worte mit ihm wechseln zu lassen. Ihr Verlobter, der inzwischen die Hand am Schwertgriff hat, ist ihr damit keine echte Hilfe, denn sie benötigen dringend Antworten. Sie macht eine beschwichtigende Handbewegung in Nicos Richtung und holt tief Luft.

Dann sieht sie wieder zu Loran herab, der das alles zu genießen scheint. Sie gibt sich alle Mühe ein halbwegs entspanntes Gesicht zu machen und beugt sich etwas zu Loran vor mit den Worten:

„Würdest du uns bitte etwas über deinen Auftrag erzählen, Marco?“

Nico hat das Gefühl gleich an die Decke zu gehen, denn dieser Halunke Loran spielt mit den beiden und sie machen auch noch mit.

Befriedigt antwortet der Gefesselte:

„Aber gern, mein hübsches Kind. Ich soll dich auf Befehl meiner verehrten Königin einfangen und zu ihr bringen. Diesmal hatte ich allerdings zu meinem Glück keine Auflagen über deine Unversehrtheit. Auf dem Rückweg hätte ich mir schön viel Zeit gelassen, um dich besser kennen zu lernen. Wir hätten eine tolle gemeinsame Reise haben können, die mir und vor allem auch dir viel Freude bereitet hätte.“

Nico macht einen Schritt auf Loran zu, der noch einen drauf setzt:

„Wir hätten uns ausgiebig miteinander vergnügen können.“

Er macht eine anstößige Bewegung mit seiner Zunge, weshalb sich Kara angewidert abwendet. Das gibt Nico den Rest.

Mit den Worten:

„Reiß dich zusammen!“

schlägt er Loran mit geballter Faust ins Gesicht.

Nico wünscht sich gerade so stark zu sein wie Hendryk, dessen Schlag noch mehr Durchschlagskraft gehabt hätte als sein eigener. Lorans Zopf lockert sich durch die Wucht des Schlages und seine langen Haare fallen ihm ins Gesicht. Sogar etwas Blut läuft ihm aus dem Mund, doch trotzdem grinst er zynisch.

Ungeduldig brüllt Nico Loran an:

„Welche Botschaft hat sie für mich?“

Kara schaut überrascht zu ihrem ungehaltenen Liebsten. Sie begreift erst jetzt, dass es gar nicht um sie geht sondern um ihn. Diese Frage beantwortet Loran gern, auch wenn sie von Nico gestellt wurde.

Er spuckt ein wenig Blut aus und antwortet belustigt:

„Das ist die einzige Frage, die ich dir Verräter beantworte.

Meine Königin ruft dich zu sich, um die Geburt deines Erstgeborenen nicht zu verpassen.“

Für Nico kommt diese skurrile Information völlig unerwartet und auch unglaubwürdig und es verschlägt ihm kurz den Atem. Nach kurzem Zögern stammelt er:

„Meines...Erstgeborenen...?“

Er wendet sich ab.

„Das kann nicht... Das ist nicht möglich. Ich bin nicht...“

Ganz sicher ist er sich nicht, ob es möglich ist, aber eigentlich hat er aufgepasst. Er glaubt sie blufft. Ganz sicher blufft sie, nur um ihm zu sich zu locken. Ob es möglich ist oder nicht...davon hängt alles ab. Was ist, wenn sie doch schwanger geworden sein kann. Er ahnt, dass er mit Kara darüber sprechen muss und das jetzt wo es mit ihr doch so gut lief. Das sind Details, über die er mit ihr eigentlich nicht reden will und wirft ihn völlig aus der Bahn. Kara schaut geschockt zu ihrem Verlobten und flüstert verunsichert seinen Namen.

Loran genießt Dugars verwirrten und immer verzweifelter werdenden Gesichtsausdruck und erklärt:

„Sie trägt ihren Babybauch wie eine Trophäe vor sich her. Sie muss im siebenten oder achten Monat sein. Sogar ein Vollidiot wie du würde erkennen, dass sie schwanger ist.“

Bisher wollte Kara nicht daran glauben, doch seine Ausführungen lassen sie zweifeln. Sie taumelt rückwärts und stottert leise, während sie nach etwas sucht worauf sie sich abstützen kann:

„Nico, der Monat...würde schon stimmen und es war in letzter Zeit so verdächtig ruhig in Roshea.“

Loran kann sich kaum halten vor Lachen. Er sieht wie die beiden vor ihm zerbrechen und amüsiert sich köstlich darüber. Zu gern würde er sich den Bauch halten, wenn seine Hände nicht hinter seinem Rücken verschnürt wären.

„Hahahaha, ihr solltet eure Gesichter sehen. So herrlich! Genau diesen Blick wollte Estell an dir sehen, meine Hübsche. Jetzt genieße ich ihn an ihrer Stelle.“

Für ihn völlig unvorhergesehen hat er wieder Nicos Faust in seinem Gesicht. Nicos Schläge mögen Schmerzen, doch ihn in diesem Zustand zu sehen ist Kompensation genug für den Generalleutnant.

„Benimmst du dich jetzt, oder legst du es darauf an von mir getötet zu werden?“

schreit Nico ungehalten, woraufhin Kara aufblickt und wieder seinen Namen ruft, doch dieses Mal sehr streng. Wieder glaubt sie ein Funkeln in seinen Augen zu sehen, das jedoch schnell wieder verschwunden ist. Lorans Schmerzen mindern in keiner Weise seine gute Laune. Er lacht auf.

„Danke, dass du dich für mich einsetzt, mein hübsches Kind.“

Dann wendet er seinen Blick an Nico.

„Ich erinnere mich an einen Dugar, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen konnte und jetzt machst du es mir so einfach. Der Liebling der Königin, der unantastbare Offizier Dugar hat mir freiwillig seine Schwächen offenbart. Das war dein Fehler, denn ich bin ohne größere Anstrengungen in der Lage deine Schwachpunkte auszunutzen. Nur ein paar richtige Worte und du tickst sofort aus. “

Ohne auf das Gesagte zu reagieren, geht Nico zu seiner Liebsten. Er streichelt ihr betroffen über ihren Arm, während sie ihn halblaut fragt:

„Was glaubst du sollen wir jetzt mit ihm machen?“

Nico legt seinen Arm jetzt ganz um sie und die beiden drehen sich von Loran weg, der trotzdem weiter spricht:

„Ich meine, wie dumm bist du eigentlich? Du hättest die heißeste Frau der Welt haben und auch noch König von Roshea werden können...“

Ungeachtet dessen flüstert Nico:

„Du weiß was ich mit ihm machen will, deshalb solltest du es besser entscheiden. Dir hat er weit mehr Leid zugefügt als mir und vergiss nicht: Niemand weiß, dass er hier ist. Es würde nicht auffallen, wenn er einfach verschwinden würde.“

Kara schaut vorwurfsvoll, denn sie hat seinen Hinweis verstanden.

„Dass du das überhaupt in Betracht ziehst... Ich werde dich nicht zum Mörder machen, Nico. Nicht einmal für ihn. Auch nicht die aller mieseste Kreatur auf diesem Planeten ist das wert. Melde ihn bei der Stadtwache und lass ihn abführen! Das ist wahrscheinlich das Beste.“

Nico denkt über ihre Aussage nach. Sie will ihn nicht zum Mörder machen...? Was glaubt sie wohl hat er all die Jahre beim Militär in Aranor getrieben? Er hätte keine Skrupel gehabt, Loran auf der Stelle zu töten, jetzt wo er seine Einladung überbracht hat. Sein Hass auf ihn ist groß, allerdings nicht zu vergleichen mit dem Hass auf das Miststück Estell. Nichtsdestotrotz weiß er, dass Kara recht hat, wenn auch aus den falschen Gründen. Willkürliche Gewalt und Selbstjustiz sind die Dinge, gegen die er all die Jahre gekämpft hat. Die beiden benachrichtigen die Stadtwache und Loran wird noch in derselben Nacht abgeführt und inhaftiert. Nach den von Nico wieder eingeführten Regeln, soll Loran einen ordentliche Strafprozess vor dem Stadtrat erhalten.
 

Die ganze Nacht, bis in die Morgenstunden hinein beraten sich Kara und Nico über ihr weiteres Vorgehen. Die beiden sitzen sich an ihrem Küchentisch gegenüber. Nach einem langen Gespräch über Lorans Prozess, die Richtigkeit ihrer Entscheidung und die Lage in Kalaß schüttelt Nico den Kopf. Er sieht Kara sehr besorgt an und beginnt fast zu flüstern:

„Ich verstehe das nicht. Wie kann sie schwanger sein?“

Endlich getraut er sich das Kernproblemthema anzusprechen, das ihm fast den Verstand raubt. Kara hatte es ebenfalls nicht gewagt es zu erwähnen. Sie hat einen traurigen, aber auch fragenden Blick.

„Ich dachte ihr habt...“

Er ist in sich zusammen gesunken und schüttelt nachdenklich den Kopf. Er ist um die Worte verlegen, was ihm sonst nie passiert.

„Ja und Nein. Ich...ich bin nicht in... ihr...“

Er spricht sehr leise. Kara ist etwas gefasster als er, versteht was er sagen will und erlöst ihn.

„Und vorher? Bist du vorher gekommen?“

Er senkt den Kopf, legt das Gesicht in Falten, hebt seinen Kopf wieder, schaut Kara gequält an und nickt. Sie sieht ihm ernst in seine glasig gewordenen blauen Augen, doch sie bleibt gefasst.

„Dann kann es schon sein, wenn es auch deutlich unwahrscheinlicher ist.“

Nico sinkt noch weiter in sich zusammen. Er ist nach vorn über den Tisch gelehnt und fährt sich mit seiner Hand über sein Gesicht in seine Haare, um seine tiefen Sorgenfalten vor Kara zu verbergen. Die beiden sprechen zum ersten Mal über Details aus dieser Nacht. Kara sieht Nico an, wie sehr ihn seine Erinnerungen daran quälen. Bisher hat er seinen Schmerz darüber vor ihr verborgen und ihn nur mit sich selbst ausgemacht. Diese Verdrängungstaktik hat auch bisher ganz gut funktioniert. Doch jetzt wo er hört, dass daraus eine Frucht entsprungen sein soll, wächst sein Schmerz ins Unermessliche. Estell drängt sich wieder zwischen ihn und seine große Liebe. Er will kein Kind mit dieser Frau. Er wünscht sich Kinder mit Kara und auch nur mit ihr.

Kara kann nur erahnen wie groß der Schmerz in ihm sein muss, deshalb steht sie auf, geht zu ihm und umarmt ihn zärtlich. Ihr Blick ist traurig, doch sie bleibt gefasst und legt ihren Kopf auf seinen.

Er weint...
 

Einige Zeit vergeht, bis er sich etwas beruhigt hat. Mit neu erstarkter Stimme sagt er schließlich:

„Ich muss gehen. Ich muss dieser Frau das Handwerk legen, ihr endgültig ein Ende setzen. Ich hätte sie töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.“

Kara umarmt ihn noch fester und fleht ihn an:

„Nein, Nico! Lass sie! Ignorier sie! Du verlierst den Verstand vor Hass. Dieses Mal würdest du bestimmt nicht zurückkehren. “

Er sieht Kara mit sanften Blick an:

„Vielleicht würde ich das nicht. Ich weiß es nicht. Aber ich kann es nicht ignorieren.

Was ich gelernt habe ist, dass mein Wort bei den Soldaten und Offizieren des Rosheanischen Militärs mehr zählt, als du dir vorstellen kannst. Wenn die Königin fällt, kann ich vielleicht dafür sorgen, dass das Militär mir folgt. Das ist unglaublich gewagt, vielleicht sogar unwahrscheinlich, das ist mir bewusst, aber wenn ich es nicht tue, wird sie so lange Krieg führen, bis Kalaß kapituliert und mich dann ohnehin als Tribut fordern. Ich bin auf verlorenem Posten.“

Kara lässt ihren Griff nicht locker und entgegnet entschlossen:

„Wenn ich dich nicht davon abbringen kann, dann werde ich mit dir gehen.“

Er reißt geschockt die Augen auf und drückt sie ein Stück von sich weg.

„Nein Kara, damit spielst du ihr nur in die Karten!“

Sie streicht ihrem Geliebten durchs Haar. Ihre Stimme ist gelöst.

„Allein werde ich dich nicht gehen lassen. Lieber sterbe ich mit dir, als hier allein zurückgelassen zu werden. Das würde ich dir niemals verzeihen.“

Er fasst Kara an den Schultern. Sein Blick ist ernst und aufgewühlt.

„Ich kann dich nicht mitnehmen. Versteht doch, diesmal werde ich sie töten müssen.“

Kara nickt.

„Ich weiß, die Königin schon, aber das Kind nicht. Es ist ein unschuldiges Leben und es stammt von dir. Wie grausam wäre es, das auch zu töten, dein eigenes Fleisch und Blut? Sie müsste im achten Monat sein und das Kind könnte es vielleicht überleben. Was wenn ich es retten könnte? Nico, denk nicht wieder darüber nach einfach abzuhauen, wie du es sonst immer machst, denn das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich folge dir überall hin, ist das klar? Du müsstet mich schon einsperren lassen, um mich aufzuhalten.“

Nico bleibt kurz stumm und nickt dann.

„Ich verstehe. Auch wenn du es mir dadurch wohl nur noch schwerer machst, muss ich das akzeptieren. Damit ist es beschlossen. Wir beide brechen nach Nalita auf um die Königin von Roshea zu töten.“



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