Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Kapitel 5: Vor dem Ältestenrat ------------------------------ Kara ist unterdessen schwer damit beschäftigt jedes einzelne Mitglied des Ältestenrats in die Mangel zu nehmen. Sie kann erreichen, dass sich die beiden unentschlossenen Mitglieder, der Geistliche Donnt und der Händler Gathos zu Gunsten des Hauptmanns entscheiden. Die Bäuerin Zodora, die Kunsthandwerkerin Lish und Farsa Gena standen von Anfang an auf Nicos Seite. Auch den Handwerker Nohsil konnte sie nach einem persönlichen Gespräch leicht überzeugen. Sie hat nun nur noch drei Gegenstimmen gegen seine Freilassung. Das sind nach wie vor der Anführer der Stadtwache Fendaris, die Vertreterin der Lebensmittelproduzenten Alshala und der Handwerker Bodral. Einen von ihnen muss sie noch überzeugen. Bei einer so schwerwiegenden Entscheidung darf es nicht mehr als zwei Gegenstimmen geben. Da sie zu den Männern Fendaris und Bodral überhaupt keinen Zugang findet, wendet sie sich nochmal an Alshala. Diese ist Bäckerin und betreibt eine der produktionsstärksten Bäckereien in Kalaß. Kara besucht sie nach Ladenschluss in ihrer Backstube, die sich am anderen Ende der Stadt befindet. Sie wird sich beeilen müssen, wenn sie vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein will. Von einer Mitarbeiterin erhält sie ein übrig gebliebenes Brötchen, an dem sie gerade herumkaut, als Alshala sie empfängt. Sie ist eine sehr schöne und elegante Frau und die Jüngste im Ältestenrat, deshalb auch noch nicht sehr lange dabei. Ihr Haar ist hochgesteckt und ein bisschen Mehl hängt daran. Die Bäckermeisterin legt ihre weiße Schürze ab, die ein elegantes grünes Kleid zum Vorschein bringt. Die beiden gehen gemeinsam in die Backstube. Äußerst selbstbewusst und von sich überzeugt beginnt Alshala das Gespräch: „Ich weiß schon was dich zu mir führt, Mädchen.“ Kara lächelt etwas verunsichert. „Du willst, dass ich zustimme den hübschen Häftling frei zu lassen, aber weißt du, mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Er war engster Vertrauter der Königin, warum sollte sich das geändert haben?“ Die junge Frau versucht gegenüber der edlen gestandenen Dame souverän zu bleiben und antwortet selbstsicher: „Er hat schon immer auf unserer Seite gestanden.“ „Glaubst du“ antwortet Alshala abschätzig und erläutert: „Vielleicht hat er dich nur um den Finger gewickelt. Sobald er aus der Zelle heraus kommt, lässt er dich fallen wie eine heiße Kartoffel, läuft zu seiner geliebten Königin und erstattet ihr Bericht über unsere geheimsten Verstecke. Du kannst sicher verstehen, dass ich dieses Risiko für nicht notwendig erachte. Auf dem Spiel steht die Sicherheit einer ganzen Stadt und diese muss ich gegen die Freiheit eines einzelnen Mannes abwägen.“ Auch wenn Kara das versteht, wendet sie ein: „Alshala, Sie vergessen, dass er auch für die Königin eine Gefahr darstellt. Sie würde ihn wohl kaum einfach wieder in den eigenen Reihen aufnehmen, nachdem er seine eigenen Leute attackiert hat. Er kann gar nicht zurück.“ Für Alshala ist das kein Argument. „Du bist so blauäugig, Kind. Hat er dir so den Kopf verdreht, dass du das glaubst? Für schöne Männer wie ihn ist es ein Leichtes junge Frauen wie dich zu manipulieren. Wahrscheinlich war das von Anfang an von ihm genauso geplant.“ Kara bleibt stur: „Bitte stimmen Sie wenigstens einer Anhörung zu! Auch für dieses Votum brauche ich sieben Zustimmungen und ich habe nur sechs.“ Alshala gibt nach. „Ja, meinetwegen soll er vor den Rat treten und sagen was er zu sagen hat. Ich würde ihn schon gern sprechen hören. Das kann ja nicht schaden.“ „Vielen Dank.“ Freut sich Kara, doch Alshala lacht etwas überheblich. „Bedank dich nicht zu früh, Kleine. Wenn mir nicht gefällt was er zu sagen hat, kommt er trotzdem nicht frei.“ Kara ist optimistisch: „Das wird es. Sie werden sehen.“ Kara geht Nico und Hendryk am Folgetag heimlich ohne Ankündigung besuchen. Die beiden Männer sind ziemlich überrascht sie zu sehen. Sie haben gerade eine Partie Schach gespielt. Den Tisch hat Hendryk direkt an die Gitterstäbe geschoben, sodass Nico seine Züge selbst machen kann. Vor ein paar Tagen erst hat der Offizier seinem Wärter die Grundregeln beigebracht und er lernt sehr schnell. Zunächst überrascht über die veränderte Tischposition überbringt die junge Frau aufgeregt ihre freudige Nachricht. „Ich habe es geschafft, Nico. Du bekommst eine Anhörung vor dem Ältestenrat. Im Anschluss wird dann nochmal über deine Freilassung abgestimmt. Die nächste Sitzung ist schon übermorgen. Überleg dir was du sagen willst!“ Er nickt ernst und Hendryk zeigt sich beeindruckt. „Gut gemacht, Kara.“ Die drei feiern noch ausgelassen und sprechen über alles Mögliche, nur nicht darüber was Nico dem Rat vorbringen möchte und das hat er auch so beabsichtigt. Es fällt niemandem auf, dass diese Sache gar nicht mehr zur Sprache kommt. Zwei Tage später ist es soweit. Hendryk holt den Gefangenen aus der Zelle ab und erklärt ihm: „Es sind noch ein paar Stunden bis zur Anhörung. Bis dahin solltest du dich umziehen. So kannst du dort nicht aufkreuzen.“ Nico schaut an sich herunter. Er weiß im ersten Moment nicht worauf Hendryk hinaus will, bis er bemerkt, dass er seine Uniform trägt. Wenn auch ohne Jacke, hat eine rosheanische Uniform für einen Kalaßer einen doch eher fahlen Beigeschmack. Kara hütet die Jacke wie einen Schatz und Nico wird sie nicht zurück verlangen, schließlich ist es von Vorteil etwas von sich bei ihr zu haben. Hendryk schließt die Zelle auf und die beiden Männer stehen sich nach der langen Zeit ohne Barriere gegenüber, das erste Mal nachdem sich ihre rivalisierende Freundschaft entwickelt hat. Trotz des vielen Sports, den sie gemacht haben, fällt Hen auf, dass sein Kontrahent noch immer einen angenehmen Körperduft verströmt, doch wie merkwürdig käme es rüber einen Kommentar dazu abzugeben, statt dessen sagt er frech: „Und benimm dich. Wenn ich mit deinem Betragen unzufrieden bin, kommst du direkt wieder da rein.“ „Wenn ich es gewollt hätte, wärst du jetzt schon bewusstlos.“ Kontert Nico , woraufhin Hendryk spöttisch lacht: „Ha, versuch‘s doch, dann müssen sie dich zur Anhörung tragen!“ Die beiden funkeln sich an. Dann haut Hendryk dem Mann, der in vielerlei Hinsicht eigentlich sein Feind sein müsste, völlig unerwartet mit der flachen Hand auf den Rücken. „Haha, du bist echt in Ordnung, Nico. Das werden die Ratsmitglieder schon merken. Wenn du frei kommst und eine Unterkunft brauchst, bist du bei mir willkommen.“ Dieser freut sich über das Angebot. Wer hätte gedacht ausgerechnet hier unten einen so guten Freund zu finden? Am Nachmittag tritt der rosheanische Hauptmann endlich vor den Rat. Ratsversammlungen sind immer öffentlich, aber es interessiert fast keinen der Bürger. Die lange Zeit der Besetzung, ohne dass etwas dagegen getan wird, hat die sie politikverdrossen gemacht. Die Versammlung findet im großen Ratssaal statt, der wie ein Halbkreis aufgebaut ist. Hier finden sonst die Gerichtsverhandlungen statt, oder sie würden hier stattfinden, wenn es noch welche gäbe. Seit dem Waffenverbot und der Angleichung der Gesellschaftsstände, gibt es in Kalaß so gut wie keine Kriminalität mehr, weshalb es auch keine Verhandlungen gibt. Im Hintergrund an der Wand hängt eine riesige grüne Flagge mit dem Wappentier von Kalaß, dem Pfau. Kara und Hendryk nehmen in den fast leeren Zuschauerrängen platz. Ikky ist auch gekommen. Sie setzt sich jedoch nicht zu den beiden. Sie fühlt sich von ihnen verraten. Das Kara und Hendryk sich für die Freilassung eines rosheanischen Soldaten einsetzen, kann sie ihnen nicht verzeihen. Sie hofft inständig auf ein negatives Urteil. Hendryk ist froh, dass sie Abstand nimmt. Er kann ihr nicht vergeben wie schaulustig sie gewesen ist, als es ihm schlecht ging. Die neun Ratsmitglieder sitzen wie eine Jury vor einem Rednerpult, vor das nun der anzuhörende Nico Dugar tritt. Farsa Gena, genau in der Mitte aller Mitglieder stehend, eröffnet die Sitzung. Der Angeklagte stellt sich als Hauptmann mit der Hauptaufgabe der Stadtaufklärung vor. Er erzählt zunächst alles was er über den Konflikt zwischen Roshea und Yoken weiß und was Kalaß damit zu tun hat. Es ist im Kern dasselbe, das er schon Kara und Hendryk erzählt hat. Die meisten Zusammenhänge kannte der Rat, einige waren neu. Sie wussten zum Beispiel nicht wie labil der königliche Hof in Roshea ist. König Riecard hatte auf Kalaß immer einen sehr starken Eindruck gemacht. Nico erklärt ruhig mit einem Funkeln in den Augen: „Eben diesen Umstand, dass der Hof innerlich zerstritten und vergiftet ist, können wir uns zu Nutze machen, wenn wir die Besetzung beenden wollen. Wir brauchen nur einen kleinen Auslöser und schon wird Riecard seine Königin zu sich zurück beordern müssen.“ Zodora, die stämmige Vertreterin der Bauern fragt interessiert nach: „Und den haben Sie?“ Und Nico antwortet selbstbewusst und zuversichtlich lächelnd: „Möglicherweise.“ Bodral, der konservative Handwerker wirft ein: „Wenn eine Lösung existiert, warum haben Sie sie dann nicht schon viel früher umgesetzt?“ „Darauf habe ich zwei Antworten. Zum einen hatte ich noch nie so viel Zeit, um über das Problem nachzudenken und zum anderen ist die Umsetzung sehr riskant.“ erläutert Nico entkräftend. Alshala, die Bäckerin, bei der Kara vor kurzem war, wird ungeduldig: „Sie haben jetzt genug darum herum geredet. Wie lautet denn Ihre Idee?“ Jetzt kommt der schwierige Teil seines Vortrags, der einige Zusammenhänge enthält, die er vor Hendryk und Kara bisher verbogen hat. Unwillkürlich fährt er sich durch die Haare und beginnt dann auszuführen: „Um das zu beantworten muss ich noch ein paar Dinge über Imperatorin Estells Personalpolitik erklären, die innerhalb des Militärs höchst umstritten ist. Diese Frau sucht sich ihre Gefolgsleute gewissenhaft und nach einem bestimmten Muster aus. Sie durfte zwar nur wenige Männer mitzunehmen, hatte aber die Befugnis diese alle selbst von Hand zu verlesen. Meine folgende Äußerung beruht nicht auf Gerüchten. Sie besetzte die höheren Positionen mit Männern, die sie zum einen für absolut loyal hielt und zum anderen ihren persönlichen Vorlieben entsprachen.“ Zodora kann nicht an sich halten und platzt erheitert mit der Frage dazwischen: „Soll das heißen, die gesamte Offiziersriege besteht aus den Geliebten einer selbst ernannten Imperatorin?“ Bodral steht von seinem Stuhl auf und ruft gehässig dazwischen: „Ha, ich habe eine bessere Frage. Wie sind SIE denn an Ihren Posten gekommen, Herr Hauptmann?“ Kara versteht gar nichts mehr. Davon hatte Nico in den letzten Wochen kein Wort erzählt. Er soll ein Geliebter der Königin sein? Das will sie nicht glauben. Sie ist aufgewühlt und hält die Luft an. Nico schaut offen nach und nach in die Gesichter der Neun, bleibt bei Farsa Gena stehen und lächelt selbstsicher. „Ich weiß, dass mich diese Information in ein schlechtes Licht rückt. Viele unserer Offiziere sind tatsächlich auf diesem Weg zu ihrem Posten gelangt. Ob Sie mir das jetzt glauben oder nicht, ich gehöre nicht dazu. Beim Einstellungsgespräch hat sie sich versucht mir zu nähern. Man hat mir angeraten in so einem Fall unbedingt auf sie einzugehen, was ich aber nicht tat. Wozu auch, denn ich habe sie abblitzen lassen und den Posten trotzdem bekommen.“ Kara atmet erleichtert durch und Hendryk ärgert sich ein bisschen. Um Haaresbreite wäre Nico beim Kampf um Karas Herz aus dem Spiel gewesen. Nicos ungeheures Selbsstbewusstsein erfüllt den ganzen Saal. Er mag der Angeklagte sein, doch es kommt den Zuschauern und Anklägern eher vor wie eine Bewerbung. Noch immer ein zuversichtliches Lächeln auf den Lippen erklärt er weiter: „Ich war der beste Anwärter für den Posten des Kommandanten, denn ich habe nicht nur achtzehn Jahre in dieser Stadt gelebt, sondern auch schon größere Erfolge in meiner Laufbahn vorzuweisen, als die meisten Generäle, die sich in Nalita hinter ihren Schreibtischen verkriechen. Aufträge, die mir anvertraut werden, und seien sie noch so schwierig, führe ich zum Erfolg, denn ich bin ein unnachgiebiger Mann der Tat und das ist auch bekannt beim Königlich Rosheanischen Militär. All das machte mich zur einzig geeigneten Wahl für Imeratorin Estells rechte Hand. Eines möchte ich noch hinzufügen. Bitte glauben sie mir, alle wie sie hier sitzen, wäre es mein Wunsch gewesen Kalaß zu Fall zu bringen, dann wäre es schon geschehen. Ich bin es, der den Eroberungseifer der Imeratorin bremst, denn sie hört auf das was ich sage. Mein Wunsch ist es meine Heimatstadt möglichst unversehrt aus dieser Situation heraus zu bringen, auch wenn es fast unmöglich scheint. Dafür arbeite ich Tag und Nacht.“ Seine Rede hallt nach und schüchtert nicht wenige im Raum etwas ein, anderen macht sie Mut. Nico findet es schade, dass nicht viele Menschen aus der Bevölkerung an der Anhörung Teil nehmen, denn hier hätte er die Gelegenheit gehabt ihre Herzen für sich zu gewinnen. Nicht jeder lässt sich gleichermaßen von Nicos überzeugender charmanter Art vereinnahmen. Erfolge sind schön und gut, doch trotzdem hat er Alshalas Frage nicht beantwortet, weshalb sie noch einmal ungeduldig nachfragen muss: „Wie lautet denn nun Ihre Idee, Herr Dugar?“ Er hoffte er hätte alle Anwesenden die Ursprungsfrage vergessen lassen, doch das hat er zu seinem Leidwesen nicht gschafft. Er fährt sich wieder durch sein Haar, was seine Nervösität auffliegen lassen würde, wenn jemand wüsste, dass er das völlig unbeabsichtigt tut, wenn er unsicher wird. Etwas widerwillig legt er seinen Plan offen. Das Lächeln vergeht ihm dabei. „Nun, meine Idee hat mit Imperatorin Estells Beziehungen zu ihren Offizieren zu tun. König Riecard wusste lange nichts von ihren Affären. Als neuerliche Gerüchte darüber auftauchten, schickte er seiner Gemahlin einen Wachhund auf den Hals. Einen Spitzel, der sie den ganzen Tag über begleitet. Er ist seit höchstens zwei Monaten vor Ort. Er kam kurz bevor ich Kara rettete. Würde ihm jemand beweisen, dass die Imperatorin Ehebruch begeht, würde sie unverzüglich vom König zurückbeordert. Bei dem instabilen Hofstaat, den er hält, kann er sich ein solches Verhalten von seiner Gattin nicht bieten lassen. Er würde an Macht verlieren, was ihn höchst angreifbar für den Hochadel macht, der ihn zu entthronen gedenkt, sobald er einen Fehler begeht. Doch solange sein Ansehen groß genug bleibt, kann er auch König bleiben.“ Die Kunsthandwerkerin Lish wirft mit einer eher lieblichen Stimme die Frage ein: „Und wer soll Ihrer Meinung nach die Königin an den Vertrauten des Königs verraten? Das müsste ja jemand sein, der sich bei ihr im Stützpunkt befindet.“ „Das wäre selbstverständlich ich. Wenn ich sie nicht persönlich verraten kann, so finde ich bestimmt unter meinen Freunden jemanden, der es für mich übernehmen kann. Auf jeden Fall müssten Sie mich an sie ausliefern.“ erläutert Nico und Kara springt auf. Aus ihr platzt ein empörtes „Wie bitte!?“ heraus, was er bis zu zu sich hören kann und darauf ein verbissenes und unglückliches Gesicht macht. Kara hält er für das größte Hindernis für diesen Plan, weil er befürchtet sie damit zu verletzen, was sich nun bewahrheitet. Ein lautes Raunen geht durch den Raum, bis Farsa Gena das Getuschel beendet. „Ruhe im Saal! Wir haben seinen Vorschlag gehört. Wir werden zwei Abstimmungen machen. Eine über sein Recht sich frei bewegen zu können und eine über seinen Plan zum Sturz der Besatzungsmacht.“ Der Ältestenrat stimmt ab. Alle, deren Zustimmung Kara vor der Anhörung erlangt hat, stimmten für eine Freilassung und auch Alshala hat sich dazu durchgerungen dafür zu stimmen. Sie kann sich nicht so richtig erklären wieso sie ihre Meinung geändert hat. Der Hauptmann hat eine Ausstrahlung, die sie tatsächlich auf ein Ende der Besatzung hoffen lässt. Sie ist auch eine Fürsprecherin ihn loszuschicken um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Sie weiß nicht was es noch zu verlieren geben soll, was bei diesem laschen Ältestenrat nicht schon längst verloren ist. Er ist seit Monaten der erste, der überhaupt einen konkreten Vorschlag zur Befreiung vorgebracht hat. Sie will sich an diesem kleinen Strohhalm festhalten. Der Rat steht allerdings nicht hinter ihr. Bei dem Vorschlag Nico auszuliefern, scheiden sich die Geister erneut und es kommt zu keinem klaren Ergebnis. Nico erhält seine Freiheit unter Auflagen. Er darf sich nur in bestimmten Bereichen der Stadt aufhalten und keinen Kontakt zum Militär von Roshea aufnehmen. Als Farsa Gena die Entscheidung verkündet ist Nico ist in erster Linie unglaublich erleichtert endlich aus diesem dunklen Kellerloch heraus zu kommen, in dem ihm die Luft zum Atmen gefehlt hat. Es liebt es den frischen Wind auf seiner Haut zu spüren und konnte die Gefangenschaft deshalb nur schwer ertragen. Seine beiden größten Unterstützer freuen sich zwar ebenfalls über den Erfolg, doch Kara ist auch ziemlich verärgert. Nach der Auflösung der Sitzung, tritt Nico an Farsa Gena heran: „Ich habe, wenn möglich, eine persönliche Bitte an Sie und den Rat.“ Sie schaut ihn interessiert an. „Welche denn, junger Mann?“ „Es geht um Kara. Sie macht seit einiger Zeit keine Hausbesuche mehr bei ihren Patienten, doch sie fehlen ihr. Alleine will sie sie jedoch nicht mehr machen. Hendryk muss doch nun keinen Wachdienst mehr halten und könnte sie zum Schutz begleiten. Könnten Sie ein gutes Wort für ihn bei Fendaris einlegen, um ihr Geleitschutz zu gewähren?“ Nico lässt seinen Charme spielen, während er seine Bitte ausspricht. Er hat sie voll in seinen Bann gezogen, denn sie ist beeindruckt von seiner Erscheinung. „Keine Bitte im eigenen Sinn, Herr Dugar? Sehr interessant. Ich werde sehen was sich tun lässt.“ Nun ist der Hauptmann endlich frei und darf den Ratssaal verlassen. Unmittelbar nach seiner Bitte wird die junge Stadtwache Hendryk wird direkt zu Farsa Gena und Fendaris in einen Nebenraum gewinkt. Er denkt, dass er für den Vorfall am Markt jetzt vielleicht noch verspätet zur Rechenschaft gezogen wird. Auf jeden Fall wird es ein Personalgespräch aller höchster Güte für ihn und das macht ihn etwas nervös. Kara geht unterdessen gezielt auf Nico zu, der noch mitten im Saal steht. Sie lächelt nicht. Bei ihm angekommen fällt sie ihm nicht in die Arme, wie er sich das vorgestellt hatte, sondern gibt ihm eine gepfefferte Ohrfeige, ganz so wie in Hendryks Geschichte über den Lügen erzählenden Kommilitonen. Nico war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Das laute Klatschen ist im ganzen Ratssaal zu hören und zieht die Blicke der verbleibenden Leute auf sich. Mit fragendem Blick sieht er sie an, während sich seine Wange vom Schlag rot zu färben beginnt. Völlig aufgebracht wettert sie: „Was fällt dir ein vor dem Rat so einen Vorschlag zu machen und nicht mit mir vorher darüber zu reden!?“ Nico packt Kara am Arm und zieht sie hinter sich ein Stück her in eine ruhige Ecke, in der keine Zuschauer hat. Er wendet sich an sie und sagt leise in einem möglichst verständnisvollen Ton: „Du hättest ihn abgelehnt.“ Sie reagiert immer noch genauso aufgebracht wie zuvor: „Ganz genau und deshalb ziehst du es auch vor es mir gar nicht erst zu sagen. Nico, kaum…kaum bist du wieder da, willst du mich gleich wieder verlassen- schon wieder. Erst Yoken und jetzt… “ Kara spürt wie ihr bei diesem Satz heiße Tränen über ihre Wangen laufen. Die hatte sie zunächst versucht zurückzuhalten, doch jetzt schämt sie sich nicht mehr dafür. Soll Nico ruhig sehen, was er da angerichtet hat und genau das tut er auch. Er versteht, dass sie um ihn weint und spürt zum ersten Mal ihre tiefe Zuneigung. Er hält die Situation für geeignet sie zärtlich zu umarmen. Er nimmt die Möglichkeit in Kauf von ihr zurückgewiesen zu werden, doch dieses Risiko geht er gern ein. Ohne jede Gegenwehr, lässt sie es zu. Wie lange hatte er schon mit der Vorstellung gespielt sie einfach so in den Arm nehmen zu können? In seiner Zelle hatte er viel Zeit darüber nachzudenken wie es wäre mit Kara zusammen zu sein. Ganz sanft, im Versuch sie nicht noch weiter aufzuregen, sagt er: „Ich wäre nur kurz weg. Nach erfolgreicher Mission kehre ich zu dir zurück.“ Sie ist überwältigt von dem Gefühl endlich in seinen Armen zu liegen. Es fühlt sich ganz anders an als eine Umarmung von Hendryk. Das macht ihr nur noch mehr Angst Nico gleich wieder zu verlieren. Sie will nicht, dass er allein in den Kampf zieht. Sie würde ihn gern begleiten, doch was soll sie in dieser Situation schon ausrichten? Sie fleht ihn an: „Bitte tut es nicht... Wenn dich die Königin nicht tötet, dann macht dich spätestens dein Verrat zum Staatsfeind von Roshea.“ Nico streicht ihr sanft durch ihr seidiges dunkelrotes Haar und versucht sie zu beruhigen. „Dann hätte sie das Kopfgeld auf mich nicht lebend ausgesetzt. Kara, vertrau mir. Der König von Roshea wird mir für meine Treue Danken. Ich werde zurückkehren, denn ich habe dort viele Freunde.“ Er sagt ihr das alles als wäre er sich seiner Sache sicher. In Wahrheit ist er das nicht. Sie lösen die Umarmung etwas. Kara fasst sich ein wenig und sagt mit wieder erstarkter Stimme: „Es ist ohnehin egal was du über deine Erfolgschancen denkst. Der Rat wird deinem Vorschlag niemals zustimmen.“ Er versteht nicht ganz und fragt wieso. Sie antwortet überzeugt: „Du weißt wie konservativ der Ältestenrat ist. Er hat viel zu große Angst verraten zu werden. Jetzt wo du deinen Vorschlag ausgeplaudert hast, wird er dich vielleicht sogar überwachen lassen. Das hätte ich dir auch schon vorher sagen können.“ Nico versteht es immer noch nicht und konkludiert: „Aber wenn sie auch weiterhin untätig bleiben, wird diese Stadt früher oder später komplett fallen.“ Kara stimmt zu. „Ja, so wird es sein.“ „Was für ein Starrsinn....Aber ich muss dir noch etwas anderes sagen Kara. Ich habe Farsa Gena vorhin darum gebeten dir Hendryk wieder als Begleitschutz an die Seite zu stellen, damit du wieder Hausbesuche machen kannst. Wenn sie zustimmt und du wieder deine Runden machst, dann pass bitte ganz besonders auf dich auf. Ich kenne den Mann, der dich überfallen hat. Er ist einer von der Sorte, die sich an Dingen festbeißen können.“ Erklärt er, was Kara sehr freut und sie wunderschön lächeln lässt. „Vielen Dank. Du weißt gar nicht was mir das bedeutet. Wenn Hen bei mir ist, brauche ich keine Angst zu haben. Er wird mich vor diesem Soldaten beschützen.“ Das Paar schweigt einen Moment. Die junge Frau legt ihre Stirn an Nicos Brust und er seine Arme wieder um sie. Nach einer kurzen Verzögerung fordert sie zärtlich. „Ich habe auch eine Bitte an dich, Nico. Wenn der Rat deinen Vorschlag ablehnt, bleibst du dann bei mir? Lass uns gemeinsam gegen die Besatzer kämpfen und...lass mich...lass mich bitte nie wieder allein.“ Der junge Mann erinnert sich daran was Hendryk ihm über Karas Kindheit erzählt hat. Er berührt sie sanft am Kinn, sodass sie ihren Kopf anhebt. Die beiden sehen sich an, während eine einzelne Träne Karas gerötete Wange herunterläuft, die Nico zärtlich mit dem Daumen wegwischt, in sich geht und dann leise und ein wenig widerwillig verspricht: „Wenn du es dir wünschst, gehe ich nicht.“ Sein Blick ist stark und sanft zugleich und das hat eine unwiderstehliche Wirkung auf Kara. Er beugt sich ein Stück zu ihr hinunter. Als sich ihre Lippen zärtlich berühren, zuckt die junge Frau kurz ein wenig zurück, doch Nico lässt sich davon nicht beirren. Er fährt ihr zärtlich durch ihr volles Haar an ihren Hinterkopf, um sie ein wenig an sich heran zu drücken. Also sie ihre Hand auf seinem Rücken ablegt, hat er die Bestätigung dafür, dass der Kuss für sie völlig Ordnung ist. Trotzdem muss Nico beherrschen. Er hatte Karas Hingabe in den endlos langen Nächten in seiner Zelle herbeigesehnt und mehr als einmal gingen seine Gedanken mit ihm durch. Diese Frau ist für ihn bestimmt. Seine Großmutter hatte recht, denn Kara ist Nicos absolute Traumfrau. So ein intensives Gefühl hat er noch nie zuvor für eine Frau empfunden und das ist es auch was ihm die Sinne raubt als sei er ein Jugendlicher. Mitten während des Kusses findet Hendryk die beiden in einer leicht verwinkelten Stelle des großen Saales vor. Eigentlich wollte er Kara die freudige Nachricht überbringen, dass er sie wieder bei ihren Hausbesuchen begleiten darf, doch als er die Situation erkennt, hält er inne. Für ihn bricht eine Welt zusammen und ohne ein Wort zu sagen verschwindet er. Die beiden Liebenden haben Hendryks Anwesenheit nicht bemerkt. Die junge Frau ist ziemlich aufgeregt, denn da sie so große Schwierigkeiten mit Beziehungen hat und so unnahbar ist, hatte sie noch niemals einen festen Freund. Hendryk, der ihr mit Abstand am nächsten stand, weiß das natürlich, Nico aber nicht. Die beiden beginnen nach der jungen Stadtwache zu suchen, doch sie bleiben erfolglos. Da Nico selbstverständlich kein eigenes Haus und auch noch andere keine Unterkunft hat, geht er erst einmal mit zu Kara, was Farsa Gena genehmigt hat. Die beiden waren noch nie länger miteinander allein und haben beide sehr unterschiedliche Erwartungen von der Situation. Die Dämmerung beginnt langsam einzusetzen, als sie bei ihrem Haus ankommen. Es ist mild und man sieht schon jetzt, dass es eine sternenklare Nacht wird. Nico genießt das laue Lüftchen, das ihm durch die Haare weht und kann sich nur schwer vorstellen jetzt schon wieder freiwillig in ein Haus hinein zu gehen. Er bemerkt das Plätschern des Kanals vor ihrem Haus, was ihm ebenfalls zusagt. Er erklärt sanft, seine Situation, weshalb sie ihm vorschlägt sich mit ihm auf das Dach zu setzen, um die Sterne zu beobachten. Natürlich stimmt er erfreut zu und die beiden steigen über den Dachboden hinaus auf das blau geschieferte Dach. Es nicht zu steil, um darauf zu liegen. Kara hat das sogar schon öfter gemacht. Sie legen sich nebeneinander hin. Nico schaut sich seine Liebste genau an, denn er kann sein Glück kaum fassen. Ihre makellose helle Haut reflektiert das Licht des Mondes, der auch ihr dunkles Haar schöner glänzen lässt als das Firmament. Er setzt sich auf und beugt leicht sich über sie, um sie besser betrachten zu können, was sie unsicher macht. „Was tust du?“ fragt sie und er flüstert sanft: „Deine Schönheit betrachten, mein Engel.“ Sie fühlt sich geschmeichelt, doch sie weiß gar nicht so genau wie sie darauf reagieren soll. So hat sie noch keiner genannt, naja jedenfalls nicht ohne eine Ohrfeige zu kassieren. Sie sieht ihm direkt in seine schimmernden blauen Augen. Dann beugt er sich zu ihr hinunter und küsst sie erneut. Sie legt ihre Arme um ihn. Der Kuss ist zärtlicher und intimer als ihr erster. Kara ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Solche intensiven Gefühle hatte sie noch niemals zuvor und sie glaubt die Kontrolle über sich zu verlieren, was ihr Angst macht. Sie weiß nicht, ob das normal ist, wenn man jemanden küsst, den man liebt, doch es erscheint ihr schon recht heftig, deshalb zieht sie sich plötzlich und ohne Vorwarnung zurück. Nico bemerkt, dass es ihr zwar gefallen hat, er aber wahrscheinlich doch etwas zu forsch war. Er ärgert sich, was er versucht vor ihr nicht zu zeigen. Er legt sich nach hinten und nimmt seine Hände hinter den Kopf. Kara legt sich neben ihn, mit ihren Kopf auf seinen Arm, den er nun um sie legt. Ihre Hand ruht auf seiner Brust und streichelt ihn ein wenig. Nach einer kurzen Weile der Stille flüstert Kara: „Nachnamen wurden in Kalaß doch bereits vor Ewigkeiten abgeschafft, aber du hast einen. Hattest den schon immer? Ich erinnere mich nicht daran.“ Für Nico war es mittlerweile so selbstverständlich einen Nachnamen zu haben, dass er darüber gar nicht mehr nachgedacht hat. Erst Karas Frage bringt seine Erinnerungen an die Namensgebung zurück. „Den habe ich mir bei der Einbürgerung nach Roshea selbst gegeben. Beim Militär ist es nachteilig keinen Nachnamen zu haben.“ Das interessiert Kara sehr. Sie stützt sich etwas auf, um ihn ansehen zu können. „Du hast ihn dir selbst ausgesucht? Dann bedeutet er etwas?“ Nico blickt sie etwas traurig an, doch sie hat das Gefühl er würde durch sie hindurch schauen, als er antwortet: „Ja, so ist es. Es ist etwas kompliziert und tief mit mir verwurzelt.“ Jetzt will sie es erst recht wissen. „Erzählst du es mir?“ „Ich kann es versuchen zu erklären, aber ich weiß nicht, ob es mir gelingt.“ Haucht er, doch die drängt weiter: „Bitte versuche es!“ Er blickt tatsächlich an ihr vorbei. Während er spricht schaut er sich den wunderschönen, hellen Mond an. „Es hat etwas mit meiner Großmutter zu tun. Ich hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihr. Ich kann es nur schwer beschreiben. Oft musste ich sie nur ansehen und sie wusste schon was ich sagen wollte. Wir haben uns ohne Worte verstanden. In ihrer Nähe hatte ich ein Gefühl von Geborgenheit, von dem ich heute denke, dass es über normale Emotionen hinausgeht. Sehr oft gingen wir gemeinsam in die Kathedrale von Kalaß. Darauf habe ich mich immer gefreut, denn ich fühlte mich dort sehr wohl. Großmutter erzählte mir, dass unsere Familie eine ganz besondere Verbindung zu dieser heiligen Stätte hätte und sie hatte recht. In der Kathedrale ist am Altar ein Artefakt aus einem aquamarinfarbenen Kristall eingelassen, das den Windgott in Form eines flügellosen Vogels symbolisiert. Der Legende nach wurde dem Windgott die Fähigkeit zu fliegen genommen, weshalb er gezwungen war auf der Erde unter den Menschen zu leben. Die Flügel des Kristallvogels wurden um die Fassung herum in Stein gehauen. Er ist heute noch da. Du kennst ihn bestimmt. Das habe ich noch niemanden erzählt, aber wenn ich nah an ihn herangehe und ihn berühre, dann spüre ich etwas, das sich so ähnlich anfühlt wie die Geborgenheit bei meiner Großmutter. Ich verstehe es selbst nicht, aber das verbinde ich am ehesten mit so etwas wie einer Familie. Das Artefakt trägt den Namen Fuathel Dughar Juwel, das Windgott Sturm Juwel. Ich habe es vereinfacht und zu meinem Nachnamen modifiziert. Es fühlt sich richtig an diesen Namen zu tragen.“ Er wendet seinen Blick wieder Kara zu, die ihn mit großen Augen ansieht, was ihn zum Lächeln bewegt. „Es ist nicht nachvollziehbar, oder?“ Kara bemerkt ihren überraschten Gesichtsausdruck und ändert ihn ab zu einem sanften Lächeln. „Für mich als Gelehrte ist es, um ehrlich zu sein, wirklich sehr schwer zu verstehen. Du sprichst von Telepathie und heiligen, fast schon magischen Artefakten so, als würden sie tatsächlich existieren. Außerhalb von Göttersagen oder okkulten Büchern höre ich zum ersten Mal von so etwas.“ „Du glaubst mir nicht?“ Fragt er ohne Vorwurf, doch es wühlt sie auf. „Das habe ich nicht gesagt. So etwas würdest du nicht erfinden. Ich finde es merkwürdig. Ich sollte mich mit der Herkunft des Windartefakts in der Kathedrale beschäftigen.“ Nico muss ein wenig lachen. „Wie rational du bist, eine wahre Wissenschaftlerin.“ Sie macht wieder große Augen. „Findest du das gut oder schlecht?“ Fragt sie, was er einfach nur süß findet. Er streichelt ihr über ihr Haar, was sie beruhigt und flüstert: „Etwas von beidem. Dinge zu hinterfragen ist gut, aber zu viel Zweifel kann dich auf Dauer unglücklich machen und das möchte ich nicht.“ Sie sinkt wieder auf seine Brust. „Dann zeig mir bitte wie man die Dinge nehmen und akzeptieren kann wie sie sind.“ „Das werde ich.“ Den Rest der Nacht sagt keiner von beiden etwas. Sie genießen einfach die wunderschöne, milde und sternenklare Nacht und ihre gemeinsame Zeit. Bis zum Morgen liegen sie gemeinsam auf dem Dach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)