Der König von Kalaß von Elnaro ================================================================================ Kapitel 3: Als Feind unter Freunden ----------------------------------- Kara und Ikky haben fast keinen Kontakt zueinander gehabt, seit die zwei Jahre jüngere Arzthelferin nicht mehr an den Hausbesuchen teilnimmt. Die beiden sind nicht wirklich befreundet, sondern hatten eher eine rein kollegiale Beziehung zueinander. Sie sind einfach zu verschieden. Es ist auch nicht einfach mit Kara befreundet zu sein, da sie nur sehr selten etwas über sich preisgibt und Freizeit hat Kara auch fast keine, in der man sich mit ihr treffen könnte. Sie nutzt die Zeit die sie hat aus, um sich immer weiter zu bilden oder sie verabredet sich mit ihrem besten Freund Hendryk zum gemeinsamen Kochen, was für die beiden allein Lebenden einen Zeitvorteil bedeutet. Ikky mag Kara trotzdem und schätzt ihre Fähigkeiten. Es tut ihr unglaublich leid was ihr zugestoßen ist. Sie bringt Kara in eine Art Krankenzimmer, in dem ein Bett steht. Es ist mit mehreren Öllampen gut beleuchtet. Sie setzt ihre ehemalige Kollegin auf dem Bett ab, zieht ihr die Jacke des Hauptmanns aus, die sie auf einem Stuhl ablegt, versorgt die kleine Schnittwunde an Karas Schulter und bindet ihr zerschnittenes Oberteil notdürftig mit einem Knoten zusammen. Sie traut sich zunächst kaum zu sprechen, weil ihr selbst auch als Kind und ihren Eltern einmal ein großes Unglück zugestoßen ist, doch dann flüstert sie: „Du bist in Sicherheit. Ruh dich aus, Kara. Ich bleibe heute Nacht bei dir, ja?“ Kara hat einen völlig leeren Blick. Sie sieht Oberleutnant Lorans überhebliches Lächeln vor sich. Sie beugt sich nach vorn, anstatt sich hinzulegen und beginnt zu schluchzen: „...Ich konnte überhaupt nichts... überhaupt nichts dagegen tun. Ich konnte überhaupt nichts...“ Tränen laufen ihr übers Gesicht. Ikky setzt sich neben die aufgelöste junge Frau aufs Bett. Sie versucht sie zu trösten und legt ihren Arm um sie. „Glaub mir, ich weiß wie es ist, sich hilflos zu fühlen.“ Kara lehnt sich ein wenig an Ikky heran, die nun auch ihren anderen Arm um sie legt. Es braucht seine Zeit, bis Kara sich ein wenig beruhigt und nach einigen Stunden erschöpft einschläft. Als die junge Frau am nächsten Morgen allein aufwacht, schreckt sie hoch. Sie muss sich erst einmal orientieren und begreifen was gestern passiert ist. Die Erinnerungen lassen ihren Körper verkrampfen, doch sie will sich davon nicht beherrschen lassen und sieht sich im Raum um, denn vielleicht findet sie etwas das ihr hilft den Schmerz zu verarbeiten. Eine der Öllampen ist ausgebrannt, doch die anderen brennen nach wie vor. Dann sieht sie im schwachen Licht die Jacke einer rosheanischen Uniform neben sich auf dem Stuhl liegen und erinnert sich an Nico. Sie beugt sich hinüber, um sie an sich zu nehmen und betrachtet sie im Anschluss nachdenklich. Die ratlose junge Frau fragt sich wofür wohl seine beiden Orden und all die Abzeichen stehen mögen. Zärtlich fährt sie mit ihrem Zeigefinger über das kalte Metall. Einer der Orden sieht aus wie eine Sonne und darin ist ein Hirschkopf zu sehen, der andere entspricht vollständig der Form des rosheanischen Wappentieres. Wahrscheinlich spiegeln sie zwei große Verdienste wider, die ihn so jung schon zum Hauptmann aufsteigen ließen, aber das ist nur eine Vermutung von ihr. Andere Soldaten tragen so etwas jedenfalls nicht, also scheint es etwas Besonderes zu sein. Sie vergräbt ihr Gesicht in der Jacke und atmet tief ein. Der wunderbare Körperduft des Hauptmanns haftet noch daran und Kara füllt ihre Lungen damit. Sie fühlt wie sich die Anspannung in ihr etwas löst. Sein Duft wirkt beruhigend auf sie. Er hat sie gerettet und sie ist ihm dafür zutiefst dankbar. Jetzt gerade tut er es schon wieder, denn der Gedanke an ihren Helden verhindert, dass Kara in Verängstigung verharrt. Sie muss ihn sehen, muss sicher stellen, dass er gut behandelt wird. Als Ikky stürmisch den Raum betritt, hält Kara die Jacke noch immer innig umarmt, deshalb zuckt die junge Frau ertappt zusammen, als sich die Tür öffnet und versteckt sie sie schnell verschämt hinter sich. Natürlich hat Karas junge ehemalige Assistentin bemerkt was los ist. Etwas angewidert von Karas Verhalten verdreht sie die Augen, schluckt das jedoch noch einmal herunter und fragt liebevoll: „Geht es dir wieder besser?“ Die im Bett sitzende junge Frau nickt und antwortet leise: „Es geht wieder. Danke, Ikky. Mir ist dadurch etwas klar geworden. Ich weiß jetzt wie hilflos ich bin und auch wie hilflos Kalaß ist. Ich verstehe jetzt warum Nico beim Militär geblieben ist, obwohl es in seine Heimatstadt einmarschierte. Genau deshalb ist er geblieben. Er hat recht. Es ist besser auf solche Dinge Einfluss nehmen zu können, als es jemand anderem, gefährlicherem zu überlassen. Was sagst du?“ Ikky reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf und widerspricht verbissen: „Da bin ich ganz anderer Meinung. Für mich ist er ein Volksverräter.“ Was Kara geschockt zusammenzucken lässt, denn damit hatte sie nicht gerechnet. „Ikky, wie kannst du nur so etwas sagen? Wo ist Nico? Ich will zu ihm!“ Ikky antwortet kalt: „Sie haben ihn in den Kerker geworfen, wo er hin gehört.“ Die rothaarige junge Frau wirft entsetzt ihre Bettdecke von sich und ruft: „In den Kerker? Aber er ist ein Held. Er hat mich gerettet und sich dazu gegen seine eigenen Leute gestellt.“ Darüber kann Ikky nur erneut den Kopf schütteln. Dabei urteilt sie hart: „Ich sehe in ihm nur einen brutalen Soldaten.“ Natürlich weiß Kara, dass Ikkys Eltern vor vielen Jahren auf einer Reise angeblich von rosheanischen Soldaten ermordet worden seien, doch das ist kein Grund sie zu pauschalisieren, deshalb widerspricht sie vehement: „Das ist mir egal, Ikky. Ich will ihn sehen! Jetzt! Wo ist er?“ „Ich kann dir auf diese Frage nicht antworten, selbst wenn ich wollte. Es gibt nur wenige, die wissen, wo sich die Zellen hier unten befinden.“ Kara hat jetzt nicht die Geduld sich in Ikkys Position hinein zu versetzen. Sie ist einfach nur genervt von ihr und versucht eine andere Lösung zu finden. Sie denkt an Hendryk, der es als Mitglied der Stadtwache eigentlich wissen müsste wo die Gefangenen hin gebracht werden. Sie schnappt sich Nicos Jacke und stürmt davon, um ihm zu suchen. Ikky lässt sie einfach stehen. Als Fendaris von dem Vorfall erfährt, kommt ihm eine Idee. Er schickt einen Boten zu Hendryk, der immer noch vom Dienst suspendiert ist. Dieser Bote erklärt der jungen Stadtwache, dass Kara etwas zugestoßen sei, doch dass es ihr wieder gut ginge. Hendryk ist zunächst total geschockt und will alle Einzelheiten zu dem Vorfall erfahren, die ihm der Bote, soweit er sie kennt, auch erklärt. Nachdem er sich seine Version der Geschichte angehört hat, ist er verdammt sauer auf den gefangenen rosheanischen Hauptmann. Da Fendaris so eine Reaktion geahnt hatte, sah er hierin eine gute Gelegenheit Hendryk wieder in den Dienst einzusetzen. Kurzerhand ließ er ihn in den Wachdienst für den gefangenen Hauptmann Nico Dugar einteilen. Hendryk nimmt die neue Aufgabe dankbar an, denn mit diesem Hauptmann hat er noch eine Rechnung zu begleichen. Seine beste Freundin Kara wird er leider erst nach Dienstschluss besuchen können, denn er wird unmittelbar an seinen neuen Dienstort geführt. Nico sitzt auf der Pritsche, die er in seiner Zelle stehen hat. Ratlos starrt er auf den kargen Natursteinboden. Er hat keine Idee wie es jetzt weitergehen soll. Er gibt sich selbst die Schuld für diese Situation. Wegen einer Frau so die Beherrschung zu verlieren sieht ihm nicht ähnlich. Mit einem kühlen Kopf wäre er in der Lange gewesen ohne dem geringsten Problem mit der Situation umzugehen. Seine Leute zurecht weisen, Kara an Bewohner eines der Häuser übergeben, fertig. Statt dessen griff er einen Offizier an und ließ sich gefangen nehmen wie ein Anfänger... er dachte er sei alt genug um sich den Kopf nicht mehr so sehr von einer Frau verdrehen zu lassen. Er zweifelt an seiner eigenen Zurechnungsfähigkeit. In der Zelle findet er nichts, das ihn von seinen trüben Gedachten ablenken könnte. Sie ist überschaubar. Ihm stehen ein Tisch und einen Stuhl sowie eine Pritsche zum Liegen und immerhin sogar fließendes Frisch- und Abwasser zur Verfügung, so wie es in Kalaß üblich ist, sogar für Gefangene. Er hat kein Fenster oder Tageslicht. Das einzige Licht im Raum stammt von zwei kleinen Öllampen außerhalb seiner Zelle. Hendryk hat bisher noch nie Gefängniswächter spielen müssen. Er weiß weder wo die Zellen sind, noch was ihn dort erwartet. Er wird zum Kerker geführt und dann zur Ablösung der Nachtwache eingeteilt. Der junge Mann wartet ab bis er allein mit dem Gefangenen ist, bevor er ihn verhört. Dann begibt er sich zu den Gitterstäben von Nicos Zelle, tritt dagegen und geht verbal auf ihn los. „Es ist deine Schuld, dass das passiert ist. Ich dachte du bist der Hauptmann dieses ehrlosen Haufens, aber du hast ihn überhaupt nicht im Griff. Wenn dir was an Kara liegt, warum hast du sie dann nicht beschützt?“ Nico antwortet nicht auf die verbalen Attacken. Er hat den neuen Wachmann bisher nicht eines Blickes gewürdigt. Stattdessen schaut er noch immer stoisch nach unten. Zudem wüsste er auch nicht was er darauf antworten sollte. Im Grunde hat diese junge, etwas aggressive Stadtwache ja recht, er hat in seiner Rolle als Kommandant versagt. Hendryk schlägt vor Wut mit seiner Faust gegen die Gitterstäbe, die einen lauten, dumpfen Ton von sich geben. „Antworte mir, verdammt! Sag oder tu irgendwas!“ Nico reagiert auf diese Aufforderung. Er will den Heißsporn nicht länger reizen und fragt ganz ruhig: „Wie geht es ihr?“ Hendryk antwortet ungehalten in einem genervten Ton: „Ich war noch nicht bei ihr.“ Er schnalzt mit der Zunge und erklärt weiter: „Tss, der Chef hat mich direkt hier her beordert. Er versicherte mir sie habe sich schon wieder gut erholt. Sonst wäre ich gar nicht hier unten. Aber vor dir brauche ich mich nicht zu rechtfertigen.“ Nico schaut jetzt zum ersten Mal zu der Stadtwache hoch und erkennt den jungen Mann, der Kara immer vor ihm bei dem Hauskontrollen verteidigt hat. Er versteht jetzt wieso er so wütend ist. Er ist erleichtert über seine Worte und lächelt sanft. „Ich mache mir Sorgen um ihren psychischen Zustand. Kümmere dich bitte um sie.“ Hendryk bleibt weiter ungehalten. „Das lass ich mir ausgerechnet von dir doch nicht sagen. Natürlich kümmere ich mich um Sie. Sie ist schließlich meine feste Freundin.“ Er flunkert, um Nico endlich aus der Reserve zu locken. Nach außen hin reagiert Nico nicht darauf. Er antwortet nur: „Es beruhigt mich zu wissen, dass jemand für sie da ist.“ Hendryk regt auch diese Aussage auf. Er fragt sich wieso dieser arrogante Wichtigtuer Offizier einfach nicht aus der Fassung zu bringen ist, wohingegen er selbst fast explodiert. Erneut tritt er gegen das Gitter und setzt sich die nächsten Stunden schweigend vor die Zelle. In Nicos Kopf arbeiten währenddessen Hendryks Worte. Er soll mit Kara zusammen sein? Er? Vielleicht hat Kara deshalb abweisend auf seine Annäherung an jenem Abend reagiert, an dem er sie gebeten hatte mit ihm nach Yoken zu gehen. Sinn machte seine Aussage schon. Vielleicht war dieser Junge von Anfang an nicht nur ihr Leibwächter. Er hatte schon immer ziemlich aggressiv auf seine Annäherungen der schönen Kara gegenüber reagiert. Nico kann ja nicht davon ausgehen, dass eine Frau wie sie nur auf ihn, ihren Prinzen auf dem weißen Pferd, gewartet hat. Zugegeben wird ihm das jetzt erst richtig bewusst. Sie ist ja schließlich keine sechzehn mehr, sondern eine erwachsene Frau, wohingegen ihm diese Stadtwache wie ein trotziges Kind vorkommt. Er hat Probleme sich vorzustellen, dass sich seine wunderschöne, anmutige Kara mit jemandem wie ihm, einem Jungen ohne Manieren und ohne gesellschaftlichem Rang, zufrieden geben würde. Sie ist wie eine Königin und die junge Stadtwache wie einer ihrer Ritter, der sie beschützt. Eine Königin lässt sich nicht mit einem Ritter ein, das wäre absurd, ganz egal wie sehr er sie vergöttert. Kara war den ganzen Tag unterwegs um alle möglichen Leute nach dem Verbleib des Hauptmanns zu befragen. Sie hatte keinen Erfolg und musste feststellen, dass man Angst vor ihm hat. So wie er schon sagte, auch wenn er Kalaß mit Informationen versorgt hat, so hat er sich das Vertrauen der Menschen nicht verdient. Sie weiß erst mal nicht weiter und wartet vor Hendryks kleinem Haus, das nur zehn Minuten Fußweg von ihrem entfernt liegt, auf seine Rückkehr. Es dämmert schon, als er an seinem kleinen, typisch schmalen kalaßer Haus ankommt. In dem Moment, in dem er sie erkennt, beginnt er auf sie zu zu rennen. „Kara, ich war gerade bei dir und du warst nicht da. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ ruft er, kurz bevor er bei ihr ankommt. Dann nimmt er sie in die Arme. „Ich bin so froh, dass nichts schlimmeres passiert ist. Wie geht es dir?“ Sie genießt seine Umarmung und antwortet gelöst: „Es ist schon ok. Nico hat mich noch rechtzeitig gerettet.“ Hendryk verdreht die Augen und wird abschätzig: „Dieser unfähige Hauptmann...? Würde er seinen Job besser machen, wärst du gar nicht erst in diese Situation gekommen.“ Nach acht Stunden mit Nico Dugar in einem Raum, kann er sich jetzt etwas Besseres vorstellen, als auch noch über ihn zu reden. Er öffnet die Holztür zu seinem Haus und bittet Kara herein. Bei ihm ist es wie immer etwas schmutzig und unaufgeräumt. Kara ist das ebenso egal wie es das Natja war. Sie muss ja nicht hier wohnen. Die junge Frau tritt nach ihm ein und entgegnet: „Ich weiß, du kannst Nico nicht leiden, aber für den Moment ist es mir egal was du von ihm hältst. Ich möchte ihn besuchen und ihm danken. Kannst du mich zu seiner Zelle führen?“ Das macht Hendryk ärgerlich. „Nein, kann ich nicht. Ich habe da klare Vorschriften und für den Typen werde ich sie bestimmt nicht überschreiten.“ Auf einmal wird er regeltreu und Kara ist sichtlich enttäuscht. „Du hast nicht das Recht darüber zu bestimmen, ob ich ihn sehen darf.“ Er entgegnet: „Stimmt, das habe ich nicht. Das hat nur der Ältestenrat. Frag doch den!“ „Ja, das werde ich auch und ich werde seine Freilassung beantragen.“ schimpft sie und Hendryk schüttelt den Kopf. „Dann tu was du nicht lassen kannst. Ich für meinen Teil kann den Kerl nicht ausstehen.“ Kara versteht das ehrlich gesagt nicht und wird gereizt: „Du kennst ihn doch gar nicht und weißt auch gar nichts über ihn.“ Den Ball kann Hendryk locker zurück spielen. „Hah, aber du, ja?“ Seine Worte sitzen. Kara weiß tatsächlich auch so gut wie gar nichts über ihn. Sie braucht nur an seine Uniform und die zwei Orden und all die Abzeichen zu denken. Sie ist beleidigt und dreht sich weg, um zu gehen. Das war nicht Hendryks Ziel, deshalb sagt er weich: „Warte bitte, ich bringe dich nach Hause. Ich möchte nicht, dass du allein unterwegs bist.“ Kara sagt nichts dazu, denn sie weiß, dass das eine noble Geste ist. Schweigend gehen die beiden die zehn Minuten Fußweg durch einige schmale Gassen zu ihr. Die Sperrstunde hat bereits eingesetzt und sich müssen sich ruhig verhalten. An ihrem Haus angekommen bedankt sie sich knapp für seine Begleitung und auch Hendryk verabschiedet sich: „Mach am besten erst mal keine Hausbesuche mehr.“ Kara nickt und antwortet: „Beeil dich bitte und geh zurück!“ Sie geht hinein in ihr ebenso kleines und schmales, zweistöckiges Haus, in dem sie nun ganz alleine ist. Schweren Herzens muss sie zugeben, dass es jetzt einfach zu gefährlich ist Hausbesuche zu machen und nimmt sich vor morgen gleich als erstes in die Arztpraxis ihres Ausbilders zu gehen, um ihm dies mitzuteilen. Erledigt vom Tag und traurig über sie Situation, findet sie nur wenig Schlaf. Auf dem Rückweg spürt Hendryk, wie ihm ebenfalls das Herz schwer wird. Ihm wird schmerzlich klar, dass er den Hauptmann wahrscheinlich deshalb nicht ausstehen kann, weil er im Begriff ist Karas Herz für sich zu gewinnen. Die Art wie sie über ihn gesprochen hat, war ein klares Zeichen dafür. Er begreift nicht wie dieser überhebliche Mann das geschafft hat. Mag Kara so etwas etwa? Das macht ihn nur noch wütender auf ihn. Gleich am nächsten Tag tritt Kara vor den Ältestenrat. Dieser sitzt im prunkvollen Rathaus von Kalaß. Die junge Frau will versuchen den Rat davon zu überzeugen, dass es falsch ist Nico einzusperren. Sie sitzt gemeinsam mit den neun ständigen Stellvertretern der verschiedenen kalaßer Berufsgruppen in einem großen, mit kunstvollen Holzvertäfelungen verzierten Saal mit Kassettendecke im Rathaus an einer langen Tafel. Den Vorsitz des Ältestenrats hat Farsa Gena, die Vertreterin der Gilde der Gelehrten, dem auch Kara angehört. Die Vorsitzende ist Mitte fünfzig, etwas stämmig und hat dunkelbraunes, streng nach hinten gebundenes Haar. Sie steht mit beiden Beinen im Leben und wird mit ansonsten unvergleichlichem Respekt im Rat behandelt. Sie ist eine vernünftige Frau, die von Kara sehr geschätzt wird. Für das Anliegen der jungen Frau hat sie aufgrund der Dringlichkeit eine außerordentliche Sitzung einberufen. Wäre Kara einem anderen Stand angehörig, hätte sie das womöglich nicht ohne weiteres getan. Kara hat ein enges Vertrauensverhältnis zu Farsa Gena. Die Ratsvorsitzende eröffnet die Sitzung mit den Worten: „Verehrter Ältestenrat, wir haben uns hier zu einem außerordentlichen Treffen versammelt, um uns anzuhören, was uns die junge angehende Ärztin Kara über unseren neuen Gefangenen, den Hauptmann der Königin, zu berichten hat. Sie bringt den Antrag vor den Gefangenen frei zu lassen. Da wir noch nie in eine solche Situation gekommen sind, müssen wir entscheiden wie wir mit ihm weiter verfahren wollen. Dazu bitte ich Kara zunächst zu Wort. Im Anschluss diskutieren wir über unsere Möglichkeiten und stimmen über unsere Vorschläge ab.“ Die laute Stimme Farsa Genas halt im großen Sitzungssaal wieder. Einige Mitglieder nicken, andere sind genervt von der Überflüssigkeit dieser Sitzung. Kara erhält das Wort. Sie erhebt sich von ihrem Stuhl und die anderen Ratsmitglieder starren sie an. Sie wird ein wenig nervös. Sie ist keine gute Rednerin, aber sie versucht ihr Bestes. „Ich weiß nicht was Sie über den Vorfall vorgestern Nacht gehört haben, deshalb möchte ich erklären wie es wirklich war. Ich habe …äh, eigenverantwortlich die Sperrstunde verletzt und bin von zwei Soldaten überfallen worden, die nicht auf Befehl des Hauptmanns unterwegs waren. Sie griffen mich an, doch der Hauptmann Nico Dugar hat es zu meinem Glück bemerkt und seine eigenen Männer angegriffen, um mir zu helfen. In seiner Not folgte er einem Bürger, der ihm Zuflucht gewährte. Er führte uns in unser geheimes Tunnelsystem.“ Es gibt eine schroffe Wortmeldung von Bodral, einem dunkelhaarigen, großgewachsenen Vertreter der Handwerker: „Er ist selbst schuld. Als Hauptmann hätte er seine Leute einfach Maßregeln können. Dann wäre das Problem mit der Flucht gar nicht erst aufgekommen. Wahrscheinlich war das alles von ihm geplant. Fakt ist doch, dass er jetzt unseren Unterschlupf kennt und wahrscheinlich auch weiß, dass wir den Widerstand planen. Er hat auch unsere Waffen gesehen. Wir können ihn mit diesem Wissen nicht einfach wieder hinaus spazieren lassen.“ Fendaris, der Vertreter der Beamten und gleichzeitig Anführer der Stadtwache stimmt Bodral zu: „Es ist doch auch ganz gut für uns. Der Kopf der Stadtaufklärung ist den Invasoren abhandengekommen. Seine koordinierten Aktionen haben doch bisher verhindert, dass wir unseren Widerstand richtig aufbauen konnten.“ Das wird der kernigen Vertreterin der Bauern Zodora zu viel: „Was erzählst du da, Fendaris? Du erhältst doch jede Menge Informationen von diesem Hauptmann. Wann finden die Routinekontrollen statt? Wann sind wo nachts Patrouillen geplant und so weiter. Soweit ich weiß hat er dir auch Informationen zur Struktur und zum Umfang des stationierten Regiments geliefert. Jetzt hat er seine eigenen Leute sogar attackiert. Meine Güte, was willst du denn noch? Willst du, dass er durch einen anderen ersetzt wird, der uns keine Informationen mehr liefert?“ Fendaris ist aufgebracht. Er fühlt sich persönlich angegriffen. „Frauen haben eben keine Ahnung von Kriegsführung. Außerdem ist das ohnehin egal, denn er käme sowieso vors Kriegsgericht, wenn wir ihn laufen lassen.“ Fendaris scheint dabei zu vergessen, dass die Besatzung von einer Frau, der Königin von Roshea ausgeht. Bodral stimmt ein: „Wieso statuieren wir nicht ein Exempel an ihm? Auf diese Weise könnten wir Roshea unsere Entschlossenheit zeigen und dass wir uns nicht länger unterdrücken lassen.“ Kara wird bleich. Das Gespräch entwickelt sich in eine andere Richtung, als sie es geplant hatte. Die schöne anmutige Alshala, Vertreterin der Lebensmittelgilde sagt in gefasstem Ton: „Er hat dir bestimmt nicht alles offen gelegt, mein lieber Fendaris. Wie wäre es, ihm erst einmal noch weitere Geheimnisse zu entlocken? Von mir aus auch mit Folter. Wir wissen ja nicht einmal mit Sicherheit warum wir besetzt werden. Das sind alles nur Spekulationen.“ Die zierliche Lish, Vertreterin des Kunsthandwerks klinkt sich ein: „Jetzt reicht es aber. Meine Damen und Herren, beruhigt euch doch erst einmal. Ihr wollt ihn schon foltern und was weiß ich nicht noch alles und habt noch nicht mal mit ihm gesprochen.“ Bodral meldet sich wieder zu Wort: „Er ist aus Roshea. Aus ihm kommen sowieso nur Lügen.“ Die Diskussion geht noch einige Zeit so weiter, bis Farsa Gena sie beendet: „Wie ich sehe wird der Rat heute keine Einigung erzielen können. Kara, dein Antrag auf Freilassung wird damit bis auf Weiteres vertagt.“ Kara entgegnet verwirrt: „Was heißt das? Bedeutet das er bleibt eingesperrt? Darf ich ihn wenigstens besuchen?“ Die Frage verursacht neuerlich Diskussionen im Raum, die Farsa Gena jäh beendet: „Auch das ist zu kontrovers. Es ist besser, wenn du ihn nicht beeinflussen kannst und er dich nicht beeinflusst. Die Sitzung ist damit geschlossen.“ Kara verlässt desillusioniert den Raum. Farsa Gena kommt nach der Versammlung zu ihr und sagt verständnisvoll: „Es ist schwierig im Rat in eine Einigung zu erzielen, bevor man mit jedem Einzelnen im Vorfeld gesprochen hat. So wird Politik eben gemacht. Du solltest zu deinen Gegnern gehen, um jedem dein Anliegen persönlich vorzutragen.“ Kara hat die Nase voll vom Rat und denkt über einen anderen Weg nach Nico wenigstens besuchen zu können. Dem Hinweis vom Farsa Gena wird sie trotzdem folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)