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Der König von Kalaß

von

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Hochmut kommt vor dem Fall

Monatelang haben Kara und Nico jetzt schon keinen direkten Kontakt mehr zueinander gehabt. Er sieht sie hie und da vorbei huschen, bekommt sie jedoch einfach nicht zu fassen, um das Missverständnis aus jener Nacht dem Weg zu räumen. Sie war für ihn zum Greifen nah und jetzt könnte sie ihm kaum ferner sein. Kara hat es aber zumindest geschafft sich nicht mehr von Soldaten erwischen zu lassen, wenn sie wieder einmal die Sperrstunde verletzte. So uneinsichtig wie sie ihm schien, wird sie dieser Praxis wohl nach wie vor nachgehen. Aus seiner Sicht halst man ihr einfach zu viel auf.
 

Gelegentlich treffen die beiden bei Routinekontrollen aufeinander, die auch tagsüber statt finden. Dabei müssen alle Hausbewohner nach und nach aus ihren Häusern heraus treten und sich auf der Straße aufstellen, während ein Soldat das Haus überprüft und eventuell sogar durchsucht. Natürlich ist Hauptmann Dugar federführend gewesen als die Kontrollen eingeführt wurden, entspricht dies doch seinem primären Zuständigkeitsbereich, doch wird ihm das von seinem kalaßer Kontaktmann, dem Leiter der Stadtwache Fendaris stetig vorgeworfen. Fendaris bezeichnet diese Maßnahme als Terror an der Bevölkerung, womit er in Nicos Augen auch wahrlich nicht ganz Unrecht hat. Trotzdem haben die beiden große Differenzen, denn als Nico ihm vorschlug immer ein Mitglied der Stadtwache bei seinen Kontrolle mitzuführen, spottete Fendaris, dass er für so eine Farce keine Männer entbehren könne.
 

Fast drei Monate dauert es, bis Nico seine Kindheitsfreundin bei einer Routinekontrolle in einer Situation antrifft, in der er ein paar Worte mit ihr wechseln kann. Sie hat einen freien Tag, den sie mit dem jungen Mann verbringt, der vor ein paar Monaten noch ihr Leibwächter gewesen ist.
 

Der junge Mann an Karas Seite ist ebenfalls ein Mitglied der Stadtwache, was in Kalaß nicht augenscheinlich ist, denn sie tragen weder Uniform noch Waffen, da dies gegen die Tarbasser Verträge verstoßen würde. Er ist ein hübscher Kerl, muss Nico neidlos zugeben. Sein indigoblaues Haar hat er sich stets zu einem sauberen Dutt am Hinterkopf zusammen gebunden, was ihm gut steht, doch seine ausgeprägte Muskulatur sollte er nach Nicos Geschmack nicht ganz so stark zur Schau stellen. Nico weiß weder den Namen des Jungen, noch in welchem Verhältnis er zu Kara steht.
 

Es ist mittlerweile Sommer geworden und die beiden Kontrollierten stehen, gemeinsam mit Nico und zwei weiteren Soldaten vor dem Haus in der brütend heißen Mittagssonne, während sie warten bis ein dritter Soldat im Haus fertig mit seinem Kontrollgang ist.
 

Hendryk, so heißt die junge Stadtwache, hat solche Kontrollen schon lange gefressen. Am liebsten würde er sofort ins Haus gehen, den Soldaten, der da in seinen Sachen herumwühlt, anpacken und im hohen Bogen hinaus werfen, doch leider sind ihm dabei die drei Clowns vor sich im Weg. Dem schmierigen Hauptmann Nico Dugar begegnet er jetzt zum zweiten mal in Begleitung von Kara. Er erinnert sich nur zu gut an ihr erstes Aufeinandertreffen vor etwa acht Monaten. Der Hauptmann schien sich sehr zu freuen Kara nach all den Jahren wieder gefunden zu haben. Er richtete ein paar freundliche Wiedersehenssworte an sie. Da sie ihn mit Recht als Verräter betrachtete, hatte sie sich zwei Monate lang erfolgreich vor ihm versteckt. Dieses erste Treffen hatte sie aber anscheinend durcheinander gebracht, weil Nico sich nicht wie erwartet wie ein aggressiver Besatzer verhielt, sondern sich äußerst interessiert bei ihr erkundigte wie es ihr ergangen sei. Hendryk missfiel schon damals die Art wie der eitle Hauptmann die schöne Kara musterte und er bemerkt auch heute wieder die vielsagenden Blicke in ihre Richtung. Er ist froh, dass Kara den Soldaten weiterhin ignoriert, denn seit ihm Fendaris verboten hat sie bei den Patientenbesuchen zu begleiten, weiß er kaum noch was in ihr vorgeht.
 

Nico trägt heute aufgrund der Hitze nicht seine vollständige Uniform. Seine Jacke hat er um den Schwertschaft seines Schwertes gelegt, das an seinem Gürtel befestigt ist. Kara sieht jetzt zum ersten Mal seit Beginn der zehnmonatigen Besatzung seinen Körper, der sonst immer von seiner Uniform umspielt wurde.

Er ist unerwartet braun gebrannt, deutlich brauner als sie oder Hendryk. Sie kann sich das nicht erklären, denn das dürfte er eigentlich nicht sein, wenn er in der Hauptstadt von Roshea stationiert war. Kara schaut ihn sich genau an. Seine Muskulatur ist nicht so ausgeprägt wie die Hendryks, doch er ist gut gebaut. Die zehn Jahre beim Militär haben sein Körper gestählt. Das enge weiße Shirt bildet einen Kontrast zu seiner braunen Haut, was ihren Blick fesselt. Sein Anblick macht sie ein wenig nervös, was die sonst so beherrschte junge Frau an sich selbst kindisch findet.
 

Nico hat genug von Karas Katz- und Mausspiel. Als er vor ihr steht, beugt er sich ein kleines Stück zu ihr und haucht ihr ein:

„Kara, rede bitte wieder mit mir.“ zu.

Die Nähe zu ihm ist ihr vor Hendryk unangenehm, wodurch sie, nach einem flüchtigen Blick auf ihn, etwas errötet. Sie weiß nicht wie sie sich in dieser Situation am besten verhalten sollte und bekommt völlig überfordert zwischen den Fronten stehend kein Wort heraus. Hendryk weiß jedoch auch ohne einer Aussage von ihr ganz genau was hier los ist, weshalb ihm platzt der Kragen. Kara so offensiv anzubaggern geht ihm gegen den Strich. Da er ein Mann der Tat ist, macht er einen Schritt zwischen die beiden. In einem verärgerten, aber klarem und festem Ton sagt er dem Hauptmann ins Gesicht: „Lass -sie -in -Ruhe!“

Es gab diese Situation so ähnlich schon beim ersten Aufeinandertreffen der drei vor acht Monaten, doch im Gegensatz zu damals, gehen Nicos Gefolgsleute heute nicht dazwischen. Ihr Hauptmann hatte in einer Besprechung kurz darauf klar gemacht, dass er keines Schutzes bedürfe und mit Kalaßer Bürgern problemlos selbst zurecht komme. Unter den Soldaten geht seit dem trotzdem das Gerücht die Runde ihr Hauptmann habe sich in eine kalaßer Schönheit verkuckt.

Nico richtet sich enttäuscht wieder auf. An Karas Wachhund kommt er also auch nicht vorbei. Er atmet schwer aus und zieht seine Leute ab.

„Nagut, Männer. Wir sind hier fertig. Weiter zum nächsten Haus.“

Er wirft noch einen Blick zur zurückhaltenden Kara, die etwas missmutig zur Seite schaut.
 

Nach der Kontrolle gehen sie und Hendryk ins Haus zurück. Genervt fragt er sie:

„Ist zwischen dir und diesem überheblichen Hauptmann irgendwas vorgefallen?“

Ihm ist bewusst, dass dieser Nico Dugar jener Mann ist, der vor vielen Jahren Kalaß den Rücken gekehrt und Kara als Kind zurück gelassen hat. Das hatte sie ihm diesen Zusammenhang bereits nach dem ersten Treffen mit Nico schon erklärt. Etwas widerwillig gibt sie zu:

„Er hat mich bei einer Kontrolle nach der Sperrstunde vor drei Monaten erwischt.“

„Was? Du bist erwischt worden? Bist du verrückt? Warum hast du mir das nicht erzählt?“ schnauzt sie Hendryk ungewollt an, denn genau vor so einer Situation ängstigt er sich. Er ist ziemlich außer sich vor Sorge, versucht seinen Ton jedoch wieder etwas nach unten zu regulieren.

„Mensch Kara, dann muss ich jetzt auch noch froh sein, dass nur dieser Typ dich gefunden hat. Er scheint ja einen Narren an dir gefressen zu haben. Ich höre in letzter Zeit die heftigsten Geschichten darüber was in der Stadt so abgeht. Wenn du Glück gehabt hättest, dann hätten sie dich nur in den Kerker geworfen.“

Sie lächelt verlegen: „Sowas ähnliches hat er damals auch gesagt.“

Hendryk reicht diese Erklärung und glaubt jetzt zu verstehen wo das Problem zwischen den beiden liegt, deshalb bohrt er nicht weiter nach. Er möchte sie nicht bedrängen, glaubt aber auch nicht, dass Nico eine Bedrohung in irgendeiner Hinsicht für Kara oder ihn darstellen könnte.
 

Hendryk wurde unterdessen von Fendaris, dem Anführer der Stadtwache, zu zwei Kameraden in den Bereich des Stadttors von Kalaß versetzt. Dies ist der einzige Zugang zur Stadt, die zum Meer hin offen von einer U-förmigen großen Mauer umschlossen ist. Nahe des Stadttores befinden sich das Händlerviertel und der Markt. Die drei Stadtwachen haben den Auftrag die rosheanischen Truppen, die sich in diesem Bereich aufhalten, zu überwachen, aber nur im äußersten Notfall einzugreifen. Hendryk findet, dass das eine ziemlich schwammige Anweisung ist. Er fragt sich ab wann denn ein äußerster Notfall vorliegt und was genau „eingreifen“ eigentlich bedeuten soll? Schlichten? Verhaften? Wenn ja, dann mit Gewalt? Er sprach schon mit seinen beiden Kameraden über das Thema und sie erklärten ihm, dass ein äußerster Notfall erst dann eintritt, wenn das Leben eines kalaßer Bürgers bedroht sei. Im Grunde bedeutet es, dass sie niemals eingreifen sollen, unglaublicherweise wurde bisher während der kompletten Besatzung noch kein einziger getötet.

Die drei Stadtwachen sitzen gemeinsam im Schatten auf den Stufen der imposanten Kathedrale von Kalaß, der ihnen zumindest etwas Abkühlung verschafft. Sie beobachten das Geschehen auf dem Markt, der sich direkt vor ihnen befindet. Die Kathedrale ist dem Gott Fuathel gewidmet, einem der vier großen Götter auf dem Kontinent Altera. Dieser ist der türkisfarbene Gott des Windes, der laut Legende unerkannt auf Erden wandeln soll und nicht an einen Ort gebunden werden kann. In der Kathedrale stehen deshalb keine Abbilder des Gottes, sondern nur Symbole für ihn. So befindet sich direkt über dem großen Eingangstor ein Vogel, der seine gigantischen Schwingen über die ganze Breite der Kathedrale ausbreitet. Es ranken sich noch weitere Legenden um ihm. So soll er der Urahn der früheren Königsfamilie von Kalaß gewesen sein, der sie unsterblich machte. Hendryk schenkt solchen Geschichten keinen Glauben. Wieso auch? Es gibt nichts übernatürliches in Altera, da ist er sich sicher. Diese ganzen Göttergeschichten sind in seinen Augen nur Hirngespinste und Wunschvorstellungen der Menschen. Auf dem Kontinent gibt oder gab es neben dieser noch drei weitere solcher Kathedralen. Eine für den gelben Gott der Erde in Nalita, der Hauptstadt Rosheas, den roten Gott des Feuers in Deskend, der Hauptstadt Yokens und den schwarzen Gott des Wassers in Aranor, der alten Hauptstadt Rosheas. Hendryk kennt sie nicht einmal beim Namen, er ist eben nicht gläubig. Dem alten Brauch in einer Kathedrale zu heiraten, würde er trotzdem nachgeben. Seine Gedanken schweifen kurz zu Kara. Er kräuselt die Lippen. Er sollte ihr vielleicht wirklich langsam sagen, das er mehr als Freundschaft für sie empfindet, gerade jetzt wo dieser arrogante Hauptmann aufgetaucht ist.
 

Am Nachmittag beobachtet Hendryk, wie zwei rosheanische Soldaten ganz offen von Laden zu Laden und von Stand zu Stand ziehen, um Schutzgeld fordernd die Hand aufzuhalten. Einer von ihnen ist der Versorgungsoffizier Leutnant Celestro Haven. Er ist ein gepflegter, sich für äußerst gut aussehend haltender und recht exzentrischer Mann, der sich darauf einiges einzubilden scheint. Er ist leicht zu erkennen an der Rose an seiner Brust, an eben jener Stelle wo verdienstvolle Offiziere ihre Orden tragen, nur hat er eben keine. Hendryk ist ihm ein paar mal flüchtig begegnet, hatte aber noch nie etwas mit ihm zu tun. Er hat sich über alle Führungsoffiziere informiert und weiß in Grundzügen wer für was verantwortlich ist. Dieser Offizier sorgt für Nahrungs- und Waffennachschub und Baustoffe für die Burg, die gerade wieder in Schuss gebracht wird. Da er die strikte Anweisung hat nicht einzugreifen, muss er die Zähne zusammenbeißen. Völlig verständnislos fragt er seine beiden Kameraden wieso der Ältestenrat und die Stadtwache so etwas zulassen. Eduard, der ältere und zugleich pummeligere von beiden, antwortet ihm:

„Jungchen, wir sind unbewaffnet und zu dritt. Die haben Waffen und sind schnell mal zu zwanzigst, wenn du nicht aufpasst. Was wollen wir da bitte machen? Wenn wir uns auflehnen, provozieren wir nur noch mehr Gewalt gegen kalaßer Bürger. Verstehst du das nicht?“

Diese Aussagen verbessern Hendryks Verständnis kein bisschen. Er ballt seine Hände zu Fäusten und schluckt seinen Frust vorerst herunter.
 

Gleich am Abend nach seinem ersten Tag auf dem Markt, beschwert er sich bei Fendaris, im prunkvollen Rathaus von Kalaß, denn dort befindet sich dessen Büro. Hendryk stürmt ohne anzuklopfen hinein. Fendaris, ein ist ein sehr großer, schick gekleideter Mann mit breiten Schultern, der durch seinen Körperbau auf den ersten Blick gar nicht zur Büroarbeit in einem Rathaus zu passen scheint. Tatsächlich geht er voll darin auf. Er wirkt recht jung geblieben, nur sein graues Haar verrät sein Alter. Fendaris sitzt gerade an seinem filigran verzierten Holzschreibtisch und geht einige säuberlich geordnete Akten durch. Als er Hendryk, sein Sorgenkind, erkennt, hebt er nur die Augenbrauen, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Der junge Heißsporn wird direkt ziemlich ungehalten und laut.

„Wieso lassen wir uns das alles gefallen? Ich dachte wir wären zum Schutz der Bürger entsandt wurden? Stattdessen stehen wir nur unbeteiligt herum und lassen diese Schweine machen was immer sie wollen.“

Fendaris antwortet ihm gelassen. Er hat den Blick immer noch in seinen Aktenordner vertieft:

„Ihr steht nicht nur herum, ihr meldet alle Aktivitäten in einem Statusbericht an mich weiter, den ich dann gemeinsam mit dem Rest des Ältestenrats auswerte.“

Diese Antwort schmeckt Hendryk überhaupt nicht. Er haut mit seiner flachen Hand auf Fendaris‘ Schreibtisch. Ein dumpfer Ton ist zu hören und ein paar Akten rutschen von ihrem Stapel. Hendryk kann sich nicht kontrollieren und schreit jetzt fast:

„Das ist alles? Wir werden seit neun Monaten besetzt und das ist alles?“ Fendaris lässt jetzt von seinen Akten ab und schaut gelassen zu seinem Schützling auf.

„Hendryk, bist du hier weil du deine Arbeit als Stadtwache verlieren willst? Wenn ja, dann mach nur so weiter. Ich frage mich was ein Junge wie du sonst machen kann.“

Bei seinem letzten Satz huscht ihm ein gehässiges Grinsen übers Gesicht. Hendryk ballt seine Hand, die er gerade auf den Tisch gehauen hat, zur Faust. Er hat den starken Impuls Fendaris eine rein zuhauen, doch er weiß, dass er sich zügeln muss. Er braucht eine Sekunde bis er sich wieder in den Griff bekommt. Er geht ein kleinen Schritt zurück und sagt ganz handzahm:

„Nein, ich möchte meinen Job behalten. Entschuldigen Sie bitte.“ bevor er wieder hinaus geht. Dabei ruft ihm Fendaris hinterher:

„Lange schau ich mir das nicht mehr mit dir an!“

Ohne sich zu Fendaris umzudrehen, oder etwas zu entgegnen knallt Hendryk die Tür hinter sich zu.
 

Jeden Tag, eine ganze Woche lang, tritt der junge Mann weiter seinen Dienst am Stadttor an und frisst seinen Frust in sich hinein. Seine Kollegen scheinen sich an den Anweisungen nicht sonderlich zu stören, was ihn noch mehr aufregt.

An seinem achten Tag beobachtet er wie ein Soldat eine junge, hübsche Verkäuferin bedroht, die das Schutzgeld nicht bezahlen will. Er sieht wie Leutnant Haven dies von weitem beobachtet und nicht eingreift.

Dann bemerkt Hendryk, wie einer der Soldaten bei der jungen Frau handgreiflich wird und lautstark zu ihr sagt:

„Wenn du kein Geld hast, dann musst du deine Schulden eben anders ableisten!“

Niemand von den umstehenden Händlern greift in die beklemmende Situation ein. Die junge Frau versucht sich zu wehren, doch er Soldat packt sie und schleift sie hinter sich her. Hendryk hat genug gesehen. Es ist ungeheuerlich wie unbeteiligt seine beiden Kameraden darauf reagieren. Sie entgegnen ihm:

„So ist es eben. Dann muss sie halt bezahlen.“

Hendryk reicht es. Er hat genügend Aggression in sich hineingefressen, um nacheinander alle fünf Soldaten, die sich in seinem Blickfeld befinden, zu entwaffnen und außer Gefecht zu setzen. Das glaubt er jedenfalls. Doch er hat noch eine andere Idee als einen offenen Kampf. Er zögert nicht lang und schreitet zur Tat.

Seine Kameraden versuchen ihn festzuhalten. „Lass es, Junge.“

Er kann sich jedoch losreißen. Die beiden rufen ihm nach:

„Hendryk hör auf! Du bringst uns nur alle in Schwierigkeiten!“

Er schleicht dem Soldaten, der die junge Händlerin hinter sich her zieht, in eine unbelebte Seitengasse nach, doch bevor er ihr etwas tun kann, tippt ihm die junge Stadtwache auf die Schulter. Der verdutzte Soldat dreht sich um und erhält direkt ein Schlag ins Gesicht, der ihn taumeln lässt. Hendryk legt einen zweiten Schlag nach und der Soldat sinkt zu Boden.

Das war ja einfach, denkt er zufrieden. Die junge Frau ist eingeschüchtert und bedankt sich leise, worauf Hendryk wohlwollend eingeht:

„Keine Ursache. Das ist meine Aufgabe als Stadtwache. Trotzdem rate ich dir dein Geschäft bis auf weiteres erstmal zu schließen. Ich befürchte, dass er dir wieder auf die Pelle rücken wird, egal ob du die Schutzgebühr bezahlst oder nicht.“

Sie nickt ihm scheu zu.

Hendryk geht selbstzufrieden zurück auf die belebte Straße. Er fühlt sich gut, fast wie ein Held. Sein Gefühl für Genugtuung wird jäh unterbrochen, da er, wieder auf dem Platz angekommen, direkt von zwei Soldaten und dem Leutnant empfangen wird, die ihn nach einigem Gerangel überwältigen können. Der junge Mann hält sich im Kampf lieber etwas zurück, da er befürchtet, dass es schwere Konsequenzen für ihn haben wird, wenn er die drei Soldaten überwältigt und vielleicht schwer verletzt, deshalb lässt er sich festnehmen. Sie legen ihm Handschellen an und führen ihn zum Rathaus.

Auf dem Vorplatz des Rathauses bleiben sie stehen. Leutnant Haven ruft nach Fendaris, der den Lärm tatsächlich durch sein verziertes Fenster hindurch wahrnimmt, es öffnet und hinaus schaut. Als er Hendryk in Handschellen zwischen den drei Soldaten sieht, schläft ihm das Gesicht ein. Hendryk war das Problem, ... wer auch sonst? Er setzt sich in Bewegung, um hinunter zu gehen. Hendryk versucht sich von der unangenehmen Situation abzulenken indem er die aus seiner Sicht völlig übertriebenen Pfauenabbilder zählt, die das Rathaus an jeder Ecke und Kante schmücken, doch er kommt nur bis dreiundzwanzig, bis Fendaris eilig heraus gestürmt kommt. Als er Hendryk sieht schüttelt er streng den Kopf.

Leutnant Haven schubst die junge Stadtwache von sich weg und wirft ihm den Schlüssel zu seinen Handschellen vor die Füße.

„Fendaris, hast du deine verlausten Köter nicht unter Kontrolle? Diese sogenannte Stadtwache hat grundlos einen meiner Männer angegriffen. Sorg dafür, dass wir ihn auf dem Markt nie wieder unter die Augen bekommen, sonst können wir für nichts mehr garantieren! Auch nicht für die Sicherheit der kalaßer Bürger.“

Fendaris antwortet kriecherisch mit einem falschen Lächeln:

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Leutnant Haven. Es ist wirklich schwer gutes Personal zu finden heutzutage.“

Die Soldaten drehen sich um und gehen. Hendryk hat seinen Chef noch nie so gesehen. Er erkennt ihn kaum wieder. Er bückt sich, hebt den Schlüssel auf und befreit sich geschickt von seinen Handschellen, die er Fendaris in die Hände wirft. Dieser staucht ihn tief verärgert zusammen.

„Was hast du dir dabei gedacht? Du hattest doch klare Anweisungen!“

Hendryk schüttelt verbissen den Kopf. Er sieht Fendaris direkt ins Gesicht.

„Er hätte sie vergewaltigt! ...eine junge Händlerin, die das Schutzgeld nicht bezahlen konnte. Wie soll ich bitte über sowas hinwegsehen können? Das müssen doch selbst Sie kapieren.“

Er hat es jetzt geschafft den sonst so ausgeglichenen Fendaris zur Weißglut zu treiben. Er brüllt seinen Untergebenen an:

„Das ist ein vertretbares Opfer, verdammt nochmal. Es geht hier um Menschenleben. Wir lassen das Militär in Ruhe und im Gegenzug tun sie uns nichts.“

Hendryk brüllt hemmungslos zurück:

„Ach und das nennen Sie nichts tun? Das kann ich nicht akzeptieren!“

Fendaris beruhigt sich ein wenig. Er schüttelt den Kopf.

„Dir wird aktuell nichts anderes übrig bleiben, mein Junge. Es wird die Zeit kommen, wo ich Leute wie dich brauche, doch für den Moment bist du vom Dienst suspendiert.“

„Scheiße!“ platzt es aus Hendryk heraus.

„Ich hatte dich gewarnt.“ fügt Fendaris hinzu, doch Hendryk fragt kleinlaut: „Darf ich dann wenigstens wieder Kara begleiten, die völlig allein in der Stadt unterwegs ist?“

Fendaris schüttelt erneut den Kopf.

„Nein, es ist besser wenn wir dich den Soldaten erst mal nicht mehr unter die Nase halten. Ich denke mir für dich was anderes aus.“

Ohne ein weiteres Wort kehrt Hendryk um und geht nach Hause. Er weiß nicht was er dazu noch sagen soll.
 

Drei Tage später klopft es an Hendryks Tür. Er ist immer noch frustriert und hofft, dass es jemand mit einem neuen Auftrag für ihn ist. Er will unbedingt wieder arbeiten. Zu seiner Verwunderung steht jedoch die junge Verkäuferin vor ihm, die er auf dem Markt gerettet hat. Hendryk ist ziemlich überrascht. Sie wusste ja nicht einmal seinen Namen.

„Hallo Hendryk, vielleicht erinnerst du dich noch an mich. Du hast mich vor drei Tagen vor dem Soldaten beschützt. Darf ich rein kommen?“

Hendryk hat nichts dagegen und bittet sie herein. Sein Haus ist wie eh und je nicht besonders aufgeräumt und auch nicht besonders gut geputzt. Es liegen die Klamotten von vorletzter Woche auf dem Boden, doch das stört die junge Frau jedoch überhaupt nicht. Hendryk schätzt sie Anfang zwanzig. Sie hat schulterlanges, lockiges, rehbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Er findet sie hübsch. Er bittet sie an seinem Esstisch Platz zu nehmen, der überraschenderweise ebenso wie die Küche, pieksauber ist. Er bietet ihr einen kalten Blütentee an, den er in einer Glaskaraffe aufbewahrt. Sie nimmt dankend an und beginnt zu erklären was sie hier her geführt hat:

„Mein Name ist Natja. Du wunderst dich vielleicht woher ich weiß, wer du bist und wo du wohnst. Ich musste mich bei einigen Stadtwachen durchfragen. Ich habe erfahren, dass du wegen mir suspendiert wurdest und ziemlich traurig deswegen bist, deshalb möchte ich mich bei dir entschuldigen und mich auch aufs herzlichste bei dir bedanken.“

Hendryk freut sich, dass es so anständige Menschen wie sie gibt, die sich persönlich bei ihm bedanken wollen. Das macht ihn irgendwie stolz, deshalb verkündet er geehrt:

„Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Du hast nichts Falsches getan, Natja.“

Sie lächelt.

„Du bist ein guter Mensch, Hendryk. Es ist ungerecht, dass du dafür bestraft wirst. Wenn es doch mehr wie dich gäbe...dann könnten wir uns gegen diese Besetzung wehren.“

Er nickt: „Genau meine Meinung.“

Sie atmet tief ein, ganz so als ob sie ihren Mut zusammen nehmen müsste, um weiter zu sprechen.

„Ich habe hier in Kalaß noch keinen so mutigen Mann wie dich getroffen. Du hast meine Ehre und meine Integrität verteidigt. Bei uns in der Händlergilde hat man nicht gern Schulden bei jemandem, weißt du.“

Hendryk hebt die Augenbrauen.

„Ok?“

Sie hat ihre Hände auf ihrem Schoß liegen und knüllt nervös den Stoff ihres etwa knielangen Rockes zusammen. Wahrscheinlich unabsichtlich rutscht er dadurch etwas nach oben und gibt ihm den Blick auf ihre schönen, schlanken Beine frei. Hendryk versucht das angestrengt zu ignorieren. Sie holt wieder tief Luft.

„Ich bewundere dich. Du hast mir geholfen und nun möchte ich dir helfen. Ich könnte dich zum Beispiel bei der Hausarbeit unterstützen. Ich würde dich sehr gern näher kennen lernen und vielleicht wird ja dann auch...mehr daraus?“

Sie ist rot geworden. Hendryk versteht worauf sie hinaus will, aber er hat gar keine Augen für andere Frauen, seit er gemerkt hat, dass er auf Kara steht. Wäre das hier ein paar Monate früher passiert, dann hätte er sie wahrscheinlich als Freundin in Betracht gezogen.

„Geh wieder nach Hause, Natja. Ich kann dir nicht geben was du brauchst.“ sagt er verständnisvoll zu ihr.

Sie macht ein trauriges Gesicht.

„A-aber ich...Magst du mich nicht?“

Er schüttelt den Kopf und setzt ein freundliches Lächeln auf.

„Das ist nicht das Problem. Ich finde dich wirklich sehr nett, aber ich mag eine andere Frau.“

Sie nickt und lächelt dabei.

„Das verstehe ich. Ich wollte nicht aufdringlich sein, tut mir Leid. Ich werde dann jetzt gehen. Vielen Dank für den Tee. Ich hoffe, dass du mit der Frau deiner Träume glücklich wirst. Wenn nicht, kannst du mir Bescheid geben.“

Sie steht auf und verlässt verlegen sein Haus. Als die Tür zu ist, atmet Hendryk erleichtert aus. Ist es normal, dass einem die Herzen der Frauen zufliegen, wenn man Leute beschützt? Wenn ja, warum fliegt ihm dann nicht Karas Herz einfach so zu? Er hat sie schon so oft beschützt. Die Welt ist nun einmal ungerecht und Kara ist etwas ganz besonderes.
 

Ein paar Tage später schafft Kara ihre Hausbesuche wieder nicht, bevor die Sperrstunde beginnt. Es ist eine schwüle wolkenverhangene Sommernacht. Sie ist zuversichtlich, dass sie es ungesehen bis nach Hause schafft. Es wäre ja nicht das erste Mal. Sie hat es bereits vier, fünf mal geschafft. Immerhin ist diese Nacht ziemlich dunkel und sie hat mittlerweile einige Übung darin sich hinter den Rücken der Soldaten ungesehen zu bewegen. Sie schleicht sich also vorsichtig aus der Tür ihres letzten Patienten. Sie versucht die Hauptstraßen zu vermeiden und nimmt die Nebenstraßen, so wie sie es an den anderen Tagen auch schon erfolgreich getan hat. Mittlerweile schaut sie sich jeden Tag, bevor sie aus dem Haus geht, gewissenhaft die aktuelle Planung der Routen und Kontrollstationen an, welche die Soldaten nehmen. Heute wird die breite Zeger Straße kontrolliert, was ziemlich ungünstig für Kara ist, denn sie muss diese Straße auf jeden Fall überqueren um nach Hause zu gelangen.

Wie erwartet sieht sie dort eine Patrouille, der sie versucht aus dem Weg zu gehen. Sie versteckt sich hinter einer dunklen Hausecke und konzentriert sich darauf einen Moment abzupassen, zu dem sie die große, hell beleuchtete und weit einsichtige Straße überqueren kann. Kara will abwarten, bis die Patrouille weit genug gelaufen ist. Sie ist so auf die Hauptstraße fokussiert, dass unbemerkt hinter ihr eine Person aus dem Schatten auftaucht.

Die Männerstimme sagt erfreut:

„Hallo, schönes Kind. So spät noch allein unterwegs?“

Kara erschreckt und zuckt zusammen. Sie ist geschockt, versucht aber noch wegzulaufen, wobei sich ihr eine zweite Person in den Weg stellt. Es handelt sich, wie sie es sich schon gedacht hat, um zwei Soldaten. Kara versucht an dem als zweites aufgetauchten Soldaten irgendwie vorbei zu huschen. Der Erste befielt mit eindeutig freudiger Stimme:

„Halt sie fest!“

Wie ihm befohlen wurde, packt der Zweite ihren Arm und drückt ihre Schulter an die Wand. Der erste, offenbar ranghöhere Soldat richtet ein: „Gut gemacht.“ an seinen Gefolgsmann.

Kara wehrt sich heftig. Sie kann sich fast losreißen als sie nun der ranghöhere Soldat an der anderen Schulter an die Mauer drückt. Sie will eigentlich nicht schreien, um nicht von den anderen Soldaten auch noch entdeckt zu werden, doch ungewollt platzt es laut aus ihr heraus:

„Lasst mich los!“

Sie hat große Angst und zittert. Genau davor hatten sie immer alle gewarnt, doch sie wollte es nicht glauben. Eigentlich kann sie es immer noch nicht glauben, obwohl sie sich gerade in dieser Situation befindet. Ihr kommt alles so unwirklich vor. Was sie nicht weiß ist, dass sich die Gewalt gegen Schwächere und besonders gegen Frauen in den letzten Monaten deutlich gesteigert hat. Das Frustrationslevel der Soldaten scheint zu steigen. Dabei haben alle Soldaten strikte Anweisung von ganz oben unbedingt ganz besonders auf sexuelle Gewalt zu verzichten. Sie steht sogar unter Strafe. Da sich aber gezeigt hat, dass sich die Soldaten nicht gegenseitig anzeigen, bleiben diese Strafdelikte zumeist folgenlos.
 

Kara wehrt sich mit aller Kraft, doch es nützt nichts. Der ranghöhere Soldat ist Marco Loran, kein einfacher Soldat, sondern ein Offizier. Er ist ein gut aussehender, aber wenig muskulöser Mann Mitte dreißig, der seine langen dunkelblonden Haare am Nacken zu einem Zopf zusammen bindet. Er ist Oberleutnant unter Nico Dugars Kommando und ein schwieriger Fall, denn er ist nur schwer zu kontrollieren. Schon einige Male wäre Loran von ihm fast aus dem Regiment geworfen worden, doch bisher hat er es immer geschafft seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, denn er hat einen starken Verbündeten und Fürsprecher beim rosheanischen Militär. Er macht gern Streifzüge, die er nicht bei seinem Hauptmann anmeldet, denn der würde diese niemals genehmigen. Oberleutnant Lorans Ziel sind dabei Situationen wie diese. Er liebt es Macht über andere auszuüben. Die bildschöne Kara kommt ihm wie gerufen. Bisher hat er die Menschen nur unter Druck gesetzt und mit Prügel gedroht, manchmal auch Geld erpresst, um seine Machtposition zu demonstrieren, doch die schöne Kara weckt in ihm noch andere Gelüste. Er ist selbst ein wenig davon überrascht und gibt seinen neuen Drang interessiert nach.
 

Mit laszivem Lächeln auf dem Gesicht haucht er der jungen Frau zu:

„Es ist unartig von dir so spät noch unterwegs zu sein. Ich denke ich werde dich hier und jetzt deiner Strafe zuführen.“

Der andere Soldat fragt etwas verunsichert:

„Was soll das werden, Herr Oberleutnant?“

„Sieh zu und lerne wie man unartigen Frauen Disziplin beibringt, Arenzo.“

Loran versucht Kara an der Wange zu berühren. Sie dreht energisch ihren Kopf weg, drückt ihn an die Mauer und fleht:

„Lasst mich gehen! Ich-ich habe meine Lektion gelernt. Wirklich.“

Loran packt zu. Er umfasst unsanft ihr Kinn und ihren Hals und zwingt sie so sich ein Stück zu ihm zu drehen. Dabei rutscht ihr ein quiekender Ton heraus. Loran ist genervt und zieht sein Schwert:

„Sei still und hör auf zu winseln! Hysterische Weiber kann ich nicht ausstehen. Du wirst deine Strafe akzeptieren müssen.“

Kara ist geschockt von einer Waffe bedroht zu werden und verstummt. Sie hat Todesangst. Ihr wird heiß und kalt, denn sie weiß sie ist absolut wehrlos.
 

Zwei Straßen weiter macht Hauptmann Nico Dugar einen seiner Kontrollgänge, um seine eigenen Leute zu überwachen. Schlaf findet er in letzter Zeit immer weniger. Die jüngsten Entwicklungen machen ihm zu schaffen. Das Militär droht zu verrohen und er weiß, dass ein paar Leute darunter sind, denen er absolut nicht vertrauen kann. Er weiß zum Beispiel, dass er seinen Leutnant Celestro Haven und seinen Oberleutnant Marco Loran im Auge behalten muss, die heute Abend beide keinen Dienst haben und auch nicht in ihren Quartieren anzutreffen waren. Gut, dass Nico heute ein schlechtes Gefühl hatte, denn er glaubt so etwas wie Schreie gehört zu haben. Er nimmt sie nur schwach war und ist sich nicht mal ganz sicher, ob es sie überhaupt gegeben hat. Er beschließt dennoch ihrem Ursprung auf den Grund zu gehen.
 

Gerade als Loran Karas Oberteil ungeschickt mit seinem Schwert zerschneidet und ihr dabei versehentlich leicht in ihre weiße makellose Haut ritzt, sieht Nico aus der Ferne schemenhaft, dass eine Person von zwei Soldaten bedrängt wird. Er läuft schnell los, um seine Leute von dieser Person wegzuholen. Es gibt keinen Grund einen kalaßer Bürger so zu bedrängen. Er will die beiden zur Rede stellen. Auf dem Weg zu ihnen erkennt er jedoch Kara, die von Oberleutnant Loran mit dem Schwert bedroht wird und kein Oberteil mehr trägt. Natürlich Loran... und ausgerechnet sie.

In ihm brennen alle Sicherungen durch.

Er zieht unbedacht sein Schwert und geht direkt auf Loran und seinen Gehilfen los.

Wutentbrannt brüllt er nur: „LORAN!“, bevor er mit dem Schwert ausholt. Der zweite Soldat kann aufgrund des Warnrufs seines Hauptmanns gerade noch reagieren und den Schwerthieb auf den Oberleutnant abwehren. Er stellt sich mit gezogenem Schwert schützend vor ihn. Nico hat keine Mühe ihn zu entwaffnen und ihn mit einem gezielten Schlag mit dem Schwertknauf außer Gefecht zu setzen. Er geht direkt zum Angriff auf Loran über, der zwar das Schwert schon in der Hand hält und auch genügend Zeit hatte sich auf die Attacke seines Hauptmanns vorzubereiten, doch ist er im Vergleich zu ihm ein miserabler Schwertkämpfer, weshalb er absolut keine Chance hat. Das war ihm schon klar, als er Nico Dugar in der Ferne erkannte. Nach einem gezielten Schlag wird auch er außer Gefecht gesetzt. Der ganze Kampf war nur eine Sache von Sekunden.
 

Kara ist zu Boden gesunken und zittert am ganzen Körper. Sie ist gerade nicht in der Lage zu verstehen was da genau passiert ist. Sie steht unter Schock und verhält sich apathisch. Nico sieht sie ausdruckslos an. Ihm wird klar was er da getan hat. Er steckt sein Schwert weg, zieht die Jacke seiner Uniform aus und legt sie ihr um die Schultern, um ihren nackten Oberkörper zu bedecken.

Kaum hörbar leise flüstert sie: „Nico...?“

Sie ist nicht sicher, ob sie ihn wirklich vor sich sieht oder er eine Fantasiegestalt ist, die nur in ihrer Vorstellung existiert.

Mit ruhiger Stimme antwortet er: „Es ist jetzt alles in Ordnung, Kara. Ich bin bei dir.“

Er sieht sich flüchtig um.

„Hör zu, wir müssen hier weg. Es werden bald andere Soldaten hier sein, die sofort merken werden, dass ich meine eigenen Männer angegriffen habe.“

Er klingt etwas verunsichert und richtet sich mit seiner linken Hand das Haar, das im Gefecht etwas durcheinander geraten ist. Da Kara nicht aufstehen kann, trägt er sie auf seinen Armen, was ihm keine Mühe macht.

„Wo soll ich hin?“

Er dreht sich um, sieht nun einen kalaßer Bürger an einer offenen Tür stehen und wild mit den Armen wedeln. Der Bürger ist ein Kunstschmied mittleren Alters mit etwas schütterem Haar. Er will offensichtlich nicht rufen, um die beiden nicht zu verraten. Aus Mangel an Alternativen trägt der Hauptmann die verstörte Kara eilig zu ihm.

Mit klarer, vertrauenserweckender Stimme sagt der Schmied:

„Ich habe gesehen was Sie getan haben. Kommen Sie! Ich kann Ihnen Zuflucht gewähren.“

Er geht voraus in sein Haus hinein und in seiner Ratlosigkeit folgt Nico ihm. So richtig wohl ist ihm nicht bei der Sache. Er hat keine Ahnung wie das hier enden soll. Im Erdgeschoss erkennt Nico einen Kleiderschrank, der schräg im Raum steht und ihm den Blick auf eine sich dahinter befindliche geöffnete Tür freigibt, die in einen langen, dunklen Gang führt. Diesen geheimen Gang hat er bei seinen Kontrollen nicht gefunden.

Nico fragt zögerlich:

„Wohin führt dieser Gang?“

und der Mann antwortet:

„Zu einem komplexen Tunnelsystem, das unter Kalaß verläuft. Folgen Sie mir. Ich gehe vor. Die Tunnel sind ein wahres Labyrinth.“

Nico fragt sich warum er als Hauptmann der Stadtkontrolle nichts von diesem Versorgungstunnelsystem weiß. Die dunklen Gänge werden nur von der Öllampe des hilfsbereiten Mannes erleuchtet. Sie sehen alt aus, sind aber definitiv von Menschenhand angelegt worden, denn an einigen Stellen sind sie mit Ziegeln gemauert. Sie laufen fast eine viertel Stunde, bis sie an einer verschlossenen Tür ankommen, an der sich der Kunstschmied anmelden muss. Es wird hektisch gestikuliert, aber trotzdem geflüstert. Nico versteht deshalb nicht was sie sagen. Er fragt sich ernsthaft, ob es eine gute Idee war dem Mann hierher zu folgen. Sich im Haus zu verstecken hätte im Zweifelsfall auch schon reichen können. So neben der Spur war er schon lange nicht mehr, um so viele Fehlentscheidungen nacheinander zu treffen. Aber was nützt es darüber zu grübeln. Er muss die Situation so nehmen wie sie ist, jetzt wo er wieder einen klaren Kopf hat.
 

Nach einiger Zeit öffnet sich das Tor und die drei betreten einen sehr großen, unterirdischen, aber gut mit Öllampen ausgeleuchteten Hohlraum. Zwei bewaffnete Stadtwachen stürmen auf den rosheanischen Hauptmann zu. Er hat schon damit gerechnet, dass man ihn hier nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Ihm wird das Schwert abgenommen. Nico lässt sie gewähren, auch wenn sein Schwert eine Spezialanfertigung ist an der er sehr hängt. Nun kommt ein Mädchen auf ihn zu.

Kara erkennt sie. Es ist Ikky, eine auszubildende Arzthelferin, die sie vor einiger Zeit noch bei ihren Hausbesuchen begleitete. Sie nimmt ihm Kara ab, die langsam wieder stehen kann, obwohl sie noch immer sehr wackelig auf den Beinen ist. Kara abstützend geht sie mit ihr davon.

Nico sieht ihr mit gemischten Gefühlen nach. Er steht nun allein, nur noch mit Shirt, Hose und Schuhen bekleidet, aber ohne Waffen und Jacke vor den bewaffneten Männern, doch sie bedrohen ihn nach wie vor. Er hofft auf ihr Wohlwollen, immerhin hat er in der Vergangenheit schon mit ihnen zusammengearbeitet. Er zeigt seine leeren Handflächen, um zu suggerieren, dass er ungefährlich ist. Die beiden bewaffneten Männer gehen vorsichtig an ihn heran, legen ihm Handschellen an, ziehen ihm dann hektisch einen dunklen Sack über den Kopf und führen ihn ab. Nico versteht das Misstrauen nicht. Wenn er wollte, könnte er sie noch immer mit Leichtigkeit überwältigen, doch was würde er damit erreichen sollen, außer sie sich alle noch mehr zum Feind zu machen? Kara zuliebe lässt er es über sich ergehen. Sie führen ihn ab. Er ist nochmal gut zwanzig Minuten unterwegs, bevor sie an einer Kerkerzelle ankommen in die sie ihn hineinwerfen. Den Anfang des Weges hatte er sich noch gemerkt, doch etwa nach der Hälfte ist er durcheinander gekommen. Alleine findet er niemals zurück. Er ist ziemlich unzufrieden mit dem Ausgang der Situation.



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