Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter von Picadelly ================================================================================ Kapitel 27: Ein später Besuch ----------------------------- Ein später Besuch   Es dämmerte bereits, als Luciana wieder zum Grimmauldplatz zurückkehrte – beziehungsweise, das vermutete sie, immerhin war es durch das miese Wetter derart düster, dass sie den gesamten Tag nicht einen Streifen Sonne erblickt hatte. Bis auf ein paar U-Bahn Stationen war sie den Großteil des Weges zu Fuß gelaufen, da sich der gröbste Schauer zu einem sanften Sprühregen gewandelt hatte und sie nach fünf Gläsern Whisky und jenem heiklen Gesprächsstoff jeden Meter Frischluft gebrauchen konnte. Dementsprechend wenig Restalkohol vernebelte ihr Hirn, als sie die wenigen Stufen bis zur Eingangstür des Hauses der Blacks nahm und erst wagte zu klopfen, nachdem sie ihr Nervenkostüm für ausreichend vorbereitet befand – was auch immer sie im Innern erwarten mochte.      Erstaunlicherweise wurde ihr von Bill Weasley geöffnet, eine Premiere und für den Anfang gar nicht mal schlecht.      „Du hast den ganzen Showdown verpasst“, grüßte er sie zwinkernd und machte einen Schritt zur Seite, um sie einzulassen.      „Das ist ja furchtbar tragisch“, kommentierte Luciana mit hochgezogener Augenbraue und ließ sich von ihm den Mantel abnehmen. „Sind die anderen in der Küche?“      „Ein paar von ihnen, der Rest ist im Haus verteilt.“ Bill nickte rechts Richtung Kaminzimmer, in dem Charlie gerade an einem Eierpunsch nippte und ein Gespräch mit seinem Vater führte. Soweit so gut, bisher nicht die totale Mordsstimmung.      „Geht es Po- Harry gut?“      „Mh, ich glaube, er hat einen recht großen Schrecken bekommen, aber ansonsten … Sirius ist mit ihm nach oben gegangen, vielleicht vor zwei Stunden.“      Luciana nickte, winkte Bill hinterher, als dieser ins Kaminzimmer abbog und schlug dann den Weg zur Küche ein. Am besten gleich das Schlimmste abhaken, dachte sie und selbstverständlich fand sie dort Mrs Weasley vor, genau wie die Zwillinge und Remus – doch die letzten drei bereiteten ihr weniger Sorge. Für die erste Zeit herrschte Stille, von dem Gemurmel der Zwillinge abgesehen, doch gerade, als Luciana die letzte halbe Tasse Kaffee aus der Thermoskanne auf dem Tisch ergattert hatte, richtete Mrs Weasley das Wort an sie:      „Gaskammern, die aus dem Nichts auftauchen und wehrlose Kinder umbringen!“, schnaubte sie und als die ersten paar Sekunden des Schockmoments ob dieser Aussage verstrichen waren, schwoll Luciana gleich der Hals an vor Wut, da Gabriel sich ganz offensichtlich nicht an ihre Abmachung gehalten hatte.      „Betäuben“, warf Remus in genau dem richtigen Moment ein und hielt sie eben noch davon ab, etwas verräterisches, ziemlich Dummes zu sagen. In diesem Moment konnte sie sich sehr glücklich schätzen, dass der Herr anscheinend seinen Mitgliedsvertrag bei der UOWV unterzeichnet hatte, ohne auch nur einen Teil des Kleingedruckten gelesen zu haben, zum Beispiel die Passage zum Sicherheitsprotokoll K-107.      „Betäuben, als ob das einen Unterschied macht“, wetterte Mrs Weasley weiter (wenn die Gute wüsste, hätte sie sicherlich einiges zu dem Unterschied zu sagen) – George und Fred verdrehten zeitgleich die Augen, kaum, dass ihre Mutter ihnen kurz den Rücken gekehrt hatte, um einen riesenhaften Truthahn aus dem Backofen zu ziehen und ihn mit seinem Eigensaft einzupinseln. Das folgende Zischen schien die Grundstimmung der Dame nur allzu gut widerzuspiegeln, trotz und alledem lief Luciana bei dem Anblick des Megavogels das Wasser im Mund zusammen. Bei dem Gedanken an ein üppiges Festmahl war es ein Einfaches, die folgenden Minuten unaufhörlichen Gemeckers beinahe vollständig auszublenden, bis -      „Ein Wunder, dass dieser Doktor Luciana nicht schon vor Jahren ‚versehentlich‘ umgebracht hat!“      Und da war Mrs Weasley näher an der Wahrheit, als sie mit ihrem dürftigen Informationsstand ahnen konnte, immerhin hatte sie keinen blassen Schimmer von dem Waffensilo, der Giftmischerei im Tränkelabor, dem Abschnitt der Magieforschungsabteilung, in der es ‚unkonventionell‘ zuging, dem Verließ und seinen zugehörigen ‚Verhörungsabschnitten‘, der Kampfarena für die Vollmondnächte oder erst das Herz des Bunkers, ganz unten in der Minus Zehn Ebene, wo –      „Kein Weihnachten, kein Geburtstag, schickt das arme Kind mit Horkruxen durch die Weltgeschichte und –„      „Ich bin kein Kind“, unterbrach sie Mrs Weasley scharf - George und Freds kugelrunde, große Augen hätte sie allerdings nicht nötig gehabt, um im selben Augenblick, als sie die letzte Silbe ausgesprochen hatte, zu wissen, dass dies der denkbar schlechteste Zeitpunkt für Widerworte gewesen war. Das unvermeidliche Donnerwetter ließ Luciana zähneknirschend über sich ergehen, immerhin hätte sie auch einfach ihre vorlaute Klappe in Schach halten können – zudem standen die Chancen gar nicht mal schlecht, dass die Dame nach einem ordentlichen, schimpfenden Monolog endlich wieder etwas umgänglicher für das bevorstehende Weihnachtsessen sein würde … bis Mrs Weasley endlich ihre Schürze abband und diese schnaubend auf den Tresen warf, klingelten ihre Ohren – kaum zu begreifen, wie die Weasley-Sprösslinge das schon ihr ganzes Leben lang aushielten.      „Selber Schuld“, meinte George mit einem Grinsen, gleich nachdem die Tür hinter seiner Mutter ins Schloss gefallen war, da sie nun die Treppe hinaufstapfte, um die gesamte Bagage zum Essen zusammenzutrommeln.      „Und danke dafür“, bemerkte Remus trocken. „Der dritte Anschiss“, oha, und das Wort aus seinem Mund, „an einem Tag, dazu noch Weihnachten.“      „Du hättest zu jeder Zeit den Raum verlassen können“, konterte Luciana.      „Ich beweg mich heute nur noch in mein Bett, Steinhardt hat mich zweimal durch das Sangues gejagt, zu seinem Büro und wieder zurück.“      Sie schluckte jeglichen Kommentar darüber, dass sie diese Strecke im letzten Monat über ein Dutzend Mal laufen musste, wenn Gabriel wiederholt nicht in der Lage gewesen war, genügend Geduld aufzubringen, auf die Eulenpost zu warten, die ihm die Sitzungsprotokolle ein paar Stunden später eingeflattert hätte. Dafür machte sich Luciana an einer anderen Stelle Luft:      „Anstatt über die Sicherheitsvorkehrungen meines Paten zu meckern, hätte sie sich mal über Potter aufregen können, der mir einfach in den Kamin nachspaziert ist. Wollte nicht, dass Gabriel die Horkruxe in die Hände bekommt – mal von seinen ständigen Abhöraktionen ganz abgesehen …“      „Keine Sorge“, gluckste Fred zufrieden, „den Abriss hat er bekommen, noch bevor Remus und er wieder ganz aus dem Kamin spaziert waren.“      „Sie hat nicht einmal Sirius zu Wort kommen lassen“, fügte George dem noch hinzu, „und dabei war er mindestens so sauer wie Mum.“      Oha, Black war nicht erfreut gewesen, dass Potter mal wieder ganz besondere ‚Eigeninitiative‘ an den Tag gelegt hatte? Sie war ernsthaft überrascht, konnte aber nicht weiter nachhaken, da in diesem Moment Ginevra und Granger zu ihnen stießen, dicht gefolgt von Mr Weasley, Charlie und Bill. In kürzester Zeit war die Küche gerammelt voll, allerdings herrschte, für diese hohe Anzahl an Menschen auf die paar Quadratmeter, eine recht angespannte Stille, die ihren Höhepunkt fand, als Black und Potter als letztes durch die Tür traten. Potter war zwar noch immer ein wenig blass um die Nase, allerdings machte er einen erstaunlich munteren Eindruck dafür, dass er an diesem Tag, strenggenommen, den Löffel abgegeben hatte.      Es dauerte eine ganze Weile und einen halben Truthahn, bis nicht jedes Wort aus den Mündern der Leute am Tisch aufgesetzt und übervorsichtig gewählt klang, aber gerade mit den ältesten Weasley-Söhnen in der Runde waren die Gesprächsthemen schnell auf sicheres Terrain gelenkt, ergo man konnte fast vollständig vergessen, dass diese Feiertage zu einem verdammt unrosigen Zeitpunkt stattfanden. Selbst Mrs Weasley lachte bei der Erzählung ihres Zweitältesten laut auf, bei der ein ganz frischer Neuzugang auf seiner Arbeitsstelle in Rumänien kopfüber in den Riesenhaufen eines Chinesischen Feuerballdrachens gefallen war, auch wenn Luciana das zu fünfzig Prozent dem Elfenwein in ihrer Hand zuschrieb. Nachdem dieses Eis gebrochen war, blieb die Stimmung ausgelassen und fröhlich – zwar zeigte sich Potter noch immer verhalten und konnte ihr nicht einmal in die Augen blicken, nachdem er dreieinhalb Butterbier und ein Glas Eierpunsch intus hatte (Black vernichtete in der Zeit ein Viertel einer Whiskyflasche), aber Luciana bereute nun nicht mehr alle paar Minuten, Hermes Angebot, ihn nach Hause zu begleiten, ausgeschlagen zu haben.      Als auch die letzte Schüssel geleert und auf den Silbertabletts mit den Fruchtküchlein kaum ein letzter Krümel übriggeblieben war (Luciana selbst hatte einen Bissen probiert und diesen, so dezent wie möglich, in eine Serviette gespuckt – die Briten und ihre seltsamen Geschmacksverirrungen), erledigten Bill, Charlie und Fred den Abwasch, Ginevra, Ronald und Granger verzogen sich in die oberen Stockwerke. Was dazu führte, dass letztendlich noch Potter, Black und sie an dem Tisch saßen, wobei ihr Plan darin lag, nach einer letzten Zigarette endlich in die Federn verschwinden zu können.      „Sirius, lässt du Luciana und mich für einen Moment unter vier Augen sprechen?“      Zum Glück hatte sie den letzten Schluck Rotwein vor einigen Sekunden heruntergeschluckt, bei der Ansage hätte sie garantiert Erstickungsanfälle bekommen. Black warf Potter und ihr jeweils einen kalkulierenden Blick zu, erhob sich dann mit seinem Whiskyglas in der Hand, schnappte nach der Flasche und verließ wortlos den Raum.      „Er trinkt zu viel“, sagte Potter missmutig, kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war.      „Genug Gründe dafür hat er“, bemerkte Luciana, „was die Angelegenheit nicht besser macht. Aber das solltest du ihm und nicht mir sagen, auf deine Meinung scheint er viel zu geben.“      Potter lächelte schief und schüttelte dann sein zotteliges Haupt.      „Ich habe ihn schon oft darauf angesprochen. Er meint, es hilft ihm beim Einschlafen. Und dass er gar nicht ‚zu viel‘ trinkt. Ich solle keinen Aufriss darum machen.“      Ah. Aussagen eines Bilderbuchalkoholikers, aber das musste sie ihm nicht gerade heute stecken. Zumal er sie bestimmt nicht wegen des Alkoholkonsums seines Paten alleine hatte sprechen wollen.      „Sag es seinem Therapeuten, das ist wahrscheinlich der Einzige, der ihm dabei helfen kann.“      Potter nickte nachdenklich.      „Ja, das wird wohl das Beste sein. Wo er nicht einmal auf Mrs Weasley oder Lupin hört.“      Pff, als würde Black sich etwas von Remus sagen lassen, der Junge hatte komische Vorstellungen.      „Dein Pate hat mir ein paar Dinge erklärt“, sagte er dann, nachdem ihm anscheinend deutlich geworden war, dass Luciana nichts mehr darauf zu erwidern hatte. „Wieso seine Organisation entstanden ist und dass sie schon beim ersten Mal gegen Voldemort gekämpft haben.“ Huch, da hatte der Junge das böse Wort in den Mund genommen und nach mindestens einer halben Minute des Schweigens saß noch immer kein angesäuerter Schwarzer Führer auf Potters Schoß. Wer hätte das gedacht ... „Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dir gefolgt bin und deinen Leuten so misstraut habe.“      Luciana starrte Potter über den Tisch hinweg an, ohne einmal dabei zu blinzeln. Offenbar hatte Gabriel ganze Arbeit geleistet und für diesen Sinneswandel bei ihrem Klassenkameraden nicht einmal ein Achtel eines Tages benötigt, den sie seit Monaten zu erreichen versuchte … wenn auch nicht mit besonders viel Engagement dahinter. Andererseits hatte sie keine Ahnung, welche Geschütze ihr Pate aufgefahren hatte und es wäre sicherlich keine besonders kluge Idee, danach zu fragen.      „Die Rechnung für deine Aktion hast du ja sofort bekommen, damit sollte es aus der Welt sein, mh?“      „Ja, mein Kopf brummt immer noch“, erwiderte Potter mit einem schiefen Halbgrinsen. Dabei waren ein wenig Kopfschmerzen als Nachwirkung vom temporären Radieschenzählen verdammt human, schade, dass sie ihm das nicht unter die Nase reiben konnte. „Sag mal …“, begann er dann etwas zögerlich, „Sirius hat mir erzählt, diesen Bund von deinem Paten gäbe es nur in Europa, nicht in den anderen Ländern, stimmt das?“      Diese Frage warf Luciana im ersten Augenblick aus der Bahn, doch sie fasste sich schnell wieder.      „Ja. Hin und wieder sind ein paar Leute aus den Staaten bei uns, aber die haben hier alle Verwandtschaft oder sind immigriert.“      Potter sah nachdenklich drein und kratzte dabei an dem Etikett seiner Butterbierflasche.      „Doktor Steinhardt hatte nach unserem Gespräch noch ein Treffen. Eine Sitzung, wie er sagte und in dem Raum neben seinem Büro“, sie nickte, zur Bestätigung, dass sie wusste, wovon er sprach, „saßen Asiaten am Tisch, bestimmt zwanzig oder dreißig.“      Luciana zog ihre Brauen zusammen, diese Information war tatsächlich ungewöhnlich.      „Wir haben ein paar Asiaten als Mitglieder, aber die sind alle Europäer und mir würde kein Grund einfallen, wieso Gabriel ausgerechnet sie zusammentrommeln sollte, die haben alle total unterschiedliche Aufgabenbereiche oder sind einfache Mitglieder, die gar nicht für ihn arbeiten.“      „Nein, sie haben alle japanisch … oder chinesisch oder –„      „Japanisch?“      „Vielleicht, ich meine, ich spreche beide Sprachen nicht, aber ich bin mir fast sicher, dass es japanisch war.“      Sie machte sich nicht die Mühe, Potter darüber aufzuklären, dass in China de facto nicht ‚chinesisch‘ gesprochen wurde, zudem wurde sie gerade sowieso viel zu sehr von dem äußerst klaren Bild vor ihrem geistigen Auge abgelenkt, welches die erste Seite der Personalakte von Mr Smythe und seinen Geburtsort aufzeigte. Dann noch die Entführung von genau jenem, jetzt eine Sitzung mit Japanern, was zur Hölle trieb Gabriel da?      „Ach, da fällt mir ein, das waren sicher seine Geschäftspartner“, bluffte Luciana – bevor sie nicht genau sagen konnte, was gerade in der UOWV ablief, konnte sie garantiert keinen Potter gebrauchen, der seinen frisch gefundenen Meinungswechsel gegenüber ‚ihren Leuten‘ genauso schnell über Bord werfen würde, wie er gekommen war. Ob er ihr diese Begründung allerdings abgekauft hatte, war schwer einzuschätzen. Er knibbelte noch immer an seiner Butterbierflasche und sah ihr somit nicht in die Augen. Vielleicht sollte sie die Geschichte noch etwas ausbauen, ein paar frei erfundene Namen aus dem Allerwertesten ziehen und ein Oberthema für die Konferenz erfinden, welches ihr, brühwarm gerade wieder eingefallen wäre? Bei Potter konnte man nie genug auf Nummer sicher gehen.      „Wahrscheinlich waren das mal wieder ein paar Leute aus dem Börsenviertel, da kommen die Herrschaften aus aller Welt und –„      Na klasse, da hatte sie sich gerade ein halbes Dutzend hübsch exotisch klingende Namen zusammengebastelt und natürlich musste Black genau diesen Augenblick abpassen, die Szenerie zu stürmen. Mit angepisster Miene. Und Remus im Schlepptau. Der … Moment, was hatte Snape hier zu suchen? Es war schwer auszumachen, wer dümmer aus der Wäsche guckte, Potter oder sie – Ersterer schnappte sich seine Flasche und war drauf und dran fluchtartig die Küche zu verlassen, doch da war Snape ein Nanosekündchen schneller:      „Potter, Sie bleiben hier.“      Ha, Glück im Unglü-      „Miss Bradley, Sie ebenfalls.“      Dabei hatte sie gerade mal ihren Hintern eine Handbreite vom Stuhl erhoben. Okay, was war hier los, wieso stiefelte Snape im Grimmauldplatz umher, ohne, dass eine Ordenssitzung einberufen worden war, am Weihnachtsabend und was hatte das alles mit Potter und ihr zu tun?      „Harry geht es gut, Snape“, knurrte Black den Tränkemeister von der Seite an, nahm neben Potter auf dem freien Stuhl Platz, legte seinen Arm in einer sehr deutlichen Körpersprache um dessen Lehne und funkelte Snape feindselig entgegen.      „Es ist nicht an dir, dies zu bewerten“, schnarrte Snape in einem, kaum zu glauben, noch feindseligeren Tonfall zurück. Okay, hatte der Kerl neben seinem Tränkestudium und privaten Dunklen Künste Forschungen noch nebenbei eine Heilerausbildung abgeschlossen, während er sich in der Zwischenzeit nebenbei neun Fremdsprachen angeeignet hatte, oder was war hier los? Allerdings hatte Luciana keinen blassen Schimmer, ob Snape jemals eine Universität von innen gesehen hatte, immerhin war Johnny von Dumbledore eingestellt worden und bei ihm konnte sie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass sein Bildungswerdegang noch vor Volljährigkeit ein jähes Ende gefunden hatte. Aber zurück zum Thema, was war hier los? Snape machte einen Schritt auf Potter zu und zückte dabei seinen Zauberstab, ihr Klassenkamerad wich, soweit es seine sitzende Position zuließ, ein Stück zurück – in der nächsten Sekunde war Black aufgesprungen und versperrte Snape den Blick auf seinen Patensohn und ach ja, Remus schien überfordert damit, die Situation einzuschätzen. Genau wie sie selbst. Dieser Tag war wirklich eine Zerreißprobe für ihre Nerven.      „Professor“, sagte Luciana und bekam einen Moment verzögert seine volle Aufmerksamkeit (das intensive Starrduell mit seinem Lieblingskontrahenten verlangte, wie immer, ganz besonders harte, gehässige Körpersprache und Gesichtsmimik). „Wären Sie so freundlich erst einmal zu erklären, was Sie genau mit Ihrem Ding“, sie deutete auf seinen Zauberstab, „vorhaben, bevor Sie auf Potter losgehen?“      „Er meint, er wär mal wieder der Einzigste“, ‚Einzige‘, nen Absolutadjektiv lässt sich nicht steigern, du Idiot, „der wirklich herausfinden könnte, ob mit Harry alles okay sei, nach der Attacke von deinem Paten!“, knurrte Black wütend, bevor Snape auch nur zum Sprechen ansetzen konnte. Was er jetzt natürlich nachholte.      „Der Schulleiter“, schnarrte Snape in ihre Richtung und warf Black dabei einen bitterbösen Seitenblick zu, „hat mir aufgetragen, Potter auf mögliche Folgeschäden zu untersuchen, eine unabhängige, zweite Meinung – nicht jeder ist so vertrauensselig wie du, Black.“ Damit bekam Black wieder seine volle Beachtung. „Sei dir gewiss, dass ich mit diesem Abend zweifelsohne besseres hätte anfangen können, als Potters Einfältigkeit auszubaden.“      „Folgeschäden?“, hakte Potter nach, anscheinend völlig unbeeindruckt von Snapes Seitenhieb. „Ich war nur für ein paar Minuten ausgeknockt, mir geht es gut!“      Oh verdammt, bei dem Wörtchen ‚ausgeknockt‘ hatte Lucianas Gesicht ganz offensichtlich eine Regung zu viel preisgegeben, die ihr nun Snapes argwöhnische Aufmerksamkeit eingebrachte. Sie schaute sofort in Potters Richtung und brach somit den Kontakt zu seinem Röntgenblick ab, gleichzeitig war sie sehr bemüht, eine neutrale Miene aufzusetzen.      „Anordnung des Schulleiters, Potter“, erst nach diesen Worten wandte Snape sich von ihr ab, zumindest sah es aus ihrer Seitenperspektive ganz danach aus. „Aber gewiss kann ich ihm ausrichten, dass Sie der Auffassung sind, diese Situation, die, nebenbei bemerkt, den Orden um ein Haar einen äußerst gewichtigen Zusammenschluss gekostet hätte, meinen besser einschätzen zu können, als er.“      Ach, plötzlich war der Herr der Meinung, die Zusammenarbeit des Ordens mit der UOWV sei ‚äußerst gewichtig‘? Das würde sie ihm bei der nächsten Gelegenheit, die sich unter Garantie in Rekordschnelle ergeben würde, unter die Nase reiben – und es in vollen Zügen genießen. Übrigens schien Snape nach dieser Ansage und einem kurzen Starrduell mit Potter als Sieger aus dieser Runde herausgegangen zu sein, denn ihr Klassenkamerad erhob sich kurzerhand von seinem Stuhl, trat einen Schritt an die Seite seines Paten und sah Snape auffordernd an. Ziemlich mutig, wie Luciana ihm eingestehen musste, bei dem Blick des Tränkemeisters wäre sie ihm und seinem Zauberstäbchen nicht auf einen Kilometer Entfernung entgegengekommen. Tatsächlich nutzte Snape nicht die Gunst der Stunde, Potter oder seinem Paten irgendeinen Fluch auf den Hals zu hetzen, sondern vollbrachte irgendwelche, ihr völlig unbekannten Bewegungen mit seinem Zauberstab. Korrektur, ein paar davon hatte sie vielleicht in den zwei Wochen ihres Praktikums sehen können, mit Bestimmtheit konnte sie dies aber wirklich nicht sagen.      Nach ein paar Minuten des Beobachtens von unspektakulärem Wünschelrutengefuchtel kam Luciana wiederholt die Frage, was zur Hölle sie eigentlich bei dieser Prozedur zu suchen hatte. Snape hatte explizit nach ihrer Anwesenheit verlangt, doch zu welchem Zweck? Sollte sie direkt stellverstretend den Kopf für die UOWV hinhalten, sobald er bemerken sollte, dass es bei Potter wirklich zu Folgeschäden kommen könnte oder würde er sie nach seiner Analyse  ausquetschen, mit welcher Art ‚Betäubungsmittel‘ Potter unschädlich gemacht worden war? Vielleicht war er so gut im Analysieren, dass er jeden Moment herausfinden würde, dass Potter für ein paar Minuten das Zeitliche gesegnet hatte und nicht bloß ‚ausgeknockt‘ gewesen war? Bei diesem Gedanken brach ihr der kalte Schweiß auf der Stirn aus, ganz besonders in dem Augenblick, als Snapes Zauberstab vor der Herzregion von Potter Halt machte und dort stehenblieb - aber nichts von Snapes Mimik oder Gestik gab preis, wie nahe oder entfernt er von der Wahrheit war. Sollte sie einfach die Ahnungslose mimen und so tun, als wäre weder Johnny, ihrem Paten oder ihr aufgefallen, was wirklich geschehen war? Bluffen war eins ihrer Spezialgebiete, auch wenn Snape dabei eine besonders große Herausforderung darstellte – auf einen Versuch sollte sie es sicher ankommen lassen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Stabspitze von Potters Brust abwanderte und sie endlich wieder ein klein wenig Aufatmen konnte.      Snape steckte seinen Zauberstab zurück in seinen Ärmel, trat einen Schritt von Potter weg und richtete sich wieder zur vollen Größe auf. Die folgende Stille war zum Zerreißen gespannt.      „Und?“, fragte Remus nach einer ganzen Weile.      „Ich kann nichts Außergewöhnliches feststellen.“ Diese Worte waren Balsam auf Lucianas geschundenem Nervenkostüm und ihr Herzschlag sank endlich in etwas normalere Parameter ab. Zwar schien Snape wenig begeistert darüber, zugegeben haben zu müssen, dass die Einschätzung der Heiler ihres Paten und auch die von Potter selbst der Wahrheit entsprachen, aber den Dämpfer auf sein Ego hatte er, ihrer Meinung nach, mehr als nötig gehabt.      Black nutzte die Gelegenheit, Snape einen besonders geringschätzigen Blick zuzuwerfen und mit Potter im Schlepptau wortlos das Weite zu suchen – natürlich nicht, ohne dabei die Tür ordentlich scheppernd ins Schloss fallengelassen zu haben. Interessant, dieser unerwartete Besuch am Weihnachtsabend war sonderbar glimpflich und vor allem ohne Prügelei, Magierduell oder verdammt unschöner Erklärungsnot ihrerseits ausgegangen. Obwohl, was hieß hier ausgegangen, Snape stand noch immer an Ort und Stelle und hatte nun Luciana ins Visier genommen. Das kam davon, wenn man den Tag vor dem Abend lobte, oder in diesem Fall, den Abend vor der Nacht.      „Brauchen Sie eine schriftliche Aufforderung, Miss Bradley, oder sind Sie eigenmächtig in der Lage, Ihrem Vermittlungsposten nachzukommen?“      Luciana zog fragend ihre Augenbrauen zusammen, doch nachdem Snape nicht den Eindruck machte, diesem rätselhaften Satz noch irgendetwas hinzuzufügen und sie lieber anzusehen, als sei der Inhalt ihres Schädels nichts weiter als ein Vakuum, sah sie Remus verwirrt an. Noch ein paar Sekunden der Stille, in welcher der schwarze Stoffberg auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches bereits schnaubende Ungeduldslaute von sich gab, dann schien Remus endlich ein Licht aufzugehen.      „Johnny hatte vorhin über das Flohnetzwerk mit Mr Weasley gesprochen, Dumbledore hat mit Steinhardt die Übergabe des Generalschlüssels ausgehandelt.“ Okay, jetzt machte Luciana sogar das passende Gesicht zu dem Vakuumschädel.      „Bitte was?!“      „Im Laufe des Nachmittags sind zwei Bussarde eingetroffen, ich nehme an, in den Briefen steht der Schlüssel.“ Nein, das konnte einfach nicht der Wahrheit entsprechen, Gabriel würde nie, niemals den Generalcode an Außenstehende weitergeben, nicht mal der komplette Vorstand hatte Zugriff darauf. Irgendetwas musste faul sein – verdammt, da verließ Luciana mal für ein paar Stunden das Hauptquartier und in dieser kurzen Zeitspanne schien mal eben die Hölle eingefroren zu sein. „Tut mir leid“, setzte Remus nach, „bei all dem Chaos heute habe ich ganz vergessen, dir Bescheid zu sagen.“ Offenbar fehlinterpretierte er gerade gehörig ihre Mimik, noch eine Premiere. „Ich habe dir die Umschläge in die Schublade mit deinen Sachen in meinem Zimmer gelegt.“ Wieder ein Schnauben aus Snapes Richtung, dieses Mal gepaart mit einem süffisanten Halbgrinsen – hä?      „Schlafgemach-Arrangements mit Black, ganz wie in alten Zeiten, Lupin?“      „Nein, Severus“, entgegnete Remus, während Luciana einfach dazu überging ihr neutralstes Gesicht aufzusetzen, bei all dem Kauderwelsch, den die beiden von sich gaben. „Luciana schläft seit Beginn ihres Praktikums bei mir, kein Grund die Räumlichkeiten zu wechseln.“      Snapes Grinsen erstarb augenblicklich, seine Augen wurden für eine Millisekunde zu Schlitzen, bevor sein komplettes Erscheinungsbild ein derartiges Neutrumlevel erreichte, dass das Rätsel um Mona Lisas Lächeln dahingegen wie ein Emotionsatlas eines Physiognomie-Schnupperkurses abstank. Wie waren sie von Potters Gesundheitszustand zu einem Generalschlüssel auf Lucianas temporäre Bettgewohnheiten gekommen? Und wer von ihnen hatte einen Blizzardzauber über die Küche gesprochen? Okay, das schien vielleicht etwas überspitzt ausgedrückt, immerhin wehte nicht ein Lüftchen, aber davon abgesehen hätte ein Fertiglebensmittelhersteller in diesem Augenblick in dem Zwischenraum von Snapes und Remus Blickkontakt eine Pizza schockfrosten können. Höchste Zeit das Weite zu suchen, der Tränkemeister schien ein wenig gereizt über seine spontane Weihnachtsabendplanänderung, kein Grund das noch länger hinzuziehen.      „Ich schaue eben nach, bin gleich zurück.“      „Beeil dich, wir wollen Severus nicht noch länger aufhalten“, sagte Remus und wich bei dieser Gelegenheit Snapes stechendem Blick aus. Was sie verdammt gut nachvollziehen konnte, hätte er sie so angeschaut, Luciana wäre noch schneller aus der Küche verschwunden, als es ohnehin schon der Fall war.      Auf dem Weg in das erste Obergeschoss bekam sie nur beiläufig mit, dass das Kaminzimmer mindestens die Hälfte aller Hausbewohner zu beherbergen schien, die den Abend auf den zahlreichen Sofas und Sesseln des Raums nutzten, um ihre vollen Bäuche zwischen zu parken, bevor es in die Betten in den oberen Stockwerken gehen konnte. Erst auf der letzten Stufe vernahm sie weiteres Gemurmel, das aus dem Salon, direkt gegenüber von Remus Schlafzimmer, drang, da die Tür einen Spalt aufstand und verdächtig nach Potter und Black klang. Luciana ließ sich nur kurz von dem Gedanken ablenken, dass dies doch recht ungewöhnlich erschien, wo dieses Zimmer so gut wie nie genutzt wurde – allerdings verwarf sie sofort die Idee, die Gelegenheit für einen kleinen Lauschangriff zu nutzen. Sie könnte Potter schlecht ein Verhalten vorwerfen, welches sie dann selbst an den Tag legen würde. Zudem hatte sie nicht im Sinn, Remus unnötig lang mit Snape alleine in der Küche sitzen zu lassen, immerhin hatte sie heute mit genügend leblosen Körpern zu tun gehabt.      Daher legte sie ab diesem Moment einen Zahn zu, riss die Schublade mit ihren Sachen auf und griff nach den beiden Umschlägen, die oben auf ihrem Klamottenberg lagen, doch bevor sie wieder den Rückweg antrat, zögerte sie. Die Briefe waren an Luciana adressiert, das anthrazitfarbene Wachssiegel nicht gebrochen und bevor es zu weiteren Unfällen kommen konnte, setzte sie sich auf die Bettkannte und öffnete beide Umschläge (die UOWV hatte, höchstwahrscheinlich, noch heimtückischere Flüche auf Lager, als die Malfoys) – zum Vorschein kamen zwei schlichte, kleine Zettel, auf denen ein insgesamt vierundsechzigstelliger Zahlencode notiert war. Lucianas erste Reaktion bestand aus einem Schnauben, kurz danach war sie versucht nach ihrem Handy zu greifen und Gabriel eine Standpauke über arglistige Täuschung zu halten. Denn mal ernsthaft, wer sollte es bitte bewerkstelligen, innerhalb von dreißig Sekunden nicht nur ein Tastenfeld ausfindig zu machen, sondern auf selbiges eine vierundsechzigstellige Zahlenfolge einzugeben? Ihre Skepsis von eben war demnach vollkommen begründet gewesen, der Generalcode hatte in den letzten Jahren nie mehr als acht Ziffern beansprucht und das tatsächliche Password würde diese Anzahl garantiert nicht überschreiten. Andererseits hatte ihr Dumbledore, seitdem sie  ihm das erste Mal begegnet war, mehr als genügend Gründe geliefert, ihm zu misstrauen und seine Beweggründe in Frage zu stellen, da sollte sie es eher befürworten, dass dieser Mann nicht in der Lage war, unbehelligt im Bunker herum zu spazieren.      Luciana ließ die beiden Briefumschläge auf der Bettdecke liegen, steckte die beiden Zettel gefaltet in ihre Jeans und beeilte sich, so schnell wie möglich wieder in die Küche zu gelangen, bevor Snape seinen Unmut über ihre Trödelei an Remus auslassen konnte.      Letztendlich schien ihre Sorge ein wenig unbegründet – zwar war die Atmosphäre im Untergeschoss noch immer auf dem Tiefpunkt und Remus schien in all seiner Verzweiflung damit begonnen zu haben, eine Kanne Tee aufzusetzen, damit er etwas Abstand zwischen sich und Snape bringen konnte (der noch immer an Ort und Stelle stand und sich, von den verschränkten Armen vor seiner Brust ausgenommen, keinen Millimeter bewegt zu haben schien), doch nachdem sie dem Tränkeprofessor die Zettel entgegengestreckt hatte und dieser, mit einem kurzen, prüfenden Blick darauf, sie in den Tiefen seines Umhangs verschwinden ließ, machte er ohne Umschweife auf dem Absatz kehrt und verließ wortlos den Raum. Okay, auch wenn Snape für diesen Abend sicherlich andere Pläne gehabt haben sollte und ihn das Krankenschwester für Potter plus Laufbursche spielen berechtigt die Laune verhagelt hatte, wäre ein kurzes ‚Guten Abend‘ doch das Mindeste an Höflichkeit gewesen. Zumal er Luciana letztendlich nicht einmal eines Blicks gewürdigt hatte – na ja, wenigstens hatte er seine schlechte Laune nicht an Remus ausgelassen und –      „DU!“ – Luciana fiel vor Schreck die Zigarette auf den Boden, die sie gerade in ihren Mundwinkel geschoben hatte. Remus hatte sich blitzschnell zu ihr gedreht und zielte seinen Zeigefinger genau auf ihren Kopf. Dabei sah er verdammt sauer aus, was war denn jetzt schon wieder – „Du gehst noch heute Abend zu Severus und erklärst ihm, dass wir kein heimliches Stell-dich-ein miteinander haben, hast du verstanden?!“      ‚Stell-dich-ein‘, das Grinsen erschien wie automatisch auf ihrem Gesicht – und erstarb so schnell, wie es gekommen war, bei dem Blick, den sie dafür kassierte.      „Wieso sollte er das denken?“, fragte sie und sammelte die Zigarette vom Boden auf.      „Weil ich ihm gesagt habe, wo du die letzten Wochen geschlafen hast und er nicht sehr erfreut reagiert hat, klingelt es da?!“ Und das sagte er in einem Tonfall, als sei sie diejenige gewesen, der diese Information herausgerutscht sei.      „Richtig, du hast ihm das gesagt, wieso soll ich das jetzt wieder –„      „Ich habe nicht nachgedacht, verdammt“, schnaubte Remus aufgebracht auf. „Er hat mir unterstellt ‚Schlafgemach-Arrangements‘ mit Sirius zu haben, ganz als würde er darauf anspielen wollen, dass Sirius und ich –„ Hier sprach er nicht weiter und sah betreten zu Boden. Luciana seufzte laut auf, zündete die Zigarette an und blies augenverdrehend Rauch an die Decke.      „Wenn Snape eine Ahnung von der Sache hätte, dann würde er keine einzige Gelegenheit auslassen, dich damit aufzuziehen, meinst du nicht auch?“      „Wahrscheinlich hast du Recht“, murmelte er, nachdem er sich ihre Aussage anscheinend eine Weile durch den Kopf hatte gehen lassen.      „Und außerdem interessiert es ihn sicher nicht, was ich in meiner Freizeit treibe, solange ich dabei nicht irgendeine wichtige ‚Operation gefährde‘. Er hatte schlechte Laune, seitdem er hier reingeplatzt ist, du solltest echt nicht alles überinterpretieren.“      Stille. Remus lehnte mit den Händen hinter sich gestützt am Tresen und starrte Luciana an, als seien ihr gerade Tannenzapfen aus den Ohren gewachsen, dann:      „Bist du blind?!“      „Ehm –„      „Nach diesem unbedachten Spruch von mir hat es ihm sehr klar alles abverlangt, mir keinen Unverzeihlichen auf den Hals zu hetzen. Und hast du schon vergessen, wie er mich angesehen hat, als ich dir nach dem Buckingham Palast einen Schlafplatz angeboten habe?“      „Er sieht dich andauernd so an, das scheint ein Vorrecht zu sein, wenn man Potter heißt oder Mitglied bei eurem Landstreicher“, „Rumtreiber“, „was auch immer-Verein war.“      Für einen Augenblick machte Remus den Eindruck, wie wild hin und her zu kalkulieren, bevor er wieder zum Sprechen ansetzte.      „Du gehst zu ihm und erklärst ihm, dass da nichts zwischen uns läuft. Und bei der Gelegenheit könnt ihr gleich mal euer Gespräch über ‚die Sache‘“, dies unterstrich er mit optischen Anführungszeichen durch seine Finger, „fortsetzen, bevor noch mehr Unbeteiligte mit hineingezogen werden!“      „Remus“, seufzte sie und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Mit der Ausnahme, dass ich dir hin und wieder die Ohren volllabere, wird niemand irgendwo mit hineingezogen. Also überlass es mir, wann ich ihn zu dem Gespräch nötige.“ ‚Nötigen‘ war hier übrigens das Stichwort, freiwillig würde sie ihn, selbst nach seinem Einsehen zum Ende der letzten Unterredung, niemals dazu bekommen. „Und hier noch einmal ganz deutlich zum Thema ‚Schlaf-Arrangements‘ mit dir:  Es. Interessiert. Ihn. Nicht.!“      Für die nächsten zwanzig Sekunden wurde es derart still in der Küche, dass man das unverständliche Gemurmel der anderen aus dem oberen Stockwerk hören konnte. Dabei kannte sie den Blick von Remus, den er gerade aufgesetzt hatte – er überlegte sehr genau, welche Strategie er anwenden sollte, um sich gegen ihren Dickkopf durchsetzen zu können. Da könnte er lange überlegen. Pah, als würde sie auf die Idee kommen, Snape freiwillig an diesem Abend noch einmal seine Freizeitplanung zu zerschießen …      „Als Severus mit uns als Schüler nach Hogwarts kam, hatte er eine Schreibfeder dabei.“ Was zur Hölle? War Remus jetzt völlig übergeschnappt? „Wie wir alle, mit dem Unterschied, dass er auf das Ding Acht gab, als bestünde es aus Zuckerwatte. Er hat sie immer in einem Kästchen in der Tasche aufbewahrt und James kopfüber am Geländer der Eingangshalle aufgehängt, als dieser einmal den Versuch unternommen hatte, sie aus seiner Tasche zu stibitzen.“      „Ehm, Remus, geht es dir gut? Bist du sicher, dass das nur Tee ist in deiner Tasse?“      „Er hat sie niemals weiterverliehen“, setzte er die Geschichte unbeirrt fort, während Luciana überlegte, wer im Haus am qualifiziertesten war, Remus auf seine geistige Unversehrtheit hin zu überprüfen, „nicht einmal an Professor Slughorn, dem Tränkelehrer zu unserer Zeit, als dieser einmal darum gebeten hatte, da er seine nicht finden konnte. Dabei wollte er nur Severus eigenen Aufsatz mit einem Pluszeichen versehen, welches er vergessen hatte zu notieren.“ Okay, das hörte sich wirklich nach einer ungesunden Obsession an, allerdings wunderte Luciana nichts mehr, was Snape anbelangte. „Im zweiten Schuljahr haben wir in Verwandlung gesehen, wie Rosier, auch ein Slytherin und mit Severus befreundet, so dumm war, die Feder an sich zu nehmen und die Aufgabenstellung der Hausarbeit damit zu notieren.“ Verdammt, jetzt legte Remus eine Kunstpause ein – dabei hatte er sie in Rekordschnelle von ihrem ‚was zur Hölle Modus‘ mit ein paar Sätzen zu ‚wie geht es verdammt nochmal weiter‘ katapultiert. Durchtriebener Werwolf. „Severus hat nicht einen Ton gesagt, als er es bemerkte. Hat ihm die Feder abgenommen, sie in aller Ruhe in ihrem Kästchen verstaut und im Unterricht kein Wort mehr mit Rosier gewechselt. Ab da hatten wir alle angenommen, damit wäre die Angelegenheit geklärt. Bis zum nächsten Morgen.“      „Was war am nächsten Morgen?“, fragte sie ungeduldig, Remus Blick wurde noch durchdringender.      „Ein großer Aufruhr im Slytherin-Gemeinschaftsraum, wir anderen haben auch nur davon gehört. Es gab viele Spekulationen, was in der Nacht geschehen sein konnte, die Slytherins haben alle dichtgehalten, aber sicher ist, dass Rosier zwei Wochen nicht den Krankenflügel verlassen hat.“ Luciana schluckte. „Wenn er bei einer schlichten Schreibfeder im Alter von zwölf Jahren einen Hauskameraden für zwei ganze Wochen in den Krankenflügel befördert, was meinst du stellt Severus mit mir an, wenn er der Meinung ist, ich würde mir sein Mädchen ‚ausborgen‘?“       „Was auch immer mit dem Schüler geschehen ist, muss nichts mit der Feder oder Snape zu tun gehabt haben. Und ich bin garantiert nicht ‚sein Mädchen‘.“      Remus schnaubte genervt auf und knallte seine Teetasse auf den Küchentresen, dann deutete er mit seinem Finger auf den Fliesenspiegel hinter sich, der … war der breite Riss schon immer dagewesen, oder –      „Die Wand ist mir fast ins Gesicht gesprungen, keine zwei Sekunden, bevor du wieder zur Tür rein bist, dabei hatte Severus nicht mal seinen Zauberstab in der Hand.“      „Das ist nen altes Haus, das kann sich auch einfach nur gesetzt ha-„      „Luciana Evelyn Bradley!!“ Oh oh, vollständiger Name. „Ich habe mir den Irrsinn, den du dir seit Monaten zurechtgelegt hast, lange genug mitangehört, das hat jetzt ein Ende!“ Sie schluckte, Remus trat einen Schritt näher an sie heran, wenigstens drosselte er seine Lautstärke. „Ich wage nicht zu erraten, welche Flausen in Severus Kopf herumspuken, die ihn dazu gebracht haben, es so weit mit einer Schülerin“, jetzt nicht die Augen verdrehen, „kommen zu lassen und das Gespräch über deine Wahrnehmung von dem Mann verschieben wir auf ein anderes Mal, aber lass dir eins gesagt sein: Severus hat eine neue Lieblingsfeder und du wirst noch heute Abend zu ihm gehen und klarstellen, dass ich sie mir nicht ausgeborgt habe!“   Hosted by Animexx e.V. 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