Luciana Bradley und die Sammlungen der Väter von Picadelly ================================================================================ Kapitel 3: EMP -------------- EMP        „Luciana“, Gabriel steckte seinen Kopf durch die offene Tür der Küche und fixierte sie mit einem ernsten Blick, „kommst du bitte in mein Arbeitszimmer?“      Luciana schluckte und schaute sich hilfesuchend nach Johnny um, der nur unproduktiv mit den Achseln zuckte und schnell wieder hinter seiner Zeitung verschwand. Ihr Pate war nie zum Frühstück in der Küche. Er gehörte zu der Sorte Frühaufsteher, die mit ein paar Tassen Kaffee um sechs Uhr dreißig in ihrem Bürostuhl den Tag begannen, vor zehn Uhr keinen Bissen aßen und die höchstens am Mittag ihren Arbeitsplatz verließen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Wenn er denn nicht irgendwelche ‚Hausbesuche‘ machte.      Mit ihrem Star Trek Kaffeebecher bewaffnet, machte sie sich auf den kurzen Weg den Flur hinunter, wo am Ende auch schon die Flügeltür zum Reich von Gabriel einen Spalt offen stand. Mit großen Augen und den Becher mit beiden Händen umklammert, betrat sie den Raum und lief an der Minibar vorbei, direkt zu dem riesenhaften, schlichten Schreibtisch, hinter dem ihr Pate schon ungeduldig auf sie wartete. Mit einer Handbewegung deutete er ihr sich auf einen der zwei Stühle vor dem Tisch zu setzen, was sie mit einem kurzen, prüfenden Blick nach rechts und links auch tat.      Sie hatte wirklich nicht den blassesten Schimmer was sie angestellt haben sollte, denn das war der einzige Grund, wieso sie Gabriel in den letzten Jahren in sein Arbeitszimmer einberufen hatte. Ansonsten war der Raum Sperrgebiet – und selbst diese Ereignisse konnte sie an einer Hand abzählen. Wegen Kleinigkeiten, wie Steuern eines Fahrzeugs ohne gültige Fahrerlaubnis, brauchte sie erst gar nicht den Zeh über seine Türschwelle setzen.      „Hast du gut geschlafen?“, fragte er, nach einem Moment der absoluten Stille.      Lucianas Augen verengten sich zu Schlitzen, ihre Hand fasste, so unauffällig wie möglich, an ihre Jeanstasche – in die sie vergessen hatte ihren Zauberstab zu stecken.      „Sicherheitswort?“, sagte sie dann mit fester Stimme. Gabriel warf nur stöhnend die Arme in die Luft und verdrehte theatralisch seine Augen.      „Darf ich mich nicht mal nach deinem Befinden erkundigen?“ Darauf zog Luciana nur ihre rechte Augenbraue in die Höhe.      „Bananahammock“, gab sich ihr Pate endlich geschlagen, „und stell das mit der abartigen Gesichtsmimik deines Tränkeprofessors augenblicklich ein!“ Ihre Augenbraue wanderte wieder an ihre Ausgangsposition. Mist, das fiel ihr selbst in letzter Zeit immer seltener auf.      „Rück schon raus mit der Sprache, was habe ich wieder angestellt?“      Sie griff, ohne zu fragen, über die schwarze Schreibtischplatte nach der Zigarettenschachtel ihres Paten und nahm sich einen Glimmstängel heraus, welchen sie auch sofort mithilfe eines der aberhunderten Zippos anzündete, die allesamt in einer meterlangen Glasvitrine an der Wand hinter dem Schreibtisch standen. Penibel gerade mit genau null Komma acht Zentimeter Abstand zwischen jedem.      „Du hast vielleicht von den Fortschritten mit dem GFYS-Serum gehört?“      „Ja, aber ich habe nichts davon verkauft, falls-„      „Nein, nein, das hat ja niemand behauptet.“      Gut      „Natürlich weiß ich davon, ansonsten hätte ich wohl gestern ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt, als Sir Rennoc mit mir in der Mittagssonne spazieren gegangen ist.“      „Kein Grund frech zu werden, junge Dame“, sagte Gabriel mit scharfem Ton und nahm auch gleich einen erhobenen Zeigefinger dazu. Wenn sie so weiter machte, würde es noch eine ‚Solang du deinen Kopf unter meinem Stahlbeton steckst‘-Rede hageln, demnach nahm sie einen weiteren Schluck Kaffee und ein paar Züge von ihrer Zigarette, was übrigens Grundvoraussetzung für ihre Kooperationsfähigkeit am Morgen war.      „Tut mir Leid.“ Tat es ihr nicht. Doch er nickte zufrieden.      „Das GFYS-Serum befindet sich noch im Testlauf“, ja, das war ihr bekannt, „soll heißen, wir haben noch nicht alle Nebenwirkungen und Risiken testen können.“      Das machte Luciana hellhörig. Zwar war es nicht das erste Mal, dass ein Mittel der Tränkeabteilung in einem frühen Stadium der Testphasen an Menschen ausprobiert worden war, aber im Regelfall ging es dabei um irgendwelche Probanden, die zu dämlich waren aus dem hunderte Seiten umfassenden Vertragskatalog, inklusive Verzichtserklärungen, schlau zu werden und am wichtigsten, sie kannte diese Personen nicht.      „Ist Sir Rennoc okay?“, fragte sie und die darauffolgende Gesichtsakrobatik ihres Paten fraß ein Loch in ihren Bauch. „Ist er okay?“ Dieses Mal mit Nachdruck.      „Also er lebt“, begann ihr Pate, doch das Aber musste bei diesem Tonfall einfach einen riesenhaften Rattenschwanz nach sich ziehen, „aber es geht ihm gerade nicht sonderlich gut.“      Lucianas Nasenflügel bebten, dennoch biss sie sich auf die Zunge und tat einen Teufel, die Methoden dieser vermaledeiten Organisation ihres Paten in Frage zu stellen. Zudem musste sich Rennoc über die Risiken bewusst gewesen sein, immerhin gehörte er nicht zu den Frischlingsvampiren, die der Meinung waren, sich ohne einen Kratzer abzubekommen vor einen fahrenden Fünftonner werfen zu können.      „Und keiner von den knapp zwanzigtausend Leuten, die dir zu Verfügung stehen und auch ohne irgendwelche Mittelchen im Probestadium am Tag draußen herumspazieren können, wäre für Sir Rennocs Job gestern in London in Frage gekommen?“, fragte Luciana spitzt – so viel zum Nicht-Kommentieren. Gabriels Blick verfinsterte sich.      „Sir Rennoc und ich haben alle Möglichkeiten gründlich diskutiert, nicht, dass es dich etwas angehen würde.“ Aha, hatte der Herr also doch so etwas wie ein Gewissen. Oder zumindest das Bedürfnis sich zu rechtfertigen.      „Aber es ist nicht lebensbedrohlich?“ Sagte man das so eigentlich bei untoten Vampiren? Auf der anderen Seite, wie sollte man es sonst sagen?      „Der Mann ist zäh, er hat schon Schlimmeres überstanden.“      Na das war doch mal eine Antwort, mit der sie nichts anfangen konnte. Seufzend nahm Luciana die letzten Züge ihrer Zigarette und drückte diese dann in dem verchromten Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus.      „Was ist denn mit Wire?“, kam es ihr plötzlich in den Sinn und dabei hatte sie nicht ein Deut schlechtes Gewissen, dass ihr der Gedanke eines sich windenden Oberarschs eine gewisse Genugtuung verschaffte.      „Der hat bisher keinerlei Symptome von Nebenwirkungen.“      Verdammt.      „Aber darüber wolltest du nicht mit mir reden.“      „Nein, das war lediglich eine kleine Einleitung, die Fragen wären von dir sowieso gekommen.“ Wo er recht hatte … „Mit Sir Rennocs krankheitsbedingten Ausfall muss ich dich früher als geplant vom Urlaub, zurück auf deinen Ordensposten setzen.“      Halle-scheiss-lujah      „Bedauerlich.“      „Es lässt sich nicht ändern.“ Dabei ein Pokerface aufrecht zu erhalten war eine wirkliche Herausforderung, dennoch schien Gabriel nichts davon mitzubekommen und er fuhr fort. „Deswegen habe ich dich allerdings auch nicht in mein Büro gebeten.“      Verdammt, wer hatte diese unverbesserliche Drama-Queen in ihren Paten verpflanzt?      „Gabriel, einfach raus damit, danach geht es dir bestimmt besser“, säuselte Luciana und überspielte damit eine Portion ihrer Genervtheit (und auch eine Spur Neugierde).      „Uns fehlt nun nicht nur ein Mitglied, das den Platz im Orden des Phönix wieder einnimmt“, sie ahnte Schlimmes, „sondern auch die Position, die Sir Rennoc heute Nacht in der Mauritius-Mission inne gehabt hätte.“ Volltreffer.      „Soweit er mir davon erzählt hat, geht es um Insiderwissen die Räumlichkeiten betreffend. Vor allem die, die wir nicht besichtigen konnten.“      „Das ist korrekt.“      „Ich habe keine Ahnung, wie ich da aushelfen sollte.“      „Sir Rennoc erzählte mir immer, du hättest ein Talent für eine … ausgeprägte Phantasie.“ Luciana zog verwirrt die Brauen zusammen. „Er hätte dir in seinem Unterricht von Gebäuden und Ortschaften erzählt, in denen du dich, wenn ihr sie denn einmal auf eine Exkursion besucht habt, alleine anhand seiner Beschreibungen gut zurecht finden konntest.“      Daran hatte sie nur noch verschwommen Erinnerung (immerhin lag das ein gutes Jahrzehnt weit zurück). Zumindest wusste sie jetzt, woher der Hahn krähte und das behagte ihr ganz und gar nicht.      „Das mag vielleicht sein, aber bitte bedenke dabei meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn.“      „Du sollst nicht den Palast kartographieren, sondern von dem Eingang der Privatgemächer zum Lesezimmer der Königin finden und dort den korrekten Einband aus einem Tresor ziehen“, sagte Gabriel genervt, als solle sie lediglich beim Nachbarn mal eben eine Tasse Zucker schnorren gehen.      „Nur anhand der Erzählungen von Sir Rennoc.“      „Korrekt.“      „Heute Nacht?“      „Korrekt.“      „Also spaziere ich gleich in seine Bibliothek“, „Auf die Krankenstation“, „Auf die Krankenstation und er erzählt mir eine kleine Geschichte. Die merk ich mir dann, mit meinem ach so tollen Gedächtnis und meiner blühenden Phantasie und führe heute Nacht eine Horde von deinen Sicherheitsleuten“, „Eine Handvoll, der Rest ist draußen stationiert“, „Eine Handvoll in die Privatgemächer von Gottes Gnaden, Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth?“      „Korrekt“, Luciana starrte ihren Paten über den Schreibtisch hinweg ungläubig an. „Du hast ‚Verteidigerin des Glaubens‘ vergessen, allerdings, den Part fand ich schon immer äußerst fragwürdig. Und vierzehn weitere Titel, aber das sehe ich dir nach.“      Wieder Stille, in der sie Gabriel durchdringend und mit geschürzten Lippen anschaute.      „Okay“, sagte sie dann, nach einer gefühlten Ewigkeit.      Gabriel klatschte sich einmal triumphierend in die Hände und sprang darauf sofort auf.      „Hoch mit dir und Beeilung, im Konferenzraum wartet der Rest schon seit“, er schaute auf die Glashütte-Armbanduhr an seinem linken Handgelenk, „zwölf Minuten für die Missionsbesprechung.“    Der Eingang (einer davon) zum Konferenzraum befand sich gleich in Gabriels Arbeitszimmer zu ihrer Linken und bestand aus einer doppelwandigen Stahltür, die ihr Pate schwungvoll für sie aufstieß. Der Raum dahinter war besser als Saal zu beschreiben (zumindest was seine Größe anbelangte), in dessen Mitte ein gigantischer Konferenztisch aus poliertem Wurzelholz stand. An den langen Seiten des Tisches standen rechts und links jeweils zehn Lederbürostühle (die eigentlich wie Sessel aussahen, nur, dass sie einen Fuß hatten und somit drehbar waren), in denen, zu den üblichen UOWV internen Konferenzen, die zwanzig gewählten Mitglieder des Vorstands der Seite der Werwölfe und der Vampire saßen. Vor Kopf, ganz am Ende des Raums, standen drei Stühle, die gerade alle nicht besetzt waren. Direkt neben den vier Türen des Saals waren je zwei Wachen in haargenau gleich aussehenden, schwarzen Anzügen, postiert, die sich allesamt kerzengerade hielten und mit ihrer Bewegungslosigkeit auch als Schaufensterpuppen durchgegangen wären (ganz besonders muskelbepackte, finster blickende Schaufensterpuppen, mit automatischen Handfeuerwaffen unter dem Sakko und Sonnenbrillen auf den Nasen). Übrigens gab es diese Wachen nur innerhalb dieser vier Wände – niemand machte sich Sorgen darum, jemand könnte gewaltsam in diesen Raum eindringen. Die Herrschaften waren bei jeder Sitzung anwesend, damit niemand auf die Idee kam, spontan das Weite zu suchen.       An diesem Morgen konnte Luciana nur fünf Leute auf der rechten und sechs auf der linken Seite des Konferenztisches ausmachen und – Na wer hätte das kommen sehen; selbstverständlich gehörte Professor Snape (heute in seiner üblichen, vollen Hogwarts-Prüderie-Montur) zu diesem Personenkreis und er sah alles andere als glücklich aus, dieser kleinen ‚gemütlichen‘ Runde beiwohnen zu dürfen. Sein Rücken hielt er heute noch eine Spur kerziger (dabei hatte er schon standartmäßig einen akkurat geraden Besenstil im äußerst lecker anzusehenden Hinterteil stecken) und sein Blick zuckte immer wieder zu den Wachposten, deren Anwesenheit ihm gar nicht zu schmecken schien. Wahrscheinlich war das auch der Grund, wieso er Luciana erst bemerkte, nachdem sie den Platz ihm gegenüber eingenommen hatte. Jetzt wich sein etwas angespannter Beobachtungsblick einem verwirrten.      „Was macht Miss Bradley hier?“, sagte er unvermittelt an Gabriel gewandt, der es sich gerade auf seinem Chefsessel vor Kopf bequem gemacht hatte.      „Sir Rennoc ist verhindert, Mr Snape, deshalb übernimmt meine Patentochter seinen Part in der Mission.“      Snapes Kopf zuckte wieder Richtung Luciana und anscheinend war er einen kurzen Moment wohl mit der Frage überfordert, bei welchem Thema er wohl zuerst nachhaken sollte. Oder ein Fass aufmachen konnte; wie man es auch immer betrachten wollte.      „Sir Rennoc ‚ist zäh‘“, zitierte Luciana Gabriel und deutete in der Luft mit den Fingern Anführungszeichen an, „oder mit anderen Worten: er wird es überleben. Mehr bekomm ich aus Gabriel auch nicht raus.“ Damit hatte sie Snape wenigstens den einen Teil der Fragerei erspart. Trotzdem sah er in keiner Weise auch nur eine Spur zufriedener aus. Im Gegenteil.      „Sir Rennoc fällt aus und da kommt Ihnen als Ersatz für seine Rolle in dieser, äußerst heiklen Mission, Ihre Patentochter in den Sinn“, spottete Snape auch schon drauf los und die meisten der Anwesenden (bestehend aus Xaong, Wire, Matthews aus der Sicherheitsabteilung und einige andere Männer und Frauen, die Luciana nur vom Sehen her kannte) wandten sich entweder mit ihrer Aufmerksamkeit den Akten vor ihnen auf den Plätzen zu oder versuchten auf eine andere Art sich die Zeit zu vertreiben (zum Bespiel Jojo spielen, wie Wire es tat).      „Stellen Sie etwa meine Kompetenz in Frage, Mr Snape?“      „Er stellt meine Kompetenz in Frage“, sagte Luciana, was von Snape einfach übergangen wurde.      „Sie ist noch ein K-„, Luciana zog beide Augenbrauen in die Höhe – der Schnitzer schien ihrem Tränkeprofessor allerdings selbst aufgefallen zu sein, daher korrigierte er sich augenblicklich, ohne auch nur einen Moment aus dem Konzept zu geraten, „sie ist noch zu unerfahren! Wir sprechen hier von einem Hochsicherheitsgebäude, tödliche Magiemechanismen, aberhunderte Sicherheitsleute. Diese Mission ist schon für einen erfahrenen Zauberer eine Herausforderung, Miss Bradley ist eine Schülerin! Die Operation ist zu bedeutend, das müssen selbst Sie einsehen, Steinhardt!“      „Der Krieg ist bedeutend“, entgegnete Gabriel trocken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Besser sie lernt es früh als zu spät.      Oha, da bekam Snape gleich ein paar rote Flecken im Gesicht – plus mordrigen Blick und der war gar nicht so einfach aus ihm heraus zu kitzeln, Luciana konnte da aus Erfahrung sprechen.      „Ich sehe es nicht ein, diese Mission zu gefährden, nur weil Sie der Meinung sind, ich müsse zusätzlich den Part des Babysitters übernehmen!“      „Erstens“, knurrte Gabriel mit gefährlich blitzenden Augen und lehnte sich ein Stück nach vorne, beide Ellbogen auf der Tischplatte abstützend und viel zu schnell, als dass Luciana selbst empört etwas hätte einwerfen können, „lasse ich mir von Ihnen nicht unterstellen zu unfähig zu sein, um Risiken einer Mission abzuschätzen, die ich mit entworfen habe und zweitens“, damit schnalzte er in einer kurzen Unterbrechung mit der Zunge, „hat niemand etwas davon gesagt es würde Ihre Aufgabe sein, auf meine Patentochter acht zu geben. Drittens steht es Ihnen zu jeder Zeit frei diese Mission abzulehnen.“ Snapes Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Nasenflügel bebten und er schien, wie Luciana, ganz genau zu wissen, dass dies einen Haken haben musste. „Allerdings erklären Sie dann Professor Dumbledore und dem Rest Ihres kleinen Ordens, wieso wir uns doch für die Ausführung von Plan B entscheiden mussten, den sie doch alle so vehement abgelehnt haben.“      Was auch immer ‚Plan B‘ heißen mochte, die Aussicht auf genau diesen ließ Snape verstummen, auch wenn er gerade dabei war, Späne aus seiner Kauleiste zu produzieren, zumindest laut seiner heftig arbeitenden Kiefermuskulatur.   Nachdem Snape und ihr Pate ihren kleinen Machtkampf ausgetragen hatten, waren die Unterlagen aus den Akten geholt und die Pläne, höchst anschaulich, anhand eines Overheadprojektors, auf der großen Leinwand hinter den Chefsesseln, besprochen worden. Die Operation hörte sich simpel und vor allem sehr schnell durchführbar an, allerdings war die Besprechung des Sicherungstrupps unter ‚Ausschluss von Fremdpersonen‘ (Snape) am Vorabend erfolgt und somit hatte weder der Professor noch sie den blassesten Schimmer, wie genau das Arial um den Palast ‚gecleared‘ werden sollte. Laut Gabriel war dies aber auch nicht ihre Sorge und sie hätten sich ‚ausschließlich auf die eigenen Aufgaben zu konzentrieren‘. Am Ende der Sitzung hatte Snape so ausgesehen, als würde ihn lediglich der Gedanke an die acht Sicherungskräfte im Raum davon abhalten, ihrem Paten, mit einem Hechtsprung über den Tisch, an die Gurgel zu gehen und na ja … bei der Abfälligkeit, mit der Snape von Gabriel behandelt worden war, konnte man ihm dies kaum verübeln.      In den Mittagsstunden erledigte Luciana den anstehenden Besuch auf der Krankenstation. Sir Rennoc sah mit seinem Krankenhausleibchen, der weißen Bettdecke bis zur Brust gezogen und mindestens ein halbes Dutzend Schläuche, die sowohl klare als auch rote Flüssigkeiten in und aus seinen Körper transportierten, noch schlimmer aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Dabei hatte seine ohnehin schon sehr blasse Hautfarbe, etwas Pergament ähnliches angenommen. Während ihres Gesprächs versuchte sie so wenig wie möglich auf die deutlich sichtbaren, pulsierenden Venen unter seiner Haut zu achten, was ihr leider nur die Hälfte der Zeit gelingen wollte.      Sie verbrachte fast zwei Stunden an dem Krankenbett, mit den Füßen (minus Schuhe, in manchen Dingen war sie dann doch wohlerzogen) auf dem Ende der Matratze abgelegt und die meiste Zeit mit geschlossenen Augen. So war es wesentlich einfacher ihren ‚blühenden Phantasie‘-Motor anzuschmeißen und im Geiste die vielen, verschiedenen Korridore, verborgenen Türen und Räume zu durchschreiten. Immer wieder unterbrach sie Rennocs Erzählungen durch kleine Fragen, welche Farbe die Zierleisten der Wandvertäfelungen hatten oder aus welchem Holz das eine oder andere Möbelstück gefertigt war. Gerade bei der Erläuterung des Gemäldes, hinter dem sich der gesuchte Tresor befinden sollte, hakte sie bis ins kleinste Detail nach. Erst, als sich ein klares Bild in ihrem Kopf geformt hatte, trat sie den Rückweg in ihr Zimmer an (Rennoc versprach ihr zum Abschied, so schnell wie möglich die Übersetzungen der Ordensprotokolle anzufertigen, sobald er in der Lage sein würde, länger als fünf Minuten am Stück einen Stift halten zu können).    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*      Den Nachmittag für ein paar Stunden vorgezogene Nachtruhe zu verwenden, hatte sich nach einer geschlagenen Stunde des Hin- und Her Wälzens als nicht durchführbar ergeben. Natürlich wäre Luciana die Operation gerne frisch und ausgeruht angegangen, jedoch wollte sich die Aufregung in ihrem Bauch einfach nicht legen – zudem spazierte sie jedes Mal, sobald sie die Augen schloss, imaginäre Flure der Royal-Privatgemächer entlang und bevor sie durch lauter im Geiste Umherirren noch am Ende, wenn es darauf ankam, die zweite Kreuzung links durch rechts verwechseln würde, hatte sie sich letztendlich doch wieder aus den Laken geschält und es sich vor ihrem Rechner gemütlich gemacht. Für diese Entscheidung klopfte sie sich, nebenbei bemerkt, selbst auf die Schulter, da sie seit über einem Jahr nicht in den Genuss gekommen war, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzukommen: Fanfiktions lesen. Allerdings hatte dieses Hobby einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, der sich meist mehr negativ als positiv auswirkte – man hatte nach Rekordzeit nicht nur seine Umgebung ausgeschaltet, sondern die innere Uhr gleich mit und so konnten Stunden und Stunden vergehen, obwohl man selbst am Ende hätte schwören können, man habe sich am Abend gerade erst vor den Lesestoff gesetzt, obwohl einem durch die Fenster schon die ersten Strahlen der Morgensonne höhnisch entgegen winkten.      Ganz so extrem fiel ihre heutige Partie Lieblingspairing-beim-Imkern-bis-der-Honig-fließt-Beschatten nicht aus, gleichwohl das eher der Person zu verdanken war, die Luciana mitten beim Storywechsel unterbrach.      „‘Altersauthentifizierung: Bitte bestätige hiermit, dass du achtzehn Jahre oder älter bist‘“      Snapes Nase war das Erste, was sie aus dem Augenwinkel heraus von ihm zu sehen bekam. Der Herr stand, mit verschränkten Armen hinter den Rücken, mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt und betrachtete stirnrunzelnd die Internetseite auf dem Bildschirm, ganz, als sei es nichts Besonderes, dass er sich hier in Lucianas Zimmer aufhielt und inspizierte, was sie mit ihrer Freizeit anstellte. Ungefragt und ohne vorher an die Tür zu klopfen. Die Situation war derart surreal, dass sie sich nicht einmal über seine plötzliche Anwesenheit erschreckt hatte.      „Was ist das, Miss Bradley?“, fragte Snape dann misstrauisch und schien ihr im Geiste schon alle möglichen, illegalen Aktivitäten anzudichten.      „Fanfiktions“, antwortete Luciana wie automatisch und fragte sich gleichzeitig, ob sie nicht doch gerade eingeschlafen war. Wenn sie denn träumen würde, ja, das Thema kam schon öfter.      „Fanfiktions?“ Snapes Blick hing noch immer gebannt an der Altersauthentifizierung und es schien ihm sehr zu missfallen, dass der Bildschirm gerade nicht mehr Informationen Preis gab.      „Fanfiktion oder Fangeschichte bezeichnet Werke, die von Fans eines literarischen oder trivialliterarischen Originalwerkes aus Film, Serie oder Bücher geschrieben werden, welche die Protagonisten dieses Werkes oder Originalcharaktere des Fanfiktion-Autors in einer neuen, fortgeführten oder alternativen Handlung darstellen.“        „Werke, für die eine Altersfreigabe von Nöten ist?“ Damit richtete er sich wieder auf und betrachtete sie, aus seiner nun erhöhten Position, im wortwörtlichen Sinne von oben herab.      „Bei NC-17 Stories, ja.“ Sie führte hier nicht gerade ernsthaft ein Aufklärungsgespräch mit Professor Snape über ein Urban-Internetphänomen?      „NC-17?“, schnarrte er und sein Blick verriet, dass seine Toleranzspanne des Nachhakens langsam zum Ende kam.      „Ja, das ist die Kategorie der Geschichten, die durch ausfallende Wortwahl, inhaltliche Gewalt oder detailliert beschriebene Geschlechtsaktvollziehung“, dieses Wort hatte sie ganz besonders betont ausgesprochen und Snapes Blick war jede noch so angestrengte Bemühung ihr Pokerface aufrecht zu erhalten, wert gewesen, „nicht für zu junge Leser bestimmt sind. Sehen Sie hier, Sir“, sagte Luciana und öffnete mit einem Klick den Link zu der FAQ über die Altersbestimmungen. Und wieder beugte sich Snape ein paar Etagen tiefer, sein Kopf war so nah an ihrem, dass sie einen Luftschwung ‚au-de-Tränkemeister‘ abbekam – was sie schwer schlucken ließ, denn auf sie wirkte dieser Misch aus jahrtausendealtem Mauerwerk, getrockneten Kräutern und Mann mittlerweile wie Lockstoff in seiner Reinform.      „Was bedeutet Lemon?“ Und mit dieser Frage richtete er sich wieder auf, der Lockstoff verschwand mit ihm. Gut, denn die Uhr, rechts unten an ihrem Bildschirm, hatte ihr soeben verraten, dass sie lediglich eine halbe Stunde bis zum Beginn der Operation hatten und die Fahrstuhlfahrt in die Garagenebene würde, inklusive Fußweg, eine Viertelstunde beanspruchen. Und fünfzehn Minuten würde sie alleine brauchen, um die scheinbar aberhundert Knöpfe an Snapes Roben zu öffnen.      „Na ja …“, sagte sie ein paar Sekunden später und nachdem sie mit wüsten Beschimpfungen von Miss Vernünftig aus dem Sex-Arial ihrer Gedankenwelt geschmissen worden war, „bei dem Beispiel, die diese Seite hier angibt, wäre das eine wohl beschriebene Zusammenführung von Krycek und Mulder.“      „Mu- wer?“      „Ehm … wenn diese Realität hier eine Fernsehserie wäre – Sie wissen, was eine Fernsehserie ist?“ Snape schnalzte abfällig mit seiner Zunge und spießte Luciana mit seinem ‚ernsthaft??‘-Blick auf. „Also wir nehmen an, diese Realität ist eine Fernsehserie und ein paar Zuschauer, die diese ganz besonders gerne mögen, schreiben Fanfiktions darüber, dann gäbe es Lemon Konstellationen wie GS/JJ, zum Beispiel.“      „GS/JJ.“      „Gabriel und Johnny, zum Beispiel.“ Snape verzog sein Gesicht.      „Und es heißt Lemon, wegen der Parallele zum Gesichtsausdruck, den man sowohl beim Essen dieser Zitrusfrucht, als auch beim Lesen macht“, bemerkte Snape spitzt und Luciana musste schallend anfangen zu lachen. Wer behauptete doch gleich immer, der Kerl hätte keinen Humor? Nun ja, besonders amüsiert sah er allerdings nicht aus.      „Oder SS/SB“, sagte sie dann, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Snapes rechte Augenbraue wanderte nach oben, doch es dauerte nicht lange, bis sich sein Gesicht mit einem Schlag verfinsterte. Wie Luciana wieder und wieder feststellen musste, hatte der Professor wirklich eine erstaunlich schnelle Auffassungsgabe. Auf die er in diesem Moment sicher gerne verzichtet hätte.      „Oder SS/RL.“      „Ihr Pate hat mich gebeten“, überging Snape ihren Kommentar, auch wenn sich sein Blick noch weiter verfinstert hatte, „Sie daran zu erinnern, dass wir uns in fünfundzwanzig Minuten in der Minus elf Ebene einzufinden haben.“      „Mh, aber wie ich Fandoms so einschätze, wäre SS/HP der absolute Renner!“      Und plötzlich sah sie nur noch das Umhang-Ungetüm von Hinten, ein paar Sekunden später war er durch ihre Tür gerauscht.      „Hey, ich habe Ihnen doch noch gar nicht erklärt was eine Mary Sue ist!“   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Sie waren umzingelt. Snape stand stocksteif neben ihr, dabei hatte er derart wenig Platz zu seinen Seiten, dass seine Robe Lucianas Cardigan streifte. Schon als sich die Aufzugstüren geöffnet hatten (der Professor hatte im Flur vor der Wohnung auf sie gewartet, wohl mehr aus Unwissen, wie er zum Ziel gelangen sollte, als aus reiner Höflichkeit – in der Aufzugskabine selbst hatte er sich vor lauter entrüstetem Schnauben ob der Kommentare auf den violetten ‚Sicherheitshinweis‘ Zetteln kaum mehr eingekriegt), waren ihm die Gesichtszüge entglitten und zwar derart endgültig, dass selbst sein Mund aufgestanden hatte. In der Garagenebene, die die ungefähre Grundfläche von drei Fußballfeldern hatte, reihten sich aber Dutzende, wenn nicht einhundert, Londoner Caps der Bauart LTI Fairway Austin FX3 aneinander (Dank einer regelmäßigen Bettgeschichte von vor zwei Jahren, war Luciana so etwas wie ein Semi-Experte in Sachen Oldtimer und welche sich am besten dazu eigneten, die eine oder andere zweisame Stunde darin zu verbringen – dieser, äußerst aufwändige Kink, war übrigens auch der Grund gewesen, wieso sie die Sache beendet hatte). Dazwischen waren immer wieder ein paar Armeefahrzeuge aufgestellt, die ihrem Aussehen nach eher in ein Museum für Kriegsgeschichte, als in die Vorbereitung einer ‚bedeutsamen Mission‘ gehörten.      Der übrige Raum war angefüllt mit hunderten von Menschen, von denen der Großteil mit vollkommen schwarzer Funktionskleidung mit Schusssicheren Westen, Springerstiefeln und Mützen auf den Köpfen ausgestattet waren, die man mit einer Bewegung in eine Sturmmaske umfunktionieren konnte. Ach ja, und sie trugen allesamt Gewehre auf den Rücken (nein, einige hatten anstatt dieser Rucksäcke umgeschnallt) und Handschuhe mit freien Fingern; ausgenommen Wire und Xaong, die sich für schlichte, dunkle Zivilkleidung entschieden hatten und bei Gabriel an einem der Fahrzeuge, in der Nähe des Fahrstuhls, standen.      Und genau dort, zwischen ihrem Paten, Wire und Xaong, hatten sich Luciana und Snape einen Quadratmeter Platz gesucht, während sie der Ausführung von Gabriel lauschten.      „W47“, bei Operationen pflegte die UOWV dem Großteil der Beteiligten Nummern zuzuordnen, das hatte irgendetwas mit Datenschutz zu tun – was Luciana auch gleich geflüstert an Snape weitergab, da dieser einen verwirrten Eindruck gemacht hatte, „fährt sie alle zur Startposition. Sie werden sich ohne ihn aus dem Fahrzeug begeben, unauffällig, wie jeder weitere Tourist in der Großstadt“, Luciana bezweifelte, dass es um diese Uhrzeit (es war ein Uhr dreißig) noch Touristen auf die Straßen zog, „zu den Toren des Palastes begeben und dort, ich betone es nochmal, unauffällig auf das Signal warten. Den restlichen Ablauf haben wir gründlich besprochen. Und bedenken Sie alle dabei, dass Sie ihr Fahrzeug auf dem Rückweg erst am Shepherd Market wieder finden werden. Irgendwelche Fragen?“        Snape schien eine ganze Menge Fragen auf der Zunge zu haben, hielt sich aber geschlossen. W47, ein dunkelhäutiger Mann mit dem Aussehen eines Bilderbuchsöldners, zog die Tür des Austin FX3 auf, der zu seiner Linken stand.      „Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg“, schloss Gabriel, klopfte Luciana im Vorbeigehen auf die Schulter und mischte sich unter die Gruppierung der Sicherheitsmannschaft.      Snape und sie ergatterten die beiden Sitzplätze, die in Fahrtrichtung positioniert waren, Wire und Xaong nahmen ihnen gegenüber Platz. Ihr Fahrer hatte es sich unterdessen schon im Vorderhäuschen des Oldtimers gemütlich gemacht und warf den Motor an, sobald sich alle Türen geschlossen hatten. Während alle Beteiligten in der Garage den Eindruck von vollkommener Normalität machten, war Snape der Einzige, der sich, bemüht unauffällig, zu fragen schien, was zur Hölle hier vor sich ging. Zu allen Seiten hatten sich die Leute in ihre Fahrzeuge begeben, aber Dutzende von Motoren heulten in der Halle auf – die Einzige Person, die noch in der Halle stand, war ihr Pate, der gerade auf dem Feld einer Pin-Code-Eingabe an der Wand herumtippte. Augenblicklich, nachdem er die letzte Taste gedrückt hatte, schoss im gesamten Saal aus in den Wandleisten eingelassenen Öffnungen meterhohes Feuer, welches mit seinen charakteristisch grünen Flammen nur eins bedeuten konnte.      „Beim Barte des-„, entwich es Snape und schon fuhren sie, aus der ersten Reihe bestehend, direkt auf das Feuer zu.      Im nächsten Moment brausten sie durch die Wand eines verlassenen Parkhauses, neben und hinter ihnen schon weitere Fahrzeuge aus dem Bunker im Schlepptau.      „Ich nehme an, Gabriel hat Ihnen nicht gesagt, wie wir zum Palast kommen?“ Snape antwortete darauf nur mit einem Geräusch, was man mit viel Phantasie als Knurrlaut bezeichnen konnte.      „Die Kamine wurden das letzte Mal im ersten Krieg gegen Vo-„, scharfer Blick von dem Professor, „den Schwarzen Führer“, Augenrollen, „eingesetzt, seitdem waren sie stillgelegt. Gabriel hat sie wohl eigens für diese Mission wieder in Betrieb genommen.“      „Ein wirklich beruhigender Gedanke, dass ausgerechnet ihr Pate in der Lage ist, ganz Großbritannien zu invadieren“, kommentierte Snape mit einer Spur zu viel Sarkasmus.      „Woll’n wir den Fahrer nicht nötigen ein bissl Musik aufzulegen?“, fragte Wire plötzlich in die Runde.      „Nein“, kam es von den restlichen drei Insassen im Chor, wie aus der Pistole geschossen (plus Fahrer, der anscheinend durch die geschlossene Glasscheibe jedes Wort verstehen konnte). Wire zog sich darauf, mit Schmollmund, zurück in seinen Sitz.      An der nächsten Kreuzung trennte sich die Kolonne der Caps und Armeefahrzeuge, kurz bevor sie in den inneren Kreis der Stadt fuhren. Die Fahrzeuge bogen in alle möglichen Himmelsrichtungen ab und danach waren sie allein auf der Straße; von den paar Nachtschwärmern auf den Bürgersteigen und den wenigen Taxis, die nicht zu ihnen gehörten, einmal abgesehen.      Einen Moment ehe sie sich der Constitution Hill näherten, die zum Startpunkt ihrer Mission führte, kramte Xaong plötzlich wild in ihrem riesenhaften (an der zierlichen Dame sah eigentlich alles riesig aus) Rucksack herum und zog dann vier Brillen heraus, die sie gleich an alle Insassen verteilte.      „Diese setzen Sie auf, sobald die Mission beginnt. Ein Uhr und keine Sekunde früher.“ Luciana nahm die unscheinbare Brille mit schwarzen Kunststoffgestell näher in Augenschein, hob sie an ihr Gesicht, um einmal hindurch zu sehen- „Ein Uhr“, wiederholte Xaong mit scharfem Befehlstonfall, den Luciana bisher noch nie von ihr gehört hatte. Demnach ließ sie die Brille in eine ihrer Taschen verschwinden. Nur Wire ließ es sich selbstverständlich nicht nehmen, das Teil auf seinem Kopf zu drapieren.   *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*   Die Statue von Königin Victoria wirkte bei Nacht noch eine Spur größer und prunkvoller. Mehrere Scheinwerfer waren auf das Denkmal gerichtet und tatsächlich tummelten sich zu dieser späten Stunde noch mehr Touristen vor dem Palast, als sie angenommen hatte. Das schien die anderen im Auto jedoch weniger zu beunruhigen und so verbannte auch Luciana den Gedanken aus ihrem Kopf. Gleich nachdem sie aus dem Taxi ausgestiegen waren und dieses mit voller Fahrtgeschwindigkeit wieder in die Richtung verschwunden war, aus der sie gekommen waren, hatte sie sowieso mehr damit zu tun, sich an alle Details der Wegbeschreibung von Sir Rennoc zu erinnern. Daher war sie auch nicht sonderlich traurig um die Tatsache, dass sie nun schon seit etlichen Minuten tatenlos vor dem Eingangstor des Vorhofes standen. Allerdings schien Snape gar nicht angetan von dem vielen Nichtstun, zumal er in seinen schwarzen Roben (minus Umhang, den hatte mit dem Wink seines Zauberstabs noch während der Fahrt im Aufzug verkleinert und sich in die Hosentasche gesteckt) ein wenig aus der kleinen Menge herausstach.      Wire wippte unterdessen gut gelaunt auf seinen Füßen hin und her und summte seit einer geschlagenen Ewigkeit TNT von AC/DC (Luciana liebte den Song, aber wenn der Affe da vor ihr so weiter machte, war auch das Geschichte), während er in regelmäßigen Abständen auf seine Armbanduhr sah. Auch Snapes Geduldsfaden schien langsam, aber gründlich, an sein Ende zu kommen und anstatt Wire zu ignorieren, wie er es offenbar die ganze Zeit über vorgezogen hatte, fixierte er ihn nun mit scharfem Blick. Und gerade, als er zum Sprechen (oder eher Anschnauzen) ansetzen wollte, schaute Wire wieder auf die Uhr, doch dieses Mal nahm er sie nicht wieder aus seinem Blickfeld. Schlimmer noch; mit höchst freudigem Grinsen visierte er Snape an und zählte mit seltsam, vor Vorfreude aufblitzenden Augen herunter:      „Drei, zwei, eins … `Cause I’m EMP.“      Die Druckwelle erfasste die Umgebung mit einem Schlag – sie war so deutlich zu spüren, dass Lucianas Cardigan in ihren Ausläufern flatterte und von einer Sekunde zur nächsten standen Sie in vollkommener Dunkelheit.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)