the world outside von Futuhiro (Magister Magicae 9) ================================================================================ Kapitel 17: Gast ---------------- „Hi, Ma'am.“, grüßte Hedda mit flauem Magen ins Handy. „Hedda-Schatz! Das ich das noch erleben darf, daß du dich mal freiwillig meldest! Erzähl, Kind, wie geht es dir?“, quasselte ihre Mutter begeistert los. „Wir denken oft an dich, weißt du? Deine Vorlesungen sind bestimmt sehr anstrengend!“ Hedda ließ mit einem innerlichen Seufzen den Kopf hängen, sagte nichts dazu und ließ ihre Mutter einfach fertigschnattern. So schnell würde sie nicht zu Wort kommen, das war sie schon gewohnt. „Kümmerst du dich auch gut um dein Katerchen? Ich vermisse ihn so! Du bist ja auch in den Semesterferien nicht nach Hause gekommen, da konnte ich ihn nichtmal knuddeln. Dein Vater und ich überlegen schon, ob wir einfach mal in den Zug steigen und dich besuchen kommen! Das wäre so aufregend!“ Hedda drehte sich der Magen um. Gott, nein, bloß nicht! „Äh, hör mal ...“, fiel sie ihrer Mutter also ins Wort. „Ich wollte dir sagen, daß ich ein paar Tage nicht erreichbar bin. Wir fahren nach Schottland. Ich weiß nicht, wie ich dort Handynetz habe.“ Verblüfftes Schweigen. „Schottland?“, kam dann die ungläubige Rückfrage. „Was tust du denn in Schottland?“ „Wir ... wir machen eine Exkursion. Von der Uni aus.“, sponn sich das blonde Mädchen schnell etwas zusammen. „Dort gibt es ... ähm ... ein Mechanik-Museum!“ „Tatsächlich? Hab ich ja noch nie gehört. In welcher Stadt denn!?“ Hedda kam ins Schwitzen. Sie kannte ihre Mutter. Sicher würde die das im Internet nachprüfen, sobald sie aufgelegt hatte. „Ich weiß nicht. Irgend so ein kleines Dorf, ich hab mir den Namen nicht gemerkt. Aber das Museum soll eines der besten der Welt sein. Ich bin schon ganz heiß drauf.“ „Hedda!?“, hakte ihre Mutter drohend nach. „Du hängst doch nicht immer noch mit diesem Magie-Studenten herum, oder? Hast du nicht erzählt, der wäre aus Schottland?“ „Der ist von den Orkney-Inseln. Und nein, ich hänge nicht ...“ „Die Orkney-Inseln SIND Schottland!“, empörte sich ihre Mutter. Sie würde sich nicht für dumm verkaufen lassen. „Ach, Ma'am! Ich ...“ Von dem folgenden Donnerwetter bekam Hedda bloß noch die Hälfte mit. Weil sie auch gar kein Interesse daran hatte, diesem Gespreißel weiter zuzuhören. Wenn ihre Mutter nicht vernünftig mit sich reden lassen wollte und ihr ohnehin kein Wort glaubte, waren sowieso alle weiteren Gespräche aussichtslos. Ihre Mitteilung, daß sie für ein paar Tage ins Ausland gehen würde, hatte sie abgeliefert, damit sah sie ihre Pflicht als erfüllt. Irgendwann mitten in der Schimpfkanonade legte sie genervt auf. Pfeif drauf, wenn sie eh nicht zu Wort kam. Sie schaltete ihr Handy aus, um zu vermeiden, daß ihre Mutter gleich nochmal stinksauer zurückrief. Dann wandte sie sich der großen Glasscheibe zu, durch die man auf die Start- und Landebahnen sehen konnte. Sie befand sich bereits auf dem Flughafen. Sie war noch nie geflogen und war entsprechend aufgeregt. Man durfte sich einfach nicht vorstellen, daß im Falle eines Absturzes unter einem ein paar Kilometer pures Nichts waren, bevor man auf den Boden auftitschte. Die knapp 2 Stunden Flug würde sie schon irgendwie überleben. Der Wahnsinn, daß sie tatsächlich noch für den gleichen Tag Flugtickets bekommen hatten. Safall neben ihr schloss gerade sein Check-In ab und schenkte ihr dann ein aufmunterndes Lächeln, um zu signalisieren, daß sie weiter konnten. Urnue war schon durch die Schranke und wartete auf sie. Er würde sie auf dem Flug begleiten. Akomowarov und Safalls Schwester nicht. Die waren bereits vorausgereist und würden sie am Flughafen in Schottland erwarten. Keine Ahnung, warum Akomowarov das Reisen per Flugzeug scheute. Safall vermutete ja gehässigerweise, daß er so gesucht war, daß man ihn sofort einkassieren würde, wenn er an irgendeiner Grenzkontrolle auftauchte, oder daß er erst gar keine gültige Identifikation besaß. Jedenfalls hatte er ihn keinen Armreif tragen sehen. Sewill hatte darauf beharrt, mit Akomowarov zu fliegen, also hatte Safall sie gezwungenermaßen gehen lassen müssen. Der Flug verlief ruhig und ziemlich ereignislos. Da Urnue sich verbissen weigerte, über Akomowarov irgendetwas zu erzählen, und seien es auch nur die banalsten, unbedeutendsten Dinge, quatschte Hedda mit ihm über komplett belangloses. Etwa über mögliche Sehenswürdigkeiten in Schottland, nur für den Fall, daß sie vielleicht ein paar Tage länger blieben. Urnue wusste auch nicht, was Akomowarov in Schottland zu finden hoffte, störte sich aber nicht daran. Er schien nicht der Typ zu sein, der den Magister Artificiosus Magicae in Frage stellte. Über Edinburgh mussten sie noch eine Weile kreisen, da sie zu früh eingetroffen waren und noch keine Landeerlaubnis bekamen, und dann waren sie auch schon da. Das ging erstaunlich schnell, dachte Hedda fasziniert. Ans Fliegen konnte man sich gewöhnen. In der Wartehalle trafen sie wie versprochen Sewill und Akomowarov wieder. Sewill lag quer auf einer Bank, mit dem Kopf auf einer Tasche, und schlief. Auch wenn sie die ganze Zeit getragen worden war, hatte die Reise sie bereits mehr als genug angestrengt. Professor Akomowarov saß neben ihr und versteckte sich hinter einer aufgeschlagenen Tageszeitung, um nicht allzu sehr aufzufallen. Sein Gesicht war zwar nicht weltbekannt, aber die, die ein berechtigtes Interesse an ihm hatten, kannten es mit Sicherheit. Als er Urnue bemerkte, nickte er ihm grüßend zu, faltete die Zeitung wieder zusammen und erhob sich schwerfällig von seinem Sitzplatz. „wse w poradke?“ „da.“, gab Urnue zurück. Akomowarov nickte erneut und wandte sich dann Safall zu. „Willkommen zurück. Irgendwas passiert, auf dem Flug?“ Safall war etwas verwirrt von der Tatsache, daß Akomowarov und Urnue untereinander offenbar Russisch sprachen. Das kam ihm geheimniskrämerisch vor. Er wollte gefälligst verstehen, was in seiner Gegenwart gesprochen wurde. Er war immer noch zu beschäftigt damit, zu ergründen, was die Frage wohl bedeutet haben mochte. Sowas wie 'Alles in Ordnung?' möglicherweise. „Nein, wir hatten einen sehr ruhigen Flug.“, antwortete Hedda also an seiner Stelle, da Safall selbst nicht reagierte. Akomowarov deutete grinsend auf Safalls langen Ledermantel. „Du siehst aus wie ein Fan und Nachahmer von mir. Wenn dir das mal nicht noch Ärger einhandelt! Lasst uns irgendwo was essen und dann reisen wir weiter.“, ordnete er an und wandte sich zum Gehen. „Safall, willst du deine Schwester tragen?“ „Genau, bist doch ein kräftiger Bursche!“, stimmte auch Urnue mit ein. „Natürlich werde ich sie tragen.“, stellte der Selkie in einem leicht feindseligen Tonfall klar, der schwer danach klang, als würde er seine Schwester keine Minute länger in der Obhut dieses dubiosen Kerls lassen. Hedda kicherte leise. „Naja, Professor Akomowarov hat sie ja jetzt lange genug getragen. Jetzt kann mal jemand anders.“, fand sie belustigt. Es amüsierte sie, daß Safall so tat, als sei Akomowarov dem schneeweißen Mädchen zu nahe gekommen. Er war wohl eifersüchtig, wenn es um seine Schwester ging. Oder einfach nur sauer über den Ledermantel-Kommentar. Als sie sich endlich bis zu Safalls Elternhaus draußen auf den Inseln durchgeschlagen hatten, war es bereits dunkel. Das bedeutete, sie würden heute keine anonymen Gräber an irgendwelchen Stränden mehr suchen. Das Haus war ein klassisches Cottage, eine Hütte aus ungleichmäßigen, unterschiedlich großen Natursteinen und grobem Holzbretterdach, weit draußen, abseits jeglicher Zivilisation. Es stand so nah an der Küste, daß man vom Fenster aus auf das Meer schauen konnte. Als Selkies hielten sie sich ohnehin so viel es ging im Meer auf – wenn sie nicht gerade in einer Universität in Düsseldorf festhingen. Ein korpulenter Mann mit Bart empfing sie bereits ein gutes Stück vor der Hütte mit einer Laterne und geleitete sie die letzten paar Meter des Weges mit Licht. Er sah selbst in der Dunkelheit so aus, wie man sich einen rauen Seebären vorstellte. Hätte man ihm einen Dreiecks-Hut auf den Kopf gedrückt, wäre er sofort als Piratenkapitän durchgegangen. Er begrüßte Safall mit nicht mehr als einem fröhlichen Grunzen, nahm ihm Sewill ab und trug sie die letzten paar Meter bis zum Cottage selbst. Schweigend. Da sie in dicke Kleidung eingepackt war, musste er wegen des 'verfluchten Fluches' auch keine große Vorsicht walten lassen. Die Laterne fiel Urnue zu, welcher voran ging, um den unwegsamen Pfad zu beleuchten. Der Mann stellte sich nicht vor und schien auch nicht zu erwarten, daß die Gäste sich ihm vorstellten. Daher konnte Hedda nur mutmaßen, daß er Sewills und Safalls Vater war. In der Hütte knisterte ein gemütliches Kaminfeuer, das hell genug war um den gesamten Raum zu beleuchten – die Hütte hatte nur diesen einen – aber trotzdem brannten auf dem Tisch auch ein paar Öllampen. Elektrischen Strom schien es hier nicht zu geben. Der Wind pfiff durch die Ritzen. Alles in allem sehr ... mittelalterlich. Ja, ein passenderes Wort fiel Hedda dafür nicht ein. Der Seebär legte die schon wieder tief und fest schlafende Sewill auf einem Lager aus Tierfellen ab, fuchtelte den anderen, daß sie sich am Tisch niederlassen sollten, und begann dann mit einem weiteren, tonlosen Brummen, Krüge und Schüsseln aufzutafeln, um seine Gäste zu bewirten. Im Wesentlichen war es Met, Krustenbrot, Käse und getrocknetes Fleisch in Streifen, was er ihnen vorsetzte. Grobe Hausmannskost. Der Tisch und die zwei langen Bänke ohne Rückenlehne waren aus unbehandeltem, rustikalem Holz gezimmert und nicht gerade bequem. Aber Hedda beschwerte sich nicht. Sie bedankte sich nur für das Essen und vermied es darüber hinaus, irgendwelche Fragen zu stellen. Safalls Vater schien so oder so nicht der gesprächigste zu sein. Er kam auch nicht gerade wie ein herzlicher Vater rüber, der sich freute, nach endlosen Monaten endlich seine Kinder wieder zu sehen. Eine Frau im Haus gab es nicht. Hedda fragte sich, was aus Safalls Mutter geworden war. Ob er eine hatte? Beziehungsweise ob er noch eine hatte? Eine Weile aßen sie stumm und unter den wachsamen Blicken des Hausherrn ihr Abendbrot. Dann holte der Alte doch plötzlich Luft, um etwas zu sagen. Hedda hatte schon fast geglaubt, er könne gar nicht reden. Oder zumindest kein Englisch, so daß er es lieber bleiben ließ. „Verdammisch noch eins. Akomowarov. Hier in meinem Haus. Wer hätte das gedacht!?“, polterte er. Er hatte eine laute, ungehobelte Stimme, aber so dunkel und rau, daß sie schon wieder angenehm war. Akomowarov schmunzelte leicht. „Ich bleibe auch nirgends unerkannt.“, bemerkte er in amüsiert-wehleidigem Tonfall. „Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Bester.“, brummte er. „Ich mag kein Fan von Ihrer Sache sein, und auch kein Gegner. Ich will mich gern aus solchen Dingen raushalten, verstehen Sie mich? Der Ruppert-Edelig-Mord hier bei uns auf den Inseln hat damals große Wellen geschlagen. Es wäre mir ganz lieb, wenn ... naja ... es nicht die Runde macht, daß Sie Gast in meinem Haus sind. Ich glaube, das ist gefährlich.“ „Schon in Ordnung.“, lächelte Akomowarov. Er nahm das mit Humor. Solche Situationen kannte er aus der Vergangenheit zur Genüge. Es war immer und überall ein Eiertanz, wenn er irgendwo zu Gast war. Viele wollten ihn gern unterstützen, wollten aber um Himmels Willen nicht, daß jemand davon erfuhr. Oder sie hatten einfach keine Ahnung, wie sie mit ihm umgehen sollten. „Ich bin lediglich hier, um Ihrer Tochter zu helfen. Das ist alles. Mehr will und werde ich hier nicht tun.“, fügte er mit einem Nicken in die Raumecke an, wo Sewill schlief. „Ich habe keinem gesagt, daß er hier ist.“, warf Safall kleinlaut von der Seite ein und erntete nur ein böses Brummen dafür, das ihn den Kopf einziehen ließ. Sein Vater lehnte sich schwer vornüber auf die raue Tischplatte. „Ich wüsste nicht, wie ich es Ihnen danken sollte, wenn Sie es wirklich fertigbringen, meiner Tochter zu helfen, Akomowarov.“, stellte er fest. „Brauchen Sie nicht. Wenn ich hier unbehelligt wieder weg komme, ist mir das schon Entgegenkommen genug.“ „Und wenn keiner jemals erfährt, daß Sie hier waren, soll mir das Recht sein.“, brummte er zufrieden. Urnue kicherte, als er die dummen Gesichter von Hedda und Safall nicht mehr länger ignorieren konnte, die nur Bahnhof verstanden. „Für gewöhnlich bekommt es den Leuten nicht gut, sich als Freunde von Dragomir auszugeben. Nicht wenige, die ihm geholfen haben, haben deswegen Haus und Hof verloren. Weil sie sich den Zorn von Dragomirs Gegnern zugezogen haben und von denen hopp genommen wurden.“, erklärte er den beiden. „Du meinst, es ist gefährlich, euch beide zu beherbergen?“, hakte Hedda nach. „Schluss damit, ich will das nicht hören. Akomowarov ist mein Gast und so wird er hier auch behandelt.“, grollte Safalls Vater. „Was mich gerade viel mehr stört ...“, meinte er mit vielsagendem Augenblitz auf Hedda. „Sohn, es ist ja nicht so als ob deine Freunde nicht auch meine Freunde wären, aber verrate mir mal, warum du ein menschliches, nicht-magisches Mädchen in mein Haus schleppst!“, herrschte er Safall an und klang dabei alles andere als nach 'Freund'. „Sie ist ... meine Nebengetreue.“ „WAS!?“ Hedda lehnte sich ein wenig zurück, um sich da raus zu halten. Safall hatte seinem Vater also bis heute nicht davon erzählt. Und glücklich war er – logischerweise – auch nicht. Da war sie jetzt aber mal gespannt, wie sich das entwickelte. „Sie hat in einem öffentlichen Streit Partei für mich ergriffen. Das Gesetz verlangt es so. Ich hatte keine Wahl.“, erklärte Safall eindringlich. „Ja bist du denn doof!?“, zeterte sein Vater noch aufgebrachter. „Die ist ein Mensch! Für die gelten die Getreuschafts-Gesetze überhaupt nicht!“ „Ha!“, machte Hedda triumphierend. „Hab ich´s dir nicht die ganze Zeit gesagt!?“ „Du Dummkopf! Was hast du nur gelernt, in all den Jahren!? Und sowas studiert an einer Universität, einfach unglaublich! Sowas ist mein Sohn!“ Er rang theatralisch die Hände zu einem Stoßgebet. Safall ließ den Kopf hängen. Die Debatte, daß seine Schwester Sewill die fähigere der beiden Zwillinge war, musste er sich jetzt schon seit seiner Kindheit anhören. Dabei gab er sich auf der Uni so viel Mühe, um seinem Vater mit seinen guten Noten das Gegenteil zu beweisen. Aber selbst wenn er sein Studium als Jahrgangsbester abschloss, würde ihn das vermutlich auch nicht bekehren. Für seinen Vater war es leicht, zu behaupten, daß Sewill ihn sicher dennoch übertroffen hätte, wenn sie nur gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, selber zu studieren. Es war nicht so, daß er seinen Sohn Safall nicht auch geliebt hätte, aber sein Vater hatte sich immer eine Tochter gewünscht und hatte es auch nie ganz geschafft, das zu verbergen. Seinen Sohn musste man eben nicht so verhätscheln wie seine kleine Prinzessin. „Vater.“, meldete sich eine Stimme aus der Raumecke. „Hör auf damit.“ Sewill war wieder aufgewacht, vermutlich durch die ärgerliche, lautstarke Stimme des Seebären. „Sewill, Kleines!“ Der grobe Haudegen sprang von der Bank auf und eilte zu seiner Tochter hinüber, um zu sehen wie es ihr ging. „Du sollst meinen Bruder nicht so herabwürdigen, das weißt du!“ „Aber er hat sich eine Nebengetreue angeschafft!“, gab der große, bullige Mann mild zurück, plötzlich lammfromm, als sei er seiner Tochter tatsächlich eine gute Erklärung dafür schuldig. „Ja, na und? Wir haben lediglich die alten Gesetze geachtet, wie du es uns gelehrt hast, Vater! Und wir haben trotz intensiver Suche niemanden gefunden, der uns das Gegenteil beweisen konnte. Nichtmal die Kuppelfrau hat widersprochen! Und wir dachten, die müsse es wissen.“, verteidigte Sewill ihren Bruder vehement weiter. „Schon gut, schon gut, ich glaube dir ja, Liebes.“, beschwichtigte er seine Tochter. „Streng dich nicht so sehr damit an, dich aufzuregen. Du hast so schon wenig Kraft. ... Äh ... hier, trink was, mein kleiner Schatz!“, schlug er vor und hechtete los, um den Milchkrug und einen Becher für sie zu holen. Safall verdrehte am Tisch unmerklich die Augen. Vielleicht war es auch gar nicht so schlimm, wenn er nicht das bevorzugte Kind seines Vaters war. Er wollte nicht mit 'Kleiner' oder 'mein lieber Schatz' betitelt werden. „Wir hatten einen langen Tag, wir sollten uns langsam zur Ruhe legen.“, fand er nüchtern und stand vom Tisch auf. Er beschloss, sich schonmal um warmes Wasser zu kümmern, damit sich alle waschen konnten. Fließend Wasser gab hier nicht, sie mussten mit einer Waschschüssel Vorlieb nehmen. Sewill schreckte mitten in der Nacht aus einer Vision hoch. Um sie herum war es nicht mehr gänzlich dunkel. Die Morgendämmerung setzte bereits ganz langsam ein. Der Kamin war schon ausgekühlt und spendete weder Licht noch Wärme. Entsprechend kühl war es inzwischen geworden. Sie ließ ihren Blick irritiert durch das Haus schweifen. Es war so selten, daß sie Visionen im Schlaf hatte, daß sie sich erstmal orientieren musste. Kaum drei Schritte weit weg saß Urnue aufrecht auf dem Boden, an eine Wand gelehnt, und spielte mit zwei Steinchen, die er zwischen seinen Fingern drehte. Akomowarov schlief auf der Seite zusammengerollt, auffallend in seiner Nähe. „He, kannst du nicht schlafen?“, wisperte Sewill in das Halbdunkel, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Urnue schüttelte ruhig den Kopf. Er hatte längst mitbekommen, daß sie munter war. Er war hellwach und konzentriert. „Wenn wir unter fremden Dächern schlafen, hält immer einer von uns Wache.“, gab er leise zurück. „Wir können es uns nicht leisten, im Schlaf überrannt zu werden.“ Sewill nickte verstehend. „Wir sind hier nicht mehr sicher.“ „Ich weiß. Euer Haus wird belauert. Ich habe es schon bemerkt, seit wir einen Fuß auf diese Insel gesetzt haben.“ „Wir haben euch nicht verraten, Urnue.“ Er lächelte. Zumindest glaubte Sewill es im Halbdunkel so deuten zu können. „Nein. Das hätte ich euch auch nicht vorgeworfen.“ Das Mädchen überlegte einen Moment lang, wer davon wissen könnte, daß Akomowarov hier war, und woher. Und welches Interesse derjenige an ihm haben könnte. Ihre Vision war beunruhigend gewesen, auch wenn sie nicht jedes Detail davon in den Wachzustand hatte mitnehmen können. Die Hälfte, an die sie sich noch erinnerte, war schlimm genug gewesen. Wer auch immer da draußen im Schutz der Dunkelheit lauerte, hatte nichts Gutes im Sinn. „Sollten wir gehen?“ Urnue schüttelte den Kopf. „Lass Dragomir schlafen.“ Er spielte weiter mit seinen Kieselsteinchen und behielt den Raum im Auge. In der Dunkelheit hatte es keinen Sinn, fliehen zu wollen. Sie würden weder ihre Verfolger sehen, noch würden sie sehen, wohin sie überhaupt rannten. Sewill schloss die Augen und versuchte ebenfalls noch etwas Schlaf zu finden. Der Gedanke, daß Urnue Bescheid wusste und Wache hielt, war ungemein beruhigend. Sie fühlte sich nicht in Gefahr, solange er da war. Und bestimmt würde er mit seinem Alarm auch nicht erst warten, bis das Haus de facto angegriffen wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)