~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Prolog: Reunion --------------- Das Abschlussjahr der Sei Hanazono Gakuen Jr. High lag ziemlich genau 2 Jahre zurück und das 3. und letzte Jahr der Highschool stand unmittelbar bevor. War das nicht etwas verfrüht für ein Klassentreffen? So oder so ähnlich waren die Gedanken der jungen Leute, die sich an diesem Abend vor einer Karaokebar einfanden, weil ein paar überambitionierte, nostalgische Ex-Kommilitonen es für längst überfällig empfanden, herauszufinden, was aus den ehemaligen Mitschülern geworden war. Es war Ende März; in etwa einer Woche begann das neue Schuljahr, noch hatten sie Ferien. Das Frühjahr begann kalt, von wärmenden Sonnenstrahlen oder Winden war noch nicht viel zu spüren und auch die Obstbäume ließen sich mit ihrer Blüte noch Zeit. Der Winter hatte die Tage noch eindeutig in seiner Gewalt und so waren sie allesamt in dicke Jacken und Mäntel gehüllt und ihr Atem gefror in der kalten Luft zu weißen Schwaden. Natürlich waren nicht alle Schüler des ehemaligen Jahrgangs an diesem Sonntag gekommen, ein Großteil hatte Besseres zu tun oder war im Urlaub mit der Familie. Auch Yosuke Fuma konnte sich eigentlich Angenehmeres vorstellen als das hier, zumal er sowieso nicht auf Karaoke stand. Lieber stünde er jetzt auf dem Fußballplatz und würde ein paar brenzliche Schüsse von seinem Tor abhalten. Stattdessen stand er hier und wartete, bis sich die Organisatoren einfanden. Seine deutlich kleinere Freundin klammerte sich an seinen Arm. Auch sie war mit ihm in die Jr. High gegangen, auch wenn sie erst im letzen Jahr in einer der Parallelklassen dazu gestoßen war. „Yoyo-Maus! Mir ist sooo kalt!“, quengelte sie mit ihrer hohen Stimme und drückte sich dabei noch näher an ihn heran. „Es geht bestimmt gleich los, hab noch etwas Geduld Hiromi.“, versuchte er sie zu trösten. Er tätschelte ihre Hände, die sich in den Stoff seines beigen Mantels gruben und hoffte, dass sie seinen rechten Arm heil lassen würde. Sie waren erst kurz nach dem Abschluss ein Paar geworden und das war nicht zuletzt Hiromis Hartnäckigkeit zu verdanken. Schon während der Schulzeit hatte sie ihm unverhohlen schöne Augen gemacht und ihm bei jeder Gelegenheit – nicht zuletzt beim öffentlichen Fußballtraining der Schulmannschaft – nachgestellt. Hiromi Kawanami war ein sehr hübsches Mädchen mit ihren violetten Curly-Locken, die sie rechts und links mit grünen Schleifchen hoch band und ihren großen, roten Augen mit dem naiven Ausdruck, der auf die Männerwelt einen sehr anziehenden Effekt zu haben schien. Ebenso ihre ganze unschuldige Art; sie verstand sich darauf immer etwas hilfloser zu wirken, als sie es in Wahrheit war. Sie hatte ihn letztendlich zu mehreren Dates überreden können und irgendwann war er ihrer witzigen, hartnäckigen, wenn auch manchmal etwas anstrengenden Art schließlich verfallen. Bis heute wurde er oft um seine niedliche Freundin beneidet, was Yosuke natürlich schmeichelte und so lächelte er sie zufrieden an. Endlich tat sich vorne in der Menge etwas, zwei junge Frauen tauchten aus dem Getümmel auf und stellten sich über die Köpfe der anderen auf die Treppe vor der Karaokebar. „Entschuldigt die Verspätung, Leute!“, rief das kleinere Mädchen mit dem grünen Bob-Haarschnitt und den kühnen, braunen Augen. Sie winkte aufgeregt allen zu und erregte mit ihrer lauten, burschikosen Stimme definitiv Aufmerksamkeit. Das andere Mädchen mit den braunen Haaren, welche ihr wellig weit über die Hüfte fielen und den grünen Augen, verbeugte sich hingegen entschuldigend. Yosuke erkannte beide Mädchen direkt; sie hatten für die Schülerzeitung gearbeitet und ihn und seine Fußballfreunde des öfteren aufgehalten um Interviews zu führen. Er kniff nachdenklich die Augen zusammen, während sie beide eine kleine Ansprache hielten und den Ablauf des Abends erklärten. »Fehlt da nicht noch...« „Yosuke!“, riss ihn eine vertraute Stimme aus seinen Gedanken. Er drehte sich mit der immer noch klammernden Hiromi um und begann zu strahlen. „Kazuya! Ich fasse es nicht, du hier?“ Der Kapitän seiner alten Mannschaft schloss ihn freundschaftlich in die Arme und erwiderte die offenkundige Freude. „Natürlich Yosuke, ich kann mir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen meine Freunde aus der Fußballmannschaft wiederzusehen!“, antwortete er. Kazuya und Yosuke waren nach der Jr. High in anderen Fußballvereinen untergekommen, da Yosuke für die Profiliga lieber noch etwas Trainingszeit in der High School Mannschaft verbringen wollte, bevor er sich endgültig entschied, was nach der Schule aus ihm werden sollte. „Und außerdem hat meine Freundin dieses Treffen mit ins Leben gerufen.“, fügte er hinzu und deutete auf die Brünette. Yosuke machte große Augen. „Nicht dein Ernst, mit ihr? Einer von der Schülerzeitung? Wie hieß sie noch gleich... Yuri?“ „Yuri Tanima.“, bestätigte der hochgewachsene Blonde lächelnd. Immer noch staunend blickte der leidenschaftliche Torwart zwischen seinem Freund und Yuri hin und her, kam aber schnell zu dem Schluss, dass die zurückhaltende und gut erzogene junge Dame auf den ersten Blick gut zu Kazuya passte. „Man bekommt wirklich gar nichts mehr mit, wenn man getrennte Wege geht...“, schlussfolgerte er. „Oh, wir waren schon seit kurz vor dem Abschluss ein Paar, aber Yuri wollte keine große Sache daraus machen, weil sie der Meinung war, dass ich zu viele weibliche Fans habe denen das missfallen hätte.“ Kazuya lachte über diesen Gedanken als wäre es eine Albernheit, dabei entsprach sie zu 100% den Tatsachen. Aber er war schon immer zu gutmütig, naiv und viel zu bescheiden um sich seiner Wirkung auf die Frauenwelt bewusst zu sein, dachte Yosuke. Dabei lag ihm damals fast der ganze weibliche Schüleranteil zu Füßen. „Aber wie ich sehe ist nicht nur dir entgangen, was sich bei deinen ehemaligen Kameraden so abspielt.“, führte er fort und blickte dabei auf Yosukes Klammeraffen. Zusammenzuckend lächelte dieser seine still vor sich hin grummelnde Freundin entschuldigend an, die er doch tatsächlich für einige Momente ausgeblendet hatte. Verlegen griff er sich in den Nacken, als sie ihn mit wütenden Blicken durchbohrte. „Entschuldige, das ist Hiromi – vielleicht erinnerst du dich noch an sie?“ „Freunde nennen mich Mimi!“, quietschte sie vergnügt, als wäre gar nichts gewesen. „Wie könnte ich dich je vergessen, Mimi?“, lachte Kazuya. „Du warst doch für kurze Zeit sogar unsere Managerin!“, schloss er. „So etwa, ja!“, kicherte sie zurück und führte ihren üblichen Freudentanz auf. Yosuke belächelte das etwas peinlich berührt, aber der Blonde blieb ganz souverän und lachte sie freundlich wie eh und je mit seinen blassgrünen Augen und dem Model-Lächeln an. Sie hatten gar nicht bemerkt wie sich die Menge allmählich Richtung Eingang bewegt hatte, als die junge, aufgeweckte Organisatorin mit dem grünen Kurzhaarschnitt Yosuke mit einem freundschaftlichen, aber kräftigen Hieb auf den Rücken schlug. „Yosuke altes Haus! Das ist ja ewig her!“, lachte sie laut. Völlig überrumpelt und zugegeben auch etwas lädiert, wand er sich zu dem starken Mädchen um, welches ihn spitzbübig mit einem schiefen Grinsen begegnete; die Arme in die Hüfte gestemmt. „Äh... Hina... Hinagiku?“ Er war entsetzt wie fremd sie ihm vorkam, obwohl sie in der Schulzeit sooft miteinander zu tun gehabt- und sogar einen fast freundschaftlichen Umgang gepflegt hatten. „Ist ’ne Weile her, dass wir uns gesehen haben. Dank Yuri hier sehe ich ja sogar Kazuya öfter als dich und der wohnt inzwischen in ner ganz anderen Stadt!“ Unwillkürlich musste er lächeln. „Du sprichst immer noch mit diesem lustigen Akzent und bist laut wie ein echter Kerl.“ Sofort wurde sie puterrot und schaute böse, Yuri neben ihr kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Was geht dich das an, hä?! Kotzbrocken wie eh und je!“, motzte Hinagiku schnaubend, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Alle außer Hiromi lachten. „Hey du, rede so gefälligst nicht mit meinem Yosuke!“, bellte sie ihr größeres Gegenüber an. Entsetzt fielen Yuris und Hinagikus Blicke erst jetzt auf des Torwarts zierliches Anhängsel. „Is’ nich’ wahr – Hiromi?!“, stellte die Braunäugige mit Schrecken fest, obwohl Yuri nicht weniger blass um die Nase herum war. Im Gegensatz zu den Jungs war das lockige Mädchen bei ihnen und all ihren anderen Mitschülerinnen nämlich nicht besonders beliebt gewesen. Als manipulatives, immer im Mittelpunkt stehen wollendes, verzogenes Biest und Nervensäge hatte sie sich im Abschlussjahr an der Jr. High keine Freundinnen gemacht. Sie war der Grund wieso viele jung verliebte Mädchen Körbe von ihren Schwärmen bekamen oder die Fußballmannschaft so manches Mal abgeschotteter von ihren Fans war, als es nötig gewesen wäre. Und jetzt hing ausgerechnet DIE Hiromi an Yosuke Fumas Arm, als wäre sie dort angewachsen. „Donnerwetter, ihr seid doch nicht etwa... zusammen?“ Yuri hatte sich alle Mühe gegeben höflich zu sein, trotzdem klang es wie ein Schimpfwort. Yosuke sah sich genötigt die Situation zu entschärfen bevor sie eskalierte. So entzog er Hiromi seinen Arm, nur um ihn anschließend liebevoll um sie zu legen und an sich zu ziehen, weswegen den beiden Freundinnen direkt die Gesichtszüge entglitten. Der hochgewachsene junge Mann sah sie beide ernst an, während er seine Freundin beschützend festhielt. Hiromi selbst fühlte sich wie im siebten Himmel und grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Doch sind wir, schon seit fast zwei Jahren.“ Hinagiku verschlug es immer mehr die Sprache, ein Zucken ihrer Augenbraue verriet wie ungeheuerlich absurd und unglaublich sie das fand. Yuri verhielt sich lieber still, tauschte vielsagende Blicke mit Kazuya und beließ es dabei. „Na kommt schon Leute, drinnen im Warmen und bei etwas zu Essen lässt es sich doch bestimmt viel angenehmer Geschichten austauschen, oder?“, versuchte ihr diplomatischer Freund mit Engelszungen zu schlichten und hatte – wie sooft – damit Erfolg. Vorerst. Kapitel 1: Encounter -------------------- Es waren genug Leute gekommen um zwei voneinander getrennte Räume in dem Lokal zu füllen. Man verteilte sich wohin man wollte; eben so wie der Platz es zuließ und man sich gegenseitig noch aus der Mittelschulzeit kannte. Kazuya, Yuri, Hinagiku, Yosuke und Hiromi fanden sich in der ersten Gruppe wieder, die genau gegenüber der Zweiten lag. Es trennte sie nur ein schmaler Gang auf dem die Garderobenständer und Toiletten zu finden waren. Die Türen der Räume wurden offen gelassen, damit die jungen Leute hindernislos zwischen beiden Gruppen hin und her pendeln konnten. Mit Sicherheit wollte jeder von ihnen auch mal im Leben der anderen herumhorchen. Bevor sich die Highschool-Schüler jedoch endlich an ihren Tischen niederlassen konnten, mussten sie das Gedränge an den Kleiderhaken abwarten. Gefühlt enthüllte sich halb Japan in den schmalen Gängen. Yosuke trug unter seinem Mantel einen moosgrünen Rollkragenpullover und eine antrazithfarbende Jeanshose. Seine Freundin Hiromi bestach mit der Signalfarbe Rot, die ihr flauschiges Longshirt zierte, das ihr nur bis knapp über den Po reichte. Darunter trug sie eine blickdichte, schwarze Strumpfhose, die an ihren Knöcheln in pelzigen Stiefeln passend zum Shirt überging. Leise, anerkennende Pfiffe ertönten aus dem Hintergrund und Hiromi warf sich dazu aufreizend in Pose, brachte ihre Curlys mit einer schwungvollen Kopfbewegung wieder in Form und zwinkerte ihrem Freund vielversprechend zu. „Keine Sorge, Yoyo-Maus. Ich gehöre nur dir.“, schurrte sie ihm leise ins Ohr und hauchte ihm flüchtig einen Kuss auf die Wange. Yosuke lächelte mild und bedachte sie mit einem dunklen Blick. Natürlich gehörte sie nur ihm, mit Haut und Haaren und das schon lange. Er drückte ihre Hand, die in seiner lag bestätigend und in seinem Gesichtsausdruck erkannte Hiromi ein stilles Versprechen, das sie erröten lies. „Urks, hey ihr Turteltauben, könnt ihr euch das nicht für den Heimweg aufheben?“, lästerte Hinagiku hinter ihnen mit angeekelter Miene und schob sie weiter Richtung Tische. Sie hatte einen dünnen, pastellgelben Langarmpulli mit schrägem Ausschnitt an und darunter eine weiße Bluse, deren Kragen und Armelränder überstanden. Dazu wie fast immer eine sportliche, eng anliegende Hose und Turnschuhe. „Schaut mal da in der Ecke sind noch Plätze frei. Setzt euch doch schon mal und haltet uns etwas frei.“, wies Yuri sie an, bevor Hiromi etwas zu Hinagikus Spitze entgegnen konnte. Kazuya und seine Freundin traten tatsächlich im Partnerlook auf; beide trugen hellblaue Pullunder und darunter weiße Hemden. Allerdings war es Yuri vorbehalten ihre weiblichen Beine in einer braunen Strumpfhose zu präsentieren, die ihr wirklich gut schmeichelte. Sie hatte schon immer Modellqualitäten gehabt mit ihrer Körpergröße und ihrer fraulichen Figur. Im Gegensatz zu Hiromi war ihr Oberteil deutlich länger als bis nur knapp über den Po. Sie musste sich nichts beweisen, denn so wie Kazuya sie ansah, konnte sie sich seiner ungeteilten Liebe und Aufmerksamkeit auch ohne betont körperliche Reize sicher sein. Yosuke hing mit seinen Augen für Hiromis Geschmack etwas zu lange an dem Pärchen, das sich in einem stummen Blickaustausch - als er ihr ihren Mantel abnahm und aufhing - anscheinend viel Liebevolles zu sagen hatte. „Hey Yosuke, hörst du nicht? Komm, ich will mich hinsetzen.“, riss sie ihn aus seinen Gedanken und zog ihn mit sich mit in die hinterste Ecke des Karaokezimmers. Hinagiku lief auffällig unauffällig schneller als sie und zog an ihr vorbei um sich einen Platz in der Ecke auf der Bank zu sichern. Schnaubend hielt Hiromi inne, Hinagiku grinste sie nur zufrieden an. »Na das kann ja heiter werden.«, dachte Yosuke genervt bei sich, rollte mit den Augen und setzte sich kurzentschlossen der quirligen Sportskanone gegenüber auf einen der Stühle. Hiromi setzte sich widerwillig neben ihren Schatz, immerhin wollte sie eigentlich einen gemütlichen Platz auf der Bank haben um besser mit ihm kuscheln zu können, aber keine zehn Pferde konnten sie dazu bringen sich neben Hinagiku zu setzen! „Ich habe vielleicht einen Hunger nach der Warterei! Bestellt ihr euch auch erstmal etwas zu Essen, bevor ihr euch auf die Bühne wagt?“ Kazuya, der sich mit Yuri auf die Bank neben Hinagiku setzte, verstand es einfach ein Gespräch anzufangen und von unangenehmen Situationen abzulenken. Sofort vertieften sich die Mädchen in die ausgeteilten Speisekarten und fachsimpelten darüber, was wohl am besten schmeckte und am wenigsten auf die Hüfte ging. Yosuke ließ sich in die Lehne seines Stuhls sinken und überflog mit seinen Augen die Köpfe und Gesichter seiner ehemaligen Mitschüler, die alle in rege Unterhaltungen verwickelt waren. Irgendetwas fehlte. Eine gute Stunde ging ins Land, in der fast alle in den Gruppen ihre Mägen mit kleineren Mahlzeiten und heißen Getränken füllten und so langsam in Stimmung kamen sich Lieder auszusuchen und es auf der Bühne an der Karaokemaschine zu versuchen. Es gab keinen Alkohol um sich Mut anzutrinken, denn niemand von ihnen war älter als 19 Jahre; also musste man da so durch. Hin und wieder kamen paarweise oder in kleinen Grüppchen Mädchen an den Tisch der Fünferclique, die in Kazuya und Yosuke ihre alten Schwärme wiedererkannten und mit kurzen, inhaltlich mageren Gesprächen anscheinend ausloten wollten, ob ihr Singlestatus noch aktuell war. Insgeheim amüsierten Yosuke die enttäuschten, neidischen Blicke der jungen Frauen, wenn sie feststellten, dass dem nicht mehr so war. Irgendwie war er froh nicht mehr der Oberflächlichkeit dieser Fans ausgesetzt zu sein. Sein und Kazuyas sportlicher Erfolg sowie ihr Aussehen hatte sie interessant gemacht, was wussten diese Mädchen schon von seinem Charakter? Wieder versank er in Gedanken und beobachtete seinen Kollegen und dessen Freundin. Yuri saß schüchtern neben dem blonden Schönling und warf ihm hin und wieder einen liebevollen Blick aus ihren leuchtenden Augen zu. Mit einem warmen Lächeln erwiderte Kazuya das und legte beinahe zufällig seine Hand auf ihre, die auf dem Tisch lag. Sie ließ es sich nicht anmerken, doch ihre rosafarbenen Wangen verrieten, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Yosuke fragte sich, ob es das war, was Kazuya davon überzeugte, dass es Yuri nicht auch nur um sein Äußeres oder den Erfolg ging. Schließlich war auch sie zu Schulzeiten einer seiner kreischenden Fans gewesen. Hiromi rutschte mit ihrem Stuhl näher zu ihm heran und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Singst du nachher ein Duett mit mir?“, fragte sie ihn und schaute bettelnd wie ein kleiner Hund dabei. „Vielleicht.“, antwortete Yosuke. Er schenkte ihr ein mildes Lächeln und widmete sich danach seiner großen Tasse warmen Tee. Wirkten er und Hiromi auf andere auch so harmonisch miteinander, wie Kazuya und Yuri? Kopfschüttelnd verwarf er diesen absurden Gedanken wieder und nahm noch einen Schluck. „Oh! Sie dimmen das Licht, die Ersten scheinen Mut gefasst zu haben und wollen sich trauen!“, stellte Yuri fest. Tatsächlich wurde es dunkler in dem Raum, eine Discokugel und ein paar Spots warfen bewegte, bunte Lichter auf die Leute und die Bühne, hinter der ein Projektor einen weißen Bildschirm an die Wand warf. Sofort wurde es ruhiger, ein paar wenige, dafür gröhlende Anfeuerungsrufe erklangen am anderen Ende der Tischreihe. Anscheinend fasste da gerade der erste junge Mann Mut um einen stimmungsvollen Partysong zum Besten zu geben. Manche lachten schon amüsiert vorher, weil der vermeintliche Sänger ängstliche Grimassen zog. „Na toll! Jetzt geht hier endlich mal was los und unsere Fotografin fehlt immer noch!“, meckerte Hinagiku und verschränkte grummelnd die Arme. Yosuke horchte auf. „Fotografin?“, hinterfragte er, obwohl ihm dämmerte, wen sie meinen könnte. Yuri sah ihn spitzbübig an. „Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr an sie? Sooft wie ihr euch in den Haaren hattet?“, neckte sie ihn. Ihre Anspielung löste bei ihm einen Sturm von Erinnerungen aus, die er längst verdrängt hatte. „Momoko.“, antwortete er nur trocken. Hinagiku nickte, immer noch angesäuert. „Genau die! Sie hatte versprochen zu kommen und zwar bevor das Beste gelaufen ist, schließlich wollten wir ein kleines Erinnerungsalbum für alle machen, die heute gekommen sind.“, schimpfte sie enttäuscht vor sich hin. „Momoko wer? War das auch so eine nervtötende Kreischeule von eurem Zeitungsverein?“ Hiromi betonte ihren Satz mit Absicht abschätzig, sie hatte etwas gegen alle ehemaligen Rivalinnen, selbst wenn es gar keine gab. Jedes Mädchen in der Schule damals war eine Gefahr; eine Ablenkung für Yosuke, der nur Augen für sie selbst haben durfte. „Momoko Hanasaki.“, antwortete Yosuke trotzdem ungerührt. Ihr Name erweckte Bilder von einem kleinen, tolpatschigen, mondgesichtigen Mädchen mit blauen Augen und bauschigen, rosafarbenen Haaren in seinem Kopf. Vorlaut, aufmüpfig, aufdringlich, streitsüchtig und eine kleine Heulsuse. Sie machte das Trio um Yuri und Hinagiku erst komplett und hatte sich mehr als nur ein Mal mit ihm angelegt, weil er sie vom Trainigsplatz verwiesen-, aus Versehen abgeschossen-, sie ihn fast umgerannt- oder er ihr das für Kazuya bestimmte Bento abgeknöpft hatte. Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, dass sogar seine Augen erhellte. „Das Mondgesicht, natürlich!“ Er lachte leise in sich hinein, seine Freunde waren sichtlich überrascht und irritiert über diese Reaktion. „Yoyo-Maus, du kennst sie doch nicht etwa näher?“, hinterfragte sie misstrauisch. „Aber Hiromi, sie ging mit uns in eine Klasse! Du wirst sie doch nicht etwa vergessen haben?“, rüffelte sie Hinagiku. Hiromi hatte Momoko keinesfalls vergessen, aber sie hatte ihr persönliches Schreckgespenst gedanklich in eiserne Ketten geschnürt, einen Amboss angehangen und in der tiefsten See versenkt. Zwar gab es nie auch nur ein Anzeichen einer zärtlichen Beziehung zwischen ihrem Yosuke und Momoko, aber dieses Mädchen hatte in ihrer endlosen Tolpatschigkeit immer wieder das Talent gehabt sich dessen Aufmerksamkeit trotzdem zu sichern und das war ihr ein Dorn ihm Auge gewesen. „Keine Sorge, ich kenne sie kaum. Wir haben uns eigentlich nur gestritten, wenn wir uns gesehen haben.“ „Und wie ihr euch gestritten habt! Wie Feuer und Wasser!“, bestätigte sogar Kazuya. Yosuke überlegte. So witzig die Streitereien mit ihr auch gewesen waren, wenn man es genau nahm konnte er sie nie leiden. Sie war laut, anstrengend und warf sich Kazuya genauso an den Hals wie alle anderen Mädchen auch. Mit ihren Pausbacken war sie nicht mal besonders hübsch gewesen, kein Vergleich zu Hiromi, die mit ihrer niedlichen Art jeden Mann sofort in ihren Bann schlug. Sein Lächeln verfinsterte sich, es war ganz gut, dass sie nicht aufgetaucht war. Bestimmt würden sie sich wieder nur streiten und damit den Abend ruinieren. „Also wenn ihr mich fragt ist es besser so, dass sie nicht gekommen ist.“, schlussfolgerte er. Hiromi schmiegte ihr linkes Bein unter dem Tisch an seines und warf ihm einen flüchtigen, verliebten Blick zu. Sie schien sehr zufrieden mit seiner Aussage zu sein. Die anderen nickten schwach, aber zustimmend. Hinter ihnen auf der Bühne beendete der arme Tropf, der sich zuerst getraut hatte, seine jammervolle, wenn auch belustigende Vorstellung und machte Platz für zwei Freundinnen, die sich an einem bekannten J-Pop Song versuchten. Yosuke schaute auf den Boden seiner leeren Tasse, gefolgt von einem Blick auf seine Uhr. „Ich verschwinde mal kurz.“ Seine Freundin zog einen Flunsch, ließ ihn aber unkommentiert Richtung Toiletten ziehen. Draußen im Flur bemerkte der Braunhaarige erst wie laut die Stimmen und der Gesang in dem Räumen dröhnte; im Gang erholten sich seine Ohren, aber alles klang etwas dumpfer als normal. Auf seinem Weg zum WC ließ er den bisherigen Abend kurz Revue passieren, irgendwie war alles etwas witzlos und unterkühlt. Fühlte sich das Zusammensein mit seinen Freunden damals auch schon so an? Das Klassentreffen machte ihm ein wenig bewusst, wie wenig er in den letzten zwei Jahren mit Freunden unternommen hatte. Die Beziehung und das Zusammenleben mit Hiromi hatten ihn verändert, aber er hatte angenommen, das wäre normal, wenn man erwachsen wurde und etwas Ernstes führte. Er fühlte sich wohl mit seiner Freundin. Sie war gut zu ihm, ein Hingucker und wenn sie allein waren, gab sie sich ihm immer voll und ganz hin; zögerte nicht seine Wünsch zu erfüllen, worum ihn sicher jeder andere Mann beneiden würde. Aber warum dann beobachtete er Kazuya und Yuri dann so staunend und sehnsüchtig? Als er sich die Hände gewaschen hatte warf er sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Es war warm und stickig in der Karaokebar. Er betrachtete sich im Spiegel, er war noch mal ein ganzes Stück seit dem Jr. High-Abschluss gewachsen, war kantiger im Gesicht geworden, aber noch genauso muskulös und athletisch von Statur. Seine eigenen, rehbraunen Augen begegneten ihm ernst im Spiegel. »Du gehst jetzt da raus und hast gefälligst ein bisschen Spaß und hörst auf sinnlos vor dich hin zu grübeln! Dein Leben ist völlig in Ordnung so wie es ist, das sind nur die ganzen nostalgischen Gefühle, die dich verunsichern!« Yosuke wiederholte dieses Mantra einige Male in seinem Kopf, bevor er sich Hände und das Gesicht abtrocknete, um zu seiner Gruppe und dem Tisch mit seinen Freunden zurück zu kehren. Der Flur war wieder leer als er heraus trat, er hörte das Trällern seiner Kommilitonen und straffte sich. Guten Mutes, aber mit etwas zu schnellem Schritt, kam er um die Ecke in den Raum hineingeeilt und lief dabei direkt in ein junges Mädchen hinein, die dramatisch ins Stolpern geriet. Reflexartig griff er nach ihrem Handgelenk um sie aufzufangen. „Entschuldigung! Ich habe dich nicht gesehen!“ Der Satz war schneller heraus als er realisierte, wen er da angerempelt hatte. Das schmale Handgelenk in seiner Hand führte zu einem schlanken, fraulichen Körper, der in ein knielanges, weißes Kleid und einen sonnengelben Spitzenbolero mit längen Ärmeln gehüllt war. Lange Beine, die in kniehohen Hackenstiefeln verschwanden und ein schön geformter Busen, der bedauerlicher Weise züchtig unter dem Bolero versteckt wurde, zogen seinen unbeholfenen Blick besonders auf sich. Auf den schmalen Schultern dieses hübschen Wesens wuchs ein langer, schlanker Hals, auf dem ein weiches Gesicht thronte mit einem überrascht geöffnetem Mund, umrahmt von rosafarbenen, lieblichen Lippen. Eine kleine, schmale Nase folgte dem Mund und einen großes Paar himmelblauer, klarer Augen, die ihn perplex anstarrten. Um dieses schöne Gesicht fiel einrhamend langes, rosafarbenes Haar über die Schultern bis hinab zu ihrer Hüfte. Jetzt waren es seine Augen, die sich auf Untertassengröße vergrößerten und sein Unterkiefer, der ihm vor Schreck gefühlt bis zu den Knien runter klappte. „Momoko...?“ Kapitel 2: Confusion - neither a friend, nor an enemy ----------------------------------------------------- „Yosuke Fuma!?“, entgegnete die junge Frau nicht weniger überrumpelt. Sie war es tatsächlich! War sie doch, oder? Immer wieder besah er sie sich von oben bis unten, statt ihrem Markenzeichen - gelben Schleifen in ihren Haaren - trug sie zwar nur ein Haarband in derselben Farbe, aber sie musste es sein. Die Ähnlichkeit war unverkennbar und trotzdem sah sie verändert aus... irgendwie... besser? Er bemerkte die peinliche Stille um sich herum nicht. Seit seinem missglückten Versuch, sie über den Haufen zu rennen, lag alle Aufmerksamkeit in dem Raum auf ihnen. Momoko räusperte sich schließlich lautstark und zeigte mit einer Kopfbewegung auf ihr Handgelenk, das er noch immer fest umschlossen und bedeutungsvoll erhoben hielt. „Oh, äh... ich...“, stammelte er hilflos und ließ ruckartig von ihr ab, so als hätte er sich verbrannt. Ihre blauen Augen, die trotz des dämmrigen Lichtes zu leuchten schienen, bedachten ihn mit einem prüfenden Blick, der ihm Herzrasen bescherte. Als wäre ihm die Situation nicht schon peinlich genug! „Das war ganz schön knapp, ich wäre fast gestürzt.“ „Ich... ich weiß, tut mir leid.“ Yosuke war fast überrascht über ihre beinah sachliche Reaktion; sie schrie ihn ja gar nicht lauthals an, beschimpfte ihn nicht oder versuchte sich zu rächen. War sie wirklich die Momoko? Sprachlos und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, starrte er abwechselnd sie und dann wieder den Fußboden an, auf dem die künstlichen Lichter tanzten. „Momoko! Hier rüber!“ Es war Hinagikus laute, helle Stimme, die ihn aus seiner Zwickmühle befreite, indem sie die Aufmerksamkeit der Blauäugigen auf sich zog und sie zu sich hinüber winkte. »Oh nein! An unseren Tisch!!!«, stellte er wiederum entsetzt fest. Ein Seitenblick fiel auf die vielen anderen, neugierigen Gesichter um ihn herum. „Was gibt es da zu glotzen?“, fuhr er sie peinlich berührt an. Missmutig und grummelnd folgte er Momoko zu seinem Tisch, wo sie sich freudestrahlend von ihren zwei Freundinnen und auch von Kazuya begrüßen ließ. »Großartig, das fängt ja sehr gut an mit uns beiden!«, ärgerte er sich und ließ sich angesäuert auf den Stuhl neben seiner Freundin fallen, die zu allem Unglück auch noch vor Eifersucht schäumte und Momoko mit giftigen Blicken durchlöcherte. „Du Schlafmütze! Wir dachten schon, du tauchst gar nicht mehr auf!“, wurde sie von Hinagiku gerüffelt. „Aber wirklich! Wo hast du denn gesteckt?“, fügte Yuri hinzu und bot ihr den Platz neben sich an, bevor Hiromi sie noch mit Haut und Haaren auffraß. Momoko lächelte entschuldigend und ließ sich nieder. Sie hatte eine schwarze Kameratasche dabei, aus der sie ihre Spiegelreflex hervor holte. „Entschuldigt, ich wurde zuhause etwas aufgehalten und habe unterwegs noch jemanden getroffen.“ „Wen denn?“, fragte Kazuya ganz beiläufig. Yosuke versuchte nicht allzu interessiert zu wirken, noch immer war ihm sein Zusammenstoß mit seiner ehemaligen Streitpartnerin unangenehm und er spürte, wie seine eifersüchtige Freundin ihn immer wieder aus dem Augenwinkel musterte. Doch in Wahrheit brannte es ihm unter den Nägeln zu erfahren, wie es dem Mondgesicht in den letzten zwei Jahren ergangen war. Er wollte sie gerne genauer ansehen, noch mal genau prüfen was an ihr sich verändert hatte, doch all die neugierigen Augenpaare, die auf ihm ruhten, ließen ihn davor zurückschrecken. „Oh, er kommt nachher auch noch dazu. Lasst euch überraschen.“ Er? Irrte Yosuke sich, oder klang Momokos Tonfall so, als wollte sie die Frage nicht wirklich beantworten? Für einen kurzen Moment wagte er einen Blick in ihre Richtung. Sie drehte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck an den Rädchen ihrer Kamera herum und lugte probehalber durch den Sucher. Ihre Gesichtszüge waren schmaler, schlanker als früher. Ihre Gliedmaßen waren länger und ihre Figur fraulicher, sie war einfach erwachsen geworden. Mehr war es nicht und doch war es eine erstaunliche Veränderung. Wenn man sie länger betrachtete konnte man sie fast für schön halten. Yosuke sah einen Augenblick zu lange zu ihr rüber; Momokos Sucher hatte ihn eingefangen. Sie senkte ihre Kamera und erwiderte direkt seinen Blick. Er blinzelte ertappt und wich ihr aus. Er sah nicht mehr wie sich ihre Wangen rosa vor Verlegenheit färbten und sie schnippisch die Nase rümpfte. Hiromi hingegen fiel das sehr wohl auf. Ihr missfiel es sehr, dass ihre Anwesenheit mal wieder nicht für voll genommen wurde und sie an diesem Abend das fünfte Rad am Wagen zu spielen schien. Bedeutsam schob sie ihren Stuhl dicht an Yosukes und legte ihre Arme um Seinen, um sich anzuschmiegen. Ihre Inszenierung fiel natürlich jedem am Tisch auf und bewirkte Verwunderung. Nur Yosuke durchschaute sofort, dass Hiromi noch mal deutlich ihr Territorium absteckte, damit es auch der Letzte wusste: Er und sie waren ein Paar! Momokos Reaktion war der ihrer beiden Freundinnen zuvor sehr ähnlich. Mit großen Augen erkannte sie als erstes das gelockte Mädchen mit dem stechenden Blick als Hiromi wieder und begriff danach sofort, was diese ihr mit ihrer Umklammerung des Ex- Jr. Highschool Torwartes sagen wollte. „Oh, hallo Hiromi! Du auch hier.“, versuchte Momoko so cool wie möglich zu reagieren. „Natürlich, ich gehörte schließlich auch zu diesem Jahrgang. Und ich kann doch meinen Freund nicht alleine zu so einer Veranstaltung gehen lassen.“, entgegnete sie süffisant. Momokos Blick schweifte nur flüchtig zu Yosuke, dessen Miene unergründlich war. Ob er noch immer so streitlustig wie früher war? „Du kannst doch tun und lassen was du willst, aber ich hatte dir eigentlich einen besseren Männergeschmack zugetraut. Was willst du denn ausgerechnet mit dem?“ Da war er; der Funken, der das Feuer ihrer alten Hassliebe wieder neu entflammen konnte, wenn Yosuke sich davon provozieren ließ. Sie klang wieder genau wie damals, frech und aufmüpfig. Der Braunhaarige, der bis eben noch darüber gegrübelt hatte, wie hübsch die Hobbyfotografin geworden war, verfinsterte sofort seine Miene und verwarf jeden freundschaftlichen Gedanken. »Immer noch ein loses Mundwerk!«, dachte er bei sich. Momokos Augen blitzten herausfordernd. „Oh nein, ihr wollt doch jetzt nicht anfangen wieder zu streiten!“, warf Yuri ein, die wie alle anderen das stumme Szenario aufmerksam verfolgt hatte. Yosuke winkte mit seiner freien Hand wegwerfend ab. „Ach was, als ob ich mich von dem Mondgesicht provozieren lassen würde.“ Momoko schnaubte, gab sich aber nach wie vor überlegen und ganz lässig. „Natürlich nicht, was hätte so ein Angeber wie du mir auch schon zu entgegnen? Du hast doch nur Fußball im Kopf!“ „Wenigstens habe ich überhaupt was in meinem Kopf und nicht nur heiße Luft.“, konterte er grinsend. „Was bitte willst du damit andeuten?“, fragte sie ihn knurrend. „Sooft wie du damals auf dem Fußballlatz in einen Schuss hineingelaufen bist, würde es mich nicht wundern, wenn dir ein paar Gehirnzellen fehlen.“, antwortete er kühl und betrachtete dabei entspannt seine Fingernägel. Eine imaginäre Gewitterwolke braute sich über Momokos rosa Haarschopf zusammen. „Leute... beruhigt euch doch bitte wieder.“, versuchte Kazuya einzulenken. „Er/Sie hat doch angefangen!!!“, fauchten beide entrüstet unisono, verschränkten ihre Arme und drehten sich ebenfalls synchron voneinander weg. „Oh man... genau wie damals...“, stellte Hinagiku fest. Sie erntete bestätigendes Seufzen, nur Hiromi freute sich teuflisch über diese Entwicklung der Dinge. »Unfassbar! Er ist noch derselbe Idiot wie damals!«, dachte Momoko bei sich und schmollte vor sich hin. Ihre Kamera wog schwer in ihrem Schoß, es war wohl das Beste den dämlichen Yosuke den Rest des Abends einfach zu ignorieren und sich mit Fotos schießen abzulenken. Deswegen war sie doch überhaupt gekommen. Sie dachte kurz an zuhause und daran, dass sie auf diesen Abend eigentlich gar keine Lust gehabt hatte. Nur Yuri und Hinagiku zuliebe, zu denen sie in den letzten Monaten nur noch sporadisch Kontakt hatte, hatte sie sich auf den Weg gemacht. Ihrem Vater ging es nicht gut, schon seit einer gefühlten Ewigkeit igelte er sich ein, war deprimiert und lustlos. In seinem Job als Fotograf lief es nicht gut und er hatte angefangen daran zu verzweifeln, dass Sakura – Momokos Mutter – sie beide verlassen und sich nie wieder gemeldet hatte, obwohl dies schon viele Jahre her war. Das Geld war knapp geworden, Momoko wollte nach der High School aufs College gehen und später professionelle Fotografin werden. Dafür waren sämtliche Ersparnisse aufgebraucht und nun lebten sie am Existenzminimum. Sie hätte das Studium auch gelassen, aber ihr Vater bestand darauf. Mit kleinen Nebenjobs versuchte sie neben der Schule das Haushaltsgeld aufzubessern, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Nicht mehr lange und sie würden das Haus verkaufen müssen, doch von all dem wussten ihre Freundinnen nichts. Sie sollten sich nicht unnötig sorgen, denn daran ändern konnten sie schließlich auch nichts. Zumal Momoko bereits eine Lösung für dieses Problem hatte… Seufzend hob sie ihre Kamera an ihr Gesicht und nahm ein paar ehemalige Mitschüler ins Visier, die sich auf die Bühne trauten oder tratschend an den Nebentischen saßen. An ihrem eigenen Tisch war es verdächtig still geworden, alle beobachteten schweigend das Geschehen auf der Bühne. Der kurze Streit zwischen ihr und ihrem alten Erzfeind Yosuke Fuma hatte die Stimmung ruiniert. Heimlich, als sie sich sicher war, dass niemand sie beobachtete, nahm sie ihn ins Visier und zoomte ihn heran. Sie musste leider zugeben, dass Yosuke zu einem stattlichen jungen Mann gereift war. Sein kurzes, leicht wuscheliges Haar hing ihm etwas in die Stirn. Seine schmalen braunen Augen fixierten ihr Ziel ausdrucksstark und konzentriert. Momoko musterte seine schmalen, kantigen Gesichtszüge und die Oberammuskeln, die sich vage durch seinen Pulli abzeichneten. Als er sich plötzlich wieder umdrehte, drückte sie vor Schreck aus Versehen den Auslöser und fluchte leise. »So ein Mist! Jetzt habe ich ein Foto an diesen Typen verschwendet!« Sie sah von ihrem Apparat kurz auf und begegnete erneut seinem Blick, diesmal leider ohne ein Objektiv dazwischen. Im gedimmten Licht begegneten ihr seine Augen trotzdem durchdringend und irgendwie leuchtend, sie hatten einen fesselnden Ausdruck; ihre Nackenhaare stellten sich auf. »Ein Jammer, dass er so ein Fiesling ist und nichts hinter seiner netten Fassade steckt außer Gemeinheiten.« Was er wohl von ihr dachte, während sie sich gegenseitig anstarrten? Grimmig wohl gemerkt. „Hey, Momoko! Starr nicht so!“, forderte sie Hiromi unvermittelt auf. „Tu ich doch gar nicht!“, wehrte sie sich ertappt und ärgerte sich nur noch mehr über Yosuke, der ihr seit seinem Auftauchen nichts als Ärger bereitet hatte. „Tust du doch und das passt mir nicht, ich bin schließlich seine Freundin!“, zeterte Mimi weiter. „Pha, das kannst du auch gerne bleiben! Ihr verdient einander auch! Ich habe nicht darum gebeten von ihm über den Haufen gerannt zu werden oder mit ihm an einem Tisch zu sitzen, also lass mich in Ruhe!“ „Schluss jetzt! Hört endlich auf euch gegenseitig anzukeifen! Wir sind hier um unser Widersehen zu feiern und nicht um alte Unstimmigkeiten oder Konflikte neu aufzuwärmen!“, rief Yuri entschieden dazwischen. Allesamt waren über ihren plötzlichen Ausbruch so überrascht, dass direkt einstimmige Sprachlosigkeit herrschte. Das war sonst gar nicht ihre Art, dass sie auch anders konnte stellte sie nur in Ausnahmefällen unter Beweis. „Entschuldige Yuri, vielleicht sollte ich mich mit Hiromi besser umsetzen.“, schlug Yosuke einlenkend vor und warf Momoko einen vorwurfsvollen Blick zu. „Nein!“, erwiderte die Tochter aus gutem Hause entschieden und blitzte beide ermahnend an. „Ihr seid keine Kinder mehr, euer Zwist hat längst eine Reform nötig! Benehmt euch erwachsen und vertragt euch endlich!“, setzte sie fort. Hiromi begann schon wieder vor sich hin zu grummeln, als Yuris anklagender Zeigefinger kurz vor ihrer Nasenspitze stoppte. „Und du, Hiromi… du könntest dich auch etwas zurück nehmen, immerhin lassen wir dich an unserer Runde teilhaben obwohl du dich damals nicht besonders beliebt bei uns gemacht hast“. Die zierliche junge Frau war schockiert und wollte gerade zu einem Gegenfeuer ansetzen, als sie spürte wie Yosuke unter dem Tisch ihr Knie mit seiner Hand drückte. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie er kaum merklich den Kopf schüttelte und sie tatsächlich etwas missgünstig ansah. „Ich… ich… na gut…“, stimmte sie schließlich kleinlaut zu und sackte demotiviert auf ihrem Stuhl zusammen. „Puh… So, wo das nun endlich geklärt ist… Momoko, Hinagiku – ich habe Lust zu singen! Kommt ihr mit auf die Bühne?“ Es war eher ein nicht anfechtbarer Befehl als eine Frage; die Brünette schob Momoko bereits von der Bank und bedeutete Kazuya Platz für Hinagiku zu machen, die widerstandslos folgte. Momoko schaffte es noch gerade so dem Blonden ihre Kamera anzuvertrauen. „Also wirklich, diese Mädchen.“, begann Kazuya lächelnd und machte sich mit der Kamera vertraut. „Deine Freundin hat ganz schön Feuer, das hätte ich ihr so gar nicht zugetraut.“, gestand Yosuke anerkennend, Hiromis kurzes Aufknurren ignorierend. Sein Freund und Kollege lachte leise. „Ja, das stimmt. Sie hat viele Seiten die man ihr auf den ersten Blick gar nicht zutraut.“ Der Torwart nickte und sah dem Trio hinterher, das auf der Bühne gerade besprach, was gesungen werden sollte. „Yuri hat Recht, ihr seid doch alt genug um euch zu vertragen. Momoko war doch immer ein ganz normales, liebes Mädchen. Ich weiß gar nicht, was du gegen sie hast?“ „Ein liebes Mädchen?! Hast du nicht mitbekommen wie sie den Streit eben angefangen hat?“, dementierte Yosuke Kazuyas Aussage. „Das du immer alles gleich auf die Goldwaage legen musst, sie hat doch nur versucht Mimi hier etwas zu ärgern und dich aufzuziehen. Ist es nicht so?“ Hiromi blinzelte verdutzt, kam jedoch nicht mehr dazu zu antworten. „Trotzdem. Ich werde mich nie mit diesem Weib verstehen können!“ Kazuya schüttelte den Kopf über seinen sturen Freund und widmete sich dann wieder der Kamera. „Also dann Virgin Love, ja?“, fragte Yuri noch mal vorsichtshalber. „Das ist doch auch das Einzige, was wir drei damals mit geschlossenen Augen konnten.“ Momoko nickte Hinagiku bestätigend zu. Sie hatte gar keine Lust zu singen und wollte am liebsten verschwinden. Der Abend war ihr unangenehm und außerdem wollte sie ihm hier nicht begegnen, wenn sie es verhindern konnte. Aber genauso wenig wollte sie ihren Freundinnen auch den letzten Rest ihrer guten Laune verderben. Sie stellten sich in Position, ein bisschen wie eine Girlgroup, denn diesen Song hatten sie schon vor Jahren aus Spaß einstudiert. Ein leises, anfeuerndes Raunen ging durch die Kommilitonen, die das Dreiergespann nach und nach als ehemalige Redaktion ihrer bekannten Schülerzeitung erkannten. Die Musik setzte ein und sie begannen zu singen. sou wasurerarenai no kirai ni naretai So kann ich dich nicht vergessen, ich werde dich nicht hassen donna ni kizutsuite mo egal wie oft ich verletzt werde. nee koe o kikasete yo Hey, hör meiner leicht karuku waratte yo lachenden Stimme zu. setsunai muna sawagi wa doushite Warum habe ich diese schmerzhafte Angst? Momoko trat zwei Schritte vor für ein kleines Solo. toki to kyori ga futari jama shite mo Selbst wenn sich die Entfernung zwischen zwei Menschen stellt, werden wir sarari feedo auto nante erabe nai ne nicht solch ein einfaches Ende wählen. Ihre beiden Freundinnen stimmten wieder mit ein. uso ja nai DESTINY kanjite iru kara Es ist keine Lüge, weil ich weiß, dass es DESTINY ist! nido to nai you na koi dakara VIRGIN LOVE Liebe ist beim 2. Mal nicht Dasselbe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE mamoritai no yo tooi hi no WEDDING DREAM Ich will meinen in der Ferne liegenden WEDDING DREAM beschützen. dakedo ima sugu Ah... aitai Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen! Ein kurzes, instrumentales Zwischenstück nutzten die jungen Frauen für ein paar einfache, synchrone Tanzbewegungen, die ausreichten um die Anwesenden zum Jubeln und Anfeuern zu bewegen. „Yosuke ich glaube, sie sind bisher der beste Auftritt.“, stellte Kazuya fest und schoss dabei eifrig ein paar Bilder der strahlenden Sängerinnen. Der Angesprochene entgegnete nichts, sondern beobachtete fasziniert das Spektakel, auch wenn er dabei eine skeptische Miene aufsetzte. sou wasurerarenai no kirai ni narenai So kann ich dich nicht vergessen, ich werde dich nicht hassen. donna ni kizutsuite mo suki na no Egal wie oft ich verletzt werde, ich liebe Dich! Hinagiku setzte sich für ein Solo ab. kanashii uwasa kimochi tamesu kedo Obwohl ein trauriges Gerücht meine Gefühle auf die Probe stellt, nemure nakute toiki nante rashiku nai ne kann ich nicht schlafen. Jammern ist nicht meine Art. Die beiden anderen stimmten wieder mit ein. owaranai MEMORY dakishimete iru no Ich halte an meiner unsterblichen MEMORY fest! tatta hitotsu no koi dakara VIRGIN LOVE Es gibt nur eine erste Liebe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE! shinjiteru no yo itsu no hi ka WEDDING DREAM Ich glaube, eines Tages wird mein WEDDING DREAM wahr werden! dakedo konna ni Ah... aitai Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen! Es folgte ein längeres Gitarrensolo, das erneut für eine kleine Tanzeinlage und ein paar Flirtereien mit dem Publikum genutzt wurde. Yuri warf Kazuya einen kecken Handkuss zu, Hinagiku zwinkerte einen paar unbedeutenden Jungs in den vorderen Reihen zu und Momoko… sie tat nichts außer sich mit geschlossenen Augen zum Takt der Musik zu bewegen und doch war sie es, die die größte Ausstrahlung hatte. Yosuke ärgerte sich darüber, dass dieses Mädchen es mit was auch immer schaffte, auch ihn in ihren Bann zu schlagen. Sie schlug ihre saphirblauen Augen auf und begann wieder mit ihren Freundinnen zu singen. nido to nai you na koi dakara VIRGIN LOVE Liebe ist beim 2. Mal nicht Dasselbe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE! mamoritai no yo tooi hi no WEDDING DREAM Ich will meinen in der Ferne liegenden WEDDING DREAM beschützen. dakedo ima sugu Ah... aitai Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen! tatta hitotsu no koi dakara VIRGIN LOVE Es gibt nur eine erste Liebe, deswegen heißt es VIRGIN LOVE! shinjiteru no yo itsu no hi ka WEDDING DREAM Ich glaube, eines Tages wird mein WEDDING DREAM wahr werden! dakedo konna ni Ah... aitai Jedoch, jetzt in diesem Augenblick… will ich Dich treffen! Angeheizt durch die bestätigenden Zurufe, ließen es sich die drei Mädchen nicht nehmen noch eine dramatische Abschlusspose zu den letzten Klängen des Songs zu inszenieren, wofür sie tosenden Jubel ernteten. Ihre schlechte Laune war wie weggeblasen. Kazuya stand auf um für seine Freundin zu applaudieren, was auch Yosuke nötigte eine Standing Ovation abzuliefern. Die Überzahl tat es ihm und seinem Freund gleich. Als das Trio die Bühne verließ haftete ihnen eine Heiterkeit und Lebensfreude an, die ansteckend war. Yosukes Zorn über Momoko und ihren gemeinsamen Streit war wie weggeblasen, stattdessen konnte er sich an ihrem fröhlichen Lächeln, das nicht ihm galt, gar nicht satt sehen. Schlagartig wurde ihm flau im Magen und das Applaudieren verging ihm, als er bemerkte, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Wie konnte das sein, nachdem sie sich noch vor wenigen Minuten regelrecht angefeindet hatten? Oder war es mehr als das? Als ihre klaren Augen wie schon sooft an diesem Abend auf seine trafen erschrak er kurz, wich jedoch diesmal nicht vor ihnen zurück. Es war als stünde eine Frage in ihnen, Momoko schien gespannt eine Reaktion zu erwarten. Yosuke entschloss sich für ein schiefes Lächeln und stimmte in den Applaus wieder mit ein. Anfangs etwas skeptisch, erwiderte Momoko seine Geste schließlich, weswegen er unvermittelt wieder Herzklopfen bekam. »Was ist heute nur los mit mir?«, fragte er sich zweifelnd und griff mit seiner rechten Hand an die Stelle, wo sein Herz verräterisch gegen seine Brust hämmerte. Kapitel 3: An unexpected arrangement ------------------------------------ „Ihr wart toll! Habt ihr das extra vorher einstudiert?“, empfing Kazuya die Freundinnen und machte ihnen Platz, damit sie sich setzen konnten. Diesmal saß Momoko in der Mitte zwischen Hinagiku und Yuri, während Kazuya außen Platz nahm. Yuri blickte geehrt drein, noch immer sprachen sie Ex-Kommilitonen von der Seite an um sie drei zu loben. „Ach was, dazu hatten wir gar keine Zeit. Wir konnten das noch von früher.“, erklärte sie. „Genau, wir sehen Momoko ja kaum noch. Wann sollten wir denn da proben?“, ergänzte Hinagiku und sah ihre rosahaarige Freundin dabei aufziehend an. Yosuke horchte auf. „Ach was, ihr hängt nicht mehr unzertrennlich mit Pfirsichtörtchen herum?“ „Pfirsichtörtchen?!“, kommentierte Hiromi erbost und ließ damit keinen Raum für weitere Erklärungen. Auch Momokos Gesichtsausdruck, der perplex und peinlich berührt zur selben Zeit war, war einmalig. Yuri und Hinagiku brachen in schallendes Gelächter aus und sogar Kazuya musste etwas schmunzeln. Yosuke bereute bereits jetzt, dass ihm dieser alte Spitzname für seine erklärte Hassliebe herausgerutscht war. „Das ist gar nicht lustig.“, schmollte Hiromi. „Yoyo-Maus, wieso hast du für mich keinen Spitznamen, aber für die schon?“ „Äh, äh… ich, ähm… Aber ich nenne dich doch Mimi..?“, versuchte er sich zu erklären. „Ach lass doch Hiromi, ich mache mir nichts aus diesem Spitznamen.“, versuchte Momoko sie zu beschwichtigen. Vergebens. „Nein! Den ganzen Abend schon, seit du aufgetaucht bist, geht ihr so komisch miteinander um! Das gefällt mir nicht! Yosuke, wieso bin ich nicht dein Veilchenbonbon oder deine Mimi-Maus???“ Sein ohnehin etwas dunklerer Teint färbte sich hochrot. „Das, das ist doch albern…“, entgegnete er kleinlaut und starrte dabei auf seinen Schoß. Konnte sich nicht einfach der Boden unter ihm auftun? „Hiromi, findest du deine Eifersucht nicht etwas übertrieben? Die Zwei kennen sich halt schon ewig – da streiten sie sich endlich ein Mal nicht, sondern sitzen für zwei Minuten einträchtig an einem Tisch und dann musst du schon wieder so dazwischen gehen? Dauernd hast du etwas zu meckern!“ Yuri war sichtlich erregt, selbst Kazuyas beruhigende Hand auf ihrer Schulter konnte sie nicht ausbremsen. Das war schon das zweite Mal an diesem Abend, dass sie sich echauffierte. „Das stimmt, du gehst uns allen damit ganz schön auf den Zeiger!“, unterstützte Hinagiku sie. „Leute, lasst uns bitte nicht streiten, es war doch bis eben noch so lustig…“, mischte Momoko erneut mit. „Das Mondgesicht hat ausnahmsweise mal Recht. Mimi, es ist mir so aus alter Gewohnheit herausgerutscht. Wenn dich das so ärgert sage ich es nicht wieder, ok?“ Yosuke ließ seinen ganzen Charme bei seiner wütenden Freundin spielen, sah sie mit einem intensiven, treuen Blick und einem liebevollen Lächeln an, legte ihre linke Hand in seine und hauchte ihr einen Kuss auf, was selbst Eis zum Schmelzen bringen würde. Zumindest wenn man Hiromi Kawanami hieß. Erstaunt blinzelten die Anwesenden und sahen verlegen zu, wie der Ärger aus Hiromis Gesicht verschwand und einem hörigen Honigkuchenpferdgrinsen wich. „Einverstanden Yoyo-Maus. Singst du jetzt etwas mit mir?“, säuselte sie mit ihrer piepsigen Quietschstimme und warf mit imaginären Herzchen um sich. Momoko glaubte einen entnervten Ausdruck über Yosukes eben noch perfekt verliebt aussehende Miene huschen zu sehen, doch schon im nächsten Augenblick strahlte er sie fast genauso dämlich an und bejahte ihre Frage. „Jippieh!!! Lass uns die Bühne mit einem Liebeslied rocken!“ Völlig überdreht zog sie ihren armen Freund von seinem Platz Richtung Bühne. Für einen kurzen Augenblick drehte er sich zu seinen zurückbleibenden Freunden um und streifte mal wieder Momokos Blick, der diesmal nicht viel mehr als Verwunderung und vielleicht ein kleines bisschen Mitleid ausdrückte. „Oh man, der arme Kerl. Schon ein hartes Los, wenn man ausgerechnet Hiromi zur Freundin hat.“ Hinagiku streckte sich und legte ihre verschränkten Arme hinter ihren Kopf, während sie dem ungleichen Paar mit ihren braunen Augen bis auf die Bühne folgte. Momoko sah sie verständnislos an. „Da sagst du was Wahres… was findet Yosuke nur an ihr?“ Momokos Kopf fuhr zu Yuri herum, die ihr Haupt auf ihre Hände abstützte. Ihre Ellenbogen stützten sich auf die Tischplatte. „Naja, irgendwas muss er ja an ihr finden, sonst wären sie sicher nicht zusammen. Sie sind halt eben beide gleich doof.“, antwortete Momoko altklug klingend und gab sich schon wieder betont lässig. „Glaubst du das wirklich, Momoko?“, hakte Kazuya nach, der ihr an Yuri vorbei ihre Kamera wieder überreichte. Sogleich prüfte sie routiniert sämtliche Einstellungen und visierte die Bühne und ihr Geschehen darauf an. „Was soll ich glauben? Dass sie beide doof genug sind um es miteinander auszuhalten? Ich meine, jeder Topf braucht schließlich einen Deckel.“ „Momoko! Jetzt sei doch nicht so gemein! Du weißt genau, dass Yosuke alles andere als doof oder gemein ist.“, verteidigte Yuri ihn. Ihr blonder Freund nickte zustimmend. „Das stimmt. Mal abgesehen von euren Streitigkeiten gab es doch auch gute Momente zwischen euch. Er hat dich schließlich immer ins Krankenzimmer getragen, wenn du mal wieder einen Ball abbekommen hattest. Und auch so hatte ich eigentlich den Eindruck, dass ihr euch eigentlich ganz gut leiden könnt.“ Aufgeregt und knallrot schüttelte Momoko ihren Kopf. „Das ist doch gar nicht wahr! Er hat mich doch immerzu nur geärgert!“, wehrte sie ab. „Ich dachte immer, dass diese Neckereien auf Gegenseitigkeit beruhen.“ »Neckereien? Neckereien?!«, dachte sie schockiert bei sich und schnappte aufgeregt nach Luft. „Nie und nimmer, er ist und bleibt ein Ekel, ein Fiesling, ein Angeber!“ Sie konnte so viel Motzen wie sie wollte, ihre Freunde grinsten sie wissend an; geradezu verschwörerisch. Momoko konnte einfach nicht verhindern, dass ihr das Blut immer mehr ins Gesicht schoss. Neckereien… das sie nicht lachte! Das würde ja freundschaftliche Gefühle voraussetzen, aber die gab es nie. Oder? Sie hob den Sucher an ihr Auge und begann wahllos Fotos zu knipsen um beschäftigt zu wirken. Hiromi trällerte in allerhöchsten, schrillen Tönen eine Liebesarie, wohingegen Yosuke eher unscheinbar und kleinlaut neben ihr stand und seinen Text monoton ins Mikrofon flüsterte. Obwohl ihr Auftritt ziemlich schräg und erbärmlich war, ernteten sie dennoch Jubel. Der galt aber wohl ausschließlich Hiromis aufreizender Performance und kam auch ausschließlich von der Männerfraktion im Raum. Alle anwesenden Frauen hingegen beobachteten sie argwöhnisch und neidisch, was Yosuke betraf. Momoko grübelte über ihren eigenen Auftritt nach und über den Blick, den sie am Ende mit Yosuke ausgetauscht hatte. Sie war sich sicher gewesen, dass er ihr anerkennend zugelächelt hatte und es war ihr aufrichtig vorgekommen. Das war der bislang einzige Moment an diesem Abend, an dem sie geglaubt hatte, dass sie sich vielleicht doch für die nächsten Stunden versöhnlich gegenüber sitzen könnten. Konnte sie das? Sich mit ihm vertragen oder sogar freundschaftlich umgehen? Wollte sie das? Wollte er das? Vorhin noch hatte er sogar mit ihr gemeinsam versucht seine herrische Begleitung zu beschwichtigen, vielleicht war das alles ein Zeichen von Entgegenkommen? Yosuke schaute just in diesem Moment zu ihrem Tisch herüber, der Blick grimmig und genervt. Er war bestimmt froh, wenn das vorbei war. Kazuya und die beiden Mädchen riefen ihm aufmunternd zu. Momoko ließ die Kamera sinken und stierte ebenfalls hinüber. Mal sehen, ob er auch zu ihr schauen würde; sie wollte noch ein Mal überprüfen, ob er ihr vielleicht wirklich auch wohl gesonnen begegnen konnte. Und da passierte es wieder, dass sie sich direkt in die Augen sahen. Darauf bedacht den Text nicht zu versäumen, schaute er zwar mit seinen braunen Augen immer mal wieder für einen flüchtigen Moment auf den Monitor vor ihm, aber danach wieder in Momokos Richtung. Ihr Puls ging schneller unter seinem prüfenden Blick, doch sie ließ sich nicht entmutigen, lockerte ihren Gesichtsausdruck und versuchte es mit einem ehrlichen, Mut machenden Lächeln. Sie beobachtete wie sich seine Augenbrauen hoben und wollte schon wieder wegsehen, als er ihren Blick doch noch – wenngleich zögerlich – freundlich lächelnd erwiderte. Die junge Frau errötete ein wenig und bekam Herzklopfen, als sie sich dabei ertappte, wie sie sich über diese einfache Geste freute. „Hey Momoko, du wirst ja ganz rot.“, flüsterte Yuri ihr ins Ohr. „Stimmt ja gar nicht!“, zischte sie ertappt zurück. Ihre größere Freundin kicherte gewinnend. „Du musst schon zugeben, dass aus Yosuke ein gutaussehender junger Mann geworden ist.“ Momoko schüttelte abwehrend ihren Kopf, aber natürlich war ihr das schon längst aufgefallen. Aber warum sollte sie das interessieren? Schließlich war er offensichtlich vergeben und sie… Das Lied war gerade verklungen, als einsamer Applaus erklang und sie alle aufhorchen ließ. Fast alle sahen zur Tür, wo ein junger Mann mit einem schwarzen Pferdeschwanz in einem weißen Anzug stand. Zu chic für diese Veranstaltung, aber zu jung um sich im Raum geirrt zu haben. „Großartig.“, kommentierte er die Show von Mimi-Superstar und ihrem gepeinigten Partner und lenkte absolut jede Aufmerksamkeit auf sich. Momokos Lächeln erstarrte. „Das ist ja Takuro!“, rief Hinagiku überrascht aus, die vor lauter Neugierde aufgestanden war um besser sehen zu können. Ihre Sitznachbarin schloss die Augen, als ihr Herz einen Moment lang aussetzte. »Oh nein! Warum ist er denn jetzt schon gekommen?!« Sie ließ ihre Kamera mutlos sinken und wollte am liebsten verschwinden. Ihr fiel nicht auf, dass Yosuke der Einzige war, der seinen Blick von dem unerwarteten Neuzugang abgewendet hatte und ihre Reaktion bemerkte. Hinagiku drängelte sich an Momoko, Yuri und Kazuya vorbei um ihren alten Sandkastenfreund zu begrüßen. Lachend fiel sie ihm um den Hals. „Takuro! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen! Wo hast du all die Zeit gesteckt? Und warum siehst du so pikfein herausgeputzt aus?“ „Hinalein, gut siehst du aus.“ Das Interesse der Menge an dem altbekannten Streber verebbte so langsam und jeder wand sich wieder seinen eigenen Angelegenheiten zu. Hiromi und Yosuke stießen dafür zu den zwei Freunden. Takuro musterte das quirlige Mädchen mit den Schleifen im Haar und ihren Begleiter eingehend. Seine rotbraunen Augen schienen besonders Yosuke durchleuchten zu wollen. „Hey, starr nicht so, sondern antworte!“, befahl Hinagiku vorwurfsvoll. Der Schwarzhaarige löste ihre Arme um seinen Hals und schob sich seine Brille wieder auf die Nase. „Ich habe ein Jahr im Ausland auf einer Schule verbracht und bin nun wieder hier um meinen Abschluss zu machen.“, antwortete er ganz sachlich, so als wäre das nichts Besonderes ein Austauschjahr absolviert zu haben. „Wow Takuro, du siehst ja supi mega toll aus!“, schwärmte Hiromi übertrieben. Mit stolz geschwellter Brust und einem zufriedenem Grinsen auf den Lippen nickte er nur kühl. „Ich möchte ja auch jemand besonderen abholen.“ Enttäuscht sah ihn seine Sandkastenfreundin an. „Ach, du bist gar nicht wegen dem Klassentreffen gekommen?“, maulte sie. „Tse… ich bitte dich, hier hat mich doch bestimmt niemand vermisst. Ich war doch nicht mehr als der Streber und Schwächling, über den sich alle lustig gemacht haben.“ Es war kein Zufall, dass er bei diesem Satz ausgerechnet Yosuke scharf anblitzte, der mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem undefinierbarem Blick antwortete. „Und wie kommst du dann darauf, dass hier jemand darauf wartet von dir abgeholt zu werden?“, fragte er mit provozierendem Unterton um zu kontern. Takuro lächelte süffisant und machte eine lässige Handbewegung in den Raum hinein. „Da sitzt sie doch auch schon.“, entgegnete er und zeigte auf ein Mädchen mit blauen Augen und rosa Haaren. Yosuke versteifte sich augenblicklich. „Du willst zu Momoko?“, fragte Hiromi unsicher, aber freudig erregt. „Selbstverständlich.“ Der Torwart musste schon sehr an sich halten um Takuro für seine selbstgefällige Art nicht an die Gurgel zu gehen. »So ein Lackaffe! Was denkt er, wer er ist? Was soll dieses Theater?« Sein Blick forderte Momoko auf ihn anzusehen und ihm irgendwie mitzuteilen, was hier vor sich ging, doch anscheinend galt ihre Aufmerksamkeit einzig und allein Takuro. Dieser blieb nicht länger stehen und ging mit selbstbewussten Schritten zu der jungen Frau hinüber, die hektisch ihre Kamera in ihrer Tasche verschwinden ließ. Hinagiku und Yosuke blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen; Hiromi freute sich derweil heimlich ins Fäustchen. An ihrem Tisch angekommen hingen auch Kazuyas und Yuris Augen fragend an dem edel eingekleideten Japaner. „Hallo Takuro, das ist ja eine Überraschung.“ Der Ex-Mannschaftskapitän war aufgestanden und reichte ihm höflich seine Hand, die der Dunkelhaarige auch respektvoll entgegen nahm. „Ich bleibe nicht lange, ich bin nur da um Momoko abzuholen.“ Die Angesprochene sah nicht auf, zu unangenehm war ihr diese Situation; sie konnte die fragenden Blicke der anderen auf ihrer Haut förmlich kribbeln spüren. Erst als die Pause zu lang und langsam unangenehm wurde, raffte sie sich auf Takuro anzusehen. In ihren Augen lag ein Ausdruck großer Unsicherheit. „Takuro, ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich so früh abholst.“ „Häää? Also stimmt es? Takuro ist wegen dir hier??? Er ist derjenige, den du unterwegs getroffen hast?“, stellte Hinagiku entsetzt fest. Ihr lautstarker Auftritt machte es Momoko nicht wirklich leichter gelassen zu wirken. „Kann vielleicht mal einer von euch beiden aufklären was hier ab geht?“, forderte Yosuke barsch. »Was geht mich das an? Wieso frage ich überhaupt?« Das dachten sich auch die anderen rund um den Tisch, die ihn deswegen perplex ansahen. Unwirsch fuhr er sich durch seine dunkelbraunen Haare und tat so, als würde ihn das nicht mehr interessieren als sie auch. „Hier geht gar nichts ab! Komm Takuro, lass uns gehen.“ Auf einmal hatte es Momoko ungewöhnlich eilig, drängelnd schob sie sich an Yuri und Kazuya vorbei und stolperte dabei beinahe über ihre eigenen Füße. „Immer langsam, Momoko.“, rüffelte Takuro sie beinahe zärtlich. Sein seidenweicher, schmalziger Tonfall verursachte bei allen Anwesenden einen unwillkürlichen, unangenehmen Schauer. „Ist schon gut, ich wollte sowieso nach Hause.“ Hastig und ohne aufzusehen wollte sie an ihm vorbei, doch er hielt sie mit einem Arm auf. „Willst du dich nicht von deinen Freunden verabschieden?“, drängte er sie. Selbst jeder Blinde bemerkte, dass Takuro mit Absicht so eine Show abzog, doch keiner im unfreiwilligen Publikum begriff, was hier vor sich ging. Seit wann war er überhaupt so selbstbewusst? Momoko war gezwungen ihren Freunden ins Gesicht zu sehen, sie straffte sich und versuchte ganz locker zu wirken, obwohl sie innerlich so angespannt war wie noch nie. „Tut mir leid Mädels, Kazuya und Yosuke. Ich gehe jetzt besser. Es war schön euch mal wiedergesehen zu haben.“ Unsicher blinzelnd sah sie jedem ihrer Freunde nacheinander kurz ins Gesicht, bei Yosuke angekommen schlich sich Schamesröte auf ihre Wangen. Sein Blick war nicht wie der der anderen fragend und überrumpelt, sondern durchdringend und forschend. »Was ist los mit ihr? Sie war doch sonst nie so kleinlaut und brav.«, dachte er bei sich und hätte sie gerne an ihren schmalen Schultern gepackt und sie ein Mal ordentlich wach gerüttelt. Die Momoko die er kannte war zwar stets nett zu dem Streber gewesen, so wie sie es eigentlich immer zu jedem war, wenn er ehrlich zu sich selbst war, aber sie hatte auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr Takuros Avancen damals mehr als zuwider waren. Warum dann tauchte ausgerechnet er hier auf und durfte sie abholen? Warum kuschte sie vor ihm? Es war so, als konnte dieser die unausgesprochenen Fragen hören. Er nahm Momokos rechte Hand in seine und hob sie gut sichtbar an. „Entschuldigt die Störung, ich verschwinde jetzt nur schnell mit meiner Verlobten und dann könnt ihr weiter feiern.“ Fünf Gesichter entglitten schlagartig und fünf Paar Augen starrten brennend auf den in Gold eingefassten Rubin an Momokos Ringfinger. Entsetzt blickte sie zu Takuro auf, der sie triumphierend anlächelte. Für Widerstand und Ausreden war es zu spät, die Katze war aus dem Sack. In Yosukes Kopf schwirrte es. Pfirsichtörtchen und der Streber, den sie zu Schulzeiten immer hartnäckig abgewehrt hatte? Verlobt? Der käsig blasse, schmächtige, unsportliche Takuro und dieses… nun ja… alles andere als unansehnliche Mädchen? Yosuke wollte es mit seinen geistigen Vergleichen nicht übertreiben, aber er fühlte sich wie in einer schlechten Nacherzählung von der Schönen und das Biest. „Das ist ja wundervoll! Momoko, davon hast du uns ja gar nichts erzählt!“, durchbrach Hiromi überschwänglich quietschend die angespannte Stille und tänzelte um den Ring herum, als wäre er das Schönste, was sie je gesehen hatte. Natürlich freute sie sich diebisch über diese Neuigkeit, somit war ihr größter Dorn im Auge aus dem Weg geräumt. Nur Momokos engste Freundinnen fanden keine Worte und sahen den Edelstein und sie selbst im Wechsel einfach nur ungläubig und fassungslos an. „Momoko… warum hast du uns davon nichts erzählt?“, begann Yuri leise und zwang sich zu einem künstlichen Lächeln. „Ich… ich fand es noch nicht für an der Zeit…“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, genierte sich aber sichtlich dabei. „Für nicht an der Zeit? Ich dachte wir sind Freundinnen!“, begann Hinagiku weniger freundlich. „Du bist seit Monaten kaum noch zu erreichen, wir sehen und hören uns fast nie und selbst so was Wichtiges hältst du für nicht erwähnenswert?“ Erbost sah Hinagiku nun ihren alten Freund an. „Für dich gilt das Gleiche, Takuro!“, feindete sie ihn an. Der Angesprochene ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen und belächelte sie nur von oben herab. „Ach komm schon, Hinalein. Freu dich doch für uns. Momoko ist eben einfach ein bisschen schüchtern.“ Er drückte sie an sich und tätschelte ihre Schulter, an der er sie umfasst hielt. Sie schaute unglücklich zu Boden. „Aber wenn ihr beide wirklich ihre Freundinnen wärt, dann wüsstet ihr bestimmt genauer über das Leben von ihr bescheid.“, setzte Takuro ungerührt hinzu. Er erntete entrüstete Blicke. „Ta-kun, es reicht! Komm, lass und bitte gehen!“ Momoko riss sich abrupt von ihm los, wand ihren Freunden den Rücken zu und stampfte aus dem Raum. Keinem anderen aus ihrem ehemaligen Jahrgang war das Ganze aufgefallen, niemand hatte etwas mitbekommen; zu laut war die Musik, zu ausgelassen die Stimmung. Nur an dem Tisch, der einst so eingefleischten Clique, schien sie eine Blase zu umgeben, die sie von der Außenwelt abschirmte. In ihr gab es keine Ausgelassenheit mehr, nur noch Missstimmung, Verwirrung, Entsetzen und viele offene Fragen. Kapitel 4: Confusing desire --------------------------- Takuro hatte ihnen nach Momokos Abtritt nur noch kurz mit zwei Fingern abgewunken, dann war er ihr gefolgt und keiner von ihnen kam zurück. Yuri suchte Trost bei ihrem Freund, der auf die jüngsten Geschehnisse einfach keine passende Erklärung finden konnte. Hinagiku wanderte schimpfend auf ihren Platz zurück und auch Hiromi und Yosuke setzten sich wieder. Die junge Dame mit den violetten Haaren war die Einzige, die so tat als wäre sie positiv überrascht und lobte Takuros neues Image, philosophierte darüber, dass sie ja schon immer fand, dass er und Momoko ein tolles Paar abgeben würden und so weiter und sofort. Selbst ihr Freund hörte irgendwann einfach nicht mehr hin, er war wie die anderen zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt herauszufinden, wie das alles zusammen passte. »Wer verlobt sich denn in diesem Alter?« Das war nur eine von vielen Fragen, die ihm dabei durch den Kopf gingen. Eine ungeplante Schwangerschaft konnte ein Grund sein, doch er verwarf diesen Gedanken sofort vehement kopfschüttelnd. Noch viel schwerer fiel ihm nämlich die Vorstellung, dass die beiden jemals intim miteinander geworden waren. Sich schämend für sein unfreiwilliges Kopfkino, zerwurschtelte er mit beiden Händen sein Haar und seufzte laut. Warum dachte er bei dieser Verlobung nur an die ungewöhnlichsten Gründe, anstatt an den Naheliegensten? Liebe. »Oh nein, niemals… das kann nicht sein!« Momoko war ihm nicht eine Sekunde lang verliebt vorgekommen seit Takuro auf der Bildfläche aufgetaucht war. Im Gegenteil. „Yosuke, alles ok?“, drang Kazuyas Stimme an sein Ohr. „Ja klar, alles gut. Mir ist nur etwas die Laune vergangen.“ „Ich glaube, das geht uns allen so.“, mischte sich Yuri ein. „Also ich habe auch keinen Bock mehr, ich will nach hause.“, hörte man Hinagiku sagen. „Och wie schade… naja, ihr könnt ja gehen.“, heuchelte Hiromi süßlich. „Lass uns auch gehen, ich bin müde.“, enttäuschte Yosuke seine Freundin, die wohl auf eine ungestörte, lustige Zweisamkeit spekuliert hatte. „Hmmm, ok. Wenn du das möchtest…“ Wenigstens ein Mal an diesem Abend musste er nicht diskutieren. Hinagiku stieß bei ihrem Versuch sich aufzurappeln mit ihrer Hand gegen etwas Hartes. „Au Backe! Momoko hat ihre Kamera vergessen!“, stellte sie fest. Sie hielt die Kameratasche an den Gurten in die Luft. „Oh nein, aber kein Wunder, so überstürzt wie sie gegangen ist.“, kommentierte Yuri. Kazuya sah nachdenklich auf die Tasche und dann zu Yosuke. „Sag mal Yosuke, wohnst du immer noch in der Nähe von dem Haus der Hanasakis? Du könntest sie ihr doch vielleicht vorbei bringen.“ Der Dunkelhaarige hob abwehrend die Hände. „Was habe ich denn damit zu tun, wenn sie ihre Sachen hier vergisst? Wenn sie es bemerkt kommt sie bestimmt zurück und holt sie sich selbst.“ „Das können wir doch nicht machen, so eine Kamera ist sehr teuer und ich weiß, dass sie Momoko viel bedeutet!“, protestierte Yuri scharf. Hinagiku hielt sie Yosuke einfach hin. „Hier nimm. Du wohnst in der Nähe, also stell dich nicht so an!“ „Warum bringst du sie ihr nicht selbst?“ Die knallhart direkte, junge Frau schnaubte verächtlich. „Du hast Takuro doch gehört, anscheinend sind wir ihr keine guten Freundinnen mehr. Solange sie sich dafür nicht entschuldigt, braucht sie von uns nix mehr zu erwarten!“ Sie sah Yuri ernst an, die nur bedrückt zu ihrem Freund aufblickte. „Ach… und wieso bin ich dann besser geeignet um den Laufburschen zu spielen?“ Yosukes Gegenüber drückte ihm die Tasche mit bestimmender Konsequenz in die Arme und rutschte dann mit den beiden anderen von der Bank. „Wie gesagt, du wohnst in der Nähe.“ Widerstand war zwecklos und selbst Yosuke musste sich eingestehen, dass es albern war sich gegen die einfachste Problemlösung zu wehren. Er und Hiromi standen ebenfalls auf und folgten den anderen nach draußen zu ihren Mänteln. Momoko zog ihren hellbraunen, dicken Mantel enger um ihren Hals zusammen. Es war dunkel, spät und fürchterlich kalt geworden. Dementsprechend wenig Menschen waren draußen unterwegs und so hallten ihre und Takuros Schritte einsam auf dem Bürgersteig wieder. „Du bist ja so still seit wir gegangen sind.“, durchbrach er die andächtige Ruhe. „Ehrlich gesagt bin ich sauer auf dich. Du hast mich erstens viel zu früh abgeholt und zweitens war deine Szene vor meinen Freunden völlig unnötig gewesen.“ Zornig funkelte sie ihn an, als er sie überrascht musterte. „Du nennst sie deine Freunde? Haben sie sich in den letzten Wochen oder Monaten jemals wirklich für dich oder deine Probleme interessiert?“ Sie schwieg und machte einen zerknirschten Gesichtsausdruck. „Siehst du? Ihr wart vielleicht mal Freundinnen, aber das ist lange her, sie interessieren sich jetzt mehr für ihre eigenen Angelegenheiten… und was diesen Yosuke betrifft, der war doch sowieso niemals gut zu dir. Ich möchte nicht, dass du dich mit solchen Leuten umgibst!“ Die junge Frau schnaubte entrüstet. „Woher willst du wissen wer gut für mich ist und wer nicht? Das mit Yosuke und mir ist ewig her, vielleicht hätten wir uns auf dem Klassentreffen endlich mal vertragen können, wenn du nicht schon so früh aufgetaucht wärst.“ Takuro blieb abrupt stehen und hielt Momoko an ihrem Oberarm fest, was sie zwang ihn anzusehen. Sein Blick sprach Bände über seinen Unmut. „Willst du mir sagen, dass du die Beziehung zwischen ihm und dir gerne vertiefen möchtest?“ Momoko wollte sich losmachen, doch der Griff des blassen Japaners wurde nur fester. „So habe ich das nicht gemeint, aber…“ „Kein Aber! Ich will nicht, dass du dich mit ihm abgibst! Hast du vergessen, dass er wie all die anderen ist, die mich in der Mittelschule fertig gemacht haben?“ „Ich habe nie mitbekommen, dass er so etwas getan hätte…“, nuschelte die Rosahaarige in den Kragen ihres Mantels. „Was hast du gesagt?“, fragte Takuro scharf. „Nichts! Lass mich los, du tust mir weh!“ Sofort ließ er locker, Momoko richtete ihren Mantel wieder und lief weiter ohne ihn anzusehen. Takuro holte sein schlechtes Gewissen ein, mit einer wesentlich liebevolleren Miene holte er sie ein und nahm sie bei der rechten Hand. Sie würdigte ihn keines Blickes. „Momolein, entschuldige, wenn ich etwas zu streng geklungen habe, aber versteh mich doch… Diese Leute bringen dich in deinem Leben nicht weiter, es ist Zeit das hinter dir zu lassen. Du hast doch jetzt mich und unser Leben wird sich schon sehr bald ändern.“ Um zu unterstreichen, was er sagen wollte, hob er ihre Hand an seine Lippen und küsste den Stein ihres Verlobungsringes. Sie seufzte schwer und sah ihn mit ihren großen, klaren Augen unsicher an. „Wenn wir erst verheiratet sind werde ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen; deinem Vater wird geholfen werden und auch sonst will ich dir alle deine Sorgen nehmen. Das weißt du doch? Das habe ich dir versprochen.“ Er schmiegte sich an ihre Hand, in seinen Augen lag ein hungriges Verlangen, was ihr die Scharmesröte ins Gesicht trieb. „In einem Jahr, nach dem Abschluss.“, sagte Momoko leise, wie um sich noch mal Bestätigung zu verschaffen. „Genau, so wie du es dir gewünscht hast. Ich kann diesen Tag kaum noch erwarten…“, raunte er und küsste nun auch ihre Handinnenfläche sanft und innig. Sie versuchte ihre aufkommende Gänsehaut zu ignorieren und entzog sich Takuro langsam, so als wäre ihr einfach nur kalt an den Fingern geworden. Ihre Hand glitt in ihre Manteltasche, wo der Rubin an ihrem Finger schwer wog und die geküssten Hautpartien unangenehm kribbelten. Momoko wollte nur endlich zuhause ankommen, bevor ihr Begleiter noch auf andere Ideen kam. Ihm entging allerdings nicht, dass sich ihr Schritt beschleunigte und sie ihm auswich. „Momoko.“, sagte er ernst, sie musste sich noch mal zu ihm umdrehen. „Ich weiß, dass du mich noch nicht so liebst, wie ich dich liebe… deswegen gebe ich dir alle Zeit die du brauchst und warte gerne dieses eine Jahr bis zu unserer Hochzeit…“ Er ging auf sie zu und hob unvermittelt schroff ihr Kinn an. „Aber du gehörst mir. Mit Haut und Haaren, mit jeder Faser deines Körpers. Alles an dir. Immer.“ Ein Schauer lief ihr über den Rücken und ein schreckliches Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Früher war Takuro nie so bestimmt gewesen, er war weder mutig noch wortgewandt in der Nähe von Frauen, aber sein Auslandsjahr und die ihm blühende, rosige Zukunft hatten ihn tough und selbstbewusst gemacht. Oder war es ihre Schwäche, die ihn über sie herrschen lies? Momoko konnte ihm nichts entgegensetzen. Sie war seine Verlobte und das freiwillig. „Liebe mich, Momoko…“, flüsterte er dicht vor ihrem Gesicht, sie konnte seinen Atem auf ihren Lippen spüren. Im letzten Moment drehte sie ihr Gesicht zwischen seinen Fingern weg. „Ich kann nicht… noch nicht… bitte gib mir mehr Zeit…“ Tränen glänzen in ihren Augen. Takuro lies sie los und bedachte sie mit einem sanftmütigen Blick. „Natürlich.“, sagte er verständnisvoll. Sie setzten ihren Weg schweigend fort. Momokos Herz raste wie verrückt und sie hatte wackelige Knie. Der Junge, der einst so ein Weichei war, war zu einem Mann mit einer dunklen Seite heran gewachsen, die nicht berechenbar war. Im Prinzip drängte er sie zu nichts und doch gab er ihr wiederum oft das Gefühl, dass er sie in der Hand hatte und er verlangen konnte was er wollte, wenn er es denn wollte. Das machte ihr Angst. »Ich darf keine Angst haben, es war meine Entscheidung mit ihm zusammen zu sein. Ich sollte mich langsam daran gewöhnen, dass wir ein Paar sind. Wir werden heiraten! Und wenn ich es nur zulasse, dann kann ich ihn bestimmt auch gern haben.«, versuchte sie sich Mut zu machen. Momoko lugte unauffällig zu ihrem Verlobten, der aufrecht neben ihr her ging. Takuro war nicht hässlich, auch wenn er genau wie früher nicht besonders muskulös und immer noch etwas blass war. Seine schwarzen Haare, die er nach wie vor lang und als Pferdeschwanz trug, glänzten in dem Licht der Laternen und sein Profil… Nein! Es ging nicht, sie konnte ihn sich nicht einfach attraktiv wünschen! Er war einfach nicht ihr Typ! Ein Jahr noch, dann würde sie seine Frau werden. Sie würde dann eheliche Pflichten zu erfüllen haben. Wenngleich ihr Herz und ihre Seele ihm vielleicht nie ganz gehören würden, ihr Körper würde es! War der Preis für ihr und das Wohl ihres Vaters wirklich gerechtfertigt? Sie spielte in der Manteltasche nervös an dem Verlobungsring, der auf ihrer Haut regelrecht zu brennen schien. Yosuke genoss das heiße Wasser, das die Dusche in Strömen über ihn genoss. Es vertrieb nicht nur die Kälte aus seinen Gliedern, es machte ihm auch das Denken leichter. Er und Hiromi waren beinahe schweigend nach Hause gegangen, zumindest er hatte nicht viel zu sagen gehabt. Seine Freundin redete eigentlich immerzu; er war es schon gewohnt und wusste instinktiv, wann er zu nicken, überrascht zu wirken, zu lächlen oder nachzufragen hatte. Auch wenn es ihn wurmte, aber ihm waren die ganze Zeit einfach nicht Momokos Augen aus dem Kopf gegangen. Himmelblau, teils saphirfarben… je nach Lichteinfall. Sie waren in der Lage gewesen so viel zu erzählen, ohne dass sie selbst Worte benutzen musste. Und in Takuros Nähe war das Licht ihn ihnen wie eingefroren gewesen. Starr, unsicher, verschüchtert hatten sie dreingeschaut. Doch so wie es aussah würde er wohl von allein nicht darauf kommen, wieso dies so war und sie trotzdem seinen Ring am Finger trug. Es hatte ihn nicht zu interessieren, er hatte sie immerhin zwei Jahre lang nicht gesehen und noch nie wirklich viel mit ihr zu tun gehabt, aber die Neugier war schier übermächtig. Er stellte das Wasser aus, wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte und stieg aus der Dusche heraus. Mit einem anderen Tuch rubbelte er sein Haar handtuchtrocken. »Wenn sie mich nicht gerade mit Beschimpfungen fortjagt, wenn ich ihr die Kamera bringe, bekomme ich vielleicht ja noch ein paar Informationen aus ihr heraus.« Zufrieden schlüpfte er in frische Shorts und eine lange, dunkelblaue Schlafanzughose. In dem kleinen, gemütlichen Wohnzimmer hörte er wie Hiromi in der Küche werkelte. Sie war wohl mit dem späten Abendessen beschäftigt. Yosuke rollte unwillkürlich mit den Augen, denn Kochen war leider keines ihrer Steckenpferde. Es war wohl besser, wenn er mal nachschauen ging, was sie dort trieb. „Kommst du zurecht, Mimi?“, fragte er, während er sich mit den Händen im Türrahmen abstützte. Es war gut, dass er sich zufällig festhielt, denn der Anblick, der sich ihm bot, hätte ihn garantiert ins Wanken gebracht. Hiromi stand mit dem Rücken gekehrt zu ihm an der Arbeitsfläche und schnippelte ein paar Gemüse zu. Ihr Aufzug dabei konnte es einem Mann schwindelig werden lassen; ihre Locken waren offen und durchgekämmt, weswegen ihr Haar in großen Wellen locker um ihr Gesicht fiel. Ihr Nacken und ein großer Teil ihres Rückens, sowie ihre Schultern und Arme waren komplett entblößt und auch sonst war sie mehr nackt als angezogen! Sie trug ein kurzes, durchsichtiges Negligé in Purpur mit gleichfarbigem Fellrand und Spaghettiträgern. Nur der Brustteil war absolut blickdicht, aber dafür konnte man deutlich den dunklen Tanga und ihren flachen Hintern erkennen. Ihre nackten Beine endeten in pelzigen Pantoffeln. »Das macht sie mit Absicht!«, wurde ihm klar. Yosuke holte scharf Luft und versuchte sich auf Hiromis Hinterkopf zu konzentrieren. Als sie sich endlich bequemte ihr Gesicht seinem zuzuwenden, hatte sie den üblichen, ganz unschuldigen, naiven Gesichtsausdruck drauf, dem immer alle Jungs erlegen waren. „Oh, Yojo-Maus. Schon fertig geduscht?“, fragte sie ganz beiläufig und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Zwiebel. »So ein Luder!« „Könnte man so sagen. Kann ich dir helfen?“, entgegnete er so gelassen wie möglich. Es war nicht so, dass er verbrannte bei ihrem Anblick, aber wann hatte man schon mal ein hübsches Mädchen in Reizwäsche in seiner Küche stehen? „Ich habe den Reis bereits eingeweicht und würde ihn gerne waschen und aufsetzen, könntest du bitte die Zwiebel für mich weiter schneiden? Ich muss sonst weinen!“, jammerte sie kläglich. Yosuke übernahm ohne Umschweife ihre Aufgabe und führte die Klinge gekonnt durch das würzige Gemüse. „Iiihhh ist das kalt!“, kreischte Hiromi plötzlich auf. Der Dunkelhaarige sah nur noch, wie der Reistopf aus den Händen der zierlichen Frau glitt und laut polternd ins Waschbecken stürzte. Eine Welle kalten Wassers, gemischt mit einzelnen Reiskörnern, war in Hiromis Dekolleté geschwappt. Reflexartig griff Yosuke zu einem Geschirrtuch und reichte es seiner Freundin, die ihn nur mit einem vielsagenden Blick bedachte. „Oh je, jetzt ist mein schönes Nachthemd ganz nass… was mach ich denn da jetzt?“ Yosuke blinzelte irritiert, als sie das Handtuch nicht beachtete, dafür bedeutsam auf ihren durch den nassen Stoff durchblitzenden Busen schaute. „Vielleicht sollte ich es besser ausziehen?“, fragte sie an ihn gewand, ihre Augen glänzten dabei gefährlich wie die einer Raubkatze. Der Groschen fiel bei dem Dunkelhaarigen endlich. Doch anstatt darauf anzuspringen legte er ihr das Handtuch fürsorglich über den Busen und wand sich dann schnell wieder beschäftigt der Zwiebel zu. Hiromi blieb der Mund offen stehen vor Entrüstung, seit wann konnte ihr Freund ihr widerstehen??? „Äh, Yosuke~“, säuselte sie betont langgezogen. „Hm, ja?“, antwortete er ohne sie anzusehen; eine Ader an ihrer Schläfe begann zu pochen. „Ich glaube, ich bin jetzt schrecklich schmutzig… möchtest du mir nicht helfen mich zu waschen?“, fragte sie ihn herausfordernd. Er schluckte angespannt. In seinem Kopf flogen flüchtig Bilder von Hiromis nacktem Körper vorbei, doch anders als sonst hatten sie heute nicht ansatzweise dein Reiz auf ihn, wie erwartet. Stattdessen drängten sich andere Bilder in seine Gedanken, die ihn erschreckend beschäftigten. Bilder von einem weiblichen, wohl geformten Körper; heller, makelloser Haut, einem vollen Busen, einem Schwanenhals; von einem Gesicht mit schönen, blauen Augen und wallendem, rosa Haar. Ein metallenes Klirren holte ihn zurück ins Hier und Jetzt. Das Gemüsemesser lag auf den Fliesen zu seinen Füßen und rotes Blut topfte aus seinem linken Zeigefinger. „Yosuke! Du hast dich geschnitten!“, rief Hiromi entsetzt und rannte davon, um vermutlich den Verbandskasten zu holen. Wie in Schockstarre stand er da und starrte auf seine Schnittwunde, deren Schmerz er gar nicht spürte. Viel zu erschrocken war er über seine verwirrenden Gedanken von eben. Warum kam ihm ausgerechnet Momoko in den Sinn, als Hirmoi versuchte ihn zu verführen? Es war zwecklos zu leugnen, dass er ihren Körper anziehend gefunden hatte, bevor ihm klargeworden war, dass sie es war, die er umgerannt hatte. Er empfand nichts für dieses Mädchen, aber sie hatte etwas an sich, dass ihn anzog und interessierte. Und es war klar, dass er sie nicht haben konnte. Niemals. Stattdessen gehörte dieser hübsche Körper und diese ausdrucksstarken Augen Takuro. Yosuke ballte seine verletzte Hand, das Blut tropfte als Rinnsal zu Boden, wo sich bereits eine kleine Pfütze gebildet hatte. „Was tust du da?!“, quietschte seine Freundin erschüttert, als sie wieder zurück kam und das Desaster zu seinen Füßen sah. Bestimmend wie eine Mutter dirigierte Hiromi ihn ins Wohnzimmer auf das Sofa, wo sie sich Yosukes Wunde annahm und ihr mit Jod und Salbe zu Leibe rückte. Vorgebeugt über seine Hand hatte er freie Sicht auf ihren nahezu entblößten Busen und er kam nicht umhin, ihn mit Momokos zu vergleichen, den er unter ihrer Kleidung eigentlich kaum gesehen hatte, aber dennoch für runder und größer befand. „Arme Yoyo-Maus, aber das heilt wieder. Deine Mimi macht dich wieder gesund, ja?“ Sie suchte fiebrig nach einem passenden Pflaster in dem unordentlichen Kasten. Sie ahnte nicht, dass Yosuke sich in Gedanken ausmalte wie wohl eine ganz andere Frau an ihrer Stelle aussehen würde. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Rosahaarige in diesem Negligé wohl wirken würde und sofort pulsierte das Blut in seinen Adern. Er würde sie niemals haben können – er wollte dies nie, hatte es niemals in Erwägung gezogen, doch jetzt, wo sie vergeben war, an einen anderen und die Verlobung dies endgültig machte, war es anders. Yosuke dachte an früher, an die Neckereien und Streitigkeiten, an die Ausgelassenheit zwischen ihnen. Auch wenn sie sich meistens gestritten hatten, so hatte er doch seinen Spaß daran gehabt. Jetzt, wo sie eine Frau war, wo sie begehrenswerter war als je zuvor und sie vielleicht die Chance gehabt hätten sich zu vertragen und normal miteinander umzugehen, war es zu spät. Wehmut und Eifersucht brauten sich in ihm zusammen. Er gönnte Takuro diesen schönen Körper nicht! Ausgerechnet Takuro! „Liebling, ist alles in Ordnung?“ Hiromi riss ihn aus seinen dunklen Gedanken und sah ihn besorgt mit ihren roten Augen an, die so gar keine Ähnlichkeit mit den Saphiren hatten, die ihn verfolgten und sein Blut zum Lodern brachten. Vor ihm saß eine junge, schöne Frau die ihn wollte, doch sie reizte ihn nicht. Es sei denn, er konnte sie in ihr sehen. Ohne Vorwarnung packte er Hiromi an den Oberarmen und zog sie in eine leidenschaftliche Umarmung. Der Verbandskasten rutschte vom Sofa, doch das war Yosuke egal. Er drückte die junge Frau auf die Couch, sah ihren nackten Hals an und sah ihn doch nicht, denn vor seinem geistigen Auge war es nicht ihrer. Er hauchte ihm heiße, fordernde Küsse auf und schob gleichzeitig den Rocksaum des Nachthemdes über ihren linken Oberschenkel. Hirmoi war erschrocken und verwirrt zugleich; wankte zwischen aufkommender Lust und Irritation. Yosuke hielt ihr Kinn mit seiner Hand fest zur Seite gedreht und presste sie mit seinem Körper so fest in das Polster, dass sie keinen Raum für eigene Handlungen hatte. Sein Mund wanderte hungrig weiter hinab, er nahm nun Hiromis Handgelenke in seine linke Hand; er wollte nicht, dass sie etwas tat. Er wollte die Bilder in seinem Kopf zerstören, wollte sie nehmen bis sie nicht mehr konnte und sich vorstellen, wie er einer anderen das neckische Lächeln damit aus dem Gesicht wischte und diesem Lackaffen Takuro ein Schnippchen schlug. Erregung durchflutete ihn. Nur für heute, schwor er sich im Stillen, galt sein Verlangen diesem anderen Mädchen. Jede körperliche Verschmelzung, jeder Stoß und jedes Drängen würden ihn von ihr abbringen. Zurück in die Realität, zurück in sein wahres Leben, in dem Hiromi seine Freundin war und sein Bett teilte. Seufzend und Stöhnend ergab diese sich seinen brüsken Forderungen, als er ihr den dünnen Stoff vom Leib riss und seinen unbekannt dunklen Hunger an ihr stillte. Kapitel 5: To make peace ------------------------ Hiromi erwachte aus einem tiefen Schlaf und war dennoch furchtbar müde. Draußen war es noch dunkel, sie war weit vor der Zeit aufgewacht. Yosuke neben ihr lag abgewandt auf der Seite und schlief selig wie ein Kind. Sie hob die Decke im Halbdunkel um sich zu vergewissern, ob sie nur geträumt hatte, doch sie war wirklich nackt. Ihre Knie waren noch weich und zittrig, ihr Körper fühlte sich ausgelaugt an und trockener Schweiß klebte an ihrer Haut. Sie fuhr ein paar ihrer Körperkonturen ab, hier und da tat es bei Berührungen weh; Hiromi hatte ein paar blaue Flecken zu verzeichnen. Seufzend schloss sie wieder die Augen. Yosuke und sie hatten sich lange und intensiv geliebt, aber die Art, wie sie es getan hatten, war ganz anders als sonst gewesen. Rauer, wilder… beinahe grob! Er war so fordernd gewesen. Wie ein ausgehungerter Wolf, der ein Lamm richtete. Trotzdem überlief sie ein wohliger Schauer, denn so hatte er sie noch nie genommen. Ja, es war anders gewesen, aber auf eine sehr spezielle, erotische Weise. Irgendwie dunkler, so bestimmend wie er gehandelt hatte. Das er sie dabei so passiv gewollt hatte, störte sie nicht. Viel zu sehr freute sie sich darüber, wie begierig er ihren Körper erkundet und in Besitz genommen hatte. Alles hatte er ihr abverlangt und doch hatte er ihr nicht erlaubt ihm etwas zurückzugeben, außer ihrer grenzenlosen Ergebenheit. »Er hat mich benutzt.«, dachte Hiromi bei sich und biss sich dabei grinsend auf die Unterlippe. Wenn Yosuke das gefiel und er sich endlich traute diese Seite auszuleben, wollte sie ihm dabei nicht im Wege stehen. Sie war bereit ihm alles zu geben, denn dafür gehörte er nur ihr ganz allein! Fiebrige Finger glitten über ihren zittrigen Körper und sie spürte heißen Atem auf ihrer Haut. Es war dunkel und still, nur ihre stoßweise gehenden Luftzüge waren zu hören. Doch da bewegte sich noch etwas im Dunkeln über ihr, sein Gewicht drückte sie auf das Bett in dem sie lag. Eine kalte, widerliche Zunge glitt von ihrem Schlüsselbein zu ihrem Ohr hinauf; sie hatte furchtbare Angst und wollte schreien, doch kein Laut entkam ihrer Kehle. „Liebe mich!“, stöhnte ihr eine nur allzu bekannte Stimme ins Ohr. Panisch versuchte sie sich ihm zu entwinden, doch es gelang ihr nicht, er war zu stark. »Bitte nicht!«, schrie alles in ihr. „Meine Frau… endlich bist du mein…“ Als sie seine Finger an ihrem Hosenbund spürte, war ihr Entsetzen unermesslich, Tränen rollten ihr aus den Augen und sie wollte sie könnte an ihnen ersticken. „NEIN!“, schrie Momoko entschieden und schnellte hoch. Der Morgen graute vor ihrem Fenster, Vögel zwitscherten in der Frische des anbrechenden Tages. Ihr Zimmer war wie immer, nichts erinnerte an die schreckliche Szene, die sie eben noch erlebt hatte. »Ein Alptraum?« Kalter Schweiß tränkte ihren Pyjama und ihre Haare klebten teilweise strähnig in ihrem Gesicht. „Nur ein Traum, zum Glück!“, beruhigte sie sich selbst. Momoko kicherte kurz erleichtert, doch dann verzog sich ihr Gesicht zu einer weinerlichen Miene. Sie knüllte ihre Zudecke zwischen ihren Fäusten zusammen und vergoss leise schluchzend ein paar Tränen auf ihren Bettbezug. Bevor sie aufstand und den Tag bestritt, der genauso grau war wie ihr ganzes Leben im Moment, wollte sie sich diesen einen Moment der Schwäche erlauben. »Es gibt kein Zurück, sei stark Momoko. Es wird schon alles gut werden.«, versuchte sie sich zu sagen, doch sie weinte nur stärker. Eine Stunde später bereits war ihr sämtlicher Kummer aus dem Gesicht gewaschen, frisch geduscht und gestylt zog sie sich eine schwarze Dreiviertelleggins und ein langärmeliges Shirt in Mintgrün mit weitem Rundhalsausschnitt an. Leger und bequem, genau richtig für ein paar Hausarbeiten. Sie band ihr langes Haar mit einem gelben Haarband zu einem frechen Pferdeschwanz hoch und schlüpfte in ein Paar Ballerinas, die ihr als Hausschuhe dienten. Die Zubereitung eines Frühstücks war ihre erste Mission. Auf leisen Sohlen schlich Momoko zum Schlafzimmer ihres Vaters, an dessen Tür sie leise klopfte, doch es kam keine Antwort. „Papa? Was möchtest du zum Frühstück haben?“, fragte sie besonders fröhlich klingend. Die hölzerne Tür blieb ihr eine Antwort schuldig. Seufzend drückte Momoko die Klinke herunter und spähte vorsichtig in das finstere Zimmer hinein. „Papa?“, fragte sie leise hinein. Ein unwilliges Grummeln kam aus der hintersten Ecke zu ihr vorgedrungen. Ein unangenehmer, beißender Geruch drang ihr in die Nase. Momoko hielt sie sich zu und schaltete das Licht in dem Raum an. Vor ihr lag ein schmuddeliges Zimmer, in dem ein Chaos aus herumliegender Wäsche, altem Essgeschirr, Bierflaschen, Unterlagen und diverser Fotoausrüstung herrschte. „Gnah… Momoko, mach das Licht aus!“, knurrte die grummelnde Stimme, die unter einer fleckigen Zudecke auf einem vollgemüllten Bett lag. „Papa! Wie sieht es denn hier wieder aus?“, klagte seine Tochter rüffelnd und bahnte sich einen Weg zu den Fenstern, die hinter dunklen Vorhängen lagen. Mit einem Ruck, der sämtlichen Staub aus den Stoffen löste, schob Momoko sie zur Seite und öffnete beide Fenster sperrangelweit. „Momoko, was soll das? Lass mich schlafen…“ „Nichts da, du musst aufstehen, dich waschen und etwas essen! So hier kann das nicht weitergehen, du musst dich aufrappeln und dir wieder eine Arbeit suchen!“, widersprach sie entschieden. Mit einem weiteren Ruck zog sie ihrem Vater die Decke weg. Er lag voll bekleidet und zerknittert in Embryonalstellung in seinem Bett. Momoko seufzte schwer, bei dem jämmerlichen Anblick, der sich ihr bot. Ihr Vater hatte strähniges Haar und Bartstoppeln, die dort nicht erst seit gestern sprossen. Außerdem roch er verdächtig nach Alkohol. „Ich bin erst spät heimgekommen.“, nuschelte er bestätigend. Momoko ging neben seinem Bett auf die Knie und lächelte ihn traurig an. „Papa, so kann das doch nicht weiter gehen… du kannst nicht jeden Abend in eine Bar gehen…“ „Warum nicht?“ Shôichirô sah seine Tochter aus von Schatten unterlegten, grünen Augen an. Etwas gepflegt sah er mit seinen markanten Zügen und den kurzen, braunen Haaren normalerweise ziemlich gut aus für einen Mann seines Alters. „Na weil das nicht gut für dich ist. Du musst doch auch wieder arbeiten…“ „Wozu? Du bist quasi erwachsen, du gehst bald aufs College und wirst eh ausziehen…“ „Papa, wir haben keine Ersparnisse mehr. Das was ich mit meinen Nebenjobs verdiene reicht gerade mal für das Nötigste… sie nehmen uns das Haus weg, wenn wir die Hypotheken nicht weiter bedienen.“ Momoko gab sich die größte Mühe lieb mit ihrem Vater zu reden und vorsichtig an sein Gewissen zu appellieren. „Das spielt keine Rolle, ich habe das Haus nur für dich und deine Mutter gekauft… und wofür? Sie ist weg… genau wie mein Job! Und sie wird niemals zurück kommen!“ Wütend setzte er sich auf die Bettkante und legte sein Gesicht in seine Hände. „Ach Papa… das sagst du doch alles nur, weil es dir nicht gut geht. Du solltest zu einem Arzt gehen und…“ „Zu einem Therapeuten?! Sagtest du nicht eben, dass wir kein Geld dafür haben? Ich bin nicht krank, mir geht es sehr gut, ich will nur meine Ruhe!“, unterbrach er sie bissig. Momoko sah ihn bestürzt an. Natürlich wusste sie das, wer wusste es schließlich besser als sie? Sie war es doch, die die Briefe mit den Rechnungen und Mahnungen öffnete und versuchte die Gläubiger mit ihrem kleinen Verdienst als jobbende Highschool Schülerin zu bedienen. „Ich… ich habe eine Lösung für unser Problem, denke ich.“ Sie drehte an dem Ring an ihren Finger, den sie bislang vor ihrem Vater noch versteckt hatte, weil sich einfach keine passende Gelegenheit ergeben hatte ihm davon zu erzählen. Shôichirô beachtete seine Tochter kaum, er stand leicht taumelnd auf, griff nach den erstbesten Klamotten aus seinem Kleiderschrank und stapfte zur Zimmertür. „Hörst du, Papa? Ich habe dir etwas zu erzählen! Ich mache Frühstück solange du dich fertig machst, ok? Und dann reden wir, ja?“, rief Momoko ihm hinterher. Ihr Vater murmelte etwas Unverständliches, was sie als ein Ja auffasste. „Und danach räume ich dein Zimmer auf…“, sagte sie mehr zu sich selbst und sah sich dabei noch mal das Durcheinander um sich herum an. Zufrieden betrachtete sie das fertige Frühstück, dass aus Reis, Misosuppe, Gemüse und etwas gebratenem Fisch bestand; bescheiden, aber lecker. Eine Kanne Kräutertee dampfte verführerisch, Momoko musste nur noch den auftafeln, dann konnten sie und ihr Vater frühstücken. Sie wischte ihre feuchten Finger an ihrer Küchenschürze ab, als sie hinter sich Schritte auf der Treppe vernahm. „Ah Papa, perfektes Timing, ich bin gerade mit dem Essen fertig!“ Ihr Vater eilte sie Stufen hinunter an ihr vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen. Momoko sah ihm verwundert dabei zu, wie er das Wohnzimmer eilig durchschritt. „Papa, was machst du denn?“ Als er an der Haustür ankam und seine Jacke vom Hacken ruppte, ließ die junge Frau sofort alles stehen und liegen und rannte ihm nach. „Stop! Wir wollten doch essen! Wir wollten reden!“, versuchte sie ihren Vater aufzuhalten und zog energisch an seinem Arm. „Nein Momoko, das wolltest DU! Ich will einfach nur meine Ruhe, also lass mich gehen!“ Ihr war zum Heulen zumute. „Aber Papa… du kannst nicht immer weiter unser Geld in Alkohol stecken… Ich schaffe diese Belastung nicht mehr alleine! Geh bitte nicht!“ Tränen standen in ihren Augen und selbst Shôichirô zerriss der Anblick seiner verzweifelten Tochter beinahe das Herz, doch er konnte nicht einfach aus seiner Haut. Es gab keinen Schalter den er umlegen konnte und der ihn zu einem trockenen, glücklichen Vater und Alleinverdiener zurückverwandelte. „Kümmere dich nicht um mich, leb dein eigenes Leben!“, sagte er entschieden und riss sich von ihr los. Der Morgen war auch nicht wärmer als der Abend davor, dafür schien jetzt nach dem anfänglichen Grau der Wolken wenigstens etwas die Sonne, was zumindest die Gemüter ein wenig aufhellte. Yosuke hatte sich sehr zeitig aus dem Bett gestohlen, weil er nicht mehr schlafen konnte. Zu viel ging ihm im Kopf herum – vor allem sein schlechtes Gewissen Hiromi gegenüber. Er hatte sie letzte Nacht nicht gut behandelt, war zu grob gewesen und das Schlimmste; er hatte seinen Frust im Geiste gar nicht an ihr, sondern an einer anderen ausgelassen. Aber immerhin ging es ihm jetzt besser, er fühlte sich erleichtert und war sich sicher, dass er den geheimnisvollen Schatten Momokos, der ihn gestern so gefesselt und beschäftigt hatte, abgeschüttelt hatte. Wenn sich nur alle Probleme so leicht durch Sex lösen ließen! Über seinem rechten Arm hing die Kameratasche der rosahaarigen Frau. Er wollte sie so schnell wie möglich loswerden und warum nicht die Gunst der Stunde nutzen? Hiromi schlief noch und in der Küche war das Chaos des Abends zurückgeblieben, um das sie sich dann wohl auch selber kümmern müssen würde. Zwei Fliegen mit einer Klappe; keine eifersüchtige Szene und keine Hausarbeit. Einen Nachteil hatte die Sache jedoch, er bestritt seinen Weg mit knurrendem Magen. Weder Abendessen noch Frühstück und dann noch körperliche Ertüchtigung, das forderte seinen Tribut bei dem Sportler. Er erreichte die Straße die zu dem Haus der Hanasakis führte. Es war eine kleine, ruhige Gegend mit lauter Einfamilienhäusern und kleinen Vorgärten. Richtig Idyllisch lag die Nachbarschaft im Licht der Morgensonne vor ihm. „PAPA!“, schrie jemand in den jungen Tag hinein. Yosuke sah geradeaus und entdeckte einen großen, breitschultrigen Mann mit braunem, unwirschem Haar, der mit beiden Händen in der Jacke und eingezogenem Kopf übereilt eines der Grundstücke verlies. Dicht gefolgt von einer jungen Frau mit Pferdeschwanz, die für diese Temperaturen eindeutig ungeeignet bekleidet war; Momoko. Er blieb stehen, der Mann, der Momokos Vater sein musste, kam schnurstracks auf ihn zu, aber sein Blick streifte ihn nicht. Ohne jegliche Regung hetzte er an Yosuke vorbei. Irritiert blickte er sich wieder um zu dem Tor, an dem Momoko stand und ihrem Vater versteinert nachschaute. Ihr aufgeregter Atem formte sich vor ihr zu kalten Wolken. Einen Moment lang glaubte Yosuke aus der Ferne Tränen in ihren Augen zu erkennen, er blinzelte und sah danach nur noch, wie sie sich wie rein zufällig mit dem Ärmel über ihr Gesicht wischte. „Was machst du denn hier?“, rief sie ihm mit etwas wackeliger, aber betont überraschter Stimme entgegen. »Wow, die Begrüßung ist wie erwartet warmherzig wie immer.«, dachte er sich zynisch. Um nicht die ganze Nachbarschaft zu unterhalten, überwand er mit schnellen Schritten den Abstand zwischen ihnen beiden, bis sie nur noch ein knapper Meter trennte. „Ich spiele den barmherzigen Samariter und bringe dir deinen verlorenen Schatz, obwohl du gestern nicht gerade nett zu mir warst.“ Er grinste sie spielerisch an und deutete auf die Tasche an seinem Arm. Belustigt sah er zu, wie ihr skeptischer Blick wich und ihre Augen sich auf Untertassengröße weiteten. „Meine Kamera!“, stellte sie fest und zog ihm den Riemen von der Schulter. Zwischen ihren feingliedrigen Fingern hielt sie die Tasche vor sich wie einen Schatz, den sie schon immer besitzen wollte. „Du hast sie gestern Abend in der Karaokebar vergessen.“, erklärte Yosuke, als sich der Moment der Stille zu lang anfühlte. Endlich sah sie wieder auf und ihn aus ihren leuchtend blauen Augen an, die mit einem Sommerhimmel konkurrieren konnten. „Ich hatte das noch gar nicht bemerkt…“, gestand sich die junge Frau ein. „Was? Ich dachte, sie ist dir so wichtig? Na ja, aber ist ja auch kein Wunder bei der Show, die Takuro und du gestern abgeliefert habt.“ Schlagartig funkelte Momoko ihn wieder böse an, warum konnte er nicht ein Mal seine freche Klappe halten? „Tse, das geht dich ja wohl gar nichts an! Warum bringst ausgerechnet du sie mir, wenn ich dir so zuwider bin?“, hinterfragte sie schnippisch. „Weil dein Verlobter Yuri und Hinagiku als schlechte Freundinnen vor dir hinstellte und du ihm nicht widersprochen hast. Sie sind sauer auf dich.“ Ein Stich fuhr Momoko ins Herz, das sah er sofort an ihrem Gesichtsausdruck und dem Flackern in ihren Augen. Er fühlte sich mies. „Hey, tut mir leid. Ich wollte das nicht so hart sagen.“ Die Blauäugige schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein, schon gut. Wenn das so ist, ist es eben so… dann muss ich dir wohl danken, dass du dich für diese undankbare Aufgabe geopfert hast.“ Schon klang sie wieder selbstsicher und spitzbübig wie immer. Ihre Launen waren Yosuke ein echtes Mysterium. Während er darüber grübelte begann Momoko zu zittern, erst jetzt fiel ihm wieder auf, dass es ja sehr kalt war und sie nur dünne Kleidung trug. „Na dann will ich dich mal nicht weiter belästigen, du frierst bestimmt, geh lieber wieder rein.“ Momoko quittierte seinen Satz mit einem ungläubigen Kichern. „Ach was, du machst dir doch nicht etwa Sorgen um mich? Sorg du dich mal lieber um deine eifersüchtige Freundin. Hiromi tobt doch bestimmt, weil du bei mir anstatt bei ihr bist.“ Diesmal was es Yosuke, der ihr einen so finsteren, durchbohrenden Blick zuwarf, dass es ihr das Lächeln aus dem Gesicht wischte. „Warum eigentlich machst du es mir so schwer ein Mal nett zu dir zu sein?!“, fuhr er sie energisch an. Erstarrt und perplex sah sie ihn an und wusste darauf keine Antwort. Es musste die Macht der Gewohnheit sein, jahrelang verband sie beide doch nur das; diese Sticheleien und kleinen Gemeinheiten, die den jeweils anderen immer auf die Palme brachten. „Ich weiß nicht, du warst doch noch nie wirklich nett zu mir.“, begann Momoko schließlich doch noch eine Erklärung. „Das stimmt doch gar nicht! Ich habe dich sogar schon in das Krankenzimmer der Schule getragen, als du einen Fußball an den Kopf bekommen hattest! Und du warst nicht gerade ein Fliegengewicht! „Siehst du! Schon wieder! Du bist keinen Deut besser als ich! Fass dir lieber an deine eigene Nase!“, schimpfte sie ihn entrüstet aus und erzitterte erneut vor Kälte. Resignierend seufzte der dunkelhaarige, junge Mann und lies die Schultern hängen. „So ist das wohl zwischen uns, oder? Anscheinend können wir beide nicht so recht aus unserer Haut.“, sagte er bedauernd. Das nahm Momoko wieder den Wind aus den Segeln. Da war etwas Wahres dran… und trotzdem, das musste doch auch anders gehen, oder? Gestern Abend hatten sie es doch beide gespürt, als sie mehrfach Blicke ausgetauscht hatten! Nachdenklich drehte und wendete sie ihre Kameratasche zwischen ihren Händen. Yosuke sah ihr dabei schweigend zu. Ein beinah ohrenbetäubendes, langgezogenes Knurren durchbrach die Stille. Yosuke und Momoko liefen beide rot an, mit großen Augen starrte sie zu dem Torwart hinauf, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte. „Was war das denn?!“, fragte sie ihn rein rhetorisch. „Mein Magen, ich hatte weder Abendessen noch Frühstück.“, antwortete Yosuke ungewohnt schüchtern, das war ihm schrecklich peinlich. Zum ersten Mal hörte sich das glucksende Kichern aus Momokos Kehle ehrlich an und ein aufrichtiges Lächeln, das ihre Augen zum Funkeln brachte, breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Schon meldete sich Yosukes Herz wieder mit einer erhöhten Frequenz, die ihm noch mehr Blut in die Wangen trieb. „Lässt dich Hiromi etwa verhungern?“, fragte sie amüsiert und versuchte ihr Grinsen hinter einer Hand zu kaschieren. Der Arme kam jedoch nicht zum Antworten, das übernahm erneut sein Magen für ihn. Momoko prustete lauthals los, die Situation war einfach zu komisch! Angesteckt von ihrer Heiterkeit ließ sich auch Yosuke zu einem Schmunzeln hinreißen. Er lachte leise mit ihr mit uns hielt sich dabei den Magen. „Oh mein Gott, so habe ich schon lange nicht mehr gelacht!“, erzählte die Hobbyfotografin und wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Dann habe ich heute Morgen ja schon zwei gute Taten vollbracht.“, rühmte sich Yosuke grinsend selbst. Momoko nickte bestätigend und überlegte noch einen kurzen Augenblick lang. „Dann sollte ich deinen Einsatz vielleicht belohnen. Ich habe Frühstück gemacht und zu viel übrig. Möchtest du kurz mit reinkommen?“ Überrascht blinzelte er die junge Frau an und suchte nach einem Anzeichen für einen Scherz in ihrer Miene, doch sie schien es wirklich ernst zu meinen. Sein langes Starren machte sie verlegen, ein Hauch Röte stahl sich um ihre Nase herum. „Schau nicht so! Ich lade dich wirklich zu einem Frühstück ein und ich schwöre, dass es nicht vergiftet ist.“ „Hmm… ist das ein Friedensangebot?“ „Tja, das kommt drauf an wie dein Betragen als Gast so ist.“, sagte sie mit einem kecken Augenzwinkern. Yosuke schmunzelte. „Na gut, dann nehme ich die Einladung dankend an.“ Unerwartet hielt sein Gegenüber ihm die ausgestreckte, rechte Hand hin, die er nur irritiert betrachtete. „Frieden?“, fragte Momoko schließlich, die damit gleichzeitig seine stumme Frage beantwortete. „Frieden!“, entgegnete er und schlug ein. Ein Gefühl von Erleichterung und Zufriedenheit breitete sich in ihnen aus, der Morgen hatte eine unerwartete, aber willkommene Kehrtwende mit sich gebracht. Kapitel 6: Sneaking suspicion ----------------------------- Hiromi kochte vor Wut! Wo zum Henker war ihr Freund abgeblieben?! Und was dachte sich Yosuke dabei, sie mit der liegengeblieben Unordnung in der Küche allein zu lassen? Nicht mal einen Zettel oder eine SMS hatte er hinterlassen! Wütend warf sie den Lappen, mit dem sie die Arbeitsflächen abgewischt hatte, ins Spülbecken und sammelte sämtliche Nahrungsmittel, die sie nun nicht mehr benutzen konnte, in einem kleinen Mülleimer zusammen. Den aufgequollenen Reis konnte man noch essen, auch wenn er etwas matschig sein würde. Vielleicht taugte er für Omelette oder Onigiri… ein guter Zeitpunkt sich noch mal ein Kochbuch anzusehen. Etwas selbstzufrieden grinste sie während des Aufräumens nun doch vor sich hin, schließlich war hier ihr Verführungsmanöver ein voller Erfolg gewesen, wenngleich auch nicht auf Anhieb und dann auf ganz überraschende Weise. „Vielleicht ist er unterwegs und besorgt mir ein paar Blumen?“, überlegte sie. Yosuke war eigentlich immer schon eher der zurückhaltende, stille Typ in ihrer Beziehung gewesen. Er war zu ihrem Leidwesen kein Freund von viel Kitsch oder Romantik gewesen, obwohl er ihr gegenüber trotzdem immer höflich und ein Gentleman war. Vielleicht hatte er ja jetzt vor das zu ändern? Die letzte Nacht musste etwas bedeutet haben, möglicherweise war ihm auf dem Klassentreffen ja erst bewusst geworden, was für eine tolle Freundin er hatte? Natürlich, das musste es sein! Vergnügt hüpfte Hiromi durchs Wohnzimmer und überlegte, was sie im Haushalt noch erledigen konnte. Und was sich ihr Liebster wohl das nächste Mal im Bett mit ihr wünschen würde. „Bitte entschuldige, wenn es hier etwas chaotisch aussieht, ich wollte nach dem Essen gleich mit der Hausarbeit anfangen.“, entschuldigte sich Momoko, als sie Yosuke herein bat. Wie es sich gehörte zog er seine Schuhe vor der Stufe zum eigentlichen Flur aus und hängte seinen Mantel an der Garderobe auf. Sein Rollkragenpullover war heute beige mit Zopfmuster, die Hose war Dieselbe wie am Vorabend. Yosuke sah sich kurz in dem warmen Raum mit der offenen Küche um und konnte keine Unordnung entdecken, das Mondgesicht war ordentlicher als er erwartet hatte. „Sieht doch sehr gemütlich aus.“, kommentierte er. Momoko atmete beruhigt aus. „Setz dich ruhig an den kleinen Tisch, ich muss erst auftun.“ „Mach ich.“ Er lief langsam zu dem kleinen Esstisch um in Ruhe das Zimmer abnehmen zu können. Sein Blick blieb an dem leeren TV-Regal hängen. „Nanu, habt ihr gar keinen Fernseher?“ Momoko zuckte unwillkürlich zusammen, sie folgte seinem Blick zu dem freien Platz an der Wand. „Äh, doch. Der ist… gerade in Reparatur.“, erklärte sie etwas zögerlich. Yosuke stutzte misstrauisch. „Und das Soundsystem und die Stereoanlage auch?“, hinterfragte er ungläubig. Etwas zu energisch stellte die Blauäugige die Teekanne auf den Tisch. Ihr Gegenüber schluckte. „Ja. Die auch!“ Ihr Tonfall duldete keine Nachfragen, also beließ es Yosuke dabei. Er wollte den jungen Frieden zwischen ihnen beiden nicht gleich überstrapazieren. „Kann ich dir vielleicht mit etwas helfen?“, fragte er hilfsbereit, um seinen guten Willen zu zeigen. Momoko winkte jedoch ab. „Nein danke, es ist eh nicht viel.“ Abschließend zu den Reisschüsseln, der Misosuppe, den kleinen Tellern für den Fisch, den Gemüseschälchen, den Soßen und den Teetassen stellte sie noch eine Schale mit ein paar Äpfeln auf den Tisch. Yosuke sog den Geruch des Essens gierig ein, was sein Magen grummelnd quittierte. „Hmmm das riecht wirklich gut!“, schwärmte er anerkennend. Die junge Frau lächelte zurückhaltend und setzte sich. „Probier lieber erstmal. Nicht, dass du mich zu Unrecht lobst.“ Der Dunkelhaarige tat es ihr gleich und nahm ihr gegenüber Platz. Unschlüssig betrachtete er die Auswahl an Leckereien; er wollte nicht gierig wirken, also wartete er ab was Momoko nahm und machte es ihr dann nach. „Du brauchst dich nicht zurück halten, bedien dich einfach.“, sprach sie ihn durchschauend an. Er lächelte ertappt. Nach und nach brach das Eis, Yosuke ließ sich nicht zwei Mal bitten, dazu war er zu ausgehungert. Genießerisch machte er sich über Suppe, Reis, Fisch und Gemüse fast zeitgleich her. Momoko beobachtete dies staunend, aber zufrieden. „Das muss ich dir wirklich lassen, das war echt lecker Pfirsichtörtchen!“, lobte Yosuke sie nach dem Mahl mit befriedigter Miene und rieb sich satt den Bauch. Die Verwendung ihres alten Spitznamens machte die Rosahaarige verlegen. „Hey, ich dachte, du wolltest mich nicht mehr so nennen…“, kommentierte sie auf die Tischplatte starrend. Erschrocken über sich selbst versuchte er mit übertriebenem Abwinken den Satz ungesagt zu machen. „Das ist die Gewohnheit! Es ist mir nur so rausgerutscht!“ Seine Unsicherheit amüsierte sie. Der ach so coole Yosuke war also doch ganz leicht aus der Fassung zu bringen. Dieser Junge gefiel ihr viel besser als der unnahbare, kühle und überhebliche Torwart von damals. „Keine Sorge, wenn du brav bist verrate ich es Hiromi nicht.“ Wieder zwinkerte sie ihm zu. „Das ist wohl auch besser so. Sie würde wahrscheinlich ausrasten!“ Er lachte etwas verkrampft bei dem Gedanken an seine Freundin, die ihn und wahrscheinlich auch Momoko einen Kopf kürzer machen würde. „Schon merkwürdig. Ausgerechnet Hiromi hat es geschafft dich zu erobern, dabei waren wir uns damals immer einig, dass sogar du zu gut für sie bist.“, begann sie Yosuke aufzuziehen. „Das sagt die Richtige. Ich glaube mit Takuro als deinen Verlobten hat auch niemand gerechnet!“ Er wusste, dass sie nur einen Spaß machen wollte und dachte, wenn er es genauso machte war es ok, aber schlagartig verschwand die Unbeschwertheit aus Momokos Gesicht. Da war doch was faul! „Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte er vorsichtig nach. „Nein, wieso? Du hast doch Recht. Das Schicksal geht schon komische Wege, nicht wahr?“ Ihre Stimme klang etwas zu übersteuert und ihr rasch aufgesetztes Lächeln war zu steif, um ihr bedenkenlos beipflichten zu können. Momoko stand auf und sammelte so viel Geschirr zusammen wie sie tragen konnte und flüchtete damit in die Küche, doch Yosuke hatte nicht vor sie so davonkommen zu lassen. Er schnappte sich den Rest und lief ihr hinterher. „Erzähl doch mal, wie kam es denn dazu, dass ihr zusammengekommen seid? Er war doch bis vor Kurzem im Ausland oder? Und damals in der Schule konntest du ihn doch gar nicht ausstehen.“ Angespannt bemühte sich Momoko darum keine Miene zu verziehen und äußerst beschäftigt zu wirken, während sie den Abwasch vorbereitete. „Du hast auch nicht unbedingt den Eindruck gemacht, als wäre Hiromi deine Traumfrau gewesen.“, wich sie den Spieß umdrehend aus. Yosuke schnaubte, sie war wirklich eine harte Nuss! Er betrachtete ihre Rückansicht, die sie ihm zu wand, als sie am Spülbecken stand und begann das Geschirr abzuschrubben. Ihr Nacken lag frei, ihre Haut war hell und rein. Wenn er näher herantreten würde konnte er bestimmt die feinen, blauen Äderchen durch sie hindurch schimmern sehen. Ihr schlanker Hals, die schmalen Schultern und die zierliche Taille, in der der Knoten ihrer Schürze saß, führten hinab zu einem ansehnlichen Apfelpo, der sich durch die enganliegende Leggins vorteilhaft abzeichnete. Der junge Mann räusperte sich und versuchte seine Augen auf einen anderen Punkt im Raum zu konzentrieren, aber ihre Figur verdiente bewundernde Blicke einfach! Mit einem Schlag holten ihn die Ereignisse des letzten Abends ein, was ihm die Scharmesröte ins Gesicht trieb. Der Moment hatte etwas von einem Déjà-vu! Yosukes Herz pochte aufgeregt und in seinen Fingerspitzen kribbelte es, so als würde Elektrizität durch sie hindurch fließen. Der Gedanke sie so vor sich zu sehen, wie er sie sich am Vorabend vorgestellt hatte, reizte ihn mehr als er sich erlauben wollte. Trotzdem tat er einen Schritt näher an Momoko heran, er musste sich nur ein wenig vorbeugen und er würde ihren Geruch wahrnehmen können. »Fuma! Was zum Henker treibst du da?!«, schalt er sich selber. Momoko ließ den Schwamm mit mehr Druck als nötig über die Keramikwaren fahren, sie war zu nervös und brauchte ein Ventil um wieder zur Ruhe zu kommen. Warum war dieser Yosuke so schrecklich neugierig? Und dann ausgerechnet auch noch darauf, was sie und Takuro betraf? Na gut, sie musste zugeben selber brennend an der Story interessiert zu sein, wie Hiromi den Platz 2 Schulschwarm für sich gewinnen konnte. Nicht, dass es sie etwas anging… ihr war er ja schließlich gleichgültig. So versunken in ihren Gedanken hatte sie fast vergessen, dass Yosuke ja immer noch hinter ihr stand; das fiel ihr erst wieder ein als sie hörte, dass er näher an sie herangetreten war. Viel näher! Angespannt sog sie scharf Luft ein. Was trieb er da? Sie wollte so tun, als würde sie ihn gar nicht wahrnehmen, wahrscheinlich heckte er wieder mal einen Scherz aus oder vielleicht wollte er sie etwas fragen. Doch eine Frage blieb aus. Ganz unerwartet spürte sie warmen Atem in ihrem Nacken, sodass ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Ihr Puls beschleunigte sich und ihre Finger wurden ganz zittrig, es fiel ihr schwer sich auf die Putzbewegungen zu konzentrieren. Was sollte das, was hatte er vor? Sollte sie sich umdrehen? Wenn ja, was sollte sie sagen, wie reagieren? Ein weiterer Atemzug streifte ihre linke Schulter, Momoko erschauderte unwillkürlich. Der Geruch von Shampoo mit Pfirsichduft hüllte sie ein, ein Duft der zu ihrer Haut und ihrem Namen perfekt passte. Eigentlich wollte er ihr nur über die Schulter sehen und das Gespräch wieder aufnehmen, doch sie schien ihn nicht wahrzunehmen, weswegen er sich hinreißen ließ einen Moment lang an ihrem Nacken inne zu halten und den feinen Übergang von ihrem Hals zur Schulter zu bewundern und in ihrem Geruch zu schwelgen. Sein Blick fiel auf die aufgestellten Härchen in ihrem Nacken. »Eine Gänsehaut?« Also hatte sie sehr wohl gemerkt, dass er direkt hinter ihr stand? Yosuke wollte erst zurückweichen, doch wenn sie nicht zurückschreckte, obwohl sie sich seiner Nähe gewiss war, dann wartete sie vielleicht auf eine Regung von ihm? Seine Lippen formten ein schelmisches, verschwörerisches Grinsen. Seine Augen wanderten ihr Rückrad hinab bis zu dem Knoten ihrer Schürze, das konnte man bestimmt nutzen um sie ein wenig aus der Reserve zu locken. Zuerst etwas unschlüssig hielt er Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand über den höchsten Wirbel in ihrem Nacken erhoben. Gefasst darauf eine ausholende Hand abwehren zu können, setzte er seine Finger auf ihrem Shirt auf und lies sie langsam hinab gleiten. Sie zuckte kurz zusammen, es war wie ein Stromschlag, der sie ihm Nacken traf. Schwamm und Teller waren ihr aus den Händen geglitten und versanken leise im Schaumbad. »Was denkt er sich?!«, schimpfte sie innerlich und wollte sich eigentlich wutentbrannt zu ihm umdrehen und ihm die Leviten lesen, doch seine überrumpelnde Berührung – welchen Zweck sie auch immer erfüllen sollte – brachte sie auch auf angenehme Art und Weise aus der Fassung. Ein weiterer Schauer überfiel sie, als seine Finger bereits die Mitte ihres Rückens passierten. Momokos Knie wurden auf unbekannte Art und Weise mit einem Mal sehr weich und wackelig. Hin und her gerissen zwischen abwarten und reagieren wollen, verstrichen die Sekunden, bis die Berührung jäh am tiefsten Punkt ihrer Taille endete. Sie wollte diesen Moment nutzen sich endlich zu Yosuke umzudrehen und ihn zur Rede zu stellen, ganz cool natürlich, so als hätte sie das eben gar nicht interessiert, doch da fühlte sie ihn am Knoten ihrer Schürze nesteln. „Lass das!“, fuhr sie Yosuke an und drehte sich so abrupt um, dass es ihm doch misslang ihr auszuweichen, weswegen sie mit ihren Köpfen aneinanderstießen. Blind vor Schmerz verlor Momoko fast das Gleichgewicht, doch der Verursacher des Missgeschicks war gegenwärtig genug noch rechtzeitig seinen rechten Arm um sie zu schlingen. Mit der linken Hand hielt er sich selbst seine schmerzende Wange. Ein Augenblick beiderseitigen Wehklagens ließ sie so verbleiben. Yosuke war der erste, der im vollen Umfang begriff, was passiert war und wie ausgeufert sein kleiner Scherz war. Seine braunen Augen schauten auf das Mädchen in seinem Arm hinab. Ein zarter, weiblicher Körper – war sie schon früher so leicht gewesen? Errötend stellte er fest, dass sich ihr Busen an seine Brust schmiegte. Ihr Haarschopf lag fast unmittelbar unter seiner Nase, es war seidig und roch unwiderstehlich gut. Das Blut in seinen Adern begann wieder zu lodern. Der Mann in ihm wollte dieses Geschöpf noch etwas enger umarmen, ihrem Haupt einen Kuss aufdrücken, ihre Alabasterhaut streicheln… »Um Himmels Willen! Was denke ich denn da schon wieder?!« Im selben Augenblick riss auch Momoko begreifend die Augen auf und traf seinen Blick; ihr Gesicht war seinem so nahe, dass sie seinen Atem spürte. Sie sah den Schrecken in seinem Gesicht und errötete ebenfalls. Seine rehbraunen, tiefgründigen Augen waren fesselnd und durchdringend. Selbst jetzt, wo sie sie erschrocken musterten, ließ sie das beinahe den pochenden Nachhall an ihrer Stirn vergessen. Als sie jedoch ihre Position nah an seinem Körper erkannte, war der knisternde Moment vorbei und sie stieß ihn mit beiden Händen von sich. „Du Idiot! Perversling! Was sollte das?! Willst du mich verarschen???“ Ihre Ausdrucksweise war hart, aber ihre Stimme, Mimik und Gestik untermalten, wie fassungslos, erschüttert und wütend sie tatsächlich war. Der Knoten ihrer Schürze war offen, also zog Momoko sie sich über den Kopf und warf sie zornig in Yosukes Gesicht. Ihr Gesicht war immer noch hochrot. Der geübte Torwart beachtete das Stoffgeschoss nicht weiter und warf es nach dem Auffangen achtlos weiter hinter sich auf die Küchenflächen. „Es tut mir leid, es tut mir leid! Ehrlich, das wollte ich nicht, ich wollte nicht…“, fing er hastig an sich rechtfertigen zu wollen. Er tat einen Schritt auf Momoko zu, doch sie wich direkt zwei zurück, ihre Arme schützend um sich selbst geschlungen. „Was wolltest du nicht?“, zischte sie ihn argwöhnisch an. Yosuke seufzte, fuhr sich unwirsch durch sein Haar und sah sie flehendlich an. „Glaub mir, ich wollte dir nichts tun! Ich wollte nur einen Spaß machen!“, versuchte er ihr glaubhaft zu machen. „Du findest das also witzig, wenn du mir an die Wäsche gehst?!“ Der Braunäugige erhob abwehrend die Hände auf Schulterhöhe und schüttelte den Kopf. „Ich schwöre, das hatte ich niemals vor!“, widersprach er mit klarer, fester Stimme. »Du hättest aber am liebsten…«, schlich sich eine leise Stimme in seine Gedanken, die er aber sofort mit einem Kopfschütteln verstummen ließ. Momoko sah ihn prüfend an. Das Blau in ihren Augen blitzte misstrauisch auf, doch selbst der Zorn konnte ihr schönes Gesicht nicht entstellen. „Was sollte das dann?“, durchbrach sie den Augenblick der Stille schroff. „Ich erkläre es dir. Wenn du noch ein paar Schritte von dem Messerblock hinter dir weg gehst.“ Die Rosahaarige sah sich zu der Messersammlung um und dann wieder zu ihrem Gegenüber, der es mit einem schiefen Lächeln bei ihr versuchte. Doch den Gefallen tat sie ihm nicht, stattdessen bedachte sie ihn mit einem süffisanten, kurzen Auflachen. „Gegenvorschlag: Du erklärst es mir und das am besten plausibel, dann überlege ich mir vielleicht, ob ich die hier brauche um dich zum Teufel zu jagen oder nicht.“ Ihre erfrischende Schlagfertigkeit beeindruckte ihn und zauberte ihm trotz der unbefriedigenden Antwort ein echtes Lächeln auf die Lippen. „Ok. Also, ich schwöre, dass ich dich nur etwas ärgern wollte – Hey, lass brav die Finger von den Messern und lass mich ausreden! Es hat mich geärgert, dass du mir nicht mehr von dir und Takuro erzählen wolltest und stattdessen den Spieß umgedreht hast. Und dann dachte ich bei mir, dass ich dich doch vielleicht etwas provozieren könnte. Ich habe aber ehrlich nicht damit gerechnet, dass du mich einfach machen lässt… ich verspreche dir aber hoch und heilig, ich wollte nicht mehr als den Knoten deiner Schürze aufmachen um deine Aufmerksamkeit zu bekommen!“ Noch immer hielt Yosuke seine Hände hoch, Momoko sah ihn lange überlegend an. Man konnte die Zahnräder in ihrem Kopf förmlich ticken hören. „Das war dämlich…“, nuschelte sie unverständlich. „Was?“, fragte Yosuke reflexartig nach. „Das war total DÄMLICH von dir!“, schrie sie ihn sauer an, „Ich fing gerade an dich zu mögen!“ Zu mögen – diese Aussage schwebte für einen langen Augeblick lang eingehüllt in bedächtiges Schweigen über ihnen. Etwas perplex entglitt Yosuke sein gefasster Gesichtsausdruck. Momoko hatte ihre Wangen dick aufgeblasen und eingeschnappt ihre Arme verschränkt, machte aber nicht den Eindruck sich etwas Besonderes bei ihrer Wortwahl gedacht zu haben. Natürlich nicht. „Stimmt, es war dämlich von mir. Ich fing nämlich auch gerade an mich an den Frieden zwischen uns zu gewöhnen.“, versuchte er zu scherzen. „Du kannst mich nicht einfach so antatschen!“ „So? War dir das zu intim?“, witzelte er weiter. Momoko errötete erneut und erwiderte seinen Blick etwas zickig, aber deutlich verlegen. „Wenn du es genau wissen willst – ja!“ Ihre Antwort wischte ihm das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht. Wie konnte ihr das unangenehm sein, wenn sie doch sogar einen Verlobten hatte? „Oh, dein Takuro hätte wohl ein Problem damit, stimmt’s?“, schlussfolgerte Yosuke. „Das hat mit Takuro rein gar nichts zu tun und überhaupt, fängst du schon wieder mit diesem Thema an?“ „Warum bist du denn so verschlossen? Oder bist du einfach nur verklemmt?“ Seine Gesprächspartnerin erkannte den provozierenden Unterton sofort, doch wollte sie sich nicht auf dieses Spielchen einlassen. „Ich bin überhaupt nicht verklemmt, sondern einfach nur anständig.“, entgegnete sie trocken, kehrte ihm den Rücken und wollte zurück ins Wohnzimmer gehen. Yosuke grinste in sich hinein, machte einen Satz zu ihr hin und zog sie mit einem Ruck wieder zu sich herum, sodass er sie zwischen den Küchenschränken und sich selbst gefangen nehmen konnte. Seine Arme bildeten dabei je rechts und links von ihr die Gitter ihres Gefängnisses. Momoko war starr vor Schreck und sah ihn aus großen Augen an, ihr Gesicht wieder ganz nah an seinem. „Aha, gar nicht verklemmt also. Warum wirst du denn dann so rot?“, neckte er die junge Frau schelmisch grinsend. Wie erwartet nahm ihr Teint sofort die Farbe einer Tomate an. „Du bist richtig blöd, weißt du das?“, grummelte sie kleinlaut, hielt seinem Blick aber stand. Der Torwart konnte nicht mehr ernst bleiben und brach in schallendes Gelächter aus, gab seine Gefangene frei und torkelte übertrieben vorgebeugt an ihr vorbei in die Stube. „Ich muss schon sagen, dein Gehabe ist schon irgendwie süß, Momoko.“ „Dafür finde ich dich überhaupt nicht süß!“, schimpfte sie ihm schrill nach, was ihn erneut auflachen ließ. Mit hochgezogener Nase folgte sie ihm, ihr beleidigter Blick amüsierte Yosuke zutiefst. „Brauchst du auch nicht, du hast ja schließlich Takuro.“ Endlich kam von seiner Gesprächspartnerin wieder eine Reaktion, mit der er etwas anfangen konnte. Statt verliebt über diese Aussage zu lächeln, sah sie kurz bedrückt zu Boden. Der Dunkelhaarige setzte eine ernste Miene auf. „Du bist doch glücklich mit ihm, oder?“ Momoko sah ihn unschlüssig an, bemüht eine passende Antwort zu finden. „Warum sollte ich das denn nicht sein?“ Sie hatte zu lange gezögert und ihre Antwort klang alles andere als würde sie selbst davon überzeugt sein. „Ich weiß nicht, ich habe einfach den Eindruck, dass dich etwas bedrückt.“ Ihre Augen flackerten auf, ein trauriger, bekümmerter Glanz lag in ihnen und in Yosuke breitete sich ein beklemmendes Gefühl aus. Die Tatsache, dass ein quasi Fremder, oder schlimmer noch – jemand mit dem sie jahrelang nichts mehr als Hassliebe verbunden hatte, ihr anscheinend an der Nasenspitze ansah, dass etwas nicht stimmte, erschütterte und verunsicherte sie. Sie hatte geglaubt eine Mauer um sich herum errichtet zu haben, die verhinderte, dass die Außenwelt mitbekam was in ihr vorging. Momoko wollte nach außen hin selbstbewusst, entschlossen und glücklich wirken. Wenn Yosuke jetzt schon etwas bemerkte, wie sollte sie dann Takuro den Rest ihres Lebens etwas vormachen? Davon hing doch schließlich ihr Glück und das ihres Vaters ab. Ihr Alptraum holte sie ein und schon war das flaue, schreckliche Gefühl in ihrem Magen wieder da. »Nein, du darfst nicht weinen, du darfst ihm nichts sagen!«, ermahnte sie sich. Sie sah dem hochgewachsenen Jungen wieder in die Augen, sie waren so warm und aufrichtig, dass sie schlucken musste. Warum konnte Takuro nicht solche Augen haben? Obwohl sie sich eben noch gestritten hatten, strahlte der Sportler etwas aus, das sie geradezu dazu verleitete mit ihm über ihre Sorgen zu reden. Irgendwie fühlte sie sich wohl in seiner Gegenwart, das hatte sie schon beim Frühstück bemerkt. Und doch war er fremd und manchmal etwas taktlos; er war nicht der Richtige um über solche Dinge zu reden. Dazu hatte sie Freundinnen, eigentlich. Der Gedanke daran, dass Yuri und Hinagiku nicht mehr für sie da waren, stürzte sie in nur noch tiefere Verzweiflung und der Zwiespalt, Yosuke ehrlich zu antworten oder auf ihrer Fassade zu beharren, wurde immer größer. Sie spürte wie Tränen in ihren Augen aufstiegen und konnte rein gar nichts dagegen tun. Dort vor ihr stand jemand, der geduldig und mit einem lieben, milden Lächeln auf ihre Antwort wartete und ihr vielleicht der Freund sein konnte, den sie jetzt in diesem Moment unbedingt gebrauchen konnte. „Yosuke, ich…“ Die Haustür flog mit einem lauten Rumms auf, erschrocken zuckten die beiden jungen Leute zusammen. „Momoko!“, rief der Mann, der im Türrahmen stand aufgebracht. „Ich habe kein Geld in meiner Börse!“ Unfähig sich zu rühren starrte Yosuke Momokos Vater an, der sie ohne ein Wort der Begrüßung an ihn brüsk in Beschlag nahm. Dem Mädchen, das eben noch ausgesehen hatte, als müsste sie gleich weinen, wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. „Papa? Wo warst du? Entschuldige, ich habe gerade Besuch… erinnerst du dich noch an Yosuke Fuma?“ Sichtlich unsicher, wie sie reagieren sollte, trat sie stammelnd auf ihren Vater zu, der ihm – den Besuch – jetzt wenigstens mit einem flüchtigen Blick bedachte. „Hm, ja ja… wieso hab ich kein Geld mehr in meinem Portemonnaie?“, fuhr er einfach fort. „Papa…“, begann Momoko flüsternd, ihr war das schrecklich unangenehm. „Du musst es gestern Abend ausgegeben haben…“ „Dann gib mir welches!“, forderte Shôichirô. Yosuke, der sowieso schon sprachlos war, fand einfach keine Worte für das, was vor seinen Augen passierte. Was um Himmels Willen war aus dem einst so stattlichen, liebevollen Mann geworden, der ihn und seine Mannschaft früher sogar mal fotografiert hatte? Er sah verlebt aus, heruntergekommen, krank… Fragend sah er zu der Rosahaarigen, die kleinlaut und nervös vor dem Schatten ihres Vaters von einem Bein auf das andere wechselte. „Ich kann dir nichts geben, ich muss noch einkaufen gehen.“, versuchte sie dem unzufriedenen Mann zu erklären. „Komm schon, gib mir was.“, bettelte ihr Vater diesmal etwas freundlicher. Momoko rang einen Augenblick lang mit sich, warf Yosuke dann einen kurzen Blick zu, den er nicht deuten konnte, seufzte dann, ging zu ihrer Handtasche, die an der Garderobe hing und holte ihre Börse hervor. »Tut sie das, weil es ihr vor mir peinlich ist, was hier passiert?«, fragte er sich und zog nachdenklich seine Augenbrauen zusammen. Die blauäugige junge Frau drückte ihrem Vater ein paar Scheine in die Hand. „Mehr habe ich nicht.“, sagte sie resignierend. „Danke, du bist ein Schatz.“, lobte Momokos Vater sie und drückte ihr einen Wangenkuss auf, den sie mit freudloser Miene über sich ergehen ließ. Shôichirô verschwand genauso schnell wie er gekommen war und ließ sie beide wieder allein zurück, mit einem Haufen unausgesprochener Dinge, neuen Fragen und ganz viel Traurigkeit. „Das eben… das tut mir leid…“, begann Momoko zögerlich „Das muss es nicht, aber was sollte das? Was ist denn mit deinem Vater los? Ich habe dich schon vorhin ihm nachrufen hören, als ich angekommen bin. Er sieht ganz verändert aus und wie er mit dir geredet hat…“ Ein scheuer Blick streifte Yosuke, sie wollte nicht darüber reden. Ihre abgewandte Haltung, ja ihre ganze Körpersprache verriet dies. Der Sportler spürte eine ähnliche Verwirrung und Neugier in sich aufsteigen, wie er sie verspürt hatte als er und die anderen beim Klassentreffen erfahren hatten, dass Momoko und Takuro ein Paar waren. „Es geht ihm zurzeit nicht so gut. Er hat vor einigen Monaten seine Arbeit verloren und ist seitdem etwas deprimiert.“ Yosuke stutzte, denn sie untertrieb maßlos. Er wollte zu weiteren Fragen ansetzen, doch als sie ihn wieder ansah war ihre Miene gefasst und kühl. „Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt gehst.“, bestimmte sie ruhig. Verstrichen war die Chance, er würde sie nicht noch mal so weit bekommen, dass sie ihm vielleicht doch verriet, was los war mit ihrem Leben. Zwischen ihr und Takuro; zwischen ihr und ihren Freundinnen; zwischen ihr und ihrem Vater. Mutlos ließ er die Schultern hängen. „In Ordnung, darf ich vorher aber noch eure Toilette benutzen?“ Momoko nickte knapp und vermied dabei Blickkontakt. „Sicher, das Bad ist oben.“, antwortete sie ihm und lief zurück in die Küche, wo der restliche Abwasch noch auf sie wartete. Ohne ein weiters Wort schritt Yosuke die Stufen daneben zügig hinauf. »Ich werde das alles nicht verstehen können. Sie wird mir nichts verraten. Ich sollte aufhören mich dafür zu interessieren. Es ist ihr Leben und geht mich nichts an.«, sagte er sich selbst um seinen inneren Drang, die unbeantworteten Fragen klären zu wollen, zu ersticken. Oben angekommen musste er sich selbst orientieren, denn Momoko hatte ihm nicht gesagt welche von den Türen das Bad war. Eine Tür war angelehnt und ohne groß darüber nachzudenken drückte er sie auf und lugte hinein, in der Hoffnung richtig zu sein und keine Privatsphären zu verletzen. Geschockt hielt er die Luft an, als sich vor ihm das reinste Chaos offenbarte. Ein Sammelsurium von Dreck, Unordnung und Bierflaschen, begleitet von einem äußerst muffigen Geruch nach altem Alkohol und Schweiß, an dem auch die geöffneten Fenster nicht viel änderten. Wie in Trance machte er ein paar Schritte hinein in das Zimmer, das eindeutig einem Erwachsen gehörte und beim besten Willen nicht zu dem Rest des Hauses passte. Auf dem zugestellten Schreibtisch des Raumes lag ein Stapel zahlreicher, ungeordneter Briefe. Yosuke musste nicht groß schnüffeln um zu erkennen, dass es Rechnungen und Mahnungen waren. »Was mache ich hier, das geht mich alles nichts an! Ich sollte nicht so neugierig sein!«, schalt er sich und verließ das Zimmer überstürzt, ehe Momoko misstrauisch werden würde. Doch der Anblick ließ ihn nicht los, jetzt verstand er gar nichts mehr, in seinem Kopf flogen all die Tatsachen und Bilder herum wie Puzzleteile, die einfach nicht passen wollten. Momokos trauriger Blick – Takuro, der einen auf vornehmen Schnösel gemacht hatte und stolz mit ihr angab – ein sauberes Haus mit einem verwüstetem Zimmer darin – ein Vater ohne Job, der sich mit Alkohol tröstete – unbezahlte Rechnungen – Elektrogeräte, die angeblich in Reperatur waren… und immer wieder Momoko, wie sie ihn traurig und bedrückt ansah. Ohne die Toilette aufzusuchen stolperte er die Treppe wieder hinunter und lief geradewegs in die Küche, wo die Hausherrin gerade beim Abtrocknen des Geschirrs war. „Momoko!“, sprach er sie laut und entschlossen an. Etwas überrumpelt drehte sie sich zu ihm um und erwiderte aufgeregt blinzelnd seinen Blick. Ihre Augenwinkel waren feucht von Tränen, die sie still und heimlich vergossen hatte. „Momoko…“, sagte er noch mal etwas sanfter, „Sag mir, warum heiratest du Takuro wirklich?“ Kapitel 7: Misunderstandings and despair ---------------------------------------- „Wie, was? Warum fragst du das?“ Irritiert zuckte Momoko vor Yosukes aufgebrachter Ausstrahlung zurück, seine Stirn war in ernste Falten gezogen und ein dunkler Schatten lag über seinen Augen, die anscheinend tief in ihre Seele blicken wollten. „Weich nicht aus, beantworte die Frage.“, entgegnete er stur. „Na hör mal, wie redest du denn mit mir? Ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig!“ Sie hatte Recht, das war sie nicht und es wäre besser gewesen, er wäre einfach gegangen. Zuhause wartete seine Freundin und sein eigenes Leben auf ihn, warum sollte er sich um die Belange dieses Mädchens kümmern, das ihn bis gestern Abend noch egal war? „Habt ihr Geldprobleme? Ist das der Grund, wieso du dich mit Takuro verlobt hast? Hat er Geld oder irgendwas anderes, was er dir dafür versprochen hat?“ Yosuke traf den Nagel auf den Kopf und brachte Momoko mit seiner Direktheit so aus der Fassung, dass ihr der Mund aufklappte. „Wie kommst du auf so etwas?!“, hinterfragte sie völlig verdattert. „Es ist einfach alles… ich grüble darüber schon seit gestern Abend! Du und ausgerechnet er, dann dein seltsames Verhalten, die Wandlung deines Vaters und all das hier…“ Yosuke machte bei der letzten Aufzählung eine Handbewegung, die zu verstehen gab, dass er das Haus meinte. Momoko kniff die Augen zusammen, als es bei ihr Klick machte. „Du warst im Zimmer meines Vaters!“, stellte sie aufgebracht fest. „Ja… aber es war keine böse Absicht.“, gab er ehrlich zu. Momoko knallte das Handtuch neben die Spüle und fuhr sich mit beiden Händen durch ihr Gesicht, die dort einen Moment lang liegen blieben. Yosuke befürchtete, Sie würde anfangen zu weinen. „Bitte geh einfach.“, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hervor. Er wollte nicht gehen, er wollte Antworten! Beschwichtigend ging er auf sie zu und legte seine Hände auf ihre schmalen Schultern. »So zerbrechlich…« „Sag mir doch einfach nur, dass ich falsch liege. Es klingt vielleicht verrückt und unglaubwürdig, doch mir liegt etwas daran, dass wir uns verstehen und du mir alles sagen kannst. Wir haben doch Frieden geschlossen, oder? Wir könnten Freunde sein, wenn du es zulässt.“ Die Erkenntnis, dass er seine Worte tatsächlich so meinte wie er sie gesagt hatte, überraschte sogar ihn selbst etwas. Sie spürte seine warmen, starken Handflächen auf ihren Schultern ruhen. Seine Stimme und die Wärme, die in seinen Worten lag, brachten ihr Herz zum höher schlagen. Langsam ließ Momoko ihre Finger sinken und schaute ihr Gegenüber schüchtern an. Seine Nähe machte sie nervös und gleichzeitig fühlte sie sich irgendwie wohl bei ihm. Es war eine verwirrende Gefühlsmischung. „Freunde… wir kennen uns kaum und haben doch eigentlich immer nur gestritten…“, argumentiere Momoko schwach. „Wir sind doch keine 14, 15 oder 16 mehr; wir sind jetzt erwachsen und viel reifer. Und eigentlich denke ich ganz gerne an unsere Blödeleien zurück. Es hat mir immer Spaß gemacht dich zu ärgern.“ Ein keckes Jungengrinsen breitete sich in seinem markanten Gesicht aus und brachte seine Augen zum Leuchten. Es war ein Lächeln zum Dahinschmelzen, doch das verbot Momoko sich entschieden. Sie hörte sowieso schon ihren Puls in ihren Ohren widerhallen. „Du würdest es bestimmt nicht verstehen.“, befürchtete sie, schob seine Hände weg und brach den Blickkontakt ab, bevor der gutaussehende Mistkerl ihre Sinne noch völlig vernebelte. Yosuke seufzte schwer als sie an ihm vorbei zur Haustür lief, zu der er ihr anschließend folgte. „Liebst du ihn, oder nicht? Das ist doch eigentlich eine ganz einfache Frage.“ Er ließ einfach nicht locker! „Ich trage seinen Ring am Finger und habe vor ihn zu heiraten, reicht das als Antwort nicht völlig aus?“ Demonstrierend hielt sie ihm ihre Hand mit dem runden, blutroten Rubin am Finger unter die Nase. Für einen Augenblick sah Yosuke nur auf den Edelstein, dann jedoch nahm er überraschend Momokos Hand in seine. Beinahe zärtlich strich er mit seinem Daumen über ihre feinen Fingerknöchel. Ihre Haut war so zart wie er sie sich vorgestellt hatte und lud geradezu dazu ein geküsst zu werden. Tatsächlich zog er sie dicht zu seinen Lippen heran, nur wenige Zentimeter fehlten zu einem Handkuss. Aus gesenkter Perspektive blickte er zu der Frau, der die Hand gehörte. In seinen Augen funkelte etwas Dunkles; Momoko erzitterte innerlich. »Was macht er nur mit mir?«, fragte sie sich, denn anstatt sofort zu protestieren ließ sie jetzt schon zum zweiten Mal zu, dass er ihr näher kam. Yosuke entging ihr Erschauern nicht, sein innerlicher Wolf reckte stolz den Hals darüber, welche Macht er auf sie ausüben konnte mit den einfachsten Gesten und Berührungen. „Dann liebst du ihn also sehr.“, hauchte er ihrer Hand entgegen. Beim nächsten Schauer entzog Momoko ihm ihre Hand schnell und rieb sich mit der anderen peinlich berührt die Finger, die er berührt hatte. „Weißt du, Liebe ist nicht alles. Sie allein macht nicht satt, bezahlt kein Studium oder offene Rechnungen und macht auch nicht gesund.“, begann sie fahrig zu erklären. Ihr Gesprächspartner versteifte sich, ihre Aussage löschte das gewinnende Gefühl von eben in ihm schlagartig aus. „Wie meinst du das?“ Unsicher umarmte sie sich selbst und schaute unkonzentriert durch die Gegend, jeglichen Augenkontakt tunlichst vermeidend. „Takuro hat einflussreiche Verwandte im Ausland. Sie haben ihn während seines Auslandjahres für ihre Firma angelernt und wollen nun sein Studium finanzieren und ihn danach übernehmen. Er ist dann ein hohes Tier und hat ausgesorgt. Seine Strebsamkeit und sein Talent in Programmierung haben sich bezahlt gemacht.“ Ein höhnisches Lachen unterbrach Momokos Erzählung. „Du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du dich ihm an den Hals wegen seinem Geld geworfen hast? Weil er eine ach so tolle Karriere haben wird?“ Sie sah Yosuke verletzt an, was ihm einen leichten Stich versetzte. „So war das nicht! Und Takuro ist kein schlechter Kerl, er hat sehr wohl seine guten Seiten… Er will mir nur helfen und mir eine gute Zukunft ermöglichen!“, verteidigte sie sich. Ihre Erklärungsversuche machten es nicht besser, in Yosuke erkaltete etwas als er begriff, dass er Recht gehabt hatte mit seinem leisen Verdacht. Höhnisch lächelte er und schüttelte den Kopf dabei. In seinen Gesichtsausdruck mischte sich Verachtung. „Also doch wegen dem Geld. Er ist eine unschlagbare Partie, du müsstest dich um nichts mehr sorgen. Natürlich… welche Frau würde da nicht ja zur Ehe sagen?“ »Sie ist wie alle anderen! Ich habe mich getäuscht, sie ist auch nur auf den schönen Schein scharf…« Voller Bitterkeit wand er seinen Blick ab und ballte die Fäuste. Er empfand auf einmal so viel Zorn über sich selbst, hatte er doch zugelassen, dass sie ihn in ihren Bann geschlagen hatte. Mit ihrem hübschen Äußeren, ihren ausdrucksstarken Augen, ihrem Lächeln und all den anderen Dingen, von denen er insgeheim geglaubt hatte, dass sie sie zu etwas Besonderem machen würden. Sie hatte Fantasien in ihm geweckt und ein unbekanntes Feuer in ihm entzündet, das ihm eigentlich verboten war. Das alles war falsch. Yosuke bemerkte nicht, welchen Kummer er mit seiner abweisenden Reaktion bei Momoko verursachte. Ihr Herz krampfte sich zusammen, die Angst missverstanden zu werden und eine gerade beginnende Freundschaft zu zerstören schienen sie zu erdrücken. „Warum hörst du mir nicht richtig zu? Es ist nicht so, wie du sagst!“, sagte sie fast flehend. „Ist es nicht? Wie ist es dann? Was empfindest du denn für deinen Verlobten?“, herrschte er sie an. „Ich… ich respektiere ihn und bin ihm dankbar.“, antwortete sie kleinlaut. „Aber du liebst ihn nicht?“ Momoko sah Yosuke schweigend an, darauf konnte und wollte sie nicht antworten, doch ihre Verschwiegenheit sagte mehr als tausend Worte. „Ich hätte dich nie so eingeschätzt, dass du so abgebrüht bist und dich jemanden so hingeben kannst nur für eine goldene Zukunft.“, erklärte er enttäuscht Scharm- und Zornesröte schossen der jungen Frau ins Gesicht. „Ich habe nichts dergleichen jemals getan!“, fuhr sie ihn wütend an. Mindestens genauso aufgebracht starrte er zurück, packte sie am linken Arm und zog sie energisch zu sich heran, wo er sie fest hielt und ihrem Gesicht provozierend nahe kam. „Du willst mir doch nicht erzählen, Takuro wäre dir nie nahe gekommen, hätte dich noch nie so umarmt, dich noch nie geküsst…“ Seine Augen wanderten hinunter zu ihren Lippen, die vor Aufregung leicht bebten. Momokos Atem traf sein Gesicht stoßweise und er spürte ihren Herzschlag gegen seine Brust hämmern. Vor wenigen Minuten noch hätte er sich nach diesem Mund verzehrt, ihr Körper nah an seinem sein Blut zum Kochen gebracht, einfach weil ihre Reize ihn verhext hatten. Doch jetzt, wo er zu wissen glaubte wie einfach ihr Charakter gestrickt war, war sein verbotenes Verlangen gänzlich erloschen. Ahnte er überhaupt, was er mit ihr anstellte? Ihr war schwindelig von den Ereignissen, die sich hier abspielten. Egal wie grob er sie angesprochen und an sich gerissen hatte, ihr Körper wollte ihr einfach nicht gehorchen. Der Boden unter ihren Füßen war wackelig und schwammig, ihre Knie fühlten sich taub und schwach an. Und ihr dummes Herz schien krank zu sein, denn es flatterte wie die Flügel eines verirrten, aufgescheuchten Vogels in Yosukes ungehobelter Umarmung. Takuro hatte sie in den letzten Wochen auch schon das ein oder andere Mal mit seiner Nähe bedrängt, doch nie hatte sie so empfunden, wie sie es jetzt tat. Ihr Körper reagierte auf den Braunhaarigen, muskulösen Mann ganz anders als auf jeden anderen Jungen je zuvor. Einen Wimpernschlag lang, als Yosukes Blick ihren Mund musterte, war etwas in ihr in freudiger Erwartung. Ein neugieriges, hungriges Tier tief in ihr, dass wissen wollte wie sich seine Lippen auf ihren anfühlen würden. Doch im Hier und Jetzt gab es keinen Platz für die Elektrizität zwischen ihnen, der Torwart hatte deutlich gemacht, wie wenig er von ihr hielt und er war noch nicht fertig damit es auch zu äußern. „Findest du es nicht selber beschämend, dass du dich für Geld prostituierst?“ Es war wie ein Schlag in die Magengrube, hätte Yosuke seinen Griff um sie nicht von selbst gelöst, hätte Momoko sich wohl losgerissen, doch anders als erwartet taumelte sie leicht stolpernd einen Schritt zurück anstatt mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. „Ich habe mich noch niemals in meinem Leben prostituiert!“, schrie sie ihn mit krächzender Stimme an. War es ein Funke Unsicherheit, weswegen seine Augenbrauen kurz zuckten? „Körperliche Hingabe ohne Liebe und das für eine Gegenleistung, das ist doch Prostitution, oder nicht?“, entgegnete er hart zurück KLATSCH Ihre Hand traf seine linke, ohnehin lädierte Wange unerwartet und hart. Wie versteinert hielt er sich die glühende, pochende Stelle und sah hinunter auf eine mehr als gekränkte Momoko, in deren Augen mit einem Mal wieder Tränen glänzten. „Verschwinde sofort aus meinem Haus, oder ich jage dich zum Teufel! Ich hatte für einen Moment lang geglaubt, wir könnten tatsächlich Freunde werden, aber da habe ich mich geirrt – du verstehst gar nichts! Hau ab und lass dich nie mehr blicken!“ Sie ließ ihn nicht zur Wort kommen, stattdessen wand sie sich ab, stampfte zur Tür, schnappte sich sein Paar Schuhe und den Mantel, riss die Pforte auf und warf beides im hohen Bogen hinaus. Verblüfft starrte Yosuke hinterher. Momoko wartete auch nicht darauf, dass er sich von selbst in Bewegung setzte, sondern kam zu ihm zurück und schubste ihn unsanft in dieselbe Richtung, sodass er fast über die kleine Stufe nach draußen stürzte. „Jetzt geh endlich!“, forderte sie ihn nochmals auf und schob ihn mit letzter Entschlossenheit endgültig aus dem Türrahmen. Momoko achtete nicht darauf, ob er sich noch mal umdrehte oder sonst irgendwas tat, sie schloss die schwere Haustür einfach und verriegelte sie sofort. Mit der Stirn an das kühle Material gelehnt und eine Hand noch am Türschloss, atmete sie mehrmals lang und konzentriert ein und aus, doch der Damm brach trotzdem. Laut schluchzend und Sturzbäche weinend sackte sie auf die Knie. Vergeblich versuchte sie mit ihren Händen ihre Klagelaute, die aus ihrer Kehle drangen, zu ersticken. Kapitel 8: Changing feelings ---------------------------- Wie betäubt sammelte Yosuke auf Socken seine Sachen ein, die verteilt auf dem Weg hinunter vom Grundstück der Hanasakis lagen und schlüpfte direkt hinein. Sein Schädel brummte und das nicht nur von der saftigen Ohrfeige, die ihre Spuren bestimmt noch eine ganze Weile auf seinem Gesicht hinterlassen würde. In den kaum zwei Stunden, in denen er sich hier aufgehalten hatte, war so viel passiert, das er erstmal alles sortieren und verdauen musste. Warum war die Situation schon wieder so eskaliert? Warum fanden er und Momoko einfach nicht friedlich und diplomatisch zueinander wie alle anderen Freunde auch? War es ihnen einfach nicht vorherbestimmt befreundet zu sein? Doch was spielte das noch für eine Rolle. Sie hatte ihn fortgejagt wie einen räudigen Hund und selbst wenn nicht, er hatte bitter erfahren müssen, dass er sich hatte blenden lassen. Dieses Mädchen hatte etwas in ihm geweckt, was ihn aus seinem tristen Alltag geholt hatte, doch er war genau dem Verhalten auf den Leim gegangen, das er so verabscheute. Sie war wie die Mädchen aus der Jr. High, die Kazuya und ihn nur wegen Äußerlichkeiten und der winkenden Zukunft als Profisportler angehimmelt hatten. Und dennoch warf er einen wehmütigen Blick zurück über seine Schulter, als er seinen Heimweg antrat. Auf seinem Weg hatte Yosuke keinen Blick für seine Umgebung, seinen Kopf zog er so weit es ging ein um der Kälte zu entgehen. Mürrisch starrte er auf den Boden vor seinen Füßen und versuchte sich endlich von der aufgewühlten Stimmung in ihm drin zu befreien. »Vergiss sie, zuhause wartet Hiromi auf dich.«, versuchte er sich zu trösten. Seine Freundin war eine beständige Konstante, auf sie konnte er sich verlassen und ihrer Treue und Liebe war er sich gewiss. Das hätte ihm von Anfang an genügen sollen. Aber nein – er musste ja unbedingt mit dieser Momoko anbändeln, dabei war ein freundschaftliches Verhältnis doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen! Yosuke kämpfte mit einem schlechten Gewissen, hatte er sich doch erlaubt eine andere Frau zu begehren als Hiromi und dann war das ausgerechnet das zickige Mondgesicht gewesen! Obwohl er sich ja eigentlich nichts hatte zu schulden kommen lassen, Kopfkino hatten doch bestimmt viele Männer hin und wieder, oder? Wie war doch gleich das Sprichwort: Appetit darf man sich holen, aber gegessen wird zuhause? Das war eine dämliche Redewendung… Er stieß mit seinem Fuß gegen einen blechernen Eimer, den er in Gedanken versunken nicht kommen gesehen hatte. Yosuke stand vor dem Blumenladen in dem Hinagikus Eltern arbeiteten und in dem Eimer vor ihm standen kleine Sträuße Narzissen im Wasser. Kurzentschlossen fischte er sich einen Strauß heraus und betrat den Laden um sie zu bezahlen. „Na das ist ja ein Ding! Du hier um Blumen zu kaufen?“ Quietschfidel wie immer begrüßte ihn ausgerechnet Hinagiku hinter dem Tresen mit der Kasse stehend. Yosuke rang sich ein halbherziges Lächeln ab. „Ja, ich dachte es wäre mal an der Zeit Hiromi auch mal Blumen mitzubringen.“ „Urks.“, flüsterte die Grünhaarige unauffällig. „Du sag mal Yosuke, du warst nicht zufällig schon bei Momoko wegen der Kamera?“, fragte sie ihn und tippte derweil den Preis für die Narzissen ein. Sein Blick verfinsterte sich augenblicklich wieder. „Doch. Von ihr komme ich gerade.“ „Is’ was passiert? Du guckst so komisch.“, hakte sie nach. „Pft… nein, es ist nichts passiert. Außer dass sie wieder in mein Leben gestolpert ist obwohl ich auf ihre Anwesenheit gut hätte verzichten können.“, grummelte er. Hinagiku musterte den hochgewachsenen Jungen neugierig blinzelnd. „Na ja, wenn man’s genau nimmt bist du ja in ihr Leben gestolpert und nicht andersrum.“ Sein eisiger Blick ließ sie direkt verstummen. Der Torwart schob ihr das Geld für die Blumen rüber und schnappte sich den Strauß. „Stimmt so, danke.“, murmelte er. „Ihr habt euch wieder mal gezofft, stimmt’s?“ Eigentlich wollte Yosuke gerade gehen. Augenrollend wünschte er sich, er wäre gegen den Eimer eines anderen Blumenladens gelaufen. „Ja, aber daran ist ja nun nichts Neues. Ganz wie in alten Zeiten eben.“, gab er etwas zynisch klingend zurück. „Schade. Ich hatte gehofft, dass vielleicht du heraus bekommst, was mit ihr in letzter Zeit los ist. Die Sache mit Takuro stinkt doch zum Himmel! Und der Mistkerl reagiert auf meine Anrufe und Nachrichten einfach nicht.“ Er starrte Löcher in die Luft, gab sich uninteressiert und leicht genervt von dem Thema. Er wollte doch einfach nur vergessen, dass es Momoko überhaupt gab. Was ging ihn das an? Wieso sollte ihn das alles interessieren? Er verkniff sich ein überlegenes Grinsen, denn schließlich wusste er deutlich mehr als er Hinagiku wissen ließ. „Weißt du, ich mache mir Sorgen, dass Momoko vielleicht etwas tut, das sie gar nicht will. Sie hat schon immer etwas dazu geneigt ihre wirklichen Probleme vor Yuri und mir zu verbergen, einfach um uns nicht zu belasten. Und da macht sie manchmal schon echt blöde Sachen, egal ob es ihr schadet oder nicht.“ Yosuke wollte sich die Haare raufend und laut schreiend aus dem Laden stürzen, er wollte nicht hören was ihm die braunäugige, junge Frau da erzählte! War er doch gerade dabei die Akte Momoko abzuheften und für alle Ewigkeit wegzuschließen. Das gelang ihm aber nur, wenn er ihr den Stempel “Geld- & Erfolgsgeil wie alle anderen“ aufdrücken konnte, was Hinagiku mit ihrem Einwand gerade zunichte machte. „Ich muss los, wir sehen uns.“, verabschiedete er sich knapp und floh so schnell es eben unauffällig ging auf die Straße. Großartig, da waren sie wieder; die Zweifel die an ihm nagen würden, bis er die neu aufgeworfenen Fragen beantworten konnte. War er vielleicht zu vorschnell mit Momoko ins Gericht gegangen? Hätte er ihr genauer zuhören müssen? Yosuke blieb stehen und drehte sich um. Wenn er nun noch mal zurück zu ihrem Haus ginge, ob sie ihm aufmachen würde? Es juckte ihn in den Fingern, doch da war der Strauß Narzissen, der ihn daran erinnerte, dass in der entgegengesetzten Richtung sein Leben mit einer Frau an seiner Seite wartete. Seufzend betrachtete er die kräftig gelben Blüten und entschied sich für den Heimweg. Momoko war noch immer halbblind von den Tränen, die ihr immer noch leise über die Wangen rollten. Erschöpfte Schluchzer schüttelten sie hin und wieder, während sie mit dem dröhnenden Staubsauger über den Kurzfloorteppich fuhr. Seit Stunden putzte sie das Zimmer ihres Vaters. Das war das Einzige was sie davon ablenkte, was am Vormittag geschehen war und doch brach die Traurigkeit in ihr immer wieder durch. »Bin ich wirklich nichts weiter als eine Hure?«, fragte sie sich unsicher zum wiederholten Male. Yosuke war so hart mit ihr ins Gericht gegangen, dass sie selber daran zweifelte, dass dem nicht so war. Ja, sie hatte Takuros Heiratsantrag nicht aus Liebe angenommen, sondern im Austausch dafür, dass er einen Klinikaufenthalt ihres Vaters bezahlte und ihr Elternhaus davor rettete verkauft zu werden. Sie hatte das aber nie als Prostitution gesehen, denn schließlich steckte sie schwer in der Klemme. Und Gefühle würden doch sicher noch kommen, schließlich gab es viele Ehen, die arrangiert wurden und in denen die Partner trotzdem miteinander glücklich waren, Kinder hatten und zusammen alt wurden. Außerdem hatte sie nichts Anzügliches getan; Takuro war ihr noch nie näher gekommen als sie es zuließ. Das war so abgemacht. »Yosuke aber schon.«, schoss es ihr durch den Kopf. Momoko wehrte sich gegen den Gedanken, wusste aber, dass es stimmte. Sie kannte diesen neuen und doch alten Yosuke noch keine 24 Stunden und doch hatte er Grenzen bei ihr überschreiten dürfen, in dessen Nähe ihr Verlobter noch nicht mal ansatzweise gekommen war. Sie schüttelte ihre frische Gänsehaut ab, schließlich hatte er sie schlecht behandelt! Es gab keinen Grund sich mit Schmetterlingen im Bauch an seine dunkelbraunen, durchdringenden Augen; seine warmen, starken Hände; seinen schlanken, muskulösen Körper und seine tiefe Stimme zu erinnern… „Nicht doch! Schluss, aus, Ende! So darf ich nicht mal im Ansatz von ihm denken! Er ist und bleibt ein Mistkerl und ich will ihn nie wieder sehen!“, schimpfte sie lautstark mit sich selber. Obwohl es niemanden gab, der sie beobachtete, färbten sich ihre Wangen rot. Fertig mit ihrer Arbeit wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und begutachtete ihr Werk. Shôichirôs Zimmer war gar nicht wiederzuerkennen! Momoko hatte das Bett komplett neu bezogen, die Vorhänge und Gardinen getauscht, sämtliche Wäsche eingesammelt, allen Müll, das Geschirr und die Bierflaschen entfernt, sowie das Chaos auf dem Schriebtisch und in den offenen Regalen beseitigt, Staub gewischt, Fenster geputzt und schlussendlich gestaubsaugt. »Noch etwas Raumspray und man kann sich wieder wohlfühlen.« Zwar stapelten sich die Wäscheberge nun im Waschkeller, aber auch damit würde sie noch fertig werden. Hiromi, die ihren Freund zunächst mit der kalten Schulter begrüßen wollte, war beim Anblick der Blumen in lauten Jubel ausgebrochen und trug anschließend die Vase mit den Narzissen wie einen goldenen Pokal durch das Wohnzimmer. „Oh Yoyo-Maus, ich wusste, dass du mich mit so was überraschen würdest!“, quietschte sie hocherfreut und tänzelte Yosuke verliebt entgegen, um sich an seinen Hals zu hängen. „Das hast du mir jetzt bestimmt schon hundert Mal gesagt. Ich freue mich doch, dass du dich freust.“, entgegnete er schmunzelnd. Es war schon wieder dunkel draußen und inzwischen war er dabei sich um das Abendessen zu kümmern, damit es nicht wieder so endete wie das vom Vortag. Fast unberührt ließ er Hiromis Anhänglichkeit über sich ergehen und formte nebenbei aus dem klebrigen Reis mit Mühe und Not Onigiri, in die er gekochtes Hühnchen und Tunfisch mit Mayo drückte. „Hmmm das sieht toll aus, wie du das machst.“, lobte ihn das gelockte Mädchen und legte dabei ihren Kopf an seine Schulter. Yosuke konnte ihren Geruch einatmen und ihre Wärme spüren. Irgendwie erwartete er eine Reaktion seines Körpers, doch es tat sich nichts. „Ich tue mein Bestes, obwohl der Reis eine Konsistenz hat, als wäre er schon mal gegessen worden. Du hättest ihn wegwerfen und neuen machen sollen. Ich hätte mich auch sehr über ein Curry gefreut.“ „Ach was, der sieht doch noch gut aus, du Dummerchen!“, neckte Hiromi ihn und kniff ihn dabei liebevoll in die Wange. Yosuke gab sich wirklich die allergrößte Mühe so normal wie immer zu sein, bemühte sich um eine heitere Miene und versuchte sich auf die Spielereien seiner Freundin einzulassen, doch es fiel ihm sichtlich schwer. Es fühlte sich alles irgendwie unecht an. »Ob mir mein Leben einfach zu einseitig und trist geworden ist? «, fragte er sich und formte zeitgleich den letzten Reisball. „Das hast du schön gemacht, ich bin sicher, dass sie superlecker sind!“, freute sich Hiromi, zog sich an seiner Schulter kurz hoch und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf. Dieser zog sie gleich darauf erneut zu sich heran, seine Hände verschränkt in ihrem Hohlkreuz. „Liebst du mich?“, fragte er sie leise. „Aber natürlich!“, antwortete sie und strahlte ihn aus ihren roten Augen heraus glücklich an. »Warum erreicht mich ihre Wärme nicht mehr, wenn sie das sagt und mich so anschaut?« Yosuke schloss die Augen und fand ihren Mund mit seinem, begierig darauf die Leere in ihm mit einem tröstlichen Gefühl zu füllen. Hiromi ließ dies nur allzu gern geschehen und seufzte verliebt, streichelte sein Gesicht und fuhr durch sein dichtes Haar. Doch er empfand einfach nichts Aufregendes dabei. Als er seine Augen wieder öffnete und in ihre sah, fühlte er sich noch genauso leer wie zuvor, aber er ließ sich nichts anmerken. „Lass uns essen.“ Hiromi beobachtete ihren Angebeteten während des Abendessens sehr genau. Yosuke schien abwesend mit seinen Gedanken zu sein, er hörte ihren vielen Erzählungen nicht wirklich zu. „Liebling, ist alles in Ordnung? Du bist so schweigsam und in dich gekehrt.“ „Hm? Oh, nein… ich bin nur etwas müde, das ist alles.“, erklärte er sich ertappt. Sein Gegenüber grinste ihn verlegen an. „Kein Wunder nach der letzten Nacht…“ Sie biss sich auf die Unterlippe und setzte einen lasziven Blick auf. Yosuke schluckte schwer an seinem Onigiri. „Du musst dich nicht genieren. Wenn das etwas ist, was dir gefällt, können wir das gerne öfter so machen.“, bot sie ihm leichtfertig an und beugte sich zu ihm über den Tisch, damit sie seine Hand mit ihrer streicheln konnte. Er konnte ihr geradewegs in den Ausschnitt ihres Shirts schauen, weswegen er seine Augen niederschlug und auch seine Hand weg zog. Lautstark räusperte er sich. „Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist. Tut mir leid.“ „Nicht doch! Es hat mir doch auch Spaß gemacht!“, widersprach Hiromi vehement. »Mir nicht.«, entgegnete Yosuke in Gedanken. Er hatte keinen Spaß daran gehabt seine miese Laune und aufgestaute Erregung einer anderen gegenüber an ihr auszulassen. Sie war nichts weiter ein Ventil gewesen, ein Mittel zum Zweck. Keine Frau hatte es verdient so behandelt zu werden. „Ich glaube, ich brauche mal wieder etwas Abwechslung. Ich möchte mich gerne wieder mit den Jungs aus der alten Fußballmannschaft treffen, weggehen, einfach Spaß haben und andere Leute treffen.“ Hiromi sah ihn etwas gekränkt an. „Versteh mich bitte nicht falsch, aber seitdem wir auf die Highschool gehen pauken wir nur noch für das College und hängen fast nur noch gemeinsam rum. Wir sollten uns auch mal wieder alleine jeder für sich amüsieren und unter Leute kommen anstatt immer nur in unserer Routine zu verharren.“ Yosuke hoffte die richtigen Worte gefunden zu haben und gut erklärt zu haben, was ihm vorschwebte, doch Hiromi verschränkte beleidigt die Arme und funkelte ihn zornig an. „Bin ich dir zu langweilig geworden? Nerve ich dich?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll. „Nein!“, dementierte er. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen; er log. „Was dann? Hast du eine Andere?!“ Ihre Stimme wurde immer schriller. „Nein!“, antworte er erneut. „Ich finde einfach nur, dass wir zu sehr aufeinander hocken und klammern.“ Seine Freundin sah nicht überzeugt aus und durchbohrte ihn mit prüfenden Blicken. „Du warst heute Morgen bei Momoko, nicht wahr?“ Unbewusst fühlte sich Yosuke schuldig, er durfte nicht mal daran denken, was alles zwischen ihm und der Hobbyfotografin vorgefallen war. Wo allem die kurzen, knisternden Momente blieben am besten für immer in seinem Kopf weggeschlossen. „Woher weißt du das?“ „Ich habe es mir gedacht, als ich die Kameratasche bei der Hausarbeit nicht mehr gefunden habe.“ „Verstehe…“ Sie schwiegen sich an. Aber was sollte er dazu noch anderes sagen? Er war sowieso mit der Sache durch, er wollte über dieses Mädchen nicht mehr nachdenken, denn so war es das Beste. Aber so weiterleben wie bisher konnte und wollte er auch nicht mehr, er brauchte mehr, musste nur noch herausfinden was das war. „Warum bist du heimlich und ohne mich zu ihr gegangen?“, horchte Hiromi ihn weiter aus. „Weil ich weiß das es dich aufregt, wenn ich mich mit anderen Frauen umgebe. Ich habe ihr nur die Kamera zurück gebracht und mehr nicht.“, tischte er ihr beruhigend auf. „Dafür warst du aber ganz schön lange weg!“, schimpfte sie noch immer etwas skeptisch. „Ich war noch auswärts in Ruhe frühstücken und dann die Blumen für dich besorgen.“, log er aus der Not heraus. Das zauberte ihr endlich ein versöhnliches Lächeln aufs Gesicht. Wenn Yosuke noch eines draufsetzen konnte, würde der Abend vielleicht ohne ein weiteres Verhör ausklingen. „In Momokos Gegenwart habe ich erst so richtig begriffen, was ich doch für eine tolle Freundin habe. Hübsch, charmant, klug – so jemand verdient einfach Blumen.“ Yosuke glaubte sich die Balken sich unter dem Holzfußboden biegen zu hören, sogar ihm selbst war das etwas zu dick aufgetragen. Für diese Notlüge fühlte er sich wieder schuldig und schlecht, denn eigentlich hätte seine Aussage der Wahrheit entsprechen müssen, doch das tat sie nicht. Ja, er mochte Hiromi und ja, er schlief auch mit ihr, wohnte mit ihr zusammen, doch etwas hatte sich verändert. Er hatte sich verändert. Sie war ihm nicht mehr genug und das war seine Schuld… Nein, es war ihre. Hiromi war freudestrahlend aufgestanden und hatte sich glücklich in seine Arme geworfen. Genau solche Worte wollte ihr eifersüchtiges Frauenherz hören! Dicht an ihn gekuschelt saß sie auf seinem Schoß, genoss wie er ihren Rücken tätschelte und ahnte dabei nicht, wie wenig das auf Gegenseitigkeit beruhte. „Yoyo-Maus, wir haben doch am Samstag Jahrestag. Lass und in dieses neue Café gehen, dass um die Ecke aufgemacht hat, es soll großartige Eisbecher und Kuchen dort geben.“, schlug sie ihm überraschend vor. »Oh ja, der Jahrestag…« „Wenn du dort gerne hin möchtest, dann gehen wir dort auch hin.“ Er schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln, sie konnte ja schließlich nichts dafür, dass er im Moment für alles eher leidenschaftslos war. Yosuke wollte sich bemühen alles wieder in Ordnung zu bringen. Als Takuro am Abend unangekündigt mit einem übertrieben großen Strauß roter Rosen vor ihrer Tür stand, wollte Momoko den Tag einfach nur verfluchen und sich einbuddeln. Zwei mal Männerbesuch war ihr eindeutig zu viel, doch sie machte gute Miene zum bösen Spiel, wenngleich ihre verquollenen, müden Augen schlecht zu überspielen waren. Takuro stand mit einem dunklen Hemd, einer weinroten Krawatte und einer weißen Anzughose in ihrem Haus und musterte alles ganz genau. „Ich habe gar nicht mit dir gerechnet, du hättest doch anrufen können.“ Momoko suchte fieberhaft nach einer Vase, die dem dicken Bund Rosenstile gewachsen war. „Ach, ich musste heute den ganzen Tag daran denken wie zauberhaft du gestern ausgesehen hast und da dachte ich, ich mache meiner Verlobten spontan meine Aufwartung. Ist dir das nicht recht?“ Er war gelassen und schmierig wie eh und je, seit er seine Wandlung in den USA vollzogen hatte. „Oh, doch! Nur wollte ich gerade runter in den Keller und mir den Film ansehen, den ich gestern auf dem Klassentreffen vollgeknipst habe.“ Der Schwarzhaarige runzelte die Stirn, er konnte sich nicht erinnern eine Kamera bei Momoko gesehen zu haben, als er sie nach Hause gebracht hatte. „Ich würde mir gerne ansehen wie du das machst, ich habe noch nie dabei zusehen können, wie man Filme auf die altmodische Art entwickelt.“ Sein Interesse an ihrem Hobby rührte sie, mit Vergnügen zeigte sie ihm ihren Fotoraum, der neben der Waschküche lag. In ihm war es sehr dunkel, nur ein schwaches, rötliches Licht machte es möglich überhaupt etwas zu sehen. An quer durch den engen Raum gespannten Wäscheleinen waren bereits einige Fotos mit Klammern zum Trocknen aufgehängt worden. Takuro schob seine Brille höher auf die Nase und kniff die Augen zusammen um etwas erkennen zu können. „Ich habe schon tagsüber angefangen einige Bilder zu entwickeln. Die auf den Leinen müssten schon fertig und trocken sein, ein paar andere liegen noch in der Entwicklerflüssigkeit oder müssen erst noch auf Fotopapier übertragen werden.“, erzählte Momoko begeistert und lief zum anderen Ende des Zimmers zu flachen Bassins, in denen noch ein paar Bögen schwammen. Takuro nahm derweil ein paar der trockenen Bilder ab und hielt sie gegen das wenige Licht, um sie betrachten zu können. Momoko hatte ein gutes Auge für Fotografie. „Entschuldige, dass wir das Licht nicht anmachen können, aber dann sind sämtliche unentwickelte Bilder hier ruiniert.“, erklärte sie ruhig und zog ein paar Bögen mit einer feinen Metallzange von einem Behältnis mit Flüssigkeit ins nächste und beobachtete gespannt, was sich auf ihnen abzeichnete. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als sich auf ihrem aktuellen Bild Yosuke entwickelte. Herangezoomt im Dämmerlicht der Karaokebar, blickte er ihr vom Papier aus direkt in die Augen. Sein Blick fragend und neugierig. Das musste das Foto sein, das sie eher aus Versehen geknipst hatte. „Hast du was?“, holte sie Takuro zurück aus ihrer Erinnerung und kam auf sie zu um sich anzusehen, was sie sah und offensichtlich etwas erschreckt hatte. „Nein, nein, nichts! Ein paar Bilder sind einfach nur nichts geworden!“ Hektisch fischte sie das Foto heraus und ließ es direkt nass in den Papierkorb unter den Tisch klatschen. „Huch, wolltest du es mir denn nicht wenigstens zeigen?“, fragte der Schwarzhaarige verwirrt. „Ich sagte doch, es ist nichts geworden. Ganz verschwommen und so.“ Momoko war klar, dass ihre Stimme etwas zu überspitzt klang, aber die absurde Angst erwischt zu werden, obwohl es nichts gab, bei dem sie erwischt werden konnte, ließ ihr Herz wie eine Dampflok arbeiten. Ihr vermeintlicher Verlobter lächelte sie an, ihr war gar nicht klar gewesen, wie dicht er neben ihr stand um ihr über die Schulter zu sehen. Ein unangenehmer Kloß bildete sich in ihrem Hals. „Wolltest du mich vielleicht einfach nur zu dir locken?“, fragte er grinsend. »Hä, bitte was?!«, dachte sich Momoko nur perplex dreinschauend. „Hier unten ist es schon irgendwie… kuschelig.“, setzte er hinzu. »Ach du Sch…« „Das hast du missverstanden, ich habe wirklich nur ein misslungenes Foto entsorgen wollen“, sagte sie gespielt amüsiert und lächelte ihn unschuldig an. Takuro legte seine rechte Hand auf ihre linke, die sich auf der Tischkante abstützte und bedachte sie mit einem milden Blick. „Wenn du etwas mehr Aufmerksamkeit von mir haben möchtest als sonst, musst du mich doch dafür nicht in deinen Keller locken.“, scherzte er, doch er meinte es so, wie er es sagte. Momoko blinzelte aufgeregt, was sollte sie tun? Da hatte sie sich ja wunderbar in die Bredouille gebracht! Seine freie Hand griff nach ihrem Pferdeschwanz und seine Finger begannen einzelne Strähnen zu zwirbeln. Alle ihre Alarmglocken schrillten. „Selbst in dieser gewöhnlichen Kleidung bist du noch wunderschön.“, raunte er mit glänzenden Augen und zog sie dicht an sich heran in eine Umarmung wie zu einem Tanz ohne Musik. Der jungen Frau blieb nichts weiter übrig als ihren Kopf mit abgewandtem Gesicht an seine Schulter zu lehnen, bevor Takuro noch auf die Idee kam ihr einen Kuss abzuringen. »Hilfe, ich will hier weg!«, schrie sie innerlich. So viel Nähe hatte der Brillenträger noch nie eingefordert, aber sie war ja selbst Schuld, warum auch lud sie ihn gutgläubig in ihren Keller ein? Welcher Mann würde das nicht missverstehen und vielleicht ausnutzen wollen? Sie spürte sein Gesicht in ihrem Haar, er schnupperte daran, was sie unangenehm erschaudern ließ. »Warum fühlt sich das so falsch und schlecht an?« Ihre Verwirrung gründete auf den Ereignissen des Vormittags. Momoko schloss die Augen und sah Yosuke vor sich, erinnerte sich an seine Finger, die ihre Wirbelsäule hinunter gewandert waren und an den Moment, wo er sie brüsk an sich gezogen- und ihr fast das Gefühl gegeben hatte, dass er sie küssen wollte… Allein die Erinnerung daran ließ sie erzittern, aber auf eine andere, gute Weise. Zu ihrem Leidwesen verstand das der Führer dieses stummen Tanzes ganz falsch, denn er glaubte ihre körperliche Reaktion galt ihm. Sein Gesicht wanderte tiefer und Momoko ahnte schnell was er vor hatte, als er sie weit genug von sich weg schob um sie ansehen zu können. Es war ausweglos, denn seine beiden Hände hielten sie fest dort wo sie war. Passierte es jetzt, würde das ihr erster Kuss werden? Ein ohrenbetäubender Klingelton unterbrach das Intermezzo gerade noch rechtzeitig, knurrend und widerwillig ließ Takuro von ihr ab um das Gespräch anzunehmen. Die Rosahaarige nutzte das direkt aus um in Richtung Tür zu flüchten. „Der Empfang hier unten ist echt mies, geh lieber hoch zum Telefonieren. Ich gehe schon mal vor!“, flüsterte sie ihm zu und verschwand. Oben angekommen holte sie tief Luft, stützte sich mit den Händen auf ihre Knie und stöhnte erleichtert. Sie wiederholte das, als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte. „Das war echt knapp! Ich bin eine miese Verlobte!“ Etwas zittrig vor Aufregung kämmte sie ihr Haar mit den Fingern und lief im Wohnzimmer auf und ab. Sie hatte immer geglaubt das durchziehen zu können, dass sie Takuros Frau werden konnte ohne Wehklagen, doch dem war nicht mehr uneingeschränkt so. Sie schaute auf ihre Hand mit dem Ring und auf die Fingerknöchel, auf denen sie noch Yosukes Berührung spüren konnte, die mehr in ihr ausgelöst hatte als je eine Zuwendung von Takuro oder eines anderen Jungen. Obwohl sie keinerlei Zuneigung für den Sportler empfand und er sich wie immer als ein gemeiner Kerl herausgestellt hatte, zog er sie magisch an. Ihr Körper reagierte auf seinen, war es Chemie oder etwas anderes; das spielte keine Rolle, aber Fakt war, dass er sie verdorben hatte. Momoko war überzeugt davon gewesen auf Takuro eingehen zu können mit allem was sie hatte, doch jetzt, wo sie wusste wie sich Berührungen eines Mannes anfühlen konnten und was sie auszulösen vermochten, kam ihr alles was ihr Verlobter tat fast wie Gewalt vor. »Ich muss das in den Griff bekommen, ich kann nicht kneifen! Es hängt zu viel davon ab…« Sie entschloss sich Yosuke komplett zu vergessen und sich auf all die Dinge zu besinnen, die sie nicht an ihm mochte. Ihre Unerfahrenheit durfte ihr nicht im Wege stehen, früher oder später würde sie sich überwinden Takuros Zuneigung zu erwidern und dann wäre das alles bestimmt nur noch halb so schlimm. Entnervt hörte Takuro sich an, was man ihm ins Ohr sprach und sah sich dabei noch etwas in dem Fotokeller um. Der Empfang war anders als angekündigt mehr als ausreichend hier unten. Während er sich berieseln ließ, fiel sein Augenmerk auf den Papierkorb mit dem noch feuchten Bild darin, welches er sich kurzerhand heraus fischte. Seine Augenbrauen hoben sich überrascht, doch verfinsterte sich sein Blick augenblicklich wieder. Schmallippig schnippte er das Foto wieder zurück in den Müll und sah ihm auch genauso hinterer; wie einem Stück unwillkommen Unrat. Kapitel 9: Disaster Date ------------------------ Es war der erste Tag in diesem Jahr, der bewies, dass der Frühling wirklich angefangen hatte. Die Sonne schien am wolkenlosen, blauen Himmel und die Luft war klar und frisch, aber nicht mehr unangenehm kalt. Der Duft nach etwas Neuem lag in der Luft; Gräser und Knospen sprossen und die Vögel stimmten einen heiteren Singsang an. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut schien direkt in ihre Adern zu sickern, gierig nahmen die Menschen dieser Stadt das Vitamin D in sich auf. Obwohl es nur knapp 15°C warm war, waren manche wagemutig genug sich schon ohne Jacken und Mäntel in kurzen Shirts auf die Straße zu trauen. Darunter auch Yosuke. Er trug ein figurbetontes, rotes T-Shirt und eine dunkelblaue Jeans mit einem breiten, schwarzen Gürtel. Ihm war nicht kalt, seine Muskeln hielten ihn warm und glichen aus, was die Frühjahrssonne noch nicht schaffte. „Das Wetter meint es gut mit uns, oder Yoyo-Maus? Das ist doch perfekt für unseren 2. Jahrestag!“, freute Hiromi sich und hing sich wie immer verliebt an seinen Arm. „Das ist es wirklich. Perfektes Wetter für Fußballtraining; nicht zu warm, aber trocken.“ „Yosuke! Wie kannst du denn jetzt an Fußball denken?“, grummelte sie eingeschnappt. Ihr Freund lachte leise. „Ich weiß es nicht, das kam mir gerade einfach so in den Sinn.“ Schulbewusst kratzte er sich am Hinterkopf. „Ab Montag beginnt die Schule wieder, dann kannst du dich ja wieder so richtig auf dem Platz auspowern.“ Das dritte und letzte Jahr der Highschool stand unmittelbar bevor. Irgendwie eigenartig, wie schnell die Zeit vergangen war! Danach würden sie ans College gehen und studieren. Sie waren praktisch erwachsen, in etwas mehr als einem halben Jahr wurde er schon 19 Jahre alt. „Ach schau mal, wir sind schon da.“ Vergnügt präsentierte Hiromi das Lokal, von dem sie vor ein paar Tagen gesprochen hatte. Es stellte sich als ein neu eröffnetes Maid Café heraus. „Ich hatte ehrlich gesagt mit etwas anderem gerechnet! Ist das nicht eher was für kleine Mädchen die auf Kitsch und Rüschen stehen, oder Perverslinge?“ Der Braunhaarige zweifelte daran, dass er dieses Ambiente romantisch finden konnte, obwohl die Räumlichkeiten, die er durch die großen Fenster erkennen konnte, einen recht gemütlichen Eindruck machten. Seine Freundin zog bettelnd an seinem Shirt, wie ein kleines Kind und setzte einen ganz traurigen Hundeblick auf. „Biiitteee~ Yoyo-Maus!“, jammerte sie herzzerreißend. Er hatte ihr versprochen diesen Nachmittag mit ihr zusammen in ihrem Wunschlokal zu verbringen, also hielt er sich auch daran. „Keine Sorge, wir gehen ja da rein. Ich bin nur verblüfft über deine Auswahl.“ „Ja! Jippieh!“ Das Café hatte einen dunklen, polierten Holzfußboden und dazu passende Möbel mit weinroten Polstern. Auf den runden Tischen lagen weiße Spitzentischdecken und es stand auf jedem eine schmale Vase mit einer rosafarbenen Orchidee darin. Weiße Blumentöpfe mit gleichfarbigen, prächtig blühenden Phalaenopsen standen überall in den Ecken oder auf Raumteilern des Lokals. Um die Vasen und Töpfe waren ebenfalls rosa Schleifchen gebunden – zum Glück auf Anhieb das einzig Kitschige neben den weißen Spitzentischdeckchen, was Yosuke erkennen konnte. Als eine Bedienung hinter dem großen, schweren Tresen mit den vielen Glasvitrinen, in denen köstliche Desserts präsentiert wurden, hervor tänzelte, musste er seinen Eindruck noch einmal korrigieren. Das brünette Mädchen, das sein Haar rechts und links zu kleinen Zöpfen trug, hatte ein weißes, gerüschtes Käppchen auf und trug eine modifizierte Dienstmädchenuniform. Sie war schokoladenbraun mit kurzen Puffärmeln und hatte einen kurzen, große Falten werfenden Rock mit schmalem, weißem Saum. Darüber trug sie eine eng anliegende, weiße Schürze, die sowohl an den Schulterträgern als auch am Saum ebenfalls Rüschen hatte. Auf den Taschen waren braune Schleifchen aufgenäht und der miederähnliche Teil hatte vorne viele Braune Knöpfe. Als wäre das nicht schon genug, lugte unter dem Rock auch noch ein bauschiger Unterrock in Pastellrosa hervor, der dafür sorgte, dass die eigentliche Uniform etwas weiter ausgestellt aussah und dessen Farbe sich in dem letzten Schleifchen um den losen, weißen Kragen um den Hals der Bedienung wiederfand. Immerhin wurden auch die Beine in weißen Overknees versteckt, um die ein braunes Strumpfband lag. Die Schuhe waren ebenfalls dunkel, hochhackig und hatten eine leichte Plateausohle. Alles in einem war das Mädchen ein wahr gewordener Manga-Traum einer Maid. „Hey, starr sie nicht so an…“, knurrte Hiromi Yosuke ins Ohr, der ganz fasziniert von dieser Uniform wohl etwas zu lange hingesehen hatte. Die Bedienung nahm es mit Humor und strahlte sie beide freundlich an. „Hallo und willkommen bei uns! Wollen Sie einen Tisch für zwei?“ „Ja bitte! Und schön gemütlich und gerne etwas privat, wir haben heute Jahrestag!“, schwärmte Hiromi überschwänglich und versprühte imaginäre, rosa Herzchen. „Das ist ja toll! Wir haben noch einen schönen Fensterplatz hinten in der Ecke frei. Wenn Sie mir bitte folgen mögen?“ Schwungvoll drehte sich die Maid weg und präsentierte ihre Rückenfront. Die Schürze wurde über dem Po länger und lief in zwei spitze Enden zu, die über den Rock hingen; ähnlich wie bei einem Frack. In ihrem Kreuz war der Rest zu einer großen Schleife geknotet. Von ihrem Tisch aus konnte man gut das Café überblicken, wenn man mit dem Rücken zur Wand saß, aber für andere war es schwerer ihre Ecke auf den ersten Blick gut einsehen zu können, da eine halbhohe Trennwand, auf der wieder Orchideen standen, sie gut abschirmte. „Es ist heute Nachmittag etwas voller als sonst, deswegen nehme ich jetzt nur schnell Ihre Getränkebestellung auf. Bedienen wird Sie dann aber eine andere Maid, die extra ihrem Tisch zugewiesen ist. Ist Ihnen das Recht?“, fragte die junge Bedienung äußerst höflich und legte dabei vornehm ihre beiden Hände in ihrem Schoß übereinander. „Natürlich.“, antwortete Yosuke knapp, Hiromi schnitt vor lauter Aufregung schon gar nichts mehr mit und blätterte begeistert durch die vorliegende Speisekarte. „Hanasaki-chan! Du bist spät dran heute!“, wurde sie von ihrer diensthabenden Chefin begrüßt, als sie völlig außer Atem zum Dienstboteneingang hereinstolperte. „Es tut mir leid! Ich habe für meine Frisur viel länger gebraucht als erwartet!“, entschuldigte Momoko sich mit gefalteten Händen, die sie schuldbewusst über ihr gebeugtes Haupt hielt. Ihre Chefin, die selber an diesem Tag mit anpackte, war Mitte zwanzig und hatte sehr langes, schwarzes Haar, das wie Öl glänzte. Ihr Pony war gerade geschnitten, was sie etwas streng wirken ließ. „Hmm… das sollte dir aber nicht zu oft passieren. Wir haben heute volles Haus und das sicherlich bis zum Abend. Du musst pünktlich sein! Aber wenigstens scheinen sich deine Mühen gelohnt zu haben, dein Haar sieht gut aus.“ Sie musterte anerkennend den französischen Zopf, den sich Momoko auf der vorderen, linken Seite bis nach rechts hinten unten geflochten hatte und der ihr dort auch über die Schulter nach vorne fiel. Sogar an ein braunes Schleifchen am Ende hatte sie gedacht. „Aber jetzt zieh schnell deine Uniform an, du bist jetzt erstmal für Tisch sieben bis zehn verantwortlich. Und schön lächeln, dann bekommst du bestimmt gutes Trinkgeld und das brauchst du doch, oder?“ „Ja, verstanden. Und vielen Dank und Entschuldigung noch mal!“ Ihre Chefin winkte lächelnd ab und ging wieder nach vorn in den Betrieb. „Yooosuke! Ich kann mich einfach nicht entscheiden! Die haben so viele leckere Kuchen, Törtchen, Eisbecher und und und!“ Ihr Gegenüber grinste breit. „Nimm doch erstmal was Richtiges zum Essen und danach erst ein Dessert.“ „Bist du verrückt? Ich komme doch nicht hier her und schlag mir den Magen mit was Normalen voll, wenn ich Nachtisch ohne Ende haben kann!“ Hiromi war ein hoffnungsloser Fall, aber wenn es ihr Freude machte, warum dann nicht? Er selbst wollte sich deftige Takoyaki bestellen und danach vielleicht mal den Käsekuchen mit Erdbeeren und Schokoladensoße versuchen. Seine Freundin zählte dabei bereits an ihren Fingern ab, was von der Karte sie alles bestellen wollen würde. Das konnte teuer werden… „Ah, Momoko! Da bist du ja!“, begegnete ihr eine brünette Kollegin knapp, statt mit einem Hallo und schob ihr beschäftigt ein rundes Tablett mit einem dampfenden Grüntee und einer heißen Schokolade mit Sahne rüber. „Das ist für Tisch sieben, die warten dort schon, also hopp hopp!“ Die Blauäugige konnte ihr das nicht übel nehmen, denn das Café war wirklich ungewöhnlich voll und während sie das dachte kamen immer mehr Leute hereingeströmt, die sich bewundernd an dem Geruch von frisch gebackenen Süßigkeiten labten. Mit einem geübten Griff hob sie das Tablett auf ihre rechte Hand und balancierte es an den vollen Tischen und besetzten Stühlen vorbei bis ganz nach hinten, wo Tisch sieben auf sie wartete. Abrupt, fast ruckartig blieb Momoko stehen. Die Getränke schwappten in ihren Tassen bedrohlich hin und her. »Das kann doch jetzt nicht wahr sein!«, jagte es durch ihren Kopf, als sie durch die Orchidee hindurch einen lila gelockten Haarschopf ausmachte, dem gegenüber ganz unverkennbar der Mann saß, den sie sich geschworen hatte nie mehr wiedersehen zu wollen. Ihr Griff um das Tablett wurde fester, angespannt starrte sie auf den leicht spiegelnden Tee und überlegte, was sie jetzt machen sollte. Hilfesuchend sah sie sich zu dem Tresen um, an dem auch ihre Chefin stand. Diese fing ihren Blick zufällig auf, aber anstatt darauf einzugehen machte sie eine eindeutige Handbewegung, mit der sie sie dazu aufforderte, die Getränke endlich abzuliefern. »Mist… ok Momoko. Tief durchatmen. Sei professionell, du schaffst das! Es sind nur Kunden! Tu als würdest du sie gar nicht kennen!« Fest entschlossen straffte sie die Schultern und setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. Mit wenigen Schritten erreichte sie den Tisch. Yosuke nahm im Augenwinkel zuerst nur das silberne Tablett war, das seitlich auf den Tisch geschoben wurde. Eigentlich war er noch in seine Speisekarte vertieft, doch als ihm sein Tee hingestellt wurde, fiel seine Aufmerksamkeit auf einen auffälligen, goldenen Ring mit einem runden roten Stein darin. Mit Entsetzen sah Yosuke hinauf zu der Bedienung, an deren Finger dieser wahrscheinlich einzigartige Ring steckte und hielt die Luft an, als er die Bestätigung bekam, die er eigentlich nicht mehr brauchte. „Du…!“, war das Einzige, das ihm über die Lippen kam und es klang mehr bitter als überrascht. Momoko gab sich unbeeindruckt und würdigte ihn keines Blickes, stattdessen zückte sie fachmännisch ihren kleinen Notizblock und machte sich bereit die Bestellung aufzunehmen. „Wissen die Herrschaften denn schon, was sie bestellen wollen?“, fragte sie zuckersüß. Hiromi, die nun auch mitbekommen hatte, wer sie da bediente, wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht und ihre eben noch ach so ausgelassene Stimmung verflog. Momoko stierte vehement auf ihren Block, sie wollte sich keinesfalls irgendeine Blöße geben. „Soll ich später noch mal wiederkommen?“, fragte sie nochmals überfreundlich und klickte die Miene ihres Kugelschreibers bereits zurück in den Stift, als sich Yosuke besann und das Wort doch noch ergriff. „Bring uns doch bitte zwei Mal Oktopusbällchen und den Käsekuchen als Nachtisch.“ Seine Freundin wand sich zu ihm um und sah ihn mit offenem Mund an. Nicht weil er gar nicht das bestellt hatte, was sie eigentlich wollte, sondern weil sein Tonfall und seine Miene Momoko gegenüber aalglatt gewesen waren. Ein Grund zum Freuen für die eifersüchtige Hiromi. „Aber gerne doch.“, entgegnete die Serviererin nicht weniger kühl, schrieb sich alles auf und machte dann eine so kühne Drehung zum Gang hin, dass sich ihr bauschiger Rock gefährlich anhob. »So ein arroganter, abgebrühter Mistkerl, aber das kann ich auch!!!«, fluchte sie innerlich, als sie zur Küche marschierte. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte ihre Chefin, als sie den Tresen passierte. Momoko konzentrierte sich darauf, ihre in Zornesfalten liegende Stirn wieder zu entknittern. „Einer meiner Gäste ist jemand, mit dem ich eigentlich nie wieder etwas zu tun haben wollte. Wir kennen uns von früher und waren uns damals schon nicht grün, aber er hat wohl eine noch eine schlechtere Meinung von mir, als ich dachte.“, erklärte sie knapp. Natürlich sah die Dunkelhaarige sofort neugierig zu der Ecke mit Tisch sieben hinüber. „Ich kann nur einen jungen Mann erkennen, meinst du ihn?“ Momoko nickte nur und vermied ihrem Blick zu folgen. „Der sieht aber gut aus!“ Die Blauäugige geriet innerlich ins Trudeln und sah ihre Vorgesetzte entsetzt an. »Das ist alles, was ihr dazu einfällt?!« „Und mit ihm hast du Streit?“, fragte die Frau unbekümmert weiter. „Nicht direkt…“ „Na dann sei ein Profi und bedien ihn trotzdem! Zeig ihm wie stark und unerschütterlich du bist, das wird ihn ärgern.“ Dabei zwinkerte sie Momoko verschwörerisch zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Chefin nicht ganz verstanden hatte worum es ging. Diese warf noch mal einen Blick zu Yosuke, der genau in diesem Moment auch in ihre Richtung blickte, seine Augen aber sofort ertappt abwendete. „Hanasaki-chan, ich wette, dieser Junge steht heimlich auf dich!“, flüsterte sie grinsend. „NIEMALS!“ Momoko zuckte vor ihrer eigenen Stimme zurück und lief rot an vor lauter Peinlichkeit, denn das ganze Lokal musste ihren lauten Widerspruch gehört haben. Ihre Chefin blinzelte sie überrascht an. „Tut mir leid…“, hauchte die Rosahaarige und machte sich ganz klein in der Hoffnung, ein Loch im Boden möge sich auftun und sie verschlucken. „Möchtest du lieber mit einem anderen Mädchen die Tische tauschen?“, fragte ihre Chefin nachdenklich. Doch sie schüttelte den Kopf. Natürlich war das Letzte, was sie tun wollte diesen Kerl und seine ätzende Freundin zu bedienen, doch wenn sie sich zurückzog hatte er gewonnen und diese Genugtuung wollte sie ihm nicht bereiten! »Dem werde ich zeigen, dass ich mich nicht klein machen lasse! Von wegen Prostituierte!« „War da was?“, fragte Hiromi, die zu versunken in der Schwärmerei für ihre heiße Schokolade war, als man Momokos Stimme durch das Café schallen hörte. Yosuke schüttelte den Kopf und gab sich desinteressiert, doch seine Finger gruben sich in das feste Material, in das die Speisekarte eingeschweißt war. »Warum arbeitet sie hier? Wieso muss ich sie ausgerechnet heute hier treffen? Jahrelang sehen und hören wir nichts voneinander und nun läuft sie mir zufällig über den Weg, wenn es am wenigsten passt?« Das waren nur ein paar seiner vielen Fragen und Gedanken, die ihm im Kopf rum gingen. In den letzten Tagen war es ihm fast gelungen Momoko zu vergessen, er hatte sich voll darauf konzentriert Hiromi ein guter Partner zu sein, obwohl ihm das sehr schwer fiel. Noch immer begleitete ihn das Gefühl irgendwie unzufrieden zu sein, wenn er mit ihr allein war. Aber das war nicht erst seit dem Klassentreffen so, nur dort unter all seinen Freunden und in ihrer Nähe, war ihm das erst klar geworden. Er sehnte sich nach mehr… Und jetzt stand ausgerechnet dieses Mädchen wieder vor ihm! Mit ihrem schönen, vollen Zopf und in einem sexy Maidkostüm. Zumindest sah es an ihr äußerst verlockend aus… »Oh nein, nicht schon wieder solche Gedanken!« Er knurrte kurz in sich hinein. Sie war eindeutig nicht gut auf ihn zu sprechen und er doch eigentlich auch nicht auf sie, da war nirgendwo Platz für die Beurteilung ihrer langen Beine und deren weibliche Oberschenkel, die kurz unter dem Rocksaum enden mussten… aahh verdammt! Er legte die Karte entnervt weg und fixierte sich auf Hiromi. Sie sah so niedlich aus mit ihren lockigen Zöpfen und den großen Augen, wie sie genüsslich an ihrem heißen Getränk nippte. An den Nachbarstisch setzte sich ein laut schwatzendes Trio aus Mittelschülern, allesamt Jungs die frech den Maids hinterher lugten. Es dauerte nicht lang bis Momoko sich zu ihnen gesellte um sie ebenfalls zu bedienen. Yosuke fiel sofort auf, dass sie den Jugendlichen eine ganz andere Seite von sich präsentierte; fröhlich, heiter, liebenswert. Und ja, sie flirtete sogar ein bisschen mit ihren Blicken, denn die Jungs ließen es sich nicht nehmen bewundernde Kommentare über sie zu ergießen. Der Torwart beobachtete das kurze Treiben mit Argwohn, bis ihn ein saftiger Tritt gegen sein Schienbein zusammenzucken ließ. „Warum starrst du so da rüber?! Ich dachte, du machst dir nichts aus ihr?“, grummelte Hiromi böse schauend. „Tu ich auch nicht.“, antwortete er schmerzerfüllt durch seine zusammengepressten Zähne, er musste sich schnell eine Erklärung einfallen lassen. „Ich habe mich nur gefragt, ob es in diesem Laden Verkaufsstrategie ist, die Bedienungen mit besonders aufreizendem Verhalten auf männliche Kundschaft loszulassen.“ Momoko versteinerte, denn er hatte es mit Absicht gerade so laut gesagt, dass auch sie es noch verstehen konnte. Sie sog scharf die Luft ein um sich zu beherrschen, denn seine Vorwürfe vom letzten Aufeinandertreffen hatten noch unverheilte Wunden auf ihrem Selbstwertgefühl hinterlassen. Geschäftig notierte sie sich die Bestellungen der Mittelschüler und lief dann zurück zum Tresen, wo auch schon das Essen für Tisch sieben auf Auslieferung auf sie wartete. Schweigsam lud sie die Teller auf ihr Tablett, doch bevor sie stark genug war es ohne Unfälle zu seinem Bestimmungsort zu balancieren, musste sie sich einen Moment lang sammeln. »Nicht drüber nachdenken, soll er doch glauben was er will! Ich weiß es besser! Nur keine Schwäche zeigen!« Konzentriert hob sie ihr Tablett in die Höhe und lief mit gerecktem Hals wieder los. Mit solchen Sprüchen konnte er ihr nichts anhaben, schließlich war er ihr egal. Ihre Chefin, die ihr Mienenspiel bemerkt hatte, sah ihr sorgenvoll hinterher. „Yoyo-Maus, du bist ja ganz schon gemein!“, raunte Hiromi, doch ihr Entsetzen war nur gespielt, denn sie grinste zufrieden dabei. „Ich hab dir doch gesagt, dass sie mich nicht interessiert und ich nur Augen für dich habe.“ Sein Magen krampfte sich bei seinen Worten zusammen, das konnte doch nicht mehr normal sein, dass sich sein Körper gegen seine Notlügen so dermaßen sträubte? Und da kam auch schon wieder Momoko regelrecht angeschwebt. Schluckend musterte er sie erneut in ihrer Arbeitskleidung und blieb schließlich wieder mal an ihren ausdrucksstarken Augen hängen, die selbstbewusst in seine Richtung funkelten. Als sie neben ihrem Tisch zum Stehen kam räusperte er sich angespannt und versuchte auf die dampfenden Torayaki zu starren, anstatt auf irgendetwas oder irgendwen anderes. „Tadaa! Zwei Mal Oktopusbällchen und der Käsekuchen mit Schokosoße und Erdbeeren.“, präsentierte die Serviererin selbstzufrieden und lud die Teller mit geschickten Handgriffen vor ihnen ab. Yosuke hielt die Luft an, als sich Momoko in seine Richtung vorbeugte um die Kuchenteller etwas weiter hinten auf den Tisch zu stellen. Der Lilahaarigen missfiel die Situation so sehr, dass sie nicht anders konnte als ihre Bedienung mit giftigen Blicken zu traktieren und Gemeinheiten auszuhecken. „Sag mal, Momoko… warum arbeitest du denn hier? Ich dachte, Takuro ist jetzt ein hohes Tier und hat eigentlich genug finanzielle Mittel, um dich auszuhalten? Wie findet er es denn, dass seine Verlobte so einen Job macht?“ Ihre Stichelei saß, Momoko sah sie völlig verdattert an und hätte in ihrer Unachtsamkeit fast das leere Tablett vom Tisch fallen lassen. Yosuke sah seine Freundin aber nicht weniger erschrocken an. »Nein! Nicht, mach ihr keine Szene!«, flehte er sie gedanklich mit Blicken an. Doch Hiromi dachte nicht daran aufzuhören. Sehr selbstgefällig betrachtete sie ihre ehemalige Mitschülerin wie eine Aussätzige „Ich… ich bin gerne selbstständig. Ich möchte nicht auf Takuro angewiesen sein, schließlich sind wir noch nicht verheiratet.“, stotterte sie unsicher vor sich hin und drückte dabei ihr Tablett an ihre Brust wie einen schützenden Schild. Das verstand Yosuke nicht, wozu das ganze Getue? Wenn sie sich doch ohnehin an Takuro verkauft hatte, dann konnte dieser die Missstände in ihrem Leben doch auch beseitigen, ohne das sie den Schein wahrte eine unabhängige Frau zu sein. Wieder mal nagten Zweifel an ihm und auch Hinagikus Worte von ihrer letzten Begegnung hallten in seinem Kopf wider. So sehr er sich auch dagegen wehrte über all das nachzudenken, es gelang ihm nicht. Also sah er sie an und hoffte irgendeine Antwort aus ihrem Gesicht ablesen zu können, doch sie beachtete ihn gar nicht und starrte stattdessen auf die Tischplatte. Ihr war so unwohl, dass es Yosuke dazu brachte sie bekümmert zu mustern. Unglücklich darüber mit ihrer Provokation anscheinend eine ganz andere Reaktion als gewünscht hervorgerufen zu haben, schnaubte Hiromi mürrisch. Sie hatte angenommen ihr Freund stünde hinter ihr und ihrer Aussage, doch anscheinend war er nicht hart genug um ihrer Widersacherin einen Denkzettel zu verpassen. Da fiel ihr ihre noch halbvolle, heiße Schokolade ins Blickfeld, die nur wenige Zentimeter entfernt von der Tischkante stand. „Hey, Bedienung! Geht’s hier auch mal weiter?“, rief hinter Momoko einer der Jungspunde, der sie zuvor noch heftig angeflirtet hatte. „Ja, selbstverständlich!“, antwortete sie entschuldigend, doch noch ehe sie sich umgedreht hatte, spürte sie einen kühlen Luftzug an ihrem Po. „Ganz schön knapp, das Röckchen!“, lachte der dreiste Flegel, der es gewagt hatte ihren Rock mit seiner ausgestreckten Hand hochfliegen zu lassen. Erschrocken wich Momoko aus Reflex ein Stück nach vorne aus, um einen weiteren Zugriff zu verhindern. Das war Hiromis Chance! Mit ihrem rechten Handrücken gab sie ihrer Tasse einen ordentlichen Stoß und das Porzellan schepperte auf die Tischplatte. Yosuke, der eigentlich noch völlig entrüstet wegen des Verhaltens der Jugendlichen war, die sich währenddessen kaputtlachten über den Gesichtsausdruck der Maid, konnte nur hilflos und mit Schrecken zusehen, wie sich der Schwall brauner Flüssigkeit über Momokos Schürze und ihre weißen Strümpfe ergoss. Ein gequälter Schmerzenslaut entfuhr ihr. „Pass doch auf! So ein unfähiges Personal!“, stieß Hiromi betont laut aus, sodass es jeder hörte. Ihr Freund starrte sie geschockt an. Ein gemeines, zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen; glaubte sie etwa, er fand das gut, was sie da abzog? Momoko stand mit erhobenen Händen da und sah an sich herunter, das Tablett dabei noch in der rechten Hand. Ihre Schürze, der Rock und ihre weißen Strümpfe waren bis zu den Schuhen ruiniert. Ihre Haut brannte wo die noch ziemlich heiße Flüssigkeit durch den dünnen Stoff gesickert war. Die Kunden vom Tisch hinter ihr waren ganz still geworden und auch sonst widmeten sich einige interessierte Blicke ihrer misslichen Lage. »Das kann doch alles nicht wahr sein!«, dachte sie bei sich und schämte sich in Grund und Boden. Sie legte das Tablett ab, wie in Trance Griff sie in den Saum ihrer Uniform und biss sich auf die Unterlippe; sie spürte wie wütende Tränen in ihren Augen aufstiegen. Sie schaute Hiromi an, die ihr das Desaster in die Schuhe schieben wollte und traf auf so viel Schadenfreude und Missgunst, dass es sie einfach nur sprachlos machte. Momoko wollte nicht zu Yosuke schauen, aber sie musste wissen, ob er sich ebenfalls Genugtuung an ihrem Leid verschaffte. Er tat es nicht, in seinen Augen schwang dafür jede Menge Mitleid mit und irgendwie fand sie das noch viel, viel schlimmer, als wenn es ihm einfach nur scheiß egal gewesen wäre. Sie drehte sich weg und lief langsam davon, doch schon nach wenigen Schritten beschleunigte sie ihr Tempo, denn ihre Maske begann zu bröckeln. Sie wollte nur noch weg und sich in der Toilette verbarrikadieren! Ein schlimmer Schmerz brannte in ihrer Brust, war es ihr verletzter Stolz? Oder der Blick des Torwarts, der ihn ausgelöst hatte? Als Momoko ihn angesehen hatte, konnte er spüren wie sehr sein Mitleid sie peinigte. Es war falsch was hier passiert war! Falsch, heimtückisch und gemein! Als sie davon lief befreite er sich von seinen Vorurteilen, die ihn daran hinderten nett zu ihr zu sein oder Hiromi von ihren Attacken abzuhalten. Kurzentschlossen sprang er von seinem Platz auf, fest entschlossen ihr nachzueilen. „Yosuke! Wo willst du hin?!“, wollte ihn seine Partnerin verwirrt aufhalten, doch er schaute sie nur unverhohlen wütend an. „Ich gehe ihr nach und bringe das in Ordnung, was du angerichtet hast!“, zischte er. „Aber…“ „Kein aber, geh am besten nach Hause! Wir reden später.“ Und schon lief auch er davon. Hiromi wollte ebenfalls ihren Platz verlassen; so einfach kam er ihr nicht davon, als ihr plötzlich eine erwachsene Bedienung mit langem, schwarzem Haar den Weg versperrte. „Oh Entschuldigung! Ich beseitige das Malheur hier nur kurz, wenn Sie erlauben?“, sagte Momokos Chefin honigsüß zu der Rotäugigen, die ihr Vorhaben Yosuke nachzueilen, somit aufgeben musste. »Na warte, das lasse ich mir nicht bieten! Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!« Momoko rauschte gerade in den hinteren Bereich des Lokals zur Personaltoilette, als Yosuke sie einholte. Sie wollte die Tür hinter sich schließen, doch er schaffte es seinen Fuß gerade noch rechtzeitig im Türrahmen zu platzieren. „Geh weh!“, schnauzte sie ihn durch den Türspalt an und drückte fest gegen das Holz, ihre Stimme war rau und angegriffen. „Warte bitte, es tut mir leid was Hiromi getan hat! Lass mich rein!“, bat Yosuke sie mit beschwichtigendem Tonfall. Es tat ihm wirklich leid und es war ihm unmöglich dieses Gefühl abzustellen. Dieser gebrochene Ausdruck in ihren Augen hatte es geschafft ihn vergessen zu lassen, was zwischen ihnen passiert war. Ihm war egal was zwischen ihr und Takuro lief, er wollte nur nicht, dass sie seinetwegen oder wegen irgendwem anders weinte. „Hau ab! Was mit mir ist kann dir doch egal sein! Du hast mir doch deutlich genug gesagt, wofür du mich hältst!“ Ihr Satz endete mit einem unterdrückten Schluchzer. Yosuke riss augenblicklich der Geduldsfaden. Er stemmte seine kräftigen Torwartarme zwischen Tür und Rahmen und drückte sie mit einem entschieden Ruck auf ohne darauf zu achten, ob man ihm im Café dabei beobachtete oder nicht. Momoko dahinter musste zurückweichen um sich nicht weh zu tun, was er nutzte um hineinzuschlüpfen, die Tür hinter sich zu schließen und zu verriegeln. „Was soll das?!“, kreischte sie leise mit belegter Stimme, hektisch versuchte sie die Tränen von ihren Wangen zu wischen und so zu tun, als wäre nichts. Sie erkannte den ernsten, dunklen Ausdruck in seinem Gesicht und erzitterte, als er entschieden auf sie zu trat, sie bei den Schultern packte und so mit seinem Blick durchbohrte, als hätte sie etwas Schlimmes angestellt. „Es ist mir aber nicht egal! Hältst du mich für so ein Arschloch, dass ich über das, was die Jungs und Hiromi da eben gemacht, haben lachen würde?“ Sie wusste es nicht, doch eine Stimme in ihrem Inneren sagte ihr ganz entscheiden, wenngleich auch leise; nein. Aber was wusste ihr Innerstes schon? „Ich weiß es nicht, wie auch? Du bist mal so, mal so zu mir! Ich kenne dich gar nicht, denn anscheinend vermasseln wir es immer, wenn sich eine Chance ergibt, dass wir uns besser kennenzulernen! Das letzte Mal hast du mich wüst beschimpft und mir nicht mal die Gelegenheit gegeben es richtig zu erklären!“ Die Tränen liefen Momoko nun ungehindert übers Gesicht, obwohl er sie immer noch fest hielt und direkt ansah. Da war einfach so viel Frust und Traurigkeit in ihr, dass sie es nicht mehr ertragen und zurückhalten konnte. „Es tut mir leid.“, entgegnete Yosuke nur leise. Er musste sich schon sehr zusammennehmen, es war das erste Mal, dass er sie weinen sah und die Heftigkeit, mit der es ihn berührte, setzte seiner Gelassenheit ganz schön zu. „Was? Das deine durchgeknallte Freundin meine Arbeitsuniform so ruiniert hat, dass ich da heute nicht mehr raus kann?“, hinterfragte Momoko zynisch und wollte sich los machen. Doch anstatt seinen Griff zu lockern, machte er eine Umarmung daraus. Seine Arme lagen fest um ihren Oberkörper herum und sie konnte deutlich seinen aufgewühlten Herzschlag spüren, in dessen Takt sich ihrer direkt einreihte. Überrumpelt und verlegen traute Momoko weder sich zu bewegen, noch etwas zu sagen. Selbst atmen war ihr unangenehm, denn sie konnte seinen Körpergeruch wahrnehmen, so nah war sie ihm. „Nein, alles tut mir leid.“, begann er leise in ihr Ohr flüsternd. „Ich habe mich wie ein Idiot verhalten. Bei dir Zuhause, heute hier… und wahrscheinlich auch schon unzählige Male davor. Dabei möchte ich eigentlich nichts mehr als dich einfach nur verstehen.“ Er hörte wie sie tief Luft holte, waren seine Worte richtig bei ihr angekommen? Er hätte sie jetzt loslassen können, doch so wie sie an seiner Brust ruhte – warm, weich, zerbrechlich, verletzt – fühlte es sich einfach richtig an ihr auf diese Weise Trost zu spenden. „Warum tust du das… du hast Hiromi.“, war alles was sie sagte. Ungern lockerte er seine Umarmung nun doch und sah in ihr verlegendes Gesicht. „Weil ich immer noch denke, dass du zur Zeit wirklich einen guten Freund zum Reden gebrauchen kannst. Und weil ich dich nicht heulen sehen kann.“ Parallel zupfte er ein Papierhandtuch aus dem Wandbehälter und hielt es der verweinten Momoko hin. Zögerlich nahm sie es an und bedachte ihn mit einem scheuen Blick. Erschöpft und schnäuzend ließ sie sich auf den Klodeckel der Toilette fallen, stöhnte aber, als dabei ihre Waden aneinander rieben. „Was ist? Hast du Schmerzen?“, fragte Yosuke sofort besorgt. „Es ist nichts, es sind die Strümpfe… dort wo mich das heiße Zeug erwischt hat…“, tat die Rosahaarige es ab. Yosukes Blick wurde direkt wieder skeptisch und durchdringend, wie schaffte er es nur sie damit immer wieder einzuschüchtern? Er bückte sich nach ihrem linken Knöchel; erschrocken kreischte Momoko auf, als er ihr Bein unvermittelt anhob. Fast hätte er sie damit von ihrem Sitz geholt. Peinlich berührt und bemüht ihren Rock zu richten, grummelte sie sauer vor sich hin. Yosuke grinste deswegen ein bisschen, denn es war irgendwie lustig. „So kenne ich dich schon eher.“, kommentierte er ihren leisen Protest. „Und jetzt lass mich mal sehen.“ „Nein! Das kann ich selber!“, wollte sie sich wehren, inzwischen feuerrot angelaufen vor Scham. Doch er ließ sie nicht los und über ihr gestrecktes Bein erreichte sie ihn nicht, um ihn irgendwie abzuwehren. Er war auch viel zu schnell, mit wenigen Handgriffen hatte er ihren Schuh ausgezogen und seine rechte Hand wanderte nun hoch in Richtung Oberschenkel, um den Strumpf herunter zu ziehen. „Yosuke! Nicht!“, flehte sie ihn wieder an. Tatsächlich hielt er inne und ging auf die Knie vor ihr, seine Hände fest um ihren Fußknöchel liegend. Er versuchte sie schief anzulächeln, sein Blick war irgendwie trotzdem traurig. „Du denkst wirklich nur das Schlechteste von mir, oder?“ Sie schwieg ihn einen Moment lang an, prüfte seinen Gesichtsausdruck und Gestik. „Du denkst doch auch das Schlimmste von mir.“ Resignierend schüttelte Yosuke den Kopf und sah hinunter auf ihre Knie, die sie dicht zusammengezogen hatte. „Eigentlich nicht… aber letztens, als du mir erzählt hast, dass du dich quasi an Takuro verkauft hast… da sind mir einfach die Sicherungen durchgebrannt. Ich verachte diese Sorte Frauen, die es nur auf den Erfolg und das Geld ihrer Männer abgesehen haben. Ich hatte eigentlich einen positiven Eindruck bei meinem Besuch von dir gewonnen und war dann ziemlich geschockt nach deiner Story.“ Es schmerze ihn das so zu sagen. Genauso wie es ihm Pein bereitete sich vorzustellen, dass Momoko eventuell nicht anders war als diese Frauen. Doch jetzt keimte in ihm wieder Hoffnung auf, dass er sich womöglich getäuscht- und nur zu vorschnell geurteilt hatte. Langsam ließ er seine Hände wieder ihre Wade hinauf über den Stoff des befleckten Strumpfes gleiten, passierte ihr Knie und arbeitete sich dann erneut vorsichtig zu ihrem Oberschenkel vor, wo er den Rand erreichte. Darüber lag ihre nackte Haut frei, es fehlten nur wenige Zentimeter bis zu ihrem Rocksaum. Sein Herz meldete sich stark klopfend, hochkonzentriert richtete er seine Augen wieder ausschließlich auf das Beinkleid und auf sein Vorhaben, es der jungen Frau auszuziehen. Ihre Hand, die sich auf seine legte, hinderte ihn daran. Er sah auf zu ihr, aber ihre Augen lagen im Schatten unter ihrem Pony versteckt. Nur das glühende Rot auf ihren Wangen konnte er gut leuchten sehen. „Ich habe mich nicht an ihn verkauft. Es ist nie etwas zwischen uns gewesen. Takuro hat noch nie… so etwas oder Ähnliches getan… Wir haben die Vereinbarung, dass er mir Zeit gibt um mich auf ihn einzulassen und mich in ihn zu verlieben. Solange wir nicht verheiratet sind mache ich die Regeln, deswegen gehe ich auch noch neben der Schule arbeiten. Ich schulde ihm nichts.“ Von alledem, was sie ihm da im Stillen erzählte, interessierte Yosuke nur eine Sache ganz besonders. „So etwas? Er hat dich noch nie berührt?“, hakte er noch mal ungläubig nach. Bei seinen Worten glitt er entschieden mit beiden Händen ihren Schenkel hoch, er fühlte wie ein Schauer sie schüttelte und sah, wie sich die feinen Härchen auf ihrer Haut aufstellten. Momoko schüttelte schüchtern den Kopf, doch ihre Körperreaktion war ihm schon Antwort genug gewesen. Yosuke legte seine Finger unter den Strumpfsaum und zog ihn langsam hinunter, sein Puls jagte davon wie ein Gepard über die Prärie. „Und geküsst?“ Er wollte sich für seine unverfrorene Frage am liebsten selbst ohrfeigen und rechnete schon damit, dass Momoko ein Gewitter über ihn hereinbrechen lassen würde, doch es blieb aus. Stattdessen antwortete sie ihm so leise, dass er es fast nicht verstand. „Nein.“ Yosuke wusste nicht wieso, doch plötzlich fühlte er sich so erleichtert und auch stolz. Er hatte sich doch nicht in ihr getäuscht, sie war sehr wohl anders als die anderen! Aber wieso dann das Ganze, wenn sie doch allein zurecht kam? Als der Strumpf ausgezogen war, zeigten sich auf Momokos heller Haut ein paar rötliche Stellen auf den Innenseiten. Behutsam strich er kurz über sie, weswegen sie kaum merklich zusammenzuckte. „Das sind zum Glück nur leichte Hautreizungen. Etwas Salbe und morgen ist schon nichts mehr zu sehen.“, stelle er freudig fest, konzentriert seinen Blick nicht zu weit hoch wandern zu lassen. Sie zog ihr Bein weg aus seinem Griff, war es ihr doch mehr als deutlich anzusehen, wie unangenehm und peinlich ihr seine Zudringlichkeit war. „Willst du mich gar nicht weiter ausfragen? War das alles, was dich interessiert hat?“, lenkte sie ihn ab, als er auch das andere Bein fixierte. „Möchtest du denn, dass ich dich mehr frage? Ich dachte, du hasst mich.“ Sie musste unwillkürlich auflachen. „Anscheinend hasse ich dich nicht genug, warum sonst gestatte ich dir praktisch ohne Gegenwehr, dass du mir die Strümpfe ausziehen darfst?“ Sie hatte Recht, es war absurd. Er lachte mit ihr mit und machte sich dann an ihrem anderen Strumpf zu schaffen. Diesmal genoss er es noch mehr, denn die Gewissheit, dass er der erste Mann im Leben dieser jungen, ansehnlichen Frau war, der diese Zentimeter ihres Körpers berühren durfte, obwohl es nur eine unverfängliche Handlung war, die Berührungen nur beiläufig geschahen und es auch nur wenige Sekunden dauerte, tat es seinem Ego mehr als gut. „Hier sieht es auch nicht so schlimm aus, du hast also Glück gehabt.“ Momoko streckte ihr Bein in die Luft und sah es sich selber noch mal prüfend an. Yosuke musste wegschauen um nicht aus Versehen zu ihrem Rocksaum zu schmulen. Sie bemerkte sein höfliches Verhalten und lächelte unwillkürlich. »Doch nicht so ein Blödmann, wie er immer tut-« „Sag mal, dreht Hiromi da draußen nicht durch, weil du mir nachgegangen bist?“, fragte sie ihn neugierig, als sie mit nackten Füßen wieder in ihre Schuhe schlüpfte. „Ich habe sie allein nach Hause geschickt. Das diskutiere ich später mit ihr aus.“ Ihm war plötzlich unwohl bei dem Gedanken, denn schon wieder kam er einer anderen Frau viel näher als es wohl jede normale Partnerin gutheißen würde. Wieso ließ er sich in Momokos Nähe immer wieder dazu hinreißen zu vergessen, wo die Grenzen sein sollten? Er ließ seine braunen Augen über ihren Körper gleiten und kam schluckend zu dem Schluss, dass es bei ihren Reizen wohl kaum einen Mann gab, der ihnen nicht erliegen würde. Kapitel 10: Goodbye ------------------- Die junge Frau stand auf und lief zu dem kleinen Spiegel über dem Spülbecken und betrachtete ihr verweintes Gesicht. So konnte sie nicht vor ihre Kunden treten. Yosuke hinter ihr sah zu, wie sie sich frisch machte. „Also… du hältst mich also doch nicht für eine Prostituierte?“, begann sie schließlich. „Himmel, nein!“, beschwor er sie mit erstaunten Augen. Sie sah seinen Gesichtsausdruck im Spiegel und musste schmunzeln. Irgendwie war ihr leichter ums Herz, jetzt wo dieses Missverständnis aus der Welt geräumt schien. „Und du kannst mich gut leiden?“ Ihre leichtfertige Frage machte Yosuke verlegen; sich am Nacken kratzend erwiderte er ihren Blick scheu durch den Spiegel hindurch. „Du bist für mich manchmal schwer zu verstehen, bist oft vorlaut und frech… aber irgendwie kann ich dich gut leiden, ja.“ Seine ehrlichen Worte ließen Momokos Herz wieder schneller schlagen. Sie drehte sich zu ihm um und beide sahen sich für eine Weile stumm an. „Sag mal Yosuke… wenn ich so schwierig bin, wieso? Wieso möchtest du dann unbedingt mit mir befreundet sein?“ Sie musste es einfach wissen, nur dann konnte sie all ihre Ängste und Hemmungen überwinden und sich ihm vielleicht wirklich öffnen. Sie kannten sich kaum und doch zog es sie immer wieder zueinander, egal ob im Streit oder zu Friedenszeiten. Ihre Hassliebe hielt auch nach all den Jahren der Funkstille immer noch an, aber etwas hatte sich verändert. Momoko musste wissen, was für Yosuke anders geworden war. Er suchte derweil nach einer passenden Antwort, auf so eine Frage war er nicht vorbereitet gewesen. Ja, was war es, das ihn an ihr so faszinierte, dass er sogar seine Freundin im Regen stehen ließ, obwohl er bis vor ein paar Tagen nicht mal einen Gedanken an sie verschwendet hatte? KLOPF - KLOPF – KLOPF Sie fuhren beide erschrocken zusammen, als es eindringlich an die Tür klopfte. „Hanasaki-san? Ist alles ok da drinnen? Wir machen uns Sorgen, kommst du auch wieder heraus?“ „Das ist meine Chefin!“, flüsterte Momoko panisch. „Weiß sie, dass ich hier bei dir drinnen bin?!“, fragte er eingeschüchtert. „Woher soll ich das wissen? Du bist doch mir gefolgt!“, murmelte sie ihm pikiert zu. „Momoko???“, drang noch ein Mal die Stimmer ihrer Vorgesetzten dumpf durch die Tür. „Ja~ha! Es geht mir gut! Ich habe leider meine Uniform eingesaut und traue mich nun so nicht mehr heraus!“, antwortete die Blauäugige etwas schrill. „Das habe ich mitbekommen. Soll ich dir etwas Frisches zum Umziehen bringen?“ „Äh… ja bitte! Eine neue Schürze und Strümpfe würden schon reichen. Und wenn Sie so was haben; eine einfache Heilsalbe wäre auch toll.“ „In Ordnung, ich bringe dir gleich alles. Geht es dir ansonsten gut? Bist du allein da drin?“ Yosuke zuckte, er fühlte sich wie ein Schwerverbrecher. Momoko konnte unmöglich antworten, dass ein Junge bei ihr in dem kleinen Personalklo eingeschlossen war, es würde sie womöglich ihre Stelle kosten. „Natürlich.“, log sie deswegen zur Not. Ihre Chefin sagte nichts mehr, aber sie hörten wie sie sich von der Tür entfernte. „Uff… ich habe dich wohl in eine unangenehme Situation gebracht.“, hauchte Yosuke durch die unangenehme Stille. „Das wäre ja nicht das erste Mal.“, entgegnete die Blauäugige provozierend, lächelte aber dabei. Ihr ehrliches, einfaches Lächeln war so schön… Es war etwas, dass Yosuke gerne öfter bei ihr sehen würde. Es wurde ihm dabei irgendwie leichter ums Herz. „Wir warten jetzt bis sie mir die Sachen bringt, du verlässt das Klo dann einfach nach mir, in Ordnung? Dann achtet bestimmt niemand mehr auf dich.“ Er nickte knapp, noch immer war ihm etwas mulmig solange er befürchten musste, dass man ihn entdeckte. Was die Leute denken würden, wenn man sie beide hier drinnen erwischen würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Und er stellte es sich vor, weswegen ihm sofort das Blut in die Wangen und Ohren schoss. Als er seine Gedanken abschütteln wollte und wieder zu Momoko sah, stockte ihm der Atem, da diese begann sich Teilen ihrer Uniform zu entledigen. War sein kurzer Tagtraum etwa noch nicht vorbei?! „Ist was?“, fragte sie ihn unschuldig und streifte sich die gelöste Schürze von den Schultern über die Arme. Sie musterte sein rotes Gesicht und folgte seinem starren Blick bis zu ihrem Busen. Sofort lief auch sie rot an. „Schwein!!! Was geht in deinem Kopf vor?!“, motzte sie ihn an und warf ihm ihre Schürze ins Gesicht. Mal wieder. „Die ist doch schmutzig! Ich muss sie doch ausziehen! Also guck nicht so, als würde ich hier einen Striptease hinlegen!“, polterte sie peinlich berührt weiter und zog ihren Rocksaum züchtig straff. Natürlich, die Flecken! Yosuke schlug sich ächzend mit beiden Händen vor die Stirn. Wie konnte er das vergessen haben?! Verflixtes Kopfkino! „Männer… ihr seid doch alle gleich…“, grummelte sie weiter und drehte sich mit verschränkten Armen zur Wand. „Ach komm schon Pfirsichtörtchen, bei dir gab es doch noch nie viel zum Abgucken.“, zog er sie amüsiert auf. „Tse, als ob ich deine Aufmerksamkeit nötig hätte…“, erwiderte sie ungerührt. Ein eifersüchtiger Stich traf Yosuke bei dieser Antwort. Er dachte an die kurzen Momente zwischen ihr und ihm; bei ihr in der Küche; beim Abschied kurz bevor sie sich gestritten hatten; an hier als er ihr die Strümpfe ausgezogen hatte… wieder ärgerte er sich darüber, dass alles an ihr niemals ihm gehören würde, weil er damals in der Mittelschule zu grün gewesen war um ihre Vorzüge zu erkennen. Aber Äußerlichkeiten waren schließlich nicht alles und er und sie waren ja sowieso vergeben. Es klopfte erneut an die Tür. „Hanasaki-san, ich habe deine Sachen. Darf ich sie dir durch den Türspalt reichen?“ Momoko dirigierte Yosuke mit scheuchenden Handbewegungen in den toten Winkel hinter die Tür und schloss anschließend auf. „Dankeschön! Ich schlüpfe nur schnell hinein und dann bin ich wieder voll da!“ „Das hoffe ich, denn wir zerreißen uns hier ganz schön ohne deine Hilfe.“ Sie nickte verstehend, schloss die Tür wieder und entfaltete die frisch gebügelte, saubere Schürze und die feinen Strümpfe. „Momoko… sehen wir uns wieder?“ Seine Frage kam überraschend und machte sie ganz perplex. Genauso erwiderte sie auch seinen Blick. In seinen Augen glänzte Hoffnung und so etwas wie Sehnsucht, seine Hände waren zu lockeren Fäusten geballt. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht… Takuro würde es bestimmt nicht gut finden, wenn ich mich mit dir treffen würde. Auch nicht als Freunde, er kann dich nicht besonders gut leiden.“, antwortete etwas bedrückt Yosuke schnaufte verächtlich, denn das wunderte ihn nicht. Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Die junge Frau zog die Schürze in ihrem Rücken eng zusammen und knotete eine kunstvolle Schleife. Anschließend beugte sie sich vor um – erneut barfuß - in die aufgerollten Overknees zu steigen, die sie mit geübten Bewegungen über ihre Beine zog. Allein diese einfachen Bewegungen über ihren Schenkeln und ihre vorgebeugte Pose, während sie sich nach den Schuhriemen bückte, wirkten in den Augen des Sportlers so aufreizend, dass er dringend an etwas anderes denken musste, um das Lodern in seinen Adern zu unterbinden. „Aber ich weiß doch noch gar nicht den Rest der Geschichte zwischen dir und Takuro.“ „Ist vielleicht auch besser so. Für dich und Hiromi, für Takuro und mich. Es ist außerdem alles etwas kompliziert und schwer zu verstehen und wenn wir ehrlich sind, dann geht dich das auch eigentlich nichts an…und vielleicht sind wir nicht dafür gemacht, Freunde zu sein?“ Ihre Worte taten weh, aber sie entsprachen der Wahrheit. Da fiel ihm ein, dass sie beide unterbrochen wurden, als er ihr gerade eine wichtige Antwort schuldete. „Na schön, dann wirst du aber meine Antwort aber auch nie bekommen.“ „Huh? Was für eine Antwort?“, fragte Momoko irritiert. Er grinste. „Na auf die Frage, die du mir vorhin gestellt hast. Wenn es sowieso keine gute Idee ist, dass wir uns anfreunden, dann brauchst du die Antwort ja auch nicht zu wissen.“ Mit zusammengekniffenen Augen überlegte die frisch eingekleidete Maid fieberhaft, worauf er anspielte, aber sie war so aus dem Konzept, dass es ihr einfach nicht einfallen wollte. Aber es musste etwas Bedeutsames sein, sonst würde er sie nicht so herausfordernd angrinsen. Sie gab es auf und ließ die Schultern hängen. „Na gut, ich muss dann jetzt auch wieder an die Arbeit, sonst bekomme ich noch Ärger.“ Yosuke schaute enttäuscht. „Dann war es das jetzt?“ Momoko nickte und schloss die Tür wieder auf um zu gehen. „Aber du darfst mich grüßen, wenn wir uns noch mal zufällig begegnen.“, sagte sie ihm noch zum Abschied und lächelte ihn halbherzig an. Seine unauffällige Flucht aus dem Café war geglückt, niemand hatte ihm unnötig viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hiromi war tatsächlich gegangen, ihr Tisch war bereits fremd besetzt gewesen. Yosuke wusste, dass das zuhause nicht ohne Konsequenzen bleiben würde, denn schließlich hatte er sie nicht nur auf der Rechnung sitzen lassen, sondern auch ihren gemeinsamen Jahrestag ruiniert. »Obwohl, hätte Hiromi sich nicht daneben benommen, wäre der Abend vielleicht ganz anders verlaufen.« Aber ob das die Situation entspannter gemacht hätte? Schließlich war allein Momokos Anwesenheit schon Grund genug gewesen, dass es kein gemütliches Date geworden wäre. Etwas wehmütig dachte er daran, dass die Rosahaarige ihn wieder nicht zur Gänze an sich herangelassen hatte. „Vielleicht sind wir nicht dafür gemacht, Freunde zu sein?“, hallte ihre traurige Stimme in seinem Kopf wider. War es wirklich ihr Schicksal immer nur wie Feuer und Wasser zu sein? Er wusste jetzt, wo sie arbeitete und könnte sie so jeder Zeit wiedersehen, aber sie hatte sich verabschiedet und ihm klar gemacht, dass es wohl das Beste war, wenn sie sich nicht mehr trafen. Es gab einfach zu viele Spannungen, ihre Leben waren zu unterschiedlich und zu verzwickt. Yosuke musste das akzeptieren. Sie waren erwachsen und keine Mitschüler mehr; jeder lebte nun sein eigenes Leben und in ihrem war er nicht vorgesehen. Zuhause angekommen kostete es ihn etwas Überwindung den Türschlüssel herauszukramen um aufzuschließen. Doch die Konfrontation mit seiner Freundin ließ sich nicht weiter aufschieben und es war schon wieder so spät… seufzend schloss er auf und ließ sich vom brennenden Licht in seinem Flur blenden. „Kommst du auch schon?“, fragte ihn Hiromi grummelnd, als er noch nicht ganz über die Türschwelle getreten war. Blinzelnd schloss er die Tür wieder hinter sich, sah sie an und anschließend die beiden Koffer, die rechts und links neben ihr standen. „Was wird denn das?“, fragte er sie verwundert und bekam Herzflattern; schmiss sie ihn etwa raus? Natürlich bemerkte sie seine aufkeimende Unsicherheit und belächelte das süffisant. „Keine Bange, Yoyo-Maus. Ich habe nicht vor dich zu verlassen, aber ich glaube du musst mich erstmal wieder zu schätzen lernen. Deswegen fahre ich eine Weile weg zu Verwandten außerhalb der Stadt.“ „Du fährst weg? Die Schule beginnt doch wieder!“, bemerkte er skeptisch. Hiromi lachte übertrieben, so als wäre das, was er zu bedenken gab, eine glatte Lächerlichkeit. „Die Schule schaffe ich doch mit links, außerdem findet sich da in dem Dörfchen bestimmt ein Arzt, der mir kleinen, süßen Mimi eine Krankschreibung ausstellt.“ Sie zwinkerte ihm verführerisch zu. Hiromi war wirklich skrupellos. „Du willst also weg und mir damit einen Denkzettel verpassen? Bist du es nicht gewesen, die sich in dem Café daneben benommen hat?“, hinterfragte er mit ernster Miene. Ihr Blick verfinsterte sich schlagartig. Abwehrend verschränkte sie die Arme. „Diese Momoko hat doch alle Register gezogen um deine Aufmerksamkeit zu erhaschen! Und du hast es zugelassen, obwohl ich dir gegenüber gesessen habe! Du hast mich sitzen lassen, um bei ihr eiei zu machen! Allein bei dem Gedanken daran könnte ich platzen vor Eifersucht!“ Seine Freundin schäumte vor Wut, das war keine gute Grundlage um mit ihr zu diskutieren und sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Yosuke blieb nichts anderes übrig als einzuknicken. „Das tut mir ja auch leid…“ „Ach, tut es das wirklich?“ Sie kam auf ihn zu und sah streng zu ihm hoch. „Du bist so komisch seitdem wir sie und die anderen wiedergesehen haben. So lustlos und desinteressiert. Und seit dem einen Mal vor einer Woche hast du auch kein Interesse mehr daran gezeigt mit mir schlafen zu wollen, egal was ich für Anstalten gemacht habe!“ Der Torwart wendete seinen Blick ab. Er wusste, dass sie Recht hatte, dabei hatte er sich alle Mühe gegeben sich nichts anmerken zu lassen. „Ich bin nicht gut drauf im Moment.“ „Stimmt nicht, du hast einfach vergessen wie schön es ist mit mir zusammen zu sein! Und genau deswegen gehe ich für ein paar Tage. Was man nicht mehr um sich hat, vermisst man.“ Vollkommen überzeugt davon, dass ihr Plan aufgehen würde, setzte sie wieder ein heiteres Gesicht auf und lächelte ihn verliebt an. „Ich würde dich doch niemals verlassen, dafür liebe ich dich doch viel zu sehr.“, hauchte sie ihm entgegen, als sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn zärtlich küsste. Als Hiromi von Yosuke abließ, sah er sie bedrückt an, was sie als ein Zeichen dafür deutete, dass er sie schon jetzt schmerzlich vermisste und sein Fehlverhalten bereute. Siegessicher funkelten ihre Augen ihn an. „Mach dir keine Sorgen, ich werde dir hin und wieder simsen, ok? Ich bleibe bestimmt nur ein, zwei Wochen.“ Yosuke räusperte sich lautstark. „Und du fährst jetzt noch? Um diese Uhrzeit?“ „Selbstverständlich! Wenn ich mich jetzt zu dir ins Bett legen würde, würde ich meinen guten Willen doch ganz schnell verlieren, so etwa – oder nicht? Mein Taxi müsste auch jeden Augenblick kommen. Also dann, Darling… Bye bye!“ Sie warf ihm eine Kusshand zu, schnappte sich ihre Rollkoffer und drängelte sich zur Tür durch, durch die sie sich samt Gepäck umständlich bugsierte. Dann war sie weg. Yosuke drehte sich zu seiner verlassenen Wohnung um, die schlagartig ungewohnt still und leblos wirkte. Doch anstatt Wehmut zu empfinden, hatte er das erste Mal seit langem das Gefühl, dass er tief und frei atmen konnte, was er auch sofort mit geschlossenen Augen tat. Ein, zwei Wochen. Das war genug Zeit um sich über einiges klar zu werden, doch ihn beschlich das Gefühl, dass er Hiromi bei ihrer Rückkehr enttäuschen würde. Glücklich zu sein war nichts, was man erzwingen konnte. Er musste deswegen dringend herausfinden was es war, das ihn sich so leer fühlen ließ. ~*~ Momoko lies sich völlig erledigt auf ihr Bett fallen. Seit zwei Wochen ging sie nun schon wieder zur Schule und arbeitete nebenher trotzdem noch so oft es ging in dem Maid-Café und an den Wochenenden auch als Fotografin auf kleineren Privatveranstaltungen. Der Spagat zwischen der Schule, den Jobs und ihren Aufgaben zuhause zehrte sehr an ihren Kräften, dabei hatte das letzte Schuljahr gerade erst angefangen. Die Prüfungen und der Lernstress erwarteten sie noch… Resignierend seufzte Momoko in ihr Kopfkissen, das sie mit beiden Armen umklammerte. »Es wäre alles nicht so schwer, wenn sich nur Papa nicht so hängen lassen würde.« Shôichirôs Zustand hatte sich nicht verbessert, im Gegenteil. Die Highschool Schülerin bekam ihren Vater eigentlich nur noch zu Gesicht, wenn er sich völlig betrunken nach zuhause verirrte. Sie kam nicht mehr an ihr heran, es war hoffnungslos! Sie drückte ihr Gesicht tief in das Kissen, wusste sie doch ganz genau, dass er dringend professionelle Hilfe brauchte. Momoko konnte nichts mehr tun oder die Dinge beeinflussen, weiter abzuwarten war fahrlässig. Sie wusste, ein Anruf und eine einfach Bitte an Takuro würden genügen und ihr Vater käme in eine hervorragende Klinik, aber das würde ihr Verlobter sicherlich nicht ohne Gegenleistung für sie tun. Da war sie sich sicher. In der letzten Zeit hatte sie sich Takuro so gut es ging vom Hals gehalten, weil ihr Kopf voll genug war mit anderen Dingen und er der letzte Mensch auf der Welt war, den sie damit behelligen wollte. Momoko vermisste ihre Freundinnen, die früher in solchen Fällen immer zur Stelle gewesen wären… „Was soll ich nur tun?“, nuschelte sie in den Kopfkissenbezug. Ein lautes Rumpeln drang laut von unten aus dem Haus zu ihrem Zimmer herauf. Sofort hellhörig, sprang die junge Frau vom Bett und eilte auf leisen Sohlen hinaus und runter ins Wohnzimmer, um nach dem Rechten zu sehen. Ihr Vater schwankte dort gefährlich durch den Raum in Richtung Sofa; selbst ein Blinder sah, dass er sturzbetrunken war. „Papa!“, stieß Momoko entsetzt aus und lief ihm sofort entgegen, um ihn zu stützen, doch er schlug ihre Hand einfach weg und ließ sich röchelnd auf die Couch fallen. „Papa, geht es dir gut?“, fragte sie unbeeindruckt. Er sah sie aus müden, trüben Augen an. Fast erschein es ihr so, als würde er sie im ersten Augenblick gar nicht erkennen, so fragend wie er sie musterte. Sein Gesicht war eingefallen, aber es glühte rot vom Alkohol. Sein ganzer Körper stand unter dem Einfluss dieser verführerischen Droge. Shôichirô zitterte stark und stank erbärmlich, doch seine Tochter tätschelte trotzdem liebevoll sein Gesicht. „Ich hole dir Wasser und dann schicke ich dich unter die Dusche.“ „Warum lässt du mich nicht einfach endlich in Ruhe, kümmere dich nicht um mich…“, lallte er in seinen stoppeligen Bart hinein. „Ich kann dich nicht so sehen. Das weißt du doch.“, erklärte sie geduldig. „Warum bist du dann gegangen? Wieso hast du uns verlassen? Es hat dich doch damals auch nicht gekümmert, wie es mir geht.“ Momoko schaute ihn verwirrt an, was meinte er? „Unsere Kleine wird bestimmt mal so aussehen wie du, Sakura…“ »Er spricht von Mutter! Er hält mich für sie?!« Die Erkenntnis traf sie wie ein Donnerschlag. „Papa, ich bin es doch… Deine Momoko, ich bin nicht Mama.“ „Sakura…“, murmelte er nur. Bevor die Rosahaarige erneut etwas entgegnen konnte, bäumte sich ihr Vater gurgelnd auf und erbrach sich direkt vor dem Sofa. Sie konnte gerade noch ausweichen. Angewidert und entsetzt starrte sie den Schatten eines Mannes an, der einst ihr Vater war. Dieser lies sich völlig weggetreten zurück in die Polster fallen, wo er leise murmelnd einfach einschlief, obgleich er vor Dreck und Erbrochenem nur so triefte. Verzweiflung und Hilflosigkeit breiteten sich in der jungen Frau bei diesem Anblick aus, ihre Hände zitterten. So konnte es nicht weitergehen, nicht mal mehr einen Tag lang! Momoko glaubte innerlich an dem Druck zu zerbrechen, das war einfach zu viel für sie. Sie war einfach nicht stark dafür, ihre Kraft war verbraucht. Jetzt war es an der Zeit zu handeln, sie hatte lange genug gezögert und überlegt. Wie betäubt griff sie nach ihrem Handy, das in ihrer Hosentasche steckte und verfasste eine SMS an Takuro. „Hallo Tak-kun. Entschuldige, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe, aber es ging mir nicht besonders gut, aber jetzt brauche ich deine Hilfe. Bitte. Es geht um meinen Vater.“ Wie betäubt drückte sie auf senden und starrte dabei mit leblosen Blick noch mal zu ihrem Vater. Sie würde dafür sorgen, dass ihm nun geholfen werden würde. Koste es was es wolle, sie hatte nicht das Recht egoistisch zu sein. Kapitel 11: Longing ------------------- Es war wie ein schlechter Film. Momoko sah tatenlos zu wie drei Männer in hellen, sterilen Uniformen ihren Vater, der sich lautstark mit Händen und Füßen wehrte, in einen Krankenwagen beförderten. Einer von ihnen zückte nach zu viel Widerstand eine Spritze und jagte sie direkt in eine Armvene Shôichirôs, woraufhin er sofort ruhiger wurde und sich fast schon willenlos in das Auto bewegte. Die Türen des Wagens schlossen sich hinter ihm und seinen Begleitern und man fuhr mit Blaulicht leise davon. Seine zurückgelassene Tochter fühlte sich schrecklich, doch es war das Beste so. Bestätigend legte sich ein Arm um ihre Schulter. Ihre Augen blickten auf zu Takuro, der sie mit einem tröstlichen Lächeln bedachte. „Keine Sorge, die Klinik, in die man ihn bringt, ist spezialisiert auf Alkoholismus und Depressionen. Man wird ihm dort ganz sicher helfen können wieder auf die Beine zu kommen.“ Die Blauäugige schüttelte sich kurz unwillkürlich; die Nacht war kalt und sie fühlte sich so unglaublich erschöpft und müde. So viel war in so kurzer Zeit passiert… „Ich danke dir, wirklich.“, flüsterte sie mit matter Stimme und ging wieder ins Haus, wohin Takuro ihr direkt folgte. „Was hast du?“, fragte er sie, als sie drinnen zu der Stelle sah, wo sie das Erbrochene ihres Vaters noch vor kurzem aufgewischt hatte. Was war nur aus ihrem Leben geworden? „Ich bin nur durcheinander… und ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll für das, was du für meinen Vater tust.“ Sie mied seinen Blick, aber wusste, dass er sie ganz sicher anlächelte, weil er ihre Hände in seine nahm und für einen respektvollen Kuss an seine Lippen führte. „Das ist doch selbstverständlich, schließlich ist er mein zukünftiger Schwiegervater und du meine baldige Frau.“ Momoko rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Tut mir leid, es fällt mir angesichts der Ereignisse schwer, mich so darüber zu freuen wie du es tust.“ Takuro seufzte traurig. Schweigend standen sie mitten im leeren Wohnzimmer, Momoko schaute nach wie vor leer in andere Richtungen als er, der sehr sehnsüchtig ihr Gesicht fixierte. „Ich möchte mit dir ausgehen.“, durchbrach der die Stille. Zum ersten Mal sah die Blauäugige mit etwas Leben in den Augen zu ihm auf und erwiderte seinen Blick ohne auszuweichen. „Schon länger möchte ich viel mehr Zeit mit dir verbringen. Wir unternehmen viel zu wenig, ich sehe dich - meine Verlobte – kaum noch. Lass mich dich ablenken und dir noch ein bisschen mehr von mir und meiner neuen Welt zeigen, die schließlich auch bald deine sein wird.“ Momoko wurde ganz verlegen, sie ahnte worauf das abzielte. Einladend schmunzelte er und drückte ermutigend ihre Finger. Vielleicht was das wirklich eine gute Idee, es war an der Zeit einen Schritt auf Takuro zuzugehen. Die Phase der Zurückhaltung war vorbei. „In Ordnung. Gern.“ Sie sah wie die Sonne in seinem Gesicht aufging bei ihrer Antwort. So ein ehrliches Strahlen war sie von dem blassen, jungen Mann gar nicht gewohnt, ihm musste wirklich etwas an ihr liegen und das versetzte ihr einen Stich im Herzen. „Du weißt ja gar nicht wie sehr mich deine Antwort freut!“, jubelte er glücklich. Ermutigt zog er sie dicht an sich heran und beugte sich zu ihr hinunter um sie zu küssen. Völlig überrumpelt war Momoko zunächst starr, doch im letzten Moment animierte sie ihr Unterbewusstsein dazu, ihr Gesicht wegzudrehen. Takuros Lippen trafen ihre rechte Wange. »Oh nein! Das war falsch von mir!«, war das Erste, was sie erschrocken dachte. Und sie hatte Recht, ihre abwehrende Reaktion hatte die Miene ihres Verlobten sofort gefrieren lassen. Sie konnte ihn noch so beschwichtigend ansehen, sein Blick zeugte überdeutlich von seiner Verstimmung. Da war sie wieder; Takuros dunkle Seite. „Tut mir leid, du hast mich so überrascht!“, versuchte Momoko sich zu erklären, aber sie selbst hörte die Lüge in ihren Worten, wie sollte er es dann glauben können? Sein Griff um ihre Handgelenke wurde fester und fordernder. „Was stimmt nicht mit mir, dass du mich immer wieder zurückweist? Ich versprach dir geduldig zu sein, aber ich habe schon seit längerem den Eindruck, dass du gar nicht vor hast mir dein Herz zu öffnen! Als ich dich bat meine Frau zu werden hast du ja gesagt und ich möchte dir wirklich die Welt zu Füßen legen, deinem Vater helfen, euch mit euren finanziellen Problemen helfen… aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr von dir zurück bekomme, als brüderliche Dankbarkeit! Aber das reicht mir nicht mehr, Momoko.“ Er klang so eindringlich wie einschüchternd, mit flackernden Augen sah sie ihn an und suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten, aber sie fand nichts. Außer der Erkenntnis, dass er Recht hatte. Er wollte doch nur ein bisschen Zuneigung für all die Freundlichkeit, die er ihr entgegen brachte. Sie war schließlich seine Verlobte. Resignierend schlug sie die Augen nieder und ließ die Schultern hängen. „Es tut mir leid, natürlich darfst du mich küssen. Ich war einfach nur so überrumpelt, die Situation ist so skurril, weil eben mein Vater abgeholt wurde, das ist alles.“, sagte sie und hob ihm tapfer ihr Kinn entgegen. Mit geschlossenen Augen wartete sie auf Takuro, bereit ihm das zu geben was er von ihr wollte. Der Sturm, der in ihrem Magen tobte, um sich gegen das was sie tat zu wehren, wurde von ihrem Entschluss, die Sache mit der Hochzeit durchzuziehen, niedergekämpft. Sichtlich verblüfft musterte der Brillenträger seine Angebetete, die sich auf einmal gar nicht mehr zierte und sich ihm sogar darbot. Eine endlose Sekunde lang dachte er wirklich daran sie einfach zu küssen. Seine Hände streichelten ihr Gesicht, seine Finger glitten zu ihrem Haaransatz, wo sie sich in ihr offenes Haar gruben, das seidig schimmernd über ihren Rücken fiel. „Du bist wunderschön.“, raunte er bewundernd. Momoko zitterte angespannt, sie hoffte er würde es einfach endlich tun. Es war nur ein Kuss und trotzdem, sie hatte sich das immer anders vorgestellt. Sie wünschte sich mehr Gefühl dabei, ein Kribbeln oder so etwas wie Sehnsucht nach dem anderen. Stattdessen fühlte sie sich genötigt, aber hatte sie eine Wahl? „Ich danke dir für dein Zukommen auf mich, aber heute werde ich dir noch nicht deinen ersten Kuss stibitzen.“ Verunsichert schlug Momoko ihre Augen auf, hatte sie etwas falsch gemacht? Takuro betrachtete sie eingehend und fuhr dabei verträumt mit seinem rechten Daumen über ihre Unterlippe. „Du hast eine schönere Atmosphäre verdient als das hier. Verzeih meine Taktlosigkeit, ich habe mich von meinem Verlangen nach dir hinreißen lassen.“ Satt ihrer Lippen küsste er den Ring an ihrem Finger. Sie konnte gar nicht anders als zu erröten. Vielleicht hatte sie sich in Takuro doch getäuscht und er war am Ende ein netter, anständiger Mann, der sie wirklich einfach nur liebte? „Es tut mir leid… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“, gab sie zu. „Nichts muss dir leid tun. Sag mir, was würde dir denn Spaß machen? Ein Date ist doch ein viel besserer Anlass für einen Kuss.“ Verheißungsvoll zwinkerte er ihr zu; automatisch zog sich wieder etwas in ihr unangenehm zusammen. Momoko schluckte das grässliche Gefühl hinunter und überlegte. „Weißt du was, überrasch mich einfach.“, sagte sie leichthin. Takuro war etwas verblüfft über diese Antwort, aber nicht unzufrieden. Er mochte es die Fäden in der Hand zu halten. „Dann lass mich dich nächsten Sonntag ausführen. Ich überlege mir etwas Schönes für uns.“ „Ja…“, entgegnete die Blauäugige verhalten glücklich. Zu ihrem Glück musste auch Takuro am nächsten Tag genau wie sie wieder zur Schule, weswegen er sich nach ihrem Gespräch von ihr überschwänglich verabschiedete. Nachdem sie ihn dann zur Tür hinaus begleitet- und diese anschließend hinter sich verschlossen hatte, holte sie tief Luft und ließ ihren Kopf in ihren Nacken fallen. »Oh mein Gott, jetzt wird es ernst.«, dachte sie bei sich und versuchte sich zeitgleich vorzustellen, wie so ein Date mit diesem ehrgeizigen Mann wohl aussehen würde. Natürlich waren sie schon einige Male vor ihrer Verlobung miteinander ausgegangen, aber das waren normale Treffen an gewöhnlichen Orten gewesen, ohne das sie sich jemals besonders nahe gekommen waren. Dieses Date würde anders werden, denn Takuro wollte mehr. Bei dem Gedanken daran wurde das grässliche Gefühl in ihrer Brust wieder schlimmer, Momoko schlang ihre Arme um sich herum und kämpfte dagegen an, doch jetzt, wo sie allein war, gelang es ihr einfach nicht. Sie hatte Angst, sie wollte nicht. Nicht so. Nicht mit ihm. Waren Beziehungen so? Hatte jeder Angst vor den ersten, intimeren Kontakten mit dem Partner? Manchmal bereute sie es früher nie dem Werben eines anderen Jungen nachgegeben zu haben und deswegen noch völlig unerfahren in Sachen Beziehung und Liebe zu sein. Doch sie hatte immer geglaubt, dass der Richtige für solche Dinge noch kommen würde. Aber er war nie gekommen, oder war er es doch und sie erkannte ihn in Takuro einfach nicht wieder? Sie sollte Yuri fragen, sie hatte schließlich Kazuya und deswegen bestimmt einen guten Rat übrig… doch sie waren zerstritten und Takuro hatte Recht; wo waren ihre Freunde gewesen, als die Probleme mit ihrem Vater begannen? Sie waren mit sich selbst und ihren ach so perfekten, glücklichen Leben und Freunden beschäftigt gewesen. »Du musst wohl alleine klarkommen.«, flüsterte die kleine Stimme in ihrem Kopf ihr zu. Momoko wollte an etwas anderes denken. Sie müsste eigentlich erleichtert sein, dass ihrem Vater jetzt endlich geholfen wurde und das nun nicht mehr auf ihr lastete, aber stattdessen badete sie in Selbstmitleid. „Liebe wird überbewertet!“, sagte sie entschlossen, löschte das Licht im Wohnzimmer und ging wieder hinauf in ihr Zimmer, wo ihr Bett auf sie wartete. Im Schein des Mondes, der durch ihr Fenster fiel, lag sie noch lange wach und dachte über Takuros Berührungen nach, die ihr so viel Unwohlsein bescherten. Es wäre alles weniger kompliziert und verwirrend, wenn sich nicht immer wieder in ihr Unterbewusstsein die Erinnerung daran schleichen würde, dass sich derartiger Körperkontakt auch ganz anders anfühlen konnte. Stöhnend kniff sie ihre Augen zu, so als ob es das Bild von jenem, braunhaarigen Jungen verschwinden lassen könnte und zog sich die Zudecke über den Kopf. Doch das durchdringende Funkeln seiner Augen verfolgte sie auch dorthin. Der Klang seiner Stimme war gegenwärtig in der Stille ihres Jugendzimmers und wenn sie gegen den Stoff ihrer Decke atmete, fühlte es sich fast so an, als könnte sie wieder seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren. Ein Schauer kroch von ihrem Rücken hinauf bis über ihre Kopfhaut. Momoko biss sich auf die Unterlippe und hielt sich selber fest; dieses Gefühl war so anders als alles was sie bisher kennengelernt hatte, aber so fremd und neu es auch war, es war irgendwie angenehm. Irgendwie aufregend. Sie seufzte lang und schlug die Augen wieder auf. Es war ihr unmöglich Yosuke aus ihren Gedanken zu löschen, nachdem so viele von diesen kleinen Dingen zwischen ihnen passiert waren. Obwohl schon 14 Tage vergangen waren… Es war als fühlte sie noch immer seine warmen, ruhigen Finger ihre Waden und Oberschenkel hinaufwandern. Sofort bekam sie erneut eine Gänsehaut und wünschte sich in diesem kurzen Moment der Schwäche, dass sie sich so elektrisiert auch in Takuros Nähe fühlen würde. »Schluss jetzt damit! Ich muss aufhören Vergleiche zwischen meinem Verlobten und meinem Ex-Erzfeind zu ziehen! Schlimm genug, dass ich mich nicht gegen Yosukes Charme gewehrt habe…«, rüffelte sie sich und versuchte grummelnd in den Schlaf zu finden. Ihm war heiß, sein Puls raste und sein Atem ging schnell. Sein ganzer Körper glühte vor Erregung, als er ihren langen Hals hinunter strich, ihr Schlüsselbein mit Küssen bedeckte und dann mit seinen Lippen hinunter zur tiefsten Stelle zwischen ihren Brüsten wanderte. Er ließ seine Hände weiter unten an den Außenseiten ihrer Schenkel hoch bis zu ihrer Hüfte gleiten und ließ sein Becken in ihren Schoß sinken. Sie war so warm, duftete so gut… er musste sie haben, hier und jetzt. Leise stöhnend hob er seinen Oberkörper um ihr in die blauen Augen zu sehen. Yosuke schlug die Augen auf und fand nichts weiter vor als die Dunkelheit der Nacht. Erbarmungslos steril begegnete ihm der Anblick seiner weißen Zimmerdecke, die in dem wenigen Licht in schalem Grau erstrahlte. Dort war nichts von dem leuchtenden Blau, das er gehofft hatte zu sehen. »Schon wieder so ein Traum!« Er fasste sich an seine vom Schweiß feuchte Stirn. Als das Gefühl in seinen Gliedern zurückkehrte, spürte er unterhalb der Gürtellinie auch überdeutlich die Reaktion seines Körpers auf seine Fantasien pochen. „Verdammt!“, fluchte er leise und versuchte an etwas äußerst Abturnendes zu denken. Sein letztes Mal war nun schon fast ganze drei Wochen her, also war ein erotischer Traum eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber hätte er sich dann nicht nach roten, statt blauen Augen verzehren müssen? Es war wieder nicht Hiromi, der sein Verlangen galt. Und es war auch nicht sein erster Traum dieser Art gewesen. »Vergiss sie doch endlich!«, ermahnte er sich selbst und begann sich im Bett zu wälzen. Yosuke hatte gehofft, dass die Zeit und der Abstand zu den Ereignissen mit Momoko schon von allein dafür sorgen würden, dass sie immer mehr in Vergessenheit geraten würde und er sein normales Leben wieder aufnehmen konnte, doch dem war nicht so. Es war viel mehr so, dass sich sein Unterbewusstsein vor allem nachts einen Spaß daraus machte, seine Erinnerungen an die körperliche Anziehungskraft der Blauäugigen zu forcieren. All die zweideutigen Momente zwischen ihm und ihr kamen ihm nach all der Zeit deswegen viel intensiver vor, als sie es wahrscheinlich gewesen waren. Sein abstinenter, junger, heißblütiger Körper spielte ihm einfach einen üblen Streich. Hormone konnten echte Arschlöcher sein! Ein wenig hoffte er, dass Hiromi sich bald entschloss wieder nach Hause zu kommen, damit er seine sexuelle Energie entladen- und wieder klar denken konnte. Gleichzeitig verabscheute er sich für diese Gedanken, denn es war mies und unfair, so etwas zu denken oder gar zu tun. Zumal er sich im Augenblick nicht mal sicher war, ob es einen Sinn machte weiterhin eine Beziehung mit seiner Freundin zu führen, wenn er heimlich immer wieder von einer anderen träumte, die er nicht mal liebte und auch nicht mehr wiedersehen würde. »Liebe ich denn Hiromi überhaupt noch?« Er fühlte sich alleingelassen und einsam, aber bedeutete das auch, dass er sie noch liebte? Der Nachwuchssportler ahnte, dass es mit dem Einschlafen bis zum Weckerklingeln wohl nichts mehr werden würde… was für ein bescheidener Start in die Woche. Wie jeden zweiten Tag in der Woche hetzte Momoko nach der Schule direkt zu dem Maid Café, in dem sie nachmittags jobbte. „Hallo Hanasaki-chan.“, begrüßte sie wie immer ihre Chefin, die ihr pechschwarzes Haar heute hochgesteckt trug. „Guten Tag, ich bin doch nicht zu spät?“ Geschäftig schlüpfte die Rosahaarige aus ihrer Schuluniform, die sie gegen ihr Maidkostüm tauschte. Ihre Vorgesetzte sah ihr lächelnd beim Umziehen zu, sie hielt dabei eine gerollte Zeitung in der Hand. „Ich habe noch eine Überraschung für dich.“, kündigte sie an. Momoko, die gerade ihr Kleid übergezogen hatte und alles richtete, sah die hochgewachsene Frau neugierig an. „Eine Überraschung? Für mich?“, fragte sie ungläubig. „Du kamst mir in letzter Zeit etwas still und bedrückt vor… und ich dachte mir, dass das vielleicht mit dem jungen Mann von neulich zusammenhängen könnte.“ »Oh nein. Bitte nicht.«, dachte die Schülerin nur und ließ alle Gesichtszüge entgleiten. „Oh, du wirst ja ganz blass? Dabei habe ich ja noch gar nicht erzählt, um was es genau geht.“, bemerkte ihre Chefin enttäuscht. „Das liegt daran, weil wir… also er und ich, nichts mehr miteinander zu tun haben. Sie haben sich sicher ganz umsonst irgendwelche Umstände bereitet.“ „Hmm… wenn das so ist, dann kann ich den Zeitungsartikel hier ja auch wegwerfen, nicht wahr?“ Die intelligente Frau wusste ganz genau wie sie spielen musste, um Momokos Interesse zu wecken. Tatsächlich haftete ihr Blick sofort an der Zeitung in ihrer Hand. „Was… was ist denn das für ein Artikel?“, fragte sie widerwillig, aber doch eindeutig zu neugierig. Ihre Vorgesetzte grinste breit. „Das ist die Schülerzeitung meiner kleinen Schwester. Ich habe sie neulich entdeckt, als ich das Altpapier entsorgt habe.“, sie entrollte das Papier und zeigte mit dem Zeigefinger auf ein auffälliges Foto auf der Titelseite. Momoko erkannte sofort das Motiv, solche Fotos hatte sie in ihrer Zeit an der Mittelschule zu hunderten geschossen; ein Fußballer der sich im Sprung nach dem Ball ausstreckte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie Yosuke in ihm erkannte. Genau wie früher, nur älter, attraktiver und in einem anderen Trikot. „So wie es aussieht geht dieser Junge auf dieselbe Schule wie meine Schwester, ist das nicht ein Zufall? Wusstest du denn, wo er zur Schule geht?“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf und zog sich weiter um, so tuend als würde sie das gar nicht interessieren. „Wusste ich nicht, ist mir aber auch egal.“, sagte sie bekräftigend. „Tatsächlich? Schade. Ich dachte, es würde dich interessieren, falls du ein paar Dinge mal mit ihm klären möchtest, ohne das seine Freundin dabei ist.“, entgegnete ihre Chefin, die sich selber das Foto noch mal eingehend ansah. „Also wenn ich noch mal so jung wäre wie du, wäre er ja total mein Typ gewesen! Wart ihr mal zusammen?“ „Wir?! Zusammen? Oh nein, wir waren uns spinnefeind! Das habe ich doch schon mal erwähnt…“ „Und du bist dir sicher, dass er nicht der Grund dafür ist, dass du so betrübt bist?“ Momoko sah der ehrlich besorgten Frau fest in die Augen, einen Moment lang zögernd, was sie darauf antworten sollte. Dann schaute sie auf ihren beringten Ringfinger, den sie sich nervös rieb. „Nein… es liegt an meinen familiären Problemen. Gestern wurde mein Vater abgeholt und in eine Klinik für Suchtkranke gebracht.“ Ihre Chefin holte geschockt Luft. „Oh Momoko, das tut mir sehr leid! Ich hatte ja keine Ahnung! Geht es dir denn gut?“ „Ich komme klar. Ich habe jemanden, der sich um mich kümmert.“ Mit einem traurigen Lächeln präsentierte sie ihren Verlobungsring, der ja schon seit Wochen eigentlich nicht zu übersehen war. „So ist das also… verstehe… Dann entschuldige bitte, dass ich dir mit diesem Zeitungsartikel auf die Nerven gegangen bin. Ich dachte wirklich, es liegt daran, dass du vielleicht Liebeskummer oder so etwas hast…“ „Nein, nein. Wirklich nicht, aber wie kommen Sie denn darauf überhaupt?“ „Nun… ich habe die Szene wo er hier zu Gast war etwas beobachten können… auch wie er dir gefolgt ist.“ Die Hilfskellnerin wurde schlagartig rot und der Mund klappte ihr auf; ihre Chefin hatte also alles gesehen! Und sie wusste auch, dass sie sie angelogen hatte, als sie behauptet hatte, sie wäre alleine auf der Toilette! Doch ihre Vorgesetzte lächelte sie nur beschwichtigend an anstatt ihr eine Strafpredigt zu halten. „Keine Sorge, ich bin nicht böse. Allerdings bin ich jetzt etwas verwirrt. Ich sah euch, ich beobachtete dich… und jetzt erfahre ich von deinem Vater und der Bedeutung deines Ringes… Das ist glaube ich, etwas zu hoch für mich und es geht mich auch nichts an. Aber scheu dich nicht mir zu sagen, wenn du vielleicht mal einen Tag mehr frei brauchst, in Ordnung?“ So nett und verständnisvoll war schon lange niemand mehr zu ihr gewesen. Momoko musste schlucken um zu verhindern, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen. Jetzt wurde ihr wieder bewusst, wie einsam sie eigentlich war. „Dankeschön.“, sagte sie mit krächzender Stimme und verbeugte sich kurz höflich. Die dunkelhaarige Frau legte die Zeitung auf den Tisch in der Umkleide und wendete sich zum Gehen um. „Wir sehen uns dann gleich im Lokal.“ „Ja, bis gleich.“, bestätigte Momoko zum Abschied und widmete sich nur ihrer Schürze und den Strümpfen, die sie noch anziehen musste. Als sie schlussendlich auch mit den kleinen Details ihrer Uniform fertig war und ihre Arbeit beginnen wollte, fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch mit der ausgebreiteten Zeitung. Einen kurzen Moment lang ließ sie sich dazu hinreißen, sie sich genauer anzusehen. Yosukes starker, konzentrierter Ausdruck war auf dem Foto viel lebendiger als in ihrer Erinnerung. Sie seufzte, nicht mal in ihrem Alltag entkam sie ihm, selbst auf dem Papier verfolgte er sie. Der dumpfe Schmerz der Einsamkeit und Sehnsucht pochte in ihrer Brust. „Warum tust du das…“, hatte sie ihn damals gefragt. „Weil ich immer noch denke, dass du zur Zeit wirklich einen guten Freund zum Reden gebrauchen kannst…“ Leider hatte er Recht. Tag zwei der Schulwoche war angebrochen. Mitte April waren die Außentemperaturen endlich etwas konstanter und vor allem wärmer. Die Sonne schien vom klaren, blauen Himmel angenehm hell und warm herab. Die Bäume und Sträucher hatten angefangen auszutreiben und die beliebten, japanischen Obstbäume hatten mit ihrer Blütezeit begonnen. Der Moment des Genießens war vorbei, als an Yosuke scharf geschossenes Leder vorbeisauste, das er mit ausgestreckter Faust noch gerade so abblocken konnte. „Gut gemacht, Fuma! Aber träum nicht so viel, sonst geht der nächste Schuss ins Tor!“, rief ihm einer seiner Mannschaftskameraden lachend über den Platz zu. Das Fußballfeld lag direkt hinter seiner Schule; eine offene Tribüne erstreckte sich auf der einen Seite und ließ das Schulgebäude hinter sich verschwinden. Trotz des guten Wetters trugen alle Spieler noch ihre langen Trikots, die dunkelblau mit weißen Streifen und Schriftzügen waren. Passend zu den Schuluniformen seiner Highschool. Yosuke grinste geschafft, aber selbstgefällig zurück, warf den Fußball vor sich in die Luft und schoss ihn mit dem rechten Fuß über das halbe Feld. „Wenn du ein Tor schießen willst, musst du schon wenigstens halb so gut schießen können wie ich!“, rief er prahlerisch zurück, seine Kollegen verstanden den Spaß aber und lachten ausgelassen darüber, während sie sich wieder hitzig den Ball zuspielten. Endlich war er wieder in seinem Element; Fußball lenkte ihn wirklich von allem ab, was ihn sonst so beschäftigte. Auf dem Platz war er zuhause, das Tor sein Heim. Es gab nichts Besseres als seine überschüssige Energie auf diese Weise auszuschwitzen und bei solchem Topwetter machte es auch noch so richtig Spaß! Es folgten noch so einige Angriffe auf sein Viereck, aber der Torwart war in Bestform und vereitelte jeden Schuss mit vollem Körpereinsatz. Die Sonne stand bereits in einem tieferen Winkel, der Nachmittag schien ihn blenden zu wollen, doch selbst das konnte ihn nicht bremsen. „Schaut mal, Besuch!“, hörte er einen Spieler rufen. Ein Anderer sah sich neugierig zur Tribüne um und pfiff anerkennend. „Hui, heißer Feger! Aber die ist nicht von unserer Schule!“, bemerkte dieser. Neugierig folgte Yosuke den Blicken der anderen hinauf in die oberen Reihen der Tribüne, wo ihn die Sonne erbarmungslos blendete. Er sah nicht viel mehr als eine weibliche Gestalt in einem Rock. „Kommt schon Jungs, nicht ablenken lassen!“, rief er seinen Kollegen zu und konzentrierte sich wieder aufs Ballgeschehen. Von Mädchen hatte er sich in letzter Zeit genug ablenken lassen. Ein langer Schuss wurde abgegeben, der Ball flog zielsicher auf ihn zu. Es war ein Kinderspiel diesen mit einem kräftigen Kick zu kontern. Aus dem Augenwinkel bemerkte er im selben Moment ein Aufblitzen, wie von einem Blitzlicht. Sein Herz stolperte bei diesem Gedanken und er strauchelte ungeschickt nach vorn. Kaum das er sich gefangen hatte, fuhr sein Kopf nochmals zur Tribüne herum. Das konnte nicht sein, oder doch? Wieder blinzelte er dem Sonnenlicht angestrengt entgegen, doch unter seinem Handschuh über den Augen, fand er endlich genug Schatten um besser sehen zu können. Das Mädchen, das dort oben Platz genommen hatte, ließ eine Kamera sinken und schaute lächelnd in seine Richtung. Sie hatte gelbe Schleifen in ihrem rosa Haar. „Pfirsichtörtchen…“, flüsterte er zu sich selbst und bekam vor Staunen den Mund gar nicht mehr zu. Mit tellergroßen Augen schaute er zu ihr hoch, unfähig sich zur rühren aus Angst, sie säße nach dem nächsten Blinzeln nicht mehr da. „Fuma! Achtung!“, brüllte jemand, doch er drehte sich zu spät um. Er sah noch das schwarzweiß wirbelnde Leder auf sich zu rasen, bevor es ihn mit voller Wucht am Kopf traf und von den Füßen holte. Kapitel 12: What she need... ---------------------------- Erschrocken sprang Momoko von ihrem Sitz auf, als Yosuke zu Boden fiel. Auch die restlichen jungen Männer aus der Fußballmannschaft hielten für einen Moment lang den Atem an, doch der niedergestreckte Torwart regte sich bereits wieder. Laut ausatmend ließ sich die einsame Zuschauerin wieder auf ihren Platz fallen und versuchte ihr aufgeregtes Herz zu beruhigen. Yosuke dort unten zog sich noch auf dem Rasen sitzend seine Torwarthandschuhe aus und rieb sich mit schmerzerfüllter Miene seine Stirn. Der Ball musste ihn hart getroffen haben, ein paar Mitspieler liefen auf ihn zu und umringten ihn. Sie nahmen Momoko damit auch die Sicht auf den Verletzten. Sie verstaute ihre Kamera und sah dann wieder, von Gewissenbissen geplagt, nach unten zu der kleinen Traube Menschen, die sich hilfsbereit um ihren Torwart tummelte. »Vielleicht war das keine gute Idee. Soll ich lieber wieder gehen?«, überlegte sie und sah sich zu dem Weg um, den sie gekommen war. Die Rosahaarige gab sich die Schuld an seinem Unfall, ihre Anwesenheit hatte ihn abgelenkt. Kein Wunder, war sie doch aus heiterem Himmel hier aufgetaucht, obwohl sie klargemacht hatte, dass es kein Wiedersehen zwischen ihnen geben würde. Yosuke versuchte mit aller Macht gegen das höllische Hämmern in seiner Stirn anzukämpfen, doch je länger der Aufprall her war, desto fieser wurde der Schmerz auf seiner Haut und das Brummen hinter seinem Schädel. „Mensch Fuma! Du hast uns mächtig erschrocken! Wieso hast du denn nicht aufgepasst?!“, fragte sein Mannschaftskapitän, der ihm eine helfende Hand hinhielt, um ihn dann mit einem kraftvollen Ruck wieder auf die Füße zu ziehen. Ein anderer Spieler reichte ein nasses Handtuch zu ihm durch, welches er dankend annahm und auf die getroffene Stelle drückte. Es war gleichermaßen angenehm wie schmerzhaft, aber das Kühlen würde unschöne Schwellungen verhindern. „Ich weiß schon, was unseren Yosuke abgelenkt hat. Das hübsche Mädel vorhin auf der Tribüne.“, lachte ein anderer von denen, die sich um ihn scharrten. Yosuke horchte auf und versuchte durch den Schmerz hindurch zu blinzeln, doch es stach so heftig hinter seiner Stirn, dass es ihm nur mit Mühe gelang. Doch er wollte sie sehen, sich noch mal vergewissern, dass er wirklich sie dort oben hatte sitzen sehen. „Fuma, sag doch mal was… geht es dir gut?“, fragte sein Kapitän besorgt und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ist sie noch da?“, presste er nur leise zwischen seinen Zähnen hervor, immer noch bemüht den Schmerz abzuschütteln und wieder vernünftig aufsehen zu können, ohne das alles verschwamm. Ein paar der Jungs lachten. „Sag ich doch, das Mädel war’s!“, rief noch mal der Scherzkeks aus den hinteren Reihen amüsiert. Alles klar, sollten sie doch ihren Spaß haben. Woher sollten sie auch wissen, wie wichtig ihm diese Information war? Zum ersten Mal seit Tagen, nein Wochen regte sich wieder etwas in ihm, ein kleines Stück Lebendigkeit erwachte aus seinem Winterschlaf und das nur durch den Gedanken daran, dass das Mädchen mit den himmelblauen Augen tatsächlich hier sein könnte. Er holte tief Luft und sah noch mal mit verkniffenen Augen gegen die Sonne, suchte die oberen Reihen der Tribüne nach einer Silhouette ab, doch sie war weg. Momoko war weg, insofern sie es überhaupt gewesen war und ihm seine Fantasie nicht wieder nur einen Streich gespielt hatte. „Schaut ihn euch an, kaum brummt ihm der Schädel nicht mehr schlimm genug, schaut er sich schon wieder nach Röcken um.“, kicherte wieder jemand albern. „Jetzt seit doch mal still und lass ihn in Ruhe! Ab mit euch Leute! Solange Yosuke ausgeknockt ist, übt ihr mal ein paar gescheite Pässe, damit so was nicht wieder passiert!“, ging der große und breitschultrige Kapitän entschieden dazuwischen. Einstimmiges Grummeln war zu vernehmen, was der muskulöse Sportler aber schlicht ignorierte und stattdessen seinen Torwart stützend aus der Menge Richtung Ersatzbank manövrierte. „Hey, geht’s wieder?“, fragte er ihn besorgt, während sie langsam einen Fuß vor den anderen taten. Yosuke, der seinen Kopf geknickt etwas hängen ließ, nickte nur halbherzig. Der Schmerz in seiner Stirn ließ nach, dafür war die Enttäuschung und der Frust, den er verspürte, umso markanter. „Was ist? Etwa wirklich wegen dem Mädchen von eben? Kennst du sie?“ „Keine Ahnung. Ich dachte, ich hätte jemand Bestimmtes in ihr erkannt.“ „Deine Freundin?“ Er schüttelte entschieden den Kopf, Hiromi wäre niemals so unauffällig am Spielfeldrand gewesen, sondern hätte wahrscheinlich lautstark einen peinlichen Kosenamen über den Platz gerufen. „Nicht? Na, sie scheint aber trotzdem ganz dringend zu dir zu wollen.“ Der Torwart sah erst in das verräterisch grinsende Gesicht seines Kommilitonen und dann geradeaus, dessen Kopfrucken folgend. Und da stand sie. Direkt vor ihm am untersten Ende der rechten Außenseite der Tribüne und schaute etwas schüchtern zu ihm herüber. Sprachlos hielt Yosuke inne und starrte sie mit ähnlich großen Augen an, wie vorhin, als er bereits das erste Mal geglaubt hatte sie zu erkennen. „So wie du sie anguckst machst du wohl besser Schluss für heute, ich kann keinen unkonzentrierten Torwart mit Gehirnerschütterung gebrauchen.“, beschloss der Mannschaftskapitän augenzwinkernd und kehrte ihm auch direkt den Rücken, ohne eine Antwort abzuwarten. Etwas hilflos und überrumpelt blieb Yosuke zurück, sah sich erst zu seiner Mannschaft um, widmete sich dann aber schluckend wieder seinem unerwarteten Besuch, der immer noch geduldig auf ihn wartete. Es trennten sie noch einige Meter, in denen er Zeit hatte sich die richtigen Worte für die Begrüßung zurrecht zu legen, doch in seinem Kopf gab es keinen klaren Gedanken. Nur ein dumpfes Brummen erinnerte ihn an seinen noch frischen Unfall. Er lief etwas zu gehetzt und kurz bevor er Momoko erreichte, geriet er genau deswegen nochmals ins Straucheln. Mit Herzrasen wartete die junge Frau darauf, dass der Spieler sie erreichte. So wie er sie ansah, war er wirklich mehr als überrascht sie zu sehen und irgendwie war sie es selbst auch. Sie wusste kaum selber, warum sie ihn aufgesucht hatte, aber nachdem ihre Chefin ihr am Vortag seine Schule verraten hatte, war ihr der Gedanke einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aufgeregt erwartete sie seine Reaktion auf ihren spontanen Besuch. Doch Yosuke schwankte wenige Meter vor ihr plötzlich gefährlich, reflexartig sprang sie ihm entgegen um Schlimmeres zu verhindern. Er sackte auf ihre Schulter, nur mit Mühe konnte Momoko den doch erheblich größeren Jungen abfangen und stützen. „Hey, alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt. „Ja, entschuldige… es geht schon wieder. Nur etwas schwindelig.“, beteuerte er und richtete sich auch schon wieder auf um sie anzusehen. Seine rehbraunen Augen begegneten ihr freundlich und ein erfreutes Lächeln umspielte seine Lippen. Zunächst unsicher, erwiderte Momoko es mit reichlich Herzklopfen; sie war furchtbar nervös. „Das du angeschossen wurdest war wohl meine Schuld.“, führte sie das Gespräch fort und zog unauffällig ihre Hände von seinem Oberkörper weg, den sie bis eben noch gehalten hatte. „Tja… das ist dann wohl Karma…“, entgegnete Yosuke leise lachend. „Schließlich hast du auch schon den ein oder anderen Fußball meinetwegen abbekommen.“ Die Blauäugige musste ebenfalls schmunzeln. „Dann weißt du jetzt wenigstens mal wie weh das tut.“, neckte sie ihn. Sie strahlten sich beide einen Moment lang an, dieser ausgelassene Moment, in dem sie einfach mal wieder ein paar ungezwungene Worte austauschten, tat ihnen unheimlich gut. Yosuke war der Erste, der sich räusperte, weil er die neugierigen Blicke seiner Mannschaftskameraden in seinem Rücken spüren konnte. „Komm mit, ich muss mich frisch machen und umziehen. Wir müssen die Jungs da hinten ja nicht unnötig weiter ablenken. Du kannst mir dann auch gleich mal erzählen, was du hier treibst.“ Er grinste und Momoko errötete, folgte ihm aber brav. Am anderen Ende des Platzes lag eine Turnhalle, vor der es eine Reihe Wasserhähne über einem langen Waschbecken gab, was der Sportler zielstrebig als erstes ansteuerte. Noch bevor er das große Becken erreicht hatte, zog er sich im Gehen sein langärmeliges Trikot über den Kopf. Die Rosahaarige stolperte fast vor Verblüffung. Als er seinen Kopf mit entblößtem Oberkörper unter einen Wasserstrahl hielt und sich das kalte Wasser durch sein Haar und in den Nacken laufen ließ, hielt sie sich eine Hand vor ihre Augen und versuchte einfach nicht hinzusehen. Es war zwar eigentlich nichts dabei; nackte Männeroberkörper nah man schließlich im Sommer an den Stränden oder in den Schwimmhallen zuhauf, aber wann sah man schon mal einen durchtrainierten, verschwitzen Fußballer halbnackt?! Momoko schmulte kurz durch zwei Finger hindurch und bekam direkt heiße Ohren. Es war schon fast unanständig, wie sich Yosuke mit den Händen gegen den Strich durch sein nasses Haar fuhr und die Wassertropfen in der Sonne an seiner Haut funkelten. „Hach… das hat gut getan!“, seufzte er erleichtert und drehte sich wieder zu ihr um. „Momoko? Alles in Ordnung?“, fragte er sie verwundert. „Jaja, alles gut… würdest du dich bitte wieder anziehen?“, sagte sie noch immer hinter vorgehaltener Hand und scheuchte ihn mit der anderen symbolisch in Richtung Turnhalle. „Aah, verstehe. Ich mache dich nervös?“, hinterfragte er rhetorisch mit neckischem Unterton. „Jetzt geh schon! Husch!“, drängelte sie ihn verlegen und schob ihn mit zugekniffenen Augen vorwärts. Yosuke lachte laut und schüttelte den Kopf über dieses unverbesserliche Mädchen, leistete aber keinen Widerstand und verschwand in den Umkleidekabinen der Mannschaft. Momoko holte mehrmals tief Luft als er weg war. Dieser Frühlingstag war so schön, sie genoss die warmen Sonnenstrahlen und den frischen Wind, der ihr Gesicht streichelte und mit ihrem offenen Haar spielte. Aber das war nicht alles, weswegen ihr so leicht ums Herz war. Es fühlte sich einfach richtig an hier zu sein, vielleicht konnte sie heute ihr Herz etwas erleichtern. Sie hing verträumt ihren Gedanken nach und bemerkte gar nicht, wie Yosuke, der sich locker gegen den Türrahmen der Halle gelehnt hatte, sie beobachtete. Er hatte sich mit dem Umziehen extra beeilt; er trug nun seine dunkelblaue Anzughose und ein weißes, kurzärmeliges Hemd, dessen obere zwei Knöpfe offen waren. Seinen ebenfalls blauen Blazer hatte er sich leger über die linke Schulter geworfen. Über der anderen hing seine große Sporttasche, in der auch seine Schulsachen verstaut waren. Er seufzte konzentriert während er sie betrachtete. Sie hatte irgendwie kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Mädchen aus der Mittelschule, oder sah er sie jetzt nur mit ganz anderen Augen? Sogar in der relativ züchtigen Schuluniform stach sie immer noch mehr als andere junge Frauen hervor. Sie hatte schwarze Lackschuhe an, schwarze Kniestümpfe und auch der fast knielange Faltenrock und das langärmelige Oberteil waren schwarz. Nur die Ärmel und der Matrosenkragen waren von weißen Streifen durchzogen und als einzigen Farbtupfer gehörte zu der Uniform ein rotes Halstuch, welches unter dem Kragen hervor kam und in der Mitte des V-Ausschnittes zusammengebunden war. Yosuke hätte noch ewig zusehen können, wie die Sonne ihr Haar zum Glänzen brachte und der Wind ihnen und der steifen Uniform Leben einhauchte, aber er war viel zu neugierig darauf zu erfahren, wie er zu dem unerwarteten Besuch kam. „Fertig. Wir können ein Stück zusammen gehen, wenn du magst.“ Die Blauäugige sah ihn etwas ertappt an, anscheinend war es ihr peinlich, dass er gesehen hatte, wie sie sich in der Sonne geaalt hatte. Er konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. „Wie bist du eigentlich hergekommen?“, fragte er sie mit einem Blick auf ihre Kameratasche und eine weitere, flache Ledertasche, in der sie wohl ihre Schulmaterialien verwarte. In dem vollen Bewusstsein, dass ihr Zuhause nicht gerade um die Ecke war. „Kommst du etwa direkt von deiner Schule?“ Verlegen sah sie auf ihre Füße, während sie den Weg runter vom Schulgelände einschlugen. „Ja… sonst hätte ich dich verpasst. Ich bin mit dem Fahrrad hier, meine Schule liegt nämlich am ganz anderen Ende der Stadt.“ Der Braunhaarige stutzte verblüfft. „So viel Aufwand um ausgerechnet mich[/] zu treffen? Wie kommt es denn? Du hattest doch gesagt, dass wir uns nicht mehr sehen sollten, weil Takuro das nicht gut finden würde.“ Er sagte es leichthin, aber Momokos Blick wurde ernster und nachdenklich. „Ich weiß… aber ich wollte es. Egal ob er es gut findet oder nicht.“ Yosuke holte scharf Luft, er wollte sich nicht anmerken lassen wie sein Puls bei dieser Aussage beschleunigte. Die junge Frau sah scheu aus dem Augenwinkel zu ihm hoch, um sich zu vergewissern, dass er ihr auch wirklich zuhörte und sie ernst nahm. „Und was ist damit, dass wir vielleicht nicht dafür gemacht sind Freunde zu sein?“, fragte er ruhig weiter, ohne sie dabei spöttisch zu belächeln. Die Rosahaarige blieb stehen, sie waren gerade aus dem Schultor getreten und sie hätte ihr Fahrrad abschließen können, doch sie hielt noch einen Moment inne. Ihr Gegenüber sah ihr an, wie sehr es in ihrem Kopf ratterte und wie sie mit sich haderte einfach auszusprechen, was sie dachte. „Ich schätze… ich muss es drauf ankommen lassen.“, antwortete sie schließlich leise und sah dabei auf ihre Hände, die den Griff ihrer Schultasche umklammerten. Mit fragender Miene und gerunzelter Stirn musterte Yosuke sie, plötzlich erschien sie ihm furchtbar sensibel und angreifbar. Als sie wieder aufsah bestätigte sich sein Eindruck, denn ihre kristallklaren Augen wurden von Traurigkeit getrübt. „Du hattest Recht, ich brauche einen Freund. Dringend sogar...“, fügte sie mit zerbrechlicher Stimme hinzu. Momoko wollte ihre aufkommenden Tränen wegblinzeln, stattdessen kullerten einige von ihnen einfach über ihre Wangen und sie musste sie hektisch mit ihrem Ärmel wegwischen. Sie hörte noch wie Yosukes Sporttasche dumpf auf den Bürgersteig fiel, bevor sie sich plötzlich in seiner tröstenden Umarmung wiederfand. Yosuke hatte beide Arme um ihren schmalen Oberkörper gelegt und zog sie dicht an seine Brust, so wie er es schon in dem Maid-Café getan hatte, nur dass er dabei sein Gesicht diesmal auch neben ihrem in ihr Haar vergrub. „Nicht… du musst das nicht tun, es geht mir gut.“, sagte sie verlegen und wand sich unter seinem bestimmenden Griff etwas. „Schhh…“, raunte er beschwichtigend. „Du bist keine besonders gute Lügnerin. Genau das ist es doch, weswegen du hier bist.“, setzte er ruhig hinzu. Momoko hielt augenblicklich still und kämpfte innerlich ohne zu atmen gegen ihre aufgestaute Traurigkeit, Verzweiflung und Einsamkeit an, doch seine Worte rissen den Damm endgültig ein. Vorsichtig gruben sich ihre Finger in sein Hemd. Still und leise tränkten ihre ungehaltenen Tränen den weißen Stoff. Kapitel 13: Avowal ------------------ Es kam ihnen vor wie eine Ewigkeit, in der sie in dieser Umarmung verharrten. Ohne etwas zu sagen ließ Yosuke zu, dass Momoko sich an seinem Hemd ausweinte. Leise Schluchzer drangen an sein Ohr, das ganz dicht neben ihrem Gesicht ruhte. Er biss sich auf die Unterlippe; ihre Traurigkeit quälte ihn, er wollte mehr für sie tun, als er bereits tat. Die Augen schließend atmete er den Duft ihrer Haare ein, er hätte sie ewig so halten können. „Was ist nur los, dass du so fertig bist?“, sagte er leise und drückte sie noch etwas fester an sich. Momoko atmete zittrig ein und versuchte sich langsam wieder zu fangen. Ihre Gefühle hatten sie einfach übermannt, dabei hatte sie gar nicht vorgehabt zu weinen. Sie wollte nur jemanden zum Reden, aber es hatte ihr gut getan sich bei ihm auszuweinen. Aus irgendeinem Grund hatte er instinktiv gespürt, wie nötig sie eine ehrliche Umarmung und Trost hatte. Mehr noch als ein offenes Ohr oder aufmunternde Worte. Noch immer dabei sich zu akklimatisieren, schmiegte sie ihre rechte Wange weiter an seinen Oberkörper, er war so warm und der Rhythmus seines Herzschlages hatte etwas Beruhigendes. Yosukes Hemd war an der Stelle ganz feucht von ihren Tränen, was ihr etwas unangenehm war, als sie es bemerkte. Widerwillig löste sie sich aus seinen Armen und sah den Fleck unterhalb seiner Schulter schulbewusst an. Sie zuckte zusammen, als der Dunkelhaarige den Moment nutzte um ihr eine verbliebene Träne von der Wange zu wischen. Seine Hand blieb dort an ihrer linken Seite liegen, sein Daumen strich noch ein weiteres Mal zärtlich über dieselbe Stelle. Verlegen sah sie ihm in seine warmen, braunen Augen, in denen ein milder Ausdruck lag. „Geht es wieder?“ Momoko errötete und hörte ihren Herzschlag verräterisch in ihren Ohren widerhallen. Die Anziehungskraft, die dieser junge Mann in diesem Moment auf sie hatte, war beinahe unheimlich! Je länger sie seinen Blick erwiderte, desto weicher wurden ihre Knie und ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Spürte Yosuke das nicht auch? Ihr Blick veränderte sich; Sehnsucht verschleierte ihn. Ihre Augen glänzen, ihre Wangen glühten regelrecht unter seiner Hand und selbst ihr Atem wurde flacher – konnte das sein? Sein eigener Puls raste so schnell, dass er das Pulsieren seines Blutes bis in seine Fingerspitzen fühlen konnte. Ihr verweintes, glühendes Gesicht dicht vor seinem; sein linker Arm noch in ihrem Kreuz; die Art wie sie seinen Blick erwiderte… für einen Augenblick lang glaubte er die knisternde Spannung in der Luft um sie herum greifen zu können. Doch Yosuke zögerte zu lange, er war sich nicht sicher, ob er die Situation richtig einschätzte… seine Augen wanderten tiefer und blieben an ihrem Mund und dessen leicht geöffneten, lieblichen Lippen hängen. Sein Herzschlag beschleunigte sich nochmals. Das hier war kein Traum sondern Wirklichkeit, er musste es nur einfach tun. Ihr erneut zitterndes Einatmen rüttelte ihn wach. Schlagartig wurde ihm wieder bewusst, dass Momoko offensichtlich verzweifelt war, schließlich hatte sie eben noch an seiner Brust bittere Tränen vergossen. »Nein, das kann ich nicht ausnutzen!« Er ließ sofort von ihr ab, sodass sie ihn perplex anblinzelte. Auch sie erwachte jetzt aus ihrer Trance und die Röte verschwand genauso schnell aus ihrem Gesicht, wie sie gekommen war. „Tut… tut mir leid.“, stammelte sie leise, schniefte und suchte in ihren Rocktaschen nach einem Taschentuch. Yosuke kam ihr zuvor und reichte ihr eines von sich. „Danke…“, flüsterte sie und tupfte sich damit die Augen trocken, ehe sie ihre Nase schnäuzte. Nachdem sie sich anschließend ganz fahrig auch wieder ihre Haare geordnet und den Kloß in ihrem Hals hinfort geräuspert hatte, löste auch der Torwart seine Starre und hob seine Sporttasche vom Boden auf. Beide spürten, wie verkrampft die Stimmung auf einmal war. Vielleicht war es besser darüber zu schweigen, wozu sie sich beide beinahe hätten hinreißen lassen. „Da wir beide dieselbe Richtung haben, begleite ich dich nach Hause. Ist das ok für dich?“, bot Yosuke schließlich höflich an, der nicht vergessen hatte, dass sie ihn nicht ohne Grund aufgesucht hatte. Bei dem Gedanken an ihr Zuhause, das verlassen und leer auf sie wartete, wurde Momoko gleich wieder ganz anders, aber sie verdrängte die grauen Gedanken und rang sich ein zustimmendes Lächeln ab, während sie nickte. Mit wenigen Handgriffen schloss sie ihr Fahrrad ab, in dessen Korb auf dem Gepäckträger ihre Schultasche und die Kamera Platz fanden und begann es dann zu schieben. Eine ganze Weile liefen sie still schweigend nebeneinander her, die untergehende Sonne in ihrem Rücken. Der Torwart hatte seine Hände in den Hosentaschen und überlegte fieberhaft, ob er Momoko einfach konkrete Fragen stellen sollte, oder ob es besser war darauf zu warten, dass sie ihm von selbst ihr Herz ausschüttete. Allerdings machte die Rosahaarige, die derweil mit leerem Blick auf den Boden zu ihren Füßen schaute, nicht den Eindruck, als würde sie ihrem Schweigen demnächst einen Redeschwall folgen lassen. Er gab sich einen Ruck und machte den ersten Schritt. „Hey, du bist so still… möchtest du mir nicht endlich erzählen, was los ist?“ Die junge Frau schaute zu ihm hoch; unschlüssig und doch irgendwie erleichtert, dass er sie darauf ansprach. Sie holte konzentriert Luft und setzte an. „Als erstes… es tut mir leid, dass ich dich Im Café so abgewimmelt habe. Und auch was ich alles gesagt habe…“ „Was meinst du genau?“, hakte Yosuke nach. Sie rollte mit den Augen und seufzte, war ihm doch bestimmt klar, dass ihr das unangenehm war. „Das es dich nichts angeht, was mit mir los ist, weil es kompliziert ist und du es sowieso nicht verstehen würdest.“, antwortete sie murmelnd. „Hmm… dann hältst du es doch für möglich, dass ich es verstehe?“ Er grinste sie spitzbübig an und sie erwiderte es mit einem schüchternden Lächeln. „Vielleicht. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht hier.“ Ihr Blick driftete wieder ab und ihr Lächeln verblasste, ihr Gesprächspartner sah ihr an, dass sie große Sorgen haben musste. „Hat es irgendwas mit deinem Vater oder Takuro zu tun?“ Sie blieb abrupt stehen und klammerte sich an ihr Fahrrad, ohne ihn dabei anzusehen. „Momoko? Habe ich was Falsches gesagt?“, fragte Yosuke ängstlich. „Nein… das ist es nicht. Es ist nur so, dass du Recht hast… schon wieder.“ Er legte seine Hand auf ihre linke Schulter, damit sie ihn ansah. „Schau, da vorne ist ein Park. Wenn wir durch ihn hindurch gehen, ist es zwar ein Umweg, aber wir könnten uns dort vielleicht irgendwo hinsetzen und etwas zu Essen kaufen.“ Sie folgte seinem Blick zu einem von Bäumen und Sträuchern gesäumten Zaun, in dessen Mitte ein offener Durchgang zu einer gepflegten und bekannten Grünanlage war. „In Ordnung.“, stimmte sie zu. Der Park hatte hauptsächlich viele verschlungene Wege, an dessen Rändern viele akkurat beschnittene Sträucher und bereits blühende Kirschbäume wuchsen. Die Rasenflächen waren entweder sehr mager oder führten wenn dann auf sehr ausladende, offene Flächen, die im Sommer oft zum Picknicken genutzt wurden. Hier und da standen unter den Bäumen auch mal Bänke, die im Moment zum Schrecken des ungleichen Paares in den allermeisten Fällen von flirtenden Pärchen besetzt waren. Zum Teil wussten sie gar nicht wohin sie schauen sollten, ohne unanständig zu wirken. So zogen sie beide die Köpfe ein und liefen mit heißen Ohren nebeneinander an den Liebestollen vorbei. „Himmel noch mal, hast du gewusst, dass das hier so zu geht?“, flüsterte Momoko ihrem Begleiter zu und lugte dabei aus dem Augenwinkel zu ihm hoch. „Ehrlich gesagt gehe ich hier nur sehr selten durch, bisher ist mir das noch nie so aufgefallen… vielleicht liegt es am Frühling.“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Hinter der nächsten Biegung lag wieder eine größere Wiese, an dessen Seite ein einsamer Crêpestand auf Kunden wartete. Wie sie ihn beide entdeckten, knurrten ihre Bäuche auch fast gleichzeitig hungrig auf. Peinlich berührt hielten sie sich beide ihre Mägen und schauten sich dann verwundert an. Es war so urkomisch, dass sie anfingen zu lachen. „Da sind sich zwei wohl einig, was? Lust auf eine Crêpe-Pause?“, scherzte Yosuke und lachte dabei erneut sein herzliches, kleine Jungen-Lachen. Ein Hauch von Rosa legte sich unwillkürlich auf Momokos Wangen, während sie ihn betrachtete, wie er lachte und lächelte. Sie musste sich eingestehen, dass er schon irgendwie umwerfend war. Kein Wunder, dass er immer so viele Verehrerinnen hatte… Er sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch viele verschiedene Facetten... Er war sowohl cool und lässig; arrogant und unnahbar, als auch höflich und einfühlsam; lustig und liebevoll und – wenn sie an die Situation von vorhin und so manch andere dachte – auch charmant und… ja, aufregend. „Hey, Pfirsichtörtchen? Träumst du?“, holte er sie in die Wirklichkeit zurück. „Nein! Ich überlege nur, was ich für eine Sorte nehme!“, dementierte sie ertappt und stapfte mit ihrem Fahrrad dem Duft von frischen Crêpes entgegen. Schmunzelnd folgte ihr der Sportler auf dem Fuße. Mit Schoko- und Erdbeercrêpes ausgestattet ließen sich die Beiden mitten auf der Wiese nieder. Direkt im wärmenden Licht der späten Nachmittagssonne. Der Boden unter ihnen war immer noch ziemlich kühl, aber das machte ihnen nichts. Momoko kniete und hatte ihren Rock ordentlich wie eine offene Blüte um sich herum drapiert, damit er keine Flecken und unschöne Falten bekam. Yosuke hingegen war unbeschwerter und ließ sich einfach in einem bequemen Schneidersitz fallen. „Du bist ja mutig, Hiromi hat bestimmt keinen Spaß dabei die Grasflecken aus deiner Uniform zu schrubben.“, kommentierte die Blauäugige sein sorgloses Verhalten ehrfürchtig. Diesmal war es Yosuke, der seine Stirn nachdenklich in Falten legte und einen finsteren Blick in die Ferne schweifen ließ. „Das ist im Moment wohl eher mein eigenes Problem. Hiromi ist vor etwas mehr als zwei Wochen gegangen.“ Fast hätte Momoko sich verschluckt, mit großen Augen musterte sie den Sportler, der ihre Reaktion ungerührt belächelte. „Gegangen?! Wie meinst du das?“ Sie wusste, dass ihre Stimme zu schrill klang, weil sie sich etwas überschlug, aber sie konnte gar nicht glauben, was sie da hörte! „Sie ist zu Verwandten gefahren, weil ich sie verärgert habe. Sie wollte eigentlich schon wieder zuhause sein, denn ich sollte eigentlich nur über mein Verhalten nachdenken… aber sie hat sich noch nicht wieder gemeldet.“ Yosuke erzählte das so gelassen und frei heraus, als würde es ihm kaum etwas ausmachen, dass zwischen ihm und seiner Freundin anscheinend eine Krise herrschte. Obwohl er Momoko dabei seltsamer Weise mit konzentrierten, durchdringen Augen musterte. Wollte er ihr etwa etwas damit sagen? Sie sog scharf Luft ein, als ihr ein Licht aufging. „Vor zwei Wochen sagtest du? Das hat doch aber hoffentlich nichts mit der Sache im Café zu tun!?“ Er lächelte, als sie ihn erschrocken ansah und dabei fast den Crêpe in ihren Händen fallen ließ. „Wie kannst du da so doof grinsen??? Hast du keine Angst um deine Beziehung?! Außerdem will ich nicht der Grund sein, weswegen ihr euch zerstreitet!“, schimpfte die Blauäugige ihn empört aus. Die Augen des Torwartes verengten sich noch ein Stück mehr, Momoko stellten sich deswegen die Nackenhaare alarmierend auf. „Ausgerechnet um sie machst du dir Sorgen? Nachdem sie so grässlich zu dir gewesen ist?“, zischte er ungläubig. „Ich… ja, nein… nicht um sie, sondern um eure Beziehung.“, stotterte sie durcheinander. Wenn er sie so ansah, konnte sie weder ernst bleiben, noch einen klaren Gedanken fassen oder gar einen vernünftigen Satz formulieren. »Wie macht er das nur?!«, fragte sie sich und mahnte ihr flatterndes Herz zur Ruhe. Und weil sie ja noch nicht genug aus der Fassung gebracht war, griff Yosuke jetzt auch noch nach ihrer freien Hand, die auf dem Gras ruhte. Seine unerwartete Berührung fühlte sich auf ihrer Haut an wie ein kleiner Stromschlag. „Ich schulde dir noch eine Antwort.“, sagte er bestimmt und wich damit vom Thema ab. »Hä? Was hat denn das jetzt zu bedeuten?«, dachte Momoko verwirrt und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie schrecklich nervös sie war. „Du hast mich damals gefragt, wieso ich mit dir befreundet sein möchte, obwohl du so deine Macken hast – und schimpf jetzt nicht, das waren so in etwa deine Worte.“ Bei seinem Gegenüber fiel der Groschen endlich; er meinte das Gespräch in der Personaltoilette, wo sie von ihm wissen wollte, was sich seit der Mittelschule verändert hatte. Sie hatte es wissen wollen, weil auch sie ihn mit anderen Augen sah als damals. Bei dem Gedanken daran wurde ihr wieder ganz anders und erneut konnte sie nicht vermeiden, dass sie rot anlief. Sie schluckte, so angespannt war sie. Was würde er ihr jetzt wohl antworten? „Die Wahrheit ist… ich weiß es nicht. Aber ich kann dich gut leiden. Ich lache gern mit dir, fühle mich irgendwie leicht und unbeschwert in deiner Nähe. So wie früher, als wir alle nur sorgenfreie Mittelschüler waren, die sich nicht mit den Problemen von Erwachsenen rumschlagen mussten. Wenn mich der Alltagstrott im Griff hat, sind es unsere kleinen Streitereien, die mich aufheitern und ich glaube, so war es schon immer, nur habe ich es früher nie bemerkt.“ Der jungen Frau stand der Mund offen; so viel Aufrichtigkeit hatte sie nicht erwartet. Seine Worte lösten eine Welle an Gefühlen in ihr aus, die sie unmöglich so schnell einordnen konnte. Nur ihr Herz, das wie ein kleiner, aufgeregter Vogel flatterte, stand über all dem Chaos in ihrem Kopf. Doch sie war damit nicht allein; Yosuke selbst schaute inzwischen auch nicht mehr so finster, denn auch ihn selbst machte sein Eingeständnis etwas verlegen. Sein schiefes Lächeln ließ sie, sofern das überhaupt noch möglich war, nur noch röter werden. Er nahm seine Hand wieder von ihrer herunter und biss beherzt in seinen Crêpe. „Deswegen, mach dir keinen Kopf um Hiromi und mich. Sie tobt bei jedem Mädchen, mit dem ich zu tun habe. Damit komme ich klar, ich lasse mir aber nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet sein möchte.“, fügte er nach dem Runterschlucken hinzu. Was er ihr erzählt hatte war ein unheimlicher Vertrauensbonus, er hatte ihr das Tor zu seiner Welt geöffnet und war bereit sie an seinem Leben teilhaben zu lassen. Es war nun an Momoko dasselbe zu tun. „Mein Vater ist sehr krank. Er hat schon seit Monaten schwere Depressionen.“, begann sie kleinlaut, aber mutig genug alles bis zum Ende zu erzählen. Yosuke sah sie gespannt an. „Er fing an zu trinken, als er seine Arbeit verlor. Anfangs dachte ich, das gibt sich wieder… aber es wurde immer schlimmer. Er wollte morgens gar nicht mehr aufstehen, vernachlässigte sich selber, suchte sich keine neue Arbeit und hing schon nachmittags in irgendwelchen Bars herum. Ich habe versucht ihm Mut zu machen, aber er ließ mich irgendwann gar nicht mehr an sich heran…“ Momoko musste eine kurze Pause machen, ihre Augen fingen wieder an zu flackern und ihre Stimme zitterte gefährlich. Yosuke wollte gar nicht glauben was er da hörte! Auch wenn er etwas Ähnliches bereits vermutete hatte, nachdem er ihren Vater live erlebt- und auch dessen Zimmer gesehen hatte. „Weil er nicht mehr arbeiten ging und unser Erspartes nur noch in Alkohol investierte, statt Rechnungen und Lebensmittel davon zu bezahlen, habe ich irgendwann angefangen neben der Schule zu jobben um uns über die Runden zu bringen. Auf einer Feier, wo ich zum Fotografieren engagiert war, habe ich dann Takuro das erste Mal wiedergesehen.“ Ihr Blick schweifte zu dem Braunhaarigen hinüber, der beim Klang des Namens argwöhnisch die Augenbrauen zusammen zog. „Er war wie früher höflich und bemüht, aber anders als damals auch viel selbstbewusster. Den Rest mit seiner zukünftigen Karriere und so kennst du ja im Groben… er hat mich dann überredet mich hin und wieder mit ihm zu treffen, weil ich schon zu der Zeit nicht mehr so viel mit Yuri und Hinagiku zu tun hatte…“ „Wieso eigentlich nicht?“, unterbrach Yosuke sie kurz. „Sie waren so mit sich selbst beschäftigt und ich hatte so wenig Zeit durch die Schule, die Nebenjobs und wegen meinem Vater… Ich wollte sie nicht mit meinen Problemen belästigen.“ Es war niederschmetternd wie recht Hinagiku gehabt hatte, als sie mit ihm vor einigen Wochen im Blumenladen ihrer Eltern über Momoko gesprochen hatte. Er schnaufte gespannt und ließ die junge Frau weiter erzählen. „Jedenfalls bekam er dann relativ schnell mit, wie übel es meinem Vater ging und wie viele Probleme ich damit hatte finanziell zurrecht zu kommen. Da fing es dann an, dass er um mich warb; er hat ja noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er an mir interessiert ist.“ „Und du hast dann irgendwann einfach nachgegeben?“ Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte halbherzig. „Er war wirklich immer nett und zuvorkommend, hat mich gut und mit Respekt behandelt… Irgendwann dachte ich, dass es solche Beziehungen in der Welt doch sooft gibt, wo die Liebe erst später kam und am Ende trotzdem alle glücklich sind. Es gibt ja auch arrangierte Ehen und selbst die können funktionieren. Takuro ist kein schlechter Kerl, im Gegenteil; vorgestern ist er wegen einer SMS extra mitten in der Nacht gekommen, als mein Vater einen schlimmen Zusammenbruch hatte.“ Yosuke wurde starr vor Schreck, sie hatte vor Kurzem erst etwas so Schlimmes erlebt und war trotzdem hier und tat so, als wäre nichts passiert?! Nein, das stimmte nicht… sie hatte schließlich geweint und schon seit er sie wiedergesehen hatte, haftete Schwermütigkeit an ihr, nur wusste er bis eben nicht, woher das kam. „Er hat veranlasst, dass mein Vater nun in einer sehr guten, teuren Klinik untergebracht ist. Ich muss mir also um ihn endlich keine Sorgen mehr machen. Ich hätte eine schlechtere Wahl treffen können als mit ihn.“ Ihr Satz klang endgültig; sie war fertig mit ihrer Erzählung, doch Yosuke hatte noch viele Fragen, die ihm unter den Nägeln brannten. „Aber…?“ Sie sah ihn stutzend an. „Wie meinst du das? Aber?“ „Du machst auf mich keinen glücklichen Eindruck. Das war doch noch nicht alles, oder?“ Seine Scharfsinnigkeit verblüffte Momoko immer wieder aufs Neue. Ausweichend stopfte sie sich die Reste ihres Crêpe in den Mund, dessen Geschmack sie gar nicht wahr nahm, so angespannt wie sie war. „Was ist mit dieser Hochzeitssache… hast du nicht mal angeschnitten, dass er dir Zeit gibt mit… gewissen Dingen? Bis zur Heirat? Wie funktioniert das?“, fragte er konkret nach und ließ sie dabei nicht mehr aus den Augen. „Ich… ja, das war meine Bedingung, die ich gestellt habe, als er mich bat ihn zu heiraten. Wir gehen immer nur so weit, wie ich es zulasse, wenn wir uns treffen, um uns noch besser kennenzulernen... Aber solange kann ich auch keine Gefälligkeiten von ihm erwarten, was mir bislang auch recht so war. Ich habe gedacht, ich halte so lange auch noch alleine durch und könnte mich bis zum Schuljahresende daran gewöhnen, seine Frau zu werden. Mit allem, was dazu gehört…“, endete sie verlegen. Yosuke raufte sich stöhnend die Haare. Ihre Geschichte war total absurd, so was passierte doch sonst nur in Filmen! Sie versprach sich einem Mann, den sie zwar respektierte und vielleicht auch mochte, aber nicht liebte, damit er dafür ihrem Vater half? „Und du glaubst ernsthaft, dass du dich in den nächsten Monaten in ihn verlieben kannst?“ „Ich hoffe es.“, schloss sie. Das war schwerer Tobak. Sie meinte es tatsächlich todernst und zu seinem Ärger konnte er ihr Handeln sogar nachvollziehen. So schwer es ihm auch fiel und so sehr sich auch alles in seinem Inneren dagegen sträubte, sie sich als Frau an Takuros Seite vorzustellen. Als er wieder in Momokos unglückliche Miene sah, fiel ihm an ihrer Erzählung etwas auf, dass seine Gefühlswelt zusätzlich ins Schleudern brachte. „Moment. Du sagtest, es ist ein Abkommen in dem keiner vom anderen etwas ohne Gegenleistung erwartet? Aber Takuro hat deinen Vater doch jetzt in eine Klinik bringen lassen, oder?“ Ihre blauen Augen flackerten, als er seine Erkenntnis in Worte fasste. „Er will mit mir diesen Sonntag ausgehen und ich glaube nicht, dass er sich mit Händchenhalten zufrieden geben wird.“ Schnaubend sprang Yosuke auf seine Füße, der Knoten in seinem Magen wurde immer größer. „Das kann er nicht machen! Du hattest doch keine Wahl, das ist nicht fair! Er darf dich nicht bedrängen.“, fluchte er und wusste nicht wohin mit dem plötzlichen Drang in seinen Händen, mit ihren auf etwas einschlagen zu wollen. „Ich glaube nicht, dass er mich unangemessen behandeln wird, aber ich muss ihm doch irgendwie entgegen kommen und ihm meine Zuneigung zeigen.“, versuchte die Schülerin ihm zu erklären. „Dann willst du das so? Warum nur habe ich dann schon die ganze Zeit das Gefühl, dass es dich unglücklich macht?“ Seine brauen Augen flackerten ebenfalls aufgewühlt. Momoko stand auf, erwiderte direkt seinen Blick und versuchte neuerliche Tränen zurück zu halten. „Genau deswegen brauchte ich einen Freund. Einen Rat, ein Mut machendes Wort… irgendwas, das mich das durchstehen lässt… Eine Schulter zum Ausweinen, jemand dem ich meine Probleme erzählen kann… Mich hat das Gefühl nicht mehr losgelassen, dass du dieser Freund sein kannst, deswegen hatte ich beschlossen dich noch mal zu treffen. Ich kann dich nämlich auch irgendwie gut leiden.“ Sie versuchte so aufrichtig zu lächeln wie sie nur konnte, aber es fiel ich sichtlich schwer. Zu groß war die Angst, dass Yosuke sie nicht verstehen und wieder mit ihren Sorgen allein lassen würde. Er spürte das. Jede Regung ihres Körpers verriet ihm, dass es in seinen Händen lag, ob sie an ihren Problemen zerbrach oder nicht. „Was erwarest du von mir? Soll ich dir sagen, dass nichts dabei ist jemanden zu küssen, den man nicht liebt? Okay… es ist nichts dabei.“ Sein zynischer Unterton versetzte Momoko einen Stich, aber sie wusste selber, dass sie viel von ihm verlangte. Noch dazu war er ein Mann, was verstand er schon von den Gefühlen eines Mädchens? Traurig sah sie zu Boden. „Es ist mir zwar peinlich das zu erzählen, aber ich hatte immer gehofft, dass mein erster Kuss etwas ganz Besonderes sein würde. Ich habe Angst, dass es ganz schrecklich sein wird und ich dann nicht mehr normal mit Takuro umgehen kann...“ Wie sie da so verunsichert vor ihm stand, wie ein unschuldiges Reh, das sich fürchtete ohne Mutter über offenes Terrain zu laufen, verflog Yosukes Zorn und Argwohn. Sie hatte sich ihm anvertraut, nun musste er tun was ein guter Freund tun würde. Schließlich wollte er das für sie ein; ein Freund. Mit beiden Händen hob er ihr Kinn, sodass sie ihn wieder ansah. Das Blau ihrer Augen schimmerte tief wie das Meer in der untergehenden Sonne. „Das wird es nicht, da bin ich mir ganz sicher. Wenn Takuro dich wirklich liebt, wird es ganz sicher nicht schrecklich werden, das verspreche ich dir.“ Es erstaunte ihn selbst, wie überzeugend er geklungen hatte, dabei drehte sich sein Magen um bei seiner Lüge. Wie konnte er so ein Idiot sein und ihr so ein Versprechen geben?! Woher sollte er wissen, wie Takuro küsste oder wie viel Rücksicht er auf dieses schöne und tapfere Mädchen dabei nahm? Der Fußballer grämte sich, er hatte nächtelang heimlich von ihrem Körper und diesen Lippen geträumt und nun war er gezwungen, das Reh dazu zu ermutigen, sich dem Jäger auszuliefern…? Aber was erwartete er? Weder Sie noch er waren frei um anderes in Erwägung zu ziehen… Seine Welt schien plötzlich Kopf zu stehen. Kapitel 14: Affection --------------------- „So, da wären wir.“, sagte Yosuke, als sie Momokos Zuhause erreichten. Sie hatten sich mit ihrem Weg sehr viel Zeit gelassen, die Sonne am Horizont glühte bereits feuerrot und würde demnächst untergehen. Sie hatten kein Wort mehr über Takuro verloren, stattdessen hatten sie sich über ihre Schulen, Fußball oder Momokos Nebenjobs unterhalten. Alltägliches eben. „Danke, dass du mich gebracht hast, obwohl es ein Umweg für dich war.“ „Keine Ursache, du hast doch auch einen Umweg in Kauf genommen um mich abzuholen.“ Sie schmunzelten beide. „Ich weiß es ist schon spät, aber wenn du möchtest, dann kannst du noch auf einen Tee mit rein kommen.“, bot sie Yosuke an. Ihm schossen sofort die Erinnerungen an das letzte Mal durch den Kopf, gute wie schlechte. Er schaute in Momokos erwartungsvolle Miene; sie dachte sich mit Sicherheit nichts weiter dabei, sie wollte wahrscheinlich nur höflich sein oder scheute vielleicht die Einsamkeit, die so ein großes Haus für sie allein bereit hielt. Doch ihn flutete ein aufregendes Kribbeln, das er nur allzu gut kannte und deuten konnte. Er war der Wolf im Schafspelz und sie für ihn das arme Rotkäppchen. Das konnte nicht gut gehen, sie war zu angreifbar und zu aufgewühlt, dass er dafür die Hand dafür ins Feuer legen konnte, dass er keine Dummheiten anstellen würde. „Vielleicht ein anderes Mal. Es ist schon spät und wir haben beide morgen wieder einen langen Tag.“ Momoko schien etwas enttäuscht zu sein, doch sie nickte verständnisvoll. „Du hast Recht… ich muss morgen auch wieder arbeiten.“ Sie schauten beide nachdenklich auf den Boden, so als suchten sie nach den richtigen Worten um sich zu verabschieden. Bis Yosuke anfing auf einmal geschäftig in seiner Sporttasche zu kramen und schließlich einen Zettel und einen Stift zückte, um etwas aufzuschreiben. Neugierig sah die junge Frau ihm dabei zu. Als er fertig war faltete er das kleine Stück Papier und hielt es ihr hin. „Hier, das ist meine Telefonnummer.“ Mit großen Augen sah sie ihn erstaunt an. „Nimm schon, wie sonst sollen wir in Kontakt bleiben? Oder möchtest du das nicht?“ „Doch! Doch…“, antwortete sie hektisch und nahm ihm schnell den Zettel aus der Hand, bevor er es sich anders überlegte. Yosuke grinste zufrieden. „Schreib mir doch mal eine SMS, damit ich deine Nummer auch habe. Du kannst dich jeder Zeit bei mir melden, wenn etwas ist. Ich wohne ja nicht weit.“ Momoko kicherte amüsiert bei der Vorstellung, dass er wie ein Retter in der Not angehechtet kommen würde, wenn sie etwas hätte. „Das mache ich bestimmt.“ Wieder sahen sie sich lange in die Augen ohne etwas zu sagen, keiner von ihnen wollte so recht, dass der Abend damit endete. Wieder war es der Sportler, der sich als erstes einen Ruck gab, auch wenn er sich unwohl damit fühlte Momoko wieder auf unbestimmte Zeit zu verlassen. „Na gut, dann hab noch einen schönen Abend. Wir hören voneinander.“, sagte er und hielt ihr seine ausgestreckte Hand zum Abschied hin. „Danke, du auch.“, entgegnete sie und streckte ebenfalls ihre Hand aus. Der Handschlag war nur kurz und flüchtig; Yosuke drehte sich danach direkt um und joggte davon, ohne sich noch mal nach ihr umzudrehen. Momoko sah ihm nach bis er um eine Hausecke verschwand. Sie hob den Zettel mit seiner Telefonnummer vor ihre Augen und drückte ihn dann fest an ihr Herz, das aufgewühlt klopfte. Ein warmes Kribbeln flutete ihren Körper. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich gut, beinahe glücklich. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Yosuke Fuma ihr mal in ihrer schwersten Zeit beistehen würde? Yosuke joggte den ganzen Weg bis zu sich nach Hause. Er keuchte und schwitzte vor Anstrengung, doch er hatte das Gefühl vor etwas weglaufen zu müssen. Sein ganzer Körper spielte verrückt, es war als würde er nicht mehr von der Erde angezogen werden, sondern von ihr. Je weiter er lief, desto mehr wollte er umkehren und zurück gehen. »Was macht sie nur mit mir?!« Schnaufend lies er seine Sporttasche im Flur seiner Wohnung fallen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Es war schon wieder so viel passiert; Momoko hatte ihn von sich aus aufgesucht. Sie wollte ihn als guten Freund. Er hätte happy darüber sein müssen, doch stattdessen fühlte er sich nur noch zerrissener als zuvor, bevor sie ihm ihre Geschichte erzählt- und ihn um Rat gebeten hatte. Als er ihr gesagt hatte, dass er sich unbeschwert in ihrer Nähe fühlte und gerne mit ihr lachte, war das die Wahrheit gewesen. Doch nun zweifelte er daran, ob er ihr wirklich der Freund sein konnte, den sie brauchte, denn er war sich nicht sicher, ob er auch bereit war mit ihr zu weinen… »Sie sollte nicht weinen müssen, aber auch nicht gedrängt werden etwas zu tun, dass sie so eigentlich gar nicht will.« Yosuke drückte seine Fäuste gegen seine Stirn. Er hasste Takuro dafür! Wieso sollte er etwas bekommen, das er nicht verdiente? Momoko war zu gut und zu schön für ihn, zu unschuldig und verletzlich. Ihrem Vater zuliebe würde sie wahrscheinlich alles tun und das machte ihn wahnsinnig! Konnte er sie wirklich darin unterstützen? Der Streber würde Dinge mit ihr tun, von denen er selbst eigentlich nicht mal träumen durfte. Und trotzdem, er spürte deutlich mit jeder Faser seines Körpers, wie sehr er sie wollte… wie sehr er es sein wollte, den sie küsste und berührte. Momoko war viel zu aufgedreht um den Abend ruhig ausklingen zu lassen. Gut gelaunt sortierte sie in ihrem Fotokeller ihre letzten, fertig getrockneten Bilder und machte sich daran ihren neusten Film ebenfalls zu entwickeln. Auch der Stapel mit den Fotos von dem Klassentreffen lag fertig bereit und sie wusste, dass er eigentlich für Yuri und Hinagiku bestimmt war, damit sie daraus ein Pamphlet für alle gekommenen Ex-Mitschüler machen konnten. Sie seufzte, schnappte sich den Stapel und setzte sich an einen kleinen Schreibtisch. »Ich kann Yuri die Fotos ja auch mit der Post schicken.«, dachte sie sich und griff neben zu einer Schublade, in der sie passende Umschläge verwarte. Ihr Blick fiel dabei zufällig auf ihren fast vollen Papierkorb, in dem unter einigen zerknüllten Papieren die Ecke eines intakten Fotos hervor blitzte. Momoko griff zunächst nach dem Bild anstatt zu einem Umschlag. Es war das Foto von Yosuke, das sie da aus dem Müll fischte. Jenes Bild, das sie vor Takuro versucht hatte zu verstecken. Verträumt stützte sie ihr Kinn auf einer ihrer Hände ab und betrachtete die Fotografie eingehend. Dieser Schnappschuss war ein gelungenes Bild; das Zwischenspiel aus dem schummrigen Licht und seinem Gesichtausdruck harmonierte einfach perfekt miteinander. Seine braunen Augen leuchteten richtig. Sein Blick in ihre Richtung war ernst und fragend. Fast bekam sie eine Gänsehaut wenn sie daran dachte, wie einschüchternd dieser Blick sein konnte. Sie lächelte, als sie wieder dieses unbekannte, aber aufregende Kribbeln dabei verspürte und legte das Bild schließlich zur Seite, um es später mit nach oben zu nehmen. Wie geplant machte Momoko ein Kuvert mit Fotos für Yuri fertig, das sie am nächsten Tag in den Briefkasten werfen würde. Anschließend widmete sie sich wieder ihren restlichen Fotos, die noch zum Trocknen aufgehängt werden mussten. Sie wusste, dass das letzte Bild, welches sich gerade in dem kleinen Becken entwickelte, ebenfalls den hingebungsvollen Torwart zeigen würde. Und so war es auch. Es zeigte ihn, wie er strahlend und voller Energie halb im Sprung einen Fußball kraftvoll hinfort kickte. Es war das ideale Foto für ein Sportmagazin, so ein lebendiges Bild hatte sie noch nie von ihm geschossen! Sie würde es ihm das nächste Mal zeigen und vielleicht sogar schenken. Der alten Zeiten willen, aber ob das Hiromi gefallen würde? »Tse, soll sie mir doch gestohlen bleiben!«, dachte Momoko grummelnd und hing das Foto an die Trocknungsleine. Unfassbar, dass ausgerechnet so ein Biest Yosukes Freundin geworden war! Dabei gab es an ihrer Schule damals doch unzählige Mädchen, die mindestens genauso hübsch und vor allem noch viel, viel netter gewesen waren als sie! »Er hat eben einen verkorksten Geschmack…« Unwillentlich errötete sie etwas, als sich die Erinnerungen des Tages wieder in ihr Gedächtnis stahlen. Sie war sich sicher, dass es einen Moment knisternder Spannung zwischen ihnen gegeben hatte, oder war das nur Einbildung? Schließlich war sie nach ihrem Heulkrampf ziemlich fertig und empfänglich für liebevolle Gesten gewesen… „Gnaaah! Schluss jetzt!“, schimpfte Momoko sich selber laut aus und verließ ihren Hobbykeller. Solche Gedanken hatten in ihrem Leben keinen Platz, schließlich war sie die Verlobte eines anderen! Sie seufzte. Zwar fühlte sie sich nach dem erleichternden Gespräch mit Yosuke sehr viel besser und auch mutiger, aber das Bedauern, dass es ausgerechnet Takuro sein würde, mit dem sie all ihre “ersten Male“ haben würde, war noch größer geworden. Aus ganzem Herzen wünschte sie sich, dass sie etwas für ihn empfinden könnte, das über Freundschaft hinaus ging… wenigstens irgendeine Art von Anziehung… »So wie bei ihm…«, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Sich heftig schüttelnd warf die junge Frau die sich verselbstständigende Stimme ihres Unterbewusstseins ab. „Nichts da, Yosuke ist nur ein Freund! Ich darf seine Art für mich da zu sein und mich zu trösten nicht mit Zuneigung verwechseln, nur weil ich im Moment etwas einsam bin!“, rüffelte sie sich, löschte das Licht im Haus und ging in ihr Zimmer. Der Torwart lag wach in seinem Bett und starrte an die Decke, den Kopf auf seine verschränkten Arme gebettet. Er war direkt nach dem Duschen ins Bett gegangen, er konnte nichts essen mit diesem ganzen Durcheinander in seinem Kopf. Um seine und vor allem ihre Beziehung nicht zu gefährden, hatte Yosuke beschlossen sich mental und vor allem körperlich nicht weiter auf Momoko einzulassen. Er war erwachsen und musste mit seinen Trieben irgendwie anders zurrecht kommen. Es konnte ja nicht angehen, dass er sich derart zu einem Mädchen hingezogen fühlte, dass er gerade erst dabei war näher kennenzulernen. Was wusste er schon über die junge Fotografin mit den Saphiraugen? Sie war frech, schlagfertig, etwas tollpatschig und naiv, impulsiv… und irgendwo hinter einer stets heiteren Maske, steckte eine sehr sensible, aufopferungsvolle Seele. Sie war stark, denn sie erduldete viel ohne sich zu beklagen. Das war aber auch schon alles, was er von ihr wusste – war das genug? In dem Moment vibrierte sein Handy, das auf dem Nachttisch neben ihm lag. Verwundert, wer um diese Uhrzeit noch schrieb, nahm er es in die Hand und klappte es auf. Die SMS war von einer unbekannten Nummer, aber Yosuke wusste sofort von wem sie stammte, was ihm direkt ein Lächeln ins Gesicht zauberte. >>>Hallo Yosuke. Ich hoffe, ich störe Dich nicht… ich wollte mich noch mal für deine Zeit heute bedanken und Dir auf diesem Weg auch gleich meine Nummer zukommen lassen. LG Momoko.<<< Er biss sich auf die Unterlippe, es wäre vielleicht besser gewesen nicht zu antworten, aber er konnte nicht anders. >>>Hi Momoko. Nein, du störst nicht, ich liege sowieso noch wach. Keine Ursache, so kam ich wenigstens mal wieder in den Genuss eines Crêpe. Bye Yosuke.<<< Er konnte das Handy nicht zuklappen, denn innerlich hoffte er, sie würde noch mal zurück schreiben. Zu seinem Glück wartete er nicht lange auf eine Antwort. >>>Hihi, ich liege auch noch wach. Das war heute ganz schön viel… tut mir noch mal leid mit deinem Hemd! Ich hoffe, es bleibt kein Fleck zurück. Ja, die Crêpes waren sehr lecker, ich hatte glaube, ich seit der Mittelschule keinen mehr. LG<<< Yosuke grinste breit. >>>So lange ohne Crêpe? Das passt ja gar nicht zu dir, Mondgesicht. Hattest du nicht immer schon eine Schwäche für Süßes? ;) Und was den Fleck betrifft, das war doch nur Salzwasser, das wäscht sich wieder raus.<<< Mit einem weiteren Vibrieren folgte sogleich die nächste SMS. >>>Stell mich nicht als Vielfraß dar, wer hat mir denn damals immer die Bentos, die eigentlich für Kazuya waren, stibitzt und selber gefuttert?! Und nur mal zur Info: Crêpes schmecken am besten in Gesellschaft. Gute Nacht!<<< Er konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen und tippte schnell seine Antwort. >>>Ich musste unseren Mannschaftskapitän doch vor einer möglichen Lebensmittelvergiftung bewahren. Aber sie waren immer unerwartet lecker *gg* Mit den Crêpes könntest du Recht haben… Lust auf eine Wiederholung?<<< Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, klatschte er sich mit flacher Hand vor die Stirn. Was tat er da schon wieder?! Wäre etwas Abstand nicht besser gewesen, oder hätte er nicht wenigstens darauf warten können, dass sie ihn anschrieb, wann sie sich mal wieder treffen könnten? Diesmal wartete Yosuke länger auf eine Antwort, fast befürchtete er schon, dass Momoko ihm nun sauer wegen seines Scherzes war und wurde deswegen unruhig, doch dann erlöste ihn sein Telefon oszillierend. >>>Ich muss morgen und Freitag nach der Schule arbeiten und Samstag bin ich von morgens an auf einer Hochzeit zum Fotografieren. Und Sonntag… na du weißt ja.<<< Oh ja, er wusste… Er zog seine Stirn in tiefe Falten bei dem Gedanken an ihr Date mit Takuro. Sein Herz raste aufgeregt, er wollte sie vorher noch ein Mal sehen und sich überzeugen, dass sie damit zurrecht kam und bereit war. >>>Es ist Hanami diese Woche, wir könnten es uns Donnerstag nach der Schule zusammen ansehen. Wenn es dunkel wird beleuchten sie in einem anderen Park sogar die blühenden Kirschbäume, das kannst du dir doch nicht entgehen lassen wollen?<<< Er hoffte inständig, dass das alljährliche Kirschblütenfest Grund genug für Momoko war, sich mit ihm zu treffen. Schließlich kannte er kein Mädchen, das dieses Fest mit all den Blüten, Jahrmärkten, Essensständen und der Musik nicht mochte! Die Antwort würde ihm nur sein brummendes Handy verraten. >>>Na gut. Ist 17 Uhr ok?<<< Yosuke wollte einen Luftsprung von seiner Matratze machen, als er die SMS las. >>>Passt perfekt :D Ich hole Dich dann von Zuhause ab, ok? Bye und gute Nacht!<<< >>>OK. Gute Nacht noch mal ;)<<< Er klappte sein Handy zu und legte es wieder auf seinen Platz zurück. Er war so aufgeregt wie ein kleiner Junge, der Weihnachten nicht erwarten konnte. Egal ob oder was zwischen ihm und Momoko war; er war überzeugt davon, dass es ein schöner und ausgelassener Nachmittag werden würde. Mit diesem angenehmen Gefühl ums Herz wollte er gerade einschlafen, als sein Telefon plötzlich noch mal vibrierte. Schmunzelnd nahm er es zur Hand. „Na, was hat sie wohl vergessen mir noch zu schreiben?“, murmelte er belustigt und klappte es auf. Das Lächeln in seinem Gesicht erstarb augenblicklich, denn die Nachricht war nicht von Momoko, sondern von Hiromi. >>>Liebster Yosuke, mein Schatz! Verzeih, dass ich mich so lange nicht bei Dir gemeldet habe, aber hier ist einiges passiert, was du gar nicht glauben wirst… aber das erzähle ich Dir alles, wenn ich wieder Zuhause bin! Ich komme Sonntag, also nimm dir da nichts vor, Yoyo-Maus *kiss kiss kiss* Deine Mimi.<<< Sein schlechtes Gewissen traf ihn wie ein Donnerschlag. Er war ein mieser Dreckskerl, statt sich um seine Beziehung zu sorgen oder an seiner Einstellung seiner Freundin gegenüber zu arbeiten, hatte er seine Auszeit genutzt um seinem Sport zu frönen und um sich Gedanken um eine andere zu machen, die er nicht mal haben konnte. Hiromi hingegen schien immer noch felsenfest an ihn und seine Liebe und Treue zu ihr zu glauben. Wütend warf er sein Handy in eine Ecke des Zimmers, wo es polternd landete. »So eine Scheiße… was soll ich nur tun?« Momoko rollte sich bis über beide Ohren strahlend in ihrem Bett auf die Seite. »Hanami mit Yosuke, das klingt fast wie ein Date!«, dachte sie heimlich. Sie gab es auf sich dagegen zu wehren, dass er sie einfach anzog. Da war etwas zwischen ihnen, sie wusste noch nicht was und es war vielleicht auch besser, das nicht weiter zu ergründen… aber in ihrem im Moment so vertracktem Leben, war der Gedanke daran, mit ihm Zeit zu verbringen, das einzig Tröstliche. Vielleicht war es Schicksal, dass sie sich ausgerechnet jetzt nach diesen zwei Jahren wiedergesehen hatten. Wenn schon nicht Yuri und Hinagiku für sie da waren, dann konnte es wenigstens Yosuke sein! Und ganz tief im Inneren hatte sie das Gefühl, dass er genau das war, was sie jetzt am allermeisten brauchte. Zum ersten Mal seit vielen Wochen und Monaten schlief Momoko mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht ein. Kapitel 15: White lies and other secrets ---------------------------------------- Ihre Schicht im Maid-Café war zu Ende; der Laden war geschlossen und sie und ihre Kolleginnen mussten nur noch aufräumen und ein wenig durchputzen, bevor sie sich alle in den Feierabend verabschieden konnten. Momoko, die ihr Haar heute zu zwei weit oben sitzenden Zöpfen hochgebunden hatte, wischte gerade heiter summend die Tische des Lokals ab und wechselte verschmutzte Tischdeckchen aus. „Hey Momoko-chan! Du warst ja heute so gut drauf! Ist was passiert?“ Sie drehte sich zu ihrer brünetten Kollegin um, die sich um die Blumen auf den Tischen kümmerte. „Nein, ich habe einfach gute Laune.“ „Gute Laune? Du hast heute so gestrahlt, dass die Sonne neidisch wurde!“ Die Rosahaarige winkte lässig ab und schüttelte energisch ihren Kopf. „Ach was, das bildest du dir ein!“, dementierte sie etwas verlegen. „Tatsächlich? Also mir ist es auch aufgefallen.“, klinkte sich jetzt auch ihre Chefin mit in das Gespräch ein. Prüfend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und musterte Momokos Miene sehr genau. „Läuft es zuhause besser?“, fragte sie. Ihre junge Angestellte schlug die Augen nieder, lächelte aber. „Ja, kann man so sagen.“, antwortete sie leise. „Aah lass mich raten, da spielt doch noch etwas anderes eine Rolle. Oder sollte ich besser sagen jemand anderes?“ Momoko errötete und schüttelte erneut den Kopf. „Nein! Ja… aber es ist nicht so, wie sie denken!“ Ihre Chefin merkte schnell, dass sie nicht in Gegenwart ihrer Kolleginnen weiterreden wollte. Mit einem entschiedenen Blick und Kopfrucken gab sie der brünetten Kellnerin zu verstehen, dass woanders noch genug Aufräumarbeiten auf sie warteten. Diese zog enttäuscht von dannen. „Dieser jemand muss dir ja wirklich gut tun, wenn du so ausgelassen sein kannst, obwohl du es in der letzten Zeit nicht wirklich leicht hattest.“, begann ihre Vorgesetzt wieder, als sämtliche Lauscher außer Hörweite waren. „Ja… ich konnte mich endlich mal so richtig aussprechen.“ „Dein Verlobter?“, hinterfragte die erwachsene Frau neugierig. Die junge Maid sah kurz nachdenklich weg und strich sich eine Strähne hinter ihr rechtes Ohr. „Nein… aber ein Freund.“ Die Schwarzhaarige sah erstaunt zu ihr hinunter. „Ach so? Ich bin fest davon ausgegangen, dass dein vergnügter Singsang und deine gute Stimmung nur von einer Verliebtheit herrühren kann…“ Momoko rutschte das Herz in die Hose, aufgeregt blinzelte sie ihr Gegenüber an. „Nicht doch! So ist das nicht! Wir sind nur Freunde!“, rechtfertigte sie sich aufgeregt. Um Himmels Willen! Sie und Yosuke verliebt? Sie kannten sich doch kaum, mal abgesehen davon, dass jeder von ihnen in einer festen Beziehung steckte und sie sowieso viel zu unterschiedlich waren! „Aber der junge Mann, der da draußen auf dich wartet, ist es nicht, oder?“ Die junge Frau folgte dem wegweisenden Daumen ihrer Chefin durch das Schaufenster hindurch, wo sie einen schicken, dunklen Wagen entdeckte, neben dem ein Mann in hellgrauer Anzughose und weinrotem Hemd stand. „Takuro!“, entfuhr es ihr verblüfft. „Dein Freund?“ „Mein Verlobter.“, berichtigte Momoko trocken. Ihre Vorgesetzte schaute immer wieder zwischen ihr und dem draußen offensichtlich wartenden Jungen hin und her. Die Schülerin wusste schon, warum sie dabei einen so irritierten Eindruck machte, denn in ihrer Miene war nichts mehr von der Ausgelassenheit, über die sie eben noch gesprochen hatten, zu erkennen. Nervös zog sich etwas in der Magengegend der Blauäugigen zusammen, als sie dem Blick ihres Verlobten begegnete. Er lächelte ihr zu, in der Erwartung, sie würde es erwidern. Langsam löste Momoko sich aus ihrer Schockstarre und rang sich ein überfordertes Lächeln ab. „Wusstest du nicht, dass er dich abholt?“, flüsterte ihr ihre Chefin zu, in der Gewissheit, dass Takuro sie durch das Glas nicht hören konnte. „Nein. Er wollte mich bestimmt überraschen.“, antwortete Momoko monoton. „So wie du schaust ist ihm das auch gelungen… alles in Ordnung mit dir?“ „Ja, aber darf ich vielleicht gleich gehen? Ich würde ihn ungern da draußen warten lassen…“ Sie hoffte man konnte ihrem Blick entnehmen, dass ihr weitere Fragen unangenehm waren und sie ungern unter seinen bewachenden Augen weiter arbeiten wollte. „Selbstverständlich, wir sind eh fast fertig. Geh und hol deine Sachen.“ Ihre Chefin schaute streng; Momoko war klar, dass sie ihr anmerkte, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht musste sie ihr das beim nächsten Mal erklären… Sie flitzte eilig nach hinten zur Umkleide, schnappte sich nur ihre Wechselsachen und ihre Handtasche und zog dann an den neugierig schauenden Maiden vorbei, die noch den letzten Rest an Arbeit erledigten. Die Tür des Cafés klingelte, als sie es verließ und in die kühle Frühlingsnacht trat. „Takuro! So eine Überraschung!“, rief sie ihm atemlos entgegen. „Aber Momoko, du hättest dich doch noch in Ruhe umziehen können.“, entgegnete er lachend, kam aber direkt auf sie zu und legte ihr sein Jackett um die nackten Schultern. „Ich wollte dich aber nicht unnötig warten lassen… wie komme ich denn zu der Ehre?“ Der Schwarzhaarige grinste verschwörerisch. „Nun, ich wollte dir mein neustes Vehikel vorstellen und es mit dir einweihen.“ Er zeigte dabei auf den dunklen Wagen, den sie bereits vorhin schon bemerkt hatte. „Ist das etwa deiner?! Du hast doch noch gar keinen Führerschein!“, stellte Momoko erschrocken fest. Takuro lachte und belächelte ihre Besorgnis. „Aber ich habe einen Fahrer. Der Wagen gehört offiziell meinen Eltern, aber er und der Chauffeur werden von meinen Verwandten in Amerika gestellt. Man schrieb mir, dass man mich damit motivieren will meinen Abschluss besonders gut zu machen, dann würde dieser Luxus später ein ganz normaler Teil meines Lebens sein. Kein Wunder, wenn man einen guten Job bekommt…“ Seiner weiblichen Begleitung behagte der Gedanke von dieser Art Luxus nicht wirklich. Sie fühlte sich unwohl in einer Welt, in der Derartiges normal war. Sie selbst kämpfte im Moment schließlich um jeden Yen an Trinkgeld, damit man ihr Zuhause nicht den Strom abstellte. „Das ist… beeindruckend.“, war alles, was sie dazu sagen konnte, ohne das er es in den falschen Hals bekam. „Na komm, steig ein. Es ist kühl und du bist nicht passend angezogen.“ Wie ein echter Gentleman hielt Takuro ihr die Tür zur Rückbank auf. Auf ihren kurzen Rock bedacht stieg sie vorsichtig rückwärts ein und fühlte sofort, wie sich weiches Leder an ihre Haut schmiegte. Der selbstsichere Brillenträger stieg von der anderen Seite ein und setzte sich direkt neben sie. Vorne saß wie angekündigt ein Mann in einem förmlichen Anzug und mit einer noch förmlicheren Mütze. Der Motor startete, Takuro musste dem Fahrer schon mitgeteilt haben, wohin er sie bringen sollte. „Danke, dass du mich abholst und nach Hause bringst.“, bedankte Momoko sich höflich und spielte dabei nervös am Stoff ihrer Schürze herum. „Keine Ursache, du bist doch schließlich meine Verlobte. Vielleicht komme ich dich jetzt regelmäßig abholen. Mir ist sowieso nicht ganz wohl dabei, dass du so spät abends allein diesen weiten Weg gehen musst.“ Er rutschte näher zu ihr heran und legte seinen rechten Arm lässig um sie herum. „Das musst du nicht! Es macht mir nichts aus!“, versicherte sie ihm aufgebracht und zugleich verlegen. Takuro grinste selbstgefällig, er genoss die Tatsache es aber jeder Zeit tun zu können, wenn ihm der Sinn danach stand. „Weißt du, Momoko… ich wollte dich zwar eigentlich erst Sonntag ausführen, aber es ist ja grad Hanami und die Bäume blühen ja nicht besonders lang… da habe ich mir gedacht, dass wir beide doch auch schon morgen nach dem Unterricht zusammen auf eines der Feste gehen könnten. Abends gibt es bei den Hängen immer ein romantisches Feuerwerk.“ Sie wurde schlagartig aschfahl; das konnte doch nicht wahr sein! „Mo- morgen?“, fragte sie mit schriller Stimme. Ihren Verlobten brachte ihre geschockte Reaktion ins Stutzen. „Was ist? Hältst du das für keine gute Idee? Stimmt irgendwas nicht?“ Momoko sah kurz aus dem dunkel getönten Fenster. Ihre Augen huschten aufgeregt hin und her ohne wirklich etwas zu fixieren. Ihr Mund fühlte sich rau und trocken an, sie konnte Takuro doch unmöglich erzählen, dass sie sich schon mit Yosuke für das Kirschblütenfest verabredet hatte! Er drückte ihre Schulter um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Was ist los?“ Sein Ton war ernst und sein Gesichtsausdruck finster. „Ich… ich bin nur so überrascht! Morgen schon… Hanami… weißt du, eigentlich passt mir das nicht wirklich…“ Angespannt zerknitterte sie den Rüschensaum ihrer Schürze, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und das auf sehr unangenehme Art und Weise. Die linke Hand ihres Sitznachbarn legte sich auf ihre. Momoko schluckte und hoffte, dass er das fürchterliche Zittern ihrer Finger nicht spüren würde. „Warum nicht? Du musst doch morgen nicht arbeiten.“ „Aber… ich habe so wenig Zeit für die Schule, ich muss zwischendurch auch mal lernen. Du weißt doch, ich bin nicht so ein Genie wie du.“, versuchte sie zu scherzen, doch es klang sehr unsicher. „Auf den einen Nachmittag kommt es doch aber nicht an. Nach all dem was hinter dir liegt hast du auch mal etwas Entspannung verdient.“, versuchte Takuro mit liebevoller Stimme auf sie einzureden. Die junge Frau kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. „Ich möchte aber nicht!“, sagte sie sehr entschieden. Ihr Verlobter wich vor ihrer barschen Antwort erschrocken zurück. „Aber Momoko… so kenne ich dich ja gar nicht…“ „Dräng mich nicht! Bitte… ich habe mich auf Sonntag eingestellt und freue mich auf dieses Date mit dir… deine spontane Einladung ehrt mich, aber ich möchte morgen für mich sein…“ Ihr Herz, das sich anfühlte als würde es ihr gleich aus der Brust springen, schlug verräterisch laut und heftig während sie sprach. Inständig hoffte sie, dass Takuro ihre Notlüge glauben und ihre Ausrede respektieren würde. Um nichts in der Welt wollte sie das Treffen mit Yosuke absagen, es war ihr Licht im Dunkel, wenn sie an den kommenden Sonntag dachte. Es war verdächtig still im Auto geworden, stoisch blickte Momoko aus dem Fenster und wartete voller Angst die Antwort ihres Verlobten ab. „Geht es dir zu schnell? Oder liegt es an der Sache mit deinem Vater? Ich versichere dir, dass es ihm gut geht und ich nur etwas Spaß morgen mit dir haben wollen würde…“ „Ta-kun…“, unterbrach sie ihn mit flehender Stimme und schaute mit scheuem Blick zu ihm auf. Jetzt konnte sie nur noch ihr Charme retten! Sie mochte unerfahren und etwas naiv sein, aber wie man einen Mann um den Finger wickelte wusste sie ganz genau, schließlich war sie bei ihrem Vater aufgewachsen. Gott sei Dank reagierte der blasse Japaner wie gewünscht; er errötete und blinzelte sie nervös an. Er mochte sich als noch so cool darstellen, er war letztendlich genau wie sie vorher noch nie in einer Beziehung gewesen. Wenn er wirklich in sie verliebt war, dann musste ihn das einfach aus der Fassung bringen! „Entschuldige, ich wollte dich nicht drängen. Wenn du morgen lieber zuhause bleiben möchtest, dann ist das selbstverständlich in Ordnung… Ich dachte ja nur…“ Ein gewaltiger Felsen fiel von Momokos Herz ab. Sie zwang sich zu einem glücklichen Lächeln und hauchte ihrem Gegenüber einen flüchtigen Kuss auf die Wange auf. Das musste ihm als Dankbarkeitsbeweis genügen. „Das war auch sehr lieb von dir, aber bis Sonntag ist es ja auch nicht mehr lang. Ich bin schon gespannt, was du für uns geplant hast.“, log sie ohne rot zu werden, sie war einfach viel zu erleichtert. Takuro, der nach ihrem Wangenkuss noch eine Rotnuance intensiver leuchtete, räusperte sich lautstark und zog nervös seine Krawatte straff. „Wir sind da.“ Tatsächlich parkte der Chauffeur gerade direkt vor Momokos Haus, selten war sie so froh darüber gewesen eine Autofahrt endlich hinter sich gebracht zu haben. „Na dann, Momolein… Ich melde mich bei dir wegen Sonntag, ja?“ Eilig öffnete die Rosahaarige ihre Tür und schlüpfte hinaus. Zum Abschied lugte sie noch mal ins Auto zu Takuro, der ihr sehnsüchtig hinterher blickte. „Na klar, mach das. Ich freue mich. Bis dann.“, verabschiedete sie sich und winkte ihm zu, als sie die Autotür wieder zuschlug. Der Motor brummte auf und schon wendete der Fahrer das schicke Vehikel, um anschließend in entgegengesetzter Richtung davon zu fahren. Momoko blickte zu den Sternen auf und seufzte laut. „Das hätte schief gehen können!“, schimpfte sie den Himmel aus, oder wer auch immer da oben für ihren Schlamassel verantwortlich war. Sie bemerkte erst, dass sie noch Takuros Jackett über den Schultern trug, als es ihr fast von selbigen herunter rutschte. »Das muss ich ihm dann am Sonntag noch zurück geben.« Sie betrachtete den grauen, leicht rauen Stoff. Er war kein schlechter Kerl und bemühte sich ehrlich um sie, selbst wenn er manchmal etwas besitzergreifend sein konnte. Warum nur sprang der Funke nicht über? Was konnte sie sich mehr wünschen, als das jemand gut zu ihr war und sie von Herzen liebte? Sie würde es herausfinden müssen. »Sonntag.«, hallte es in ihrem Kopf wider. Yosuke machte Liegestütze in seinem Wohnzimmer. Er schwitzte sein enges Achselhemd dabei voll, der Schweiß rann ihm auch durch das Haar bis in sein Gesicht, wo er sich an den Schläfen und der Nase sammelte und auf die Gummiunterlage unter ihm tropfte. Seine Muskeln in den Armen und am Bauch brannten wie verrückt; er hatte sich schon beim Fußballtraining am Nachmittag ordentlich verausgabt und seine Mitspieler ungerechter Weise getriezt bis zum Umfallen, aber er konnte nicht anders. Solange er noch Kraft, Energie und genug Freizeit hatte um nachzudenken, würde er das auch tun und dann nur noch grübeln bis ihm der Kopf platzte. Er wollte ja vieles, aber ganz bestimmt nicht noch eine schlaflose Nacht damit verbringen seine Situation zu analysieren. Er hatte seit zwei Jahren eine Freundin, sie war hübsch und unbestreitbar verrückt nach ihm. Er hatte ein ruhiges, stetiges, aber auch langweiliges und oft freudloses Leben mit ihr, obwohl es ihm eigentlich an nichts fehlte. Und dann war da Momoko… wie konnte er mit einfachen Worten beschrieben was sie für ihn war, oder was sie für einen Platz in seinem Leben einnahm? Sie war wie Wasser in der Dürre; wie das Leuchten der Sterne in der Nacht; wie das Salz in der Suppe. Vor allem aber war sie verlobt. Zähneknirschend warf sich Yosuke auf den Rücken und machte mit Sit-Ups weiter. Anscheinend waren seine Übungen noch nicht anstrengend genug, wenn er nebenbei doch noch den leidigen Dreh- und Angelpunkt seines Dilemmas auseinander nehmen konnte. Was würde sich denn ändern, wenn sie nicht verlobt wäre? Würde sich überhaupt etwas ändern? Er hatte Hiromi… aber war er mit ihr noch glücklich? Liebte er sie überhaupt? Hatte er das jemals getan? Ächzend brach sein Körper unter der Anstrengung zusammen. Alle Viere von sich gestreckt lag er triefend und schwer atmend auf seiner Matte und starrte ins grelle Licht seiner Deckenlampe. Er konnte Schluss machen und die Beziehung beenden, aber würde das etwas verändern? Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er zu voreilig, denn schließlich war das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, dass ihn das Mädchen mit den himmelblauen Augen körperlich reizte. An dieser Stelle musste er aufhören an sie zu denken, sonst würde er noch verrückt werden! Allein die Vorstellung, wie ihr Haar gerochen und ihr Atem auf seiner Haut gekribbelt hatte, brachte sein Blut in Wallungen. »Fast hätte ich sie einfach geküsst.« Sollte er stolz auf sich sein, dass er standhaft und treu geblieben war, oder sich einen Idioten schimpfen, dass er es nicht einfach hatte drauf ankommen lassen? Was interessierte ihn schon Takuro, oder seine Freundin, zu der er sich eigentlich schon lange nicht mehr richtig hingezogen fühlte? Das Feuer war aus, dafür flammte es anderswo umso mehr auf. Heiß und pulsierend und leider Gottes unterhalb seiner Gürtellinie. »Oh Gott, na toll…« Seufzend brachte er sich in die Senkrechte und stand umständlich auf, nur um dann resignierend duschen zu gehen. Kalt. Momoko, die frisch gebadet einen Pyjama bestehend aus einem kurzen, weißen Top und einer passenden, kurzen Shorts trug, kam in ihr Zimmer mit den beiden Fotos, die sie von Yosuke geschossen- und für sich zurückbehalten hatte. Sie trug lauter Lockenwickler im Haar, denn sie hatte nicht vor mit einer langweiligen Frisur zur dem Kirschblütenfest zu gehen. Selbst wenn sie dafür schon mit vorfrisierten Haaren in die Schule musste. Ihr erster Gang führte sie zu ihrem Radio, das sie leise anschaltete und im Hintergrund laufen ließ, während sie die zwei Bilder in einem ihrer Notizbücher versteckte, damit sie nicht geknickt wurden. Hüpfenden Schrittes bewegte sie sich auf ihren Kleiderschrank zu und öffnete ihn weit. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck ging sie Fach für Fach ab und überlegte fieberhaft, was sie für Hanami wohl anziehen könnte. Bis ihr Handy sie brummend unterbrach. >>>Bleibt es bei morgen? LG Y<<< Die junge Frau starrte verwundert auf das Display. Kam es ihr nur so vor, oder klang Yosukes SMS irgendwie komisch? So seltsam knapp und kühl. Eilig tippte sie ihre Antwort. >>>Hey Yosuke, alles ok? Natürlich bleibt es bei morgen. Ich suche gerade was Passendes zum Anziehen raus. Stimmt etwas nicht? LG M<<< Mit voller Absicht setzte sie denselben Gruß hinter ihren Text wie er zuvor. >>>Hätte ja sein können, dass du es dir anders überlegst… Es soll ziemlich warm werden morgen.<<< Schon wieder hatte Momoko das Gefühl, dass die Nachricht eine seltsame Stimmung vermittelte, aber sie versuchte aber noch entspannt zu bleiben. >>>Danke für die Info. Kann es sein, dass DU nicht mehr mit mir hingehen möchtest? Deine Texte klingen so lustlos und unterkühlt.<<< Sie setzte sich auf ihre Bettkante und wartete. Und wartete. Und wartete… „Blödmann! Antworte gefälligst!“, beschimpfte sie Yosuke imaginär durch das Telefon und schrieb ungeduldig eine zweite Nachricht hinterher. >>>Sei ruhig ehrlich. Takuro hat heute Abend auch angeboten, dass er mit mir hingeht. Du musst also nicht.<<< Es war total albern und kindisch ihn damit zu provozieren, aber aus irgendeinem Grund ärgerte sie sich enorm, dass der Torwart auf einmal so merkwürdig war. Sie wollte nicht mit Takuro zum Hanami und würde ihn auch bei einer Absage ganz bestimmt nicht deswegen anrufen, aber sie wollte, dass Yosuke wollte, dass sie nur mit ihm hinging. Endlich kam die erlösende SMS. >>>Möchtest du lieber mit deinem Verlobten hingehen?<<< „Waaas?! Das ist alles, was dir dazu einfällt???“, schrie sie das Handy an und warf es entrüstet auf ihr Kopfkissen. Wütend verschränkte sie die Arme und wippte unruhig auf der Bettkante vor und zurück. Auf einmal tat ihr alles weh, innerlich schnürte sie etwas ein und ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. „Idiot, Idiot, Idiot.“, schimpfte sie leise vor sich und ließ sich auf die Seite fallen, wo sie ihre angewinkelten Beine dicht an ihren Brustkorb zog und umklammerte. Sie hatte sich so auf den morgigen Nachmittag gefreut. Den ganzen Tag hatte sie deswegen gute Laune gehabt und das obwohl ihr Takuro gestern fast auf die Schliche gekommen wäre. Diese Heimlichtuerei hatte ihre Vorfreude nur noch mehr verstärkt, doch dann musste Yosuke ja anfangen ihr seltsame SMS zu schreiben. Ein ersticktes Seufzen dran aus ihrer Kehle. »Wehe, ich heul doch deswegen jetzt nicht los!«, mahnte sie sich selbst, hole tief Luft und riss sich zusammen. Trotzig drehte Momoko sich zu ihrem Mobiltelefon um und entschied ihrer Ex-Verabredung doch noch mal zu antworten, allerdings kam er ihr vibrierend zuvor. >>>Habe ich was Falsches gesagt?<<< Eine Träne rollte aus ihrem Auge und tropfte von ihrer Nasenspitze. >>>Idiot.<<<, schrieb sie nur zurück und schaltete danach ihr Handy aus. Sie richtete sich auf und fing an sich sämtliche Lockenwickler wieder aus den Haaren zu drehen. Wozu schließlich die Mühe? Momoko stand auf und wechselte zu ihrem Schreibtisch, auf dem ein ovaler Spiegel stand, damit sie besser sah was sie da tat. Es war gar nicht so einfach die kleinen Spiralen wieder aus ihrem lagen Haar zu entwirren. Letztendlich schaffte sie es aber nach einer gefühlten Ewigkeit doch und bürstete anschließend alles noch mal ordentlich durch. Ihr Haar floss trotzdem in weichen Wellen über ihre Schultern. Sie musterte ihr Gesicht im Spiegel, ihre blauen Augen begegneten ihr traurig und enttäuscht. Als sie aufstand um das Licht im Zimmer zu löschen und ihren Kleiderschrank wieder zu schließen, zuckte sie heftig zusammen. Etwas war scheppernd gegen ihr Fenster geknallt. Das Geräusch ertönte ein weiteres Mal, mit misstrauischem Blick schlich Momoko an die Scheibe und lugte durch die feinen Vorhänge hindurch, bis es erneut direkt vor ihrem Gesicht an das Glas knallte. »Steinchen?!« Ruckartig schob sie die Gardinen zur Seite und versuchte im Dunkel der Nacht draußen etwas zu erkennen, einzig eine einsame Laterne vor ihrem Haus spendete etwas gelbes Licht. Aus dem Schatten trat eine männliche Gestalt in den Lichtkegel und sah zu ihrem Fenster hinauf. „Yosuke!“, stellte Momoko erstaunt fest. Unsicher was sie erwartete, öffnete sie ihr Fenster weit und lehnte sich in den kühlen Nachwind hinaus. „Was tust du denn hier?“, rief sie ihm gerade laut genug zu, dass sie damit die Nachbarschaft nicht weckte. Bei näherer Betrachtung sah sie, dass er abgekämpft atmete; er war mit Sicherheit den ganzen Weg zu ihr gerannt, anders hätte er die Strecke in dieser kurzen Zeit nicht schaffen können. „Ich habe mir Sorgen gemacht! Du hast nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet und als ich dich anrufen wollte war dein Handy aus!“, antwortete er knurrend und schnaufend. Momokos Herz begann wieder wild wie ein kleiner Vogel zu flattern. Er war extra ihretwegen gekommen? Weil er sich um sie Sorgen gemacht hatte? „Deswegen kommst du mitten in der Nacht hier her gerannt?! Du bist doch verrückt!“, entgegnete sie verdattert, fühlte sich aber unglaublich geschmeichelt. »Ja, verrückt nach dir!«, wollte er ihr am liebsten antworten, doch das wäre ganz sicher nach hinten losgegangen. Wie sie dort oben stand, in einem Hauch weißen Stoffes und mit ihren offen Haaren, die sich in sinnlichen Wellen im Wind um ihre schmalen Schultern bewegten, wäre er am liebsten wie Romeo zu Julia die Hauswand zu ihrem Fenster hochgeklettert und hätte sie erobert. „Ich mag verrückt sein, aber ich bin es nicht, der dazu neigt irgendwelche Dummheiten anzustellen.“ „Ich stelle doch gar keine Dummheiten an!“, bemerkte sie entrüstet. „Das kann ich nicht wissen, schließlich bist du nicht ans Telefon gegangen.“, zog er sie auf. „Ich wollte nur meine Ruhe vor dir!“ Autsch, das hatte gesessen. Aber so wie sie seinen Blick erwiderte, meinte sie es nur halb so ernst, wie es geklungen hatte. „Dann entschuldige die Störung, ich gehe gleich wieder.“ „Mach das. Dann kann ich auch endlich schlafen und mir überlegen, wie ich meinen morgigen Nachmittag gestalte. Ich habe da nämlich viiieeel Freizeit.“ Yosuke lächelte sein schiefes Lächeln. Da versuchte das vorwitzige Mädchen tatsächlich ihn aus der Reserve zu locken. „Ist da so? Nun, ich habe gehört es wird Hanami in der Stadt gefeiert. Ist bestimmt schön mit all den Blüten, dem Feuerwerk und so…“ Momoko verschränkte die Arme und rollte gut sichtbar mit den Augen, schmunzelte aber. „Tja… eigentlich wollte ich da auch unbedingt hin… aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob meine Begleitung das auch noch möchte.“ Ihre blauen Augen, die in der Dunkelheit wieder wie dunkle Saphire wirkten, funkelten herausfordernd. Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin mir da sehr sicher.“, antwortete er mit endgültigem Tonfall und hielt den Blickkontakt. Da war er wieder; dieser durchbohrende, hypnotisierende Blick, der ihre Herzfrequenz erhöhte. Das war unmissverständlich als Ja zu deuten. Er wollte noch immer mit ihr zum Kirschblütenfest. Momokos Herz machte einen erfreuten Satz. „Und was war dann vorhin los mit dir? Was sollten diese komischen SMS?“ Er fuhr sich mit einer Hand fahrig durch sein anscheinend leicht klammes Haar und hielt sich dann am Nacken fest. „Ich weiß auch nicht… ich war einfach etwas schlecht drauf.“ „Was war denn?“, hinterfragte sie neugierig. Doch der braunhaarige Junge winkte nur müde ab. „Lass uns morgen darüber reden, ok? Ich völlig fertig…“ „Du hast dich heute wohl ganz schön verausgabt, was?“, entgegnete sie kichernd und erntete ein verlegendes Lächeln. „Du ahnst ja gar nicht wie sehr. Na dann, dann schlaf gut und entschuldige die Störung.“ Yosuke drehte sich zum Gehen um und winkte dabei lässig mit einer Hand in der Hosentasche. „Danke, dass du gekommen bist!“, rief Momoko ihm ins Dunkel hinterher. Er antwortete nicht, aber sie wusste, dass er sie noch gehört haben musste. Sie schloss das Fenster wieder, zog die Vorhänge zurück und sprang dann mit einem ausgelassenen Satz auf ihr federndes Bett, wo sie sich ihr Kopfkissen krallte und es fest umklammerte. „Er ist wirklich total verrückt!“, quietschte sie dumpf in den Bezug und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. Dort wo sich der beklemmende Knoten in ihrer Brust gelöst hatte, verbreitete sich jetzt eine Welle angenehmer Wärme bis in die äußersten Enden ihres Körpers. Dieses Gefühl von Glück, dass sie da flutete, hatte sie in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Es war wie eine Droge, ein Höhenflug von dem sie gar nicht mehr runterkommen wollte. Wenn es nur Yosuke war, der ihr dieses Gefühl verschaffen konnte, dann musste sie einen Weg finden ihn trotz der bevorstehenden Ehe mit Takuro in ihr Leben zu integrieren. Aber wie sie das anstellen sollte, würde sie sich ein anderes Mal überlegen, denn nach all der Aufregung war es vor allem Müdigkeit, die sie beschäftigte. Kapitel 16: Hanami (Part I) --------------------------- „Boah Papa! Ich will den Laden nicht schon wieder alleine hüten! Ich hab’ da ja mal so was von keinen Bock drauf!“, beschwerte sich das grünhaarige Mädchen lautstark. „Bitte Hinagiku, ich muss nur eine Bestellung ausliefern, danach bin ich doch wieder da. Du bist doch mein bester Ersatzmann!“, beschwor ihr Vater sie, der gerade seinen Lieferwagen fertig belud. „Tse… na schön… aber beeil dich, ich bin nachher noch mit Yuri verabredet!“ „Ja, ja! Ich bin so schnell wie ich kann!“ Ihr Vater stieg ins Auto und lies den Motor heulend an. Hinagiku, die ihre Hände in ihre Hüfte gestemmt hatte, rollte genervt mit den Augen und drehte sich zum Laden um. „Was würden meine Eltern nur ohne mich machen…“, grummelte sie in sich hinein, als sie sich hinter ihren kleinen Tresen setzte und ihr Kinn gelangweilt auf ihre Hände bettete. Die Glocke der Ladentür ertönte und Kundschaft trat ein, die der der Braunäugigen die Gesichtszüge entgleiten ließ. „Donnerwetter! Yosuke?!“ Der junge Mann bemerkte sie ebenfalls überrascht, aber bei weitem nicht so staunend wie sie ihn. „Oh, hallo Hinagiku. Arbeitest du jetzt öfter hier?“ Sie verzog ihr Gesicht zu einer ungläubigen Miene. „Seh’ ich so aus, als würde ich hier freiwillig stehen? Mein Vater hat mich mal wieder zum Aufpassen abgestellt… aber sag mal, du siehst ja so schnieke aus! Hast du was Besonderes vor? Willst du zum Hanami?“ Bewundernd deutete sie auf seinen traditionellen Yukata in weiß mit großen dunkelblauen, diagonal verlaufenden Streifen am Saum. Er trug sogar einen passend blauen Haori darüber. Yosuke war ihr Starren etwas peinlich. „Kann man so sagen. Und zum Kirschblütenfest kann man das doch tragen, oder nicht?“, entgegnete er unsicher. „Sicher, ist nur total ungewohnt dich Sportskanone mal im traditionalen Look zu sehen, anstatt mit Fußballtrikot. Steht dir aber!“ Überzeugt von dem was sie sagte, grinste Hinagiku ihn an. „Dann bin ich ja beruhigt…“ „Und mit wem gehst’e hin?“, hakte die quirlige junge Frau neugierig über ihren Tresen gebeugt nach. „Doch bestimmt mit deiner Freundin Hiromi, oder?“, setzte sie abschätzig hinzu und schüttelte einen gespielten Schauer ab. „Ähm… nein. Aber ich hab es eilig, kann ich schnell eine Blume kaufen und dann wieder gehen?“, versuchte er sie etwas gehetzt abzuwimmeln. „Nicht mit Hiromi?“, wollte sie sich überrascht vergewissern. Ihr Kunde warf ihr einen grimmigen Blick zu. Sie erhob entschuldigend ihre Hände. „Schon gut, schon gut… ich frag ja schon nicht mehr. Was suchst du denn für eine Blume?“ „Ich weiß nicht genau… habt ihr vielleicht Zweige von blühenden Obstbäumen, oder so?“ „Von Obstbäumen? Sind dir die Kirschblüten draußen nicht genug? Ich dachte, du gehst zum Hanami?“ Wieder schaute Yosuke finster. „Ich hab ja nur gefragt! Junge, Junge… was willst du denn genau?“ „Vielleicht einen Zweig vom Pfirsichbaum.“, erklärte er leise. „Pfirsichbaum!“, wiederholte Hinagiku und starrte ihn dabei unverhohlen aus tellergroßen Augen an. Der Braunhaarige fühlte sich unter ihrem Blick irgendwie ertappt und begann sich nervös am Hinterkopf zu kratzen. „Was denn? Hast du das da, oder nicht?“ Seine vermeintliche Verkäuferin verengte ihre großen Augen zu Schlitzen und durchbohrte ihn mit weiteren, prüfenden Blicken. Leider konnte man Menschen nur bis vor den Kopf gucken. „Sorry, da muss ich dich enttäuschen. Pfirsich blüht schon im März, du bist ’nen guten Monat zu spät dran.“ „Ach Mist… dann brauche ich wohl nichts, danke für deine Zeit.“ Yosuke wollte sich schon enttäuscht umdrehen, als Hinagiku hinter ihrem Pult hervor sprang. „Moment! Ich kann zwar nicht mit einem echten Zweig dienen, aber wir haben große, künstliche Blüten mit Lederbändern da. Wir nehmen sie eigentlich um Sträuße damit zusammen zu binden oder Gestecke aufzupeppen…“, eilig lief sie nach hinten ins Lager und kam schon nach wenigen Augenblicken zurück. Sie hielt dem Torwart eine etwa handtellergroße Pfirsichblüte hin, die wie beschrieben auf einem schwarzen Lederband saß. Yosukes Augen begannen zu leuchten. „Das ist sogar besser als ein Zweig! Was bekommst du dafür?“ „Ach lass mal stecken, bei uns ist das nur Dekozeugs. Die eine kannst du so haben.“ Ein gönnerhaftes Grinsen zierte ihr schmales Gesicht. Ihr Kunde schien äußerst zufrieden. „Aber mal ehrlich, mit wem gehst du hin? Hab ich was nicht mitgekriegt?“ So einfach machte Yosuke ihr das nicht, er zwinkerte ihr nur vielsagend zu und drehte sich dann lächelnd weg. „Wir sehen uns bestimmt noch mal wieder, bis dann Hinagiku und grüß Yuri von mir!“, rief er ihr noch im Türrahmen zu und verschwand dann winkend. Die Tür war kaum zugefallen, als die grünhaarige junge Frau zurück zu ihrem Tresen stürmte und sich bald überschlug bei dem Versuch, ihr Handy unter einer Ablage hervor zu fischen. Sie rutschte unruhig bäuchlings auf ihrem Bürostuhl hin und her, während sie die richtige Nummer aus ihrem digitalen Telefonbuch heraussuchte und anwählte. „Tanima, hallo?“, ertönte eine feine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Yuri! Du glaubst nicht wer grad bei mir im Laden war!“, fiel Hinagiku direkt mit der Tür ins Haus. „Hinagiku! Schrei doch nicht so! Wieso bist du überhaupt im Blumenladen, solltest du dich nicht fertig machen? Du wolltest doch vorbei kommen.“ „Jaja klar, ich muss nur kurz für meinen Dad einspringen. Yosuke war eben hier!“, erzählte sie sprudelnd weiter. Yuri wurde hellhörig. „Yosuke? Etwa unser Yosuke?“ „Na kennst du einen anderen?!“ „Das war rhetorisch… was wollte er denn?“ „Er kam hier in ’nem echt schicken Yukata reingeschneit und wollte Pfirsichbaumzweige haben!“ „In einem Yukata? Will er vielleicht auf das Kirschblütenfest gehen? Warm genug ist es ja… Aber was will er denn mit Pfirsichzweigen? Blühen die überhaupt jetzt?“ „Yuri, hörst du mir eigentlich richtig zu? Klar will er zum Hanami, aber das ist nicht der Knackpunkt… er geht nicht allein! Und auch nicht mit Hiromi! Und nein, Pfirsich blüht schon nicht mehr… er hat stattdessen eine künstliche Blüte mitgenommen.“ „Oh! Willst du andeuten, dass er mit einem anderen Mädchen dorthin geht?“ „Was für Beweise brauchst du denn noch? Na logisch!“ „Nun, das wundert mich nicht. Wer Hiromi zur Freundin hat, braucht keine Feindin mehr.“ „Du sagst es! Aber wer ist wohl die Rivalin?“ „Keine Ahnung. Wahrscheinlich jemand aus seiner Schule, er ist bestimmt immer noch total beliebt bei den Mädchen. Er ist jedenfalls nicht hässlicher geworden in den letzten zwei Jahren.“ Die Freundinnen seufzten zeitgleich. „Ich musste bei der Pfirsichblüte unwillkürlich an Momoko denken… Was sie wohl so treibt, ohne uns? Ich vermisse sie ganz schön.“, begann Hinagiku ein neues Gesprächsthema. „Ich weiß was du meinst. Vielleicht sollten wir nicht mehr sauer auf sie sein, es war doch offensichtlich, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Die Fotos hat sie mir ja schließlich auch zugeschickt, obwohl wir uns nicht mehr seitdem gesprochen haben..“ „Ja, vielleicht. Diese ganze Takuro-Sache geht mir auch einfach nicht in den Schädel. Der Typ blockiert mich total, der spinnt doch völlig! Er hält sich wohl für was Besseres, seit er aus dem Ausland wieder zurück gekommen ist.“ „Takuro ist mir ehrlich gesagt egal, ich möchte aber mal wieder mit Momoko sprechen. Wir sind doch schließlich immer beste Freundinnen gewesen.“ „Hmh, ja… das will ich auch.“ „Ich weiß durch Zufall wo sie nach der Schule arbeitet, wir könnten sie morgen dort besuchen.“ „Das ist eine gute Idee!“ „Gut. Dann hoffe ich jetzt mal, dass du bald rumkommen kannst. Bis dann, Hinagiku.“ „Bye, Yuri!“, verabschiedete sich die Braunäugige und legte auf. Momoko tänzelte gut gelaunt zu einem fröhlichen Song aus dem Radio durch ihr Zimmer. Die Sonne schien wie von Yosuke angekündigt warm vom Himmel herab und ermöglichte es, dass man sich bequem und beinahe luftig kleiden konnte. Noch einmal prüfte sie vor ihrem kleinen Spiegel, ob ihre Hochsteckfrisur auch richtig saß. Es hatte sie viel Mühe gekostet ihr volles Haar so einzudrehen und festzustecken, dass alles fest saß ohne steif zu wirken. Ihre Haarspitzen waren gewellt, beinahe lockig und verdeckten die unzähligen Spangen und Klammern, die es gebraucht hatte um das Kunstwerk zu befestigen, bis zu ihrem Nacken. Auch bei ihren Ohren hingen ein paar freche Strähnchen heraus. Die hübsche junge Frau im Spiegel gönnte sich noch etwas Wimperntusche und dezenten Lipgloss. Mehr als zufrieden wirbelte sie um ihre eigene Achse, sodass der hellblaue Stoff, in dem sie steckte, sich leicht wie eine Calla öffnete und mitschwang. »Hoffentlich sehe ich nicht albern oder overdressed aus.« In diesem Moment läutete es. „Oha, ich bin noch nicht fertig!“, quietschte sie gehetzt schaltete sie das Radio aus und eilte dann mit notgedrungen kleinen Schritten nach unten und dort vorerst direkt in die Küche, anstatt zur Tür. Momoko breitete einen traditionellen Stoffbeutel aus, in dem sie zwei kleine, reich gefüllte Bento-Boxen aus Wegwerf-Aluminium, sowie eine kleine Geldbörse verschwinden ließ und ihn danach mit dem Zugband fest verschloss. Es klingelte nochmals. „MOMENT!“, rief sie laut in Richtung Tür und hoffte, man würde sie bis draußen hören können. Noch gestresster als ohnehin, flitzte sie über den glatten Holzfußboden bis zu der Stufe im Flur, wo ihre Schuhe standen. Mit etwas Mühe schlüpfte sie in ihre flachen, abgerundeten Geta und öffnete schließlich aufgeregt die Haustür. „Na endlich, ich dachte schon du… kommst… nicht… mehr…“, begrüßte sie Yosuke, der mitten im Satz ins Stottern geriet. Sie wusste auch sofort warum, denn anscheinend waren sie beide auf dieselbe Idee gekommen, was ihren Kleidungsstil betraf. Anerkennend staunte Momoko über den Yukata, in dem der hochgewachsene Dunkelhaarige steckte. Er sah in dieser traditionellen Kleidung unwahrscheinlich gut und noch um einiges reifer und älter aus, als er war. Seine breiten Schultern und die athletische Figur kamen darin vorteilhaft zur Geltung; er war ein Bild von einem Mann, was sie sich nur ungern eingestand. Yosuke blieben die Worte im Hals stecken, als die Rosahaarige gehetzt aus ihrer Tür stolperte. Konnte es wirklich möglich sein, dass es der Zufall so wollte, dass sie beide dasselbe Gewand für das Hanami gewählt hatten? Blau wie der Frühlingshimmel erstrahlte der Yukata den sie trug. Ein filigraner Kirschblütenzweig mit dezent rosafarbenen und weißen Blüten zierte den leichten Stoff unterhalb des Obi. Ein paar vereinzelte Blüten schmückten außerdem ihre rechte Schulter. Der Obi selbst war cremefarben mit aufgestickten, großen Blüten in verschiedenen Rosanuancen. Momoko, die ihr Haar dazu locker hochgesteckt trug, sah darin aus wie eine japanische Märchenprinzessin aus einem Kinderbuch. Yosuke wusste nicht, wie er darauf kam, aber in seinen Augen strahlte sie selbst wie eine wunderschöne junge Blume, die gerade dabei war zu erblühen. Verräterische Röte schlich sich auf seine Wangen. „Hi.“, flüsterte das junge Mädchen schüchtern und lächelte ihn umwerfend an. „Hi, du siehst toll aus… Wir hatten wohl denselben Gedanken?“, gab er nicht weniger verlegen zurück. „Das Kompliment muss ich neidvoll zurück geben. Du im Yukata, das hätte ich mir nie so fabelhaft vorgestellt.“, neckte sie ihn. „Fabelhaft? Seit wann denn so förmlich?“, grinste er. Sie kicherte leise hinter vorgehaltener Hand. „Ich weiß auch nicht, aber im Yukata fühlt man sich doch irgendwie gleich viel schicker und niveauvoller, oder? Vielleicht liegt es daran.“ „Kleider machen also doch Leute, nicht wahr?“ Momoko nickte zustimmend. Sie kam ihm ein paar Schritte entgegen und musterte ihn dabei noch mal eingehend von Kopf bis Fuß. Er bekam davon eine Gänsehaut – ob er auf sie genauso wirkte, wie sie auf ihn? „Meinst du, ein Haori ist wirklich nötig bei der Wärme?“ Reflexartig hob er seine Arme und betrachtete den dunkelblauen Stoff seiner traditionellen Jacke. „Vielleicht nicht, aber ich fühle mich wohler mit einem.“ Er schenkte ihr ein selbstsicheres Lächeln, was sie dazu brachte sie Augen nieder zu schlagen. Yosuke war sich sicher, dass sie genauso nervös wegen dieses unerwarteten Zufalls war wie er. Das war irgendwie erleichternd. „Dann lass uns mal gehen, bis zu den Hängen ist es ein ganz schöner Marsch. Wir sollten deswegen den Bus nehmen, sonst haben wir nicht mehr genug Zeit uns auf dem Fest zwischen den Ständen umzusehen.“ „Ok, ich verlasse mich auf deine Führung.“, scherzte sie und lief vor. Als er ihr hinterher sah, fiel sein Blick noch mal auf ihre lockige Hochsteckfrisur, wobei ihm wieder einfiel, dass er ja noch etwas für Momoko hatte. „Warte mal bitte kurz.“ Verwundert drehte sich die junge Frau zu ihm um, als er zu ihr aufschloss und etwas aus seiner versteckten Brusttasche zog. Yosuke hielt ihr schließlich eine große, hellrosa Pfirsichblüte hin. Aufgrund der Größe war Momoko sofort klar, dass sie künstlich sein musste, aber sie war täuschend echt nachgebildet. Ein schwarzes Lederband hielt sie fest. „Ich fand, dass sie zu dir passen würde.“, erklärte der Sportler ruhig und starrte dabei unablässig auf die Blüte um seine Unsicherheit zu verbergen. „Die ist für mich? Aber wieso?“ Mit großen Augen sah sie abwechselnd ihn und dann das Kleinod in seiner Hand an. Wieso sollte er ihr ein Geschenk machen? „Denk nicht zu viel darüber nach, denn ich habe kein Geld für sie ausgegeben. Es sollte nur eine kleine Aufmerksamkeit anlässlich des Hanami sein.“, erklärte Yosuke, der ihr die Frage an der Nasenspitze ablesen konnte. „Sie ist hübsch.“, bemerkte Momoko anerkennend und streichelte mit ihren Fingern leicht über die feinen Blätter. „Darf ich sie dir ins Haar binden? Ich denke, da würde sie gut hinpassen.“ Zunächst etwas unschlüssig, drehte sie sich dann doch mit dem Rücken zu ihm um und ließ ihm freie Hand. Sie spürte seinen Körper in ihrem Rücken und bekam unbewusst eine Gänsehaut. Yosuke wickelte derweil das Lederband sorgfältig um den Hauptknoten ihrer Frisur. Die Blüte saß schließlich genau oben in der Mitte ihrer Haarpracht und rundete das Gesamtbild von ihr im Blütenyukata ab. „Wusste ich es doch, ein schönes Accessoire!“, kommentierte er es bewundernd. „Zu dumm, ich habe keinen Spiegel dabei.“, bedauerte es die Blauäugige, die nur durch Ertasten erahnen konnte, wie sie wohl aussah. „Das macht nichts, wir bekommen auf dem Fest bestimmt die Möglichkeit ein Foto machen zu lassen. Momoko schluckte unwillkürlich und sah etwas wehmütig nach unten auf ihre Füße. „Aber ich… ich habe nicht viel Geld dabei.“, gestand sie peinlich berührt. Yosukes Blick wurde weich und mitfühlend, er wusste natürlich, dass Momoko nicht viel Geld hatte, das sie ausgeben konnte. „Pfirsichtörtchen… Ich habe dich eingeladen, also mach dir darum heute bitte keine Gedanken, ok?“ Sie sah erschrocken hoch. „Das geht doch nicht! Du kannst mich doch nicht den ganzen Tag lang einladen!“ War das sein Ernst? Das konnte er doch nicht machen, schließlich musste bestimmt auch ein Schüler wie er sehen wo er blieb. So lieb das auch war, das konnte sie doch nicht einfach so annehmen, schließlich war sie nicht mal seine feste Freundin! Doch er grinste nur schief bei ihrem entsetzten Gesichtsausdruck. „Doch, heute geht das schon mal. Und im Gegensatz zu gewissen anderen erwarte ich dafür auch keine Gegenleistung.“ Er zwinkerte ihr frech zu und nahm sie einfach so bei der Hand und zog sie mit sich in Richtung Bushaltestelle. Widerstand war zwecklos. Die ersten Schritte, die sie ihm unbeholfen und sprachlos auf ihren Getas hinterher stolperte, verbrachte sie damit sich einfach nur über diesen Jungen zu wundern, der sie einfach immer wieder mit neuen Seiten und Launen von sich überraschte. Das Fest, das sie besuchten, lag am Fuße von großen, durch Menschenhand kultivierten Hügeln. Schon von weitem konnte man die rosa und weiße Blütenpracht leuchten sehen, denn gerade die unteren Hänge waren voll mit den berühmten Sakura-Bäumen. Ihr süßlicher Duft schwängerte die warme Frühlingsluft. Es mussten abertausende von Bäumen sein, denn es erschein aus der Ferne wie ein einziges Meer aus Blüten. „Das ist so wunderschön…“, schwärmte Momoko inbrünstig, als sie sich der Mauer um die Hügel herum näherten. Ihre blauen Augen leuchteten regelrecht bei dem Anblick, der sich ihr bot. Mit Herzklopfen betrachtete Yosuke sowohl die atemberaubende Aussicht, als auch seine bildhübsche Begleitung. „Wirklich schön.“, stimmte er ihr zu, doch nur er hörte die Doppeldeutigkeit seiner Worte heraus. Die Mauer nahm endlich ein Ende, Musik auf Stimmengewirr drang zu ihnen heran, als sie um die Ecke bogen und die vielen Stände mit Essen und Spielangeboten zu Gesicht bekamen. „Hier ist ganz schön was los.“, bemerkte der Braunhaarige und fasste sich etwas überfordert an den Hinterkopf, als er all die vielen Menschen sah, die an diesem Nachmittag dieselbe Idee gehabt hatten wie er und Momoko. „Ist das ein Wunder bei dem guten Wetter?“ Seine Begleitung ließ sich deutlich weniger von den Menschenmassen beeindrucken als er, dafür verriet ihr Kauen auf ihrer Unterlippe, dass sie sich am liebsten sofort übermütig ins Getümmel werfen würde. Yosuke musste darüber schmunzeln. „Was wollen wir denn als erstes machen? Hast du einen speziellen Wunsch?“ Wie erwartet sah sie aufgeregt wie ein kleines Kind zu ihm auf, Feuer und Flamme für das nächstbeste Vergnügen. „Um ehrlich zu sein, es gibt so vieles das ich gerne machen würde, aber… lass uns doch einfach schauen was uns so begegnet, ok? Ganz spontan.“ Nichts täte er lieber. An den ersten Ständen, an denen sie vorüber liefen, verkaufte man allerlei Kleinkram und Schnickschnack; Souvenirs eben. Dort gab es viel Ausgefallenes zum Anschauen und Bestaunen, aber nicht wirklich etwas, das man sich unbedingt zuhause aufstellen musste. Dafür gab es viele Touristen und kleine Kinder, die sich für die dargebotenen Sachen mehr begeistern konnten als sie. An diesem Tag trugen sehr viele Japaner ihre Yukata, weswegen der Fußballspieler und die Hobby-Fotografin in ihren Gewändern kaum noch auffielen. Unter anderem diese Tatsache und der gleißende Sonnenschein führten dazu, dass sie sich sehr wohl in ihrer Haut fühlten. Es war einfach ein herrlicher Tag um ausgelassen zu sein und Spaß zu haben. Selbst das schlichte, friedliche nebeneinander her Spazieren fühlte sich richtig und vor allem gut an. Stillschweigend ihre Umgebung beobachtend, zogen sie ihren Weg weiter durch das muntere Getümmel. „Weißt du, was mir auffällt?“, unterbrach Momoko schließlich ihr Schweigen. „Obwohl wir gemeinsam in eine Schule gegangen sind und wir uns jetzt nach einigen Hürden auch angefreundet haben, weiß ich im Prinzip doch nur ziemlich wenig über dich.“ Ihre blauen Augen schauten zu ihm auf, er blinzelte nachdenklich. Ganz unrecht hatte sie nicht, denn ihm ging es ebenso mit ihr. „Hm, ja das stimmt. Wir haben viel Zeit vergeudet bevor wir festgestellt haben, dass wir wohl doch befreundet sein können.“ Sie gab ihm augenrollend einen kleinen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste dabei kühn. „Tja, du hast mich ja lieber dauernd geärgert anstatt mich kennenzulernen.“ Yosuke gab sich schwer verwundet und strauchelte übertrieben; Momoko konnte nicht anders als über dieses Theater zu lachen. Es war ein fröhliches und lustiges Lachen, nur zu gern ließ er sich davon anstecken. „Und was möchtest du dagegen unternehmen?“, fragte er sie anschließend, immer noch nach Luft schnappend und sich den schmerzenden Bauch haltend. Die Rosahaarige, die sich ebenfalls die Magengegend nach ihrem kleinen Lachanfall hielt, überlegte nicht lange. „Ich dachte an ein Frage- und Antwort Spiel. Einer fragt, der andere antwortet.“ „Ah, so wie Wahrheit oder Pflicht, nur ohne Pflicht.“. Momoko kicherte erneut. „Ja, so in etwa.“ Ihr Begleiter straffte sich und setzte eine sachliche Miene auf, die sofort wieder bröckelte, als die junge Frau bei ihrem Anblick sich wiederholt unter Anstrengung ein Grinsen verkneifen musste. „Na schön. Leg los. Frag mich etwas.“ Zielstrebig traten sie etwas aus der Menge heraus auf die riesige Wiese, auf der nur vereinzelte Kirschbäume standen, unter denen viele Grüppchen saßen und picknickten. Unter einem von ihnen machte Momoko ein noch freies Plätzchen aus, das sie ins Visier nahm und ansteuerte. „Na schön… was ist zum Beispiel dein Lieblingsessen?“ „Gefüllte Reisbällchen.“, antwortete Yosuke knapp. „Wirklich?“, hinterfragte sie ungläubig, lächelte aber hocherfreut und mit einem gewissen Funkeln in den Augen, was den Torwart etwas irritierte. „Ja, wirklich… und deines?“ „Ich esse ja vieles gern, aber am liebsten mag ich Eis!“ Der Dunkelhaarige prustete kurz laut los. „Das passt zu dir!“, entgegnete er höchst amüsiert. Sie schmollte verlegen und mit aufgeplusterten Wangen. „Lach gefälligst nicht! Reisbällchen sind schließlich auch nichts Ausgefallenes!“, knurrte sie ihn beleidigt an. Ihre Reaktion wirkte auf den jungen Mann einfach nur noch süßer. „Ok, weiter geht’s… deine Lieblingsfarbe?“ Sie erreichten den freistehenden Baum und setzten sich vorsichtig in das Gras auf dessen Schattenseite. Der Wind wirbelte einzelne Blütenblätter aus der Baumkrone, die wie zarte Schneeflocken auf sie hernieder rieselten. Yosuke wünschte sich, er könnte diese Bilder, die er vor sich sah - von der Märchenprinzessin im Blütenregen - irgendwie festhalten. Eine Fotokamera wäre jetzt wirklich praktisch gewesen. „Ich warte?“, erinnerte Momoko ihn an ihre Frage. Er sah sie an und suchte nach einer Antwort. Verwirrt fand er aber auf Anhieb keine, denn zu viele Gedanken spielten in seinem Kopf mal wieder verrückt. »Rosa wie dein Haar oder Blau wie deine Augen…«, wollte er antworten, konnte es aber nicht. Er sah schlug die Augen nieder und betrachtete die Wiese, auf der sie saßen. „Grün?“, antwortete er spontan. „War das eine Frage, oder eine Antwort?“, hakte sie verwirrt über seine irreführende Betonung nach. „Grün, ich mag Grün.“, bestätigte er nochmals und räusperte sich lautstark. »Bleib bei der Sache, Fuma!«, mahnte er sich im Geiste. „Gut. Bevor du fragst – ich mag Pink. Was interessiert mich noch… ah ja, genau! Hast du noch andere Hobbies außer Fußball?“ Yosuke überlegte einen Moment angestrengt. „Na ja, ich habe früher mal Gitarre gespielt.“, antwortete er schließlich. „Gitarre? Du spielst ein Instrument? Warum wusste man in der Schule damals davon nichts?“ „Weil ich mich irgendwann voll und ganz auf Fußball konzentriert habe, ich hatte für anderes keine Zeit mehr.“ Momoko seufzte bedauernd. „Schade, ich hätte dich gern mal spielen gehört.“ Kaum war der Satz ausgesprochen, bemerkte sie auch schon wie er geklungen hatte und errötete. Verlegen sah sie in ihren Schoß, wo ihr Stoffbeutel ruhte. Yosuke selbst war auch etwas verlegen, fühlte sich aber mehr geschmeichelt. „Vielleicht irgendwann mal.“, zog er schmunzelnd in Erwägung. „Und du? Gibt es noch was anderes neben der Fotografie für dich?“ „Nein, eigentlich nicht. In der Mittelschule waren Yuri, Hinagiku und ich oft in Karaokebars und haben uns einen Spaß daraus gemacht ein paar Songs einzustudieren, aber als Hobby würde ich das nicht bezeichnen.“ „Stimmt, wie euer Auftritt auf dem Klassentreffen.“, erinnerte sich der Torwart. Leider kamen bei der Erinnerung daran auch wieder die unschönen Szenen in ihren Köpfen zu Tage. Bedrückt tauschten sie einen flüchtigen Blick aus. „Was ist eigentlich mit dir? Du und Hiromi, ihr lebt doch zusammen, oder? Was ist mit deinen Eltern, beziehungsweise wie finanziert ihr euer Zusammenleben?“ Die Frage war unerwartet wie verwirrend, doch Yosuke bemühte sich sie wahrheitsgemäß zu beantworten. „Also ich habe nur noch meine Mutter. Sie hat eine gut bezahlte Stelle in einer anderen Statt gefunden, wo ihr eine Wohnung gestellt wird. Weil ich hier zur Schule gehe und volljährig bin, hat sie mir unsere alte Wohnung überlassen und schickt mir jeden Monat Geld zum Leben. Wir sehen uns häufig wenn sie Urlaub hat. Hiromi hat Verwandte die etwas ländlicher leben, sie unterstützen sie ebenfalls finanziell. So kommen wir über die Runden.“ „Du bist also Halbwaise?“ Das war das Einzige, was Momoko interessierte, da sich der Rest einleuchtend und logisch anhörte. „Das sind jetzt aber schon zwei Fragen hintereinander gewesen.“, zog der Braunäugige sie auf, was sie sofort wieder erröten ließ. „Entschuldige, du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“, entgegnete sie leise. Er, der seinen Einwand eigentlich nicht ernst gemeint hatte, legte eine Hand auf ihre. Sie beide spürten die Elektrizität, die in dieser simplen Berührung lag. „So war das nicht gemeint. Und nein, ich bin keine Halbwaise. Mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht als ich noch ganz klein war. Ich kenne ihn nicht und habe auch kein Bild von ihm. Ist wohl auch besser so.“ Die Schülerin war sich nicht sicher, ob sie sich jetzt besser fühlen sollte als vorher, schließlich war diese Antwort kein bisschen besser als die, die sie geschlussfolgert hatte. „Meine Mutter ist auch gegangen, als ich gerade mal 3 war… ich erinnere mich auch nicht mehr an sie.“, erzählte sie von sch aus in der Hoffnung, dass ihre ähnliche Geschichte vielleicht ein Trost für ihn war. Sie tauschten verstehende, mitfühlende Blicke aus. „Lass uns das Spiel unterbrechen, ich bekomme langsam Hunger.“ Yosuke wollte schon aufstehen, als Momoko ihn abhaltend an seinem Haori wieder zu sich herunter zog. „Ich habe Zuhause etwas vorbereitet, wir müssen uns jetzt nichts kaufen.“ Stolz präsentierte sie ihren gut gefüllten Beutel und löste die Kordel; zum Vorschein kamen die beiden Bento-Boxen, die sie daheim eingepackt hatte. Blanke Vorfreude spiegelte sich in ihrer Miene wieder, als sie dem jungen Mann seine Aluminium-Box reichte. Etwas skeptisch begutachtete er die schlichte Verpackung unter dem ungeduldigen Blick der Blauäugigen. „Schau schon rein!“, forderte sie ihn breit grinsend auf. Er löste daraufhin den Deckel ab und es bot sich eine ordentliche Reihe verschiedenster Onigiri und frittierte Garnelen dar. „Reisbällchen!“, rief er freudig überrascht und strahlte Momoko begreifend an. Jetzt verstand er auch, wieso sie so erfreut auf seine Antwort nach der Frage, was sein Lieblingsessen sei, reagiert hatte. „Genau, Reisbällchen. Und Ebi Tempura. Ich hoffe, die isst du auch?“ „Natürlich, aber warum der Aufwand?“ „Weil du per SMS geschrieben hast, dass du meine Bentos immer lecker fandest.“, gab sie schüchtern lächelnd zu. „Stimmt, die Stibitzten.“, erinnerte sich der Torwart lachend an damals zurück. Er freute sich über ihre Aufmerksamkeit und dass sie den kleinen Dingen, die er manchmal beiläufig erwähnte, so viel Bedeutung beimaß. Yosuke ahnte schon, dass Momokos Bento gut schmecken würde, schließlich hatte ihm auch schon ihr Frühstück gemundet. Aber in ein frisches, hausgemachtes Onigiri mit Tunfisch und Mayo zu beißen, war noch mal etwas ganz anderes, denn dieses hier hatte sie ganz speziell für ihn gemacht. „Und, schmeckt es?“, erkundigte sich die vermeintliche Köchin neugierig. Eine Antwort war eigentlich unnötig angesichts seines verzückten Gesichtsausdruckes. Mit geschlossenen Augen und genießerisch seufzend ließ er die Bissen in seinem Mund zergehen. „Herrlich.“, war alles was er mit vollem Mund dazu sagte, ehe er sich gierig das nächste Reisbällchen schnappte. Momoko kicherte leise für sich. Sie war froh mit diesem einfachen Bento genau ins Schwarze getroffen zu haben, was Yosukes Geschmack betraf. Nicht länger wartend bediente nun auch sie sich an ihrem Lunchpaket. Kapitel 17: Hanami (Part II) ~the forbidden fruit~ -------------------------------------------------- Die Nachmittagssonne neigte sich dem Horizont zu; sie würde bald untergehen. Nach ihrer kleinen Mahlzeit und dem Entsorgen der Aluminiumbehältnisse, hatten es sich Yosuke und Momoko im trockenen Gras im Schatten des Baumes bequem gemacht und blickten nun schon eine ganze Weile genießend durch das dichte Blätterdaches des Kirschbaums. Vereinzelte Sonnenstrahlen stahlen sch durch die Zweige hindurch und kitzelten ihre Gesichter. „Sag mal, Momoko… möchtest du dich nicht wieder mit Hinagiku und Yuri treffen?“ Überrascht drehte sie ihr Gesicht zu ihm um, sein Blick richtete sich unverwandt gen Himmel. Sein Ausdruck auf dem maskulinen Profil war ernst und nachdenklich. „Wieso fragst du?“ Er drehte sein Gesicht ebenfalls in ihre Richtung, sodass sich ihre Augen begegneten. „Weil ich nicht immer in deiner Nähe sein kann um für dich da zu sein.“ Natürlich wurde die Blauäugige rot vor Verlegenheit, er belächelte das angetan. „Aber ich brauche doch keinen Babysitter!“, erklärte sie protestierend. „Das nicht, aber vielleicht brauchst du auch mal ein anderes offenes Ohr als meines und – seien wir mal ehrlich – Takuro wird mich nie leiden können. Ich kann später nicht einfach so bei dir und ihm reinspazieren, oder dich spontan zu einem Treffen einladen.“ Momoko schloss die Augen, sie wollte nicht über solche Dinge nachdenken müssen. Nicht jetzt, nicht heute! Leider wusste sie, dass Yosuke Recht hatte, aber wie sonst sollte eine Freundschaft zwischen ihnen funktionieren? Wenn sie erst verheiratet war, würde sie nicht mehr so viele Freiheiten haben ohne sich erklären zu müssen. Takuro würde keinerlei Beziehung zwischen ihr und dem Sportler tolerieren… „Ich vermisse meine Freundinnen, wirklich… aber sie reichen mir nicht.“ Sie gab es unter Aufbietung all ihres Mutes zu, ihre Augen flackerten angespannt. Ihr Ausdruck brachte Yosukes Herz heftig zum Schlagen, da ihr Gesicht nicht weit von seinem war. „Wie meinst du das?“, fragte er schluckend. Die Blauäugige drehte sich auf die Seite zu ihm. „Selbst wenn ich mich mit den Mädchen wieder vertrage will ich nicht, dass wir uns wieder aus den Augen verlieren. Ich fühle mich in deiner Gesellschaft so lebendig wie schon lange nicht mehr und ich möchte das nicht aufgeben müssen, nur weil ich heirate.“ Der Dunkelhaarige sog scharf Luft zwischen seinen Lippen ein und versuchte sein aufgebrachtes Herz zu beruhigen. Wie konnte dieses Mädchen so freimütig solche Dinge zu ihm sagen, ohne Rücksicht darauf, was ihre Worte in seinem Inneren auslösten? Er drehte sich ebenfalls auf die Seite. Sie lagen jetzt nur noch einen Atemzug voneinander entfernt. Yosukes konzentrierter, durchdringender Blick spiegelte sich in Momokos Gesicht. Was sollte er ihr darauf antworten? „Mir geht es genauso.“, oder „Dann gib mich nicht auf.“, oder gar „Heirate ihn nicht!“ ? Ein einzelnes Kirschblütenblatt landete unbemerkt auf einem losen Strähnchen, das Momoko ins Gesicht fiel. Automatisch streckte Yosuke seine Hand danach aus, um es aus ihrem Haar zu pflücken. Ihre Haut unter seiner Hand glühte bei der unerwarteten Berührung und als sich ihre Blicke erneut trafen, war sie plötzlich wieder da, diese fast greifbare Spannung, die sie schon so manches Mal umgeben hatte. Das Rauschen seines Blutes übertönte jedes andere Geräusch in seinen Ohren und wie von selbst näherte sich sein Gesicht ihrem. Momoko erwiderte seinen Blick mit rot gefärbten Wangen, wich jedoch nicht zurück in hoher Erwartung auf das, was wohl nun folgte. Völlig überraschend blies ihr der junge Torwart kräftig ins Gesicht, sodass sie ihre Augen zukneifen musste. „Hey!“, rief sie überrumpelt aus. „Du hast Blütenblätter in deinem Haar.“, erklärte er sein Tun mit einem Feixen und richtete sich auf, noch ehe die junge Frau begriffen hatte, was eben passiert war. Verwirrt tat sie es ihm nach und schüttelte vorsichtig ihren Kopf, ihre Finger suchten behutsam nach weiteren Blättern in ihrer Frisur. „Es wird bald dunkel, wollen wir uns jetzt mal so langsam die Buden vornehmen? Yosuke tat als wäre nichts gewesen, hatte sich Momoko das Knistern zwischen ihnen nur eingebildet? Sie rüffelte sich innerlich für ihr ungebührliches Verhalten, sie dachte viel zu zweideutig! Dabei war das hier doch nur ein Treffen unter Freunden – sie durfte nichts anderes als das erwarten, es gab keine tiefere Verbindung zwischen ihm und ihr. „Sehr gern.“, stimmte sie unbekümmert zu, als sie sich ein paar lose Blüten vom Yukata klopfte. „Lass die Blätter doch wo sie sind, sie fallen beim Muster des Stoffes doch gar nicht auf.“ Momoko lächelte über das kleine, zweifelhafte Kompliment. Wie konnte man bei dem Charme, den dieser unverbesserliche Kerl versprühte, nicht über die Grenzen hinaus denken?! Die nächsten Stunden brachte das in Freundschaft vereinte Pärchen damit zu, wie verabredet die verschiedenen Spielstände auszukundschaften. Sie versuchten sich zunächst bei einfachen Spielen wie Dosenwerfen, bei dem sie herrlich über die missglückten Versuche des jeweils anderen lachen konnten. Allerdings bewies sich Yosuke als sehr talentiert im Ringe Werfen, wohingegen Momoko ihn mit ihren Fähigkeiten am Schießstand verblüffen konnte. Mit ein paar kleineren Preisen im Gepäck, die Momoko in ihrem Beutel verwahrte, wanderten sie so von einer Bude zur nächsten. Am Greifarm hatten sie beide kein Glück, fieberten jedoch mit einem jugendlichen Talent mit, der verblüffender Weise einen Preis nach dem anderen bei diesem Spiel abräumte. Auf ihrem Weg kamen sie schließlich noch an einigen Losständen und Goldfischbecken vorbei. Da keiner von ihnen ein Aquarium hatte, versuchten sie es gar nicht erst, sahen aber für eine Weile interessiert anderen zu und kicherten leise über die ehrgeizigen Versuche kleinerer Kinder, die mit den flüchtigen Fischen arg zu kämpfen hatten. So verging Stunde um Stunde und je dunkler es wurde, desto magischer wurde die Atmosphäre am Fuße der Kirschbaumhügel. Lichterketten, die über ihren Köpfen zwischen den Bäumen und Ständen gespannt waren, gingen an. Verschiedenfarbige Papierlaternen und Lampions in diversen Tierformen leuchteten dazwischen oder direkt in den Baumkronen. Jetzt konnte man auch sehen, dass auf dem Hang einige besonders schöne Bäume mit kleinen Scheinwerfern angestrahlt wurden, was sie besonders mystisch aussehen ließ. „Das sieht unheimlich romantisch aus…“, raunte Momoko schwärmerisch und mit träumerischem Blick. Als sie begriff was sie gesagt hatte, lief sie hochrot an und wedelte abwehrend mit den Händen. „Äh, nicht das du das falsch verstehst!!! Aber all die Lichter sind so schön, da ging mir das so durch den Kopf!“ Yosuke erwiderte ihre Reaktion mit einem herzerwärmenden Kichern. Die Rosahaarige war sich sicher den jungen Mann noch niemals zuvor kichern gehört zu haben. Es war ein tiefes, kehliges Glucksen, das zum Mitmachen animierte. „Ich habe gar nichts falsch verstanden. Ich weiß schon, was du meinst. Und schau nur, die ersten Sterne und der Mond zeigen sich auch allmählich.“ Momoko sah hinauf zum Horizont, wo sich der Abendhimmel mit seinem Graublau und den letzten, rötlichen Sonnenstrahlen mit dem ankommenden Nachthimmel vermischte. Jenseits, in den dunkelsten Blautönen, zeigten sich die ersten, hell leuchtenden Himmelskörper. Der zunehmende Mond hing noch blass und niedrig am Firmament. „Du hast Recht. Hier am Rande der Stadt kann man sie viel besser erkennen.“, sagte sie mit noch immer gerecktem Hals. Während sie den Himmel beobachtete, achtete sie nicht auf den unbefestigten Boden zu ihren Füßen und stolperte beim nächsten Schritt unsanft mit ihren Holzschuhen über einen größeren Kiesel. Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, doch noch ehe sie stürzen konnte, fing sie ein kräftiger Arm unterhalb ihrer Brust auf und zog sie wieder auf die Füße. Atemlos fand sie sich an Yosukes Brust wieder. „Alles in Ordnung?“, fragte er sie besorgt. Immer noch perplex sah sie zu ihm auf, ihre rechte Hand lag auf seinem linken Oberarm, der sie vor dem Sturz bewahrt hatte. „Oh, äh… ja, danke…“, stammelte sie nervös. »Verdammt! Er hat so schöne Augen…«, dachte sie, als sie dabei war in dem warmen Schokobraun abzutauchen, in das sie geradewegs blickte. Waren seine Augen nicht sonst rehbraun? Oder war es das dämmrige Licht, das sie dunkler wirken ließ? Egal, sein Blick ließ ihre Knie weich wie Butter werden. Unbewusst drückte Momoko seinen Arm etwas, die Sorge aus seinem Gesicht wich einem anderen Ausdruck; Unschlüssigkeit. „Hallo! Wollen die jungen Herrschaften vielleicht ein Foto machen lassen?“, dröhnte eine laute Jahrmarktsschreier-Stimme an ihr Ohr, die sie beide erschrocken und zutiefst verlegen auseinander schnellen ließ. Ein freundlich lächelnder Japaner in kurzer Verkäuferuniform hielt seine Digitalkamera demonstrativ erhoben und zeigte mit der anderen, freien Hand auf einen Kirschbaum am Rande des regen Treibens. „Na, wir wäre es? Ein schönes Erinnerungsbild an dieses wundervolle Hanami?“ Momoko schaute zögerlich zu dem leuchtenden Baum hinüber, dessen ganze Krone pastellrosa strahlte. Da spürte sie Yosukes Hand an ihrer linken. „Komm, das wird bestimmt ein schönes Foto. Du wolltest doch wissen, wie dir die Blüte in deinem Haar steht“, ermutigte er sie. Unfähig dem 1000-Watt-Lächeln, welches er ihr schenkte, zu widersprechen, ließ sie sich zu dem Baum mitnehmen. Der Fotograf schubste sie beide davor in eine Position etwas rechts neben den Stamm und lief dann ein paar Schritte zurück, um seine Position einzunehmen. Prüfend lugte er durch den Sucher. „Na na, nicht so steif! Sie dürfen sich schon berühren, Sie sind ein hübsches Pärchen!“, rief er ihnen zu. Erneut verlegen wollte die Rosahaarige das Missverständnis sofort ausräumen, doch Yosuke hielt sie davon ab, indem er sie mit seinem rechten Arm einfach an sich heran zog und seinen Kopf seitlich hinunter zu ihrem neigte. Verwirrt und mit wild klopfendem Herzen sah sie zu ihm auf, in seine verschwörerisch zwinkernde Miene. Momoko verstand und erwiderte sein Lächeln. Nachgiebig ließ sie sich auf das kleine Theater ein. Seine Pose bekräftigend, hob sie ihre rechte Hand an seine Brust und schaute bewusst schüchtern in die Kamera. Ein Blitz blendete sie beide und der romantische Moment nahm ein jähes Ende. Yosuke gesellte sich sofort zu dem Fotografen, der unweit von der Kulisse ein kleines Pult mit einer Druckstation und einem Laptop zu stehen hatte. „Machen Sie uns bitte zwei Abzüge davon? In 9x13 bitte.“ Momoko schloss zu ihnen auf. „Und? Ist das Bild gut geworden?“, fragte sie gespannt. „Sehr gut, Sie können sich gleich selbst davon überzeugen. Ich habe selten so harmonierende Paare vor der Kamera.“ Das vermeintliche Pärchen lachte sie stumm zu, während der kleine Drucker lautstark ratterte. „Hier bitteschön.“, sagte er zu der Schülerin, der er den robusten Umschlag mit den Bildern aushändigte, während Yosuke sie bezahlte. Neugierig klappte sie den provisorischen Bilderrahmen auf und hielt mit großen Augen und angehaltenem Atem inne, als sie das Foto betrachtete. Gefesselt und Sprachlos bemerkte sie nicht, wie sich ihr Begleiter frech den anderen Abzug aus ihren Finger fischte, um sich selber auch einen Eindruck verschaffen zu können. Auch ihm stockte augenblicklich der Atem und sein Mund klappte auf. Der Hintergrund mit dem beleuchteten, herrlich blühenden Kirschbaum war wundervoll. Der Wind hatte einzelne Blätter gelöst, die romantisch durchs Bild wirbelten, aber was ihn wirklich fesselte war der Ausdruck in ihren beiden Gesichtern und die Botschaft, die ihre Körpersprache vermittelte. Kein Fremder würde daran zweifeln, dass sie ein verliebtes Paar waren. Ihre Augen leuchteten glücklich und ihre Münder waren zu einem schüchternden Lächeln verzogen; dazu ihre vorsichtigen Berührungen und wie sich ihre Körper zueinander bewegten – sie harmonierten auf diesem Foto optisch einfach perfekt miteinander. Der unendlich scheinende Moment des bedeutsamen Schweigens und stillen Staunens zog sich immer mehr in die Länge, bis sie schließlich zeitgleich aufsahen und sich in die Augen schauten. „Das ist ein…“ „…wirklich schönes Bild.“, beendete Momoko Yosukes Satz. Er reichte ihr sein Foto, damit sie es wieder in den knicksicheren Umschlag schieben konnte und strich sich laut ausatmend durch sein kurzes, braunes Haar. „Tja… ist bei der Atmosphäre und in den Klamotten wohl kein Kunststück ein gutes Bild hinzubekommen, nicht wahr?“, witzelte die junge Frau etwas steif, als sie ihren Beutel wieder fest zuzog. „So ist das wohl.“, stimmte er nicht weniger verkrampft zu. „Also… wollen wir vielleicht langsam weiter und uns noch etwas zum Essen besorgen? Allmählich könnte ich wieder etwas vertragen.“, riss Momoko ein neues Thema an. „Geht mir auch so. Was hältst du von deftigen Nikuman und Tee dazu?“ „Au ja!“, stimmte sie augenblicklich heißhungrig zu. „Unverbesserlich.“, sagte Yosuke leise zu sich und schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Hm? Wie bitte?“ „Nichts. Lass uns einfach weitergehen.“ Und so setzten sie ihren Streifzug über das Fest erneut fort. Es dauerte nicht lange bis sie einen Stand fanden, der die dampfenden Teigtaschen mit Fleischfüllung anbot. Mit frisch gebrühtem Yasmintee waren sie jedoch schnell aufgegessen. Inzwischen hing der Nachthimmel schwarz und voll behangen mit Sternen über ihnen. Der Wind war etwas aufgefrischt und unruhiger, aber noch nicht so, dass man eine Jacke brauchte. Der Mond erhellte die freie Wiese auf dem Hang zwischen den beleuchteten Bäumen, unter denen sich noch immer zahlreiche Menschen tummelten. Aber auch der Hang selbst wurde nun immer voller, was Momoko verwunderte. „Warum setzten sich denn jetzt so viele Leute dort oben hin?“ Yosuke folgte ihrem Blick den Hang hinauf. „Ich schätze mal, dass man von dort oben eine gute Aussicht auf das Fest und auf die Stadt hat. Außerdem habe ich gehört, dass es ein Feuerwerk geben soll. Gut möglich, dass man es von da aus am besten beobachten kann.“ Sofort wurde seine weibliche Begleitung hellhörig. „Ein Feuerwerk? Sehen wir uns das auch an?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Davon bin ich von Anfang an ausgegangen.“ Sie klatschte vor Freude in die Hände, der Abend wurde immer besser. „Ich danke dir, Yosuke.“, flüsterte sie ihm leise zu. „Wofür?“, fragte er sichtlich irritiert. „Für diesen schönen Tag! Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß, ich habe jede Minute genossen.“ Sein Herz rutschte ihm beim Anblick ihres strahlenden Lächelns in die Hose, warum war es ihm nicht ein Mal möglich sich ihrem Bann zu entziehen? Schon mehrfach an diesem Nachmittag und Abend hatte es Situationen gegeben, in denen er sich nur schwer beherrschen konnte. Wann immer sie ihn auf diese Weise anlächelte, oder ihre Augen sich in seinem Blick verfingen, kochte sein Blut aufgewühlt hoch. Yosuke wich ihrem Blick aus. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber auch mir hat es sehr viel Spaß gemacht.“, antwortete er etwas ausweichend. Verwundert über seine seltsame Reaktion, zog Momoko die Stirn in Falten. Mit einem letzten, großen Schluck leerte sie ihren Becher endgültig. „Du schaust so düster, alles in Ordnung.“, fiel es ihrem Begleiter schließlich auf. „Bei mir schon, aber bei dir auch? Du wirst doch nicht schon wieder so komisch wie gestern Abend, oder?“ Missmutig erkannte Yosuke, dass man ihm wohl anmerkte, dass etwas in ihm vorging. Er hatte seine Emotionen nicht ausreichend im Griff, aber wie sollte er das auch, wenn seine Hormone sich in ihrer Gegenwart überschlugen? „Nein, keine Sorge. Wollen wir jetzt auch langsam auf den Hang? Ich denke, dass es bis zum Feuerwerk jetzt nicht mehr lange dauert.“, wich er ihrer Frage ablenkend aus. Mit Erfolg. Momoko ließ sich nicht zwei Mal bitten, denn die Wiese wurde immer voller, da immer mehr Menschen denselben Entschluss fassten. Einen guten Platz zu erhaschen konnte deshalb schwierig werden. Als sie an der linken Seite der Wiese eine der durch Lampions beleuchteten Treppen hinauf stiegen, begegneten sie einem mobilen Ein-Mann-Eisstand, der die Gunst der Stunde nutzte und original japanisches Wassereis anbot. Das Crusheis mit Sirup war vor allem bei Kindern sehr beliebt, aber nach ihrem deftigen Snack konnten auch sie beide eine erfrischende Süßspeise gut gebrauchen. Yosuke kaufte zwei Becher mit Erdbeersirup, was besonders Momoko fröhlich stimmte. „Sieh das Eis als Ausgleich für die Reisbällchen von heute Mittag. So hat jeder von uns heute seine Lieblingsspeise bekommen.“ „Ich danke dir, aber das wäre nicht nötig gewesen.“ „Natürlich nicht.“, lachte der Torwart, der bereits zusehen konnte, wie sie genüsslich mehrere Löffel Eis in ihrem Mund verschwinden ließ. Beim Blick auf ihre Zungenspitze, die sich genießerisch den Sirup von den Lippen leckte, musste er jedoch sofort wieder wegschauen. »Himmel noch mal! Reiß dich doch mal zusammen, Junge!«, fluchte er innerlich. Mit rauchendem Kopf lief er voraus, die Stufen noch weiter nach oben den Hügel hinauf. »Es muss doch möglich sein sie anzusehen, ohne das es mit mir durchgeht! Ich bin nicht mehr in der Pubertät!«, kritisierte er sich selber immer weiter. „Yosuke warte! Ich denke das reicht. Dort hinten ist auch noch Platz. Lass uns hierbleiben.“ Momoko, die ein paar Stufen unter ihm stand, deutete auf eine freie Lichtung zwischen Unmengen von anderen Leuten. Sie waren jetzt auf Höhe des oberen Drittels der Wiese. „Du hast Recht, lass uns dorthin gehen.“ Sie schlängelten sich mit ihren Eisbechern vorsichtig an den anderen Menschen vorbei, was auf Getas und im Yukata gar nicht so einfach war. Letztendlich kamen sie aber unfallfrei an der kleinen, freien Stelle an, wo sie sich sofort ins Gras setzten und ihre Knie etwas anwinkelten. „Die Aussicht ist wirklich großartig; die Lichter des Festes und das Panorama unserer Stadt dahinter sind wunderschön!“, jubelte Momoko ehrfürchtig. Yosuke sah sie von der Seite an. Sie hatte ja keine Ahnung wie schön sie eigentlich war. Ihr schlanker Schwanenhals und ihr frei liegender Nacken waren geradezu einladend, um daran zu knabbern und die weiße Haut mit Küssen zu bedecken. Erschrocken über seine erneut unzüchtigen Gedanken, wand er sich puterrot wieder der Aussicht zu. Es war ein Glück, dass nur das silberne Licht des Mondes und der Sterne auf sie herab fiel, so blieb sein Erglühen unbemerkt. Allerdings waren dicke Wolken am Himmel aufgezogen, die das Sternenlicht etwas schmälerten. Eifrig begann Yosuke das schmelzende Eis in seiner Hand zu verschlingen. Er hatte das Gefühl jede Minute mehr, die er mit Momoko verbrachte, machte ihm sein Leben nur noch schwerer. All seine Vorsätze schwankten gefährlich seit sie hier angekommen waren. Sie hatten sich noch ein Stück näher kennengelernt, sich gegenseitig noch mehr von sich offenbart und dann diese romantisch Atmosphäre um sie herum… „Hast du noch Bedenken wegen Sonntag?“ Die Frage war ihm einfach heraus gerutscht, denn vor allem die Gedanken an ihr bevorstehendes Date mit Takuro hatte ihn in letzten Tagen besonders beschäftigt und nicht zuletzt auch zu schaffen gemacht. Nachdem sie beide nun einen herrlichen Tag miteinander verbracht hatten, wollte er wissen wie sie zu dem anderen Treffen stand, das ihr noch bevorstand. Momoko sah ihn nicht gerade begeistert über diese Frage an. „Du meinst wegen Takuro? Nein… und ja. Ich glaube jetzt, dass ich schaffen und meistern werde, aber ich bin trotzdem immer noch super nervös deswegen. Ich denke, das ist auch normal wenn man bedenkt, dass es wahrscheinlich nicht nur beim Händchen Halten bleiben wird… Aber ich packe das, ich habe keine Angst.“ Yosuke seufzte enttäuscht. Er hätte sich für sie freuen sollen, dass sie inzwischen so optimistisch und mutig war, aber etwas in ihm hatte gehofft, dass es ihr nach wie vor schwer viel sich auf den Streber einzulassen. „Machst du dir etwa Sorgen wegen mir?“, fragte sie ihn, weil ihr sein trauriger Ausdruck in den Augen nicht entgangen war. „Das ist es nicht. Ich hätte mir nur für dich gewünscht, dass du deine ersten Erfahrungen mit jemanden machen würdest, der dir etwas bedeutet und den du nicht erst noch lieben lernen möchtest…“ Momoko lächelte geschmeichelt von seinen Worten und strich ihm dankbar über seinen rechten Arm. „Darf ich dich auch noch etwas Fragen?“ „Natürlich, nur zu.“, entgegnete er interessiert, wie ihr neu aufgenommenes Fragespiel jetzt wohl weiter ging. „War Hiromi das erste Mädchen, das du je geküsst hast?“ Verdutzt erwiderte er ihren ernsten Gesichtsausdruck mit großen Augen. Leicht verlegen griff er sich in den Nacken. „Nun… ja.“ „Und du hast sie damals schon geliebt?“, fragte sie weiter. Dafür musste Yosuke tief in sich gehen, denn es war ja schon eine ganze Weile her. „Ich schätze schon.“ Die Blauäugige wurde auf einmal selbst ganz rosa um die Nasenspitze, selbst in dem fahlen Licht konnte er es erkennen. „Wie fühlt es sich an? Der erste Kuss?“, fragte sie ganz kleinlaut und lief dabei noch dunkler an. „Uff!“ Mit dieser Frage brachte sie ihn wirklich aus der Fassung. Sprachen normale Freunde über so was?! War das nicht mehr die Sorte von Dingen, die Frauen untereinander besprachen, anstatt mit ihren männlichen Freunden? „Das war zu dreist, oder? Entschuldige, du musst nicht darauf antworten, vergiss es einfach wieder!“ „Nein, nein! Ist schon ok, es ist nur… wenn ich ehrlich bin weiß ich das nicht mehr so genau.“, antwortete Yosuke wahrheitsgemäß. Er selber war geschockt über diese Erkenntnis. Doch es war so; er konnte das Gefühl nicht nachempfinden und selbst wenn war es ihm unmöglich, die verschwommene Erinnerung daran in Worte zu fassen. Die Küsse die Hiromi und er in letzter Zeit ausgetauscht hatten, kamen ihm fromm und fast geschwisterlich vor. Er empfand kein Gefühl dabei und in seinem Hinterkopf sprach wieder die leise Stimme zu ihm, die ihm zuflüsterte, dass dies daran lag, dass er sich nach den Lippen einer anderen sehnte. „Das ist irgendwie unbefriedigend.“, bemerkte Momoko nachdenklich. »Du sagst es.«, dachte der Dunkelhaarige grummelnd. Er bemerkte etwas Eis an ihrem Mundwinkel und schmunzelte darüber, dass es ihr selbst noch gar nicht aufgefallen war. Wie zuvor bei dem Blütenblatt streckte er seine Hand nach ihrem Gesicht aus, auch diesmal bemerkte sie es noch bevor er sie berührte und erstarre mit fragendem Blick. „Du hast da etwas…“, erklärte er ruhig und strich das kleine, schmelzende Eisstückchen mit seinem Daumen weg. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken, als die Kuppe seines Daumens ihre weiche Unterlippe streifte. Wie gebannt konnte er nur noch auf ihren vollen, schön geformten Mund starren. Gedankenversunken fuhr er mit seinem Daumen nochmals langsam über die zarte, dunkelrosa Haut ihrer Lippe. Ein Schauer ließ Momoko deutlich spürbar unter seiner Berührung erzittern. Im selben Moment schoss in der Ferne die erste Rakete hoch in die Luft und ein begeisterter Aufschrei ging durch die Menge um sie herum, doch sie hatten nur Augen füreinander. Momokos Augen schauten ihn verklärt an, ihre Haut unter seinen Fingern pochte regelrecht und Yosukes angespannte Nerven registrierten jede kleinste Regung ihres Körpers. Er musste blind sein wenn er nicht sah, dass ihr Körper auf seine Berührung genauso reagierte, wie seiner auf sie! Er spürte wie seine Vernunft den Kampf gegen sein Verlangen verlor, als er sich zu ihr rüber beugte und bereits ihren aufgeregten Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte. Sein schnell schlagendes Herz übertönte jedes Feuerwerk dieser Erde… „Hey, Obacht!“ Die grölende Warnung kam zu spät. Mit ziemlicher Wucht stolperte ein junger Mann gegen Momokos Rücken, die daraufhin nicht nur empört aufschrie, sondern auch ihr erst halb aufgegessenes Eis auf den Rasen fallen ließ. Wütend sprang Yosuke auf und gab dem rempelnden Rowdy einen groben Schubs gegen die Brust. „Könnt ihr nicht aufpassen?!“, fuhr er ihn und dessen albern kichernden Kumpel an. Der Übeltäter hob beschwichtigend die Hände. „Hey Mann, sorry! Wir haben nur ein bisschen rumgeblödelt!“, entschuldigte er sich halbherzig und eindeutig etwas angetrunken. Aber Yosuke achtete gar nicht weiter auf ihn, sondern duckte sich zu Momoko hinunter. „Tut dir was weh?“ „Nein, alles gut. Ich habe mich nur fürchterlich erschrocken, aber mein Eis hat es erwischt.“ Er folgte ihrem Blick auf das im Boden versickernde Malheur. „Ich gehe kurz und kaufe dir ein Neues.“ „Das musst du nicht, das Feuerwerk hat doch schon angefangen. Bitte bleib!“ Ihre Stimme und ihr Blick waren flehentlich, aber noch immer zeugte ein Hauch Farbe auf ihren Wangen von dem, was da eben fast zwischen ihnen passiert wäre. Nein, er brauchte dringend ein paar Minuten für sich um wieder zu klarem Verstand zu kommen! „Ich bin doch gleich wieder hier. Schau du dir in der Zeit ruhig das Feuerwerk weiter an.“ Ohne Umschweife richtete er sich auf und lief an ihr vorbei. In seiner rechten Faust zerknautschte er seinen leeren Eisbecher, während er im wahrsten Sinne des Wortes davon lief. »Scheiße, Scheiße, Scheiße! Ich kann nicht! Ich darf nicht! Wir dürfen nicht!«, schoss es ihm wieder und wieder durch den Kopf. Seine zum Zerreißen gespannten Sinne machten ihm das Leben schwer. Er spürte noch die Wärme ihrer Haut, fühlte noch ihren Atem auf seinen Lippen kribbeln und hatte noch ihren einladenden Körpergeruch in der Nase. Wie sehr er sich nach Momoko verzehrte konnte er selber kam begreifen. Er hätte sie geküsst, wenn sie nicht unterbrochen worden wären und er hätte es nicht bereut, denn sie wollte es auch, da war er sich sicher. Wieder drehte sich alles in seinem Kopf. Momokos Vater; das Arrangement und die Verlobung mit Takuro; das bevorstehende Date mit ihm; ihr erster Kuss mit ihm… Er selbst hatte kein Recht und keinen Anspruch auf sie, aber noch nie war ihm dieser Gedanke so zuwider wie in diesem Augenblick. Yosuke war gerade erst an der Treppe angelangt, als er sich noch mal zu Momoko umdrehte; überschwappend von dem Gefühlschaos, dem er einfach nicht Herr wurde. Mit Schrecken musste er mit ansehen, wie sich die beiden angetrunkenen Männer neben seine Begleitung gesetzt hatten und sie ganz offensichtlich bedrängten. Zumindest machte die junge Frau keinen amüsierten Eindruck in ihrer Mitte. Im Kopf des Torwartes setzte in diesem Moment etwas aus. Ohne Zögern kehrte er um, geradewegs mit großen Schritten zurück zu dem Platz der nur Momoko und ihm gehörte. Es reichte, es war genug; er hatte es satt sich an Regeln zu halten und sich zu zwingen zuzusehen, wie sich alle Welt glaubte das nehmen zu können, was sie wollte! Er wollte auch etwas; er wollte sie. „Weg da!“, fuhr er den ersten Mann an, den er von hinten unsanft am Kragen packte und auf seine Füße zerrte. Geschockt sahen Momoko und der andere Japaner zu Yosuke hoch, der sein Gegenüber mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen traktierte. „Macht das ihr weg kommt!“, zischte er weiter bedrohlich und stieß den Rowdy entschieden weg, sodass dieser rückwärts strauchelte und sich mit einem dumpfen Rumms auf den Hosenboden setzte. Dessen Kumpel hob ängstlich die Arme als der Braunäugige ihn ins Visier nahm, doch anstatt ihn anzupacken, zog er die perplexe Momoko an ihrem Handgelenk hoch und zog sie dann hinter sich her. Er bahnte sich durch die anderen Menschen seinen Weg ganz den Hang ganz hinauf, wo schließlich niemand mehr stand und der dicht mit Bäumen bewachsene Teil des Hügel anfing. Das Feuerwerk hinter ihnen war noch im vollen Gang. „Yosuke warte! Zieh doch nicht so, das tut mir weh! Wo willst du denn hin? Was ist denn los mit dir?“ Sie erhielt keine Antwort auf ihre Salve von Fragen, sie spürte nur wie aufgebracht und wütend der Torwart war und stolperte deswegen gefügig hinter ihm her, bis er endlich stehen blieb und zu ihr herum wirbelte. Sein Blick war einschüchternd und dunkel; ein finsteres Verlangen, das ihre Knie erneut weich werden ließ, lag in seinen Augen. „Es tut mir leid Momoko, bitte verzeih.“ Ehe sie ihn fragen konnte, was er meinte, legte er beide Hände um ihr Gesicht und zog sie zu sich heran. Im Feuerschein der Raketen, die am Himmel über ihnen explodierten, bedeckte Yosuke ihre Lippen endlich mit seinen. Sehnsüchtig verlangte sein Mund nach ihrem; vorsichtig saugte er an ihrer Unterlippe und biss kurz zärtlich in sie hinein. In seinem Körper schien ebenfalls etwas zu zerspringen, denn es war so viel besser und intensiver, als er es sich je erträumt hatte. Momoko ließ es atemlos geschehen. Seine Berührungen waren so unerwartet wie sanft; das Verlangen in seinem Kuss war jedoch überdeutlich und doch forderte er nichts. Es war als stillte er einen ihr unbekannten Hunger, indem er sich von ihr einfach nahm was er brauchte. So schnell sich ihre Lippen getroffen hatten, so schnell war der Moment auch wieder vorbei. Jedoch löste Yosuke sich nur wenige Zentimeter von ihr, gerade genug um in ihrem Gesicht ablesen zu können, was sie über das dachte, was da gerade geschehen war. Seine warmen Hände ruhten noch immer auf ihrem Gesicht. Sie wusste, dass sie sich mit allen Händen und Füßen gehen ihn wehren müsste, doch ihre prickelnden Lippen und auch der Rest ihres Körpers wollten nur eines; mehr! Sie legte ihre Hände auf seine und schloss die Augen, als Yosuke sich ihr ermutigt dadurch erneut näherte. Sie konnte es nicht abwarten das aufregende Kribbeln erneut zu spüren, das noch immer überall in ihrem Körper nachhallte. Verlangend begegneten sich ihre Lippen; süß und warm; gierig und forschend. Seufzend stöhnte Momoko in seinen Mund hinein, seine heiße Zunge stahl sich frech auf ihre Unterlippe und bat um Einlass. Berauscht, wenngleich aufgeregt, gewährte sie ihm nur allzu gern Einlass. Aus der anfänglichen Vorsicht wurde bald ein herausfordernder Tanz. Leidenschaftlich erwiderte sie seine forschenden Berührungen, knabberte ebenfalls an seinen Lippen und lies zu, dass ihr Partner an ihren behutsam zog. Eine sich steigernde Elektrizität machte sich in ihr breit, staunend fühlte die Rosahaarige eine Welle aus Hitze in sich aufsteigen, die sich an Orten konzentrierte, wo sie es nie für möglich gehalten hätte! Yosukes Finger streichelten zärtlich ihr Gesicht, während sie sich küssten. Momoko wünschte innerlich, der Moment möge nie enden, denn das Gefühl zwischen ihnen wurde immer intensiver; immer besser. In ihrem Körper rollte etwas heran, dass sie nicht begreifen oder kontrollieren konnte. Doch schließlich war es Yosuke, der kehlig stöhnend aufgab, sich von ihr löste und sie durchdringend ansah. Seine Augen glasig, sein Atem rau und seine Lippen leicht geschwollen. Bei seinem Anblick durchzuckte es Momoko köstlich. Wie schnell konnte ein Herz schlagen, bis es wohl zerspringen würde? Das Feuerwerk im Hintergrund verebbte und machte einem anderen Grollen am Himmel Platz. Die Wolken hatten sich verdichtet und zu einem drohenden Gewitter aufgetürmt. Der Wind fegte noch stürmischer als zuvor über den Hügel, die Menschen auf ihm zogen es vor sich eilig zurück zu ziehen. In wenigen Minuten war der Hang menschenleer, es waren Minuten gewesen in denen sich Momoko und Yosuke einfach nur tief in die Augen sahen. Der Himmel war finster und es war spät geworden. „Es tut mir so leid.“, raunte er der jungen Frau ins Ohr, die bei seiner rauen Stimme ein neues Aufflammen der Sehnsucht nach mehr verspürte. Er ließ sein Gesicht neben ihres sinken. „Ah!“, entführ es ihr spitz, als sie seine heißen Lippen plötzlich an der Kuhle hinter ihrem Ohr spürte. Seine linke Hand hielt ihr Gesicht in Position, während er sich ihren Hals bis zu ihrem Schlüsselbein hinab knabberte. Seine Zungenspitze glitt auf ihrer Haut entlang bevor er sie anschließend mit seinem Mund liebkoste. Seine rechte Hand schob ihren Yukata etwas von ihrer Schuler herunter, sodass er freien Zugang zu dem empfindlichen Bereich zwischen ihr und dem Schlüsselbein hatte. Momoko erzitterte angespannt, war sie in der Lage so viele Reize auf einmal zu ertragen? Wohin sollte das führen? Ihr ganzer Körper bebte und das nur von diesen Küssen; sie konnte sich kaum ohne zu zittern auf den Beinen halten. Was machte er nur mit ihr?! Ein heller Blitz, gefolgt von einem lauten Donnergrollen, durchbrach die nächtliche Stille, doch es war der schlagartig einsetzende und eiskalte Platzregen, der die jungen Leute urplötzlich wach rüttelte und schwer atmend auseinander trieb. Kapitel 18: An immoral proposal ------------------------------- »Oh mein Gott – was habe ich getan?!« Yosuke starrte Momoko mit schockgeweiteten Augen an, als ihm klar wurde, welches Ausmaß sein unkontrolliertes Verlangen gehabt hatte. Der Regen prasselte unerbittlich wie aus Eimern auf sie ein und tränkte den Stoff ihrer Kleider in wenigen Augenblicken bis auf die Haut. Momoko starrte genauso erschrocken zurück, wie konnte das passieren? Eben noch hatten sie einen freundschaftlichen, wundervollen Abend miteinander verbracht und plötzlich standen sie hier im Regen und lasen sich gegenseitig von den Gesichtern ab, dass sie etwas Verbotenes getan hatten. »Das war mein erster Kuss…« Sie hob unterbewusst die Finger ihrer rechten Hand an ihre beanspruchten Lippen. Der anklagend funkelnde Ring an ihrem Finger war für Yosuke wie ein Faustschlag in den Magen. Was hatte er da nur angerichtet! Sie würde ihn hassen, er hatte ihr etwas so Bedeutsames einfach genommen und damit ihre gesamte Zukunft aufs Spiel gesetzt. Und nicht nur ihre, was war mit ihm und Hiromi? „Es… es tut mir so leid…“, beteuerte er erneut. Er sagte es zum wiederholten Male, doch erst jetzt meinte er es wirklich ernst. Mit selbstverachtendem Gesichtsausdruck wand er seinen Blick ab. Regenwasser strömte aus seinen Haaren in sein Gesicht. Sein Haori war zwar völlig durchnässt, trotzdem zog er ihn sich aus und warf ihn Momoko über den Kopf, sodass der Regen immerhin nicht mehr ungebremst auf ihr Haupt und ihre Schultern trommelte. „Yosuke, ich…“ „Bitte hass mich nicht dafür!“, unterbrach er sie aufgewühlt, seine Hände zu Fäusten geballt. Er wich ihrem Blick noch immer aus, er konnte so nicht sehen, dass keinerlei Spur von Hass oder Ärger in ihren Augen lag. Sie verachtete vielmehr sich selbst, denn zu jeder Zeit wäre sie in der Lage gewesen ihn abzuweisen, zurückzustoßen oder das Intermezzo zu unterbrechen, doch sie hatte es nicht getan. Im Gegenteil, nach anfänglicher Überraschung hatte sie es gewollt UND genossen! Sie war schwach gewesen, es war nicht nur seine Schuld. Anstatt etwas zu sagen, nahm sie Yosukes linke Faust beschwichtigend in ihrer Hände, weswegen er sie irritiert und fragend ansah. „Ich hasse dich nicht. Mir tut es auch leid… es war ein Fehler, aber ich hasse dich nicht dafür. Es war genauso meine Schuld.“ Momoko lächelte ihn warm an, auch wenn ihre Augen deutlich klar machten, wie groß und schwer die Last ihres schlechten Gewissens war. „Aber Takuro…!“ Die Rosahaarige legte ihm versiegelnd ihren Zeigefinger auf die Lippen. „Takuro wird nichts davon erfahren! Und Hiromi auch nicht. Es ist einfach nie passiert.“, sagte sie entschieden. Nie passiert? Wie konnte sie das sagen, wenn ihre aufgeregt schlagenden Herzen und das Adrenalin in ihrem tobenden Blut noch überdeutlich davon erzählte, was zwischen ihnen passiert war? Ihr Gegenüber verstand nicht, wie sie unter diesen Umständen so resolut sein konnte. „Aber…“ „Nein, nicht! Lass uns nicht darüber sprechen! Ich will dich nicht verlieren! Wir würden es ausdiskutieren und zu dem Schluss kommen, dass es besser wäre, wenn wir uns nicht mehr sehen… Das will ich nicht, das kann ich nicht! Bitte…“ Yosuke stockte der Atem bei ihren Worten. Angst spiegelte sich in ihrem Blick und- waren es Tränen oder der Regen, der in Rinnsälen über ihre Wangen lief? „Ich will dich auch nicht verlieren…“, flüsterte er durch das Rauschen des Unwetters hindurch, seine Miene schmerzerfüllt. Sie ließ ihre Hand sinken und zog den Haori enger um ihre Schultern zusammen. „Können wir einfach weiter Freunde sein?“, fragte sie, wie um sich zu vergewissern. Um ehrlich zu sein wusste der junge Mann das nicht, aber er wollte sie nicht aufgeben. Genau wie sie, wollte auch er ihre junge Beziehung – was immer sie auch genau für eine war – nicht aufs Spiel setzen. Er rang sich ein Lächeln an. „Ja, nichts lieber als das.“ Momoko atmete erleichtert aus, was Yosuke zweifeln ließ. War das alles, was sie empfand? Erleichterung, weil er indirekt versprach nicht mehr von ihr zu wollen, als Freundschaft? Spürte sie am Ende die intensive Anziehung, die sooft zwischen ihnen beiden herrschte, gar nicht? Hatte er sich etwas vorgemacht als er geglaubt hatte, sie hätte den Kuss genauso empfunden wie er? Die junge Frau schlotterte kurz heftig. Zurückgeholt aus seiner Gedankenwelt, beschloss Yosuke zumindest jetzt nicht darüber nachzudenken. „Lass uns endlich aus diesem Unwetter verschwinden, bevor wir uns erkälten.“ Trotz allem nahm er sie wieder bei der Hand und führte sie beide durch die Dunkelheit runter von der nassen und gefährlich rutschigen Wiese. Momoko ließ sich abermals widerstandslos führen. Unbeholfen stakte sie ihm auf ihren Getas hinterher, ihre Knie waren immer noch fremdartig zittrig. Sie mochte dem Torwart mit ihrem klaren Entschluss etwas vorgemacht haben, aber innerlich kämpfte sie noch gegen unzählige, verwirrende Gefühle und Gedanken. Ihr erster Kuss, vor dem sie so viel Angst gehabt hatte, war ihr nicht von Takuro, sondern von Yosuke genommen worden. Sie hatte keine Zeit gehabt darüber nachzudenken oder davor nervös zu sein, denn er hatte es einfach getan. Doch obwohl sie vorher nicht gefragt worden war, fühlte sie sich nicht um etwas betrogen, sondern vielmehr beschenkt. Es war so intensiv, voller Begehren und Sehnsucht gewesen. So zärtlich und stürmisch zugleich. Ihre aufkommende Gänsehaut schuldete sie dieser frischen Erinnerung und nicht etwa dem kalten Regen. Was dachte dieser Junge wirklich über sie? Wieso hatte er sie geküsst? Natürlich wollte Momoko Antworten auf all diese Fragen, aber es war wie sie gesagt hatte; würden sie anfangen darüber zu sprechen, konnte das alles andere zwischen ihnen für immer zerstören. Dieser Gedanke schnürte ihr Herz ein, sodass ihr das Atmen schwer fiel. »Nein, ich brauche ihn als Freund…« Und doch wollte sie ihm so gerne sagen, wie dankbar sie ihm für diese erste Erfahrung war, denn sie hätte nicht schöner sein können. An der Bushaltestelle fanden die Beiden endlich etwas Schutz vor den Wassermassen. Geschafft vom eiligen Fußmarsch, studierte Yosuke den Busfahrplan und musterte die beleuchtete Uhr, die in der Nähe stand. „So ein Mist, es ist schon so spät, dass nur noch ein Bus in unsere Richtung fährt, aber er endet einige Stationen vor der, an der wir eigentlich raus müssten.“, fluchte er zähneknirschend. „Oh nein. Dabei ist morgen wieder Schule!“, bemerkte Momoko unglücklich. „Dann stell dich auf eine kurze Nacht ein, denn geschätzt bist du erst weit nach Mitternacht zuhause.“ Er drehte sich zu ihr um, sie triefte nur so dermaßen vor Nässe, dass das Wasser ihr in dicken Tropfen aus den Kleidern leckte. Sie hob seinen Haori herunter, der wie ein nasser Sack in ihren Händen wog. „Gib mal her.“, bat Yosuke sie mitleidig schauend, nahm den nassen Stoff und wrang ihn demonstrativ vor ihr aus. Das Wasser platschte laut auf den einzig trockenen Boden unter dem kleinen Dach der Bushaltestelle. Momoko zitterte vor Kälte, auch ihre Lippen bebten. Der stürmische Wind ließ sie beide in ihren nassen Sachen bis auf die Knochen frieren. Fürsorglich, aber darauf bedacht nicht allzu aufdringlich zu wirken, legte er der Rosahaarigen seinen noch klammen Haori wieder um die Schultern. „Danke… ich hätte mir doch einen eigenen mitnehmen sollen, jetzt musst du meinetwegen frieren.“ Doch Yosuke schüttelte nur abwehrend den Kopf. „Als ob er vor der Nässe oder Kälte schützen würde… der hier ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, du zitterst trotzdem wie Espenlaub.“ „Wer hätte denn auch damit gerechnet, dass es abends gewittert?“ Unterstreichend dröhnte ein ohrenbetäubender Donnerschlag vom Himmel. Bedrohlich flackernde Blitze zuckten durch die Wolkendecke und berührten in der Ferne hier und da einen Blitzableiter auf einem der Hochhäuser. Der Schüler konnte gar nicht mit ansehen, wie sehr sich Momoko in ihren durchnässten Sachen rumquälte. Anders als er hatte sie kaum wärmende Muskeln. „Ich könnte dich etwas wärmen…“, bot er leise und vorsichtig an. Untypisch für ihn lief er vor Scham rot an und sah nervös weg. Sie schaute genauso peinlich berührt auf. Vor einer halben Stunde noch hätte er das nicht beiläufig erwähnt, sondern sie einfach frech grinsend in eine wärmende Umarmung gezogen. Momoko schmunzelte traurig und ging auf ihn zu. Als sie vor ihm stand lehnte sie einfach nur ihre Stirn gegen sein linkes Schlüsselbein, weil sie so viel kleiner war als er. Nervös sah Yosuke zu ihr runter. „Dann wärm mich doch bitte… und sei nicht mehr so verkrampft, es macht mir nichts aus.“ Ihr Puls überschlug sich trotzdem fast, als er behutsam seine Arme um sie legte und so wenigstens ein bisschen vor dem Wind abschirmte. „Wegen vorhin… ich weiß, du willst nicht darüber reden, aber ich will dir wenigstens versprechen, dass ich das nie, nie wieder tun werde! Ab jetzt bin ich brav.“ Hochrot erglühte ihr Gesicht an seiner Brust. Musste er ausgerechnet in diesem Moment wieder davon anfangen? Er fühlte wie sich ihr Körper anspannte, hätte er das nicht sagen sollen? Fühlte sie sich jetzt unbehaglich in seiner Nähe? Dabei wollte er doch nichts weiter als ihr wieder Sicherheit vermitteln… der Torwart musste wohl oder übel damit leben, dass der Kuss in ihren Augen ein Fehltritt war, den man besser verschwieg. Leider hatte sie Recht damit, es war für alle das Beste einfach zur Normalität zurückzukehren ohne dem Geschehenen unnötig viel Bedeutung beizumessen. Als ihr Bus endlich kam verzogen sie sich mit ihren tropfenden Kleidern in die hinterste Reihe, wo sie sich schweigend nebeneinander setzten und aus dem Fenster sahen. Momoko wischte sich mit ihren eisigen, roten Fingern einige Regentropfen aus dem Gesicht und versuchte mit Wischen das zu retten, was von ihrer Wimperntusche noch übrig war. Schwarzgraue Schlieren blieben auf dem blauen Stoff ihrer Ärmel zurück. »Ich muss ja total ruiniert aussehen!«, dachte sie erschrocken und rubbelte sich hektisch gleich noch mal gründlich über ihre Wangen. „Ich würde dir ja ein Taschentuch anbieten, aber ich befürchte, die sind auch alle total nass.“, kommentierte Yosuke ihre verzweifelten Versuche, sich wieder herzurichten. „Schon gut, ich will nur nicht aussehen als wäre ich total verheult, wenn ich zuhause ankomme.“ Der Dunkelhaarige bedachte ihr Vorhaben mit einem kritischen Gesichtsausdruck. „Anstatt um deine optische Erscheinung, solltest du dich lieber um deine Gesundheit sorgen. Von der letzten Haltestelle an ist es bestimmt noch eine dreiviertel Stunde bis zu dir zu laufen und es regnet immer noch wie aus Kübeln.“ Momoko sah ihn vorwurfsvoll schmollend an. „Das ist sehr aufbauend, danke.“, grummelte sie missmutig. Das erste aufrichtige Lächeln seit dem Feuerwerk huschte über sein Gesicht. „Mach dir nichts daraus, ich bringe dich doch.“ „Nein! Das kannst du nicht machen! Dann läufst du ja doppelt so lange! Du musst morgen doch auch wieder zur Schule!“ Yosuke verdrehte die Augen und seufzte. „Warum versuchst du eigentlich immer wieder mir zu widersprechen, oder meine Höflichkeiten auszuschlagen? Inzwischen solltest du doch gemerkt haben, dass ich am Ende doch sowieso mache, was ich für richtig halte und mich durchsetze.“, entgegnete er grinsend. Die Blauäugige schüttelte trotzdem energisch ihren Kopf und sah ihn mit strengem Blick an. „Diesmal gebe ich nicht nach! Das ist einfach zu viel Aufmerksamkeit, du musst auch mal an dich denken.“, wetterte sie kratzbürstig. „Oh glaub mir, das tue ich… und ich hätte keine ruhige Minute wenn ich wüsste, dass eine junge, hübsche Frau wie du da draußen bei dem Sauwetter und zu dieser Uhrzeit alleine durch die Straßen watet, in nassen Socken und mit unpraktischen Getas an den Füßen! Wenn dich nicht irgendein volltrunkener Typ abschleppt oder überfällt, brichst du dir vermutlich die Beine oder ertrinkst in einer Pfütze!“ Sie sah ihn ungläubig an. „Du weißt schon, dass du total spinnst? In einer Pfütze ertrinken? Ernsthaft?“, bemerkte Momoko mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue. Doch ihr Sitznachbar gluckste nur amüsiert; es war dasselbe jungenhafte Kichern, das sie schon auf dem Fest von ihm gehört hatte. Wahrscheinlich wollte er sie mit seiner Übertreibung nur aufmuntern, was ihm wie immer gelang. Angesteckt musste jetzt auch sie leise über die ulkige Vorstellung lachen. „So ihr Lieben, Endstation! Bitte aussteigen“, schall die müde Stimme des Busfahrers zu ihnen nach hinten. Mit steifen Gliedern rappelten sie sich auf und verließen den Bus. Alles was an ihnen während der Fahrt halbwegs warm geworden- oder getrocknet war, wurde nun erneut durchgeweicht. „Na wenigstens blitzt und donnert es nicht mehr.“, sagte Yosuke und versuchte sich optimistisch zu zeigen. Seine Begleitung zog den Haori wieder wie ein Dach über ihren Kopf; sie war alles andere als optimistisch angesichts ihres bevorstehenden Fußmarsches. „Sei es drum, danke für den tollen Tag. Ich schreibe dir, wenn ich Zuhause bin.“ „Nichts da, ich sagte doch schon, dass ich dich bringen werde!“, bestand der braunäugige schroff. Momoko drehte sich um und lief bereits ein paar Schritte rückwärts los. „Ich will aber nicht, dass du mich bringst! Ich kann schon auf mich alleine aufpassen, aber du musst morgen wieder zum Fußballtraining!“, entgegnete sie konsequent. „Lass das mal meine Sorge sein!“, widersprach der Torwart und lief ihr hartnäckig hinterher. Doch die junge Frau streckte ihre erhobene Hand entschieden in seine Richtung. „Stopp! Ich sagte nein! Akzeptier das bitte. Du warst heute nett genug zu mir.“ Ein zweideutiger Unterton schwang in ihrer Stimme mit, was Yosuke augenblicklich entmutigte und zurück warf. Meinte sie es so, wie er es verstanden hatte? Er blieb stehen und sah zu, wie sie weiterhin rückwärts lief, damit sie ihn dabei ansehen konnte. Sie senkte ihren Arm wieder und schaute nun milder. »Es ist besser, du bringst mich nicht nach Hause. Ich weiß nicht wie stark ich bin, oder wie schwach…« Gern hätte Momoko ihren Gedanken laut ausgesprochen, doch es war besser so. Er musste nicht wissen wie wenig Willenskraft sie an diesem Abend noch hatte, um weitere pikante Situationen zu vermeiden. Allein schon sein Lächeln reichte aus, um ihren ganzen Körper an die Elektrizität während seines Kusses zu erinnern; ihr Fleisch war definitiv zu geschwächt um sich dem erwehren zu können. „Ich schreibe dir, versprochen.“, sicherte sie ihm zu, als er ihr unglücklich hinterher sah. Sie drehte sich wieder zurück, um ihren Heimweg fortzusetzen, als sich urplötzlich die Schnalle einer ihrer Schuhe löste und sie deswegen geradewegs auf den Bürgersteig fiel. Natürlich direkt in eine riesige Pfütze. „Momoko!“, rief Yosuke alarmiert und eilte sofort zu ihr. Erschrocken hob sie ihre Arme und den komplett eingetauchten Haori aus dem braunen Wasser, in dem sie mit ihrem Rücken gelandet war. Dreckwasser lief ihr ungehindert aus den Haaren in den Nacken. „Du bist ein unverbesserlicher Tollpatsch! Was machst du nur für Sachen?!“, fragte ihr Retter in der Not, der sie unter den Armen packte und von vom Gehweg auflas. „Ich, ich… mein Schuh ist einfach kaputt gegangen.“, sagte sie mit Blick auf ihren schuhlosen Fuß und den in der Nähe liegenden Geta. „Die Feuchtigkeit hat den Riemen bestimmt gelöst.“, stammelte sie noch unter Schock weiter. Yosuke, der sie vorsichtshalber an den Schultern stützte, musterte sie mit besorgtem Blick. Ihre ganzer Rücken und die Ärmel waren braun vor Dreck und er sah zu, wie ihr die Brühe auch am Hals in die Kleidung sickerte. Es war ein Glück, dass ihr Beutel nicht auch in die Pfütze gefallen war. Noch während er schweigend nachdachte, begann Momoko auf einmal an leise zu lachen. Peplex starrte er ihr in die vergnügt strahlenden Augen. „Sieht ganz so aus, als könnte ich wohl doch in einer Pfütze ertrinken! Und mir gleichzeitig die Beine brechen!“, erklärte sie laut kichernd. Völlig verdattert über ihre plötzliche Hochstimmung, konnte der junge Mann sie einen Augenblick lang nur sprachlos und mit geweiteten Augen ansehen. Weil sie aber immer weiter lachte und sich sogar noch steigerte, konnte er schließlich nicht anders als mit einzustimmen. Es gehörte schon viel dazu in so einer Situation trotzdem noch über sich selbst lachen zu können. „Oh Pfirsichtörtchen, du machst mich ehrlich fertig…“, sagte er irgendwann noch immer schmunzelnd. „Dann fehlt ja jetzt nur noch der Typ, der dich abschleppt.“ Sie kicherte atemlos über seinen kleinen Scherz. „Stimmt, aber ich glaube, auf den kann ich verzichten. Ein warmes und vor allem trockenes Taxi wäre mir jetzt ehrlich gesagt viel lieber.“ Sie lächelten sich ausgelassen an, fast vergessen waren der sich noch immer ergießende Himmel und ihre aufgeweichte, kalte Haut. „Damit kann ich nicht dienen, aber ich könnte den zwielichtigen Abschlepper mimen.“ Sie erstarrten gleichzeitig peinlich berührt, denn wieder mal zu spät begriff Yosuke erst, wie zweideutig seine Aussage geklungen hatte. „Ich befürchte, ich kann dir nicht ganz folgen… habe aber Angst es doch zu tun oder dich falsch zu verstehen.“, gestand Momoko schüchtern. „Ich wollte damit nur sagen… Ich wohne von hier nur knappe zehn Minuten entfernt. So wie du jetzt aussiehst solltest du ehrlich nicht nach Hause gehen. Ich habe saubere Klamotten, eine heiße Dusche und zur Not auch eine wirklich bequeme Couch…“ Das Herz der Schülerin setzte einen langen Schlag lang aus, bevor es hämmernd gegen ihre Brust trommelte und ihr damit das Blut in die Wangen trieb. Es war ein wahrscheinlich höchst unangemessenes Angebot, wenn man ihrer beider Beziehungsstatus und den Vorfall von vorhin nicht außer Acht ließ, aber ihrem durchgefrorenem, schmutzigem Körper war das alles ziemlich egal. Momoko war tatsächlich geneigt die Einladung ihres Gegenübers anzunehmen. „Und bevor du irgendwas Komisches von mir denkst, ich schwöre hoch und heilig, dass ich dir nicht zu nahe treten werde!“, beteuerte Yosuke nervös und nestelte dabei an seinem klatschnassen und dreckigen Haori herum, den er ihr inzwischen abgenommen hatte. Das Mädchen mit den Saphiraugen grinste, denn sie hatte sowieso nicht angenommen, dass er etwas anderes im Sinn hatte. Dafür war er dann doch einfach zu anständig, was auch immer ihn auf dem Kirschblütenhügel dazu bewegt hatte das Gegenteil zu beweisen… Sie schüttelte den letzten Gedanken sich selber rüffelnd wieder ab und blickte in die abwartende Miene ihres Begleiters. „Dusche und trockene Klamotten, das klingt gut.“ Erleichtert grinste Yosuke sie an. „Ich habe sogar Tee da.“, erklärte er übertrieben stolz, so als wäre das etwas Außergewöhnliches. „Das klingt ja geradezu verlockend!“, scherzte sie. „Dann komm schnell, spring auf.“ »Spring auf?!«, dachte Momoko verdutzt. Er drehte sich mit dem Rücken zu ihr und ging in die Hocke. „Na auf meinen Rücken, du kannst doch nicht auf nur einem Schuh oder ganz ohne laufen. Bei deinem Glück trittst du dir in der Dunkelheit noch eine Scherbe ein.“ Anstatt etwas zu sagen entfuhr der jungen Frau nur ein schwer zu deutender, hochfrequenter Schreckenslaut. „Na komm, oder willst du nicht auch endlich aus dem Regen raus?“, foppte er sie spielerisch. „Ich kann nicht! Das geht nicht! Wie soll ich denn…?“, stotterte sie aufgeregt. Selbst wenn sie einverstanden wäre auf seinen Rücken zu klettern, wie sollte das in einem Yukata funktionieren? „Lockere einfach deinen Obi etwas, dann hast du mehr Beinfreiheit,“ Momokos innere Selbstbeherrschung fiel augenblicklich in Ohnmacht. Ihr Kopf rauchte, so peinlich war ihr das, was Yosuke ihr da vorschlug. Dieser richtete sich wieder auf und beobachtete das lustige Mienenspiel der Hobbyfotografin. Sein Blick wanderte zu ihrem Obi und ein hinterlistiger Gedanke schlich sich in seinen Kopf. Da die Rosahaarige sich weiter unschlüssig zeigte, überrumpelte er sie einfach und lockerte mit einem Griff um sie herum den Knoten in ihrem Rücken und zog dann trotz ihres einsetzenden, entsetzt quietschendem Protestes, kraftvoll am Stoff unterhalb ihrer Hüfte, sodass ihr rechtes Bein hervor lugte. Er gestattete sich jedoch nicht einen einzigen, flüchtigen Blick darauf oder sonst einen unzüchtigen Gedanken. „Kyah! Du Fiesling!“, schimpfte Momoko und versuchte hilflos den Stoff wieder sittsam herzurichten. „Es schaut doch keiner! Los jetzt, steig auf und du kannst dich bei mir meinetwegen sofort im Badezimmer verstecken.“ Wieder drehte er sich um, schnappte sich aber diesmal rückwärts ihre Hände und zog ihre Arme über seine Schultern, sodass die Widerspenstige gar keine andere Wahl hatte als sich festzuhalten, da ihre Füße den Boden unter sich verloren. „Yosuke! Du bist gemein, das ist mir doch peinlich!!!“, quietschte sie entrüstet weiter mit glühendem Haupt. Seine Hände glitten unbeirrt unter ihre Schenkel um sie festzuhalten. Vollkommen verlegen krallte sie sich in den nassen Stoff an seinen Schultern und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken. „Muss es aber nicht, du bist ganz leicht.“, versuchte er sie aufzumuntern und lief zügig los. »Als ob es mir deswegen peinlich wäre!«, dachte sie knurrend. Kapitel 19: Into the lion’s den ------------------------------- Er trug sie das ganze Stück bis zu dem Wohnblock, indem er lebte, ohne unterwegs langsamer zu werden. Er beschwerte sich auch nicht, dass ihr Beutel ihm bei jedem Schritt gegen den Rumpf stieß, oder das der ruinierte, braun tropfende Haori, der über seiner einen Armbeuge hing, seinen bis dahin sauberen Yukata einsaute. Yosuke war was das betraf ein echter Gentleman. „Da wären wir.“, sagte er, als er sie endlich absetzte. Momoko zog ihren gelockerten Yukata mit den Händen notdürftig zusammen und räusperte sich verlegen. „Danke.“, entgegnete sie knapp. Der amüsierte Torwart winkte sie direkt durch in den Fahrstuhl, der sie beide anschließend zu seinem Stockwerk befördern sollte. Als sich dessen Türen schlossen, wurde es seltsam ruhig um sie beide herum. Es war komisch zu zweit allein in diesem engen Lift eingeschlossen zu sein, aber sie ließen es sich nicht anmerken, wie nervös sie das tatsächlich machte. Schlussendlich oben angekommen, konnte Yosuke endlich seinen Schlüssel zücken und die Tür zu seiner Wohnung öffnen. Staunend folgte ihm Momoko hinein, die irgendwie auf Anhieb mehr Chaos erwartet hatte. Stattdessen hingen in dem kleinen Flur ordentlich angeordnet Fotografien von Fußballturnieren und kleinere Auszeichnungen an der Wand. Es lag auch nichts Unnötiges frei herum, aber es wohnte ja normaler Weise auch noch eine Frau hier… „Geradezu ist direkt das Bad, ich lege dir Handtücher, einen Bademantel und alles andere raus. Brauchst du noch etwas Bestimmtes, bevor ich dir meine Sanitäranlagen überlasse?“ Seine Lippen formten ein spitzbübiges, schiefes Grinsen. „Du sagtest etwas von Tee – ich würde wirklich schrecklich gerne nach dem Duschen einen trinken!“, antwortete sie sehnsüchtig. Er nickte verstehend. „Ich setze gleich eine ganze Kanne Matcha-Tee auf.“ Gesagt, getan. Bevor er auf seinen Parkettboden trat, zog er sich seine durchweichten Socken von den Füßen. Momoko tat es ihm nach und lies sie ordentlich neben ihrem Beutel und Yosukes schmutziger Jacke auf den Fliesen bei der Tür liegen. Sie wollte nur noch raus aus dem vollgesogenen Yukata. Das Badezimmer war klein, aber modern. An der linken Wand war ein Wachtisch mit hohem Sims und einem langen Spiegel darüber, rechts gegenüber gab es eine Badewanne und an deren Ende noch eine geräumige Dusche aus ganz klarem Glas. „Ich kann doch abschließen, oder?“, rief sie der Dusche wegen misstrauisch aus dem Bad heraus. „Natürlich, der Schlüssel steckt.“, rief ihr Gastgeber zurück. Momoko drehte sich zu dem Türschloss und drehte den silbernen Schlüssel darin gleich zwei Mal um. Sicher war sicher. Rechts neben der Tür gab es eine Wandheizung, über der ein Handtuch und ein violetter Bademantel hingen. »Na wenn das mal nicht Hiromis ist…«, dachte sie argwöhnisch. Lila passte so gar nicht zu ihrer Haar- und Augenfarbe... und wahrscheinlich würde die Hausherrin durchdrehen wenn sie wüsste, dass sie ihre Sachen gerade unfreiwillig mit ihr teilen musste. Sie stellte sich vor den Spiegel, über dem eine längliche Wandlampe hing, die den Raum erhellte. Ihre Frisur und auch das Make Up waren vollkommen ruiniert, von ihrer Kleidung, die vor Schmutz und Wasser nur so triefte, mal ganz zu schweigen. Ohne weitere Verzögerung löste Momoko ihren ohnehin lockeren Obi und ließ den schweren, nassen Stoff ihres Yukata einfach von ihren Schultern auf den Boden gleiten, sodass sie nur noch in ihrem schwarzen Slip vor dem Spiegel stand. Als sie ihr Spiegelbild nochmals prüfte, fiel ihr Blick auf die Pfirsichblüte in ihrem Haar, was sie zum Lächeln brachte. Vorsichtig löste sie zuerst das Lederband, auf dem sie saß und legte die Blüte dann auf den Waschbeckenrand, bevor sie sich daran machte sämtliche Klammern und Spangen aus ihrem Haar zu lösen. Es fiel ihr schwer und zerzaust über die Schultern. Die Rosahaarige sah so irgendwie wild und eindrucksvoll aus, ihre Haut erschien in dem künstlichen Licht noch weißer als sonst. Prüfend ließ sie ihre Finger über ihre Wangen, ihren Mund und ihren Hals gleiten und betrachtete dabei ihren fast nackten Körper. »Bin ich eigentlich sexy?«, fragte sie sich seltsamer Weise und räkele sich in verschiedenen Posen vor dem Spiegel. „Alles ok da drin? Ich höre noch gar kein Wasser laufen.“ Momoko sprang aufgeschreckt vom Spiegel weg, augenblicklich errötet und mit vor den Brüsten verschränken Armen. „Ja! Alles gut! Ich wollte das Wasser gerade anstellen!“, flunkerte sie in ihrer Not. Hektisch schlüpfte sie aus ihrem Slip, den sie noch schnell über die Heizung legte, und sprang dann in die gläserne Duschkabine. Mit zwei Handgriffen hatte sie dann auch die richtige Wassertemperatur eingestellt und ließ es warm aus der Duschbrause über sich ergießen. „Mein Gott, ist das herrlich!“, raunte sie genießend, während sie mit geschlossenen Augen ihr Gesicht dem Wasserstrahl entgegen reckte. Das beinahe heiße Wasser zwickte auf ihrer viel zu kühlen Haut, doch als die erste Kälte vertrieben war, erreichte die Wärme auch ihre steifen Glieder. Momoko sah zu wie der Schmutz aus ihren Haaren allmählich im Abfluss versickerte. In der Dusche hing an den Fliesen ein kleines Regal mit diversen Duschbädern und Shampoos. Die eindeutigen Frauenprodukte waren übertrieben bunt etikettiert und rochen bei näherer Inspektion auch sehr süß und künstlich; damit sollte sie sich waschen? Nur um dann ausgerechnet so zu duften wie Hiromi? »Auf keinen Fall!«, beschloss die Blauäugige trotzig, lieber nutzte sie gar keine Seife! Aber es gab ja noch Yosukes Produkte als Alternative… zögernd griff sie nach dem Duschgel und roch daran. Überrascht stellte Momoko fest, das es fast neutral duftete, höchstens ein wenig nach Limonen; frisch und angenehm. Kurzentschlossen gab sie sich etwas davon auf die Hand und begann sich einzuseifen. Feiner, seidiger Schaum bildete sich zwischen ihren Handflächen und ihrer feuchten Haut. Sein leichter Duft hüllte sie ein, während ihre Finger über jede nackte Stelle ihres Körpers glitten. »Sein Duschgel…«, wiederholte sie im Geiste und schloss genießerisch die Augen, als eine Gänsehaut über ihre Haut kroch. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich noch mal die letzten Sequenzen ihres gemeinsamen Abends in Erinnerung rief. Als sie mit ihren Händen über ihr Gesicht glitt und das warme Duschwasser auf ihre Haut prasselte um den Schaum hinfort zu spülen, durchflutete sie wieder die Wärme und das Kribbeln, das sie empfunden hatte, als sie sich geküsst hatten. Momoko öffnete die Augen und griff blind zu dem Shampoo, das ebenfalls Yosuke gehörte. Es roch frisch nach Minze. Sie wollte aufhören daran zu denken, doch sie konnte nicht! Warum musste sie so ein heftiger Flashback ausgerechnet jetzt unter seiner Dusche erwischen? Wann immer sie die Lider schloss sah sie seine dunklen Augen vor sich; ihr glühender Blick, der sie ganz tief in ihrem Inneren berühre. Mit festen Griffen massierte sie das Shampoo in ihr Haar ein und versuchte sich auf ihre Körperpflege zu konzentrieren, doch der herabfließende Schaum, der streichelnd an ihrem Hals über das Schlüsselbein und schließlich an den äußeren Rundungen ihrer Brust seinen Weg zum Abfluss suchte, erinnerte sie nur noch mehr an Yosukes Brührungen. Seine warmen Lippen auf ihrer Haut, auf ihrem Mund… und doch spürte sie den Nachhall nicht dort, sondern tiefer. Ihre Hände glitten hinab über ihren Bauch und… »Oh nein, kann mich bitte jemand wach rütteln?! Was zum Henker tue ich hier?!« Höchst verwirrt über ihre Gedanken und noch irritierter von den unerklärlichen Reaktionen ihres Körpers, riss Momoko an der Mischbatterie und stellte auf kalt. Sich auf die Zunge beißend ließ die junge Frau den Eisregen über sich ergehen, bis das Shampoo ganz aus ihren Haaren ausgespült war. Prustend stellte sie das Wasser ab und rieb sich beim heraustreten aus der Kabine die stechende Haut ihrer Oberarme. Dankbar schlüpfte sie in den aufgewärmten Bademantel von der Heizung und wickelte sich das Handtuch wie einen Turban um ihr langes Haar. Zornig sah sie in den Spiegel und klatschte sich mit den Handflächen auf die Wangen. „Reiß dich mal etwas zusammen!“, ermahnte sie sich selber streng. Momoko brauchte eine ganze Weile um ihre Haare wenigstens so weit trocken zu bekommen, dass sie auf das Handtuch verzichten konnte. Noch etwas klamm hing es ihr in schweren, leicht welligen Strähnen über den Rücken. Ihre Haut war ebenfalls trocken, also zog sie sich ihre einzige, durchgetrocknete Unterwäsche wieder an und wischte den Boden des Bades mit dem Kopfhandtuch trocken. Ihren schmutzigen Yukata legte sie zusammengefaltet in die Badewanne, sie würde ihn in einer Tüte mit nach Hause nehmen und selber waschen. Frisch und munter schloss sie das Badezimmer wieder auf und lief dabei fast Yosukes in die Arme. „Hoppla, da bist du ja endlich!“, sagte er überrascht. „Ich wollte schon nachfragen kommen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist.“ Der Dunkelhaarige trug bereits seinen eigenen, dunkelgrünen Bademantel. „Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe, aber mit den Haaren und dem ganzen Rest dauert das immer ein bisschen.“ Er winkte ab als wäre das nichts, wofür man sich entschuldigen müsste. „Schon ok. Ich habe dir im Wohnzimmer die Thermoskanne mit Tee hingestellt und außerdem ein paar Klamotten von Hiromi rausgelegt, die sie schon ewig mal in die Altkleidersammlung geben wollte. Such dir etwas davon raus, ich bin in der Zwischenzeit auch mal duschen.“ Sie lächelte ihn dankbar an und machte ihm dann Platz. Er verschloss genau wie sie die Tür zwei Mal, was sie amüsiert den Kopf schütteln ließ. Als ob sie bei ihm reinplatzen wollen würde! Das Wohnzimmer war gradlinig und modern eingerichtet. Kein unnötiger Schnickschnack, aber auch nicht viele Details die eine warme, gemütliche Atmosphäre schufen. Nur auf einem Sideboard standen ein paar wenige Fotos, die Momoko interessiert in die Hand nahm. Yosuke mit seiner Mutter beim Abschluss der Mittelschule; er Arm in Arm mit Kazuya und der damaligen Fußballmannschaft im Hintergrund; Er und Hiromi. Bei dem letzten Bild verfinsterte sich ihre Miene, denn es war das einzige Foto auf dem sie glaubte, ihn nicht wirklich strahlen zu sehen. Er lächelte zwar offenherzig in die Kamera, aber es erreichte seine Augen nicht. Sie stellte es wieder zurück an seinen Platz. „Ich sehe schon Gespenster.“, sagte sie zu sich selbst und rieb sich die müden Augen. Ihr Weg führte sie zu dem kleinen Esstisch, auf dem zwei Tassen und die Teekanne standen. Eine Tasse war schon benutzt, das musste Yosukes sein. Auf einem der abgerückten Stühle lag ein Stapel Klamotten, allesamt schon auf den ersten Blick überhaupt nicht ihr Stil, aber ihr Yukata war ja unbrauchbar, also welche Wahl hatte sie schon? Missmutig entfaltete sie das erste Teil; ein knappes, hautenges Top. „Oh je… Nichts gegen dich Hiromi, aber da passt mein Vorbau nicht rein.“ Das nächste Teil, eine kurze Jeans-Shorts, war auch nicht viel besser. Momoko versuchte sich mit Springen in sie hineinzuquetschen, doch ihr Po und ihre Hüfte hatten da entschieden was dagegen. Grummelnd warf sie sie resignierend zurück auf den Stapel. Noch nie hatte es sie so geärgert kurvenreich zu sein, wie jetzt! »Wenn das so weiter geht, muss ich wohl nackt herum laufen!« Sie bekam bei der Vorstellung heiße Ohren. Unruhig wühlte sie sich weiter durch die Kleidungsstücke, bis sie eines fand, das so gar nicht zu den anderen passte. Verwundert zog die junge Frau ein großes, weißes Hemd aus dem Haufen. „Aber das ist doch ein Männerhemd?“, führte sie ihren Monolog fort. Momoko strich über das weiße, weiche Leinen und die Knopfleiste. Das musste versehentlich zwischen die Mädchensachen gerutscht sein, aber selbst Yosuke wäre es noch um einiges zu groß. Es musste also auch ein aussortiertes Kleidungsstück sein. Abschätzend hielt sie es an den Schulternähten vor sich hoch, vielleicht war das genau das Richtige für sie. Sie lauschte, ob noch immer das Wasser in der Dusche lief und tauschte dann den Bademantel eilig gegen das Hemd. Es war so lang, dass es bis knapp über ihren Po hing. Die Ärmel krempelte sie sich leger bis zu den Ellenbogen hoch und die obersten beiden Knöpfe ließ sie offen, damit es nicht so steif aussah. »Ganz schön knapp.«, dachte sie besorgt, aber vielleicht hatte Yosuke auch noch eine alte Jogginghose oder eine Jeans, die er ihr dazu ausborgen konnte. Der Spieler war erleichtert sich endlich den Regen von der Haut zu waschen, das gab ihm Gelegenheit sich eine Strategie für den weiteren Verlauf des Abends zurrecht zu legen. Es war bereits wahnsinnig spät, wie sollte es Momoko rechtzeitig nach Hause und dann zur Schule schaffen, wenn sie erst morgens ging? Das Wetter draußen hatte sich nur bedingt beruhigt, sie jetzt heim zu bringen war keine Option. Yosuke blickte auf seine Handflächen, denn dort spürte er noch die Haut ihrer weichen Schenkel. Er schloss sie zu Fäusten. Konzentriert schrubbte er sich ab und vertrieb die Gedanken an seinen unverhofften Gast und ihren Körper. Ein Fehltritt war mehr als genug; wenn er sich weiter von seiner Sehnsucht treiben ließ, würde er Momoko als Freundin verlieren. Hiromi war in seinem Herzen nicht mehr präsent, das wusste er nun. Es war zwecklos zu leugnen, was er alles während dem Hanami und auch schon viele Male davor empfunden hatte, aber erst nachdem er die Rosahaarige geküsst hatte, war es ihm wirklich klar geworden. Er musste Schluss machen, so schwer es auch war nach zwei Jahren Beziehung… alles andere wäre Hiromi gegenüber unfair. So sicher er sich war, dass sie ihm nichts mehr bedeutete, so deutlich konnte er fühlen wie er weiter von Momoko angezogen wurde. Allein die Erinnerung an ihren verklärten Blick und ihren seufzenden Atem, als sie in seinen Armen lag, machte ihn heiß. Yosuke durfte gar nicht weiter denken, sonst würde er noch explodieren! Gegen das kühle Glas gelehnt, versuchte er sein loderndes Blut wieder runterzukühlen. „Ich bin so ein Idiot!“ Wütend und hilflos stieß er seinen Hinterkopf mehrfach an die Scheibe in seinem Rücken. Er hatte versprochen ihr nie wieder zu nahe zu treten und das war auch noch immer sein festes Vorhaben, aber warum fiel es ihm nur so schwer? Seit dem Kuss elektrisierte ihn jedes Lächeln und jede flüchtige Berührung aufs Äußerste. Seit er wusste wie es war, wie es sich anfühlte ihre Lippen in Besitz zu nehmen und ihr den Atem zu rauben. Und trotz dieses Wissens war sie hier, weil er sie in die Höhle des Löwen geschleppt hatte! Wie dumm konnte man sein, aber was hätte er anderes tun sollen? Das Einzige was er tun konnte war direkt nach dem Duschen ins Bett zu gehen. Er war überreizt von den Geschehnissen des Tages; nach einer Mütze voll Schlaf sah die Welt mit Sicherheit wieder anders aus und er wäre auch wieder Herr seiner Selbstbeherrschung. Fertig geduscht stieg er aus, trocknete sich ab, schlüpfte in seine lockere Pyjamahose und putzte sich noch die Zähne. Er war nicht so dumm zu versuchen, die Verlobte eines anderen aus niederen Beweggründen zu verführen. Er redete sich ein sie sie eh wahrscheinlich nur deswegen zu begehren, weil er sie nicht haben konnte. Verflixter Jäger-Instink! Mit ernstem Blick musterte er sich im Spiegel. »Du packst das, geh einfach schlafen! Schau sie nicht an, berühre sie nicht… dann passiert auch nichts. Einfach nur schlafen gehen!« Motiviert von seinem inneren Mantra, verließ er das Bad und schaltete dort das Licht aus. Yosuke fragte sich, ob Momoko wohl etwas Passendes zum Anziehen gefunden hatte und versuchte sie sich in Hiromis abgelegten Sachen vorzustellen, was ihn unwillkürlich zum Grinsen brachte. Nichtsahnend bog er um die Ecke in sein Wohnzimmer und hielt nach ihr Ausschau. Was er auf der anderen Seite des Raumes zu sehen bekam ließ ihn fast über seine heruntergeklappte Kinnlade stolpern. Er sah Beine; nackte, lange Beine mit schönen Rundungen, die hinauf zu einem wohlgeformten, knackigen Apfelpo führten, der sich einladend in Yosukes Richtung reckte. Der Torwart glaubte Nasenbluten zu bekommen, als ihm das Blut dröhnend in den Kopf schoss. Sein weiblicher Gast hatte ihn noch gar nicht im Türrahmen bemerkt, denn beschäftigt beugte sie sich über den Stuhl mit den Kleidungsstücken, die sie gerade wieder fein säuberlich zusammenlegte und richtete sich nur zwischendurch kurz auf um einen Schluck Tee zu schlürfen. Ein flüchtiger Blick reichte um ihr schwarzes Höschen mehr als gut zu erkennen, das nur knapp ihren Hintern und die weiche Wölbung zwischen ihren Beinen bedeckte. Yosuke schlug beide Hände vor seine Augen und sein heiß glühendes Gesicht. Fertig mit der Welt ließ er sich mit der rechten Schulter gegen den Türrahmen fallen. „Momoko…“, nuschelte er vorwurfsvoll durch seine Finger hindurch. Aufgeschreckt drehte sich die junge Frau zu ihm um, sofort das Hemd auf ihrer Kehrseite wieder über ihren Po zuppelnd. Als sie seine Verlegenheit vertuschende Pose bemerkte, begann ihr Herz aufgeregt zu schlagen. „Yosuke! Wie lange stehst du denn schon da?“, fragte sie nervös durch das Zimmer hindurch. „Ich befürchte lang genug…“, gestand er schuldbewusst und noch immer sein rotes Gesicht versteckend. Die Blauäugige lief purpurrot an als sie begriff, welche Aussichten er gehabt haben musste. „Oh nein!!! Ich schwöre, ich wollte dich nach einer Hose fragen!!! Oh, bitte sag mir nicht was du gesehen hast, aber vergiss es ganz schnell wieder!!!“, beschwor sie ihn flehentlich, denn sie glaubte vor Scham im Erdboden versinken zu müssen. Mutig lief Momoko durch das Wohnzimmer auf ihn zu. Vor ihm stehend legte sie ihre Hände am Saum des Hemdes flach so gut es ging über ihre Oberschenkel, um noch etwas mehr Haut zu verstecken. „Wieso um alles in der Welt hast du mein Hemd an?“, fragte er anklagend und versuchte sie anzusehen, ohne einen schlafenden Wolf in sich zu wecken. „Es lag zwischen den anderen Sachen, mir hat nichts anderes gepasst! Wirklich! Oh Gott, das ist mir so peinlich!“ Diesmal schlug sie die Hände vor ihrem Gesicht zusammen. Yosuke, der sie erneut musterte, wusste beim Anblick ihres Dekolletes, das sich durch die geöffneten obersten Knöpfe gut einsehen ließ, auch warum sie in nichts von Hiromi hineinpasste. Er sog scharf Luft ein und biss sich beinahe schmerzhaft auf die Unterlippe. Sie trug keinen BH, wahrscheinlich hatte sie unter dem Yukata schon keinen getragen, da die untypisch war. Er erinnerte sich daran, dass er bei der Liebkosung ihrer Schulter schon keinen Träger bemerkt hatte. Hochkonzentriert versuchte er ruhig und gleichmäßig zu atmen um seine aufkommende Erregung niederzukämpfen. Als Momoko nun ihre Hände aber wieder sinken ließ, konnte er ihre leicht aufgerichteten Brustwarzen durch den Stoff hindurch erahnen. Sie folgte seinem weggetretenen Blick und erschrak. Ihre Hand sauste durch die Luft und traf seine linke Wange, ehe sie ihre Arme schützend vor sich verschränkte. „Du bist ein Lustmolch!!!“, fuhr sie ihn an und wollte an ihm vorbei in den Flur stürmen. Doch er hielt sie entschieden auf, packte sie an beiden Oberarmen und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand im Flur, was sie zwang ihn anzusehen. „Denkst du, das mache ich mit Absicht? Glaubst du, ich provoziere das? Was meinst du wie es einem Mann ergeht, wenn eine Frau wie du in dem Aufzug vor ihm herumtänzelt? Wenn man nicht weiß, wohin man eigentlich schauen soll?“, knurrte er sie an, sein Atem streifte ihr Gesicht, sein Blick war düster und hypnotisierend. Yosuke ignorierte die Tatsache, dass sie ihn geohrfeigt hatte, völlig. Ihr Puls raste so schnell wie noch nie. „Ich… ich weiß es nicht… Aber ich will nicht, dass du mich so ansiehst!“, entgegnete sie und senkte ihren Blick, sein eiserner Griff verhinderte, dass sie entkam. Ihr Gegenüber ließ ihren rechten Arm los um ihr Kinn wieder anzuheben. „Wie soll ich dich denn ansehen? Wie ein Freund?“, fragte er, das letzte Wort wie ein Schimpfwirt betonend. Unsicher was sie darauf entgegnen sollte, nickte Momoko nur steif. Yosukes Miene füllte sich mit Pein. Was war nur in ihn gefahren? „Aber das kann ich nicht… nicht mehr. Verdammt, wir haben uns geküsst! Und es war alles andere als ein keuscher, freundschaftlicher Kuss! Ich verbrenne an dir, merkst du das nicht?!“ Ihre blauen Augen flackerten aufgewühlt. Starr und trotzdem zitternd vor Anspannung begegnete sie seinem Blick, der auf einmal wieder genauso sehnsuchtsvoll und hungrig war wie auf dem Hügel. „Wieso? Ich… verstehe das nicht…“, hauchte sie. Er zog seine Augenbrauen dicht und nachdenklich zusammen, so als würde er sich über ihre Naivität ärgern. Yosuke nahm seine Hand von ihrem Kinn und umschloss stattdessen ihr Handgelenk. Momoko schluckte aufgeregt. Ohne den Blickkontakt zwischen ihnen zu unterbrechen, führte er ihre Hand zunächst zu seiner Brust, wo sie seinen heftigen Herzschlag unter seiner heißen Haut fühlen konnte. Der Sportler näherte sich mit seinem Gesicht ihrem linken Ohr. „Ich verstehe es auch nicht, aber spürst du das?“, raunte er mit dunkler Stimme. Ihre Knie wurden weich und ein Schauer überfiel sie, ihr Körper begann sich zu verselbstständigen. Sie nickte zitternd. Er führte ihre Hand weiter nach unten über seine Bauchmuskeln, immer tiefer, sodass sich ihre Augen schon bei der bloßen Ahnung, wohin die Reise ging, enorm weiteten. Yosukes Finger glitten zwischen ihre, als sie seinen Hosenbund passierten er ihre Hand in seinem Schritt ablegte, wo sich der Beweis seines Verlangens heiß und hart durch den Stoff seiner Hose wölbte. „Und verstehst du das?“, hauchte er ihr knurrend, fast stöhnend ins Ohr und biss kurz zärtlich hinein. War er denn wahnsinnig? Ein Blitz durchzuckte sie bei seinen Worten und seiner Berührung so heftig, dass sie sich unter seinem Griff wie ein Aal wand. Momoko wollte zusammensinken, so schwach fühlte sie sich plötzlich, doch er ließ es nicht zu. Er entließ ihre Hand und hob erneut ihr Gesicht an, sein Blick war viel milder als zuvor und es lag der Wunsch nach Abbitte darin. „Ich weiß, dass es falsch ist dich auf diese Weise zu wollen, aber ich fühle mich von dir angezogen seit wir uns auf dem Klassentreffen wieder begegnet sind! Ich hatte eigentlich das Gefühl, dir würde es ähnlich gehen, aber ich wusste, dass du das nicht willst. Du würdest deine Zukunft mit Takuro niemals für banales Verlangen riskieren… Aber ich will das du es weißt, denn ich kann es nicht länger verstecken.“ Der jungen Frau schwirrte der Kopf. Yosuke Fuma begehrte sie auf eine sehr animalische Weise. Etwas das ihr fremd war und vor dem sie sich immer gefürchtet hatte, bevor sie ihm begegnet war. Aber ohne es zu wissen hatte er in ihr etwas erweckt, das diese Sehnsucht und Begierde verstand und teilte. „Ich habe sie auch gespürt, die Anziehung zwischen uns.“, brach sie endlich ihr Schweigen. Yosuke ruckte perplex und ungläubig mit dem Kopf. Momoko nahm allen Mut zusammen um ihn anzusehen. „Und ich habe den Kuss genossen! Und mir schon viele Male davor heimlich gewünscht, du würdest es einfach tun.“ Ihr unerwartetes Geständnis schien den Dunkelhaarigen jedoch nicht zu erleichtern, sondern viel mehr zu bestürzen. „Nein, du verstehst das nicht… es geht mir nicht nur ums Küssen, denn das reicht mir nicht… Ich brenne, ich will mehr; ich will dich. Und zwar ganz.“, gestand er, ließ endgültig von ihr ab und senkte mit selbstverachtendem Gesichtsausdruck den Kopf. Seine zu Fäusten verkrampften Hände zitterten, er musste Höllenqualen leiden, um sich ihr gegenüber zu beherrschen. „Dann nimm mich.“ Kapitel 20: Lust - one step closer ---------------------------------- Eine furchteinflößende Erkenntnis traf Momoko mit unfassbarer Wucht, als sie die Worte aussprach. War sie nicht sowieso von Beginn an Wachs in seinen Händen gewesen? Schlug ihr Herz nicht nur in seiner Gegenwart so schnell, als wollte es aus ihrer Brust springen? Sehnte sie nicht ebenso nach mehr, wann immer sie an ihn und seine Berührungen dachte? Versteinert vom Unglauben starrte Yosuke sie an, doch sie fühlte sich unter seinem Blick erstaunlich ruhig und selbstsicher. Er schüttelte sich, als sein Verstand wieder einsetzte. Aufgebracht stützte er seine Hände rechts und links gegen die Wand neben ihrem Kopf ab. „Weißt du, was du da sagst?! Das ist kein Spiel! Ich würde mit dir schlafen, wenn ich könnte – was ist mit deiner Verlobung?“, konfrontierte er sie unerbittlich ehrlich. Ihre blauen Augen füllten sich mit Verzweiflung. „Ich will und wollte nie, dass Takuro mein erster Mann ist! Seit dieser Ring an meinem Finger steckt fürchtete ich mich vor meinen ersten Erfahrungen mit ihm! Aber dann kamst du und hast mir gezeigt was ich fähig bin zu empfinden! Ich erzitterte vor deiner dunklen Stimme, meine Knie werden weich wenn du mich so ansiehst wie jetzt und immer wenn ich in deinen Armen lag, wollte ich mehr… Ich will genau das: Sehnsucht, Verlangen, das intensive Prickeln überall im Körper… und ich will es mit dir.“ Momoko konnte zusehen wie Yosuke seinen inneren Kampf verlor, sein Atem wurde rauer und seine braunen Augen verwandelten sich in dunkle, unergründliche Tiefen in denen man sich verlieren konnte. Seine leicht geöffneten Lippen bebten ausgehungert. Sie selbst erschauerte vor ihm wie ein Lamm vor dem Wolf, aber sie wollte es wirklich. Langsam begannen ihre Finger wie von selbst die obersten Knöpfe des Hemdes zu öffnen. „Yosuke, schlaf mit mir…“, flüsterte sie mit erregter Stimme. Wie betäubt sah er zu, wie ihre schlanken Finger sich zitternd an den Knöpfen zu schaffen machten. Er umschloss sie abhaltend mit seinen Händen, weswegen sie ihn verunsichert musterte. Fordernd drängte er sich plötzlich dicht an sie, sein linkes Bein stand zwischen ihren, wo er sie mit seiner Hüfte fest gegen die Wand drückte. „Nimm die Hände da weg.“, raunte er warnend. Flach atmend ließ sie die Knöpfe los, ihr Körper war starr vor Erfurcht. Bestimmend schob Yosuke ihre Hände auseinander und hielt sie rechts und links neben ihrem Körper fest. Quälend langsam schmiegte er sein Gesicht an ihres, berauschte sich am Duft ihrer Haare und ihrer Haut. Ihr lieblicher Körpergeruch mischte sich mit der wohlbekannten Note seiner Duschartikel. Der Gedanke, dass sie seine Sachen benutzt hatte, amüsierte ihn gleichermaßen, wie es ihn erregte. Momoko warf den Kopf zur Seite, als sie seinen heißen Atem an ihrem Ohr und auf der Haut ihres Halses spürte und erzitterte erneut. Er strich mit seinen Lippen die feine Linie bis zu ihrem Kinn entlang und hinterließ in der Kuhle darunter einen kurzen, zärtlichen Kuss, bevor er mit seinem Mund hinauf zu ihrem wanderte. Die junge Frau, die unfähig war sich zu bewegen, wand ihm ihr Gesicht zu; ihre Wangen und Augen glühten in hoher Erwartung. Ihr Herz schlug spürbar kräftig gegen seinen Brustkorb. Yosuke wollte das sie brannte vor Verlangen, so wie er. Er öffnete seine Lippen, berührte ihre mit seinen jedoch nur flüchtig, immer wenige Millimeter von einem Kuss entfernt und bewegte sich dort streichelnd hin und her, ihr aufgeregter Atem vereinigte sich mit seinem. „Bitte…“, wisperte sie leise. Ihr Wort hallte als brodelndes Pulsieren in seinen Adern wider; er ließ sich nicht bitten. Angeheizt presste er seinen Mund auf ihren, drängte ihre Lippen mit seinen Zähnen auseinander und ließ seine Zunge herausfordernd über sie gleiten. Momoko seufzte in seinen Kuss und lud ihn mit ihrer eigenen Zunge zu sich ein. Mit einem Stöhnen ließ sich der Braunhaarige darauf ein, raubte ihr den Atem, sog an ihren Lippen und erkundete gierig ihre Mundhöhle. Um Luft ringend seufzte die Blauäugige nochmals und versuchte sich für einen Moment von dem Nimmersattem zu lösen. Erst nach einem hungrigen Biss in ihre Unterlippe ließ Yosuke sie zu Atem kommen, jedoch nur um andernorts mit seiner köstlichen Folter fortzufahren. Er entließ ihre Hände, um mit seinen über ihren Körper zu gleiten, während er sich küssend und saugend zu ihrem Schlüsselbein hinab arbeitete. Seine linke Hand glitt über die Außenseite ihrer Hüfte nach unten, passierte den Saum des Hemdes und blieb an der Stelle kurz unter ihrem Po liegen, wo er es sich nicht nehmen ließ anerkennend herzhaft hinein zu greifen. Momoko zuckte nach Luft schnappend zusammen. Die rechte Hand fuhr zielstrebig unter ihr Hemd, genießend wanderten seine Finger über den Bund ihres Slips, ihren Hüftknochen und den flachen Bauch nach oben zu ihrer Taille, wo er verharrte und begierig auch dort in die weiche Haut griff. Mit den Zähnen zog Yosuke am dort am Hemdkragen, wo der nächste Knopf darauf wartete geöffnet zu werden. Mit einem Ruck am Stoff sprang er einfach schnipsend ab und flog leise scheppernd auf den Holzfußboden. Seine Gespielin zog scharf die Luft zwischen ihren zusammengepressten Zähnen ein, als er sein Gesicht an der tiefsten Stelle ihres Tals vergrub und dort mit seiner Zunge glühende Kreise auf ihre Haut zeichnete. Sie hatte keine Ahnung wie viel Folter es für ihn bedeutete, sich so zurück zu halten und jede einzelne Minute auszukosten, in der er sich ihrem verboten sündigen Körper widmete. Momokos Hände gruben sich in sein dichtes Haar, sie bäumte sich elektrisiert von seinen Liebkosungen auf, warf ihren Kopf in den Nacken um sich ihm entgegen zu stemmen und hauchte hilflos die Luft aus ihren Lungen. Er packte stöhnend ihren linken Oberschenkel und hob ihn an, drückte seine Hüfte noch näher an ihre, damit sie das Pulsieren seines Verlangens deutlich spüren konnte, doch sie wich nicht davor zurück. Die Rosahaarige presste die Schenkel um ihn zusammen und blickte ihn aus hungrigen Augen an. „Du machst mich so wahnsinnig.“, stöhnte er, bevor er sie wieder küsste; heiß und innig. Ebenso verlangend zog sie seinen Kopf noch näher an den Haaren zu sich heran. Sie fühlte seine Erektion, die sich hart gegen ihre Vulva drückte und fühlte sich mutig, denn auch sie fühlte die Lust in ihrem Unterleib prickeln. Es zog sich dort unten auf verboten süße Weise immer wieder zusammen, wenn er sie küsste und seine Finger über ihre Haut gleiten ließ, wo noch niemand vor ihm war. Yosuke bemerkte wie sie ihr Becken gegen seines bewegte und musste sich auf die Lippe beißen um nicht laut zu stöhnen. Er sah sie anklagend an, wie konnte sie nur in der Lage sein ihn so dermaßen anzuturnen? Ihre Art war etwas hilflos und verunsichert, aber sie ließ ihren Körper für sich sprechen. Ihr unschuldiger Blick machte ihn so an, dass er sich beherrschen musste ihr nicht hier und jetzt den Stoff vom Leibe zu reißen und sie an Ort und Stelle zu nehmen. Sein Innehalten fiel ihr auf, unsicher strichen ihre Hände über sein Gesicht. „Was ist?“, fragte sie ängstlich. Die Augen schließend schmiegte er seine Wange in ihre Handfläche und sah sie dann wieder mit diesem durchdringenden Blick an, der ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. „Willst du das hier wirklich?“ Sie nickte schnell und schluckte ihre Anspannung hinunter. „Ich frage, denn ich werde nicht mehr aufhören können, wenn du mich nicht jetzt sofort aufhältst.“ Ein Schauer ehrfürchtiger Erregung durchzuckte Momoko bei seiner Warnung, es gab schon lange kein Zurück mehr. Sie verneinte kopfschüttelnd. „Hör nicht auf.“, flüsterte sie kaum hörbar und errötete unter seinem prüfenden Blick. Ohne etwas anderes abzuwarten, löste er sich aus ihrer Umarmung, schob seine kräftigen Arme unter die Kniekehlen und ihr Kreuz und hob sie so von ihren Füßen. Erschrocken hielt sie sich an seinem Nacken fest und sah ihn perplex an. „Ich halte das Schlafzimmer für einen angemesseneren Ort.“, erklärte er beherrscht und trug sie durch die gegenüberliegende Tür in einen großen, dunklen Raum in dem es nur das wenige Licht des Mondes gab, der sich hinter den verziehenden Gewitterwolken wieder am Himmel zeigte. Nervosität ergriff von Momoko, als er sie zielstrebig zu dem großen Doppelbett trug. Als er sie davor absetzte, zog er sie an ihrem Nacken zu sich heran um sie zu küssen, bevor er mit einem Handgriff eindrucksvoll Decke und Kissen von seiner Seite des Bettes riss. Sie schluckte, als er sie danach mit dem Blick eines hungrigen Wolfes bedachte und schloss erschauernd die Augen, als seine Finger sich in ihren Haaransatz gruben. Yosuke zog ihren Kopf vorsichtig in ihren Nacken, um freien Zugang zu ihrem entblößten Hals zu haben. Er bedachte die weiße Haut mit unzähligen kleinen Bissen und leckte danach mit seiner Zunge bis hinunter zum nächsten Knopf des Hemdes, welches ihren schönen Körper immer noch verhüllte. Als er seine Hände für diesen Knopf brauchte, sah sie ihm aufgeregt dabei zu, wie er sich hinunter beugte. Ihre Finger ruhten auf seinen blanken, muskulösen Schultern. Er öffnete ihn endlich und hauchte sofort einen Kuss auf die Haut darunter, dieses Spiel wiederholte er bei jedem weiteren Knopf. An ihrem Bauchnabel angelangt tauchte er seine Zungenspitze in die kleine Versenkung und sog an ihrer Haut. Momoko zuckte zusammen und wollte sich leise Stöhnend entziehen, doch er hatte seine Hände vorsorglich auf ihren Po gelegt, den er unter ihren Windungen genüsslich drückte und massierte und an dem er sie immer wieder an sich heranziehen konnte. Es gab kein Entkommen, nur noch mehr Reize, die ihr Körper lernen musste zu ertragen, bevor er sich richtig mit ihr befasste. Den letzten Knopf riss der junge, inzwischen vor ihr kniende Mann wieder mit seinen Zähnen ab. Ihren Po weiterhin zärtlich knetend, neckte er die empfindliche Haut knapp über ihrem Schambein mit seiner Nasenspitze, die er dort hin und her streichen ließ. Das war zu viel für die Unerfahrene, sie erzitterte heftig und beugte sich überfordert über ihn, wo ihr noch leicht klammes Haar seinen Rücken kitzelte. „Yosuke… nicht… das halte ich nicht aus!“, flehte sie ihn an, es kitzelte und elektrisierte sie einfach zu sehr! Doch der Braunäugige sah nur voller Verlangen zu ihr auf, traf auf ihre saphirblauen Augen, die ihn unschuldig bittend anfunkelten und grinste wölfisch. Er hielt sich an den Knopfleisten des Hemdes fest und zog sich daran langsam zu ihr hoch, ohne den Blickkontakt zu lösen. Rau atmend, dicht vor ihrem Gesicht, glitten seine Finger an ihrem Hals unter den Stoff des Hemdes und schoben ihn dort langsam von ihren Schultern. Momokos Augen flackerten, als sie sich ihrer Nacktheit bewusst wurde und ihr Gegenüber seinen Blick über ihren Körper wandern ließ; ruhig und anerkennend, bis er sie wieder ansah. Er verglühte bei ihrem Anblick, das Feuer in seinen Lenden brannte lichterloh – er wollte sie endgültig; jetzt! Mit männlicher Entschlossenheit drängte er sie mit einer Umarmung und einem stürmischen Zungenkuss an die Bettkante, an der sie einknickte und sich setzte, ohne das er seinen Mund von ihren Lippen löste. Sie zog ihn am Nacken mit sich auf das Bett, eine seiner Hände ruhte stützend in ihrem Kreuz, mit der anderen stemmte er sich gegen die Matratze. Als sie unter ihm lag unterbrach Yosuke den Kuss noch immer nicht, dafür beugte er sich halb über sie, ein Bein wieder zwischen ihren. Mit seinem rechten Arm stützte er sich neben ihrem Kopf ab, mit der anderen glitt er von ihrem Schlüsselbein hinab zu ihrer rechten Brust. Seine Hand umschloss die weiche, straffe Wölbung und massierte sie anregend. Er ließ dabei seinen Daumen immer wieder gezielt über ihre empfindsame Brustwarze gleiten, die sich unter der forschen Berührung rasch aufstellte. Momoko stöhnte verlegen und unterbrach das Zungenspiel, ihre Reaktion turnte ihn nur weiter an. Yosuke kroch hinunter zu ihrer Brust und legte seine Lippen um ihren Hof. „Ah!“, entfuhr es seiner unerfahrenen Gespielin spitz, als er seine Zunge um ihre Brustwarze gleiten lies und behutsam an ihr saugte. Seine andere Hand widmete sich der weil der zweiten Brust, deren Nippel bereits hart von der Stimulation der anderen war. Er zwirbelte sie zwischen seinen Fingern, die junge Frau unter ihm bäumte sich stöhnend auf, krallte sich in seine Nackenmuskeln und wand sich unter den Berührungen, die so neu, unbekannt und aufregend auf sie wirkten. „Du bist so schön…“, knurrte er kehlig, als er ihre leicht angeschwollene Brust entließ und sich der anderen zuwendete. Momoko wollte ihre Schenkel um ihren kribbelnden Schambereich zusammenpressen, doch Yosukes linkes Bein hinderte sie daran. Sie schämte sich dafür, doch sie fühlte deutlich, dass ihr Slip feucht geworden war und sie es kaum noch abwarten konnte, dass er weiter machte. Unaufgefordert kam er ihrer Bitte nach, noch während er ihre rechte Brust knetete und mit seinen Zähnen vorsichtig reizte, wanderte seine linke Hand ihren Bauch hinab bis zu ihrem Höschen. Stoßweise atmend und mit aufgerissenen Augen spürte sie seine Finger über den Stoff hinweg gleiten, bis sie die Stelle fanden, an der ihre Klitoris saß. Zwei Finger übten dort leichten Druck aus und zogen stimulierende Kreise – Momoko glaubte innerlich zu zerspringen, einerseits vor Scham, andererseits weil es sich einfach unglaublich gut anfühlte! Yosuke bemerkte überrascht den feuchten Stoff und sah zu ihr auf. Sie war hochrot und begegnete ihm mit einem entschuldigenden Blick. „Du bist heiß.“, stellte er zufrieden fest, was sie nur noch nervöser machte. Er zog seine Finger zurück, nur um sie dann direkt unter den Bund zu schieben und direkt mit seinen Fingern zwischen ihre Schamlippen abzutauchen, wo er einen feinen Streifen weichen Flaums passierte. Sie schnappte nach Luft und warf ihren Kopf in den Nacken, als er ihren Kitzler mit von ihr feuchten Fingern umkreiste und stimulierte. „Du… bist… so… feucht…“, stöhnte ihr Liebhaber atemlos. Er hielt es keine Sekunde länger aus, kniete sich zwischen ihre Beine und griff ihren Slip an den Seiten um ihn ihr auszuziehen. Momoko schämte sich schrecklich in dieser Sekunde, als er ihr Höschen über ihre Knöchel fädelte und achtlos hinter sich auf den Boden warf. Verunsichert und verlegen sah sie zu ihm auf, der sie triumphierend betrachtete und seine rechte Hand noch in aufrechter Haltung wieder über ihr Lustzentrum streichen ließ. Sein Zeige- und Mittelfinger penetrierte den Eingang ihrer Scheide, während sich sein Daumen mit köstlichen Kreisbewegungen um ihre Klitoris kümmerte. Die Rosahaarige schloss die Augen um seinen gierigen Blicken nicht weiter ausgeliefert zu sein, sie krallte sich in das Bettlaken unter sich und stöhnte und seufzte immer wieder leise auf. Blitze und heiße Impulse schossen von dort unten durch ihren gesamten Körper, woher wusste dieser Mann nur, wo und wie er sie berühren musste, damit sie glaubte den Verstand zu verlieren?! Plötzlich waren seine Hände fort und es geschah einen quälend langen Augenblick lang gar nichts, bis sie schließlich wieder an ihrer Hüfte aufsetzten und von dort parallel hinauf über ihren Bauch und zu ihren Brüsten glitten, wo sie kurz verharrten um sie kräftig zu massieren. Sein Mund fand sich auf ihrem wieder, Yosuke biss knurrend in ihre Unterlippe und zog etwas daran. Seine Hände streichelten über die Innenseiten ihrer Arme und fanden schließlich zu ihren Handflächen. Er holte sie hoch neben ihr Gesicht und verschränkte seine Finger mit ihren. Momoko fand den Mut Yosuke wieder anzusehen, der den Kuss als erstes beendete und sie dann prüfend ansah. Ihr Gesicht war von Lust gerötet verzerrt, aber auf eine sehr erotische Weise. Er verlagerte sein Gewicht auf ihren Körper, sodass ihre Brüste seinen Oberkörper berührten und sie automatisch die Beine anwinkelte. Allein das war schon ein unglaubliches Gefühl; ihr Herzschlag an seinem; Haut an Haut, den Atem des jeweils anderen spürend. Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie sein Glied an ihrer Vulva spürte – wann hatte er sich seiner Hose entledigt? Er musste grinsen, als er diese Frage in ihrem Blick erkannte, wurde aber gleich wieder ernst. Sein Puls raste galoppierend, denn egal wie sehr er sie begehrte, er musste behutsam mit ihr umgehen. Er hatte nicht vergessen, dass sie noch Jungfrau war und das war auch für ihn ungewohnt. „Bereit?“, fragte er flüsternd. Angst flackerte in ihren Augen auf, verlor sich aber sofort wieder und wich freudiger Erregung. Sie nickte. „Ich vertraue dir.“, entgegnete sie. Yosuke erwiderte den aufgeregten Druck ihrer Finger, als er seine Hüfte anhob und die Spitze seiner Erektion an ihrem Eingang positionierte. Es kostete ihn alle Kraft und Selbstbeherrschung langsam in sie einzudringen, denn genau das hier war es, was er sich seit Anfang an erträumt hatte und nun gehörte sie ganz ihm. Seine empfindsame Eichel spürte den Widerstand in ihrer Scheide, Momoko drohte sich zu verspannen, also wartete er und leckte über ihre geöffneten Lippen, wo ihn ihre Zunge sehnsüchtig begrüßte. Ihre Hände wanden sich aus seinen und gruben sich während des Kusses in sein Haar. Mit einer schnellen Bewegung stieß Yosuke zu. Ein spitzer Schmerzenslaut drang aus ihrer Kehle in seinen Mund hinein, keuchend warf sie ihren Kopf zur Seite und atmete zitternd ein und aus. Auch er unterdrückte ein lautes Stöhnen, denn ihr Innerstes umschloss sein Glied heiß und eng; er wäre sofort gekommen, würde er jetzt nicht inne halten. Er strich ihr angestrengt ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, als sie ihn wieder aus feuchten, blinzelnden Augen ansah. Dankbar bemerkte sie, dass Yosuke ihr Zeit gab sich an ihn zu gewöhnen. Sie fühlte sich bis zum Zerreißen ausgefüllt und gedehnt, doch der aufgeflammte, stechende Schmerz war nur von kurzer Dauer. Als sich ihr Atem nach einigen Augenblicken beruhigte und die Spannung um seinen Penis nachließ, begann er sich langsam zurückzuziehen und erneut in sie einzudringen. Momoko kommentierte seine Bewegung seufzend, sie konnte das Pulsieren seiner Erektion ins sich spüren und atmete über den anfänglichen Schmerz hinweg. Sie streichelte seine angespannten Armmuskeln und ließ ihre Finger zu seiner festen Brust gleiten, bevor sie ihre Arme um ihn legte und ihm mit den Fingerkuppen fest über seinen Rücken fuhr, was ihn zwischen seinen saften Stößen aufstöhnen ließ. Er war ein Bild von einem Mann und begehrte wider aller Vernunft sie und niemand anderen. Sie begann sich mehr und mehr zu entspannen. Yosuke knabberte an ihrem linken Ohrläppchen und schon begann sich wieder die Lust in ihr auszubreiten, die ihren Unterleib heiß durchzucken ließ und bis in ihre Fingerspitzen kribbelte. Er lehnte seine Stirn gegen ihre, sein Atem ging flach und rau, Schweiß glänzte auf seiner Haut. „Du bist so eng...“ Sie stöhnte, weil seine Worte direkt sie dort unten widerhallten, wo er begann mutiger und schneller in sie einzudringen. Es gefiel ihr, sie wollte mehr davon! Ermutigend wanderten ihre Hände hinab zu seinem Gesäß; alles an ihm war ein einziger, fester Muskel, der bis zum Anschlag angespannt war. Sie drückte seinen straffen, flachen Po kurz herzhaft und zog dann seine Hüfte in jeder seiner Schübe fester zu sich heran. Flüssiges Schokobraun traf im fahlen Mondlicht fragend auf tiefgründiges, verlangendes Meersblau. Momoko bewegte ihre Hüfte auffordernd gegen seine, eine alles verzehrende Hitze stieg in ihr auf. Yosuke fand kein Halten mehr, er krallte sich in das Laken neben ihrem Gesicht und tauchte immer und immer schneller in sie ein. Momoko stöhnte laut unter jedem seiner fordernden Stöße und klammerte sich fest an ihn, damit ihr Körper nicht zersprang. Die Hitze in ihr baute sich zu einer Welle auf, die wie eine Feuerbrunst drohte über ihr zusammenzuschlagen und sie gänzlich zu verbrennen. Ihr Liebhaber beschleunigte ein letztes Mal, stieß tief und hart in ihr Lustzentrum; Hilflos versuchte sie die verzerrten Laute, die in ihrer Kehle aufsteigen wollten, zurückzuhalten. Sie glaubte niemals genug von dieser intensiven Reibung bekommen zu können, als die Hitze aus Lust und Leidenschaft in ihr sich plötzlich nicht mehr steigen ließ und die aufgebaute Welle plötzlich über ihr zusammenbrach. Die junge Frau bäumte sich zuckend zu einem stummen Schrei auf, als sie davon mitgerissen wurde und sich ihr Orgasmus von ihrem Unterleib bis in alle Glieder ausbreitete. Ihre Scheidenwände schlossen sich fest und massierend um sein Glied, Momokos lieblicher Lustlaut, während sie unter ihm kam und ihr einzigartiger Ausdruck dazu, gab ihm den letzten Rest. Tief stöhnend versenkte er sich noch ein letztes Mal in ihr und kam dann so heftig, dass er am ganzen Körper bebend auf sie sackte und in ihrer Umarmung endlich Erlösung fand. Kapitel 21: The morning after ----------------------------- Die nächtliche Stille in dem Raum wurde von ihren erschöpften Atemzügen gestört. Ausgelaugt, mit schweißnasser Haut und noch immer heftig schlagenden Herzen, verharrten sie Kraft sammelnd in ihrer Umarmung. Momoko streichelte mit ihren Fingerkuppen gedankenversunken über Yosukes Rücken, wo sich eine Gänsehaut aufstellte. Würde er jetzt nicht auf ihr liegen und sie nicht immer noch die Röte auf ihren Wangen- und den süßen Nachhall ihres Liebesspiels durch ihren Körper strömen spüren, würde sie es nicht glauben. Es war so unwirklich; sie beide hatten es getan! Einfach so, keiner von ihnen hatte am Morgen dieses Tages geahnt, dass er so enden würde… Es war nicht geplant-, aber viel besser als alles gewesen, was sie sich je vorgestellt hatte. Seufzend schloss die Blauäugige ihre Augen, allein bei der Erinnerung daran fühlte sie alle seine Berührungen und Küsse erneut auf ihrer Haut prickeln. Als Yosuke er ihre Regungen bemerkte, hob er seinen Kopf und sah ihr tief in die Augen. Er zog sich aus ihr zurück und richtete sich auf; sein Gesichtsausdruck war schwer einzuschätzen. Er griff neben sich und zog die zweite Decke, nie noch ordentlich neben ihnen auf der anderen Seite des Bettes lag, zu ihnen herüber und legte sie sorgsam über sich und Momokos nackten Körper. Der leichte Stoff verhüllte alles unterhalb ihrer Achseln. Der Dunkelhaarige stützte sich links neben ihr wieder auf und sah sie erneut an, seine Augen schienen in ihrem Gesicht nach etwas zu suchen. „Alles in Ordnung?“, fragte er schließlich und streichelte mit seiner linken Hand zärtlich über ihre gerötete, rechte Wange. Die Rosahaarige lächelte ihn ehrlich an und legte ihre Hand auf seine. „Ja.“, flüsterte sie. Sein Haar war ganz zerzaust und seine Lippen noch etwas geschwollen; ob sie selbst auch so fertig und trotzdem sexy aussah so wie er? Seine feuchte Haut glänzte im Mondschein… sie seufzte anerkennend. Yosuke betrachtete sie genauso verträumt, er konnte noch gar nicht fassen, dass sie sich ihm tatsächlich hingegeben hatte und das verzehrende Feuer in seinen Adern endlich gelöscht war. Doch sie so neben sich liegen zu sehen, so schön und verwegen von ihrem Treiben, wäre es ein Leichtes gewesen die beruhigte Glut wieder anzufachen. »Was soll nun werden?«, fragte er sich und die bislang verdrängten Schatten ihres Alltags drängten sich wieder in seine Gedanken. Was sie getan hatten war falsch, denn sie hatten gleich zwei ihnen nahe stehenden Menschen betrogen. Die junge Frau betrachtete seine in Falten gelegte Stirn mit Sorge. „Stimmt etwas nicht?“ Er blinzelte und sah sie nun wieder klar vor sich. Momoko anlächelnd schüttelte er langsam seinen Kopf und nahm seine Hand von ihrem Gesicht. „Ich muss nur dringend noch mal duschen.“, erklärte er schmunzelnd, schlug die Decke zurück und stiegt über ihren zugedeckten Körper hinweg vom Bett. Sie sah ihm nach als er das Schlafzimmer verließ und hatte dabei freie Sicht auf seine Kehrseite, was ihr das Blut wieder in die Wangen trieb. Er hatte ein stattliches Kreuz und einen beachtlich knackigen Hintern, der in seine strammen Fußballer-Beine mündete. „Wow…“, raunte sie und biss sich auf die Unterlippe. Als sie sich auf die Seite in Richtung Fenster drehte, zog sie die Decke bis direkt unter ihr Kinn. Sie fühlte wie aufgeregt ihr Herz wieder klopfte, was sollte sie nur tun? Yosuke und sie würden reden müssen, denn der Sex musste Konsequenzen haben. Zwischen ihren Beinen brannte es leicht, sie war wund und fühlte sich klebrig zwischen ihren Schenkeln. »Mein erstes Mal...« Sie war nun keine Jungfrau mehr, Takuro würde nun in keiner Weise mehr ihr erster Mann sein. Moment – stand das überhaupt noch zur Debatte? Durfte sie sich nach dieser Nacht überhaupt noch seine Verlobte nennen? Es gab so viel über das sie dringend nachdenken musste, denn plötzlich hatte sich zwar für sie alles geändert, aber nichts für die unwissenden Außenstehenden. Wie es weiter ging hing einzig und allein davon ab, was sie und der Torwart daraus machen würden… Yosuke hatte sich unter der Dusche das Hirn darüber zermartert, wie das Gespräch zwischen ihm und Momoko ablaufen würde, wenn er zu ihr ins Schlafzimmer zurück kehrte. Welche Auswirkungen würde ihr Fehltritt haben? Als erstes musste er ihr von seinem Entschluss erzählen Hiromi zu verlassen, damit sie sich wenigstens seinetwegen keine Vorwürfe machte. Es gab für ihn nichts zu bereuen. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, fiel ihm ein, dass er seine Hose im Schlafzimmer irgendwo auf dem Fußboden zu liegen hatte. Er musste wohl nackt zurück und sie sich dort anziehen, doch als er um die Ecke in das Zimmer bog, war es verdächtig still in dem Raum. Man hörte ein leises, gleichmäßiges Atmen. Auf leisen Sohlen schlich er sich an Momoko heran, die mit freiem Rücken zu ihm gedreht auf seinem Bett lag und sich nicht rührte. Sie hatte sich rund gemacht, ihre Beine angezogen und schlief selig wie ein kleines, völlig erschöpftes Kind. Yosuke lächelte bei ihrem Anblick. Es war ihr nicht zu überübeln, dass sie es nach diesem Tag, dieser Nacht und zu dieser unchristlichen Zeit nicht geschafft hatte auf ihn zu warten, obwohl er nicht mal zehn Minuten im Badezimmer gewesen war. Er war versucht über ihren schönen, schmalen Rücken zu streicheln und ihrer Schulter einen Kuss aufzudrücken, hielt sich dann aber doch zurück. Er durfte und würde sie nicht wieder berühren, bevor sie nicht geklärt hatten, wie es zwischen ihnen nun weiter gehen sollte. Bedauernd seufzend klaubte er seine Pyjamahose vom Boden auf und schnappte sich auch das zuvor herunter gerissene Bettzeug. Langsam bettete er sich auf die andere Bettseite und drehte sich zu ihr um, eine quälende Armlänge von ihr entfernt. Was bedeutete sie ihm? War es wirklich nur der Sex, der ihn interessiert hatte? So viele Fragen und Gedanken, doch seine Lider fielen ihm bleiern über seine Augen und er fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Die Sonne kitzelte sein Gesicht, als er langsam aufwachte. Yosuke fühlte die Muskeln in seinen Oberarmen, die sich um sein Kopfkissen geschlungen hatten, unangenehm ziehen. Er hatte einen leichten Muskelkater. Kein Wunder, schließlich hatte er doch die tollpatschige Momoko nachts durch die Straßen auf seinem Rücken zu sich nach Hause getragen… und sie später dann auf Händen in sein Schlafzimmer geführt. Die Erinnerung daran ließ ihn augenblicklich munter werden. Sein erster Blick führte zu dem Funkwecker auf dem Nachttisch, der es bereits nach zehn Uhr morgens anzeigte. »Scheiße!«, dachte er fluchend und drehte sich um. Doch anders als erwartet, war das Bett neben ihm leer. Es gab niemanden, den er hätte wecken können. Das Kissen und die Bettdecke lagen ordentlich zusammengefaltet da, so als wären sie nie benutzt worden. Hatte er sich etwa alles nur eingebildet? Yosuke schlug seine Decke um und sprang aus dem Bett, mit schweren Gliedern strauchelte er aus dem Zimmer in den Flur. Auch dort keine Spur von seinem Gast, ihr Beutel und alles andere war verschwunden. Im Bad sah es nicht anders aus; der verschmutzte Yukata aus der Badewanne war weg und ebenso die Pfirsichblüte, die auf dem Waschbeckenrand gelegen hatte. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er sich verwirrt und lief nun weiter ins Wohnzimmer. Aber auch hier war sie nicht, Momoko war gegangen. Still und leise; ganz klammheimlich, ohne sich zu verabschieden. Angespannt lief er zu dem Esstisch, auf dem nur noch die erkaltete Thermoskanne stand. »Sie hat sogar die Tassen abgewaschen!«, dachte er und schnaubte höhnisch. Wie sollte er sich jetzt fühlen? Benutzt oder erleichtert darüber, dass sie ihm eine komplizierte Aussprache erspart hatte? Noch bevor er Zorn gegen die Situation entwickeln konnte, fiel sein Blick auf den Kleidungsstapel, den er ihr zur Verfügung gestellt hatte. Dort lag tatsächlich ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf einem zusammengelegten, weißen Männerhemd. Dem Hemd. Er nahm den Brief und das benutzte Kleidungsstück in die Hand, dem zwei Knöpfe fehlten, weswegen er sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen konnte. Er konnte noch ihren Geruch an dem Stoff riechen, als er ihn an seine Nase führte. Neugierig widmete er sich dann dem gefalteten Papier, das er aufklappte und aus dem ihm direkt ein Foto entgegen fiel. Yosuke schnappte es sich noch aus der Luft. Es war sein Abzug von dem Bild, dass sie auf dem Kirschblütenfest hatten machen lassen. Ohne es näher zu betrachten widmete er sich den Zeilen des Briefes, die Momoko ihm hinterlassen hatte. Yosuke, wie beginnt man einen Brief richtig, nachdem so viel geschehen ist? Da ich nicht mal genau weiß was ich schreiben soll, wie hätte ich da erst Angesicht zu Angesicht die passenden Worte finden können? Wie Du siehst bin ich nicht mehr da. Ich bin gegangen als ich das erste Mal im Morgengrauen aufgewacht bin. Ich möchte das zwischen uns nicht komplizierter machen als es ist, denn wir beide wissen mit Sicherheit zu gut, dass wir etwas Falsches getan haben… Wir haben beide jemanden betrogen, der uns liebt und der uns nahe steht. Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue und werde Dir auch keine Schuld daran geben, dass es so gekommen ist, aber ich möchte mich entschuldigen, dass ich Dir und Hiromi das angetan habe! Ich denke für uns beide ist es das Beste, wenn wir so tun als wäre das gestern nie passiert, denn nur so tun wir niemanden weh und gefährden auch unser beider Zukunft nicht. Bitte lass mich ein bisschen darüber nachdenken, wie das mit unserer Freundschaft weitergehen soll und kann, denn im Moment bin ich zu verwirrt um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich muss jetzt erstmal ein paar Dinge regeln, würde mich aber Sonntagabend bei Dir melden, wenn Du das überhaupt möchtest… sag mir doch per SMS bescheid? Und noch etwas: Weil ich es niemals sagen könnte ohne im Erdboden zu versinken – Danke, dass Du so zärtlich zu mir warst. Danke für diese wundervolle erste Erfahrung. LG Momoko P.S.: Ich war so frei und habe mir aus Deinem Schank ein Shirt und eine Hose geborgt, außerdem ein Paar abgetragen aussehende Schuhe von Hiromi. Du bekommst alles bei Gelegenheit zurück. Er las den Brief noch ein zweites Mal um sich sicher zu sein, dass er seinen Inhalt richtig erfasst hatte und verstand. Danach zerriss er ihn in kleine Schnipsel und trug sie zusammen mit dem Hemd zum Mülleimer, in dem er beides versenkte. Es wurmte ihn furchtbar, dass sie ihm nicht die Gelegenheit gegeben hatte ihr von seinen Trennungsplänen zu erzählen, aber sie hatte Recht, was zumindest ihre Seite betraf. Sie würde es Takuro nicht sagen und ihn nicht verlassen, denn es hing zu viel davon ab, dass es zwischen ihnen klappte. Die Verlobung und Ehe mit ihm war der Schlüssel zu der Genesung ihres Vaters und zur Beseitigung all ihrer anderen Probleme. Es würde nie mehr als diese eine Nacht geben. Yosuke war das im Prinzip bereits klar gewesen, als sie ihn gebeten hatte mit ihr zu schlafen, aber es sich jetzt noch mal so richtig bewusst zu machen, tat irgendwie weh. Sie hatte lediglich nicht gewollt, dass Takuro ihr Erster sein würde. Sein Verlangen nach ihr und die körperliche Anziehung, die zwischen ihnen herrschte, waren nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen, von dem sie letztendlich beide etwas hatten. Mit dem Haken, dass sie dazu alle Regeln gebrochen hatten und nun alles noch komplizierter war als zuvor, als sie einfach nur Freunde gewesen waren. Er schnappte sich sein Handy, er musste Momoko doch irgendetwas auf den Brief antworten, aber was? Schließlich tippte er los. >>>Ich werde mich von Hiromi trennen. Takuro wird von mir kein Sterbenswort erfahren, viel Glück mit ihm am Sonntag. Melde Dich danach ruhig, wenn du willst.<<< Musste er mehr als das schreiben, oder war es vielleicht schon zu viel Information auf ein Mal? Dass er sich trennte ging sie doch im Prinzip gar nichts an, es hatte eh keinen Einfluss auf sie. Trotzdem schickte er sie Kurznachricht unverändert ab. Momokos Handy in ihrer kleinen Umhängetasche vibrierte laut surrend. Sich darüber ärgernd, dass sie es nicht ausgeschaltet hatte, zog sie es heraus und sah die eingegangene Nachricht. Als sie feststellte, dass sie von Yosuke stammte, rutschte ihr das Herz in die Hose. Noch viel mehr aber erschrak sie über den ersten Satz seiner SMS. Nervös schaute sie durch das Wartezimmer der Praxis, in der sie wartete. Längst war sie nämlich zuhause gewesen, hatte geduscht und sich umgezogen. Sie trug eine blaue Röhrenjeans und ein weites, gelbes Longshirt mit einer dünnen, grauen Strickjacke darüber. Ihr Haar trug sie typisch für sie offen und mit ihren gelben Haarschleifen darin. Jetzt saß sie in einer Praxis einer Gynäkologin und wartete. Als sie sich sicher war, dass sie niemand argwöhnisch wegen dem verbotenen Handy beobachtete, schrieb sie schnell eine Antwort. >>>Du willst dich trennen?! Oh nein, doch nicht etwa wegen mir? Bitte tu das nicht!<<< Schon wieder wummerte ihr Herz heftig wegen diesem Jungen. Er durfte seine Beziehung nicht wegen einer dummen Nacht wegwerfen! Das hatte selbst Hiromi nicht verdient. Ihr Handy summte erneut. >>>Ich tue das nicht wegen dir, sondern weil ich schon lange nicht mehr glücklich bin. Gestern ist mir das nur erst so richtig bewusst geworden. Warum sollte ich meine Freundin sonst betrügen, wenn ich sie doch liebe? Es liegt nicht an dir.<<< Die Rosahaarige lief rot an. Wieder prüfte sie, ob sie beobachtet wurde. >>>Bitte schreib nichts mehr von betrügen! Ich fühle mich furchtbar deswegen… Gestern Abend ist einfach nichts passiert, ok? Das muss ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Bitte.<<< Seine Antwort kam umgehend. >>>Ich weiß, tut mir leid. Ich werde schweigen wie ein Grab.<<< Momoko seufzte erleichtert und begann damit sämtliche gespeicherten Nachrichten von ihm zu löschen. Es war besser keine Spuren zu hinterlassen. Yosuke war also einverstanden mit dem, was sie ihm in ihrem Abschiedsbrief geschrieben hatte. Und er würde sich von Hiromi trennen, was angeblich nichts mit ihr zu tun hatte… Nun gut, das war einzig und allein seine Sache und ging sie nichts an. Wenigstens er musste danach kein schlechtes Gewissen mehr haben… „Fräulein Hanasaki? Sie sind jetzt dran!“, wurde sie plötzlich von einer Arzthelferin aufgerufen. Hektisch steckte sie ihr Telefon zurück in die Tasche und eilte in das Untersuchungszimmer, in dem eine ältere Ärztin mit Duttfrisur und Brille in steril weißer Kleidung auf sie wartete. Sie blickte ihr freundlich entgegen. „Bitte setzen Sie sich doch. Sie sind das erste Mal hier, ist das richtig?“ Die junge Frau setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und erwiderte ihr Lächeln nervös und zögernd über den Schreibtisch zwischen ihnen hinweg. „Ja.“ „Nun… in ihrem Patientenblatt steht, Sie sind 18 Jahre jung und noch Schülerin. Was kann ich denn für Sie tun?“ Die Blauäugige schluckte schwer. „Ich… ich hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr und möchte mir die Pille danach verschreiben lassen.“ Der Satz war raus. Beschämt starrte sie auf ihre geballten Hände, die in ihrem Schoß lagen. Die Ärztin musterte sie kurz verwundert und schob sich dann die Brille höher auf das Nasenbein. „Soso… wie lange ist der Verkehr denn her?“, hinterfragte sie fachmännisch. Momokos Kopf rauchte, sie hatte nicht auf die Uhr geschaut bevor sie in Yosukes Bett eingeschlafen war. „Zirka zehn bis zwölf Stunden.“, schätzte sie. „Dann würde ich Sie bitten sich unten rum frei zu machen, denn bevor ich Ihnen ein Rezept ausstelle muss ich Sie untersuchen. Einen Schwangerschaftstest müsste ich auch noch machen.“ „Das ist nicht nötig!“, versicherte die Blauäugige entsetzt. „Ich habe noch nie vorher…“ „Ich verstehe schon.“, unterbrach sie die Gynäkologin einfühlsam und tätschelte beruhigend ihre Schulter. „Dann also nur die Untersuchung.“ Erleichtert, anscheinend eine verständnisvolle Ärztin erwischt zu haben, entledigte sie sich ihren Kleidungsstücken unterhalb der Gürtellinie und kletterte dann auf den beunruhigenden Untersuchungsstuhl. Die Medizinerin legte Momoko ein Tuch über ihren Schoß und verlor nicht viele Worte, während sie das junge Mädchen sorgfältig abtastete und einen prüfenden Ultraschall machte. Am Ende der Untersuchung zog sie sich ihre Gummihandschuhe von den Fingern und nickte ihr zufrieden zu. „Sieht alles sehr gut aus. Ich empfehle Ihnen aber ihren Intimbereich in den nächsten Tagen nur mit klarem Wasser zu pflegen und ihm etwas Ruhe zu gönnen, damit es nicht so brennt.“ Ihre schüchterne Patientin lief sofort wieder rot an; sie hatte nichts davon gesagt, dass irgendetwas brannte und sie sich wund fühlte, aber natürlich hatte die Ärztin bei ihrer Untersuchung nichts übersehen. Die professionelle Frau schrieb an ihrem Schreibtisch das Rezept aus, während sie sich wieder anziehen konnte. „So, das ist Ihr Rezept und außerdem eine Krankschreibung für heute, die Sie der Schule geben müssen. Nehmen Sie die Tablette so schnell wie möglich ein, am besten direkt wenn Sie sie erhalten haben. Je eher man sie nimmt, umso wahrscheinlicher ist ihre Wirkung. Es kann Ihnen ihr etwas übel werden und Sie könnten Kopfschmerzen bekommen oder sich gar erbrechen, dann müssten Sie aber noch mal für ein zweites Rezept herkommen.“ Dankbar nahm Momoko den Zettel an sich und steckte ihn sicher ein. „Ich habe da noch etwas.“, bemerkte die Gynäkologin und öffnete eine Schublade ihres Schreibtisches. Sie kramte kurz darin und schien etwas abzuzählen, was sie der jungen Frau anschließend verschwörerisch grinsend über den Schreibtisch schob. Es waren fünf kleine, quadratische Päckchen in schwarzer Metallicfolie. „Die sind für Sie, damit es mit der Verhütung beim nächsten Mal besser klappt.“, erklärte sie grinsend und zwinkerte der Rosahaarigen vielsagend zu. Japsend erkannte diese die ominös flachen Päckchen als gut getarnte Kondompackungen, die sie sofort fahrig, völlig überfordert und verlegen in die tiefsten Tiefen ihrer Handtasche stopfte. „D- Danke!“, quietschte sie mit hoher Stimme, verbeugte sich zum Abschied höflich und verließ dann das Behandlungszimmer mit auffällig schnellen Schritten. Das war die Krönung der Peinlichkeit gewesen! Schlimmer hätte es nicht mehr kommen können, aber es lag ja noch der Weg zur Apotheke vor ihr… Momoko hatte nicht mehr geschrieben. Sein Handy lag unbewegt neben ihm auf der Tischplatte und er hätte es sicherlich noch eine Zeit lang anstarren können, aber davon würde er auch keine SMS von ihr erhalten. »Wer weiß, was sie zu erledigen hat.«, dachte er bei sich und beschloss nicht länger zu Grübeln, sondern seinen Tag in Angriff zu nehmen. Schule fiel heute für ihn flach, deswegen konnte er auch beim Fußballtraining danach nicht einfach auftauchen, als wäre nichts geschehen. Ob sie auch blau machte? Seufzend rappelte er sich auf und fing damit an alles, was an seinen nächtlichen Besuch erinnerte, verschwinden zu lassen. Dazu gehörte auch das Bett im Schlafzimmer neu zu beziehen. Die junge Frau würde sich schon noch bei ihm melden. Elektrisierende Bilder schlichen sich vor sein inneres Auge, als er die Bezüge und das Laken wechselte, aber die Ungewissheit darüber, was ihre begangene Sünde aus Momoko und ihm machen würde, überschattete die süße Erinnerung. Yosuke machte sich Gedanken über das Date am Sonntag; würde sie es meistern, nachdem oder gerade wegen dem, was zwischen ihnen passiert war? Würde Takuro tatsächlich ernst machen? Und selbst wenn oder wenn nicht, was dann? Er hoffte so sehr, dass sie sich wiedersehen würden und alles so sein könnte wie vorher, denn so sehr er diese Nacht mit ihr auch genossen hatte, sie hatte alles verändert und es zermürbte ihn nicht zu wissen, welche Richtung ihre komplizierte Beziehung nun einschlagen würde. Es hing nun einzig und allein an Momoko und möglicher Weise auch an ihrem Treffen mit ihrem Verlobten. Auch für ihn selbst war der nahende Sonntag ein Wendepunkt, denn Hiromi kam an diesem Tag zurück und er würde nicht lange zögern, ihr zu sagen, dass er ihre erkaltete Beziehung beenden wollte. Erleichtert, es endlich hinter sich zu haben, trat die unfreiwillig schwänzende Schülerin aus der Apotheke heraus und begab sich auf den Heimweg. Sie fühlte sich verfolgt und beobachtet, so als würde ihr jeder dem sie begegnete ansehen, was sie getan hatte und nun ausbügeln musste. Momoko hielt unterwegs nur ein Mal kurz an, um sich aus einem Getränkeautomaten eine Dose mit Limonade zu ziehen, damit sie die im wahrsten Sinne des Wortes bittere Pille schlucken konnte. So schnell wie möglich hatte ihre Ärztin gesagt und sie nahm das sehr ernst! Ein begangener Fehler reichte, es musste nicht noch eine ungewollte Schwangerschaft mit auf die Liste. »Wie soll ich das vor Takuro verheimlichen?«, dachte sie und spürte dabei ihr schlechtes Gewissen auf ihren Schultern lasten. Der Gedanke an das bevorstehende Date in zwei Tagen behagte ihr nicht. Zwar waren nun all ihre Ängste wegen eventuellen Annäherungen seinerseits wie weg gewischt, aber machten sie ihre gewonnenen Erfahrungen deswegen empfänglicher für ihn? Takuro hatte sich nicht verändert, aber sie hatte es. Yosuke hatte es Betrug genannt und auch wenn sie den Gedanken kaum ertrug, er hatte Recht. Sie hatte Takuro - ihren Verlobten - betrogen und das ausgerechnet mit seinem erklärten Feind. Was er tun konnte und würde, wenn er das jemals heraus fände, wollte sich die junge Frau gar nicht vorstellen, denn die Konsequenzen waren ihre größte Angst! Sie musste schweigen und ihr Geheimnis tief in sich einschließen, es war passiert und nicht mehr zu ändern, aber wenn Takuro und sie erst verheiratet wären, was dann? Würde er es bemerken? Und würde es genauso sein wie mit Yosuke? Momoko spürte seine Wärme am ganzen Körper, wenn sie an ihn dachte und trotzdem… so was durfte zwischen ihnen nie wieder vorfallen! Es wäre das Beste gewesen ihn zu vergessen, seine Nummer zu löschen und ihn nie wieder zu treffen, aber nach wie vor wehrte sich alles in ihr dagegen. Als Freund wollte sie den jungen Fußballspieler, der es wie kein anderer verstand sie zum Lachen zu bringen, auf keinen Fall verlieren. Wider aller Vernunft wollte sie den Kontakt aufrecht erhalten und sie hoffte, dass Yosuke das genauso sah. Kapitel 22: Recurring friends and dark secrets ---------------------------------------------- „Hanasaki-chan! Kommst du mal bitte?“, rief sie die Stimme ihrer Chefin durch das Café zu sich nach hinten, in den Pausen- und Umkleideraum. Momoko legte ihren Putzlappen ordentlich über ihren Eimer und trocknete sich eilig die feuchten Finger an ihrer Schürze ab, während sie an den leeren Tischen vorbei der Aufforderung ihrer Vorgesetzten folgte. „Sie haben mich gerufen?“ Die Schülerin sprach leise, da sie neugierige Blicke ihrer noch aufräumenden Kolleginnen vermeiden wollte. Ihr schwante Böses, hatte sie heute bei ihrer Arbeit etwas falsch gemacht? Sie gestand sich ein öfter in Gedanken gewesen zu sein. Ihre Chefin blickte sie skeptisch, mit verschränkten Armen, aus ihren dunklen Augen an. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist heute schon den ganzen Tag so still?“, fragte sie schließlich. Die rosahaarige Maid schnaufte etwas angestrengt und sah auf ihre Finger, die mit ihrem Rocksaum spielten. „Es ist alles gut, ich bin nur etwas erschöpft heute.“, flunkerte sie zur Hälfte, denn müde war sie wirklich. „Ist das alles? Bist du vielleicht krank? Du bist irgendwie blass.“, bemerkte die schwarzhaarige Frau und legte Momoko prüfend ihre kühle Hand auf die Stirn. „Hm, Fieber scheinst du aber keines zu haben.“ Ihrer Angestellten ging es tatsächlich nicht besonders gut, denn seit ein paar Stunden war ihr etwas flau im Magen. „Ehrlich gesagt ist mir etwas übel.“, gestand sie ungern. Tadelnd seufzte die ältere Frau und verdrehte die Augen. „Und warum sagst du dann nichts? Du müsstest doch wissen, dass ich hier niemanden gebrauchen kann, der einen Magen-Darm-Infekt hat…“ „Habe ich nicht! Das sind Nebenwirkungen von einem Medikament, das ich einnehmen musste.“, beschwichtigte Momoko sie und versuchte es mit einer lässigen Handbewegung abzutun. „Um Himmels Willen, was hast du denn?“, hinterfragte ihre Chefin besorgt. Doch die junge Frau schüttelte ihren Kopf. „Ich möchte nicht darüber reden… aber nächste Woche bin ich wieder ganz die Alte.“ Unzufrieden mit dieser Auskunft zog ihre Vorgesetzte einen Flunsch und runzelte die Stirn. „Wie auch immer… mach Schluss für heute, den Rest schaffen wir auch allein. Wenn es dir nicht gut geht solltest du dich ausruhen. Nicht, dass du mir noch umkippst.“ Momoko musste über die Vorstellung schmunzeln. „Danke, aber so schlimm ist es nicht.“ „Trotzdem! Du bist hier die Maid, die das meiste Trinkgeld bekommt und außerdem ein Kundenmagnet, da will ich nichts riskieren. Bis Montag dann.“ Sie zwinkerte ihr zu und klopfte auf ihre Schulter, bevor sie wieder in den Verkaufsraum ging, um den anderen Mädchen beim Aufräumen zu helfen. »Kundenmagnet?«, wiederholte sie in Gedanken. Das war ihr noch gar nicht aufgefallen, aber sie war ja auch ausschließlich zum Arbeiten in dem Café und nie als Gast, also bekam sie das schlichtweg nie mit. Heimlich erleichtert darüber, dass sie jetzt direkt nach Ladenschluss schon gehen durfte, schlurfte sie zu ihrem Spind und tauschte ihre Uniform gegen ihre normalen Klamotten. Bevor sie ging warf sie noch mal einen prüfenden Blick in den Spiegel. Für die Arbeit hatte sie ihre Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, auf dem als Accessoire Yosukes Geschenk, die Pfirsichblüte, thronte. Lächelnd betrachtete sie sie von allen Seiten. Die Kunstblüte passte perfekt zu ihrem Maid-Kostüm und auch sonst hatte sie etwas sehr Süßes an sich. Die Rosahaarige stopfte die Uniform in ihre große Umhängetasche und verließ den Laden dann letztendlich über den Kundeneingang. Zum Glück schien ihr verfrühter Feierabend keines der anderen Mädchen zu stören. Frischer Frühlingswind kroch unter ihre dünne Strickjacke, der April war noch sehr unstet was die Temperaturen betraf; tagsüber warm und sonnig, nachts teils immer noch bis zu zehn Grad weniger. Momoko rieb sich fröstelnd die Oberarme und schlug den Heimweg ein. Sie war gerade mal einen Block weit gekommen, als neben ihr auf der Straße langsam ein dunkles Auto von hinten heranfuhr und unvermittelt Lichthupe gab. Nervös beachtete die junge Frau die aufdringlichen Zeichen nicht und lief stattdessen noch etwas schneller. »Was ist das denn für ein Spinner?«, fragte sie sich, als das Auto sie erneut einholte. Diesmal wurde das hintere Fenster zu ihr heruntergekurbelt und der Kopf eines alten Bekannten tauchte aus dem dunklen Inneren auf. „Momoko! Bleib doch stehen!“, rief seine Stimme ihr gehetzt zu. „Takuro!“ Es fiel der Rosahaarigen wie Schuppen von den Augen. »Natürlich! Das ist doch der Wagen vom letzten Mal!« Abrupt blieb sie stehen, sodass das Auto anhalten und der Schwarzhaarige aussteigen konnte. Sein Gesichtsausdruck erschien irgendwie bedrückt. „Momoko! Ich habe mir Sorgen gemacht! Wo warst du?“, fragte er sie eindringlich. Irritiert blinzelte sie ihn an und zog die Stirn in Falten. „Was meinst du? Ich war doch heute wie immer arbeiten?“ „Schau Hinagiku, ist das da hinten nicht Momoko?“ Yuri zeigte geradeaus den Bürgersteig hinunter, wo sie in der Ferne ein Mädchen mit rosa Pferdeschwanz ausmachen konnte. Wie abgesprochen hatten sich die beiden Freundinnen getroffen, um ihren Plan, Momoko von ihrer Arbeit abzufangen und sich mit ihr auszusöhnen, in die Tat umzusetzen. „Na klar ist sie das! Hat sie etwa früher Schluss gehabt?“, wunderte sich ihre burschikose Begleitung und kratzte sich dabei nachdenklich an der Schläfe. „Es scheint so. Gut, dann haben wir sie ja noch nicht verpasst!“ Positiv gestimmt wollte die größere Brünette gerade ihren Schritt beschleunigen, als Hinagiku sie am Arm zurück hielt und mit skeptischem Blick auf die Straße deutete. „Warte, sieh mal… das Auto da.“ Yuris grüne Augen folgten ihrem Blick. Abwartend sahen sie zu, wie unerwartet Momokos vermeintlicher Verlobter daraus ausstieg und anscheinend auch sie selbst damit überraschte. „Na sieh mal einer an, seit wann hat Takuro denn ein eigenes Auto? Lass uns schnell zu ihnen hinlaufen, bevor Momoko noch zu ihm ins Auto steigt und wir sie dann verpasst haben!“ Yuri zögerte nicht weiter und Hinagiku folgte ihr einverstanden auf dem Fuße. Sie drosselten ihr Tempo jedoch wieder, als sie aus näherer Entfernung seine aufgebrachte Stimme wahrnahmen. Nur noch langsam liefen sie weiter auf das ungleiche Paar zu. „Arbeiten? Ich meine nicht heute, ich rede von gestern!“ Das nahende Duo beobachtete, wie die Blauäugige erschrocken vor Takuro zurück wich. „Das weißt du doch…“, entgegnete Momoko verunsichert. „Das weiß ich eben nicht! Du sagtest, du willst Zuhause bleiben, aber da warst du nicht. Zumindest nicht nachmittags und auch nichts abends. Ich bin spontan vorbei gekommen, weil ich dachte, dass wir wenigstens eine Kleinigkeit zusammen bei dir essen könnten, wenn du schon nicht ausgehen willst. Was soll ich noch sagen… du warst aber nicht da.“ Der große Brillenträger wirkte richtig einschüchternd, so wie er sich vor seiner Freundin aufbaute. Angespannt versuchten die beiden noch unbemerkten Freundinnen dem Gespräch irgendwie zu folgen oder aus dem Gesprochenem eine Schlussfolgerung zu ziehen, aber sie waren noch Ahnungsloser als der ehemalige Streber. Alles was ihnen klar war, war dass Momoko irgendwie in der Klemme steckte. Unschlüssig, was sie tun sollten und ob es nicht vielleicht sogar besser wäre auf dem Hacken kehrt zu machen und ein anderes Mal ihre Freundin zu besuchen, sahen sie sich an. Yuri fühlte sich nicht wohl dabei in so eine Situation zu platzen, doch da drückte Hinagiku auf einmal ihre Hand und zog sie weiter mit sich. Ihr Gesichtsausdruck wirkte plötzlich fest entschlossen. Die Braunäugige hatte die große Blüte in Momokos Haaren entdeckt; sofort wurde ihr klar, dass das kein Zufall sein konnte! Und wenn sie Recht mit ihrer stillen Vermutung hatte, dann mussten sie und ihre überforderte Freundin schnellstmöglich eine improvisierte Rettungsaktion starten. Hastig flüsterte sie Yuri das Nötigste zu. Momoko war ganz schwindelig vor Aufregung; Takuro hatte sie ohne Vorwarnung besucht? Es war also aufgeflogen, dass sie nicht wie angekündigt daheim geblieben war, also was sollte sie ihm antworten? Ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und ihr Herz raste so heftig, dass sie ihre Angst, aufzufliegen, kaum noch beherrschen konnte. Ob ihr Verlobter in ihren Augen bereits ablesen konnte, dass sie etwas Verwerfliches getan hatte? „Hey Leute! So ein Zufall euch hier zu treffen!“, riss sie plötzlich eine laute, etwas schräge Stimme aus ihren Gedanken. Takuro und sie sahen zur Seite, wo völlig unerwartet Yuri und Hinagiku winkend zu ihnen aufschlossen. Mit großen Augen starrte Momoko ihre lang vermissten Freundinnen an. „Was macht ihr denn hier?“, zischte der junge Mann perplex und schob genervt seine Brille hoch. Yuri tauschte mit Hingiku einen kurzen Blick, aus dem nur ihre rosahaarige Freundin entnehmen konnte, dass sie etwas ausheckten. „Hi Takuro, sieht man dich auch mal wieder.“, ignorierte die selbstbewusste Sportskanone die Frage ihres alten Sandkastenfreundes kühl. „Wir sind natürlich hier, weil wir Momoko von der Arbeit abholen wollten.“ Die Angesprochene konnte nicht anders, als noch verwirrter zu gucken, als ein Schwein ins Uhrwerk. »Was zum…?« „Ihr wolltet sie abholen?“, hinterfragte Takuro misstrauisch. „Seit wann habt ihr denn wieder Kontakt zueinander?“, setzte er hinzu. „Seit gestern!“, antwortete Yuri schnell, sie wirkte genau wie Hinagiku ausgesprochen gelassen. Momoko, die absolut nicht verstand was hier vor sich ging, suchte schweigend und staunend, in den Gesichtern der beiden jungen Frauen, nach einer Erklärung für dieses Schmierentheater. Während Takuro die langhaarige Brünette musterte, zwinkerte Hinagiku ihr, in einer unbeobachteten Sekunde, verschwörerisch zu. „Genau, wir sind nämlich gestern auch auf die Idee gekommen Momoko spontan zu besuchen. Wir waren wohl schneller als du.“ Die Grünhaarige log so aalglatt, dass die Blauäugige nervös schlucken musste. Ihr Freund drehte sich wieder zu ihr um und sah ihr fest in die Augen. „Stimmt das?“, fragte er schroff. „J- ja.“, stammelte sie unsicher. „Wir wollten uns mit Momoko aussprechen und haben sie überreden können mit uns zum Hanami zu gehen.“ Die Angesprochene verzog zerknirscht die Augenbrauen, denn sie ahnte, wie Takuro das finden würde. Enttäuscht schaute er erst sie, dann die zwei anderen Mädchen an. „Mit ihnen gehst du hin, aber ein Date mit mir schlägst du aus?“ „Äh, wir können sehr überzeugend sein!“, warf Hinagiku hektisch ein, als sie bemerkte, welches Fettnäpfchen sie erwischt hatte. „Genau! Wir haben sie sogar so weit bekommen, dass sie danach auch noch mit zu mir nach Hause gekommen ist.“, stimmte Yuri zu. „Aha, deswegen warst du auch abends noch nicht da?“ Momoko fasste das erste Mal in diesem Gespräch Mut ihr falsches Alibi ebenfalls auszubauen. „Ja. Wir haben uns so nett und ausgelassen unterhalten, dass ich dann über Nacht geblieben bin.“, log sie ihm so ruhig sie konnte ins Gesicht. Immer noch zweifelnd musterte der Dunkelhaarige seine Verlobte und ihre plötzlich wieder auf der Bildfläche erschienenden Freundinnen. „Ich habe mich außerdem in deiner Schule erkundigt, du hattest dich für heute krank gemeldet?“ Diese Tatsache schreckte sogar das bis eben so gelassen flunkernde Duo auf. Momoko drehte nachdenklich an dem Ring an ihrem Finger und setzte ein bekümmertes Gesicht auf. „Beschattest du mich etwa?“ Ihr Ton war traurig und vorwurfsvoll; mit großen, bestürzten Augen sah sie zu dem Brillenträger auf, dessen Ausdruck sofort um einiges weicher wurde. Ihre Freundinnen, die diese Show sofort durchschauten, staunten anerkennend. „Ich, nein… ich beschatte dich doch nicht! Ich habe mir nur Sorgen gemacht!“, entgegnete Takuro entwaffnet. „Du hättest mich auch einfach auf mein Handy anrufen können. Es ging mir einfach nicht gut, wir haben es gestern etwas übertrieben… und eigentlich ist mir immer noch etwas schwindelig und übel, deswegen hat meine Chefin mich heute auch etwas früher gehen lassen.“ Sichtlich zerfressen von Gewissensbissen, wurde Takuro nun ganz klein vor ihr. „Momolein, das habe ich nicht gewusst! Tut mir leid, kann ich denn etwas für dich tun? Ich wollte dich nicht so anfahren, wirklich nicht.“ Einknickend und kuschend versuchte ihr Verehrer mit seinem liebsten Lächeln ihr Wohlwollen zurückzuerlangen, doch so einfach wollte Momoko es ihm nicht machen. Sie seufzte schwer und ließ erschöpft wirkend die Schultern hängen. „Lass mich einfach mit Yuri und Hinagiku nach Hause gehen. Sie waren extra so nett sich den weiten Weg zu machen, damit ich nicht alleine gehen muss.“ „Warum bist du denn überhaupt arbeiten gegangen? Und nur ein Anruf oder eine SMS, dann wäre ich schon eher hier gewesen, dann müsstest du nicht laufen.“, fragte er bekümmert. „Ta-kun, du weißt doch, dass ich das Geld brauche… und ich war doch schon mit den Mädels verabredet.“, sagte die junge Frau so leidvoll es nur ging. Das Duo war ganz sprachlos über das bisher ungeahnte Schauspieltalent ihrer Freundin. Resignierend raufte Takuro sich seine Haare. „Tut mir leid… darüber hättest du doch aber mit mir sprechen können.“ „Das wollte ich. Am Sonntag, wenn wir Zeit für uns zwei gehabt hätten.“ Der junge Mann wurde etwas verlegen, in diesem Moment erkannte man in ihm den unsicheren Streber von früher wieder. „Ich verstehe… Du musst mich jetzt für einen eifersüchtigen Trottel halten, bitte entschuldige!“, flehte er sie an und nahm dabei ihre beringte Hand in seine. „Nein, schon gut. Aber darf ich jetzt nach Hause gehen? Wir sehen uns doch bestimmt trotzdem Sonntag?“ Glücklich, dass Momoko das geplante Date mit ihm nicht canceln wollte, drückte er ihrer Hand einen flüchtigen Kuss auf und strahlte sie erleichtert an. „Natürlich! Und du bist sicher, dass ich dich nicht doch lieber fahren soll?“ „Nein, das Stück schaffe ich nun auch noch. Yuri und Hinagiku sind ja bei mir.“ Sie schaute wie selbstverständlich zu ihnen herüber und erntete bestätigendes Nicken. Trotzdem seufzte Takuro wehmütig. „Dann sehen wir uns Sonntag, bitte entschuldige noch mal mein Auftreten. Das kommt nicht mehr vor.“ Er ließ es sich auch vor den Augen der anderen nicht nehmen seine Verlobte in eine liebevolle Umarmung zu ziehen, die die Rosahaarige widerstandslos über sich ergehen ließ. „Bye, Darling.“, sagte er, als er wieder in das düstere Auto stieg und die Tür zuzog. Die Blauäugige winkte ihm lächelnd hinterher. „Bye, Darling.“, wiederholte Hinagiku, als der Wagen außer Sichtweite war, übertrieben schwülstig und machte dazu eine würgende Grimasse. Yuri stieß ihr entrüstet mit dem Ellenbogen in die Seite. „Hinagiku! Also wirklich!“, ermahnte sie die burschikose Schülerin anklagend. Diese grinste nur breit. „Was denn? Is’ doch voll eklig!“ Momoko lachte leise, wie hatte sie das vermisst! Die beiden anderen Mädchen stimmten, nach kurzer Verwunderung, in ihr Lachen mit ein. „Vielen Dank, ihr ahnt ja gar nicht, wie sehr ihr mir gerade aus der Patsche geholfen habt!“ „Oh, na ja, ich hab’ da so ’ne Vermutung.“, antwortete Hinagiku und zeigte auf die Pfirsichblüte an ihrem Zopf. Reflexartig griff sich die Trägerin dorthin. Yuri verstand nur Bahnhof. „Genau so eine hab’ ich gestern an Yosuke verkauft. Beziehungsweise verschenkt; das ist eigentlich Strauß- oder Gesteckdeko, aber weil wir keine echten Zweige hatten, hat er die mitgenommen.“ Yuri horchte auf, als sie begriff, worauf das quirlige Mädchen anspielte. Momoko errötete und schaute verschämt zu Boden. „Das ist bestimmt nur Zufall.“ „Glaub’ ich nicht. Die gibt es nirgendwo anders als bei uns und er hat außerdem durchblicken lassen, dass die ein Geschenk für seine Begleitung zum Hanami sein soll.“ Das Gesicht der Bezopften färbte sich tiefrot. »Großartig, musste sich dieser Kerl von allen Blumenläden in der Stadt ausgerechnet Hinagikus aussuchen?!« „Ist das wahr?! War Yosuke mit dir auf dem Hanami?“, fragte Yuri mit einem Tonfall aus Unglauben und Verwirrung, angesichts der leuchtenden, nicht zu übersehenden Gesichtsfärbung. Bevor es anfing aus ihren Ohren wie bei einem Dampfkessel zu pfeifen, war es wohl besser reinen Tisch zu machen, aber es gab zuvor noch ein paar andere Dinge zu klären. „Gegenfrage: Was macht ihr wirklich hier? Ich dachte, ihr seid sauer auf mich und das wir nicht mehr miteinander reden.“ Schuldbewusst sahen sich die Brünette und die Kurzhaarige an. „Ja also, das ist so… wir waren schon sauer, aber wir haben auch gemerkt, dass du auf dem Klassentreffen irgendwie komisch warst, nachdem Takuro aufgetaucht war und dich als seine Verlobte geoutet hatte.“, begann Hinagiku. „Genau. Und jetzt ist so viel Zeit vergangen und wir haben viel nachgedacht… du hast uns einfach gefehlt, Momoko. Wir wollten dich eigentlich abholen und uns mit dir versöhnen, falls du das auch möchtest.“, beendete Yuri. Gerührt rang die Blauäugige um Fassung und bemühte sich keine Tränen zu vergießen, denn auch sie hatten ihr gefehlt. Glücklich lächelte sie ihre Freundinnen an. „Wo wart ihr nur all die Zeit, wenn ich euch gebraucht hätte?“, fragte sie mit zittriger Stimme und erinnerte sich an all die schwierigen Monate mit ihrem Vater zurück, sowie an ihre Einsamkeit und Verzweiflung, die letztendlich nur Yosuke vertreiben konnte. Fast gleichzeitig nahmen die zwei Frauen sie in ihre Mitte und drückten sie herzlich an sich. „Es tut uns leid! Aber was ist denn eigentlich los? Warum hast du uns nie gesagt, dass du Probleme hast?“, fragte die Größere von beiden und streichelte ihr dabei tröstend den Rücken. „Das ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte.“, nuschelte Momoko über ihre Schulter hinweg in ihr langes, welliges Haar. „Kein Problem, wir haben Zeit.“, erklärte Hinagiku lässig wie immer und löste als Erste die Umarmung. So viel Zeit war vergangen und alles hatte sich verändert, vor allem sie selbst. Auch an der Freundschaft, zu ihren beiden ehemaligen Mitschülerinnen, hatte sie gezweifelt. Doch diese beiden jungen Frauen waren noch genau wie damals in der Schulzeit. Es fühlte sich unheimlich vertraut und richtig an, wieder mit ihnen zusammen zu sein. Momoko gab sich einen Ruck. „Ok, ok… ich erzähle Euch alles, aber erst bei mir Zuhause.“ Takuro stützte seinen Ellenbogen auf die Armlehne der Autotür und legte nachdenklich seine Fingerknöchel an sein Kinn. Momoko benahm sich merkwürdig in letzter Zeit. Immer wieder hatte er das Gefühl, dass sie ihm auswich oder seine Nähe scheute. Was machte er nur falsch oder anders als früher? Als sie sich damals wiedergesehen hatten, war sie eine ruhige, schüchterne junge Frau gewesen und hatte gerne und ohne Murren Zeit mit ihm verbracht. Er hätte ihr niemals seine Gefühle gestanden und sie gebeten seine Frau zu werden, wenn er sich nicht wenigstens ansatzweise sicher gewesen wäre, dass er ihr Herz für sich gewinnen konnte. Sie war ihm zugetan gewesen, hatte nie einen Rückzieher gemacht, wenn er ihre Nähe gesucht hatte und mit Sicherheit beeindruckte sie sein neues Image und seine veränderte Lebenssituation ebenfalls positiv. Vielleicht sah er aber auch nur Gespenster... Wäre da nicht die mysteriöse Sache mit der unerwarteten Wiedervereinigung von Momoko mit ihren alten Schulfreundinnen. Takuro hatte grundsätzlich nichts gegen seine alte Sandkastenfreundin oder Yuri, aber er wusste auch, dass sie beide einen großen Einfluss auf seine Verlobte hatten. Auch wenn es nicht gerade ritterlich von ihm war, aber er sah diese beiden jungen Frauen als potenzielle Gefahr für seine Eheschließung mit seiner Angebeteten an. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätten sich weiter von ihr fern gehalten. Die Bande zwischen ihm und Momoko waren zart und verletzlich; er ahnte, dass es wohl kaum seine äußerlichen Attribute waren, die sie davon abhielten es sich anders zu überlegen. Vielmehr war es ihre Hilfebedürftigkeit und seine Macht, ihre Probleme verschwinden zu lassen. Doch das machte ihm nichts aus, solange sie nur trotzdem ganz ihm gehörte! Sein Blick in die Ferne wurde finsterer. Takuro hatte nicht vergessen, dass Momoko versucht hatte das Foto, von diesem Torwart Fuma, vor ihm zu verstecken. Er kannte ihn kaum und trotzdem wusste er genug von ihm, um ihn zu verabscheuen. Gutaussehend, sportlich, beliebt bei den Mädchen – das genaue Gegenteil von ihm selbst. Und obwohl Yosuke und Momoko sich damals nie ganz grün gewesen waren, hatten sie doch wesentlich mehr Zeit miteinander verbracht, als er mit ihr. Es musste ihm endlich gelingen zu ihr durchzudringen und ihr die Augen über sich zu öffnen, denn er war besser als dieser Prolet und alle anderen! Sie musste längst bemerkt haben, wie gut er sie behandelte… Entschlossen versprach er sich, das Date in zwei Tagen zu nutzen, um sie endgültig von seinen Vorzügen zu überzeugen, denn er würde nicht zulassen, dass seine Verlobte Augen für einen anderen hatte! Endlich war Momokos Zuhause wieder mit Leben gefüllt. Über die guten, alten Zeiten sinnierend und albern lachend, machten sie es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa gemütlich. Schon auf dem Heimweg hatten sie sich über alte Anekdoten unterhalten und so die gute alte Zeit aufleben lassen. Die Hobbyfotografin hatte ihnen allen eine schöne heiße Schokolade mit kleinen Mini-Marshmallows gemacht, an denen sie nun verzückt schlürften. Die Ausgelassenheit verflog jedoch schnell, als Momoko begann, wie versprochen, ihren Freundinnen all das zu erzählen, was sie bisher vor ihnen geheim gehalten hatte. Die Depressionen und das Alkoholproblem ihres Vaters; die finanziellen Sorgen, die aus seiner Arbeitslosigkeit resultierten, bis hin zu der Verlobung mit Takuro. Das ungleiche Duo starrte sie fassungslos an, als sie ihre Ausführungen beendete. „Das heißt, du liebst Takuro gar nicht? Du willst nur eine Zweckehe mit ihm eingehen, damit seine Familie die Therapie deines Papas bezahlt und ihr das Haus nicht verliert?“, hakte Yuri geschockt nach. Ihre Gastgeberin nickte ungerührt. Je öfter sie es bereits im Geiste durchgegangen war und auch mit Yosuke besprochen hatte, desto mehr hatte diese Vorstellung für sie an Schrecken verloren. „Bist du verrückt?! Takuro tickt doch nicht ganz sauber, wenn er denkt, dass er das mit dir durchziehen kann!“, wetterte Hinagiku aufgebracht und stieß dabei fast ihre Tasse vom Couchtisch. „Er zwingt mich doch zu nichts, das war meine eigene Entscheidung! Zweckehe ist auch das falsche Wort, denn ich mag ihn schon… nur noch nicht genug. Ich kann jetzt aber nicht einfach so einen Rückzieher machen.“ Yuri rüttelte sie an ihren Schultern wach und sah ihr streng mit ihren grünen Augen ins Gesicht. „Es muss doch auch eine andere Möglichkeit geben als das!“ „Ist schon gut, ich komme klar damit. Takuro ist eigentlich ganz nett. Wenn noch ein bisschen mehr Zeit vergeht, kann ich ihn bestimmt auch lieb gewinnen.“ Momoko bemühte sich um ein optimistisches Lächeln, aber es erreichte ihre Augen nicht. „Ey, du hast doch ’nen Vogel! Liebe kann man doch nicht erzwingen!“ „Ich muss Hinagiku da leider Recht geben. Wenn du jetzt schon so gar nichts für Takuro empfindest, dann wird das auch nicht mehr kommen, befürchte ich…“ Die Rosahaarige wich Yuris Blick aus. „Das ist nicht so wichtig… Solange er mich gut behandelt und meinem Vater hilft, kann ich damit umgehen.“ Entsetzten spiegelte sich in den Gesichtern ihrer Gäste. „Das ist doch aber kein Spiel… es gehört mehr dazu eine Ehefrau zu sein, als nur hübsch auszusehen und das Haus zu hüten. Was ist mit Kindern? Die kommen doch nicht vom Storch! Hast du davor keine Angst? Wir reden hier von bis das der Tod euch scheidet!“, versuchte es die Brünette noch mal ruhig, aber eindringlich. Momoko stellte sich die Frage selbst und war überrascht, als sie bemerkte, dass diese Bedenken, von denen Yuri sprach, tatsächlich bei ihr seit der letzten Nacht wie ausgelöscht waren. „Nein, habe ich nicht.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie fühlte sich so selbstsicher wie nie zuvor, denn sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie wusste ja nun inzwischen, was sie erwartete… diese Erfahrung lies sie sich stark und mutig fühlen. „Da bleibt sogar mir die Spucke weg… was soll man dazu noch sagen?“, fragte Hinagiku an Yuri gewandt. Diese blinzelte ihr Gegenüber verdattert an, denn mit dieser Antwort und vor allem dieser Entschlossenheit hatte sie bei Momoko nicht gerechnet. Grüne Augen trafen auf Blaue. Nach einigen Augenblicken kniff die Dunkelhaarige ihre skeptisch zusammen, denn etwas war anders an ihrer sonst eher kindischen und ängstlichen Freundin. „Du verheimlichst doch etwas!“ Die Augenbrauen der Rosahaarigen zuckten kurz verräterisch. Aufhorchend prüfte auch Hinagiku ihre Miene ganz genau. „Jetzt sag bloß…“, begann sie aufgeregt, denn plötzlich spielte ihr Kopfkino verrückt, „Hat etwa Yosuke an deinem Selbstbewusstsein geschraubt?!“ Momoko und Yuri liefen gleichzeitig rot an. „Überlegst du eigentlich manchmal was du sagst, bevor du es aussprichst?“, rüffelte die Braunhaarige sie verlegen. „Is’ doch so! Los, erzähl schon Momoko, du schuldest uns sowieso noch die Antwort darauf, ob wirklich ausgerechnet du mit ihm beim Hanami warst!“ Überrumpelt und in die Ecke gedrängt, umklammerte die junge Gastgeberin, mit glühenden Wangen, ihre Tasse und starrte auf den letzten, einsam darin herumschwimmenden Marshmallow. „Momoko!“, entfuhr es der Grünäugigen entsetzt, denn anscheinend verriet ihr Schweigen mehr, als irgendwelche Erklärungen. „Dann stimmt es also? Habt ihr etwa was am Laufen?!“, fiepste Hinagiku völlig überspitzt, denn sie konnte kaum selber glauben, was sie sagte. „So ist das nicht!“, widersprach die Blauäugige mit ebenfalls hoher Stimme und rauchendem Kopf. „Wie ist es dann? Nun red doch endlich!“, bettelte Yuri und sah sie noch eindringlicher an. Sie und die Kurzhaarige krochen ihr inzwischen schon fast auf den Schoß vor Neugier. „Wir sind nur Freunde!“, antwortete Momoko entschieden. „Freunde?! Ihr? Freunde?“ Fast war die Rosahaarige über den Unglauben im Tonfall der burschikosen Braunäugigen etwas verärgert. Sie tat ja gerade so, als wäre diese Tatsache unwahrscheinlicher als Frieden zwischen Nord- und Südkorea. „Im Ernst, Freunde? Seit wann denn das?“, versuchte es Yuri diplomatischer, während Hinagiku immer noch der Mund offen stand. Momoko seufzte angestrengt und sammelte ihre Gedanken. So wie ihre Freundinnen jetzt schon reagierten, war es wohl das Beste, wenn sie vorerst nicht mehr als das Nötigste von ihr und Yosuke erfuhren. Gerade Yuri, die wohlerzogene Tochter aus gutem Hause, würde wahrscheinlich umkippen bei der ganzen, ungeschminkten Wahrheit. Und ob Hinagiku in der Lage war ihr loses Mundwerk vor anderen darüber zu halten? Darauf wollte sie es lieber nicht ankommen lassen. Also fing sie wieder zu erzählen an, begann dabei bei dem Klassentreffen und sparte bedacht alle Teile aus, die auf eine intimere Beziehung zwischen dem Torwart und sich hindeuten würden. Am Ende ihrer Geschichte seufzten Yuri und Hinagiku unisono. „Das heißt also, ihr habt euch durch diese verkorkste Situation einfach zufällig angefreundet und den ganzen Zank damals in der Schule einfach hinter euch gelassen?“, fasste die Größere von beiden zusammen. „Und ihr versteht euch sogar so gut, dass ihr euch wegen Hiromis und Takuros Eifersucht heimlich trefft.“, fügte Hinagiku hinzu. „So ist es. Er war einfach für mich da, als ich Trost und jemanden zum Reden brauchte. Auch ungefragt. Und auch wenn das vielleicht unglaublich für euch klingt, er hat genau gewusst wie er es anstellen muss, damit es mir besser geht.“ Die Brünette zog misstrauisch eine Augenbraue hoch und taxierte Momoko mit prüfendem Blick. „Du weißt schon, wie das klingt? So als ob du auf dem besten Wege wärst dich in ihn zu verlieben.“ Momokos Brauen schossen überrascht in die Höhe. Einen Moment lang war sie sprachlos und ließ sich diesen Gedanken auf der Zunge zergehen, doch dann begann sie albern zu kichern und abzuwinken. „Niiieeemaaals!“, dementierte sie glucksend und amüsierte sich herzlich über diese Vorstellung. Es war nicht abzustreiten, dass Yosuke und sie sich sehr gut verstanden und es eine gewisse Anziehung zwischen ihnen gab, aber Liebe? Ganz sicher nicht! „Also ich schließe mich Yuri an. Klingt schon seeehr verdächtig, dass ihr euch heimlich trefft und sogar zusammen auf das Kirschblütenfest geht. Außerdem… wo warst du denn wirklich in dieser Nacht?“ Der jungen Frau verging das Lachen, das sich stattdessen in ein ersticktes Husten wandelte. Mit rotem Gesicht und Tränen von der Luftnot in den Augenwinkeln, sah sie in die abwartenden Mienen ihrer Freundinnen. „Da ist nichts zwischen uns!“, versuchte sie mit viel zu hoher, krächzender Stimme zu erklären. „Beantworte die Frage.“, entgegnete Yuri kühl. Grummelnd sackte Momoko ins sich zusammen. Eine Erklärung musste her – und zwar eine Gute! „Das Wetter wurde doch spät abends schlagartig so schlecht; es gab einen Wolkenbruch, es fuhr kein Bus mehr bis zu mir und dann verlor ich noch einen Schuh… Ich habe dann auf sein Angebot hin einfach bei ihm übernachtet.“, nuschelte sie kleinlaut und trank danach hastig ihre Schokolade aus. Parallel zur ihrer Erzählung, klappten ihren Freundinnen die Kinnladen herunter. „Momoko Hanasaki, ich bin entsetzt! Du hast bei einem Mann, den du kaum wirklich kennst, übernachtet? Du bist verlobt, er hat eine Freundin…“ „Hatte; er macht Schluss mit ihr.“, unterbrach sie Yuris Predigt. Sofort bereute sie ihren Einwurf, denn die Brünette schnappte aufgeregt nach Luft und drohte zu hyperventilieren. Hinagiku rutschte an Yuri heran und stützte sie von hinten an ihren Schultern. „Er will Schluss machen? So ganz zufällig nachdem du bei ihm gepennt hast?! Mädel, das kannst du nich’ mal meiner Oma erzählen!“, sprudelte es aus ihr heraus, während sich die Langhaarige mit der Hand Luft zufächerte. Momoko biss sich wütend auf die Unterlippe, warum hatte sie sich dieses unerhebliche Detail nicht einfach sparen können?! „Wieso glaubt ihr direkt, dass ich etwas damit zu tun habe? Es ist doch überhaupt ein Wunder, dass er es so lange mit dieser Hiromi ausgehalten hat! Das ist Zufall, weiter nichts…“, behauptete sie sturköpfig und stand auf um ihre leere Tasse in die Küche zu räumen. Manchmal war Rückzug besser als sich zu stellen; es war schon richtig gewesen ihnen nicht auch noch die pikanten Details aufzutischen. „Ihr habt also keine Affäre?“, hinterfragte die frisch erholte Brünette vorsichtig vom Sofa aus. Wie vom Donnerschlag gerührt stolperte Momoko über ihre eigenen Füße und ließ die Tasse fallen. Sie fing sich gerade noch rechtzeitig mit den Händen ab und landete kniend genau neben dem demolierten Porzellan, dem nun der Henkel abgebrochen war. Ihr Puls raste so sehr, dass sie ihr Blut in den Ohren rauschen hörte. Ihr Magen verkrampfte sich vor Anspannung. „Ist alles ok? Hast du dich geschnitten?“, fragte Hinagiku erschrocken neben ihr hockend, die besorgt herbeigeeilt war und nach dem Rechten sah. Zu schnell atmend prüfte sie ihre Hände, die zwischen den kleinen Splittern der Tasse auf dem Fußboden auflagen, aber sie fühlte keinen Schmerz. Sie war unverletzt. Doch vor ihren Augen drehte sich alles; der Schwindel und die Übelkeit, die sie schon den halben Tag seit der Tabletteneinnahme begleiteten, hatten sich durch die Aufregung schlagartig verschlimmert. „Es… es ist nichts… aber ich will mich ausruhen, mir ist nicht gut.“, stammelte sie und versuchte taumelnd wieder auf die Füße zu kommen. Nun stand auch Yuri fürsorglich an ihrer Seite, während Hinagiku schnell die Scherben einsammelte. „Was ist denn los? Ist dir etwa wirklich nicht gut? Ich dachte, das war nur eine Ausrede um Takuro abzuschütteln.“ Momoko schüttelte den Kopf und massierte ihre Schläfen. „Nein, mir ist wirklich etwas unwohl… ich muss einfach nur ins Bett.“ Sie hörte wie die Kurzhaarige den Porzellanschaden im Mülleimer verschwinden ließ, als sie sich wieder auf die Couch setzte um nicht umzukippen. »Affäre.«, hallte es in ihrem Kopf wider. Die Angst aufzufliegen, kroch als fürchterlich kalter und grausamer Schauer ihren Rücken hinauf. Was würden ihre Freundinnen nur von ihr denken, wenn sie einfach alles zugeben würde? Sie war schließlich fast so was wie eine Ehebrecherin! „Sollen wir lieber gehen? Dann kannst du dich hinlegen.“, bot Yuri an und streichelte ihrer erblassten Freundin dabei über die Oberarme. Sie nickte müde. „Ja, es ist ja sowieso schon spät.“ „Aber versprich, dass du dich gleich morgen früh bei uns meldest, damit wir wissen wie es dir geht, ok?“, bat Hinagiku sie. „Und scheu dich nicht mehr davor auch zu uns zu kommen, wenn du wieder jemanden zum Reden brauchst.“, ergänzte die Dunkelhaarige. „In Ordnung.“, antwortete Momoko knapp und lächelte ihre Freundinnen dankbar an. Die zwei Schülerinnen schnappten sich ihre Taschen und ließen sich, nach einer liebevollen Verabschiedung, selber zur Tür raus. Momoko verharrte noch einen Augenblick lang auf der Couch, bis sich ihr Puls wieder beruhigte, aber der Schwindel und die Übelkeit blieben. Ohne weiter aufzuräumen verriegelte sie schließlich die Haustür und suchte danach ihr Zimmer auf, wo sie sich nur mit Mühe aus ihren Sachen pellte und anschließend erschöpft unter ihre Bettdecke kroch. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie die Aufregung und ihr schlechtes Gewissen endlich abschütteln konnte, doch irgendwann fiel sie in einen tiefen, erlösenden Schlaf. Kapitel 23: Bad surprise ------------------------ Der Samstag gestaltete sich für Momoko alles andere als angenehm, denn die Nebenwirkungen der Pille danach schienen erst im Morgengrauen ihr volles Potenzial zu entfalten. Mit viel Kräutertee und ein paar Zwieback, schleppte sie sich mit Mühe durch den Tag, schlurfte blass wie ein Geist in einem Pyjama durch das Haus oder wälzte sich ruhelos in ihrem Bett hin und her. »Hätte ich geahnt, dass mir diese eine Nacht so viele Umstände bereitet, hätte ich es gelassen…«, dachte Momoko oft bei sich, wenn sie wieder eine neue Welle aufkommender Übelkeit niederkämpfen musste. Zu ihrem Glück hatte sie noch Vomex von ihrem Vater im Arzneischrank, sodass sie, kombiniert mit einer Aspirin, wenigstens einen Teil der Zeit schlafend vor sich hin leiden konnte. Gegen Mittag läutete ihr Telefon wütend vor sich hin, doch die mitgenommene Schülerin fühlte sich außer Stande nach unten zu stürmen, um abzuheben. Wer etwas Dringendes von ihr wollte, würde sein Handy bemühen. Es dauerte auch nicht lange, da flogen auch schon die ersten besorgten SMS von Yuri und Hinagiku ein, die sie über ihr Leiden hinweg völlig vergessen hatte. Seufzend beruhigte Momoko die aufgewühlten Gemüter ebenfalls per Kurznachricht und erklärte sich als Magen-Darm krank. Das Türläuten am Nachmittag ließ sie aus einer weiteren, dringend notwendigen, Ruhepause schrecken. „Oh man… geh weg, ich bin nicht da…“, schimpfte sie leise in ihr Kissen und zog sich ihre Zudecke über den Kopf. Doch wer auch immer unten vor ihrer Tür auf sie wartete, hatte anscheinend nicht vor zu weichen, ehe sie sich blicken ließ. Genervt stöhnend erhob sie sich doch und setzte sich an die Bettkante. Wer um Himmels Willen war unverfroren genug derart Sturm zu klingeln? Sie erwartete weder ein Paket noch Besuch… Die Gedanken in ihrem brummenden Kopf sammelten sich, während sie aufstand, in ihre Pantoffeln schlüpfte und ihre Zimmertür passierte. »Oh Gott! Was, wenn das Yosuke ist?«, schoss es ihr plötzlich durch den Geist. Natürlich! Vielleicht wollte er wissen wie es ihr seit jener Nacht ergangen war oder er hatte ihr etwas anderes, Dringendes zu erzählen… Wie wach gerüttelt, eilte sie hektisch die Stufen hinunter und schämte sich bereits jetzt in Grund und Boden dafür, dass sie mit unfrisierten Haaren und im Schlafanzug die Tür öffnen musste. Hätte er sich nicht wenigstens ankündigen können?! „Ich komme schon!“, rief sie der erneut ungeduldigen Türklingel entgegen. Sich räuspernd und ihre Haltung begradigend, drehte sie den Schlüssel herum und öffnete endlich. „Guten Tag – na endlich, ich befürchtete schon, Sie sind nicht da.“ Verdutzt sah sich Momoko einem großen Mann im schwarzen Anzug und mit Sonnenbrille gegenüber, der ein großes, flaches Päckchen und einen Strauß roter Rosen bei sich trug. „Sie sind doch Fräulein Hanasaki, nehme ich an?“, hinterfragte er skeptisch und lugte über den Rand seiner Brille hinweg, um sie besser mustern zu können. Beschämt versuchte die junge Frau ihre strubbeligen Haare mit den Fingern irgendwie zu ordnen, doch es war hoffnungslos. „Ja, bin ich… auch wenn ich mir heute mal nicht ähnlich sehe.“, scherzte sie unsicher. Dem Boten war ihr Versuch, gelassen zu wirken, anscheinend ziemlich gleichgültig. Er überreichte ihr den Blumenstrauß und legte ihr das Päckchen zu Füßen, woraufhin er ein Klemmbrett unter seiner Achsel hervorzog und es ihr gemeinsam mit einem Kugelschreiber hinhielt. „Eine Unterschrift bitte.“, erklärte er nur knapp. Bevor Momoko wusste wie ihr geschah, setzte sie wortlos ihr Kürzel bei dem kleinen X und gab den Stift zurück. Höflich bückte sich der Mann nach dem Päckchen und schob es ihr unter den freien Arm, verbeugte sich kurz und verabschiedete sich dann. „Es war mir ein Vergnügen.“, sagte er, als er ging. „Da-, danke…“, stammelte die Rosahaarige verlegen, lief ein Stück rückwärts und schob die schwere Haustür mit ihrem linken Fuß zu. Umständlich bugsierte sie beide Geschenke zum Esstisch hinüber, wo sie zu allererst das Päckchen ablegte und sich dann dem Rosenstrauß zuwandte. „Wow, die müssen unglaublich teuer gewesen sein…“, bemerkte sie staunend und sog den Duft der vielen Blumen ein. Damit dämmerte ihr auch, von wem die Sachen wirklich sein mussten. Yosuke schied aus. Ein kleines Kärtchen inmitten der Rosen bestätigte ihren Verdacht; sie waren von Takuro, natürlich. Allerliebste Momoko, ich hoffe, ich habe mit den Rosen Deinen Geschmack getroffen. Sie sollen Dich auf unseren gemeinsamen Abend morgen einstimmen und daran erinnern, wie stark meine Gefühle für Dich sind. In dem Päckchen ist ein kleines Geschenk für Dich, weil ich mir nicht sicher war, ob Du etwas Passendes zum Anziehen in Deinem Kleiderschrank hast. Du wirst bestimmt umwerfend aussehen, ich freue mich darauf Dich darin zu sehen! In Liebe Takuro „Auweia…“, sagte sie anschließend und warf dem Päckchen einen ängstlichen Blick zu. Momoko legte den Strauß beiseite und wagte sich an das Geschenkpapier der großen, flachen Schachtel. Als sie anschließend den Deckel abhob und ein paar Lagen Seidenpapier umgeschlagen hatte, kam roter Stoff zum Vorschein. Erleichtert, auf den ersten Blick nichts dramatisch Kitschiges oder Aufdringliches auszupacken, hob die junge Frau das Kleid vorsichtig aus der Schachtel und hob es vor sich in die Höhe. Es war ein einfarbiges, hochgeschlossenes Cocktailkleid, aus leichtem, fließendem Stoff. Momoko hielt es sich vor den Körper; der Rocksaum fiel in sanften Wellen bis knapp über ihre Knie. Es war das perfekte Kleid zum Tanzen und sich darin Drehen. Das einzige Detail daran war der breite Gürtel aus schwarzem Chiffon, der auf der linken Seite zu einer lockeren Schleife mit langen Enden verknotet war. »Wenigstens hat er Geschmack.«, dachte die Beschenkte dankbar und ließ das Kleid ordentlich zurück in die Schachtel gleiten. Seufzend betrachtete sie den kräftig roten Stoff noch einen Augenblick lang, ehe sie den Rückweg zurück in ihr Bett antrat. Der Moment der Aufregung hatte Momoko ihre Beschwerden vergessen lassen, doch allmählich machten sich der Schwindel und die latente Übelkeit wieder bemerkbar. Noch während sie wieder die Treppe nach oben hinauf stieg, fragte sie sich rüffelnd, wie sie nur davon ausgehen konnte, dass es Yosuke hätte sein müssen, der sie besuchte. Sie hatte ihn doch selber um Zeit gebeten und wollte sich außerdem als erstes bei ihm melden. Anscheinend schien er sich daran zu halten. Nach einer Dankes-SMS an Takuro, schob Momoko alle bedrückenden Gedanken von sich und gab sich wieder dem Verschlafen des Tages hin. ~*~ Der Sonntagabend kam schneller, als es Yosuke lieb war. Die letzten zweieinhalb Tage hatte er fast nichts anderes getan, als über das bevorstehende Gespräch mit Hiromi nachzudenken. Immer wieder legte er sich einen neuen Text im Geist zurecht und verwarf ihn danach alsbald. Schlussmachen war für ihn eine Premiere und gerade Hiromi war die Letzte, die man abservieren wollte, wenn man, wie er, ihr beängstigendes Temperament kannte… Sobald er sich von diesem heiklen Thema frei machen konnte, dachte er wieder an Momoko und ihr Date, das wohl etwa parallel zu seiner Aussprache mit seiner bald Exfreundin stattfinden würde. Dass das alles so kompliziert für ihn werden würde, hatte er nicht geahnt. Zu seinem Ärger wurmte ihn nämlich der Gedanke mächtig, die Blauäugige den Händen dieses Lackaffen ausgeliefert zu wissen. Vor allem, nachdem er seit Freitagvormittag nichts mehr von ihr gehört hatte… Ging es ihr gut? War sie gewappnet, oder vielleicht doch verunsichert und unglücklich? Sorgen über Sorgen, egal an welche Frau er dachte; es war ein echtes Dilemma. Yosuke prüfte die Uhrzeit, es war fast 18 Uhr. Für diese Uhrzeit hatte sich Hiromi am Vortag bei ihm angemeldet. Drei Wochen war sie nun weg gewesen und würde wahrscheinlich zur Tür hereingestürmt kommen und eine überschwängliche, romantische Begrüßung erwarten. Doch er hatte nichts vorbereitet, stattdessen saß er grübelnd an seinem Esstisch und versuchte Mut zu fassen. Es würde ihr das Herz brechen, dabei konnte sie nicht mal etwas dafür, dass es vorbei war. Zumindest nicht ausschließlich. Er hörte einen Schlüssel im Türschloss klimpern, schlagartig beschleunigte sich sein Puls. Hastig stand er auf und lief Hiromi entgegen, die sich gerade mit ihrem Gepäck durch den Türrahmen quetschte. „Ich bin wieder da~haaa!“, trällerte sie vergnügt mit ihrer hohen Stimme. Als sie Yosuke entdeckte, breitete sich ein herzliches, überglückliches Lächeln auf ihrem gesamten Gesicht aus. Ihre roten Augen sprühten verliebte Funken in seine Richtung. Reflexartig breitete der Torwart die Arme aus, als sie einfach alles fallen ließ, um ihm entgegen zu springen. „Yoyo-Maus! Ich habe dich schrecklich vermisst!“, säuselte sie und schmiegte sich dabei an seine Brust, ihre Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen. Überfordert blickte der Dunkelhaarige auf sie hinunter; es war ein altbekanntes Gefühl, wie Hiromi sich an ihn kuschelte, doch gleichzeitig fühlte es sich auch fremd und falsch an. „Schön, dass du zurück bist.“, begrüßte er sie steif und achtete darauf, die Umarmung nicht zu herzlich zu erwidern. Die lilahaarige junge Frau schien sein Verhalten gar nicht zu bemerken, denn zu überschwänglich war ihre Wiedersehensfreude. „Ich wusste, du würdest mich vermissen! Ich habe dir so viel zu erzählen!“ Strahlend sah sie in sein Gesicht und stellte sich auf die Zehenspitzen um sich ihren Begrüßungskuss abzuholen, doch in dem Moment schob Yosuke sie an ihren Schultern mit sanftem Druck weg von sich. Verwirrt blinzelte sie ihn an, doch er mied den Augenkontakt mit ihr und lief vorbei zur Tür, wo er ihr Gepäck ordentlich in den Flur stellte und die Wohnungstür schloss. „Yosuke? Stimmt etwas nicht?“, hakte Hiromi unsicher nach, versuchte aber dabei zu lächeln. Er erwiderte ihren Blick und seufzte schwer. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. „Wir müssen reden.“, erklärte er knapp. „Ja? Nun… ich muss auch mit dir reden…“, entgegnete sie leise und nestelte dabei an ihrem Top herum. „Hiromi! Ich glaube nicht, dass wir beide über dasselbe Thema reden wollen.“, unterbrach er sie ernst. Erschrocken über seinen Tonfall und den harten Gesichtsausdruck, wich die junge Frau einen Schritt zurück. „Schatz, du machst mir Angst… was ist denn los?“ Yosuke schüttelte den Kopf und ballte seine Hände zu Fäusten, um sich wieder zu beruhigen. „Vielleicht solltest du dich erstmal setzen, du bist gerade erst gekommen.“ „Nein! Das hättest du mir vielleicht noch vor zwei Minuten anbieten sollen, jetzt will ich wissen was los ist. Ist etwas passiert?“ Ihr kindliches Gehabe war verflogen, nun stand die entschlossene und kämpferische Hiromi vor ihm, vor deren Reaktion er sich so fürchtete. „Ehrlich, das sollten wir nicht zwischen Tür und Angel besprechen.“, versuchte er sie zu besänftigen. Doch sie verschränkte nur, mit mürrischer Miene, die Arme. Sie war in den drei Wochen auf dem Land brauner geworden. Es gab einen richtigen Kontrast zwischen ihrem weißen Oberteil und ihrer Haut. Selbst ihre Beine, die unter einer kurzen Shorts aus fransigem Jeansstoff hervorschauten, hatten Farbe bekommen. Sie musste die junge Frühjahrssonne richtig ausgekostet haben, aber der goldene Touch, ihrer reinen Haut, hatte keinerlei Wirkung auf ihn. Ihre ganze Erscheinung allgemein hatte keinen Zauber mehr auf ihn. Er konnte diese Situation hier durchstehen, auch wenn ihm sein Herz trotzdem bis zum Hals schlug. „Ich warte.“, erinnerte Hiromi ihn. Seinen kurzen Tagtraum abschüttelnd, fasste sich der Sportler ein Herz. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir das erklären kann, ohne dich zu verletzen… aber in der Zeit, in der du bei deinen Verwandten warst, habe ich viel nachgedacht.“, begann Yosuke vorsichtig und musterte dabei ihre Miene. Er bemerkte wie sie angespannt Luft holte und sich ihre Fingernägel in die Haut ihrer Arme gruben. „Du wolltest, dass ich mir darüber bewusst werde, wie viel du mir bedeutest, damit ich dich wieder richtig zu schätzen weiß, nur leider… Hiromi, ich denke das Beste ist, wenn wir uns trennen.“ Es war heraus. Endgültig! Doch statt sich erleichtert zu fühlen, krampfte sich etwas in ihm zusammen, als er zusehen musste, wie sie ihre Fassung verlor. Hiromi ließ ihre Arme sinken und starrte ihn aus schockgeweiteten, bestürzt flackernden Augen an. „Was… was sagst du da?“ Es war nur ein Flüstern, doch Yosuke las ihr jedes Wort von den Lippen ab. „Es tut mir leid, aber ich möchte unsere Beziehung beenden. Ich bin nicht mehr glücklich mit dir.“, erklärte er noch mal in Kurzfassung. „Nein… das kannst du nicht machen… wieso?“ Ihre Stimme wurde schriller, obwohl sich in ihrem Gesicht kaum etwas veränderte. Sie stand eindeutig noch unter Schock. Schulterzuckend und entschuldigend mit den Händen gestikulierend, suchte ihr Gegenüber nach einer Antwort. „Ich habe keine genaue Erklärung, ich weiß nur, dass ich keine gemeinsame Zukunft mit dir sehe. Vielleicht sind wir doch einfach zu verschieden und haben es nur lange nicht bemerkt.“ „Das ist nicht wahr… Yosuke! Wir waren doch immer glücklich!“ Verzweifelnd lächelnd trat sie einen Schritt auf ihn zu, doch er wich zurück. „Waren wir das? Als du weg warst wurde mir bewusst, wie viel ich eigentlich aus meinem alten Leben vermisst habe…“, erklärte er wehmütig und wich ihrem tränenfeuchten Blicken aus. „Das musst du dir einbilden… wie kommst du jetzt auf so was? Ist… ist es eine andere Frau? Hast du etwa eine andere?“ Yosuke schloss die Augen, als er das Damoklesschwert über sich schwingen spürte und die Last seiner Schuld und seines Gewissens ihn zu erdrücken versuchten. „Nein.“ „Du lügst doch!“, fuhr sie ihn hysterisch an. „Wer ist es? Kenne ich sie?“ „Es gibt keine andere! Ich möchte mich einfach trennen, weil ich nicht glücklich bin und dich nicht glücklich machen kann!“, gab er harsch zurück. Hiromi schluchzte. „Aber ich bin doch glücklich!“, jammerte sie kummervoll. Dicke Tränen kullerten über ihr Gesicht. Wie ein kleines Kind wischte sie sie sich mit beiden Händen von den Wangen. Bekümmert sah Yosuke ihr dabei zu. „Es tut mir leid…“ „Du kannst mich nicht verlassen… Wenn du nicht glücklich bist, das können wir hinbekommen…“, wimmerte sie erstickt unter ihren Händen. Der Torwart schüttelte langsam seinen Kopf und wollte zu einem weiteren Widerspruch ansetzen, als sie sich unvermittelt erneut in seine Arme warf. „Hiromi…“, begann er abwehrend, doch sie bremste ihn aus, als sie sich an seiner Brust sträubend schüttelte. „Nicht, lass mich reden… ich wollte dir doch so unbedingt etwas erzählen… bitte hör mir zu…“, nuschelte sie von Schluchzern unterbrochen in sein T-Shirt hinein. „Ich muss dir auch noch eine weitere Sache erzählen.“, bemerkte er und dachte dabei schluckend an die eine Nacht mit Momoko. Es war nur fair ihr die ganze grausame Wahrheit zu erzählen. Vielleicht machte ihr sein Fremdgehen die Trennung leichter. Nur Namen würde er keinen nennen. „Ich will nichts mehr hören, bitte! Es ist so wichtig, dass du mir zuhörst!“, flehte Hiromi wieder. „Glaub mir, du willst gar nicht mehr mit mir zusammen sein…“ „Doch, das will ich! Jetzt mehr als je zuvor, du darfst uns nicht aufgeben!“ Die plötzliche Beharrlichkeit seiner gelockten Gesprächspartnerin ließ ihn stutzen und verstummen. Schweigend gab er ihr die Chance zu sagen, was auch immer sie noch auf dem Herzen hatte, bevor er es endgültig in tausend Teile zerbrach. Hiromis Lippen formten ein trauriges Lächeln. „Yosuke… ich bin schwanger.“ Kapitel 24: Helter-Skelter -------------------------- Nervös und mit mulmigem Gefühl, tätigte Momoko die letzten Handgriffe an ihrem Outfit. Das rote Kleid passte ihr tatsachlich fantastisch und der Rock formte wie erwartet einen richtigen Teller, wenn sie sich schnell um die eigene Achse drehte. Passend zu der großen Schleife auf ihrer Hüfte, hatte sie sich ein schwarzes Haarband in die offenen Haare gebunden und auf der rechten Seite ebenfalls zu einer Schleife verknotet. Weil sie außerdem nicht der Typ für High-Heels war, hatte die Rosahaarige auf farblich passende Ballerinas zurückgegriffen. Erst im Spiegel fiel Momoko auf, dass das Rot des Stoffes perfekt mit dem roten Stein ihres Verlobungsringes harmonierte. Sie streckte ihre rechte Hand in die Luft und betrachtete ihn verträumt. »In nicht mal einem Jahr bin ich also eine Amano…«, dachte sie und zog dabei die Stirn in Falten. Die Vorstellung war irgendwie absurd und unwirklich, aber der Beweis dafür prangte schimmernd an ihrem Ringfinger. Heute zeugte davon auch das Kleid auf ihrer Haut, ja selbst die Rosen, in der Vase auf dem Esstisch, erinnerten sie daran. Oft hing Momoko diesen Gedanken nach, aber sie hatte nicht das Gefühl, als hätte sie es inzwischen wirklich verinnerlicht. Es läutete; das musste Takuro sein! Noch einmal warf die Blauäugige ihr volles Haar ordentlich nach hinten und zupfte alles gerade, ehe sie zur Tür eilte und sie öffnete. „Guten Abend, schöne Frau.“, begrüßte sie ein verschmitzt grinsender, junger Mann, der sich vornehm vor ihr verbeugte und ihr dabei zuzwinkerte. Takuro sah sehr, sehr fein aus in seinem schwarzen Nadelstreifenanzug und dem bordeauxroten Hemd darunter. Sein längeres Haar war wie immer in einem strengen Zopf in seinem Nacken gebändigt. „Wow, du siehst gut aus in diesen Klamotten!“, lobte Momoko ihn anerkennend. „Ach, ich bin doch nichts im Vergleich zu dir! Schau dich an, du bist wie die Rosen, die ich dir geschickt habe.“, schmeichelte er ihr. Sie konnte nicht anders als zu erröten. „Danke…“, hauchte sie verlegen. „Hat dir meine kleine Aufmerksamkeit von gestern also gefallen?“, hinterfragte er hoffnungsvoll. „Ja, das Kleid und die Blumen sind wundervoll, aber das war doch bestimmt teuer…“ Er winkte ab, als wäre das nichts, worüber sie sich Gedanken machen musste. „Wenn ich meiner Verlobten eine Freude machen will, dann tue ich das. Sag, wie geht es dir? Fühlst du dich heute wohler?“ Momoko nickte eifrig. Bereits in der Nacht zuvor hatten die Nebenwirkungen der Pille danach endlich angefangen nachzulassen. Sie fühlte sich an diesem Abend bereits wieder wie die Alte. „Ja, danke. Alles in Ordnung.“ Takuro schien erleichtert und hielt ihr seine Hand hin, um sie zu dem Wagen zu führen, der auf sie beide wartete. Sie schnappte sich noch eben ihre vorbereitete, kleine, schwarze Lacktasche vom Kleiderhaken und nahm dann seine Geleit anbietende Hand an. „Wohin fahren wir?“, fragte sie neugierig, als sie sich wieder auf der feinen Lederrückbank nieder ließ. „Lass dich überraschen, ich habe etwas sehr Schönes für uns beide geplant.“ Die Autofahrt dauerte eine Weile und führte immer tiefer in die Stadt hinein, wo die Gebäude höher und imposanter wurden. Moderne Türme aus Unmengen Glas, Stahl und Beton reihten sich aneinander. Alles sah sehr steif, geschäftlich und teuer aus. Fuhr Takuro mit ihr in ein Business-Viertel? Wenn ja, warum? Ihre unausgesprochene Frage beantwortete sich von selbst, als sie schließlich vor einem riesigen Hotel anhielten. Noch durch die dunkle Fensterscheibe spähte Momoko nach oben und versuchte, wenigstens ansatzweise, einzuschätzen, wie viele Stockwerke es wohl hatte. „Beeindruckend, nicht wahr?“ Ertappt drehte sich die junge Frau zu ihrem Verlobten um, der sie zufrieden anlächelte. „Es ist riesig! Gehen wir jetzt wirklich da rein?“ Der Schwarzhaarige nickte verschwörerisch. Etwas unbehaglich rutschte sie daraufhin auf ihrem Sitz hin und her. Natürlich konnte man in einem Hotel so einiges mehr machen, als nur dort zu übernachten, aber die Ungewissheit darüber, was sich Takuro wirklich dabei gedacht hatte, bereitete ihr Bauchschmerzen. Er stieg aus und öffnete ihr ganz Gentlemanlike die Autotür. So elegant wie möglich stieg Momoko aus; sie war heilfroh, sich für flache Schuhe entschieden zu haben. Unter ihren Füßen, bis zum Eingang des Hotels, erstreckte sich ein roter Teppich, auf den sie konzentriert ihren Blick richtete, während Takuro und sie am Concierge vorbei gingen und eintraten. Eingeschüchtert von dem Prunk und Protz um sie herum, zog die Rosahaarige ihren Kopf ein und sah sich eher zaghaft um. Ein heller, teuer aussehender Steinboden unter ihren Füßen; dunkle Holzvertäfelungen an den Wänden; verschnörkelte Tapeten; erdrückend viel Stuck und schwere Deckenleuchter aus goldenem Metall und Kristallglas. All das empfing sie allein schon in der Eingangshalle! Was um Himmels Willen hatte ihr Begleiter nur mit ihr vor? Angst und bange wurde ihr, als er sich an der Rezeption eine Schlüsselkarte abholte. Momoko hatte gehofft, sie würden vielleicht hier unten in der Lounge irgendetwas machen oder das Hotelrestaurant aufsuchen, aber was wollte er mit dieser Karte? »Doch nicht etwa…?!« Scharf einatmend ermahnte sie sich selbst zur Ruhe. Takuro würde niemals dreist und forsch genug sein, um mit ihr zielstrebig auf eines der Zimmer gehen! Hoffentlich. „Aufgeregt?“, fragte er sie, als er sie so versteift zum Aufzug führte. „Ein wenig.“, gestand die Blauäugige. Mit einem Pling öffneten sich die Fahrstuhltüren. Drinnen kam die Karte in Takuros Händen zum Einsatz. Gekonnt zog er sie durch einen Schlitz und drückte dann die Knöpfe zu der allerobersten Etage. Mit Herzrasen zählte Momoko jedes einzelne Stockwerk mit. Die Fahrt wurde zu einer Zerreißprobe für ihre Nerven. „Du musst nicht nervös sein, es wird dir gefallen.“, erklärte Takuro ruhig und gelassen. Seine Worte waren jedoch alles andere als beruhigend! Um sich ihre zitternden Finger nicht anmerken zu lassen, schloss sie sie fest um den Schultergurt ihrer kleinen Umhängetasche. Es machte wieder Pling. Momoko kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. »Bitte lass es keine Suite mit Kingsizebett sein!« Kaum war ihr stummes Stoßgebet gen Himmel gesandt, überwand sie sich und öffnete wieder ihre Augen. Takuro und sie standen in einem unspektakulären Hausflur, in dem eine Treppe nach unten und eine andere nach oben führte. „Wir müssen das letzte Stück leider laufen, aber dann sind wir da.“ Zuversichtlich strahlte der Dunkelhaarige sie an und reichte ihr seine Hand, die sie annahm, um ihm anschließend die letzten Stufen nach oben zu folgen. „Gehen wir auf das Dach?“, hinterfragte Momoko unsicher. „Erraten.“, antwortete Takuro und drückte die schwere Eisentür nach außen hin auf. In der Abenddämmerung lag vor ihnen eine großzügige Dachterrasse, auf dem ein großes, rundes Gestell mit einem Baldachin stand. Darunter standen auf der rechten Seite ein kleiner, ovaler Tisch und zwei Stühle. Zur Skyline hin war der Stoff des Baldachins hoch gebunden, damit man ungehindert die Aussicht genießen konnte. Sprachlos staunte die junge Frau über das ungewöhnliche Ambiente. „Bei der Aussicht fehlen einem die Worte, nicht wahr?“ Ihr Begleiter zog sie sanft mit sich weiter auf das Dach und direkt unter das Zelt. Jetzt sah sie auch, warum auf der linken Seite so viel Platz war, denn am Rand stand eine Musikanlage. »Oh je, er will doch nicht etwa tanzen?!« Eine Horrorvorstellung für Momoko, denn für klassischen Paartanz war sie überhaupt nicht geschaffen! Sie war schon froh, wenn sie sich im normalen Alltag nicht schon durch ihre Tollpatschigkeit die Knochen brach. „Ich hoffe, du hast Hunger?“, riss sie Takuros Stimme aus ihrer Schockstarre. „Oh, äh, ja!“, stotterte sie und musterte den bereits gedeckten Tisch. Eine einfache Kerze stand in der Mitte und auf jeder Seite verdeckte eine silberne Cloche ihre wahrscheinlich bereits fertigen Speisen. Ihr Blick schweifte über die Skyline, als sie sich setzte. Sie waren wirklich hoch, das Hotel musste eines der größten Gebäude der Stadt sein, denn in der Ferne konnte man sogar noch die Hügel erkennen, auf denen die Kirschbäume blühten. „Stimmt etwas nicht? Du bist so still?“ Takuro, der sich inzwischen ihr gegenüber gesetzt hatte, musterte sie fragend. Momoko schüttelte den Kopf und setzte ein Lächeln auf. „Nein, alles in Ordnung! Ich bin nur… überwältigt. Das ist alles so fein und schick. Ich bin so was Nobles nicht gewöhnt.“ Er grinste erleichtert. „Nur das Beste für dich, das weißt du doch.“ Natürlich. Er wollte sie standesgemäß beeindrucken und ihr zeigen, was bald schon ihre Welt sein würde. Es war aber so merkwürdig tagsüber wie ein ganz normales Durchschnittsmädchen in die Schule zu gehen, nebenbei zu jobben und einen Haushalt zu führen und sich dann plötzlich wieder in einer luxuriösen Umgebung wiederzufinden. Es war ein bisschen wie bei Aschenputtel, allerdings hatte Momoko das Gefühl, dass ihr der gläserne Schuh nicht passte. Takuro gab mit seiner Hand ein verwirrendes Zeichen, dem wie aus dem Nichts plötzlich ein Kellner folgte. Irritiert blinzelnd sah sie dabei zu, wie dieser die Kerze anzündete, ihnen ein prickelndes Getränk einschenkte und die Speiseglocken entfernte. Zu Tage kam je ein kleines Häufchen Salat mit einem kunstvollen Schwenk Soße und drei abgezählten Garnelen darauf. Die Portion wirkte auf dem großen Teller beinahe verschwindend klein. Unglücklich knurrte Momokos Magen auf, weswegen sie sofort hochrot anlief. Ihr Gegenüber lachte amüsiert. „Keine Bange, das ist nur die Vorspeise.“, beruhigte Takuro sie, der anscheinend ihre Gedanken lesen konnte. Er nickte dem Kellner zu, der, bevor er sich entfernte, noch eben die Musikanlage in Betrieb nahm; klassische Musik drang leise an ihr Ohr. »Oh, oh… ausgerechnet Klassik!« Davon verstand die Blauäugige nichts, auch wenn die Töne der Klaviere und Violinen durchaus schön anzuhören waren. „Entspann dich und lass uns den Abend genießen. Auf uns!“ Ihr Verlobter hob sein schmales Glas zum Prost. Schnell griff auch sie nach ihrem und stieß mit ihm an. Die sprudelnde Brause schmeckte bitter und irgendwie säuerlich. Mit gerümpfter Nase nahm Momoko ihr Glas von den Lippen und hielt es gegen das Licht. „Ist das Alkohol?“, fragte sie ungläubig. „Das ist Sekt.“, erklärte Takuro stolz. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Sekt? Aber wir sind doch noch keine 20!“ Er zuckte nur leichthin mit den Schultern und nahm genießerisch noch einen weiteren, großen Schluck. „Ich dachte, heute Abend könnten wir ja mal eine Ausnahme von dieser Regel machen. Viele trinken trotzdem Alkohol noch bevor sie 20 sind, man darf sich nur nicht erwischen lassen.“ Mit in Falten gelegter Stirn und skeptischem Blick, stellte die Rosahaarige ihr Glas wieder ab und schob es gleich noch etwas außer Reichweite. Auch wenn es nur ein Glas Sekt war, sie brauchte es nicht um den Abend zu genießen, wenn die Gesellschaft stimmte. „Möchtest du lieber etwas anderes?“ Auf einmal etwas nervös, ihrer Reaktion wegen, stellte er sein Glas ebenfalls ab und lehnte sich zu ihr nach vorn. „Ja. Wenn es keine Umstände macht, hätte ich einfach gerne ein Glas Saft oder Wasser.“ Momoko war es etwas unangenehm, als der Kellner, der keine Miene verzog, ihr fast unangerührtes Glas abräumte und kurze Zeit später gegen einen Apfelsaft tauschte. Währenddessen stocherte sie schon mal vorsichtig an ihrem Salatblatt herum. Der Teller wäre leer, wenn sie alles auf einmal auf ihre Gabel laden würde. „Schön, dass es dir jetzt wieder besser geht.“, versuchte Takuro erneut ein Gespräch in gang zu bringen. „Ja, danke. Es war sicher nur eine kleine Magenverstimmung.“ Seiner Gesprächspartnerin fiel es sichtlich schwer sich fallen zu lassen und den Abend zu genießen. Steif und angespannt saß sie kerzengerade auf ihrem Stuhl und schob sich mit konzentrierter Miene eine Gabel nach der anderen in den Mund. Er seufzte schwer. „Ach Momoko… ich hatte gehofft, die Atmosphäre würde dir gefallen…“, setzte er bedauernd an. Sie sah von ihrem leeren Teller auf, noch hungriger als zuvor und schaute in seine bedrückte Miene. Es war nicht ihre Absicht Takuro zu kränken, doch sie fühlte sich fehl am Platz, seit sie das Gebäude betreten hatten. „Es tut mir leid. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Das alles hier ist so viel… ich sagte doch schon, dass das furchtbar ungewohnt für mich ist. Ein einfaches Essen in einem Lokal hätte es auch getan.“ „Aber wieso? So sind wir endlich mal unter uns und ganz ungestört… „ Vielleicht war das der Knackpunkt. Abgesehen von dem ganzen, pikfeinen Schnickschnack war die Tatsache, dass sie allein waren, unterbewusst wohl ihr größtes Problem. „Du hast Recht… wahrscheinlich bin ich zu schüchtern.“ Ihr Verlobter grinste breit über diese Aussage. Die unschuldige, zurückhaltende und schüchternde Momoko war ihm die Liebste. „Kann ich dich aufheitern wenn ich dir verrate, dass sich dein Vater gut macht in der Klinik?“ Augenblicklich horchte sie auf und widmete ihm jedes bisschen Aufmerksamkeit, das sie aufbringen konnte. „Mein Papa? Wie geht es ihm?“ „Die ersten Tage hat er sich sehr schwer damit getan in einer Klinik zu sein, sich an die strengen Regeln zu halten und auf den Alkohol zu verzichten… aber Dank Medikamenten und Psychologen, fällt ihm das nun immer leichter. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“ Momokos Augen leuchteten bei dieser Nachricht. „Kann ich ihn mal sehen? Oder wenigstens sprechen?“ „Gib ihm noch eine Woche, dann werde ich seine Ärzte fragen wie sie dazu stehen, dass du ihn mal besuchen möchtest. Ich denke aber, das dürfte kein Problem sein.“ Überglücklich faltete sie ihre Hände und legte sie in dankbarer Haltung an ihre Lippen. Ihrem Vater ging es besser und sie durfte ihn bald sehen; das war die beste Nachricht seit langem! „Das ist großartig! Ich freue mich so – vielen Dank!“ „Ich wünschte, du würdest mich immer so offen anstrahlen. Dein Lächeln ist wunderschön.“ Das unerwartete Kompliment ließ sie erröten und ihren Blick abwenden. Der Kellner kam wieder aus dem Nichts und brachte einen Servierwagen mit. Er tauschte die leeren Teller gegen die mit der Hauptspeise; zu Momokos Verzücken ein Nudelgericht! Takuro lachte leise. „Das entspricht schon eher deinem Geschmack, oder?“ Sie nickte verlegen und inhalierte den herrlichen Duft der Soße. Sie war hell, durchzogen von Kräutern und lauter kleinen, verschiedenen Pilzstückchen. Darüber war frischer Parmesan gerieben und ein Röschen Petersilie thronte darauf. Die junge Frau konnte es kaum erwarten ihre Gabel darin zu drehen. Satt und zufrieden lehnte Momoko sich zurück, als zum Dessert warmer Apfelstrudel mit einer Kugel Vanilleeis serviert wurde. „Das Essen war köstlich. Jetzt bin ich wenigstens satt!“, scherzte sie vergnügt und tauchte ihren Löffel in das Eis, welches ebenfalls ein Hochgenuss war. „Das freut mich sehr. Sieh nur, Momoko. Die Sonne geht unter.“ Sie folgte seinem Blick hinüber zu der Aussicht, an deren Horizont die Sonne hinter die Gebäude und Hügel abtauchte und den Himmel in viele warme Orange- und Gelbtöne färbte. Der Anblick war fantastisch! Schweigend genossen sie ihn für eine Weile. Ihr Gegenüber erhob sich irgendwann von seinem Stuhl, richtete sein Jackett und trat an ihre Seite. Verwundert sah sie mit ihren blauen Augen zu ihm hoch. „Magst du deinen Nachtisch nicht?“, fragte sie ihn irritiert. „Doch, aber jetzt habe ich Lust auf etwas anderes.“ Er reichte ihr abermals an diesem Abend seine Hand, die sie zögerlich ergriff. Mit Wehmut warf sie ihrem halb aufgegessenem Dessert noch einen Blick zu, als der Schwarzhaarige sie vom Stuhl zog und mit sich weiter unter den Baldachin führte. „Takuro, ich kann nicht tanzen!“, jammerte sie ängstlich, als ihr klar wurde, was er vor hatte. Unbeeindruckt von ihrer Warnung, zog er sie leicht an sich und nahm eine führende Haltung ein. „Ach was. Lass mich dich einfach führen. Es ist ganz einfach.“ „Ich werde dir auf die Füße treten!“, warnte sie ihn nochmals. Selbstsicher reckte er sein Kinn und wartete darauf, dass das nächste Lied begann. Momoko schluckte und fühlte ihre Handflächen feucht werden. Die ersten Klänge eines ruhigen, durchaus romantischen Liedes ertönten und er zog sie achtsam mit sich. Doch es war wie die Rosahaarige gesagt hatte; sie taten erst ein paar wenige Schritte, als sie ihm das erste Mal auf einen seiner Schuhe stieg. „Tut mir leid, tut mir leid!“, beteuerte Momoko peinlich berührt und starrte angespannt nach unten. Ihr Tanzpartner ließ sich nichts anmerken und gab sich amüsiert, doch es passierte ihr immer wieder. Die fast erdrückend kitschige Atmosphäre mit dem Sonnenuntergang im Hintergrund, der Tanzfläche unter einem Zelt nur für sie beide, dem seichten Wind, der durch den Baldachin wehte, wurde durch ihre Patzer regelrecht zerstört. Nach dem vierten Mal wand sich die unbegabte Tänzerin aus seinen Armen. „Ich kann das nicht, lassen wir es doch einfach, ok? Ich möchte dir nicht weiter auf deine guten Schuhe treten.“ Es war ihr so unangenehm, aber sie war nun mal keine höhere Tochter wie zum Beispiel ihre Freundin Yuri. Diese hätte diesen einfachen Tanz wahrscheinlich auch solo und noch mit 40°C Fieber mit Bravur geschafft. Takuro trat auf sie zu, hob ihr Kinn an und sah ihr tief in die Augen. „Es macht nichts, dass du nicht perfekt bist. Man kann alles lernen und… für mich bist du trotzdem die wundervollste Frau, die ich kenne.“, säuselte er. Momokos Herz begann laut und aufgeregt zu schlagen. Seine Augen glühten vor Zuneigung für sie und seine Worte schmeichelten ihr ungemein. Seine Finger streichelten über die Linie ihres Kinns bis zu ihrer Wange und sein Gesicht nahm einen ihr bekannten Ausdruck an. Tief in sich drin spürte sie, dass der Moment gekommen war. Sie schloss ihre Augen und fühlte seinen Atem auf ihrer Haut. Als er zaghaft ihren Mund mit seinen Lippen bedeckte, erwartete Momoko sehnsüchtig das alles ausfüllende Prickeln oder Kribbeln; das Gefühl alles geben zu können und alles nehmen zu wollen. Doch nichts geschah; es war nur ein Kuss. Kurz und ohne Nachhall. Sie öffnete verwirrt ihre Augen und er tat es ihr gleich. Anders als bei ihr, schien die kurze, ausgetauschte Intimität bei ihm ein absolutes Hochgefühl ausgelöst zu haben. Sein verlegendes Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen und seine rotbraunen Augen funkelten verliebt. „Ich danke dir für diesen Tanz.“, flüsterte er ihr zu, führte sie an einer Hand in eine letzte Drehung, um die eigene Achse, weiter durch die verebbenden Klänge des Liedes, ehe er sie zurück an seine Brust zog. Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, während sie sich an seinen Oberkörper lehnte und er seine Arme um sie schlang, wo sie sich im Takt wiegend hin und her bewegten. Was war nur los? Warum hatte sie nichts gespürt, als er sie geküsst hatte? War der Moment zu kurz gewesen? Hatte sie etwas falsch gemacht? „Nirgendwo wäre ich jetzt lieber als hier mit dir…“, raunte Takuro und strich mit den Fingern seiner rechten Hand durch ihr offenes Haar. Momoko wusste, dass sie endlich auch etwas erwidern musste, egal was! Sonst würde er misstrauische Fragen stellen. „Das ist schön. Ich bin auch gerne bei dir.“, flüsterte sie leise zurück. Die Worte auf ihrer Zunge fühlten sich taub und falsch an; wie eine Lüge. Einfach alles fühlte sich plötzlich verkehrt an, obwohl das bis eben noch ganz anders war. Ja, sie fühlte sich fehl am Platz mit all dem Luxus, aber hier, in seiner Umarmung, sträubte sich noch etwas anderes tief in Momokos Inneren, das vorher noch nie dagewesen war! Takuro sah ihr erneut in die Augen, offensichtlich motiviert sie ein weiteres Mal zu küssen. Sie ließ es zu und hoffte inständig auf mehr Reaktionen ihres Körpers, doch obwohl sich ihr Verlobter diesmal mehr Zeit für diese Zärtlichkeit nahm, passierte einfach nichts. Sie fühlte sich schrecklich! Wie eine Puppe, die es einfach über sich ergehen ließ. Außer Stande den Kuss mit der nötigen Leidenschaft zu erwidern, beendete sie ihn, bevor Takuro noch auf die Idee kam ihn zu vertiefen. Schmerzhaft hämmerte ihr Herz gegen ihre Brust und sie zitterte vor Aufregung. »Das ist falsch, es fühlt sich nicht richtig an!«, jagte es durch ihren Kopf. Mehr noch, Momoko verspürte den Drang sich aus seiner Umarmung zu lösen und sich abzuwenden. Der dunkelhaarige Brillenträger bedachte sie derweil mit sehnsuchtsvollen Blicken, unter denen sie sich nackt und hilflos fühlte. »Ich kann das nicht, ich will das nicht!« Ein Angstschauer schüttelte sie. „Frierst du? Jetzt, wo die Sonne untergegangen ist, frischt es etwas auf. Möchtest du, dass ich dir eine Decke bringen lasse?“ „N- nein… ist schon gut.“, lehnte Momoko ab und strich sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. Er ließ sie endlich los, befreit lief sie zur Brüstung der Dachterrasse, wo sie ihre Arme verschränkte und in die Ferne blickte. Die Kirschbäume auf den Hügeln waren dabei abzublühen. Natürlich konnte sie das aus der Entfernung nicht sehen, aber sie wusste es. Momokos Blick hing an der Stelle, wo die Dunkelheit die Hänge verschluckte. Dort hatte Yosuke sie zum ersten Mal geküsst und es war ganz anders gewesen, als jetzt hier mit Takuro. Sie zuckte zusammen, als sich Stoff auf ihre Schultern legte. „Nicht erschrecken, ich bin’s nur.“, sagte ihr lächelnder Gastgeber und schob ihr sein Jackett auf die Schultern. „Danke. Das ist schon das zweite Mal, ich habe noch eins von dir zuhause.“, bemerkte sie und blinzelte die ernsten Gedanken hinfort. Er grinste vielsagend. „Dann habe ich ja Anlass dich bald mal zu besuchen, um es abzuholen.“ Wieder legte er einen Arm um sie. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und schloss die Augen, um ihren Fluchtreflex zu unterdrücken. „Ja, tu das.“ „Hm… ich befürchte, unser Dessert ist jetzt nicht mehr ganz frisch. Möchtest du dich wieder setzen? Dann bestelle ich uns noch etwas anderes.“ Momoko folgte seinem Blick über die Schulter zu dem Tisch mit dem Apfelstrudel, der im geschmolzenen Eis allmählich aufquoll. „Nein danke, ich habe keinen Hunger mehr.“, lehnte sie dankend ab und rang sich zu einem Lächeln durch. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Verwunderung ab. „Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan? Du bist auf einmal so verspannt.“ Die junge Frau verneinte kopfschüttelnd. „Wirklich nicht? Ist es, weil ich dich…“ „Nein, nein!“, unterbrach sie ihn verlegen. „Ich… mir ist nur doch langsam etwas kalt.“, log sie schnell. „Dann war es dir nicht unangenehm?“, hinterfragte er neugierig. Verwundert runzelte sie die Stirn. „Nein?“, antwortete sie zögerlich. Unangenehm nicht, aber irgendwie beängstigend. Takuro nahm ihre rechte Hand in seine und küsste ihren Verlobungsring. „Ich kann es kaum erwarten, dass du meine Frau wirst.“ Ihr Magen zog sich krampfartig zusammen und ihr Mund wurde ganz trocken. Momoko dachte an ihren Vater und ihre momentane Situation. Sie konnte ihren Verlobten nicht enttäuschen, egal was sie empfand oder nicht. „Ich auch nicht.“, zwang sie sich zu sagen und dabei möglichst gelassen zu wirken. Ein dunkles Aufblitzen in Takuros Augen ließ ihre Nackenhaare aufstellen. „Wenn dir kalt ist, dann können wir auch woanders hingehen. Wäre dir das recht?“ Unsicher, was ihm da wohl vorschwebte, nickte sie. „Das ist schön!“, entgegnete er freudestrahlend und führte sie an der Hand wieder mit sich. Momoko ging fest davon aus, als sie sich wieder im Fahrstuhl befanden, dass er vielleicht an eine Bar oder den Loungebereich des Hotels dachte. Umso verblüffter war sie, als sie auf der Hälfte der Strecke nach unten einen Zwischenstopp machten und ausstiegen. Nun standen sie auf einem langen Flur mit rotem Teppich und vielen Türen. „Was wollen wir denn hier?“, fragte sie nervös und sah sich zu beiden Seiten um. Takuro drehte sich mit vielsagendem Blick zu ihr um, ebenfalls etwas nervös, aber anscheinend sehr entschlossen. „Nun… weil ich dachte, dass es vielleicht spät werden könnte, habe ich für heute Nacht ein Zimmer hier angemietet.“ Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus vor Schreck. „Was?!“, fragte sie mit leicht schriller Stimme. Er grinste verschlagen. „Keine Sorge, es wird dir gefallen!“ »Oh Gott!« Hatte er überhaupt eine Ahnung davon, wie das klang, was er da sagte?! Ohne ihren Schock zu bemerken, trat Takuro zu einer Tür gleich in der Nähe des Lifts und führte auch dort die Schlüsselkarte ein. „Kommst du?“, rief er ihr zu. Noch ganz versteinert stand Momoko an Ort und Stelle und klammerte sich an den Riemen ihrer Tasche. Sah er ihr nicht an, wie erschrocken sie war? Ihre Augen mussten doch Untertassengroß sein! Doch sein Blick sprühte nur so vor verliebten Funken, vielleicht deutete er ihr Verhalten als sittsame Zurückhaltung oder es ließ ihn annehmen, sie wollte erobert werden? „Weißt du, eigentlich war es auf dem Dach ganz schön…“, stammelte sie und sah sich hilfesuchend zum Fahrstuhl um. „Ach, jetzt sind wir hier. Von dem Zimmer aus haben wir immer noch eine traumhafte Aussicht und es gibt sogar eine kleine Minibar. Na komm schon, der Abend hat doch erst angefangen.“ Momoko nahm allen Mut zusammen und folgte ihm in das Hotelzimmer. »Er meint es nicht so, wie er es sagt. Bestimmt nicht! Takuro würde mich nie abfüllen und verführen wollen!«, versuchte sie sich einzureden und mahnte ihr Herz zur Ruhe. Takuro verschwand im dunklen Zimmer und die Blauäugige folgte ihm. Als er das Licht einschaltete, flutete ein gedimmtes, warmes und unaufdringliches Licht den Raum. Das Zimmer war stilvoll und modern eingerichtet. Die gegenüberliegende Wand bestand ausschließlich aus dickem Fensterglas; die Höhe, in der sie waren, war geradezu schwindelerregend. Links war eine Minibar und es stand eine verschnörkelte Couch mit Samtbezug dort, sowie eine weitere Musikanlage. Auf der anderen Seite des Zimmers stand ein riesiges Doppelbett. Momoko schnappte erschrocken nach Luft, als sie es sah und drehte sich weg. »Nein, nein, nein, nein, nein!!!«, fluchte sie innerlich und warf ihrem Verlobten einen prüfenden Blick zu. Statt sie zu beachten, machte er sich an den Drinks in der kleinen Bar zu schaffen und mischte einen rötlichen, lecker aussehenden Cocktail, in breitschaligen Gläsern, mit dünnen Stielen zusammen. Tatsächlich war ihr ausnahmsweise nach etwas Alkohol zumute, wenn man sich damit wirklich Mut antrinken konnte. „Ta-kun… ich will ja nicht hysterisch klingen, aber es gibt hier ja nur ein Bett… war das so gewollt?“ Er drehte sich mit geweiteten Augen zu ihr um und verkippte fast die hochprozentige Flüssigkeit aus einem der beiden Gläser. Sein Gesichtsausdruck verriet seine Verlegenheit. „Ich ähm, nun ja, ich… Ich hatte gehofft, es stört dich nicht?“, stammelte er und zuppelte nervös an seiner Krawatte herum. Wo war das Loch, in das sie einfach hineinfallen konnte? »Atme Momoko, atme…« Sie wusste nicht, ob sie erröten oder erblassen sollte. Die Welt vor ihren Augen drehte sich, das ging ihr eindeutig zu schnell! Zum Glück waren es nur wenige Schritte bis zu der Couch, auf die sie sich wenig damenhaft fallen ließ, bevor ihre Knie einfach so nachgaben. Endlich begriff Takuro, wie entsetzt Momoko über seine Worte war. Hektisch stellte er das Glas auf den Tresen und eilte herbei, setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. „Was hast du? Ich dachte, das wäre in Ordnung für dich, nachdem du mir vorhin auf dem Dach endlich deine Zuneigung gezeigt hast.“ »Habe ich das? Er hat doch mich geküsst!« „Mir ist etwas unwohl…“, flüsterte sie. In der Tat hatte sie innerhalb der letzten Minuten das Gefühl bekommen, furchtbar krank zu werden. Ihr war übel und schwindelig; sie zitterte wie Espenlaub, aber hatte Angst das zu zeigen. Er drückte ihre rechte Schulter durch das Jackett liebevoll und drehte mit seiner linken Hand ihr Gesicht zu seinem. Ein warmer Ausdruck lag in seinem Blick, doch das Herzflattern in ihrer Brust, das sie dabei hatte, fühlte sich alles andere als schön an. „Ich bin ja da. Es ist alles gut.“, erwiderte er und küsste sie auf die Wange. Momoko wusste nicht mehr was sie denken sollte. Verstand sie die Situation wirklich so dermaßen falsch? Oder legte Takuro es wirklich auf das Eine an? Der Dunkelhaarige stand auf und ging zu den Drinks zurück, von denen er ihr einen reichte. „Auf uns und unseren Abend!“, prostete er ihr zu. Bei ihm schien die Mut machende Wirkung des Alkohols bereits nach dem Sekt vorhin angeschlagen zu haben, selten gab er sich so ausgelassen und selbstsicher. Oder war er einfach liebestrunken? Dass sie seine Euphorie nicht mal im Ansatz teilte oder nachvollziehen konnte, machte Momoko fertig. Er gab sich so viel Mühe; war nett zu ihr, machte ihr Komplimente und den Hof, doch nichts davon berührte ihr Herz. Es war einfach nicht genug. Trotzdem hob sie ihr Glas zum Anstoß und versuchte dabei zu lächeln. „Ich liebe Dich, Momoko.“ Der erste Schluck blieb ihr wortwörtlich im Halse stecken. Erstickt würgte sie die verschluckte Flüssigkeit wieder hoch; gurgelnd und hustend krümmte sie sich auf dem Sofa. „Momoko!“, rief Takuro panisch aus und begann ihr auf den Rücken zu klopfen. Tränen schossen ihr in die Augen, doch allmählich drang wieder Luft in ihre Lungen. Sie wusste es längst, er hatte nie einen Hehl aus seinen Gefühlen für sie gemacht und trotzdem fühlte sie sich mit dem Liebesgeständnis überfallen. Sie konnte ihm darauf unmöglich antworten – es ging alles zu schnell, viel zu schnell! „Warte, ich hole dir ein Glas Wasser!“, bot er ihr an. War das etwa das Einzige, was die Minibar nicht zu bieten hatte? Aufgescheucht schnappte er sich ein Glas und steuerte das Badezimmer an. Die Situation, in der sie sich befand, war brenzlig. Noch nie war ihr so klar wie jetzt in diesem Augenblick, dass sie das so nicht durchziehen konnte! Es war einfach falsch, sie war dafür keines Falls bereit! Kaum hörte sie das Klicken der Badezimmertür, sprang die junge Frau auf, warf das Jackett ab und stürmte Hals über Kopf nach draußen. Es war ihr egal, dass sie die Tür hinter sich nicht verschlossen hatte, denn sie hatte nur Augen für den Fahrstuhl vor ihr. Hektisch hämmerte sie mit dem Daumen auf den Rufknopf und sprang von einem Bein auf das andere vor Anspannung. Immer wieder sah sie sich um und hoffte inständig, dass Takuro ihre Flucht nicht mehr rechtzeitig bemerken würde. Endlich gingen die erlösenden Fahrstuhltüren auf und sie sprang hinein. Abwärts musste es doch auch ohne eine Schlüsselkarte gehen und tatsächlich, die Türen wollten sich gerade wieder schließen. „Momoko?!“, hörte sie Takuros fassungslose Stimme rufen. Sie sah ihn noch auf den Fahrstuhl zulaufen; seine Augen verständnislos auf sie gerichtet. „Tut mir leid! Ich kann das nicht!“, rief sie ihm, selbst bestürzt über diese dramatische Entwicklung der Dinge, durch den letzten Spalt zu. Dann verschlossen sich die Türen und der Lift setzte sich in Bewegung. Kapitel 25: Refusal – precise words ----------------------------------- Momoko schritt gehetzt durch die Eingangshalle, um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie fühlte sich wie ein Schwerverbrecher. Kaum war sie in die frische Abendluft getreten, beschleunigte sie ihren Schritt und begann eine Querstraße weiter zu rennen. Sie wusste nicht wer schneller war; ihr Puls oder ihre Füße, die über den Asphalt jagten? Immer wieder warf sie einen Blick hinter sich, doch sie konnte keine Verfolger ausmachen. Nach einigen Blöcken ging der Schülerin jedoch die Puste aus, denn Sport war nicht gerade ihr Steckenpferd. Schwitzend und keuchend stützte Momoko sich mit den Händen auf ihre Knie und versuchte sich zu beruhigen. »Was für ein Desaster!«, dachte sie bei sich. Takuro musste sich schwer vor den Kopf gestoßen fühlen, aber sie hatte nicht anders gekonnt. Was, wenn er wirklich vor gehabt hatte, sie zu mehr als nur einem Kuss zu verführen? Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen, noch nicht. Zudem war sie noch immer von ihren Gefühlen zu ihm verwirrt, hatte sie doch felsenfest angenommen, dass sich jeder Kuss gleich anfühlen musste und es nebensächlich war, von wem er kam. Die Rosahaarige richtete sich auf und sah sich um, sie kannte die Gegend in der sie war nicht. Was sollte sie jetzt machen? Momoko wischte sich den Schweiß von der Stirn und ordnete ihre Frisur notbedürftig, bevor sie in ihrer Handtasche nach ihrem Handy suchte. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie sah, dass sie bereits mehr als zehn verpasste Anrufe und Mailboxnachrichten von Takuro verpasst hatte. Sie löschte hektisch die Listen, doch ihr Telefon begann bereits wieder zu vibrieren. Sofort ergriff wieder Panik von ihr, sie konnte sich unmöglich jetzt schon einer Aussprache mit ihm stellen! Was würde er ihr wohl alles an den Kopf werfen? Sie drückte den Anruf weg und scrollte schnell mit zitternden Fingern durch ihr virtuelles Telefonbuch. Sie brauchte Hilfe, jemanden zum Reden, der sie verstehen würde. Momoko schloss Hinagiku aus, aber eigentlich kam auch Yuri nicht in Frage. Langsam und zögerlich bewegte sich ihr Auswählfeld auf Yosukes Namen zu. Er war der Einzige, dem sie erzählen konnte, was passiert war. Immerhin war er an dieser Situation auch nicht ganz unschuldig, wer hatte ihr schließlich Glauben gemacht, dass Küssen etwas war, das einen davon trug und in eine geheime Welt aus Verlangen und Leidenschaft führte? Dass dieser Effekt von der ausführenden Person abhängig war, hatte er ihr verschwiegen… Oder war sie da etwas zu dramatisch? Hatte sie zu viel von Takuro erwartet? Egal, alleine würde sie ihren Kopf nicht frei bekommen… Kurzentschlossen wählte Momoko Yosukes Nummer und hoffte ungeduldig, er würde abheben. Doch er tat es nicht. „Geh schon ran!“, bellte sie ihr Handy an. Auch beim zweiten und dritten Mal hob er nicht ab, was war denn plötzlich los? Wie konnte er um dese Uhrzeit zu beschäftigt sein, um ans Telefon zu gehen? Die junge Frau schaltete ihr Handy, das schon wieder einen Anruf von Takuro bekam, aus und steckte es wieder weg. Langsam laufend setzte sie ihren Weg fort. Auf einmal war ihr ganz anders; sie hätte losheulen können. Sie wusste nicht wo sie war; sie konnte ihre besten Freundinnen nicht um Hilfe bitten und der Einzige, dem sie sich anvertrauen konnte, war nicht erreichbar. „Verflucht!“ Momoko lief weiter, denn irgendwo musste es doch eine Bushaltestelle und damit einen Stadtplan geben, an dem sie sich orientieren konnte. Zwei Straßen weiter hatte sie endlich Glück, erleichtert prüfte sie ihren aktuellen Standort. „Du lieber Himmel! Ist das weit von Zuhause weg…“ Zuhause – als sie daran dachte wurde ihr schlagartig klar, dass sie dahin nicht gehen konnte, denn wenn Takuro sie suchte, dann mit Sicherheit auch da. Schmerzhaft biss sie sich auf ihre Unterlippe und schlug mit der flachen Hand verzweifelt gegen den Stadtplan. „Mist, Mist, Mist!“, zischte sie wütend durch ihre Zähne hindurch und lehnte ihre Stirn an das kühle Glas. Sie konnte nicht zurück zu dem Hotel gehen, sie wollte nicht bei Takuro sein. Sie liebte ihn nicht, kein Stück. Obwohl sie ihn mochte konnte er ihr nicht das geben, was sie brauchte um glücklich zu sein. Sie würde sich nicht in ihn verlieben, niemals! Das war ihr während der beiden Küsse überdeutlich klar geworden… Wie ärgerlich, dass ihre beiden Freundinnen letztendlich doch Recht behielten. Noch mal überflog sie den Plan und den Verlauf der eingezeichneten Buslinien. Wenn sie ein Mal umsteigen würde, könnte sie direkt nach Hause fahren, oder aber in der Nähe von Yosukes Wohnung aussteigen. »Yosuke…«, schallte es durch ihre Gedanken. Wenn sie an ihn dachte war es ganz anders, als mit Takuro; ihr wurde warm ums Herz und allein der Gedanke an ihn konnte ihr ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern. So, als hätte sie sich verbrannt, zog sie ihre Hand von der Karte weg und starrte auf das eingezeichnete Viertel, in dem er wohnte. War der Torwart etwa etwas Besonderes für sie? Natürlich war er das, sie hatten sich geküsst und miteinander geschlafen… aber war das nicht einfach nur aus der Situation heraus passiert? Sie mochten sich, verstanden sich, fühlten sich voneinander angezogen… aber war es mehr als Freundschaft und Chemie? Konnte sie für diesen Jungen mehr empfinden, als für andere? Entschieden schüttelte Momoko ihren Kopf und blickte streng zum dunklen Himmel auf. Das war absurd – sie und Yosuke? Das konnte gar nicht funktionieren! Sie bildete sich das sicher nur ein, weil sie im Moment durcheinander war und deswegen ihrer ungewöhnlichen Beziehung mehr Bedeutung beimaß, als sie eigentlich hatte. Und dann stand da noch die Sache mit ihrem Vater im Raum, das konnte sie nicht riskieren! Aber vielleicht hatte sie das ja schon, vielleicht war es mit ihrer Flucht aus dem Hotel nun vorbei? Verübeln würde sie das Takuro nicht, denn sie hatte sich wie ein Arschloch verhalten. „Yosuke.“, wiederholte die Blauäugige seinen Namen laut. Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken und ihre nackten Arme. Wenn sie herausfinden wollte, ob es tatsächlich diese abwegige Option für sie beide gab, musste sie zu ihm und mit ihm reden. Sie konnte im Moment sowieso nirgendwo anders hin. Der Bus kam und sie stieg ein, bereit ihre Zukunft neu zu schreiben, wenn er es auch war. Es war schon nach 21 Uhr, als Momoko endlich Yosukes Wohnhaus erreichte. Sie hoffte inständig, dass er Zuhause war und sie herein ließ. Es wäre ihr erstes Aufeinandertreffen, nachdem sie sich aus seiner Wohnung davongestohlen hatte. »Oh man… weglaufen scheint etwas zu sein, das ich besonders gut kann.« Schluckend visierte sie den Klingelknopf neben seinem Namensschild an, nahm allen Mut zusammen und drückte ihn kurz. »In den SMS war er ganz normal, das wird schon werden…«, ermutigte sie sich selbst. Ungewöhnlich lange wartete sie auf eine Antwort, dann endlich hörte sie das Klicken und Rascheln der Freisprechanlage. „Hier Fuma, hallo?“ Momokos Herz machte einen aufgeregten Satz beim Klang seiner Stimme. „Yosuke? Ich bin’s, Momoko.“, antwortete sie aufgeregt. Plötzliche Stille herrschte auf der anderen Seite der Leitung. Hatte er sie nicht verstanden? „Ich… ich hatte versucht dich anzurufen, ich muss mit dir reden. Dringend… Hörst du mich?“ Es raschelte am anderen Ende. „Warte unten.“ Dann machte es Klick und die Leitung war unterbrochen. Irritiert starrte die junge Frau auf den Lautsprecher in der Wand. »Was war das denn eben?«, dachte sie bei sich und runzelte die Stirn. Aber sie wartete geduldig, wenn auch nervös. Er musste zwar keine Freudensprünge machen, wenn sie unangekündigt, halb in der Nacht, vor seiner Tür stand, aber etwas mehr Emotionen hatte sie schon erwartet. Momoko hörte schon bald Geräusche und sah zur Seite zu der automatischen Schiebetür, aus der, einen Augenblick später, Yosuke trat, der mit angespannter Miene nach ihr Ausschau hielt. „Ich bin hier.“, rief sie ihn zu sich. Er drehte seinen Kopf zu ihr um. Als seine Augen ihren begegneten, färbten sich ihre Wangen rot. Zu klar flammten die Erinnerungen an ihre letzte Begegnung auf. Ein Hoch auf die Dunkelheit der Nacht, dachte sie erleichtert. „Momoko…“ Sie stand tatsächlich vor ihm, aber was machte sie hier? Mit einem schnellen Blick musterte er ihre Aufmachung. Sie hatte ein wahnsinns Kleid an, das ihre Figur perfekt umspielte und auch sonst wirkte sie hübsch zurrecht gemacht. „Was machst du hier?! Und um diese Uhrzeit?“, hinterfragte er verwirrt und versuchte nicht zu lange in ihre freundlichen, blauen Augen zu sehen, die ihn an Dinge erinnerten, die besser nie passiert wären. „Sagte ich doch schon; ich muss mit dir reden und du bist nicht ans Telefon gegangen.“, erklärte sie vorwurfsvoll markierend. „Ich konnte nicht rangehen, ich… war beschäftigt. Ich kann auch nicht lange reden, also sag schnell, wieso du nicht bei deinem Date bist.“ Skeptisch erwiderte sie seinen strengen Blick. Sein gehetzter, kühler Tonfall schien sie zu verunsichern. „Da war ich, aber ich bin abgehauen.“ „Was?! Warum?“, fragte er schockiert und machte große Augen. Momoko holte tief Luft ehe sie antworte. In ihrem Blick konnte er ablesen, dass etwas nicht stimmte. „Ist etwas passiert?“, fragte er milder. Yosuke konnte seine Besorgnis nicht einfach abstellen. Die junge Frau hielt sich die Oberarme und blickte zur Seite. Langsam und kurz schüttelte sie den Kopf. „Nein… ja… nicht direkt… Ich weiß es nicht.“ Der Torwart war noch irritierter als zuvor. „Momoko bitte, ich habe nicht so viel Zeit…“, beschwor er sie eindringlich. Die Rosahaarige schnaubte angesäuert. „Entschuldige, dass ich nicht einfach frei heraus jedes Detail dieses eskalierten Abends auf Knopfdruck berichten kann! Was ist los, stört dich mein Besuch?“, grummelte sie ihn an. Verblüfft wich der Dunkelhaarige zurück. „Nein, aber ich bin kurz angebunden.“ „Wieso? Hast du Besuch?“, zischte sie ironisch. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als sich ihre Augen ebenfalls weiteten. „Oh… natürlich, deswegen hast du mich auch nicht raufgebeten!“ Als ihr das klar wurde und sie seinen bestätigenden Blick auffing, schämte sie sich für ihren Anranzer. „Tut mir leid… es ist Hiromi, oder?“ Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Ja, sie ist heute zurück gekommen.“, antwortete er knapp. „Dann habt ihr bestimmt eine Menge zu bereden.“ „Das… kann man so sagen.“, gab er zurück und senkte kurz seinen Blick. Einen Augenblick lang standen sie sich schweigend gegenüber und sahen sich in die Augen. Momoko erinnerte sich daran, dass Yosuke mit seiner Freundin Schluss machen wollte. Ob sie gerade das Beziehungsdrama der Beiden unterbrochen hatte? Ihr Herz flatterte aufgeregt. „Ist sie sehr fertig?“, erkundigte sie sich neugierig, aber höflich. „Warum bist du hier?“, wich Yosuke ihr ungerührt aus. Blinzelnd durchforstete sie ihre wirren Gedanken nach der passenden Antwort. „Nun ja, ich…“, begann sie und fühlte seinen durchdringenden, düsteren Blick auf sich ruhen. „Ich habe es nicht mit Takuro ausgehalten. Ich konnte einfach nicht.“, endete sie. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass ihr Gegenüber sich distanziert verhielt? Aber immerhin zog er verwundert seine Augenbrauen zusammen. „Hat er dir etwas getan?“, knurrte er. „Eigentlich nicht, aber es war alles so merkwürdig… Das ist jetzt aber auch nicht wichtig. Ich habe gemerkt, dass du, Yuri und Hinagiku Recht hattet; ich kann mich nicht einfach in ihn verlieben. Es geht nicht und ich will es auch nicht… ich wollte nur noch weg!“ Momoko machte ein bestürztes Gesicht. Yosuke betrachte sie mit offenem Mund, unsicher wie er darauf reagieren sollte. „Ich bin ein schrecklicher Mensch! Ich habe Takuro etwas vor gemacht, damit er meinem Vater hilft, doch jetzt bin ich zu feige es durchzuziehen!“, schimpfte sie laut über sich und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Sie schämte sich furchtbar dafür. Alles machte sie falsch, ein Fehler jagte den nächsten. „Aber was ist denn passiert? Du warst doch so entschlossen?“, fragte Yosuke hilflos und trat einen Schritt auf sie zu, unentschlossen ob und wie er sie trösten sollte. „Du bist passiert!“ Geschockt hielt er inne, als sie ihn mit ihren blauen Augen konfrontierte, die versuchten in seine Seele zu blicken. „Du hast gesagt, es würde schön sein, wenn Takuro mich küsst… Aber das war es nicht, denn mit dir war es schön! Ich habe mich furchtbar gefühlt, denn die ganze Zeit habe ich auf etwas gewartet, was er mir gar nicht geben kann, weil ich für ihn so nicht empfinde…“ Yosuke versteinerte und sein Herz fuhr plötzlich Achterbahn. Was wollte Momoko ihm damit sagen, dass sie für ihn nicht so empfand? Ihre geröteten Wangen und ihr aufgeregter Tonfall verrieten, wie aufgewühlt sie war. „Stopp, was willst du mir damit sagen? Willst du ihn etwa verlassen?“ „Vielleicht muss ich das gar nicht – ich bin Hals über Kopf weggelaufen, als er mich bereits in ein Hotelzimmer geführt hatte. Wahrscheinlich ist jetzt alles aus.“, erklärte sie mit wackeliger Stimme. In seinem Kopf drehte sich alles. Takuro hatte sie also geküsst und sie waren zu zweit allein in einem Hotelzimmer gewesen? Er schwankte zwischen Verblüffung und Wut darüber, denn das hätte er dem Brillenträger gar nicht zugetraut und er wusste nicht, ob ihm das gleichgültig sein konnte. „Aber was ist mit deinem Vater?!“, hakte er verwirrt nach. Momoko bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick, den er nicht einzuordnen wusste. „Yosuke… was wäre ich für dich, wenn es die Verlobung und die Probleme mit meinem Vater gar nicht gäbe?“ Ihre unerwartete Frage warf ihn komplett aus der Bahn. Überfordert strich er sich fahrig durchs Haar, suchte mit den Augen nach einem Punkt, auf den er sich konzentrieren konnte. Was sie für ihn war? Diese Frage hatte er sich zuvor bereits selbst gestellt, doch darauf gab es keine Antwort, denn es standen keine Optionen zur Auswahl. Es ging nicht; er durfte sich nicht erlauben sich vorzustellen, wie es hätte sein können. Er sah sie wieder an. Sie war ihm wichtig geworden und außerdem eine wandelnde Versuchung für ihn, doch die Dinge hatten sich geändert. Egal was sie oder er sich wünschten, es ging nicht mehr. Yosuke verdunkelte seinen Blick, setzte eine strenge Miene auf und versuchte cool zu wirken. Eine plötzliche Wandlung seiner ganzen Haltung und Ausstrahlung spielte sich vor Momokos Augen ab. Was hatte der Fußballspieler auf einmal? „Worauf willst du hinaus? Wirst du nun sentimental?“ Seine Worte waren abweisend und kühl. „Sentimental? Was…? Nein, ich wollte doch nur…“ Er unterbrach sie harsch mit einer wegwischenden Handbewegung und schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle ob du mit Takuro zusammen bist oder nicht, was zwischen uns passiert ist hatte keine Bedeutung.“ Momoko spürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust, der ihr die Luft abschnürte. Unwillkürlich presste sie ihre gefalteten Hände an ihren Oberkörper. „Warum bist du so zu mir?“, flüsterte sie zögerlich. „Warum stellst du solche unsinnigen Fragen?“, konterte er gemein und verschränkte die Arme. Tränen schossen ihr in die Augen, was war los mit ihm? So hatte er sich selbst zu Zeiten ihrer ewigen Streitigkeiten nie ihr gegenüber verhalten! Sie war gekommen, um sich ihm anzuvertrauen und nicht, um angegriffen zu werden. „Ich dachte, weil du dich von Hiromi getrennt hast, würdest du…“ „Habe ich nicht.“, unterbrach er sie erneut. Sie schluckte schwer und starrte ihn verständnislos an. „Was? Aber du sagtest doch, dass du Schluss machen willst.“, fragte sie mit skeptischer Miene nach. „Habe ich aber nicht und werde ich auch nicht. Das ist auch nicht deine Angelegenheit.“, antwortete er ihr aalglatt. Diesen starren, kalten und unfreundlichen Yosuke kannte sie nicht. Diese Seite an ihm war ihr fremd und ängstigte sie. Wo war das warme Leuchten in seinen Augen? Das schiefe Lächeln, seine Zuvorkommenheit und Fürsorge? Wieso interessierte es ihn auf einmal nicht mehr, wie es ihr ging? Momoko rang nach Luft, um die Tränen weiter zurück zu halten. Ihr ganzer Körper wurde von zittrigen Schauern geschüttelt. „Was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so! Wieso trennst du dich nun doch nicht? Du sagtest doch, du liebst sie nicht mehr?“ Er biss sich auf die Lippe und starrte wütend zurück. Etwas in ihm kämpfte, aber er rang es nieder. „Es hat keinen Sinn mit dir darüber zu reden. Es ist besser, du gehst nach Hause oder zurück zu Takuro, um dich mit ihm zu versöhnen.“, erwiderte er ruhig und monoton. Es war wie ein Schlag ins Gesicht für die junge Frau. Die erste Träne kullerte ihr aus dem Augenwinkel. „Wieso sagst du so was? Bin ich dir denn plötzlich egal? Nach allem, was gewesen ist?“ „Was ist denn gewesen, Momoko? Ja, wir hatten Sex! Und? Du wolltest keine Jungfrau mehr sein und ich war scharf auf dich, wir wollten es beide so! Mehr war da nicht und es war ein Fehler! Das weiß auch ich jetzt.“ Sein Gegenüber schwankte gefährlich. Das war sie also für ihn? Einfach nur eine Eroberung; eine unbedeutende Bettgeschichte; eine verklemmte Jungfer, der er aus der Patsche geholfen hatte? Hatte sie sich so in ihm getäuscht und in etwas verrannt, was gar nicht existierte? Durch den Nebel ihrer überlaufenden Tränen sah sie nicht, wie schmerzerfüllt sein Blick war und wie sehr er gegen den Drang ankämpfte, sie an sich zu reißen und alles ungesagt zu machen. „Du liebst sie also doch noch…?“, flüsterte sie kaum hörbar. Sie sah ihn nicht an, klammerte sich verzweifelt an sich selber fest und rang um Fassung. Yosuke sagte daraufhin zunächst nichts, doch dann holte er tief Luft. „Sie ist schwanger.“ Im ersten Moment glaubte Momoko sich verhört zu haben. Wie in Zeitlupe sah sie langsam zu ihm auf, blinzelte die Tränen weg und suchte in seiner ungerührten Miene nach einer Antwort. „Was?“, hauchte sie ungläubig. Er musste sich zwingen die Aussage zu wiederholen. „Hiromi ist schwanger. Im zweiten Monat.“, presste er hervor. Seine Fingerknöchel traten schon weiß hervor, weil er sie angespannt zu Fäusten ballte. „Das ist ein Witz… von dir?“ Der Dunkelhaarige schnaubte höhnisch und setzte eine herablassende Miene auf. „Von wem denn sonst?!“ Es konnte einfach nicht mehr schlimmer werden… der Abend war eine einzige Katastrophe! Momoko wünschte sich, sie hätte Courage bewiesen und wäre einfach bei Takuro geblieben. Nichts was er hätte tun können, wäre so grauenvoll gewesen wie dieses Gespräch hier. In ihr war nichts mehr, das weh tun konnte; alles war wie ausgelöscht und bedeutungslos geworden. Sie war wie betäubt. Die Leere erlaubte ihr ein trauriges, schiefes Grinsen. „Verhüten ist anscheinend nicht deine Stärke, oder?“ Der Zynismus und Hohn in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Es reichte, um Yosuke verblüfft dreinblicken zu lassen, doch aus seiner Überraschung wurde schnell wieder ein finsterer Ausdruck. „Geh einfach und lösch' meine Nummer! Wir als Freunde – das funktioniert nicht mehr. Es ist zu viel passiert.“, sagte er schroff. Wut und Enttäuschung kochten in Momoko hoch. Mit Funken sprühenden Augen durchbohrte sie ihn feindselig. „Wie praktisch für dich, dass du bei mir nicht auch noch eine Schwangerschaft befürchten musst! Ich war nämlich clever genug danach zum Arzt zu gehen und mir die Pille danach zu besorgen! Gott sei Dank!“, fuhr sie ihn hysterisch an. Yosukes harte Maske fiel dem Schock über ihre Aussage zum Opfer. Sprachlos und entsetzt starrte er die weinende junge Frau vor sich an. Sie schniefte, wischte sich, ohne ihren zornigen Blick von ihm zu nehmen, mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und riss sich dann zusammen. „Das… das wusste ich nicht...“, stotterte er atemlos zusammen. „Natürlich, was weißt du schon? Vergiss es einfach! Leb dein Leben, ich bin raus!“ Sie fuhr herum und kehrte ihm den Rücken. Rennend entfernte sie sich von ihm und je mehr Distanz zwischen ihnen lag, desto mehr kämpften sich ihre Tränen wieder an die Oberfläche. Er würde ihr nicht nachrufen, ihr nicht folgen und sie aufhalten. Das war’s, es gab kein Zurück mehr. Laut schluchzend sackte sie schließlich an der Bushaltestelle zusammen, denn es gab niemanden, der sie beobachtete. Mit nichts ließ sich das grauenhafte Gefühl in ihrem Inneren beschreiben; einfach alles tat weh! Sie war wieder allein und es gab keine Hoffnung mehr auf Glück für sie. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein und nach mehr verlangt haben, als ihr zustand? Sie hatte mehr gehabt, als viele andere und dafür hätte sie dankbar sein müssen, doch sie hatte es versaut. Weggeworfen, für ein paar Momente von Freiheit und Leidenschaft, die am Ende nichts bedeuteten. Kapitel 26: Secret sorrow ------------------------- Regungslos hatte Yosuke ihr nachgesehen, die Hand stumm nach ihr ausgestreckt und doch einfach nichts gesagt. Er konnte und durfte sie nicht zurück rufen! Er hatte zwar keine Ahnung gehabt, doch ihm wurde schnell klar, was er für einen Fehler jene Nacht gemacht hatte. Blind und naiv war er gewesen, geblendet von seinem Verlangen für sie. Doch selbst das spielte keine Rolle mehr. Er hatte sie tief verletzt, sie vielleicht sogar völlig zerstört; weggestoßen, auf die grausamste Art und Weise. Doch nur Yosuke selbst kannte die wahren Gründe dafür. Momoko durfte sich nicht ihr Leben ruinieren, nur weil sie in ihrem aufgewühlten Zustand vielleicht romantischen Gedanken nachhing, weil sie miteinander geschlafen hatten. Er konnte nicht die Verantwortung dafür auf seinen Schultern tragen, dass ihr Vater wieder abstürzte und sie ihr Zuhause verloren. Und dann war da noch die neue Situation mit Hiromis Schwangerschaft... Blieben er und Momoko Freunde, würde sie ihn immer wieder in Versuchung führen, denn er war schwach und ihren Reizen nur allzu verfallen. So war es besser, auch wenn es weh tat. Ein glatter, endgültiger Bruch. Es war vorbei… Leise ließ er das Türschloss hinter sich zuschnappen, als er seine Wohnung wieder betrat. Er war nach der Auseinandersetzung völlig fertig mit den Nerven; noch nie hatte er ein so schlechtes Gewissen gehabt. Nicht mal, als er Hiromi betrogen hatte oder mit ihr Schluss machen wollte. Wie ein Mistkerl hatte er sich Momoko gegenüber verhalten und ihr die gemeinsten Dinge an den Kopf geworfen, die ihm eingefallen waren, nur damit sie ihn auch wirklich für einen hielt. „Yoyo-Maus? Du warst aber lange unten… wer war denn da?“, hörte er seine Freundin aus dem Schlafzimmer rufen. „Eine flüchtige Bekanntschaft, niemand Wichtiges.“, antwortete er monoton. Yosuke hatte keine Lust auf neugierige Fragen oder langwierige Erklärungen, er wollte diesen Abend am liebsten aus seinen Erinnerungen streichen. Wenn er schlafen ging und am nächsten Morgen aufwachen würde, konnte sich dann nicht einfach alles als ein schlimmer Traum herausstellen? „Ach so? Was wollte diese Bekanntschaft dann von dir ausgerechnet zu dieser Uhrzeit?“, hakte sie neugierig nach. Genervt streifte sich der Torwart seine Schuhe von den Füßen und schleppte sich zum Türrahmen seines Schlafzimmers, wo er erstarrte. Hiromi besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, sich in einem ihrer aufreizenden Negligees auf dem gemeinsamen Doppelbett zu räkeln. Beinahe verstört nahm er diesen Anblick in sich auf und begann böse zu schauen. „Was soll das werden?“, fragte er aufgebracht und deutete mit der Hand auf ihren Aufzug. Die Lilahaarige klimperte nur unschuldig mit ihren Wimpern und grinste verschlagen. „Ich dachte, wir könnten unser Wiedersehen noch angemessen feiern.“ „Sag mal, hast du denn gar nichts begriffen? Warum ziehst du hier so eine Show ab, nach dem, was ich dir vorhin alles gesagt habe?!“, fuhr Yosuke sie wütend an. Hiromi setzte sich auf und machte einen verletzlichen Gesichtsausdruck. Schmollend biss sie sich auf den Daumennagel ihrer linken Hand. „Ich dachte, ich könnte dich so vielleicht wieder etwas milder stimmen…“, entgegnete sie bedröppelt. „Milder stimmen? Hiromi, ich wollte dich eben noch verlassen und dann hast du mir aufgetischt, dass du schwanger bist! Das ist der einzige Grund, weswegen ich es nun nicht tue.“ Verletzt begegnete sie seinem vorwurfsvollen Blick. „Aber ich dachte, wir könnten es wieder miteinander versuchen und uns annähern.“ Yosuke winkte ab, es hatte keinen Sinn mit ihr zu reden. „So wird das aber nichts. Du kannst nichts erzwingen, was nicht da ist.“, erklärte er ruhig und musste dabei sofort wieder an Momoko denken. Mit abdriftendem, nachdenklichem Blick kam er zum Bett und zog der halbnackten Frau unsanft seine Bettdecke unter dem Hintern weg. Brüskiert quietschte sie auf, aber er ignorierte sie und wollte das Zimmer samt Decke bereits wieder verlassen. „Findest du mich denn plötzlich nicht mehr attraktiv?!“, rief sie ihm im Türrahmen nach. Er seufzte und ließ resignierend Kopf und Schultern hängen. „Du verstehst es wirklich nicht, oder? Du wärst gar nicht hier, wenn du mir nicht diesen Mutterpass und das Ultraschallbild präsentiert hättest. Ich fühle mich überfallen und genötigt eine Situation anzunehmen, die ich so ganz sicher niemals wollte!“ Zutiefst gekränkt sah sie ihm hinterher. „Dabei waren wir immer so ein harmonisches Paar… natürlich ist diese Situation schwierig, aber wenn wir an unserer Liebe arbeiten, dann…“ „Ich bin dir fremd gegangen, als du weg warst. Das ist keine Liebe.“, unterbrach er sie trocken. Ihre Naivität machte ihn krank! Sie konnte es nicht dabei belassen? Dann musste sie eben fühlen. Hiromi schlug sich beide Hände vor den Mund. „Was sagst du da?“, hauchte sie atemlos. Beschämt und schuldig wand der junge Mann seinen Blick ab. Er war nicht stolz darauf was er getan hatte und vielleicht wäre es besser gewesen, ihr nichts davon zu sagen, aber er hatte ihre Reden satt. Sie sollte endlich den Mund halten und begreifen, wie nah ihre zerrüttete Beziehung am Abgrund stand. „Wir stehen bei null oder eigentlich sogar noch tiefer. Ich kann nicht da anknüpfen, wo wir vor drei Wochen aufgehört haben. Ich brauche Zeit zum Nachdenken, aber ich kann dir nichts versprechen. Dir steht es frei, ob du jetzt immer noch bleiben willst. Ich halte dich nicht auf.“ „Aber du hast doch gesagt, du hast keine andere!“, blaffte sie unter Tränen. „Damit meinte ich, dass es keine andere Frau gibt, wegen der ich dich verlasse!“, gab er zurück, seine Finger angespannt in seine Zudecke gegraben. „Wie konntest du mir das antun?!“, winselte sie zwischen zwei Schluchzern. „Es tut mir leid… aber es gab emotional nichts, was mich zurück hielt. Deswegen wollte ich mit dir Schluss machen, damit ich dir nicht vormachen muss, dass ich die liebe.“ „Wer ist sie? Kenne ich sie?“ Yosuke schüttelte entschieden den Kopf und sah sie ernst an. „Nein.“, log er aalglatt. „Wie oft? Wieso?“, fragte sie verzweifelt weiter, so als würden all diese Details etwas ändern oder besser machen. „Nur ein Mal, es ist einfach so passiert. Es hatte sich so ergeben, aber da wusste ich schon, dass ich eigentlich nicht mehr mit dir zusammen sein möchte… ich wollte dich nicht vorsätzlich verletzten.“ Die junge Frau schniefte herzerweichend. Mit roten Augen sah sie auf die Finger in ihrem Schoß, die an ihrem Nachthemd nestelten. Dicke Tränen tropften auf den dünnen Stoff. „Ich bleibe…“, brachte sie noch mit erstickter Stimme hervor, bevor sich wieder ein Schwall Tränen über ihre Wangen ergoss. An diesem Abend schien er jede Frau, mit der er zu tun hatte, zum Weinen zu bringen. Ihre Antwort überraschte Yosuke nicht, denn diese Hartnäckigkeit passte zu Hiromi. In was sie ein Mal ihre Krallen geschlagen hatte, gab sie nicht so einfach wieder her. Aufgeben war nicht ihre Art. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging ins Wohnzimmer, wo er sein Nachtlager auf der Couch aufschlug. Er bedauerte, dass alles so weit gekommen und ausgeufert war; er wollte niemanden verletzten oder unglücklich machen, doch nun lag alles in Scherben. Er hatte Hiromi betrogen und mit seiner ungeschönten Ehrlichkeit vor den Kopf gestoßen. Momoko, die ihm ans Herz gewachsen war und tief vergrabende Lebensgeister in ihm geweckt hatte, war nun auch fort… Und seine eigene Zukunft war nun so ungewiss wie noch nie. Wie sollte das werden; ein Kind in seinem Alter? Uni, Fußball, Karriere… war das überhaupt noch umsetzbar? Besser als jemals zuvor verstand er nun, wie hilflos Momoko sich gefühlt hatte, als sie keine andere Möglichkeit gesehen hatte, als Takuros Heiratsantrag anzunehmen. Hätte Yosuke geahnt, dass all das passieren würde, hätte er jeden Augenblick mit ihr ganz anders verlebt. Er hätte die Zeit mit ihr viel mehr ausgekostet und sich nicht annähernd so zurück gehalten. »Doch, hätte ich.«, widersprach eine flüsternde Stimme in seinem Unterbewusstsein. Weil sie ihm wichtig war und er Respekt vor ihr hatte, doch nun war es zu spät für Reue. Betäubt von ihrem Kummer, den Sorgen und dem Schmerz in ihrer Brust, schleppte sich Momoko in die Straße, in der sie wohnte. Während der gesamten Busfahrt hierher hatte sie immer wieder geweint und auch jetzt noch, wo sie weder Kraft noch Willen aufbringen konnte, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, liefen sie ihr über die Wangen. Ihre Augen brannten unangenehm und ihre Nase lief, außerdem war ihr furchtbar kalt, obwohl der Frühlingsabend vergleichsweise mild war. Schlotternd rieb sie mit ihren Händen ihre nackten Oberarme warm. »Was soll ich jetzt nur machen? Was wird aus Papa und mir? Ich habe alles falsch gemacht!«, ging es ihr wieder und wieder durch den Kopf. Einzig um diese Dinge kreisten sich ihre Gedanken fortwährend. Hilflos und verzweifelt stand sie ihrer eigenen Unzulänglichkeit gegenüber. Sie war schwach, wem wollte sie jetzt noch etwas anderes vormachen? Denn wäre es anders, würde sie nun nicht in dieser misslichen Lage stecken. Der Weg nach Hause war alles, was ihr blieb. Ganz egal, was für Hiobsbotschaften sie dort ereilen würden. Momoko richtete ihren Blick auf und wanderte mit ihren Augen die Straße ab. In weiter Ferne erkannte sie, im Licht der Laternen, schemenhafte Silhouetten. Ihre Sicht war vom Weinen getrübt, aber stand da wirklich ein schräg eingeparktes Auto vor ihrem Grundstück? Sie blieb abrupt stehen, denn ihr Puls spielte verrückt. Was, wenn das Takuros Wagen war? Aber sie hatte keine andere Wahl, als es herauszufinden… vielleicht besaß er die Gnade schnell mit ihr ins Gericht zu gehen. Es konnte schließlich nicht mehr schlimmer kommen. Mutlos schlurfte sie weiter, ihr Haupt beschämt gesenkt. Ein paar Meter weiter sah sie wieder auf und erkannte im Halbdunkel nun insgesamt 3 Personen, die tatsächlich vor ihrem Haus rumlungerten. Kaum hatte sie sie gesehen, wurde anscheinend auch sie bemerkt, denn es kam Bewegung in die kleine Gruppe. „Da ist sie!“, rief eine feine, hohe Frauenstimme aufgeregt. »Yuri?« Die Rosahaarige blieb stehen. „Momoko!“, rief eine andere. Es war Hinagiku, die als Erste, aus dem Schatten heraus, auf sie zu sprintete. Ihr Gesichtsausdruck war gehetzt und erleichtert zugleich. Als die sportliche, junge Frau sie erreichte, wurde sie von ihr an den Schultern gepackt und leicht gerüttelt. „Wo warst du? Wir haben uns heftige Sorgen um dich gemacht!“, erklärte sie eindringlich. Hinter ihr tauchte nun auch Yuri auf, die sie besorgt musterte. „Momoko, Gott sei Dank!“ Verwirrt und immer noch verheult, blickte die Schülerin von einer Freundin zur anderen. „Was… was macht ihr denn hier?“, fragte sie mit rauer Stimme. Die Brünette schob Hinagiku zur Seite und nahm ihren Platz ein. Prüfend nach Anzeichen von irgendwelchen Verletzungen, schaute sie Momoko von unten bis oben an. „Geht es dir gut? Takuro hat uns ganz aufgelöst nacheinander angerufen und um Hilfe gebeten.“, antwortete sie schließlich. Ihre verquollenen, blauen Augen weiteten sich. „Takuro?“, hinterfragte sie ungläubig und sah zu Hinagiku rüber. Die junge Frau mit den kurzen Haaren verschränkte die Arme und trat zur Seite, um auch der dritten Person im Bunde Platz zu machen. Tatsächlich war es ihr gehörnter Noch-Verlobter. Momoko hielt den Atem an, als sie ihn sah. Seine rotbraunen Augen wirkten erleichtert und trotzdem distanziert. „Er hat uns nicht gesagt was passiert ist, aber er schien sich wirklich sehr große Sorgen und Vorwürfe zu machen.“, flüsterte ihr Yuri schnell zu, bevor sie dem jungen Mann Platz machte und sich mit Hinagiku an den Rand des Geschehens zurück zog. Etwas ängstlich und vor allem verloren, stand sie nun alleine vor ihm. „Ich hatte schon befürchtet, dir wäre vielleicht etwas passiert.“, durchbrach er das Schweigen zwischen ihnen als Erstes. Nach allem, was sie ihm angetan hatte, machte er sich immer noch Sorgen um sie? Und sie hatte das Schlimmste von ihm angenommen und geglaubt, er würde sie bei der nächsten Begegnung zum Teufel jagen. Ihr schlechtes Gewissen übermannte sie schlagartig. Mit beiden Händen auf den Mund gepresst, versuchte sie einen lauten Schluchzer zu unterdrücken, doch stattdessen quollen neue Tränen aus ihren zusammengekniffenen Augen. „Es tut mir leid! Es tut mir so leid!“, krächzte sie zwischen ihren Fingern hervor. Mit wenigen Schritten hob Takuro die Distanz zwischen ihnen auf und schloss seine Arme fest um ihren zitternden Körper. „Bitte weine nicht! Mir tut es leid! Ich weiß zwar noch nicht genau, was ich getan habe, aber wenn ich dich mit irgendwas überfordert oder bedrängt habe, dann verzeih mir bitte!“, versuchte er sie zu beruhigen. Momoko schob ihn mit beiden Armen von sich weg und wehrte sich schüttelnd gegen seine Worte. „Hör auf das zu sagen! Du hast gar nichts falsch gemacht! Im Gegenteil, du warst so nett und perfekt zu mir! Ich bin es, die alles falsch gemacht hat! Ich bin so feige, dass ich einfach gekniffen- und dich stehen gelassen habe! Ich verdiene dein Mitlied nicht…“ Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und weinte hemmungslos. Wenn dieser Mann, der sie anscheinend wirklich liebte und vergötterte, wüsste, was sie ihm noch alles angetan hatte, würde er ganz sicher andere Worte wählen. Sie fühlte sich wie Abschaum. Noch vor einer halben Stunde hatte sie vor der Tür eines anderen gestanden, um auszuloten, ob es vielleicht auch eine Zukunft an dessen Seite geben konnte. Für ihren rücksichtlosen Egoismus Takuro und auch ihrem Vater gegenüber, verachtete sie sich am meisten. „Bitte weis mich nicht ab, lass uns darüber reden! Wieso gekniffen? Wo habe ich dir einen Anlass gegeben dich in die Ecke gedrängt zu fühlen?“ Die Blauäugige warf einen beschämten Blick zu ihren Freundinnen, die schnell verstanden, dass das wirklich nur ein Gespräch unter vier Augen sein sollte. Yuri zog Hinagiku mit sich weiter weg von dem Pärchen. Momoko rang zwischen den verebbenden Schluchzern nach Luft und versuchte Takuro in die Augen zu sehen. „Du weißt schon… deine Einladung auf das Hotelzimmer, der Alkohol, das Doppelbett…“, flüsterte sie verlegen und hoffte, dass das Erklärung genug für den sonst so klugen Brillenträger war. Es ratterte in seinem Kopf, das konnte sie deutlich an seinem Blick erkennen, der einen Moment lang durch sie durch zu gehen schien. Nach quälend langen Sekunden zuckte er erschrocken zusammen und wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. „Momoko! Du hast doch nicht etwa ernsthaft gedacht, ich wollte dich…“ Dem Erbleichen folgte Scharmesröte; unmöglich konnte er seinen Satz zu Ende führen. „Ich würde dich doch nie zu etwas überreden oder zwingen, was du nicht willst!“ Irritiert runzelte seine Verlobte die Stirn. „Aber du hast heute manchmal so zweideutige Dinge gesagt und auch schon in Gesprächen davor hin und wieder mal Andeutungen gemacht, dass du mich ganz für dich haben willst… Deswegen bin ich panisch geworden.“ Verlegen fuhr sich Takuro mit unruhigen Händen durch sein Haar. Seine Frisur war danach ruiniert, aber das war ihm anscheinend egal. „Weil es mir wichtig ist, dass du begreifst, wie ernst ich es meine.“ Sein Tonfall war plötzlich ganz ruhig und sein Blick konzentriert. „Ich wollte dich immer nur beeindrucken und für mich gewinnen, weil ich will, dass du mich auch liebst, so wie ich dich liebe!“ Errötend wich sie seinem Blick aus. Traurig bemerkte der Schwarzhaarige diese Reaktion. „Siehst du, genau deswegen habe ich es wahrscheinlich übertrieben. Du weichst mir aus, wann immer ich dir auf einer anderen Ebene näher kommen will, dabei will ich genau das so sehr.“ Ihre Augen füllten sich schuldbewusst erneut mit Tränen. „Tut mir leid…“ Takuro versuchte zu lächeln und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß jetzt, dass ich dich überfordert habe… aber du musst mir glauben, dass ich nie vorhatte mit dir zu… Ich dachte wirklich nur an das gemeinsame Schlafen in einem Bett, an mehr nicht. Es kam mir romantisch und angebracht vor, falls es spät geworden wäre.“ Selbst wenn es nicht der Wahrheit entsprach, was er ihr da erzählte, wäre das im Grunde nichts Verwerfliches. Sie waren verlobt, da war es doch normal, dass man sich gegenseitig seine Liebe bekundete und sich auch körperlich zeigte. Trotzdem fühlte Momoko sich erleichtert zu wissen, dass das alles nur ein Missverständnis war. Leider machte das ihre Schuldgefühle nur noch schlimmer. „Dann willst du dich jetzt gar nicht von mir trennen?“, vergewisserte sie sich vorsichtig. Er lachte bitter. „Wie könnte ich? Du hast mir heute Abend deinen ersten Kuss geschenkt; wenn ich geduldig bin, dann gewinne ich auch noch den Rest deines Herzens. Darf ich denn weiter darauf hoffen?“ Takuro machte allen Ernstes einen Kniefall vor ihr und schloss ihre beringte Hand in seine. Was er gesagt hatte waren die schönsten und romantischsten Worte, die er je formuliert hatte. Ihr wurde warm ums Herz und so lächelte und nickte sie ihm zu. Überglücklich und erleichtert stand er auf, schloss sie wieder in eine Umarmung und drückte sie fest. Momoko erwiderte diese Geste. Dieser Junge hatte eine echte Chance verdient – mehr als jeder andere! Sie konnte nicht ungeschehen machen, was zwischen ihr und Yosuke passiert war, aber sie konnte wenigstens Buße tun. Sie sah Takuro an, legte ihre Hände um sein Gesicht und stellte sich auf Zehenspitzen. Dass sie ihn küsste war für ihn genauso überraschend, wie für die beiden jungen Frauen im Hintergrund, aber Momoko war das egal. Sie legte ihre ganze Sehnsucht nach Liebe, Glück und einer Zukunft in diesen Kuss, denn mehr konnte sie nicht aufbringen. Sie schmeckte das Salz ihrer Tränen auf seinen Lippen. »Wenn ich mir genauso viel Mühe gebe wie Takuro, dann kann das mit uns funktionieren.« Er konnte nun nicht mehr ihr erster Mann sein, aber dafür hatte sie nützliche Erfahrungen gesammelt und gewisse Ängste verloren. So hatte auch ihr Fehltritt etwas Gutes. Sie löste den intimen Kontakt auf und sah die Überrumpelung in den Augen ihres Partners, die aber schnell einem warmen, glücklichen Ausdruck wich. Das bestätigte Momoko darin, dass sie ihr Bedauern, über das Scheitern ihrer Freundschaft mit Yosuke, überwinden konnte. Still und heimlich würde sie auf ihre eigene Weise Reue beweisen, indem sie ab jetzt für Takuro und das Glück ihres Vaters alles gab, was sie hatte. Kapitel 27: The visit --------------------- Takuro hatte Momoko der Obhut ihrer beiden Freundinnen überlassen, nachdem endlich alle Missverständnisse ausgeräumt waren. Nur allzu neugierig warteten sie in ihrem Wohnzimmer darauf, dass die wieder Heimgekehrte erklärte, was hier schon wieder vor sich ging. „Soll ich uns einen Tee machen? Du siehst wirklich fertig aus.“, bot Yuri fürsorglich an. „Sehr gern.“, willigte die Rosahaarige ein. Sie zog sich die auf dem Sofa zusammengelegt liegende Kuscheldecke zu sich herüber und mummelte sich darin ein. Ihr war immer noch schrecklich kalt und sie fühlte eine bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern. Schlotternd zog sie sich den schweren Stoff enger um die Schultern. Yuri kannte sich in Momokos Haus bestens aus, also machte sie sich gleich an die Arbeit und setzte Wasser auf. „Ich kann noch gar nicht glauben, dass Takuro euch meinetwegen angerufen hat.“, bemerkte die Rosahaarige, als sie ihr verträumt dabei zusah. „Na frag mal nicht wie ich geguckt habe, als der mich halb aus dem Bett geklingelt hat! Dabei dachte ich, er hält sich inzwischen für etwas Besseres und will nichts mehr mit uns zu tun haben.“, entgegnete Hinagiku. Diese sah wirklich ein bisschen so aus, als hätte man sie geweckt, trug sie doch nur eine weite Jogginghose mit Turnschuhen, ein weißes Rollkragenshirt, sowie eine schwarze Strickjacke darüber. Momoko belächelte das schwach. „Er muss sich wirklich sehr gesorgt haben, wenn er sich überwinden konnte uns anzurufen.“, kommentierte die hochgewachsene Braunhaarige aus der Küche heraus. „Das hat er wohl…“ Wenn er als allererstes zu ihrem Haus gefahren war, wo sie zunächst ja nicht aufgetaucht war, hätte sie, seiner Logik nach, eigentlich nur noch bei einer ihrer Freundinnen gewesen sein können. „Wie hat er denn reagiert, als ihr ihm sagen musstet, dass ich auch nicht bei euch bin?“, wollte sie wissen. „Genau wie wir – ratlos. Deswegen haben wir ihm dann angeboten bei der Suche zu helfen, aber als wir uns mit ihm getroffen haben, bist du dann ja doch noch aufgetaucht.“, antwortete Hinagiku. Yuri kam mit einem Tablett gefüllter Teetassen zu ihnen an den Couchtisch zurück. „Wobei ich ja einen leisen Verdacht habe, wo du gewesen sein könntest.“ Vorsichtig musterte sie ihre kleinere Freundin, während sie die Getränke verteilte. Momoko verspannte sich augenblicklich und schaute finster auf die heiße Tasse in ihren Händen. „Falls du auf Yosuke anspielst, der ist Geschichte!“, entgegnete sie grummelnd. Erstaunt ruhten zwei Augenpaare auf ihr. „Schaut nicht so. Der Blödmann hat es geschafft Hiromi zu schwängern und will sich nun doch nicht von ihr trennen, deswegen bin ich ihm als Gesellschaft lästig geworden.“ Ihren Freundinnen klappte synchron die Kinnlade herunter. „Schwanger?!“, wiederholten sie ebenfalls unisono. Momoko zuckte desinteressiert mit den Schultern und vermied Blickkontakt mit den beiden Mädchen. „Das ist ein Skandal, sie sind doch beide erst mitten im Abschlussjahr der Highschool! Wie soll das denn funktionieren?“, fragte sich Yuri besorgt, verstört und errötend zugleich. „Woher soll ich das wissen? Es interessiert mich nicht und geht mich auch nichts an!“ Die Blauäugige gab sich genauso so cool und desinteressiert Yosukes Angelegenheiten gegenüber, wie in alten Zeiten. Die Brünette stutzte über dieses Verhalten, nachdem Momoko bei ihrem letzten Gespräch doch so in die Bresche für den Torwart und ihre ungewöhnliche Annäherung gesprungen war. „Irgendwie ist das schade. Ich hatte das Gefühl, dass du ihn inzwischen wirklich gut leiden kannst und magst. Das muss doch schwer für dich gewesen sein, oder?“, merkte sie an. Die burschikose Grünhaarige konnte sich ein Auflachen nicht verkneifen. „Ach Yuri! So wie du das sagst könnte man meinen, da sei noch mehr! Darüber lacht sie doch - bevor Momoko sich in so einen Idioten verguckt, friert die Hölle zu! Stimmt’s?“, warf sie amüsiert ein und stieß der Angesprochenen dabei freundschaftlich gegen die Schulter. In der jungen Frau zog sich etwas schmerzhaft zusammen. „Stimmt…“, antwortete sie kleinlaut und versuchte mit aller Macht auf den, durch den Schubs gefährlich schwankenden, Inhalt ihrer Tasse zu achten und keine Miene zu verziehen. Sie selbst und auch ihre Freundinnen sahen, wie ein dicker Tropfen plötzlich die ruhige Oberfläche des Tees aufbrach. „Momoko! Du weinst ja schon wieder!“, rief Yuri erschrocken aus. Tat sie das? Ungläubig fasste sie mit einer Hand in ihr Gesicht und stellte fest, dass es stimmte. An ihrer Nase kullerte bereits die nächste Träne hinab. „Was’n jetzt kaputt?!“ „Ach… das ist nichts. Das sind nur meine Nerven, heute Abend war einfach zu viel los.“, versuchte sie sich vor Hinagiku zu erklären. „Lüg doch nicht! Das ist wegen Yosuke, oder? Was um Himmels Willen ist denn genau passiert?“, wollte die Brünette wissen. „Uns kannst du es doch sagen.“, fügte sie hinzu. Momoko konnte den aufflammenden Schmerz nicht zurück drängen. Sie war zu wütend und enttäuscht; einfach viel zu verletzt. „Ich war halt bei ihm… vorhin. Ich wollte mit ihm reden, aber… Hiromi war auch da und deswegen war er ganz komisch. Er hat viele gemeine Dinge zu mir gesagt und mir dann deutlich gemacht, dass wir keine Freunde mehr sein können.“ Baff wussten ihre Freundinnen darauf gar nichts zu sagen. Nur das Schniefen ihrer traurigen Freundin war zu hören. „Du wolltest dich bei ihm vor Takuro verstecken?“, hakte Hinagiku schließlich nach. „So ähnlich…“ Sie konnte ja schlecht antworten wieso sie geglaubt hatte, dass ausgerechnet er sie am besten verstehen würde. „Und er hat wegen Hiromi aus heiterem Himmel die Freundschaft mit dir gekündigt?“, erkundigte sich auch Yuri. „Kann man so sagen…“ „Dafür muss es doch aber noch einen anderen Grund geben als ihre Schwangerschaft! Hat er das etwa nur wegen ihrer Eifersucht getan?“, bohrte die Langhaarige weiter. Momoko wollte darüber nicht weiter nachdenken oder reden, sie wollte es nur einfach schnell vergessen. „Was weiß ich, ist doch egal. Er ist mir egal!“ Yuri und Hinagiku tauschten einen kurzen Blick, denn glauben konnten sie das beide nicht so recht. „Und was ist mit Takuro? Das sah ja vorhin sehr innig aus zwischen euch beiden.“ Die sportliche junge Frau konnte auch wirklich keine Frage für sich behalten. Augenrollend erwiderte die Blauäugige ihren Blick. „Wir sind doch ein Paar, da küsst man sich eben auch mal, oder nicht?“ „Aber wir dachten, du bist nicht in ihn verliebt? Sein Kniefall und die Art, wie du dich an ihn geschmiegt hast… das sah nicht aus wie ein erster Kuss.“, stellte Yuri verlegen fest. „Wollt ihr Details?“, stöhnte Momoko entnervt. „Wir haben uns heute schon mehrfach geküsst, aber danach ging irgendwie alles schief und ich wurde hysterisch, weil ich dachte, er will mehr und das ging mir zu schnell... Den Rest der Geschichte kennt ihr. Reicht das? Seid ihr jetzt endlich fertig mit eurem Verhör? Ich würde nämlich schrecklich gerne ins Bett gehen, denn morgen ist wieder Schule.“ „Eins noch, Momoko.“, entgegnete Hinagiku. „Ich sage das nur ungern und eigentlich finde ich Takuros Verhalten voll peinlich, aber ich glaube echt, er meint es ernst mit dir. Wenn du es nicht ehrlich mit ihm meinst, spiel ihm nichts vor.“, endete sie ernst. Ihre braunen Augen schauten sie streng an. Die junge Frau nahm selten etwas richtig ernst, aber das schien ihr wirklich wichtig zu sein. Natürlich, sie kannte Takuro schon von klein auf; sie hatten immer miteinander gespielt und bevor er ins Ausland gegangen war, waren sie auch noch gute Freunde gewesen. Auch wenn sich inzwischen die Dinge geändert hatten, hatte Hinagiku die alten Zeiten nicht vergessen. „Ich mag ihn wirklich, keine Sorge.“, beruhigte Momoko sie. Das war noch nicht einmal gelogen, denn nachdem er ihr so vor ihrem Haus begegnet war, mochte sie den schlaksigen, etwas überengagierten, jungen Mann mehr als je zuvor. Yuri blieb skeptisch. In ihren Augen hatte es nicht nur Takuro verdient glücklich zu sein. Nach wie vor bereitete ihr die arrangierte, bevorstehende Eheschließung ihrer besten Freundin Bauchschmerzen. Sie stellte ihre Tasse ab und umarmte die junge Frau unangekündigt. „Aber Yuri, was ist denn…?“ „Ich will nicht, dass du glaubst, du müsstest uns etwas vorenthalten. Warum auch immer… Wir haben uns immer alles erzählt, bitte vergiss das nicht.“ Momoko erwiderte traurig ihren besorgten Blick. „Es ist spät, wir werden dann jetzt gehen.“, kündigte die Brünette an, als ihr Gegenüber nicht weiter auf ihren vorherigen Satz reagierte. Hinagiku stand ebenfalls auf und leerte noch schnell ihre Tasse aus. „Ich finde, wir sollten wieder mehr miteinander unternehmen. So wie früher!“, schlug sie vor, während sie sich die Schuhe anziehen gingen. „Das ist eine gute Idee! Lasst uns einfach deswegen in Verbindung bleiben, dann finden wir bestimmt mal einen Tag, wo wir Zeit haben, uns gemeinsam zu amüsieren.“, stimmte Yuri begeistert zu. Die erschöpfte Hausherrin hatte im Moment zu gar nichts Lust, denn ihre Gefühlswelt ließ jede Verlockung grau und schnöde erscheinen. Dennoch, das war wahrscheinlich wirklich eine gute Idee, denn so konnte sie ihren Kummer schnell vergessen und zur Normalität zurückkehren. „Ok, wieso nicht.“, stimmte sie zu und rang sich ein Lächeln ab. Auf ihrem Nachhauseweg schwieg Yuri viel, aber auch Hinagiku hatte einiges, worüber sie grübelte, weswegen ihr das zunächst gar nicht auffiel. Erst als sie stehen blieben, weil sich ihre Wege trennten, da sie beide in unterschiedliche Richtungen mussten, ergriff die quirlige Sportliebhaberin das Wort. „Mann, Mann, Mann… das war ja vielleicht ein verkorkster Abend.“ „Hmh…“, murmelte Yuri nur. Nachdenklich tippte sie sich mit dem Zeigefinger am Kinn herum und starrte Löcher in die Luft. „Hey, was hast du denn?“, wollte Hinagiku wissen. „Findest du es nicht merkwürdig, dass Momoko völlig verheult von Yosuke nach Hause kam?“, antwortete sie endlich etwas aufmerksamer. Die Grünhaarige zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Du hast doch gehört, dass er sie ganz schön fertig gemacht haben soll. Sie streiten eben wieder, ist doch nicht viel anders als früher.“, versuchte sie als Erklärung herzuleiten. „Das stimmt, gezankt haben sie schon immer, aber Momoko hätte nie deswegen geweint. Verstehst du?“ Hinagiku kratzte sich am Hinterkopf, während sie überlegte. „Und außerdem… das passt irgendwie gar nicht zu ihm! Yosuke war früher nie fies oder unhöflich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Momoko so schlimm angegriffen haben soll, dass sie deswegen nun so fertig ist. Und das mit der angeblichen Schwangerschaft kann ich auch noch gar nicht glauben!“ „Wer weiß, vielleicht hat sie auch nur wegen dem Missverständnis mit Takuro geheult. Willst du jetzt Sherlock spielen, oder was?“ Yuri machte eine abwehrende Handbewegung. „Ach was, das hat doch damit nichts zu tun! Ich habe nur das untrügliche Gefühl, dass noch mehr dahinter steckt…“ „Aha? Und was willst du deswegen nun unternehmen?“ „Ich weiß es nicht, aber da wird mir schon noch was einfallen.“, antwortete sie entschlossen und verabschiedete sich im Anschluss von ihrer Begleitung. ~*~ Takuro hielt sein Versprechen Momoko gegenüber und organisierte einen Besuchstermin für sie bei ihrem Vater. Das war die erste Nachricht, die sie aus ihrer Trübsinnigkeit holen konnte und es schaffte, ihr neuen Lebensmut zu geben. Die Tage in der Schule und auf Arbeit, bis dahin, waren schemenhaft wie Schatten an ihr vorbei gezogen. Es war der Samstag eine Woche nach ihrem verunglückten Date und sie fuhren gemeinsam in seinem Wagen dorthin. Die Klinik lag etwas außerhalb der Stadt, umgeben von Hügeln und viel Natur, die sich in den frühlingshaften Temperaturen herrlich entwickelte. Momoko ließ ihr Fenster herunter, als sie auf einer Nebenstraße fuhren, die rechts und links von Wald gesäumt war. Vorsichtig streckte sie ihre Nase in den Gegenwind, der ihr offenes Haar zerwühlte. Die Sonne wärmte ihre Haut, genießend schloss die junge Frau die Augen und lehnte sich wieder an. Der Duft von Nadelhölzern vertrieb den Ledergeruch der Innenausstattung. „Die Gegend hier ist wirklich sehr schön und ruhig, oder?“, hörte sie Takuro neben sich sagen. Er hielt ihre linke Hand in seiner und strich immer wieder mit dem Daumen über ihre Haut. Momoko lächelte ihn dankbar an. „Das ist sie. Ich wusste gar nicht, dass so ein grünes Fleckchen hinter unserem Stadtrand liegt.“ „Du bist ja auch noch nicht wirklich viel rumgekommen. Ich selbst weiß von der Klinik auch nur durch meine Eltern.“ Sie bogen in eine weitere Nebenstraße ab, die recht steil nach oben in den Wald hinein führte. Am Ende des Weges ragte, zwischen all den Bäumen, ein sehr modernes, weißes Gebäude mit vielen Fenstern und Balkonen heraus. Davor lag eine hoch umzäunte Grünanlage mit gepflegtem Rasen, akribisch beschnittenen Sträuchern und kleinen Bänken. Ihr Auto parkte auf einem angeschlossenen Parkplatz, der extra für Besucher angelegt war. „Das sieht ja aus wie ein Hotel!“, stellte Momoko fest, während sie staunend ausstieg, ohne den Blick von der schönen Anlage zu nehmen. „Das macht eine Privatklinik aus. Hier gibt es nur das Beste vom Besten.“, erklärte Takuro stolz. Die Rosahaarige schluckte schwer bei der Vorstellung, was ein Aufenthalt hier wohl kostete. „Na komm, wir wollen deinen Vater doch nicht warten lassen?“ „Natürlich nicht.“, stimmte sie zu. Ihr Herz klopfte aufgeregter als sonst, denn sie hatte ihrem Verlobten versprochen, heute ihrem Vater von ihm und sich ganz offiziell zu erzählen. Vorsätzlich hatte sich Momoko für eine brave Garderobe aus einem langen Cordrock und einem pastellgelben Rollkragenshirt entschieden. Unter ihrem Rock trug sie eine schwarze Strumpfhose, zusätzlich zu den Lackschuhen ihrer Schuluniform. Ihre Frisur trug sie wie in alten Tagen, offen und nur mit ihren zwei gelben Schleifen darin, die verhinderten, dass ihr volles Deckhaar immerzu in ihr Gesicht fiel. Takuro hatte sich, wie immer, für ein etwas vornehmeres Outfit entschieden, aber indem er eine schwarze Anzughose mit einem roten, kurzärmeligen Hemd kombinierte und das Jackett weg ließ, wirkte er immerhin nicht ganz so steif wie sonst. Gleich hinter der verglasten Eingangstür befand sich die Rezeption, an der er, für sie beide, nach ihrem Vater ausrufen ließ. „Wir sollen einen Moment warten.“, teilte er ihr mit, als er zu ihr zurück kam. „Das macht nichts.“, beruhigte sie ihn. Sie nutzte die Zeit, um die Eingangshalle der Klinik zu betrachten. Alles war in hellen Farbtönen gehalten. Runde Formen bei Einrichtung und Innenarchitektur wirkten auflockernd und beruhigend. „Sind Sie der Besuch für Herrn Hanasaki?“, wurden sie beide, von einer blonden Pflegerin in reinweißer Uniform, von der Seite angesprochen. „Ja, sind wir.“, antwortete Takuro fachmännisch, als Momoko noch überrumpelt nach Worten suchte. „Würden Sie mir dann bitte folgen? Ich begleite Sie jetzt in das Besuchszimmer.“ „Gern!“, entgegnete sie diesmal schnell. Himmel war sie nervös; was würde sie wohl erwarten? Seit Wochen hatte Momoko ihren Vater nicht gesehen. Wie er wohl reagierte und wie es ihm ergangen war? Ein wenig plagte sie die Angst, er könnte es ihr übel nehmen, dass sie dafür gesorgt hatte, dass er hier eingeliefert worden war. „Hast du irgendwelche Bedenken?“, flüsterte Takuro ihr heimlich zu. Momoko schüttelte fast unmerklich den Kopf. Er brauchte sich keine Sorgen machen, denn schwerer als ihre Ängste, wog der Wunsch, ihren Vater wieder gesund in die Arme zu schließen. Sie machten vor einer, steril weißen, Tür halt. Die Blondine drehte sich mit geschäftlicher Miene zu ihnen um. „Bitte erwarten Sie nicht zu viel; Suchtkranke in dem Stadium tun sich oft noch schwer damit ihre Krankheit anzuerkennen und sind wegen des Entzugs manchmal etwas reizbar, obwohl sie Medikamente von uns bekommen. Aber keine Sorge, es ist immer eine Aufsicht in der Nähe.“ Ihre Ansage war wenig vielversprechend. Angespannt kaute die junge Besucherin auf ihrer Unterlippe herum. „Verstehe. Wir werden behutsam sein.“, versprach Takuro. Die Pflegerin öffnete die Tür zu einem sehr großen Raum mit deckenhohen Fenstern und vielen ovalen Tischen mit runden Sesseln darum. Fieberhaft suchte ein blaues Paar Augen zwischen den teilweise besetzten Sitzgruppen nach einem großen, breitschultrigen Mann mit braunem Haar. „Momoko?“, hörte sie eine tiefe, liebevolle Stimme sagen. Sofort schnellte ihr Blick zu einem Tisch rechts im Saal, der direkt am Fenster stand. Ein Mann in hellblauer Patientenkleidung saß dort einsam und schaute in ihre Richtung. „Papa!“, rief sie aus. Für sie gab es kein Halten mehr, ungezügelt lief sie ihrem Vater entgegen, der im selben Moment aus seinem Sessel aufsprang und die Arme für seine Tochter öffnete. Ungehemmt warf sie sich an seine Brust und brachte sie beide damit gefährlich ins Straucheln. „Papa…“, nuschelte sie in sein Hemd hinein und unterdrückte ein glückliches Schluchzen. „Meine Momoko…“, flüsterte er zärtlich und streichelte ihr über den Kopf und den Rücken. Ungern lockerte sie ihren Klammergriff, damit sie ihm ins Gesicht schauen konnte. Shôichirô war blass und schmal geworden, doch sein Haar und seine Haut machten einen gepflegten Eindruck. Er roch nicht mehr muffig oder nach einer Alkoholfahne, sondern wie ihr Vater, gemischt mit dem typischen Krankenhausgeruch. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen. „Besser, danke.“, antwortete er ruhig und schaute an ihr vorbei, nach hinten. Seinem Blick folgend erkannte sie Takuro, der lächelnd und mit einer Hand lässig in der Hosentasche, zu ihnen aufschloss. „Ah, darf ich vorstellen? Das ist Takuro Amano.“, erklärte die junge Frau rasch und wand sich aus der Umarmung. Er streckte seine Hand wie auf Knopfdruck nach vorne aus und ihr Vater ergriff sie höflich zu einem festen Händedruck. „Amano-kun, natürlich. Ich bin Shoîchirô Hanasaki, Momokos Vater.“ Der Jüngere nickte wissend und verbeugte sich kurz respektvoll. „Kennt ihr euch?“, fragte Momoko verwirrt. „Nicht persönlich, aber ich habe gehört, dass ich es der Familie Amano zu verdanken habe, dass ich hier sein kann.“, erklärte ihr Vater freundlich, aber sein Blick war undefinierbar, irgendwie fragend und analytisch. So wie ein Vater wohl einen jungen Mann ansah, der gemeinsam mit seiner gleichaltrigen Tochter bei ihm auftauchte. „Setzen wir uns doch.“, schlug der Schwarzhaarige vor und verwies auf die Sessel. Momoko und Takuro setzten sich Shôichirô gegenüber, der sie beide interessiert musterte. „Ich freue mich, dass ihr mich mit eurem Besuch beehrt. Hier drin kann es ganz schön einsam sein.“, begann er das Gespräch. „Behandelt man dich denn gut?“, erkundigte sich seine Tochter. „Angemessen, aber was will ich auch erwarten? Es ist schwer, Momoko. Doch man kümmert sich gut um uns Patienten hier. Es wird von Tag zu Tag besser.“ „Wenn es Ihnen an etwas fehlt, dann lassen Sie es mich oder meine Familie wissen. Wir kümmern uns darum.“ Takuros großzügiges Angebot verschaffte ihm wieder einen durchdringenden Blick seitens Momokos Vaters. „Entschuldigt, wenn ich unseren kleinen Smalltalk etwas unangenehm unterbrechen muss, aber wie komme ich denn überhaupt zu der Ehre? Ich wüsste nicht, in welcher Verbindung unsere beiden Familien zueinander stehen.“, stellte der erwachsene Mann ernst fest. „Papa, das ist eine längere Geschichte…“, fing Momoko zögerlich an und faltete dabei nervös ihre Hände in ihrem Schoß zusammen. „Takuro ist mit mir auf die Hanazono Gakuen Jr. High gegangen. Er war in einer Parallelklasse. Wir haben schon seit einigen Monaten wieder engeren Kontakt zueinander.“ Gegen Ende ihrer Ausführungen geriet ihr Redefluss deutlich ins Stocken. Der typisch väterliche Blick war ihr schrecklich peinlich und je mehr sie erklärte, desto verlegender wurde sie. Errötet und hilfesuchend sah sie ihren Verlobten an, der verstehend nickte. Selbstbewusst legte er seine rechte Hand auf ihre, die nun auf der Sessellehne ruhte. „Hanasaki-san, es mag Ihnen merkwürdig und unpassend vorkommen, doch wir möchten Ihnen sagen, dass wir beide schon eine ganze Weile verlobt sind. Der schwierigen Umstände halber, haben wir bis heute damit gewartet, es Ihnen endlich zu sagen.“ Mit heißen Ohren und glühenden Wangen, schmulte Momoko durch die Wimpern ihrer gesenkten Lider zu ihrem Vater hinüber. Dieser saß wie vom Donner gerührt, steif und unbeweglich, in seinem Sessel. Seine grünen Augen wanderten in Zeitlupe zu seiner Tochter hinüber. „Verlobt? So plötzlich? Mit 18 Jahren?“, fragte er mit unheimlich gefasster, leiser Stimme. „Naja, so plötzlich ist das ja gar nicht… wir kennen uns ja schon recht lange.“, versuchte Momoko zu scherzen. Takuro drückte ihre Hand noch etwas fester. „Ich versichere Ihnen, dass ich es mit ihrer Tochter ernst meine! Ich schwärme seit der Schule für sie und endlich hat sie mein Werben erhört.“ Einschleimend warf er ihr einen verliebten Blick zu, den sie vor Anspannung eher halbherzig erwiderte. „Ihr wollt also heiraten?“, hakte Shôichirô noch mal fassungslos nach. Die Rosahaarige schluckte einen Kloß im Hals herunter und nickte eifrig, Takuro tat es ihr nach. Ihr Vater blinzelte seine Lähmung hinfort und räusperte sich geräuschvoll. „Takuro-kun, richtig? Wärst du so gut mir ein paar Minuten alleine mit meiner Tochter zu geben?“ Zunächst verwirrt, stand der Schwarzhaarige auf und glättete nervös seine Krawatte. „Natürlich. Soll ich uns etwas zu Trinken besorgen?“ „Gern, einen Kaffee bitte.“, bestätigte der gesetzte Erwachsene trocken. „Für mich eine heiße Schokolade oder Tee, bitte.“ Momoko schwante ein ernstes Gespräch. Das fand sie etwas ungerecht – waren es nicht sonst immer die Schwiegersöhne in spe, die sich der Brautvater im Einzelgespräch zur Brust nahm?! „Gern, ich bin gleich wieder da.“, verabschiedete sich Takuro mit respektvollem Unterton. „Lass dir Zeit.“, rief ihm Shôichirô hinterher und konnte sich dabei ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Seine Tochter musste es erwidern, als sie beobachtete, wie stocksteif sich ihr Gefährte aus dem Besuchsraum bewegte. „Nun zu dir, Kind.“ Sie seufzte schwer und begann an ihrem Verlobungsring herumzudrehen. Ihn fasste ihr Vater als nächstes ins Visier. „Zeig doch mal her, deinen Ring.“, forderte er unvermittelt, aber lieb und beugte sich zu ihr über den Tisch. Ohne Widerworte hielt Momoko ihm ihren ausgestreckten Arm hin, damit er den ovalen, roten Edelstein perfekt betrachten konnte. Ebenfalls seufzend begutachtete er das schöne Schmuckstück und sah dann etwas betreten seiner Tochter in die Augen. „Verlobt also, ja? Und das ohne mich zu fragen.“ Zu ihrem Glück verriet seine Miene, dass er das nicht halb so ernst meinte, wie er es sagte. „Du warst fast nie da und wenn doch, dann in einem so schrecklichen Zustand… ich fand nie den richtigen Zeitpunkt, um dir davon zu erzählen.“ „Du musst dich nicht entschuldigen, ich muss eine wahnsinnige Last für dich gewesen sein. Ich habe dich mit all unseren finanziellen Sorgen allein gelassen und dir das Leben auch noch zusätzlich schwer gemacht. Du bist im Abschlussjahr, du solltest für deine Prüfungen lernen, anstatt Nebenjobs annehmen zu müssen.“ Bedauern zeichnete sich in seinem Blick ab. „Das macht mir nichts aus! Hauptsache, du wirst jetzt wieder ganz gesund.“ „Ach Momoko… womit habe ich eine so tolle Tochter wie dich verdient?“ Seine Augen glänzten feucht und auch sie musste inne halten, um keine Tränen zu vergießen. „Ich bin ja nicht ganz auf mich gestellt, ich habe ja Takuro.“ Shôichirô zog die Stirn in Falten. „Seine Familie zahlt meinen Aufenthalt hier. Er hat also Geld, ja?“ „Äh, also… nicht direkt. Er hat wohlhabende Angehörige in Amerika. Dort hatte er ein Austauschjahr, weil seine Noten immer ausgezeichnet sind und er viel Talent im Programmieren hat. Seine Verwandten wollen, dass er in ihr Unternehmen einsteigt und dort eine höhere Position einnimmt. Von dem Gehalt kann man dann sicher sehr gut leben.“ „Amerika? Momoko, du willst doch nicht etwa auswandern?“, hinterfragte ihr Vater schockiert. „Papa! Das ist noch gar nicht spruchreif, wir müssen erstmal unseren Abschluss schaffen und dann wollten wir noch studieren… was danach ist, werden wir sehen.“, rechtfertigte sie sich energisch. Über die Möglichkeit, dass sie Japan irgendwann den Rücken kehren würde, wollte sie am liebsten selber gar nicht nachdenken. „Wann wolltet ihr denn heiraten?“ Die junge Frau errötete wieder. „Direkt nach dem Abschluss…“, nuschelte sie. Mit einem Uff lehnte sich ihr Vater wieder an und massierte seine Schläfen. „Warum denn die Eile? Wartet damit doch noch bis nach dem Studium, ihr beide seid doch noch blutjung.“ Momoko grub ihre Finger in ihren Rock. Eilig hatte auch sie es nicht, aber wie sollte sie ihrem Vater erklären, dass Takuro das so wollte? Das es sich bei ihrer Verlobung um einen Vertrag mit gewissen Bedingungen handelte und es nicht allein um romantische Gefühle ging? „Er wünscht es sich so.“, erwiderte sie leise. Misstrauisch runzelte ihr Gegenüber die Stirn. „Und was wünschst du dir?“ Irritiert sah sie auf. „Was? Wie meinst du das?“ „Liebling… Ich mag etwas benommen von den Medikamenten sein, die sie mir hier geben, aber ich kenne doch mein eigenes Kind. Seit wann bist du so lammfromm? Früher hättest du deine Pläne laut in die Welt verkündet und niemanden einen Zweifel daran gelassen, dass dies genau das ist, was du willst.“ „Nein, gar nicht wahr! Es ist alles bestens!“, widersprach Momoko, die sich tatsächlich ein bisschen wie ein kleines Kind fühlte, das ermahnt wurde. Ihr Vater blieb beharrlich und musterte sie besorgt. „Aber seit du hier bist, habe ich deine Augen noch nicht ein Mal aufrichtig leuchten sehen.“ Seine Tochter erblasste. „Weißt du, es ist zwar lange her, aber ich weiß noch ganz genau, wie deine Mutter mich immer angesehen hat, als wir noch frisch verliebt waren. Dieses Funkeln in ihrem Blick, allein schon, wenn ich nur ihre Hand nahm… das werde ich nie vergessen.“ Momoko wusste sofort welches Funkeln und Leuchten er meinte, denn sie sah es jetzt gerade in seinen Augen, während er sich an diese glückliche Zeit erinnerte. „Ich bin glücklich, keine Sorge.“, versuchte sie ihn zu beruhigen und lächelte so zuversichtlich wie nur irgendwie möglich. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihren Worten Glauben zu schenken. „Es ist nur so; ich will nicht, dass du einen Fehler machst. Wenn du das nur machst, weil wir zurzeit Geldsorgen haben, dann möchte ich das nicht! Selbst wenn es Jahre dauert die Schulden abzubezahlen, deswegen musst du nicht auf die wahre Liebe verzichten! Ich habe dir schon genug zugemutet und abverlangt.“ Die Blauäugige wich seinem Blick aus und holte tief Luft. Es war beängstigend wie gut ihr Vater sie kannte, doch wenn er sie durchschaute, gefährdete er alles worum sie sich mit aller Kraft bemühte. „So ist es aber nicht. Wirklich nicht.“ „Dann liebst du diesen Jungen?“ „Natürlich.“ Mist! Ihre Antwort kam zu zögerlich, einen winzigen Moment hatte sie zu lange überlegt. Shôichirô entging diese Feinheit in ihrer Reaktion nicht, doch er schwieg und sah sie einfach nur an. „Da bin ich wieder!“, unterbrach sie Takuro, der mit den bestellten Heißgetränken wieder zu ihnen an den Tisch zurückkehrte. „Ich bin doch hoffentlich lange genug abwesend gewesen?“ „Sicher.“, entgegnete sein zukünftiger Schwiegervater kühl. „Wir haben gerade davon gesprochen wie wundervoll die Liebe doch ist. Nicht wahr, Momoko?“ Er machte unfaire Anspielungen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen warf sie ihm einen anklagenden Blick zu. „Ja, haben wir. Du kommst also genau richtig.“, gab sie knapp zurück und griff nach ihrer heißen Schokolade. „Schon erstaunlich, wie warm einem ums Herz wird und sich der Puls beschleunigt, wenn wir in der Nähe unserer Liebsten sein können. Diese Sehnsucht kann Segen und Fluch zugleich sein.“, fügte ihr Vater noch hinzu. Das war ganz klar eine Botschaft, die sie dazu bringen sollte darüber nachzudenken, ob es ihr mit Takuro genau so ging. Momoko musste darüber aber nicht nachdenken, denn sie wusste schon längst, dass dem nicht so war. Aber es war auch nicht wichtig, nicht mehr… Denn ein Herz, das so fühlte, war verletzlich und schwach. Diesen Schmerz, wenn die eigenen Gefühle enttäuscht wurden, wollte sie sich ein für alle Mal ersparen. Sie war ohne Liebe besser dran. Kapitel 28: K vs. Y - Friendly match ------------------------------------ Momoko sah was ein von Sehnsucht erfülltes Herz aus ihrem Vater gemacht hatte... Wie sehr hatte er ihre Mutter geliebt und dann war sie einfach eines Tages fortgegangen? Und sie sah es an Yosuke, der es geschafft hatte, in kürzester Zeit, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihr so viel gegeben hatte, nur um den zarten Keim ihrer Freundschaft dann auf furchtbare Weise wieder zu zerstören, ehe mehr daraus hätte erblühen können. Lieber lebte sie glücklich und zufrieden mit jemanden zusammen, der sie zu schätzen wusste und es ehrlich mit ihr meinte, als das Risiko einzugehen, so verletzt zu werden, dass es ihr Leben ruinierte. Zum Glück hatte Takuro das Gespräch auf andere Themen wie die Schule und seine Zukunftspläne umlenken können, auf das sich Shôichirô auch interessiert einließ. Seine anfangs kühle Haltung ihrem Verlobten gegenüber verschwand nach und nach, da er sich von seiner netten, strebsamen Seite zeigte und keinen Zweifel daran ließ, dass er die perfekte Partie für seine Tochter war. Beim Abschied lagen sie sich lange in den Armen. Momoko konnte ihrem Vater ansehen, dass er unter der Trennung von ihr litt und sich wünschte für sie da zu sein, obwohl sie längst erwachsen war. Doch, auch wenn er während ihres Besuchs über ruhig und gefasst wirkte, lauerte unter dieser Oberfläche immer noch die Depression und die Lust auf Alkohol. Es würde noch Wochen dauern, bis es so weit war, dass er wieder nach Hause konnte. „Du kannst ihn alle zwei Wochen sehen. Wir kommen wieder her, versprochen.“, sagte Takuro zu ihr, als sie bereits wieder mit dem Auto auf der Heimreise waren. Ihr nachdenkliches Schweigen war ihm aufgefallen. „Danke dafür, dass du das möglich machst.“ Sie schenkte dem Dunkelhaarigen ein Lächeln, aber für mehr Zuneigung fehlte ihr der Wille. Erneut verträumt schaute sie aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. ~*~ Kazuya Yanagiba hatte sich seinen Sonntag irgendwie anders vorgestellt. Es war herrliches Wetter; der Himmel war blau und die Sonne schien, für Ende April schon fast etwas zu warm, auf die Erde herab. Eigentlich wäre das ein perfekter Tag, um mit seiner Freundin etwas zu unternehmen, für die er extra hin und wieder aus Tokyo in seine alte Heimat kam. Doch Yuri hatte andere Pläne gehabt und konnte dabei sehr durchsetzungsfähig sein, wenn sie wollte. Dann war sie gar nicht mehr so süß, zurückhaltend und wohlerzogen, wie sie sich sonst immer gab. Trotzdem lächelte der blonde Fußballspieler vor sich hin, denn so war seine Freundin nun mal und anders wollte er sie nicht haben. Für ihre Freunde und Familie setzte sie sich immer mit ganzer Leidenschaft ein. So auch diesmal. Als sie ihn vor einer Woche, mitten in der Nacht, wegen einem Notfall angerufen hatte, hatte sie ihm haarklein von seinem ehemaligen Klassenkameraden und ihrer Freundin Momoko erzählt. Geduldig hatte er sich alles angehört und sie nicht ein Mal unterbrochen, obwohl er das ein oder andere Mal mehr als verblüfft von ihren Erzählungen war. In den fünf Wochen, seit dem Klassentreffen, war anscheinend eine ganze Menge passiert und es brauchte eine Weile, bis er alles, was ihm erzählt wurde, auch halbwegs verstanden hatte. „Bitte Kazuya, kannst du nicht noch mal mit Yosuke reden? Momoko ist so verschlossen und erzählt nichts Genaues, aber ich bin mir sicher, dass da etwas faul ist.“ „Yuri, meinst du nicht, dass das die Zwei schon selber klären müssen? Anscheinend haben sie doch größere Differenzen, als du dachtest. Da sollten wir uns nicht einmischen.“, hatte er versucht sie auszubremsen. „Machst du dir keine Sorgen? Yosuke war immer dein bester Freund, es sollte dir wichtig sein, was bei ihm los ist und wie es ihm geht.“, hatte sie ihm klar gemacht. Sie stellte sich das so einfach vor, immerhin wohnten sie in zwei verschiedenen Städten… aber ganz Unrecht hatte sie nicht. Nach dem Abgang von der Mittelstufe war der Kontakt zu dem Torwart nur noch spärlich gewesen. „Was schlägst du denn vor, Yuri?“ „Triff dich mal wieder mit ihm und versuch ihm etwas auf den Zahn zu fühlen. Als Mann und sein ehemaliger Kapitän, kannst du das doch viel besser als Hinagiku oder ich. Dich respektiert er.“ Ihr hochmotivierter Tonfall brachte ihn zum Grinsen. „Ok, ich wollte sowieso nächstes Wochenende kommen. Ich werde ihn fragen, ob er Lust auf ein Freundschaftsspiel hat.“, hatte er ihr versprochen. Und hier stand er nun, mit einem Fußball unter den Arm geklemmt auf einem Bolzplatz, der im Park nahe ihrer alten Schule lag. Yosuke war über seine spontane, telefonische Einladung zwar überrascht gewesen und hatte zunächst zögerlich reagiert, aber zu einem Spiel, gegen seinen alten Kapitän, am Ende dann doch nicht nein sagen können. Kazuya warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die ihm 14 Uhr anzeigte, Yosuke musste also jeden Moment auftauchen. Der blonde Spieler strich sich die Haare aus der Stirn, obwohl er nur ein blaues, kurzärmeliges Shirt und eine kakifarbene Bermuda trug, schwitze er. „Hey, Kazuya!“ Der dunkelhaarige Torwart lief winkend über den Platz auf ihn zu, auch er hatte sportliche, kurze Sachen zu seinen Fußballschuhen an. „Pünktlich auf die Minute!“, lobte Kazuya ihn grinsend und schlug in die freundschaftlich erhobene Hand ein und zog seinen Kumpel zu einem Schulterklopfer zu sich heran. „Hast du etwas anderes erwartet? Ich bin bestens in Form.“ „Wenn sich dein Tor genauso auf dich verlassen kann, wird das ein interessantes Training mit dir.“ „Logisch! Wie geht es dir sonst so? Wie ist Tokyo? Man hört ja kaum was von dir.“, fragte Yosuke und legte seine Umhängetasche zu der seines Freundes auf den Boden. „Ich bin sehr eingespannt. Schule und viel Fußballtraining, da bleibt kaum Zeit für anderes. Von Tokyo kenne ich eigentlich nur meine Ecke, aber es ist toll. Eine aufregende Stadt, aber mein Zuhause und Yuri fehlen mir oft.“ „Natürlich, Yuri… hat das irgendwann ein Ende? Also eure Fernbeziehung?“ Kazuya lächelte zufrieden. „Sie paukt fleißig um an einer Uni in Tokyo angenommen zu werden, damit wir während der Collegezeit zusammenziehen können.“ Yosuke staunte anerkennend. Es war also wirklich etwas Ernstes zwischen ihnen beiden. „Und wie läuft es bei dir so?“, fragte der Blonde wie selbstverständlich zurück. Die Miene des Torwarts verhärtete sich augenblicklich. „Ehrlich gesagt… ist es bei mir zurzeit alles etwas kompliziert.“ „Wirklich? Läuft es in der Schule oder privat nicht gut?“ Kazuya war selber verwundert darüber, wie gut es ihm gelang den Unwissenden zu mimen. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts darüber, dass er bereits bestens im Bilde war. „Privat, aber lass und später davon reden, jetzt will ich kicken!“, wich er aus. Mit entflammten Blick und siegessicherer Miene, grinste er seinen ehemaligen Mitschüler an und kramte seine Torwarthandschuhe aus seiner Tasche hervor. Der Blonde zuckte mit den Schultern und ließ sich von Yosukes Enthusiasmus anstecken. Vielleicht würde ein gutes, anspruchsvolles Spiel die Zunge seines Freundes von ganz allein lockern. Nachdem sie sich mit ein paar Runden um den Platz und ein paar Dehnungsübungen warm gemacht hatten, spielten sich die beiden jungen Männer gegenseitig ein paar einfache Pässe zu. Schnell wurde ihnen klar, dass sie wirklich mehr als gut in Form waren und ihr Spiel nach wie vor beherrschten. Bald schon wechselten sie deswegen von den Anfängerübungen zu erwachsenen Zweikämpfen. Kazuya war unglaublich schnell und wendig; mit konzentriertem Ausdruck bewegte er das runde Leder vor seinen Füßen her als wäre es ein Teil von ihm. Yosuke, der für gewöhnlich im Tor stand, hatte Mühe dem Stürmer angemessen die Stirn zu bieten, doch selten hatte er so viel Spaß beim Fußball gehabt wie jetzt, denn so gute Gegner hatte er nicht oft. Kein Wunder, dass man ihn in Tokyo für die Nachwuchsmannschaft angeworben hatte. Schwitzend stieben sie oft Brust an Brust durch den staubigen, roten Sand und versuchten sich gegenseitig den Ball abzunehmen. Foulen kam für keinen von ihnen in Frage, dieses Spiel unter Freunden fair für sich zu entscheiden, war eine Frage der Ehre! Sie hetzten von einer Seite zur anderen, ohne das je einer von ihnen die Chance bekam, einen gezielten Schuss auf das gegnerische Tor abzugeben. Die beiden jungen Männer waren so vertieft in ihre schweißtreibende Beinarbeit, dass sie gar nicht bemerkten, wie sich am Rande des Platzes Parkbesucher ansammelten, die ihrem Treiben interessiert folgten. Für sie war es nur ein einfaches Spiel, für Außenstehende eine regelrechte Show. Zwei durchtrainierte, gutaussehende Fußballer, die offensichtlich genau wussten was sie da taten und so professionelle Moves vollführten, dass es den Zuschauern begeisterte Laute entlockte. Schließlich gelang es Kazuya aus ihrem Zweikampf, mitsamt dem Ball, auszubrechen und schon stürmte er mit großen Schritten auf Yosukes Tor zu. Der Dunkelhaarige schlitterte durch den Sand, als er, Haken schlagend, bremste und seinen Gegner mit einem Sprint verfolgen musste. Aber es war zu spät, der blonde Stürmer holte bereits aus und schoss den Fußball mit einem so heftigen Tritt ins Tor, dass der Aufprall zwischen seinem Fuß und dem Leder wie ein Paukenschlag über den Platz schallte. Bewunderndes Raunen wurde unter den immer mehr werdenden Zuschauern laut. Yosuke warf seinen Oberkörper nach vorn und stützte sich mit den Armen auf seinen Oberschenkeln ab. Schweiß tropfte von seiner Stirn; er atmete heftig und erschöpft. „Du warst gut, Yosuke.“, hörte er Kazuya lobend sagen. Geschafft, aber zufrieden richtete er sich wieder auf und sah seinem etwas größeren Gegenüber in die hellen Augen. „Ach was, ich hab dich nicht mal im Ansatz eingeholt!“, beschwerte er sich schnaufend, grinste aber dabei. „Du bist auch nicht umsonst Torwart, deine Stärken liegen in Sprüngen und in deiner Beobachtungsgabe.“, tröstete der Blonde ihn und klopfte dabei aufmunternd auf seine Schulter. Zeitgleich wurden sie auf ihre Bobachter am Rande des Platzes aufmerksam, die anscheinend ungeduldig darauf warteten, dass es weiter ging. „Oh, Publikum.“, stellte Yosuke fest. Kazuya lächelte hinüber, was ein paar jüngere Damen erröten ließ. „Na, wie sieht’s aus? Willst du eine Revanche im Tor? Ein paar Elf Meter vielleicht?“, schlug er danach seinem dunkelhaarigen Freund vor. Yosukes Augen blitzten siegessicher auf. Das war eine Disziplin ganz nach seinem Geschmack, aber wenn es jemanden gab, der ihn darin schlagen konnte, dann war das sein ehemaliger Mannschaftskapitän. „Einverstanden.“ Er schlurfte los um den Fußball aus dem Tor zu klauben und warf ihn mit beiden Händen seinem Freund zu, der ihn ganz cool mit der Brust abfing und anschließend unter seinem rechten Fuß positionierte. Yosuke wischte sich mit dem Arm den Schweiß aus dem Gesicht und suchte zwischen den Pfosten nach dem richtigen Platz für seine Aufstellung. Kazuya war schnell und kräftig, er musste also vorher erahnen wohin der Stürmer schießen würde, sonst erreichte er den Ball niemals rechtzeitig. Sein Gegenspieler rollte das Leder zu dem richtigen Punkt vor das Tor, sodass die kleine Menschenmenge an der Seite leise vor Freude darüber jauchzte, dass wieder Spannung in das Spiel kam. Zum Glück war Publikum den beiden Spielern nicht fremd. Yosuke hatte sich kaum von den Zuschauern gelöst, als urplötzlich, wie aus dem Nichts, gefährlich surrend der Fußball auf ihn zugeschnellt kam. In letzter Sekunde packte der Torwart ihn mit beiden Händen, nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht. „Lass dich nicht ablenken, Fuma! Etwas mehr Konzentration!“, maßregelte ihn Kazuya streng. Unglaublich! Er spielte sich tatsächlich immer noch als Kapitän auf! Mit strengem Blick ließ der Braunhaarige den Ball fallen und trat ihn noch in der Luft zurück zu seinem Gegner. Funken sprühten aus ihren Augen, während sie sich über die elf Meter hinweg taxierten. Konzentriert veränderte Yosuke seine Haltung; stellte die Beine weiter auseinander, beugte sich weiter vor, hob die behandschuhten Hände rechts und links von sich hoch und wartete auf den nächsten Schuss. Eine Drehung von Kazuyas linkem Fuß verriet ihm in Sekundenbruchteilen, dass er mit rechts schießen würde. Während dieser also ausholte, verlagerte der Torwart bereits sein Gewicht und machte sich zum Absprung bereit. Es folgte ein dröhnender Schuss, ein Hechtsprung zwischen den Torpfosten und Jubel am Platzrand. Yosuke hatte auch diesen haarscharfen Schuss gehalten und landete gerade wieder federnd auf seinen Füßen. Triumphierend hielt er den Ball in die Höhe. „Gut gemacht. Und jetzt machen wir bitte ernst.“ Verdattert schaute Yosuke zu Kazuya hinüber. Wie hatte er das gemeint, dass sie jetzt ernst machen sollten? War das eben etwa noch nichts gewesen? Er warf den Ball zurück und flitzte auf seinen Platz. Der Blonde war wie ausgewechselt, sein Gesichtsausdruck war hart und durchdringend. Er holte Anlauf, lief wendig im Zickzack und schoss schließlich mit so einer Wucht, dass der Dunkelhaarige nur noch raten konnte, woher der Ball kam. Dieser rotierte im Netz, noch ehe Yosuke abgesprungen war, um ihn abzublocken. Schockiert starrte er mit seinen hellbraunen Augen auf den aus dem Netz kullernden Fußball. »Das war der Wahnsinn! Ich konnte unmöglich voraussehen, von wo der Schuss kommen würde! Das war Profiliga-Niveau!« Es war kein Wunder, dass man Kazuya Yanagiba wollte; er hatte das Zeug dazu später in der Nationalmannschaft zu spielen. In Yosuke kribbelte alles vor Aufregung, denn das war genau das, was er auch wollte. Er wollte genau so spielen und nicht nur zum reinen Vergnügen! Die Ernüchterung traf ihn hart, als er daran dachte, dass er es sich nicht erlauben konnte von einer Fußballkarriere zu träumen. Vor ein paar Wochen noch war ihm nicht klar gewesen, was aus ihm werden sollte, denn ihn beschäftigten andere Dinge… und nun, wo ihm bewusst wurde wie ernst es ihm mit seinem Hobby war, war diese Option gesperrt. Plötzlich frustriert, schoss er den Ball ziellos in Kazuyas Richtung und verließ sein Tor. Er zog sich im Gehen die Handschuhe aus und steuerte seine Tasche an, in die er sie verschwinden ließ. „Hey Yosuke, was ist los?“, fragte ihn sein Freund, der perplex zu ihm rüber joggte. „Nichts, ich will nur nicht mehr spielen.“, entgegnete er ohne aufzusehen und labte sich an seiner mitgebrachten Wasserflasche. Kazuya blickte schweigend auf ihn hinab. Er konnte nur erahnen, dass der Torwart nicht wegen dieser einen, kleinen Niederlage auf ein Mal so missmutig gestimmt war. Die Zuschauer in ihrer Nähe nuschelten irritiert, was ihn aufhorchen ließ. Er blickte kopfschüttelnd in ihre Richtung. „Entschuldigen Sie, aber ich glaube, heute gibt es nichts mehr zu sehen. Wir sind hier fertig.“, vertröstete der Blonde sie wie gewohnt unglaublich höflich. Die Menschentraube löste sich nach anfänglichem Zögern enttäuscht auf und jeder ging wieder seine eigenen Wege. „Was ist los?“, fragte er erneut an Yosuke gewandt, diesmal ruhiger und ernster. „Ich sagte doch schon, mir ist die Lust vergangen.“ „Nun, das sehe ich… aber das hat nichts mit meinem Treffer zu tun, oder?“ Verblüfft sah der Dunkelhaarige zu ihm auf. Statt darauf mit Worten einzugehen, hielt Kazuya ihm die ausgestreckte Hand hin. „Wenn du nicht mehr spielen willst, lass uns reden. Ok?“ Yosuke runzelte die Stirn, nickte dann aber und ergriff die aufhelfende Hand seines Freundes. Nachdem sich die Beiden an einem öffentlichen Trinkbrunnen erfrischt hatten, nahmen sie eine der freistehenden Parkbänke für sich ein, von der aus sie den Springbrunnen des Parks im Auge hatten. Es war ein angenehmes, ruhiges Plätzchen im Schatten. Perfekt zum Verschnaufen und zum Reden. „Nun erzähl mal, was beschäftigt dich denn so, dass es dir sogar die Laune beim Fußball verdirbt?“ Yosuke streckte sich und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Es gab so vieles, was ihm im Moment die Laune verdarb. Wo sollte er anfangen? Vor allem ohne seinen besten Freund völlig zu schockieren? Er warf ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu und traf auf eine gefasste, erwartungsvolle Miene. Er musste sich jemanden anvertrauen und Kazuya war der anständigste, intelligenteste Mensch, den er kannte. Wenn er es ihm nicht sagen konnte, dann niemandem. „Es geht um Hiromi und mich.“, fing er schließlich mit einem schwermütigen Seufzen an. Der Blonde nickte stumm und wartete weiter. „Das wird jetzt etwas kompliziert… bitte hör mich bis zum Ende an, ehe du mich verurteilst.“ Insgeheim schluckte Kazuya, denn einen Teil der Geschichte war er sich sicher bereits zu kennen, doch er ließ sich nichts anmerken. „Okay.“, antwortete er ruhig, „Es ist so… wir leben eigentlich schon eine sehr lange Zeit nur nebeneinander her, statt miteinander. Wir unternehmen zwar fast alles gemeinsam, aber es hat mich schon lange nicht mehr glücklich gemacht, sie um mich zu haben. Bisher hatte ich das verdrängt, weil ich dachte, das ist der Trott des Alltags und der Schulstress…“ Yosuke machte eine Pause, in der er sich nach vorne lehnte und sich mit den Unterarmen auf seinen Schenkeln abstützte. „Aber dann habe ich jemanden kennengelernt, der mich wieder daran erinnert hat, wie viel Spaß ich früher immer hatte. Mit dir, unserer Mannschaft, unseren Freunden.“ Sein Gesprächspartner runzelte konzentriert die Stirn, schwieg aber weiterhin. „Ich sah diese Person immer öfter und fühlte mich von mal zu mal lebendiger und gleichzeitig einsamer als zuvor, denn ich erkannte, dass ich mich nach anderen Dingen sehnte und nichts mehr für Hiromi empfand.“, endete der Dunkelhaarige und sah Kazuya ernst an. „Daraufhin beschloss ich, dass ich mit ihr Schluss machen musste, doch es kam alles anders… Gerade als ich es ihr sagte, eröffnete sie mir, dass sie schwanger ist.“ Yosuke atmete tief ein und wartete gespannt auf Kazuyas Reaktion zu dieser Offenbarung. Sein grauäugiges Gegenüber blinzelte mehrmals unsicher. Er war schockiert das Gerücht von Yuri tatsächlich aus dem Munde des Torwart bestätigt zu bekommen, doch gleichzeitig war es keine wirkliche Überraschung mehr. So gut lügen konnte er dann doch nicht, dass er ihm den völlig Überrumpelten vorspielen konnte. „Dann stimmt es also?“, hinterfragte er möglichst gefasst. Der Dunkelhaarige sah ihn zunächst verwundert an, zog dann aber sogleich skeptisch seine Augenbrauen zusammen. „Du wusstest es schon?“, presste er zwischen seinen Lippen hervor. Es war eine eher rhetorische Frage. „Ehrlich gesagt, ja.“, gab Kazuya schuldbewusst zu. „Aber woher? Ach… natürlich, von Yuri. Momoko hat es also herumerzählt.“, wurde ihm bitter klar. Schmallippig verlor er sofort die Lust dieses Gespräch fortzuführen, gekränkt griff er nach seiner Tasche und wollte aufstehen, doch sein ehemaliger Kapitän hielt ihn am Arm zurück. „Jetzt bleib doch hier und lass uns weiter reden!“, forderte er ihn streng auf. „Wozu? Du, Yuri, Hinagiku und wer weiß ich nicht noch alles – ihr seid doch wahrscheinlich alle bestens im Bilde. Also wozu dieses scheinheilige Verhör?“ Kazuyas Griff um seinem Arm wurde fester und sein Blick ernster. „Ich bin nicht hier, um dich zu verhören! Und wenn ich komplett im Bilde wäre, würde ich nicht fragen!“ „Warum hast du mir dann vorgespielt, du wüsstest nicht, was mit mir los ist?“ „Weil ich wollte, dass du dich von dir aus mir anvertraust. Sollte ich dich etwa direkt beim Hallo mit den neusten Entwicklungen aus deinem Leben konfrontieren? Du hättest doch sofort dicht gemacht und wärst gegangen!“ Yosuke schnaubte und setzte sich wieder, sodass Kazuya ihn los ließ. Ungern gab er zu, dass der Größere damit wahrscheinlich Recht hatte. „Na schön… also wieso dieses Treffen und dieses Gespräch?“, fragte er mit leicht genervtem Unterton. „Um ehrlich zu sein bin ich in Yuris Auftrag hier. Sie macht sich Sorgen um Momoko und alles was sie weiß ist wohl, dass du ein Grund dafür bist.“ Das er gezwungen war wieder an sie zu denken, belastete ihn. Nur allzu oft verfolgten ihn ihre blauen Augen, die ihn tief bestürzt und verletzt angeblickt hatten, in den dunklen, einsamen Nächten auf seiner Couch. Sein schlechtes Gewissen musste ihn nicht auch noch tagsüber quälen. Beschämt schaute er auf seine Hände, die er zwischen seinen Knien immer wieder ver- und entschränkte. Wenn Yuri ihren Freund vorschickte, weil sie sich sorgte, musste es um die Blauäugige schlimm bestellt sein. „Wie geht es ihr?“, fragte er leise, sodass Kazuya ihn kaum verstand. „Ich weiß es nicht genau, aber Yuri sagte sie hätte geweint, als sie und Hinagiku kurz über dich gesprochen hatten, nachdem sie wohl nach einem entgleisten Date mit Takuro wieder zuhause aufgetaucht war.“ Dem Torwart wurde in diesem Augenblick bewusst, dass er gar nicht wusste, was aus dem Streber und Momoko geworden war, nachdem er mit ihr gebrochen hatte. Er hatte sich verboten über sie nachzudenken, auch wenn er sie trotzdem nicht vergessen konnte. „Sind sie… sind sie jetzt nicht mehr zusammen?“, hinterfragte er zögernd und versuchte dabei es eher gleichgültig klingen zu lassen. Seinem Gesprächspartner entging aber nicht, wie angespannt seine Augen hin und her huschten. „Doch. Soweit ich weiß, haben sie sich noch vor Ort versöhnt und sind seither inniger miteinander, als je zuvor. So zumindest Yuris Eindruck.“ Diese Antwort schlug tief in Yosukes Inneres ein. Takuro hatte sie also nicht verlassen. Natürlich nicht, er wäre ein Idiot, wenn er so ein Mädchen sausen lassen würde… und obwohl er hätte erleichtert sein müssen, das genau das eingetreten war, zu dem er sie an jenem Abend hatte bringen wollen, war er es nicht. Es ärgerte ihn zu hören, dass sie inniger miteinander umgingen, als vorher. „Na dann sollte es ihr doch wunderbar gehen! Also warum macht ihr euch dann Sorgen um sie?“, entgegnete er eine Spur zu herablassend. Kazuya runzelte die Stirn. „Kannst du sie wirklich so wenig ausstehen? Was hat sie dir denn getan, dass du an diesem Abend so hässlich zu ihr warst? Ich war mir sicher, dass das nicht zu dir passt, nachdem ich es von Yuri gehört hatte, aber jetzt, wo du hier neben mir sitzt und diesen Tonfall anschlägst… da bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Yosuke erwiderte seinen Blick erschrocken. „Ich dachte, Momoko hat nichts weiter erzählt?“ „Ihr wart wohl kurzfristig befreundet und aus irgendeinem Grund war Momoko an dem Abend bei dir, wo du ihr dann das von der Schwangerschaft erzählt hast. Danach sollst du ihr auf sehr gemeine, unmissverständliche Weise klar gemacht haben, dass eure Freundschaft wieder beendet ist. Mehr hat sie im Großen und Ganzen nicht gesagt.“ Es entstand eine bedeutungsvolle Pause. „Erklärst du es mir, Yosuke?“, bat der Stürmer seinen Freund milde klingend. „Da gibt es nichts zu erklären. Es ist so, wie sie gesagt hat.“, antwortete er kühl. „Das glaube ich nicht. Sie ist doch diese Person, von der du gesprochen hast? Die du getroffen hast und durch die du dich wieder lebendig gefühlt hast?“ Yosuke schluckte und wand seinen Blick ab. Abstreiten war wohl sinnlos. „Ja…“ „Wie kann sie auf der einen Seite jemand sein, der anscheinend etwas von dir so berührt hat, dass du deine Lebensweise deswegen verändern und mit ihr befreundet sein wolltest und auf der anderen Seite gleichzeitig die, die du am allermeisten aus deinem Leben ausschließen willst?“ Der Braunhaarige biss sich fest auf die Unterlippe, denn er wusste nicht, wie er das erklären sollte. „War es nur, weil Hiromi schwanger ist und sie vor Eifersucht überschäumen würde, wenn ihr Freunde wärt?“, versuchte Kazuya seinem Freund auf die Sprünge zu helfen. Eilig nickte Yosuke dazu, obwohl sein Ausdruck nicht erleichtert schien. Sein Gegenüber musterte ihn eingehend. „Wirklich? Für mich fühlt sich das nämlich anders an.“ Der Torwart fühlte sich inzwischen tatsächlich verhört. Unter den Blicken seines Freundes wurde ihm ganz anders; nervöser Schweiß lief seinen Rücken hinunter und er fühlte sich sehr unbehaglich. „Es gibt keinen anderen Grund.“, bekräftigte er. Kazuyas helle Augen ließen sich nicht verunsichern. „Hast du dich in Momoko verliebt?“ Seine Frage kam unvermittelt. Yosuke spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich und seine Züge ihm entglitten. Die Sprachlosigkeit sollte Kazuya Antwort genug sein. „Ich wusste doch, dass das andere Szenario nicht zu dir passt.“, sagte er mit einer Spur Selbstzufriedenheit. Doch Yosuke fand in diesem Moment seine Fassung wieder und schüttelte energisch den Kopf. „Nein! So ist das nicht, es ist viel komplizierter! Ich habe dir doch ganz am Anfang schon gesagt, dass es eine schwierige Geschichte ist… und du mich nicht verurteilen sollst, ehe ich sie beendet habe.“ Jetzt war Kazuya doch wieder durcheinander, dabei war er sich sicher gewesen auf der richtigen Spur zu sein. „Na gut, dann erzähl. Ich höre zu.“ Yosuke sammelte sich und holte abermals tief Luft. „Es stimmt, sie war diejenige, mit der ich mich hin und wieder traf und wir haben uns angefreundet. Es war eine kurze, aber sehr schöne Zeit mit ihr, aber sie hat ein paar echt komplizierte, private Probleme… vordergründig hatte Takuro zum Beispiel etwas dagegen, dass wir uns sehen. Aber gerade weil wir beide ein paar Probleme in unseren Beziehungen hatten, haben wir uns wohl so gut verstanden. Sie ist auch ganz anders als Hiromi; herzlicher, ehrlicher, irgendwie lustiger…“ Kazuya zweifelte daran, dass die verwirrende Geschichte seines Freundes irgendwo anders enden konnte, als darin, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Immer mehr verengten sich seinen Augen zu prüfenden Schlitzen. „Jedenfalls entwickelte sich eine gewisse Anziehung zwischen uns, je mehr wir von unseren Partnern und Problemen gefrustet waren und über all das sprachen. Wenn ich ehrlich bin, fühlte ich mich von ihr schon seit dem Klassentreffen angezogen, aber nicht auf romantische Weise.“ »Oh Gott!«, schoss es dem Blonden durch den Kopf und er riss die Augen auf. „Willst du mir weiß machen, ihr hattet was miteinander?!“, schlussfolgerte er ernsthaft schockiert. Yosuke versuchte sein aufgeregtes Herz zu beruhigen, das sein Blut verräterisch in sein ohnehin überhitztes Gesicht pumpte. Er schluckte. „Ja, ein Mal… leider.“ Fassungslos vergrub Kazuya sein Gesicht in seinen Händen und stöhnte langgezogen. „Das glaube ich nicht… das macht mich sprachlos!“ Seine grauen Augen musterten den jüngeren Torwart eingehend, doch dessen Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel an der Echtheit seiner Worte. „Aber warum?! Sie ist verlobt, du hast eine Freundin… ich verstehe das nicht. Euch beide nicht. Ich hätte das keinem von euch beiden zugetraut!“ „Glaub mir, wir uns auch nicht. Das war ganz sicher nicht geplant.“ „Na das hoffe ich doch! Ich falle sonst vom Glauben ab… aber warum?!“, bohrte der Stürmer weiter. „Ich sagte doch schon, es ist kompliziert… da kam eins zum anderen.“ Der Blonde schnaubte resignierend. „Yosuke, ich kann es nicht verstehen, wenn du mir nicht alles erzählst. Ich habe Zeit, erkläre es mir. Es kann unmöglich so kompliziert sein, dass ich es nicht verstehe.“ Er rang sich ein ermutigendes Lächeln ab. Der Braunhaarige war schon immer etwas verschlossen, wenn er Probleme hatte. Zu Kazuyas Glück lehnte sich Yosuke zurück und setzte zu einer langen, ausführlichen Erklärung an. Kapitel 29: Hidden memories --------------------------- Die Abendsonne tauchte den Himmel längst in orange-rotes Licht, als Yosuke zu Ende erzählt hatte. Geduldig hatte er seinem Freund jede seiner Fragen beantwortet und so gut es ging erklärt, wie er sich stets in den letzten Wochen und in den Momenten mit und ohne Momoko gefühlt hatte. Für sie konnte er nicht sprechen, aber er hoffte, seine Sicht der Dinge würde Kazuya genügen. Dieser sah aus, als hätte er einen äußerst schwierigen und langen Vortrag über Geschichte oder Politik hinter sich. Auf seiner Stirn zeichneten sich nachdenkliche Fältchen ab. „Ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass ich es verstehe, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Fragen tauchen auf.“ Yosuke stöhnte. „Dann frag...“ Doch der Blonde schüttelte nur langsam den Kopf. „Meine Fragen machen es auch nicht mehr ungeschehen, was zwischen euch passiert ist. Aber eine habe ich doch noch. Wie soll es weitergehen? Mit dir und Hiromi meine ich, beziehungsweise mit eurer Zukunft?“ „Tse… wenn ich das wüsste… Ich weiß nur, dass ich mir die Uni abschminken kann. Hiromi sieht alles durch ihre rosarote Brille. Sie will mitten im Abschlussjahr unterbrechen und das Kind am liebsten bei ihren Verwandten, die ländlich wohnen, aufziehen, bevor sie sich Gedanken um den Abschluss und weitere Ausbildungen macht. Ich habe gar keine andere Wahl als so bald wie möglich irgendeinen oder irgendwelche Jobs anzunehmen, damit ich sie und das Baby versorgen kann. Das war’s dann wohl mit Fußball; sowohl als Hobby, als auch als Karriere. Meine Mutter wird nicht begeistert sein und ich… ich hätte mir das alles einfach nur anders gewünscht.“ Die beiden jungen Männer schwiegen und hörten für eine Weile nur dem Plätschern des Springbrunnens und dem Abendgesang der Vögel zu. „Das muss hart für dich sein, aber ich bin stolz auf dich, dass du zu dem Kind stehen willst.“, versuchte Kazuya ihn aufzubauen. „Kein Kind verdient es ignoriert zu werden, nur weil es einem nicht ins Leben passt.“ Sein verbitterter Unterton war nicht zu überhören. Sein ehemaliger Kapitän verstand sofort, dass das eine Anspielung auf seinen eigenen Vater war. „Bist du deswegen so schlecht drauf? Weil du deine Wunschzukunft verbaut siehst? Oder weil du glaubst, du bist Hiromi nun auf ewig verpflichtet?“ Yosuke wusste darauf keine Antwort, er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Egal, das spielt alles keine Rolle mehr. Ich muss tun, was ich tun muss.“ Sein Blick driftete in die Ferne und bekam einen wehmütigen, sehnsuchtsvollen Blick. Kazuya verstand nicht viel von den Problemen, die den Dunkelhaarigen quälten, aber er erkannte in seinem Gesichtsausdruck sehr viel von dem Schmerz, den nur ein Herz verursachen konnte. „Sie fehlt dir.“, stellte er fest. Verdutzt blinzelte Yosuke sich aus seinem kurzen Tagtraum heraus. „Was? Wer? Hiromi?“ Sein Gesprächspartner konnte sich ein kurzes, leises Auflachen nicht verkneifen. „Nein, Momoko natürlich.“, erwiderte er ganz selbstverständlich. Yosukes braungrüne Augen blitzten ertappt auf. „Blödsinn. Ich bin froh, dass es vorbei ist! Wir sind ohne einander besser dran. Du hast ja gehört was passiert, wenn wir zusammen sind. Wir stürzen nur von einem Extrem ins Nächste. Wir tun uns gegenseitig nicht gut, unsere Leben sind auch so verzwickt genug.“, dementierte er betont gelassen. Dem hochgewachsenen Fußballspieler dämmerte so langsam, warum sein Freund das junge Mädchen wirklich so harsch behandelt und aus seinem Leben verbannt hatte. Das war nämlich das Einzige, worüber Yosuke ihn in seiner Erzählung im Dunkeln gelassen hatte. Es war nicht etwa, weil sie ihn belastete und sein Leben noch schwieriger machte, was man hätte annehmen können. „Manchmal sehnen wir Menschen uns gerade nach den Dingen am meisten, die wir am wenigsten haben dürfen oder nicht haben können. Und manch anderes Mal verzichten wir still und heimlich auf unser eigenes Glück, um das von anderen nicht zu gefährden. Ist es nicht so?“ Verwirrt winkte Yosuke ab. Kazuya war schon immer der perfekte Gutmensch, doch seine prosaischen Worte waren nur Verschwendung an ihn. „Ich hab Scheiße gebaut. In mehreren Hinsichten und es fällt mir schwer, damit klarzukommen, aber da muss ich jetzt durch.“ Kazuya klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Hey… ich weiß, ich bin die meiste Zeit in Tokyo und dir in den letzten Monaten nicht der treuste Freund gewesen, aber du kannst dich trotzdem immer melden, wenn dir mal der Sinn nach einem guten Gespräch oder einem Fußballspiel steht, ok? Du musst dich nicht unter einem Berg grauer Gedanken vergraben und so tun, als müsstest du alle Probleme allein lösen.“ Der Torwart versuchte zu lächeln. Kazuyas Worte taten gut und er fühlte sich viel besser, seitdem er sich ihm anvertraut hatte, aber leider änderte das gar nichts an seinem schlechten Gewissen Momoko gegenüber. Und auch nichts daran, dass er mit einer Frau zusammenlebte, die er nicht liebte, eigentlich nicht mehr in seinem Leben haben wollte und außerdem ein Kind mit ihr erwartete. „Ich werde an dich denken, wenn etwas ist.“, versprach er trotzdem und lächelte schief. „Aber du darfst nichts von dem, was ich dir erzählt habe, Yuri weitergeben. Wenn Momoko nichts gesagt hat, dann wird sie ihre Gründe haben.“ Der Blonde ächzte unter der Last dieser Bitte. „Das wird nicht einfach… gerade weil sie sich erhofft hat, dass ich aus dir mehr heraus bekomme, als sie aus Momoko.“ „Tut mir echt leid, aber wenn du mein Freund bist, dann musst du mir das versprechen.“, bat er ernst. Natürlich nickte Kazuya verstehend. Wäre er an seiner Stelle, würde er das genauso erwarten. Es war eine Sache zwischen den Beiden, die ihn und die Freundinnen der Rosahaarigen nichts anging. So schwer das auch war. „Ich danke dir. Lass uns langsam gehen, es wird bald dunkel und Yuri will doch bestimmt auch noch ein paar Stunden was von dir.“, bemerkte Yosuke besonders verlockend betont. Kazuya erwiderte sein Grinsen lachend. „Was soll das heißen, du hast nichts aus ihm heraus bekommen?!“ Verärgert verschränkte die Brünette ihre Arme und fuhr herum, um in ihrem feminin eingerichteten Zimmer aufgebracht auf und ab zu laufen. Etwas verloren stand Kazuya im Türrahmen. Eben noch hatte ihn seine Freundin verliebt umschlungen und begrüßt, doch die Stimmung war schlagartig gekippt. „Yuri, ich kann doch nichts dafür. Yosuke konnte mir auch nicht sagen, was mit Momoko los ist. Er hat nur bestätigt, dass sie beide befreundet waren und Hiromi von ihm schwanger ist.“, versuchte er ihr beschwichtigend zu erklären. „Und du hast auch wirklich richtig nachgehakt?“ „Ich befürchte, mir fehlen deine journalistischen Fähigkeiten, aber ich habe mein Bestes gegeben.“, versicherte er ihr mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen. Yuri stieß einen unzufriedenen Laut aus, der eine Mischung aus Knurren und Quietschen war und ließ sich dann auf ihr Bett fallen, auf dessen Bettkante sie sitzen blieb und nachdenklich Löcher in den Teppichboden starrte. „Du hast nicht einen Hinweis, warum Yosuke so ein Ekel zu ihr war und sie nicht mehr sehen möchte?“ „Er hat es mit Hiromis Eifersucht gerechtfertigt.“ „Pha!“, rief die junge Frau höhnisch aus. „Das würde zu ihr passen… aber ich glaube nicht, dass das alles ist.“ Sie scharrte mit ihrem rechten Fuß auf dem Boden herum. Kazuya musste lächeln und setzte sich zu ihr. Mit seiner linken Hand schob er ihr langes, lockiges Haar von ihrer Schulter und massierte ein wenig ihren Nacken. Ein bisschen tat es ihm leid, dass er seiner Freundin nicht erzählen konnte, dass ihre Freundin und Yosuke einen One-Night-Stand hatten, der es ihnen unmöglich machte neben ihren derzeitigen Beziehungen weiterhin befreundet zu bleiben. „Liebling, vielleicht solltest du die Sache ruhen lassen? Sei einfach für Momoko da, wenn sie dich braucht. Sie wird schon ihre Gründe haben, falls sie mit etwas hinter dem Berg hält.“ „Aber genau das ist es ja! Ich kann gar nicht mehr so für sie da sein, wie früher, wenn sie mich ausschließt… Und sie hat immer einen Grund, wenn sie etwas verheimlicht und das ist meistens nichts Gutes.“, jammerte sie bedrückt und lehnte sich an seine Schulter. Zärtlich streichelte er ihren linken Oberarm. „Das weißt du doch gar nicht.“ „Ich weiß, dass sie mit diesem Takuro zusammen ist, obwohl sie ihn gar nicht liebt und im Begriff ist ihn zu heiraten und das alles für ihren Vater. Ich weiß außerdem, dass sie sich verändert hat und sich merkwürdig verhält. So gleichgültig dem Ganzen gegenüber… und sie hat der Liebe abgeschworen! Verstehst du? Die Momoko von früher war hoffnungslos romantisch und träumte von ihrem Traumprinzen.“ Der Blonde kicherte leise. „Oh ja, ich erinnere mich lebhaft daran! Aber so weit ich weiß, traf das nicht nur auf Momoko zu.“, zog er sie auf. Yuri schaute mit geröteten Wangen aus ihren grünen Augen zu ihm auf. „Nun… ich habe meinen Prinzen gefunden…“, hauchte sie verlegen und schmiegte sich noch etwas enger an ihn. Kazuya zog sie zusätzlich an sich und vergrub seine Nase in ihrem braunen Haar. Er dachte nach; alles was ihre jüngere Freundin und die arrangierte Eheschließung betraf, war natürlich harter Tobak. Und da er nun auch wusste, dass Yosuke ebenfalls ein schwieriges Päckchen, von dem niemand etwas wissen sollte, mit sich herum trug, verstand er Yuris Sorgen umso mehr. Beide Freunde waren irgendwie hilflos und verloren. Man konnte ihnen als Außenstehender nicht wirklich helfen. „Vielleicht können sich die Zwei nur gegenseitig helfen.“, dachte er laut. Yuri rückte von ihm ab, um ihn besser ansehen zu können. „Wie meinst du das?“ „Ach… ich dachte nur gerade, wenn sie uns bisher ausgeschlossen haben, aber gleichzeitig in der Lage waren miteinander Frieden zu schließen und sich anzufreunden, dann muss es ja etwas geben, das die Beiden besonders verbindet. Etwas, das wir ihnen nicht bieten können.“ „Ich kann dir nicht folgen. Sie haben sich doch gerade erst heftig zerstritten. Yosuke hat Momoko fort gejagt wie einen räudigen Hund!“, erinnerte die Dunkelhaarige ihn entrüstet. „Aber denk doch mal nach, unter welchen Umständen das gewesen ist.“ Das tat Yuri. Immer und immer wieder und nicht erst seit jetzt, sondern schon seit vielen Tagen. Fragend erwiderte sie den erwartungsvollen Blick ihres Freundes. „Momoko war auf der Flucht vor ihrem vermeintlich aufdringlichen Verlobten und Yosuke hat erfahren, dass er ein Kind mit der Frau bekommt, mit der er Schluss machen wollte.“ Kazuya nickte. „Wonach klingt das für dich?“ „Willst du meine ganzen wilden Theorien hören oder das, was mein allererstes Bauchgefühl war?“ „Beginnen wir mit deinem Bauchgefühl.“, scherzte er. „Ich hatte den Verdacht, dass Momoko sich in ihn verliebt hat.“ Ihr Freund lächelte abermals, es war eine wohltuende Bestätigung zu hören, dass er mit seinem leisen Verdacht nicht alleine war. „Diesen Gedanken hatte ich auch.“ „Lass mich raten; Yosuke streitet es genauso ab wie sie?“ Der Fußballspieler rollte insgeheim stöhnend mit den Augen, denn anders als sie wusste er ja, dass Yosuke wohl nichts Romantisches für Momoko empfand, dafür aber eine andere Art der Anziehung. Das musste aber nicht bedeuten, dass es der jungen Frau auch so ging. „Darüber haben wir nicht geredet.“, log er in der Not deswegen knapp. „Stellen wir uns aber nun mal vor, wir wären beide an ihren Plätzen. Welchen Grund könnte Yosuke also an diesem Abend für sein Verhalten gehabt haben?“ In Yuris schlauem Kopf begann es zu rattern. Als ihr ein Licht aufging weiteten sich ihre Augen zusehends. „Er wollte sie schützen! Davor etwas zu tun, was sie bereuen würde!“ „Genau, das denke ich auch. Selbst wenn er nichts für sie empfindet, er wusste wahrscheinlich genau, was es sie kosten würde, wenn Takuro mitbekommen hätte, dass sie bei ihm ist.“ „Und mit Hiromi ist es genau Dasselbe! Wer weiß, was sie getan hätte in ihrem Zustand…“, ergänzte Yuri aufgeregt. „Und wenn wir davon ausgehen, dass Momoko wirklich dabei war sich in Yosuke zu verlieben, hätte er ihr auf keinen Fall Hoffnungen machen dürfen. So oder so wäre also was das Beste?“ „Das er sie dazu bringt ihn zu hassen, damit sie sich wieder ihrem eigenen Leben zuwendet.“ Yuri war mit einem Mal alles so klar, dass sich die Puzzleteile in ihrem Kopf von ganz allein endlich richtig anordneten. Ihre Freundin war immer hartnäckig und romantisch gewesen, wenn an Kazuyas und ihrer Theorie etwas dran war, dann hätte sie sich niemals von einer einfachen Kontakteinschränkung abhalten lassen. „Dann hat sie also deswegen geweint… weil er sie abgewiesen hat…“, sinnierte sie flüsternd weiter. Der Blonde schluckte, es war besser Yuri glaubte das, als dass sie erfuhr, dass Momoko in Wahrheit deswegen so am Boden zerstört war, weil sie sich von Yosuke ausgenutzt und um ihre Jungfräulichkeit betrogen fühlte. Sonst würde die sonst so zahme Brünette in dieser Nacht noch wahrscheinlich einen Mord an dem Torwart begehen. Yosukes Beweggründe blieben ja trotzdem Dieselben, deswegen musste er nicht das moralische Weltbild seiner Freundin zerstören. „Wir müssen etwas tun!“, beschloss Yuri plötzlich euphorisch. „Was?“, hinterfragte er perplex. „Die Zwei müssen sich miteinander aussprechen! Du glaubst doch nicht, dass ich weiter zusehe, wie sich meine beste Freundin selbst aufgibt und diesen Trottel heiratet?“ „Aber Yuri! Yosuke hat sich so oder so für Hiromi entschieden!“, warf er erschrocken ein. Um Himmels Willen! Niemals wollte er seine bessere Hälfte dazu ermutigen Amor zu spielen und sich weiter in die Angelegenheiten ihrer Freunde einzumischen! Aber sie machte nur eine wegwerfende Handbewegung. „Papperlapapp! Doch garantiert nur aus Pflichtgefühl dem Baby gegenüber! Wir leben in einer modernen Welt, in der es sich nicht gegenseitig ausschließt Vater zu sein und trotzdem ein Leben mit einer anderen Frau an seiner Seite zu haben!“ Kazuya schüttelte energisch den Kopf, den er verlieren würde, wenn Yosuke davon Wind bekam. „Wir sollten uns da raus halten! Ich fände es nicht gut, wenn wir uns da einmischen würden…“ „Alles was wir tun müssen, ist die Beiden irgendwie zusammenzuführen. Den Rest machen sie dann hoffentlich selbst.“ Dem Blonden schwante, dass das eine lange Nacht voller langwieriger Gespräche und Diskussionen werden würde… ~*~ Seine langen, schlanken Finger glitten von ihren Wangen hinunter zu der Kuhle unter ihren Ohren, ehe sie weiter ihren Hals hinabwanderten. Seine Handflächen, die einen Moment lang auf ihren Schlüsselbeinen auflagen, waren heiß vor Aufregung. Seine Lippen bedrängten ihre anders als sonst; herausfordernd und sehnsuchtsvoll. Wieder gingen seine Hände auf Wanderschaft und streichelten nun ihre nackten Schultern und Oberarme. Seine Fingerkuppen berührten ihre Haut so flüchtig, dass es sie fast ein wenig kitzelt. Ihre feinen Härchen stellten sich zu einer Gänsehaut auf. Als sich sein Mund einen Augenblick lang von ihrem löste, um ihnen beiden Luft zum Atmen zu verschaffen, hörte sie ein leises, kehliges Raunen. Er rückte näher, zog sie an den Armen noch mehr zu sich, vertiefte ihren neuerlichen Kuss seufzend. Die Hitze seines Verlangens schlug auf sie über, doch er vermochte kein Feuer in ihr auszulösen. Momoko öffnete ihre Augen, als seine rechte Hand zu ihrem linken Oberschenkel gewandert war und ihn beherzt massierte. Anders als sonst war das kein Traum, sie erlebte tatsächlich, wie sich Takuro ihr eindeutig unmissverständlich näherte. Seine Zähne strichen vorsichtig über ihre Unterlippe, doch dann bemerkte er, dass sie nicht mehr bei der Sache war. Seine rotbraunen Augen suchten ihre. „Stimmt etwas nicht?“, flüsterte er ihr zu und drückte noch mal zärtlich ihren Schenkel. „Es ist schon spät.“, antwortete sie leise. „Wir müssen morgen früh beide wieder in die Schule.“ Takuros enttäuschten Blick ignorierend, rückte sie etwas von ihm ab und schaffte so wieder eine gewisse Distanz zwischen sich. Beschäftigt richtete sie sich ihren dicken, geflochtenen Zopf und das grüne Trägertop, das sie trug. Ihr Freund sah ihr dabei zu und versuchte, wenn auch ungern, sein in Wallung geratenes Blut wieder runterzukühlen. „Bitte bleib über Nacht.“, bat er sie und rückte ihr auf dem Sofa wieder näher. Die junge Frau war an diesem Abend ausnahmsweise nach der Arbeit mit zu ihm nachhause gefahren, beziehungsweise in das Anwesen seiner Verwandten aus Amerika, die es im Moment nicht bewohnten. Takuro war dort vor Kurzem eingezogen, weil sie im Ausland waren und sich so einen Haussitter sparen konnten. Er hatte es sich nicht nehmen lassen wollen, ihr seine neue Bleibe, die nichts gemein hatte mit der kleinen, bescheidenden Mietwohnung seiner Eltern, selbst vorzuführen. Es war ein altes Herrenhaus im Jugendstil, das am Rande ihrer Stadt lag und von hohen Hecken und noch höheren Zäunen umgeben war. Seine Fassade war ganz weiß, die Räume großzügig geschnitten, mit hohen Decken, edlen Holzböden und hellen, verschnörkelten Wandbelägen. Die Decken verzierte, in den größten Räumen, wie der riesigen Eingangshalle, feinster Stuck und überschwänglich große Kronleuchter, die ihr Licht wie von Diamanten gebrochen überall hin streuten, ohne dabei grell zu wirken. Es war nicht Takuros Villa, aber er ging mit ihrer Luxuriösität und all ihren Annehmlichkeiten so um, als wäre all das selbstverständlich. Momoko fasste das als neuerliche Demonstration dessen auf, was er sich gemeinsam mit ihr aufbauen würde, wenn er später in der Firma seiner Verwandten arbeitete. Eigentlich hatte sie gehofft, sie wären über diesen Punkt inzwischen hinaus, doch vielleicht konnte der verborgene, unsichere Teil des Schwarzhaarigen einfach nicht anders. Nach einem ausgiebigen Rundgang durch die unzähligen Zimmer, von denen sie sich vorrangig die Toiletten gemerkt hatte, die sie gewiss hin und wieder brauchen würde, hatten sie gemeinsam zu Abend gegessen. Ihren Nachtisch hatten sie in dem im Keller liegenden, großen Heimkino des Hauses eingenommen. Dort stand eine ausladende, dunkle Ledercouch, auf der sie sich nun im Abspann des Filmes näher gekommen waren. „Über Nacht? Das geht doch nicht, ich habe keine Wäsche bei, geschweige denn meine Schuluniform oder Bücher.“, bemerkte sie und versuchte es natürlich und amüsiert klingen zu lassen. Momoko spürte seinen unzufriedenen Blick auf ihrer Haut Kribbeln, während sie den Knoten ihres Zopfes fester zog. „Bleib. Ich kann dich morgen früh an deinem Haus vorbeifahren lassen, dann kannst du dich noch umziehen und deine Schulsachen holen.“ Es ließ sich nicht länger vermeiden ihn anzusehen. Wie erwartet verriet seine ganze Körpersprache, wie sehr er wollte, dass sie blieb. Seine Berührungen waren unmissverständlich genug gewesen. Ihr etwas verunglücktes Date lag nun schon zwei Wochen zurück. Seither hatte sich Momoko die allergrößte Mühe gegeben, Takuro eine gute Verlobte zu sein. Sie lächelte stets für ihn, lachte über seine Witze, traf sich mit ihm, wenn er es wollte, errötete unter seinen Komplimenten und strahlte vor Freude, wenn er sie von Arbeit abholte. Sie ließ ihn außerdem widerstandslos ihre Hand halten oder sie umarmen und erwiderte seine Küsse. Die junge Frau war wirklich sehr bemüht und aufmerksam, damit Takuro glücklich war und ihr glaubte, dass sie ihm ehrlich zugetan war und auch jeder Außenstehende nahm ihnen inzwischen das glückliche Paar ab. Nur sie selbst wusste es besser. Egal was sie oder er tat, es fühlte sich nie natürlich an. Zu jeder Zeit in seiner Nähe ertappte sie sich dabei, wie kontrolliert sie mit ihrer Mimik und Körpersprache umging oder wie sie redete. „Du weißt doch, ich bin ein Langschläfer.“, scherzte sie lächelnd. „Ich würde mich wohler in meinem eigenen Bett fühlen, wo ich alles um mich habe, das ich brauche.“, ergänzte sie. Die Rosahaarige stand auf und Takuro tat es ihr sofort nach, aber nur, um sie an ihrem Arm zurückzuhalten und zu sich herumzudrehen. „Ich möchte so gern, dass du bleibst.“, raunte er ihr entgegen, seine Stirn an ihre gelehnt. Er gab ihr keine Möglichkeit zu antworten, denn er erstickte jedweden Laut mit einem weiteren Kuss. Erschrocken spürte Momoko seine begierige Zunge in ihren Mund gleiten und verspannte sich unwillkürlich. Nach dem ersten Schrecken ließ sie seinen fordernden Kuss zunächst zu, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen, schob ihn an seiner flachen Brust dann aber doch entschieden ein Stück von sich weg. Er sah sie glühend, mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Ihr Herz rutschte ihr in die Hose, mit so viel Aufdringlichkeit hatte sie bei dem sonst eher vorsichtigen Takuro nicht an diesem Abend gerechnet. Eigentlich hatte sie diese Art von intimen Vorstößen bis zu ihrer Hochzeit gar nicht erwartet! Vielleicht war sie in den letzten Tagen und Wochen etwas zu freundlich zu ihm gewesen? Offensichtlich hatte sie ihn zu mehr ermutigt. „Ich kann nicht bleiben.“, antwortete sie ihm ganz ruhig und gefasst. Sie hoffte er merkte ihr nicht an, wie unwohl sie sich in seinem Klammergriff fühlte. Takuro seufzte schwer und senkte seinen Blick. „Ich möchte ein Mal nicht vernünftig sein und die Regeln gerne brechen.“ Momoko schluckte schwer. Das waren ja ganz neue Töne von dem einst so schüchternden Streber! Aber kein Wunder; er war schließlich nur ein Mann und sie hatte seine Libido ganz nebenher in Flammen gesetzt, obwohl sie erfahrungsgemäß hätte wissen müssen, dass es dazu manchmal viel weniger brauchte als einen Kuss, wenn der Partner einen anziehend fand. Sie runzelte die Stirn, als sie sich dabei erwischte, wie sie mal wieder an ihn dachte. Zu ihrem Leidwesen lies sich das nie ganz vermeiden, wenn sie mit Takuro zusammen war und Zärtlichkeiten mit ihm austauschte. Noch immer suchte sie in ihren gemeinsamen Berührungen nach dem Kribbeln, der Aufregung und Erregung, die sie damals empfunden hatte. Dieser Vergleich geschah nie bewusst, aber er war stets da und verfolgte sie. Bei jedem Date war es fast so, als wären sie zu dritt. „Das klingt süß und aufregend… aber ich fände es romantischer, wenn wir uns noch eine Weile an die Regeln halten würden.“, beschwor sie ihren Verlobten und leuchtete ihn aus ihren blauen Augen heraus an. Sie hoffte die darin versteckte Botschaft war eindeutig. Kein Sex; nicht jetzt, nicht hier, nicht heute! Schlimm genug, dass sich dieser andere Mistkerl schon wieder in ihre Gedanken gestohlen hatte und sich ohnehin, wenn auch imaginär, zwischen sie stellte. Momoko hatte sich damit abgefunden, dass sie sich wohl noch lange schuldig Takuro gegenüber fühlen würde, aber sie hasste es, dass sie die dauernden Vergleiche zwischen ihm und Yosuke nicht abstellen konnte! Ausgerechnet er, der sie so schändlich verraten und ausgenutzt hatte, hing wie ein Schatten an ihr. Es war wie ein Fluch. „Fühlst du dich bedrängt?“, riss sie ihr Gegenüber aus ihrem grimmigen Gedankenmonolog. Er fixierte sie und prüfte ihre Reaktionen. Zum Glück hatte sie mittlerweile gelernt ihre wahren Gefühle nicht sofort zu zeigen. Stattdessen rief sie sich in Erinnerung, wie sie möglichst verschüchtert aussah. Sofort ließ sie ihre Schultern etwas hängen, senkte den Blick und knabberte nervös auf ihrer Unterlippe herum. „Ich war darauf nicht vorbereitet…“, gab sie so verletzlich wie möglich vor. Unruhig verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und klimperte peinlich berührt mit den Wimpern. Momoko wusste gar nicht mehr wie es sich anfühlte, als sie noch Jungfrau gewesen war, aber so in etwa hätte sie wohl reagiert, wenn es noch der Fall wäre. Takuro reagierte zuverlässig vorhersehbar, entließ sie aus seiner Umarmung und räusperte sich lautstark. Wie sie zuvor prüfte er den Sitz seines Haares und zog seine gelockerte Krawatte wieder straff, während er sich wieder allmählich Contenance aneignete. „Wir haben ja noch alle Zeit der Welt für solche Dinge. Wenn du wie gehabt warten möchtest, dann warten wir.“ Sie lächelte ihn dankbar an; einen erleichterten Seufzer rang sie nieder, bevor er Fragen aufwarf, die sie nicht gewillt war zu beantworten. „Dann gehe ich jetzt nach Hause, bevor es zu spät wird und ich morgen dann verschlafe.“ „Ich kann dich bringen.“ „Nicht nötig, mit dem Bus ist es ja nicht weit und ich möchte nicht, dass deine schulischen Leistungen darunter leiden, wenn du wegen mir zu wenig Schlaf bekommst.“ Die Rosahaarige zwinkerte ihm dabei keck zu. Das und ihn bei seinem Ehrgeiz zu packen, war meistens die beste Methode ihren Willen unauffällig durchzusetzen. „Na schön, dann hole ich dich übermorgen wieder von der Arbeit ab?“ „So wie heute und jeden anderen, zweiten Tag in der Woche? Gern.“, scherzte sie weiter, sodass ihm ein Lächeln über das Gesicht huschte. „Sehr schön. Dann bringe ich dich wenigstens noch zur Tür.“ Der Schwarzhaarige ließ ihr, ganz der Gentleman, den Vortritt. Obwohl sie nur flache Schuhe ohne Absatz trug, hallten ihre Schritte durch das große Haus von den Wänden wider. Takuro hinter ihr sagte den ganzen Weg lang nichts, aber Momoko ahnte, dass er ihr womöglich auf den Hintern starrte. Heute trug sie nicht wie sooft sonst einen Rock oder ein Kleid, sondern eine hautenge, graue Used Look Röhrenjeans. Dagegen hatte ihr Top einen hohen Rundhalsausschnitt, der nicht dazu verleitete tief blicken zu lassen. Sie gab sich keine Mühe ihre Reize zu verstecken, denn sie fühlte sich der alten Momoko entwachsen. Dem Mädchen, das nur allzu romantisch dachte und immer naiv gehofft hatte, dass es keine Probleme gab, die sich nicht simpel lösen ließen. Dieser Teil von ihr war Vergangenheit, aber trotzdem übertrieb sie es nicht. Zwar hatte sie nichts mehr dagegen, dass Takuro ihre Nähe suchte und mehr wollte, aber sie konnte sich nicht fallen lassen, solange es sich noch so verkehrt anfühlte. Sie vermisste etwas, das tief in ihr schlummerte und was der Dunkelhaarige einfach nicht vermochte bei ihr zu entfachen; Leidenschaft. Endlich an der schweren Eingangstür angekommen, fuhr sie in einer schwungvollen Drehung herum und bekam tatsächlich noch mit, wie er seinen Blick wieder hob. „Also dann, Ta-kun. Es war ein wirklich schöner Abend mit dir.“, begann sie ihre Verabschiedung, als es in ihrer Handtasche plötzlich heftig zu summen begann. Sie und Takuro blickten gleichzeitig auf das rödelnde Accessoire. „Entschuldige, das ist mein Handy. Moment… es ist Yuri!“ Sie sah ihren Verlobten an und fragte stumm mit den Augen, ob sie den Anruf entgegen nehmen durfte. „Nur zu. Wenn sie zu so einer Uhrzeit anruft, ist es vielleicht wichtig.“ Dankbar nickend wischte Momoko über das Display und hielt sich das Telefon ans Ohr. „Hey Yuri, was ist denn los, dass du jetzt noch anrufst?... Was, ich? Ich bin unterwegs… Ach, du hast schon mal angerufen?“ Sie sah dabei ihren Verlobten an, der geduldig wartete. „Entschuldige, das habe ich nicht mitbekommen. Ich habe mit Takuro einen Film angesehen... Nein, schon gut. Du kannst schnell sagen, was du willst.“ Die junge Frau hörte eine Weile nur noch der Stimme am anderen Ende zu, machte hin und wieder ein überraschtes, nachdenkliches oder konzentriertes Gesicht. Schlussendlich sah sie wieder Takuro an. „Ob ich Lust habe am Wochenende mit dir und Hinagiku wegzugehen? In eine Tanzbar?“ Ihr Gegenüber verfinsterte augenblicklich seine Miene. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das was für mich ist…“, schob sie in Rücksicht auf ihren offensichtlich missgestimmten Verlobten vor. „Ja ich weiß, wir wollten mal wieder was zusammen unternehmen… Was ist das denn für ein Laden?... Verstehe… Ach, Kazuya kommt auch mit?... Als Aufpasser, gute Idee.“ Den Schwarzhaarigen schien ein männlicher Begleiter als Bodyguard nicht milder zu stimmen, aber er schüttelte weder den Kopf, noch tat er irgendetwas anderes, außer verdrießlich zu schauen. Momoko haderte mit sich, was sie ihrer Freundin nun antworten sollte. „Na gut, wenn Kazuya und Hinagiku dabei sind, kann ja eigentlich nichts passieren… Ja, wird bestimmt lustig. Ich komme mit… Ok, wir telefonieren morgen noch mal, ja?... Ciao, Yuri.“, beendete die Blauäugige das Telefonat und steckte ihr Handy wieder weg. „Du willst mit ihnen in eine Disco gehen?“, meldete sich Takuro mürrisch zu Wort. „Keine Disco, es ist eine Bar in der auch Musik gespielt wird.“ „Du bist noch keine 20 Jahre alt, du darfst noch keinen Alkohol trinken.“ Seine Freundin konnte sich ein entrüstetes Auflachen nicht verkneifen. „Ach so? Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der mir Sekt und anderen Alkohol bei einem Date angeboten hat?“ „Das war etwas anderes, da waren wir allein unter uns. Da konnte nichts passieren.“ „Was soll das heißen? Was soll mir denn bei meinen Freunden passieren?“, hinterfragte Momoko verständnislos. „Ich weiß, wie das in solchen Clubs abläuft. Dort tummeln sich lauter zwielichtige Typen, die nur darauf warten Mädchen wie dich abzufüllen oder ihnen etwas in den Drink zu mischen, damit sie gefügig werden.“ Die Rosahaarige sah ihn mit großen, entsetzten Augen an. „Also erstens habe ich nicht vor Alkohol zu trinken! Der wird mir sowieso nicht ausgeschenkt, denn ich bin, wie du schon sagtest, noch keine 20. Zweitens bin ich doch nicht allein dort! Neben Yuri sind noch Kazuya und Hinagiku da. Sie kann Karate, schon vergessen?“ Takuro rang mit sich, er ballte seine Hände verärgert zu Fäusten. „Ich weiß nicht… Ich finde nicht, dass das die richtige Umgebung für dich ist.“ Hilflos riss Momoko die Hände hoch und sah sich in der großen Halle um. „Du meinst wohl, dass das hier die richtige Umgebung für mich ist, oder? Ta-kun, ich will einfach nur mal wieder etwas mit meinen Freundinnen unternehmen. Ich bin kein Vogel, den du in einen goldenen Käfig stecken kannst. Ich brauche auch mal etwas anderes als das oder meinen Alltag.“ Unzufrieden wand er seinen Blick ab und dachte über ihre Worte nach. Seine Verlobte entspannte ihre Haltung wieder und schlug einen versöhnlicheren Ton an. „Ich brauche ein bisschen Normalität in meinem Leben. Es ist doch nur ein Abend unter Freunden, nichts weiter.“ Er sah sie wieder an und nickte knapp. „Ich kann es dir ja nicht verbieten. Aber halt mich auf dem Laufenden, wo dieser Laden ist und wann ihr dorthin geht, damit ich mir keine Sorgen machen muss.“ Momoko schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. „Ich danke dir. Eine gute Nacht dann noch.“, wünschte sie ihm und reckte sich vor für einen keuschen Abschiedskuss. Sie öffnete erschrocken die Augen, als sie seinen festen Griff um ihr Kinn herum spürte. „Mach ja niemanden schöne Augen, du gehörst zu mir.“, zischte er so dicht vor ihrem Gesicht, dass sie seinen Atem auf ihren Lippen spürte. Grob ließ er sie wieder los, sein Blick war dunkel und durchdringend, aber auf eine unheimliche, bedrohliche Weise. Erstarrt rieb sie sich über ihr Kinn, wo seine Finger es umklammert gehalten hatten und starrte ihr Gegenüber an. Diese Seite von Takuro hatte sie schon lange nicht mehr erlebt; das letzte Mal an dem Abend des Klassentreffens. Sprachlos und gelähmt stand sie vor ihm und wusste nicht, was sie entgegnen sollte. Sie senkte ihre Hand und öffnete die Tür nach draußen selber. „Gute Nacht, Takuro.“, wünschte sie ihm eingeschüchtert und trat ohne sich umzusehen nach draußen. Die Tür hinter ihr schloss sich wieder, ohne dass er ihr etwas nachrief. Mit unangenehm beschleunigten Puls überwand sie die wenigen Stufen zu dem Kiesweg, der über die Grünanlage nach draußen führte und eilte hinunter von dem Grundstück. Die Bauchschmerzen über seine unangemessene, eifersüchtige, besitzergreifende Reaktion und die Wut darüber, dass sie ihm nichts entgegnet hatte, nahm sie allerdings mit. Kapitel 30: Girl's stuff ------------------------ Eine Woche später war der kleine Zwischenfall kein Thema mehr. Takuro hatte Momoko wie versprochen am Mittwoch und Freitag nach ihrer Arbeit im Café abgeholt und sich ihr gegenüber charmant verhalten wie immer. So, als wäre nie etwas gewesen. Zwar wurmte es sie etwas, dass sie nicht die Courage aufbrachte dazu im Nachhinein noch mal etwas zu sagen, aber auf der anderen Seite verlor es von Tag zu Tag mehr Bedeutung, bis sie sich am Ende nicht mehr sicher war, ob sie die Situation nicht einfach überbewertet hatte. Momoko, die sich an diesem Samstagnachmittag vor einem modernen Einfamilienhaus in einer der feineren Gegenden wiederfand, schüttelte ihre Gedanken ab. Der Abend sollte nur ihren Freundinnen und ihr gehören! Ungetrübt durch irgendwelche Männergeschichten oder andere Spaßhemmer. Sie klingelte und es dauerte nicht lang, biss sie Stimmen von drinnen hörte und ihr Yuri und Hinagiku öffneten. „Da bist du ja! Wir warten schon auf dich!“, begrüßte die größere Brünette sie vorfreudig und winkte sie herein, wo die zwei jungen Frauen sie kurz herzten. „Wieso warten? Ich bin doch genau pünktlich?“, witzelte Momoko und prüfte extra noch mal die Uhrzeit an einer antiken Standuhr, die im Flur stand. Yuris Eltern waren angesehene Leute, die gut verdienten und viel wert auf Stil und gute Erziehung legten. Daher rührten auch Yuris gute Manieren, die sie in Gegenwart ihrer Freundinnen allerdings hin und wieder vergaß. „Schon, aber wir haben uns bereits gedacht, dass du unvorbereitet hier auftauchen würdest.“ „Unvorbereitet?“, wiederholte Momoko verwirrt, während sie ihrer Freundin in die obere Etage folgte. Hinagiku hinter ihr zupfte ihr kurz am Rockzipfel und übernahm das Antworten. „Yuri meint dein Outfit, oder dachtest du etwa wirklich, dass sie das dem Zufall überlässt?“ Die Grünhaarige grinste verschwörerisch. „Wieso? Was gibt es an meinen Klamotten denn auszusetzen?“, reagierte sie perplex. Das waren ja ganz neue Töne! Seit wann war ihre Garderobe denn etwas, an dem ihre Mädels etwas auszusetzen hatten? Erst in Yuris Zimmer angekommen, schwante ihr Übles, als sie überall verstreut die unterschiedlichsten Kleidungsstücke liegen sah. Die Brünette verschloss die Tür hinter sich und wand sich ihr dann endlich wieder aufmerksam zu. „An deinen Sachen gibt es gar nichts auszusetzen, aber heute wollten wir dich mal überraschen und ganz besonders herausputzen.“, klärte sie sie auf und lächelte dabei vielsagend. Momoko sah an sich hinunter; sie war mit ihrer Kombination aus einem knielangen Rock, einem Spaghetti Top und einem kurzärmeligen Bolero, eigentlich mehr als zufrieden. „Ist das etwa für diese Bar, in die wir wollen, nicht chic genug? Ich wusste nicht, dass es einen Dresscode gibt…“, erwiderte sie unsicher. „Unsinn! Aber das geht noch trendiger. Wir wollen uns so richtig amüsieren und abtanzen, da kann man ruhig mal zeigen, was man hat.“, beruhigte sie Hinagiku, die ihr, noch immer grinsend, zuzwinkerte. Die junge Blauäugige schluckte nervös. Irgendwie kam ihr das alles etwas seltsam vor, aber die alten Zeiten, in denen sie immer so ausgelassen, spontan und albern waren, lagen gefühlt auch schon eine Ewigkeit zurück. Es war allein ein bisschen fremd für sie. Yuri legte ihr freundlich lächelnd eine Hand auf die Schulter. „Was meinst du wohl, warum ich wollte, dass wir uns schon am Nachmittag treffen? So haben wir genug Zeit für uns noch das passende Partyoutfit zusammenzustellen. Bevor wir damit anfangen… wer möchte etwas trinken?“ Nachdem die Brünette ihre Gastgeberqualitäten ausreichend unter Beweis gestellt hatte und sie alle bei einem alkoholfreien Cocktail etwas lockerer im Umgang miteinander geworden waren, ließ sich Momoko von der Vorfreude ihrer Freundinnen anstecken. Sie hatte wirklich schon fast vergessen, wie es war, wenn man einfach man selbst war und nicht kontrollieren musste, wie man sich gab. Yuri und Hinaguki begrüßten ihr jugendliches Lachen und die Albernheiten, die sie im Kopf hatte, als sie sich durch die ersten Stapel an Kleidungsstücken wühlten. So unbekümmert hatten sie Momoko schon lange nicht mehr erlebt. Die beiden jungen Frauen hatten für die große Auswahl extra beide aus ihren jeweiligen Kleiderschränken zusammengelegt. Es war urkomisch mit anzusehen, wie stark die Geschmäcker der Burschikosen und der Wohlerzogenen sich unterschieden. Kombinationen aus beidem waren schier unmöglich, aber wenigstens war es ein netter Zeitvertreib, nur anhand des jeweiligen Stücks zu erraten, wem es gehörte. Irgendwann inmitten von Gelächter, schaute Yuri auf ihre Armbanduhr und schreckte hoch. „Oh je, jetzt haben wir aber genug Zeit mit unserem Unfug vertrödelt! Husch, husch! Schnell, legt die Sachen alle ordentlich zusammen und stapelt sie wieder auf. Lasst nur liegen, was für euch heute Abend in Frage käme.“, ordnete sie an und fing bereits selber mit flinken Bewegungen an aufzuräumen. Hinagiku griff sich relativ zielsicher ein Outfit zusammen, ebenso Yuri. Momoko drängte sich daraufhin der Verdacht auf, dass sie beide schon vor ihrer Ankunft wussten, was sie heute tragen würden. Unschlüssig, was ihr gefallen könnte, faltete sie Teil für Teil nach eingehender Prüfung wieder zusammen und legte es beiseite. Sie bemerkte nicht, wie ihre Freundinnen sie musterten und sich schließlich gegenseitig stumm mit Blicken austauschten. Als es nichts mehr zusammenzulegen gab und die Rosahaarige schon etwas resigniert ihren Kopf hängen ließ, legten die zwei Frauen drei Kleidungsstücke in ihren Schoß. Yuri stand außerdem schnell auf und holte aus einem Schrank ein Paar halbhohe, schwarze Pumps mit durchgehendem Korkabsatz hervor. „Entschuldige, dass wir dich haben zappeln lassen. Hinagiku und ich, wir haben uns schon im Vorfeld ein paar Gedanken gemacht, was dir stehen könnte, falls du zwischen unseren anderen Sachen nichts Richtiges finden solltest. Ich hoffe, das ist ok?“ Überrumpelt und mit offenem Mund, schaute Momoko zwischen ihren Freundinnen hin und her. „Das hättet ihr doch aber gleich sagen können! Ich dachte schon, dass ich jetzt völlig underdressed im Gegensatz zu euch dastehen würde…“ Neugierig sah sie sich die Sachen an. Vor ihr lagen eine weiße, taillierte Bluse ohne Ärmel, eine schwarze 3/4 Leggings mit Spitzensaum und ein kräftig blauer Volant Minirock, dessen Farbverlauf zum untersten Rand immer heller wurde. „Nicht nur gucken, anziehen! Los, runter mit den anderen Klamotten!“, forderte Hinagiku sie feixend auf. „Was? Jetzt und hier?“ Yuri lachte auf. „Na was denkst du denn? Wir ziehen uns doch alle hier um.“ Die Braunhaarige stand ja bereits und fummelte auch schon an ihrer Jeans herum. Hinagiku fackelte ebenfalls nicht lange und entledigte sich ihres Shirts als erstes. Momoko erhob sich etwas zögerlich, legte dann aber auch nach und nach ihren Bolero, dann das Oberteil und schließlich den Rock ab. „Himmel Momoko! Hast du abgenommen?“, entfuhr es Yuri erstaunt, als sie ihr beiläufig einen Blick zuwarf. Sofort lief sie purpurrot an. Die neugierigen Blicke ihrer Freundinnen auf ihren entblößten Körper waren ihr unangenehm. Obwohl sie unter Mädchen war, machte es sie verlegen, dass sie sie, nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet, anstarrten. „Ist ja der Wahnsinn! Wo ist denn dein Babyspeck hin?“, zog Hinagiku sie auf und piekte sie dabei in ihren nicht vorhandenen Bauch. „Lass das, Hinagiku! Ich bin wie immer, da war nie Speck!“, zeterte die Rosahaarige peinlich berührt und verdeckte geniert ihre Blöße. Yuri gab der Braunäugigen einen kleinen mahnenden Klaps auf den Oberarm. „Jetzt ärgere sie doch nicht! Hör nicht auf sie, Momoko! Aber du warst doch früher nicht so dünn… Isst du auch genug?“, hinterfragte sie besorgt. „Ja, ja. Alles gut. Ist nur immer etwas stressig mit der Schule, der Arbeit und dem Ganzen.“ Sie hatte es sachlich und glaubwürdig erklärt, aber ihre Augen verrieten, dass es dafür noch mehr Gründe gab. Der Appetit war ihr erst vor ein paar Wochen abhanden gekommen und es war nicht etwa ihr Alltagsstress Schuld, sondern Kummer. Yuri biss sich auf die Zunge, um nicht zu bohren. „Na hoffentlich passen dir unsere Klamotten so überhaupt. Ich meine, es steht dir zwar, aber vorher sahst du auch nicht schlecht aus.“ Momoko kicherte halbherzig. „Danke für das zweifelhafte Kompliment.“ Hinagiku lächelte und streckte ihr albern die Zunge raus, Yuri rollte mit den Augen. „Könnten wir dann bitte langsam mal fertig werden? Wir sind noch bei den Klamotten, dabei haben wir noch Haare und Make Up vor uns!“, rüffelte sie die kleine Runde streng. In Windeseile schlüpfte jeder brav und schweigend in sein Outfit. Hinagiku trug ein legeres, cremefarbenes Tanktop mit durchsichtigem, glitzerndem Chiffon zu hautengen, schwarzen Leggings in Lederoptik. Yuri schlüpfte in ein ebenfalls eng anliegendes, königsblaues Cocktailkleid mit nur einem Träger. Es war schon fast verboten kurz, aber ihr Busen und ihre langen Beine konnten durch nichts besser betont werden. Sie war wirklich das geborene Modell! Als Accessoire legte sie einen breiten, schwarzen Gürtel mit silberner Schnalle um die Taille an und zog außerdem eine schwarze, durchsichtige Feinstrumpfhose drunter. Vor lauter Staunen darüber, wie erwachsen und chic ihre Freundinnen in ihren flotten Klamotten aussahen, hatte Momoko gar keine Sinn dafür sich selber zu betrachten. „Hey, das sieht gut aus an dir!“, bemerkte Yuri anerkennend, als sie sich zu ihr umdrehte. „Wirklich? Ich habe etwas Schwierigkeiten mit dem obersten Knopf der Bluse…“, stellte sie fest und mühte sich ab ihn zu schließen, aber der Stoff spannte dort und warf unansehnliche Falten. „Na, na, na… die Mädels brauchen doch Luft!“, mischte sich Hinagiku ein, deren Bluse das letztendlich war. Beherzt schob sie Yuri zur Seite und machte sich ohne Momokos Einwilligung an den Knöpfen zu schaffen. Statt für einen ordentlichen Sitz auf konventionelle Weise zu sorgen, öffnete sie den obersten Knopf wieder und gleich noch zwei weitere. Die Rosahaarige schnappte aufgeregt nach Luft, als ihr Dekolleté zum Vorschein kam. „Das ist doch keine Zwangsjacke. Push das was du hast noch ein bisschen hoch, das sieht dann mega sexy aus! Ein wenig Ausschnitt schadet nicht.“, kommentiere Hinagiku überzeugt ihr Werk. Ihre errötete Freundin rückte tatsächlich, wenn auch zaghaft, noch ein wenig an ihrem Busen herum, bis alles dort war, wo es hingehörte. Der Rest der Bluse saß perfekt; sie endete kurz über dem breiten Bund des Volant Rockes. Die drunter gezogene Leggings ging bis kurz unter ihr Knie und lag ebenfalls gut an. So gesehen war es ganz praktisch, dass sie noch ein paar Kilo verloren hatte, sonst wäre das vielleicht ein bisschen zu eng gewesen. Momoko drehte sich ein Mal um sich selbst, um den gesamten Sitz zu prüfen und war äußerst zufrieden damit. „Das ist sonst so gar nicht mein Stil, aber es hat etwas!“, stellte sie fest. Yuri schlug vor Freude die Hände zusammen. „Ausgezeichnet! Jetzt noch deine Frisur und ein paar Accessoires, dann ist es perfekt!“ Widerstandslos ließ sie, die ihr Haar wie immer offen trug, sich von ihren Freundinnen an Yuris Schminktisch zerren. Hinagiku machte sich umgehend, mit einer Bürste und einem Glätteisen bewaffnet, an ihren Haaren zu schaffen und löste ihre Schleifen daraus. Die Brünette präsentierte derweil eine Palette verschiedenster Lidschatten, Lippenstifte und Nagellacke. Ein Mitspracherecht hätte Momoko gut gefunden, doch anscheinend hatte man an diesem Abend ganz präzise Dinge mit ihr vor. Ein bisschen fühlte sich das an wie die Pyjamapartys früher, die sie immer veranstaltet hatten, als sie noch frische Mittelschülerinnen gewesen waren. Als ihr Gesicht schließlich angemalt war und ihre Fingernägel noch trocknen mussten, kramte die Dunkelhaarige drei glitzernde, schmale Armreifen in verschiedenen Blautönen aus einem kleinen Kästchen heraus, die sie ihr über das rechte Handgelenk schob. Außerdem hielt sie ein Paar dunkelblaue Ohrstecker parat. „Ihr habt ja wirklich an alles gedacht.“, bemerkte Momoko amüsiert, als sie auch damit ausstaffiert wurde. „Du sagst es.“, entgegnete Yuri nur trocken. „Fertig!“, jubelte Hinagiku ganz geschafft und legte die Bürste und das noch heiße Eisen zur Seite. „Du hast verdammt dickes Haar, das war gar nicht so einfach!“, ergänzte sie selbstzufrieden. Yuri trat zur Seite, damit Momoko aufstehen und sich in ihrem Ganzkörperspiegel, direkt neben dem Kleiderschrank, betrachten konnte. Sie blinzelte ihr Spiegelbild die ersten Sekunden erstaunt an, denn die Frau im Spiegel war ihrer Mutter, die sie nur von Fotos kannte, erschreckend ähnlich. Sie sah viel erwachsener aus als sonst; ihre Augen wirkten durch die Wimperntusche, den dezenten Lidschatten und den Kajal viel größer und ausdrucksstärker. Ihre Lippen glänzten in einem frischen, verführerischem Pink und durch ein wenig Rouge auf den Wangen, erschien ihr Gesicht nicht so rundlich wie sonst. Sie betrachtete ihre rosafarben lackierten, ordentlich gefeilten Fingernägel und schlussendlich ihre Frisur, die eigentlich nicht viel mehr als ein einfacher, hoch sitzender Pferdeschwanz war. Doch Hinagiku hatte es mit Hilfe des Glätteisens geschafft, dass ihr Haar nicht so breit wie sonst über ihren Rücken fiel und außerdem in einer ordentlich eingedrehten Locke endete. Ihr Pony war schön rund geföhnt und an den Seiten hingen ebenfalls eingedrehte Strähnchen heraus. Zuletzt bestaunte sie noch ihre eigene Figur, die in dem ungewohnten Outfit hervorragend in Szene gesetzt war. Es war genau die richtige Mischung aus sexy und angemessenem Stil, sodass sie sich nicht billig fühlte. Es war genau wie sie es mochte; darin konnte sie selbstbewusst auftreten! „Wenn Takuro mich so sehen würde, wäre er bestimmt nicht erfreut.“, stellte sie fest, ohne ihre Augen von dem Spiegel zu nehmen, vor dem sie sich noch ein wenig räkelte. „Takuro ist heute aber nicht da! Genieß deine Freiheit für diesen Abend und aale dich mal in der Bestätigung von anderen Typen.“, rüffelte die kurzhaarige Hinagiku sie mit verschränkten Armen. „Hina…!“, setzte Momoko entsetzt an, aber Yuri unterbrach sie mit erhobenem Finger. „Kein Aber, Hinagiku hat ausnahmsweise mal Recht! Heute bist du nicht als seine Verlobte unterwegs, sondern als unsere Freundin.“ „Genau! Spaß haben und Flirten ausdrücklich erwünscht.“, ergänzte die burschikose Sportskanone anstiftend und mit verschlagenem Blick. Über so viel Leichtfertigkeit konnte die junge Frau nur lächelnd den Kopf schütteln. „So… wo du jetzt perfekt aussiehst – hilfst du Hinagiku und mir bei den Haaren und dem Rest?“ Momoko nickte einverstanden. „Gern.“ Viel gab es für sie nicht zu tun. Hinagiku trug ihren Bob wie immer, nur etwas runder geföhnt und Yuri ließ ihr wallendes Haar ebenfalls offen über ihren Rücken fallen. Einzig bei der Wahl der passenden Farben für das Make Up, sowie beim Schmuck, konnte sie beratend zur Seite stehen. „Was ist eigentlich mit Kazuya? Du sagtest doch, er würde auch kommen?“, fragte Momoko irgendwann, als sie Yuri gerade mit einem Lockenstab noch ein paar Wellen mehr ins Haar zauberte. „Er kommt auch, aber er muss vorher noch etwas erledigen. Er stößt dann zu uns, wenn wir den Club erreichen.“ „Oh, jetzt ist es schon ein Club und keine Bar mehr?“ „Naja… er ist schon ein bisschen größer als eine normale Tanzbar, aber ich hatte Angst du sagst nein, wenn Takuro hört, dass dort mehr los sein würde als in einem kleinen Etablissement.“ Momoko bürstete Yuris Haar mit ihren Finger durch, damit die eingedrehten Locken sich auflösten und natürlicher fielen. Sie sagte eine Weile nichts und dachte nach, während sie ihr Werk mit etwas Haarspray fixierte. „Ihr müsst aufhören so zu tun, als hätte er die Kontrolle über mich. Ich entscheide selber, was ich mit wem unternehme.“ Ihre Freundinnen tauschten einen vielsagenden Blick und verkniffen sich jeglichen Kommentar dazu. Die Rosahaarige wusste, dass sie sich ihren Teil dazu dachten und konnte es ihnen nicht mal verübeln, denn in gewisser Weise stimmte es ja. Sie versuchte es Takuro in letzter Zeit immer recht zu machen, auch wenn es ihr manchmal gegen den Strich ging. Das er ziemlich eifersüchtig war, war ja kein Geheimnis… allein seine Reaktion nach dem Klassentreffen oder seine Szene beim Abschied vom vergangenen Montag, erinnerten sie daran. „Wie auch immer, ich bin schon ziemlich gespannt auf diesen Club.“, setzte Momoko nach längerer Stille hinzu und klang schon wieder viel entspannter dabei. Kapitel 31: Conspiracy ---------------------- So herausgeputzt wie sie waren, erklärte sich Yuris Vater von sich aus bereit, sie mit dem Auto zu dem Club im Stadtinneren zu fahren. Es kam für ihn nicht in Frage, dass seine einzige Tochter in einem solchen Aufzug, ohne männliche Begleitung, mit den Öffentlichen durch die halbe Stadt fuhr und Dasselbe galt auch für ihre hübschen Freundinnen. Er war schon etwas älter, sein volles Haar und sein Schnauzbart waren bereits ergraut, aber er war sehr gepflegt, zeigte sich immer in einem ordentlichen Hemd und wirkte mit seiner viereckigen Brille stets wie ein Universitätsprofessor. Trotz seiner respekteinflößenden Erscheinung, war er ein sehr netter, fürsorglicher Mann und Vater. „Und ich soll euch nachher wirklich nicht wieder einsammeln?“, fragte er besorgt, als die drei Mädchen ausstiegen und Yuri nur noch in der Beifahrertür hing, um sich zu verabschieden. „Nein Danke, Papa. Kazuya kommt ja auch gleich und wird uns später dann auch heimbringen.“, lehnte seine Tochter dankend ab. „Keine Sorge, Tanima-san! Wenn einer was von uns will, kann ich es locker mit ihm aufnehmen.“, rief Hinagiku aus dem Hintergrund und ließ dabei demonstrativ ihre Oberarmmuskeln spielen. Natürlich waren ihre Arme genauso schlank wie die der anderen Mädchen, aber sie war klein, wendig und ihr Karate so gut, dass sie es schon in der Mittelschule locker mit Jungs aufnehmen konnte. Yuris Vater lachte herzlich. „Das glaube ich dir gerne! Dann passt mal gut auf euch auf und lasst es nicht allzu spät werden.“ „Bis später.“, verabschiedete Yuri sich noch schnell mit einer dankbaren Umarmung und krabbelte dann wieder rückwärts aus dem Auto heraus. Durch das heruntergekurbelte Fenster winkte er ihnen beim Einfädeln in den Verkehr zu und sie erwiderten es vom Bürgersteig aus. „Echt nett von deinem Pa uns zu fahren.“, bemerkte Hinagiku anerkennend. „Ja, so sind Väter eben.“ „Pft, meiner ist froh, wenn ich ihm nicht auf die Nerven gehe oder mich nicht mit meinem kleinen Bruder streiten kann. Es sei denn, ich kann den Laden für ihn hüten, dann lässt er mich gar nicht mehr gehen.“ „Iwo, alle Väter vergöttern ihre Töchter! Dein Vater hat nur eine seltsame Art das zu zeigen.“ Yuri musste über ihre eigenen Worte lachen, denn sie kannte die Familie der Kurzhaarigen nur zu gut um zu wissen, wie absurd das klang, was sie sagte. Aber auch wenn in Hinagikus Familie oft ein etwas rauerer Ton herrschte, hielt sie trotzdem immer zusammen. Sie wurde mit dem Ellenbogen von der Braunäugigen angestoßen und so auf Momoko aufmerksam gemacht, die etwas betreten ihre Blicke abdriften ließ. „Entschuldige bitte, ich wollte nichts Falsches sagen.“, erklärte sich Yuri sofort bekümmert. „Hast du nicht. Ich musste nur grad daran denken, wie lieb mein Vater immer zu mir war. Ich hoffe, dass ich ihn bald wieder zurück habe und er dann wieder ganz der Alte ist.“ „Bestimmt! Er liebt dich und wird deswegen seine Probleme ganz sicher in den Griff bekommen!“, sagte Hinagiku aufmunternd und mit so einer Überzeugung in ihrer Stimme, dass man es einfach glauben musste. Momoko nickte optimistisch und schenkte ihren Freundinnen ein zuversichtliches Lächeln. „Ganz bestimmt! So, wo ist denn nun der berühmt berüchtigte Laden, in den wir wollen?“, wechselte sie das Thema unauffällig. Yuri drehte sie an den Schultern in die richtige Richtung und zeigte mit einem Finger auf eine unauffällige Hausfassade inmitten der hohen Gebäudeblöcke, vor der sich einige Leute zu einer Schlange aufgereiht hatten, um vor einem Türsteher auf Einlass zu warten. „Oh wow, mit Kontrolleur an der Tür. Das muss ja ein exklusiver Laden sein.“, staunte die Rosahaarige. „Unsinn, einen Türsteher hat doch heutzutage jeder kleine Club, der was auf sich hält. Damit es nicht zu voll drinnen wird und irgendwelche zwielichtigen Gestalten gar nicht erst reinkommen.“, erklärte Yuri beiläufig und hakte sich bei ihr unter. Hinagiku auf der anderen Seite tat es ihr nach und so stöckelten sie, mit Momoko in ihrer Mitte, wortwörtlich auf den Eingang zu. Yuri war die Einzige, die mit ihren fast kniehohen Stiefeln und deren Absatz laufen konnte, als wäre sie mit solchen Schuhen an den Füßen geboren worden. Momoko hatte noch etwas Mühe sich an die halbhohen Pumps zu gewöhnen, aber am schlimmsten bewegte sich ihre burschikose Freundin, die von ihnen dreien den niedrigsten Absatz hatte. Sie hatte lediglich Schnürsandalen mit flachem Pfennigabsatz an. „Wenn du weiter so stolperst, lässt uns der Türsteher am Ende noch abblitzen, weil er denkt, du hast 3/8 im Turm!“, zischte Yuri anklagend, worüber Momoko herzhaft losprusten musste. Ihr schallendes Gelächter zog die Aufmerksamkeit des Einlasspersonals auf sie, der sie mit genauen Blicken musterte. Die Drei wollten gerade an ihm vorbei und sich hinten einreihen, als der muskelbepackte Türsteher mit Glatze das Absperrseil vor dem Eingang aushakte und sie zu sich heranwinkte. „Wenn ihr Grazien in den Club wollt, immer reinspaziert mit euch.“ Perplex folgten drei Augenpaare seiner einladenden Handbewegung. Hinagiku löste als erste ihre Starre und setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf. „Sehr ihr? Wir werden sogar bevorzugt!“, säuselte sie, so als wäre es allein ihr Verdienst, dass sie nicht draußen in der späten Dämmerung warten mussten und stolzierte mit gerecktem Hals voran. Es kam wie es kommen musste und sie knickte um, sodass sie ungalant fast in die Arme des Türstehers stolperte. Yuri und Momoko lachten lauthals und der breitschultrige Mann grinste belustigt. „So-… sorry!!!“, stammelte sie peinlich berührt. „Immer langsam, mein junges Fohlen. Du willst dir doch nicht deine hübschen Beine brechen.“, zog er sie auf und zwinkerte ihr flirtend zu. Hinagiku schoss das Blut ins Gesicht; mit eingezogenem Kopf ging sie ohne ein weiteres Wort an dem Mann vorbei in den Club hinein, dicht gefolgt von ihren nur noch lauter lachenden Freundinnen. Hochmut kam eben doch vor dem Fall. „Warum starrst du denn dauernd auf die Uhr?“ Kazuya schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er öfter als gewöhnlich die Uhrzeit überprüft hatte. Yosukes braungrüne Augen musterten ihn amüsiert. Sie standen beide in einem gut gefüllten Bus und fuhren durch die dunkler werdenden Straßen ihres Bezirks, in dem langsam die Nachtbeleuchtung angeschaltet wurde. „Ich war nur in Gedanken, das hatte eigentlich gar nichts mit der Uhrzeit zu tun.“, erklärte er sich eilig. Sein Gegenüber bemerkte die Notlüge nicht. »Er wird mich umbringen…«, ging es dem Blonden wieder und wieder durch den Kopf, wann immer er seinem Freund etwas vormachen musste, damit er keinen Verdacht schöpfte. Das hatte bei seiner Einladung zu diesem Treffen angefangen. „Warum müssen wir eigentlich so weit fahren, nur um etwas trinken zu gehen? Alkohol bekommen wir doch sowieso nirgendwo ausgeschenkt.“, hinterfragte Yosuke neugierig und streckte sich müde. Die Nächte auf der Couch waren alles andere als erholsam. „Ich wollte mit dir einfach mal ein bisschen die Gegend erkunden anstatt immer nur unsere alten Stammplätze zu besuchen. Es haben einige neue Läden eröffnet und wenn ich schon mal wieder in der Stadt bin, kann ich auch mal etwas anderes mit dir unternehmen.“, gab Kazuya vor. „Du bist das ruhige Leben wohl nicht mehr gewohnt, seit du in der Metropole Tokyo wohnst?“, zog ihn der Torwart auf. „Kann schon sein.“, erwiderte er und zuppelte nervös am Kragen seines hellblauen Hemdes herum. Je näher sie mit dem Bus dem Club kamen, in dem seine Freundin mit Hinagiku und der ebenfalls unwissenden Momoko auf ihn und Yosuke wartete, desto heißer wurde ihm. Es war ihm nicht gelungen sich gegen Yuri durchzusetzen und ein erzwungenes Treffen, zwischen seinem besten Freund und ihrer besten Freundin, zu verhindern. Doch wenn dieser Plan nach hinten los ging, wovon Kazuya angesichts Yosukes Temperament im Moment fest ausging, stand ihre Freundschaft ernsthaft auf der Kippe. Wie sollte er dem Dunkelhaarigen danach noch erklären, dass er nichts von den Dingen, die er ihm anvertraut hatte, verraten hatte? Ein Verkupplungsversuch gegen seinen Willen sprach nämlich eine ganz andere Sprache… „Du bist so still, alles ok? Ist Yuri vielleicht sauer, weil du deine wenige Zeit jetzt schon wieder mit mir verbringst?“ Der Blonde winkte beruhigend ab. „Nein, gar nicht! So hat sie Zeit auch mal etwas mit ihren Freunden zu unternehmen.“ Yosuke sagte nichts dazu und sah eine Weile aus dem Fenster. Irgendwann, nachdem Kazuya anscheinend kein neues Gesprächsthema anschnitt und sie Haltestelle um Haltestelle passierten und sich der Bus allmählich leerte, wand Yosuke sich ihm wieder zu. „Sind wir denn bald da?“, fragte er etwas angestrengt von der ganzen, sinnlosen Rumsteherei. „Ja, ist nicht mehr weit.“, versicherte der Größere ihm beschwichtigend „Und so ein Outfit ist wirklich nötig?“, hakte sein Gegenüber nach und zeigte dabei an sich herunter. Sein ehemaliger Mannschaftskapitän hatte ihn regelrecht beschworen sich etwas anzuziehen, in dem er ausgehen würde und sich trotzdem verausgaben konnte. So war seine Wahl auf ein schwarzes Muskelshirt mit Rundhalskragen und eine dunkelblaue Jeans gefallen. Kazuya hatte zu seinem hellen Kurzarmhemd eine fast schwarze Hose kombiniert und sah ebenfalls sehr lässig aus. „In der Bar, die ich im Sinn habe, kann man auch tanzen.“, erklärte er ruhig. Innerlich erhöhte sich seine Pulsfrequenz deutlich. „So etwas hatte ich schon vermutet, als du von auspowern gesprochen hattest. Weißt du, dass mir Hiromi deswegen eine riesen Szene gemacht hat? Es hat ihr schon nicht gepasst, dass ich den Abend überhaupt schon bis auf unbestimmte Zeit nicht zuhause bin, aber als sie mich in diesen Klamotten in Verbindung mit dem Wort Bar und Tanzen gesehen hat, ist sie fast durchgedreht…“, erzählte Yosuke augenrollend und sichtlich genervt. Erstaunt hob Kazuya seine Augenbrauen. „Ich dachte, eure Beziehung ist momentan eher distanziert und platonisch?“ „Ist sie auch. Das hält Hiromi aber nicht davon ab mir vorschreiben zu wollen, wie ich mich als zukünftiger Familienvater zu verhalten hätte.“ Sein Blick war identisch mit seinem Tonfall; verhärtet und finster. „Naja… sie wird wahrscheinlich Angst haben, dass du dich ganz von ihr abwendest.“ „Natürlich. Sie will unbedingt, dass alles wieder so wird wie früher und ich bemühe mich auch wirklich, nett zu ihr zu sein, aber ich kann keinen Schalter umlegen und von jetzt auf gleich wieder Gefühle für sie entwickeln.“ „Nein, das geht wohl nicht…“ „Ist Yuri denn gar nicht eifersüchtig, dass du in so einem Aufzug ohne sie in eine Tanzbar gehen willst?“ „Eifersüchtig? Nein, gar nicht.“, antwortete er überrumpelt. Warum sollte sie auch? Er hatte sich ja schließlich für sie so angezogen. So in ihr Gespräch vertieft, versäumte Kazuya fast, dass sie inzwischen an der richtigen Station angekommen waren und aussteigen mussten. Hastig sprangen sie noch aus dem Bus, ehe sich die Türen wieder schlossen. Die Haltestelle war in unmittelbarer Nähe der vermeintlichen Bar, vor der sich im Halbdunkel bereits eine nicht ganz unbeachtliche Schlange von Leuten aufgestellt hatte. Erstaunlicher Weise waren die Meisten junge Frauen, von denen sich ein paar neugierig zu ihnen umdrehten und hinter vorgehaltener Hand kicherten und tuschelten. Während der Blonde so tat, als würde er nichts bemerken und wie immer ein charmantes, perfektes Lächeln aufgesetzt hatte, schnaufte Yosuke etwas gelangweilt. Da war sie wieder, diese Art von Frauen, die Männern wie ihnen nur allein wegen Äußerlichkeiten hinterher schmachteten. Zu seinem Glück kam nach ein paar Minuten eine Frau mittleren Alters aus dem Lokal. Sie trug flippige Klamotten, hatte eine ausgefallene Frisur, und trug außerdem eine weiße Schürze um die Hüfte. Sie musste drinnen wohl als Barkeeperin arbeiten. Die Schlange-Stehenden konnten bis in die hinterste Reihe hören, dass sie sich bei dem Türsteher über die niedrige Männerquote im Laden beschwerte. „Lass nicht dauernd nur junge Hühner rein, die kratzen sich da drinnen sonst vor Langeweile bald die Augen aus!“, schimpfte sie und verschwand auch schon wieder nach drinnen, von wo dröhnende Bässe bis nach draußen schallten. Yosuke dämmerte so langsam, dass es sich auf keinen Fall um eine normale Tanzbar handeln konnte, sondern eher um einen richtigen Club mit allem Drum und Dran. Etwas grimmig blickte der Türsteher nun durch die Schlange und winkte mit Fingerzeig und ruckartigen Kopfbewegungen die wenigen Männer daraus zu sich nach vorne, die nicht in Begleitung einer weiblichen Person waren. Darunter natürlich auch Kazuya und Yosuke. Nachdem sie durchgewunken worden waren und drinnen, im dunklen Eingangsbereich, zielstrebig an der Garderobe vorbei gelaufen waren, schlug ihnen zusätzlich zur lauten, poppigen Musik noch verbrauchte, warme Luft entgegen. „Was wäre so ein Laden nur ohne die typisch stickige Luft.“, rief der Dunkelhaarige seinem Freund etwas ironisch angehaucht über die Musik hinweg zu. „Das macht doch den Charme erst aus!“, rief Kazuya schmunzelnd zurück. Der Club hatte einen ovalen Schnitt. Rechts und links führten Treppen hinauf zu einer Galerie mit Tischen, an denen man sitzen und das Treiben im unteren Bereich beobachten konnte. Direkt gegenüber vom Eingang war an der hintersten Stelle ein riesiges, erhöhtes Podest mit einer mächtigen Soundanlage und einem beschäftigt zappelnden DJ dahinter. Direkt davor, in der Mitte des Ladens, war die Tanzfläche mit Schachbrettmuster, auf die eine aufwendige Beleuchtungsanlage wild tanzende, neonbunte Lichter warf, die sich dem Rhythmus des jeweiligen Songs anpassten. An den Seiten war je eine halbkreisförmige Bar mit beleuchtetem Tresen, an denen zahlreiche Barhocker standen und sich noch mehr Menschen tummelten. Es war bis auf die Lichter dunkel, voll, warm und laut. Eine Stimmung, die entweder zum Eintauchen verleitete, oder zum Davonlaufen. „Aha, das verstehst du also unter einer kleinen Bar mit ein bisschen Musik.“, brüllte Yosuke erneut, der mit seinem Freund an seiner Seite immer noch am Eingang stand und unschlüssig durch die Gegend schaute. Kazuya wirkte selber ein wenig überfordert, vor allem aber war er angespannt, weil er fieberhaft in der, ineinander verschwimmenden Masse aus Partywütigen, nach drei ganz bestimmten Personen Ausschau hielt. „Dann ist es halt eine größere Bar mit ganz viel Musik.“, entgegnete er abgelenkt und lief die paar Stufen nach unten zur Tanzfläche, wo er nun die Wahl hatte eine Lücke an der Bar anzusteuern, oder sich von der Musik einlullen zu lassen und zu tanzen. „Ich bin für Bar!“, schrie Yosuke schon fast und navigierte sie beide an den Tresen. Einen Sitzplatz zu ergattern war allerdings unmöglich. Die Barfrau, die ihnen schon von draußen bekannt war, beugte sich lächelnd zu ihnen vor um ihre Bestellung aufzunehmen. Was Kazuya bestellt hatte konnte sein Freund nicht hören, aber als sie ihnen jeweils ein großes, kaltes Glas mit Cola rüber schob, war das Rätsel auch schon gelöst. Der Dunkelhaarige stand mit dem Rücken zur Tanzfläche, sein Begleiter genau anders herum. „Was schaust du so? Wenn du überlegst mich auf das Parkett zu schleifen, muss ich dich enttäuschen. Ich tanze nicht mit fremden Frauen und noch weniger mit Männern.“, frotzelte er gespielt ernst und leerte sein Glas mit einem Zug. Es war so warm und drückend, da war das Glas mit rotbrauner Limonade mehr als willkommen. Nur Kazuya nippte etwas verhalten an seinem Glas und starrte weiterhin konzentriert in die Masse. Neugierig drehte Yosuke sich um und folgte seinem Blick. „Siehst du jemanden, den du kennst?“, fragte er laut, direkt in dessen Ohr. Der Blonde schüttelte den Kopf und trank nun ebenfalls aus. „Nein.“, antwortete er wahrheitsgemäß. Eben nicht, das war ja sein Problem. »Wo stecken sie? Sind sie etwa noch nicht hier?« Das konnte nicht sein, denn er und Yosuke waren etwas später dran als geplant. Deswegen hatte er im Bus immer wieder auf seine Armbanduhr gesehen. So wie er Yuri kannte, wäre sie außerdem niemals unpünktlich. Nur, wie sollte er sie hier finden? Das es sich um einen so großen und vor allem gut besuchten Club handeln würde, damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte natürlich die Möglichkeit seine Freundin mit dem Handy zu erreichen, aber ob sie es bei der Geräuschkulisse und dem Wumms des Basses hören würde, war fraglich. Es stand zudem noch das Problem im Raum, dass sie sich nicht darüber geeinigt hatten, wie Yosuke und Momoko in dieser Umgebung zueinander geführt werden sollten, ohne dass jeder von ihnen auf dem Absatz Kehrt machte und die Flucht ergriff. Also suchte er weiter Gesicht für Gesicht ab, über das die Deckenleuchten ihre Scheinwerfer gleiten ließen. Yosuke ließ seinen Kopf im Takt eines rockigen Songs wippen, der gerade angespielt wurde und beobachtete die Leute im Saal dabei, wie sie sich ausgelassen zu den Rhythmen bewegten. Es waren wirklich viele Frauen da, hauptsächlich in seinem Alter bis Mitte zwanzig. Manche von ihnen jaulten vergnügt zur Musik und rissen die Arme hoch, bewegten sich auffällig aufreizend oder grotesk ungelenkig. Letzteres traf aber eher auf die Minderheit der Männer zu, die sich unter die flirtwilligen Damen mischten. Er belächelte das vergnügt, schließlich konnte nicht jeder ein geborener Tänzer sein. Während er, genau wie Kazuya, also weiter das wilde Treiben beobachtete, überkam ihn mehr und mehr die Lust doch zu tanzen. Die Stimmung um ihn herum ergriff allmählich Besitz von ihm. Was war schon dabei sich mitten ins Getümmel zu stürzen? Lange würden sein Kumpel und er bestimmt nicht auf Mittänzerinnen warten müssen und ein bisschen Gezappel auf der Tanzfläche war schließlich noch keine Einladung zum Flirten, oder? Hin und her gerissen, ob er seinen Begleiter darauf ansprechen sollte oder nicht, wanderten seine Augen von Mädchen zu Mädchen, so als wollte er schon mal ausloten, mit wem es wohl am besten funktionieren würde, ohne sich zu blamieren. Es traf ihn wie ein Donnerschlag, als er auf der anderen Seite, inmitten unzähliger anderer Tänzerinnen, plötzlich einen rosa Haarschopf erspähte. Sein Herz setzte einen Schlag aus und er hielt die Luft an. »Das kann nicht sein!«, schoss es ihm durch den Kopf. Und doch musste sie es sein, denn neben ihr tanzten unverwechselbar ihre Freundinnen Yuri und Hinagiku. Ohne es zu merken, klappte sein Mund schockiert auf. »Warum sind sie hier?!«, fragte er sich stirnrunzelnd und starrte keine Sekunde später wütend seinen Freund an, der genau im selben Moment das sah, was er gerade schon erspäht hatte. Kazuyas graue Augen weiteten sich erschrocken. „Yosuke, ich kann dir das erklären!“, begann er entschuldigend, fast flehend. „Spar dir das! Du hast mich verarscht, damit ich hier her komme und auf sie treffe!“, blaffte er schäumend vor Wut zurück. „Es tut mir leid! Yuri dachte, ihr beide solltet euch mal aussprechen…“ „Yuri? Also hast du es ihr erzählt?“, entfuhr es ihm scharf. Der Torwart war so sehr in Rage über diesen Verrat, dass er sich mit beiden Händen durch sein kurzes Haar fuhr und es zerwühlte. „Nein! Ich habe ihr nichts gesagt!“, schwor der Blonde ihm hoch und heilig. Er wollte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legen, doch Yosuke schlug sie weg. „Weiß du was, ist auch egal! Ihr habt euch ja eine tolle Verschwörung ausgedacht, aber ohne mich! Ich hau ab!“ Tatsächlich wollte er gehen, doch Kazuya hielt ihn mit eisernem Griff zurück. „Warte! Sie hat dich doch noch gar nicht gesehen! Wir können ihr auch ausweichen oder zusammen gehen, wenn du das willst. Du hast Recht, es war eine schlechte Idee! Es tut mir leid!“, beschwor sein Freund ihn erneut eindringlich. Der Dunkelhaarige wollte davon nichts wissen und riss sich los, ließ seinen Blick kurz bevor er ging aber noch mal zu der Stelle schweifen, wo er Momoko gesehen hatte. Wieder stockte ihm der Atem, denn diesmal sah sie auch ihn. Kapitel 32: Mixed feelings -------------------------- Der Abend hatte angefangen richtig Spaß zu machen. Nachdem Hinagiku den peinlichen Zwischenfall, zwischen dem Türsteher und sich, verarbeitet hatte, übte sie sich darin in ihren Schuhen vernünftig auf und ab zu gehen, damit ihr so etwas nicht noch mal passierte. So langsam wollte es auch klappen; immerhin fielen ihre gelegentlichen Fehltritte, hier in der Menge, nicht so auf, wie draußen vor dem Einlass. Ihr Patzer hatte für einen so göttlich guten Lacher gesorgt, dass er nun fortan sicherlich, als Anekdote, noch so manches Mal in ihrer aller Leben Erwähnung finden würde. Die Freundinnen hatten sich danach direkt mit alkoholfreien Mixgetränken die trockenen Kehlen befeuchtet und sich anschließend gegenseitig, ohne langes Zögern, auf die Tanzfläche geschoben. Dort dauerte es nicht lange, bis sie den Rhythmus der Musik so verinnerlicht hatten, dass sie ihm geschickt folgen konnten und Spaß am Tanzen entwickelten. Je mehr Lieder verstrichen, desto mehr fiel die Scheu, sich ganz nach Belieben zu bewegen, von ihnen ab, sodass sie schließlich ausgelassen mit dem Rest der anderen Clubbesucher abtanzten. Momoko erreichte gerade den Gipfel ihrer persönlichen Hochstimmung, als Yuri die Puste ausging und um eine Pause bat, damit sie noch mal etwas trinken konnte. Hinagiku begleitete sie zum Tresen, sodass ihre bezopfte Freundin allein zurück blieb. Ohne ihre vertraute Gesellschaft fühlte sie sich allerdings schnell nicht mehr mutig genug, um allein weiterzutanzen. Sie entschied also ihren Mädels zur Bar zu folgen, als sich plötzlich ihre Nackenhaare aufstellten und sie den Drang verspürte, sich umdrehen zu müssen. Es war wie dieses Gefühl, das man hatte, wenn man beobachtet wurde. Vielleicht stieß der längst überfällige Kazuya endlich zu ihnen dazu? Doch als sie sich umwandt begegnete sie nicht etwa dessen Blick, sondern fing das schockierte Starren eines ganz anderen Bekannten auf. »Unmöglich!«, dachte sie bei sich, aber wagte es nicht zu blinzeln. Die Zeit um sie herum blieb plötzlich stehen; selbst die Musik verstummte. Alles was Momoko hörte, war das Rauschen ihres Blutes in den Ohren, das ihr beschleunigender Puls durch ihre Venen pumpte. Das Licht im Saal schien nur sie und Yosuke, auf der anderen Seite des Clubs, in seinen Kegel genommen zu haben. Sie wusste, dass es nicht ihre Umgebung war, die erstarrt war, sondern sie selbst. Nahezu unfähig sich zu rühren, geschweige denn einen klaren Gedanken zu fassen, war das Starren, in seine mindestens genauso überraschten Augen, alles, was ihr blieb. „Mo~mo~kooo!“, drang von sehr weit weg das übersteuerte Rufen einer ihrer Freundinnen zu ihr durch. „Willst du nichts trinken?!“ Die Blauäugige blinzelte aufgeschreckt, als die imaginäre Blase, um sie herum, in der es weder Zeit noch Geräusche gab, platzte und sie von der lauten, hektischen Kulisse förmlich überrannt wurde. Desorientiert huschten ihre Augen umher und suchten nach Hinagiku, die nach ihr gerufen hatte. »Was macht er hier? Was macht er hier? Was macht er hier?«, ging es ihr wieder und wieder durch den Kopf. Ihr Herz raste wie verrückt und ihre Finger begannen zu zittern; ihr ganzer Körper schrie geradezu danach, dass sie flüchten sollte. Es fühlte sich völlig verkehrt an, dass er hier war; sie wollte ihn nicht sehen, um keinen Preis! Momoko drängte sich an tanzenden, verschwitzten Körpern vorbei in Richtung Bar. Ihr wurde ganz anders bei dem Gedanken an ihn. Ihr war heiß und kalt gleichzeitig, ihr Kopf begann zu dröhnen… und irgendwie wurde ihr schwummrig vor Augen. Als sie schon glaubte ohnmächtig zu werden, fand sie sich bei Yuri wieder, die sie besorgt an ihren Oberarmen schüttelte. „Was ist los mit dir? Alles ok? Du siehst ja furchtbar aus!“, sagte sie aufgeregt und griff auf der Theke nach ihrem Glas mit Mineralwasser, das sie sofort an ihre verstörte Freundin weiterreichte. Die junge Frau stützte sich wie ein Ertrinkender mit beiden Armen auf dem Tresen ab und versuchte, ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Gierig kippte sie sich das Wasser in den Hals, nur um sich auf halben Weg fürchterlich daran zu verschlucken. Hinagiku und Yuri nahmen sie schützend in ihre Mitte, jeder Zeit bereit sie aufzufangen, sollte sie doch noch zusammensacken. „Momoko, was ist denn passiert? Hat dir etwa jemand was in dein Getränk vorhin gemischt?“, analysierte die Braunäugige misstrauisch und klopfte ihr helfend auf den Rücken. Die Rosahaarige schüttelte den Kopf. Sie glaubte es fast selber nicht, aber wenn sie die Zeichen richtig deutete, erlitt sie tatsächlich gerade eine mittelschwere Panikattacke. Ausgelöst, weil er hier war und alles wieder hoch kam. „Yosuke ist hier…“, flüsterte sie krächzend. Ihre Begleiterinnen verstanden kein Wort bei diesem Lärm und runzelten deswegen nur hilflos die Stirn. Zu außer Atem, um sich zu wiederholen, zeigte Momoko hinter sich und überließ es ihnen selbst, des Rätsels Lösung herauszufinden. „Da ist Kazuya!“, stellte Yuri nach kurzem Suchen erfreut fest. „Und Fuma…“, ergänzte Hinagiku weniger begeistert. Jetzt war ihnen klar, welcher Geist Momoko so eiskalt erwischt hatte, doch sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, was tatsächlich in ihr vorging. Sie waren so ahnungslos, dachte sie. Wussten sie doch nicht mal ansatzweise, was wirklich zwischen ihr und dem Fußballspieler vorgefallen war. Ihr innerliches Beben und das Zittern in allen Gliedern, ließen langsam nach, sodass die Gefahr einer Ohnmacht gebannt war. Doch auch wenn sich ihre anfängliche Panik wieder legte, saß der Schreck noch tief. „Ich muss gehen.“, beschloss sie laut. Ihr Herz raste noch immer und hielt ihren Widerwillen, ihm noch ein zweites Mal zu begegnen, aufrecht. Ihre Freundinnen hielten sie allerdings je an einer Schulter zurück. „Nein, bitte bleib doch! Wir wissen ja, du bist sauer auf ihn und enttäuscht von seinem Verhalten, aber vielleicht ist das hier eine gute Gelegenheit euch wieder zu vertragen?“ Momoko sah Yuri aus verengten, ungläubigen Augen an. „Wusstest du etwa, dass er hier sein würde?“ „Wir wussten es beide, um ehrlich zu sein… Kazuya hat ihn mitgebracht.“, antwortete Hinagiku für ihre Freundin. „Ihr habt das geplant?!“, schloss sie entsetzt und schmallippig daraus. Die Geschichte wurde ja immer dubioser! „Natürlich habt ihr das… deswegen auch meine Typveränderung und dieser überzogene Club! Warum habt ihr das gemacht?! Ich dachte, wir sind Freundinnen und würden einfach nur mal einen Abend allein für uns haben!“ Wütende Tränen stiegen in ihren Augen auf. Als ob sie in ihrem Leben nicht auch so schon genug Probleme hatte, die sie bewältigen musste… Wieso mussten ihre Begleiterinnen ausgerechnet den einzigen Abend mit so einer Aktion ruinieren, an dem sie gehofft hatte den Kopf mal wieder ganz frei von alledem zu bekommen? Betroffen sahen sich die zwei Mädchen an, verwirrt über diesen emotionalen Ausbruch ihrer Freundin. Momoko wischte sich die Tränen vorsichtig aus den Augenwinkeln, um ihr Make Up nicht zu ruinieren. So wütend sie auch war, so musste sie sich doch eingestehen, dass es die Beiden einfach nicht besser wussten. Wie sollten sie auch ahnen können, dass Yosuke sie nicht einfach nur als Mensch oder Freund enttäuscht hatte? Dass ihr Kummer viel weiter über das hinaus ging, weil sie sich betrogen und ausgenutzt von ihm fühlte, da sie Dinge miteinander geteilt hatten, die viel tiefer gingen als das? „Es tut uns leid, ehrlich! Wir wussten uns nicht anders zu helfen, nachdem du dich nach diesem Date damals so merkwürdig verhalten hast. Du bist so verändert und verschlossen seitdem. Wir dachten, du und Yosuke könntet euch vielleicht aussprechen, wenn ihr nur die Gelegenheit bekommen würdet miteinander zu reden, ohne dass jemand dazwischen funkt, der etwas dagegen haben könnte.“, rief Yuri ihr ins Ohr, damit sie es über die Musik hinweg auch verstand. „Wir glaubten, dass würde deine Laune wieder etwas heben.“ Das sie bei ihrem Plan sehr wohl auch romantischere Hintergedanken gehabt hatte, blieb vorerst ihr Geheimnis. »Wir können aber nie wieder Freunde sein.«, dachte Momoko betrübt und haderte mit sich, ob sie noch mal einen Blick in seine Richtung riskieren sollte. Er musste genauso ahnungslos in diese Falle getappt sein wie sie. „Ihr versteht das nicht. Es ist zu viel passiert und weder er noch ich sind daran interessiert, etwas an der derzeitigen Situation zu ändern.“ Es hätte überzeugend und entschlossen klingen sollen, aber das tat es nicht. Sie hatte nur noch seine Augen im Kopf, wie sie eben zu ihr rüber geschaut hatten. Drei Wochen war es nun her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten und inzwischen waren die Erinnerungen an ihn nicht viel mehr als Schatten der Vergangenheit. Verblasste Momente einer Zweisamkeit, die nichts bedeutet hatte und doch stark genug war, sie in ihrem Alltag und in ihrer Beziehung zu Takuro immer noch zu beeinflussen. Jetzt konnte sie es nicht mehr verdrängen, denn alles wurde wieder lebendig; die Bilder in ihrem Kopf erhielten ihre Farbe zurück und sie erinnerte sich an Gerüche und Berührungen, als würde sie sie noch ein Mal durchleben. Mit diesen Erinnerungen kehrte auch der Schmerz zurück, als es abrupt vorbei gewesen war. Nichts konnte sich schlimmer anfühlen wie dieser Verrat, als er sie wie ein benutztes Spielzeug weggeworfen hatte. Momokos Blick brach weg wie der eines angeschossenen Rehs. Strauchelnd tauchte sie in dem Gewimmel aus Menschen ab. Sie floh vor ihm, so wie er es auch vorgehabt hatte, bevor sie ihn entdeckt hatte. „Sie hat dich gesehen.“, stellte Kazuya ebenfalls fest, der diesen kurzen Moment des Blickkontaktes zwischen ihnen mitbekommen hatte. Es war kaum eine Sekunde gewesen, doch die Gesichter der Beiden sprachen trotzdem Bände. „Willst du immer noch gehen?“, fragte er auslotend. Yosuke ballte die Fäuste, sah auf seine Füße und überlegte angestrengt. Das überdeutliche Klopfen seinen Herzens machte es ihm schwer sich angemessen zu konzentrieren und seinen Verstand die nötige Entscheidung treffen zu lassen. Ja, es wäre besser zu gehen. Es wäre das Richtige und würde Momoko und ihm wahrscheinlich eine Menge Stoff zum Grübeln ersparen. Doch sein Herz flüsterte ihm zu, dass das sinnlos war. „Jetzt ist es auch egal, oder?“, fragte er seinen Freund resignierend. Nun hatten sie einander gesehen, was machte es da schon aus doch zu bleiben? So wie sie davon gelaufen war, war er sowieso der letzte in diesem Club, mit dem sie ein Schwätzchen halten wollte. Selbst die buhlenden Bewegungslegastheniker auf der Tanzfläche, waren für sie wahrscheinlich eine größere Versuchung, als seine Gesellschaft. Und das war gut so. Sie sollte ihn besser ganz und gar verabscheuen, damit sie nie wieder ihre eigene Zukunft wegen ihm aufs Spiel setzte und er nicht mehr die Gelegenheit dazu bekam, ihr zu verfallen. „Entscheide du. Ich werde Yuri schon irgendwie verständlich machen, warum wir gegangen sind.“, kam ihm Kazuya reumütig entgegen. „Lass uns bleiben.“ „Wirklich? Du bleibst trotzdem?“, hakte Yuri erstaunt nach. Momoko nickte entschlossen. Sie hatte Panik bei seinem Anblick bekommen, aber das würde ihr kein zweites Mal passieren. „Yosuke wollte doch mit mir nicht mehr befreundet sein. Wenn ihm also meine Anwesenheit nicht passt, soll er doch gehen!“, entschied sie tapfer. Sie war entschlossen sich ihrem Schatten zu stellen; sie hatte sich nichts vorzuwerfen – zumindest nicht mehr als er. Sollte er sich also nach ihrer Begegnung nicht längst feige aus dem Staub gemacht haben, würde sie ihm zeigen, dass es ihr gut ging und sie auf ihn verzichten konnte. »Nein, ich beweise es mir selbst, nicht ihm!«, korrigierte sie ihren Gedankengang. „Jetzt klingst du wieder genau wie früher.“, bemerkte Hinagiku erstaunt, die sich noch unsicher war, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. „Geht es dir denn jetzt wieder besser?“, hinterfragte Yuri, immer noch besorgt um ihren körperlichen Zustand. „Ja, ja. Das war nur der Schreck und der Flüssigkeitsmangel.“, gab sie vor und winkte ab. Ihre Begleiterinnen glaubten ihr kein Wort, ließen es aber unkommentiert. Momoko richtete sich auf und atmete tief durch; innerlich war sie immer noch aufgewühlt. Eine mögliche zweite, zufällige Begegnung mit Yosuke, wollte sie aber gewappnet bestreiten können. „Jetzt könnte ich einen echten Drink vertragen. Für die Nerven.“, scherzte sie leichthin und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die bunt etikettierten Flaschen hinter dem Barkeeper, die ihr noch gut zwei Jahre verwehrt blieben. „Na das sind ja ganz neue Töne – vergiss es!“, ermahnte Yuri sie streng und stemmte dabei mütterlich anklagend die Hände in die Hüfte. „Boah Mädels, können wir das hier kurz unterbrechen? Ich muss echt dringend mal für kleine Königstigerinnen! Kommt eine von euch mit?“, klagte Hinagiku plötzlich völlig unvermittelt vom Thema weg. Momoko lächelte schief. „Also ich nicht. Ich habe, glaube ich, die ganze Flüssigkeit auf der Tanzfläche ausgeschwitzt.“, entgegnete sie belustigt. „Ich würde mich erbarmen, dann könnte ich bei der Gelegenheit gleich mal meinen Freund aufsuchen. Eine Zusammenführung von dir und Yosuke werden wir ja heute wohl nicht mehr erwirken können, oder?“, fragte Yuri rhetorisch. „Nein! Auf gar keinen Fall!“, bestätigte die Blauäugige entrüstet darüber, dass die Brünette überhaupt danach fragte. „Gut… können wir dich denn kurz hier alleine lassen?“ Die junge Frau fasste sich ein Herz und drehte sich um. Auf den ersten Blick erkannte sie in der Ferne nirgendwo auch nur den Hauch eines dunkelhaarigen Torwarts. „Ja, geht ruhig. Ich laufe schon nicht weg, versprochen.“ Ohne weitere Umschweife suchten sich ihre Freundinnen zügig einen Weg durch die Menge, um irgendwo die Damentoiletten ausfindig zu machen. Hinagiku hüpfte schon angespannt von einem Bein auf das andere. Als sie aus ihrem Sichtfeld verschwanden, seufzte Momoko und überlegte, ob sie nach diesem kleinen Dämpfer des Abends wohl noch mal die Lust zum Tanzen packen würde. Zwar sah sie Yosuke im Moment nirgendwo, aber wenn Kazuya noch da war, dann war er es vielleicht auch. Sie stützte ihre Ellenbogen auf dem Tresen in ihrem Rücken ab, bis sie an ihrem linken Arm etwas Kaltes spürte. Sofort wanderte ihr Blick dorthin, wo sie ein breites Glas mit einer dunklen Flüssigkeit darin an ihrer Haut entdeckte, in dem zudem dicke Eiswürfel schwammen. „Ich habe gehört, du könntest einen Drink gebrauchen? Dürfte ich dich denn zu einem einladen?“ Momokos Augen huschten hoch. Das Glas wurde ihr von einem fremden, jungen Mann in den Zwanzigern rüber geschoben. Er war groß und schlank, fast ein wenig schlaksig und er hatte eine Brille mit dickem, schwarzem Rahmen auf. Ein kleiner, stoppeliger Bart zierte sein Kinn; er war wahrscheinlich ein Student aus den letzten Semestern. Seine längeren, schwarzen Haare waren aufwendig gegelt und er trug zu einem weißen Poloshirt eine schwarze Weste, sowie schwarze Lederhosen. Er war auf den ersten Blick einer von der Sorte, die sich für besonders cool hielt. „Sorry, aber ich bin noch keine 20.“, lehnte Momoko höflich lächelnd ab. „Das habe ich mir schon gedacht. Ich verrat’s aber keinem.“, flüsterte er ihr vorgebeugt zu und zwinkerte verschwörerisch. Tatsächlich musterte sie das Glas unentschlossen. Sie sollte es besser lassen, aber die Versuchung war groß. Allerdings erwartete der Typ sicherlich eine Gegenleistung und wenn es nur ein Flirt war. „Das ist wirklich nett von dir, aber ich bin eigentlich nicht auf der Suche nach neuen Bekanntschaften.“, gab sie ehrlich zu und schob das Glas wieder in die Richtung des Fremden. „Aber vielleicht nach Zerstreuung?“, fragte er und schob es wieder zurück. Oh ja, Zerstreuung konnte sie gebrauchen. Sehr sogar! Momoko kaute auf ihrer Unterlippe herum, während sie zwischen Gut und Böse abwägte, schloss aber am Ende doch ihre Hand um das kalte Getränk und hob es an die Lippen. Vordergründig schmeckte sie die Süße von Cola, aber sie war durchzogen von etwas anderem, das weich und schwer zugleich war. Schon beim ersten Schluck spürte sie, wie sich eine angenehme Wärme von ihrem Magen aus ausbreitete. „Was ist da drin?“, fragte sie neugierig und versuchte es durch Riechen herauszufinden. Der spendable, junge Mann lachte leise. „Garantiert keine K.O. Tropfen, dafür Whiskey und Cola.“, antwortete er. Whiskey also. Mutig, weil es gar nicht so übel schmeckte, wie sie erwartet hatte, nahm sie noch einen Schluck und dann noch einen. „Nicht so hastig! So etwas muss man langsam trinken.“, warnte der Fremde sie schmunzelnd. „Keine Zeit. Ich will möglichst viel davon intus haben, bevor meine wachsamen Freundinnen wieder da sind.“, antwortete Momoko und leerte das Glas anschließend komplett. Viel war ja nicht drin in so einem Drink, was sie gar nicht verstehen konnte, wo es doch so lecker und gar nicht nach bitterem Alkohol schmeckte. Sie spürte die beobachtenden Blicke ihres Gönners auf sich ruhen. Er wand sich kurz von ihr ab und rief dem Barkeeper eine weitere Bestellung zu. Der Mixer schien sich nicht sonderlich dafür zu interessieren, ob sein Kunde den Drink für sich oder jemand anders orderte. Er stellte ihm kommentarlos ein weiteres Glas desselben Getränks hin, welches ihr abermals heimlich zugeschoben wurde. „Das kann ich nicht annehmen!“, wehrte sie ab, obwohl es sie durchaus reizte es doch zu tun. In ihrem Bauch war es herrlich warm und es kribbelte angenehm bis in ihren Kopf. Vielleicht hätte sie ihren ersten Drink überhaupt allerdings doch nicht so hinter schlingen sollen. „Auf einem Bein kann man doch nicht stehen. Cheers!“, prostete ihr Nebenmann ihr neckisch grinsend zu und nahm selber einen Schluck von seinem eigenen Drink. „Na gut… Dankeschön.“ »Was soll’s. Ich bin ja nur ein Mal jung, wann bekomme ich so eine Gelegenheit je wieder?«, sagte sie sich selbst, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Die Wirkung des Alkohols war wirklich erstaunlich, denn er spülte sämtliche graue Gedanken hinfort und hinterließ nur eine angenehme Leichtigkeit, mit der sie die Welt und ihre eigenen Probleme in einem ganz anderen Licht sah. Etwa nach dem halben Glas und etwas Smalltalk mit ihrem spendablen Verehrer, den sie aber nur sporadisch und beiläufig führte, blieb ihr abschweifender Blick, über die Köpfe der Tanzenden hinweg, an einem anderen jungen Mann hängen, den sie nur allzu gut kannte. Yosuke stand diesmal in einer ganz anderen Ecke des Clubs; wahrscheinlich hatte er sich vor ihr versteckt. Momoko konnte Kazuya nicht in seiner Nähe ausmachen. Gut möglich also, dass Yuri ihn irgendwie zur Seite gezogen hatte, um mit ihm alleine zu reden. Falls sie und Hinagiku es überhaupt schon von der Damentoilette runter geschafft hatten... Dort standen erfahrungsgemäß nämlich manchmal mehr Leute Schlange, als draußen vor dem Lokal. In dem wenigen Licht erkannte die Rosahaarige sein Gesicht nicht gut und sie wollte auch nicht starren, aber sie war sich sicher, dass er zu ihr herüber sah. Normalerweise würde sie ihre Nervosität an dieser Stelle übermannen, doch sie blieb anders als sonst innerlich ganz ruhig und gelassen. Momoko erwiderte mutig seinen Blick, streckte selbstbewusst den Rücken durch und trank aus. »Wahnsinn, das Zeug ist ja der Oberknaller!«, dachte sie glücklich und kicherte unhörbar, als sie das leere Glas schließlich abstellte. Von einem neuen, federleichten Mut durchflutet, machte es ihr gar nichts mehr aus, dass Yosuke Fuma – der Erstkuss-Stehler, Jungfräulichkeitsräuber und Herzensbrecher – sich im selben Raum befand wie sie. Das Licht im Club änderte sich wieder, als ein neuer Song angespielt wurde. Es wurde dunkler und die Scheinwerfer bewegten sich zu einem härteren, rockigerem Takt. Momoko war sofort elektrisiert, als die ersten, tiefen Töne in ihre Glieder fuhren. Wie magnetisch zogen die Klänge sie auf die Tanzfläche, wo sich reichlich andere J-Rockanhänger dazu gesellten, um es ordentlich krachen zu lassen. Die junge Frau, zwischen ihnen, schritt in eine Lücke hinein und ließ sich einfach von der Musik mitreißen, die so gut zu ihrer aktuellen Stimmung passte. Misstrauisch hatte der Torwart beobachtet, wie Momoko sich mit jemanden unterhielt, den er nicht kannte und der sie anscheinend mit einem, aus der Ferne undefinierbarem, Getränk versorgte. Er hatte sie nicht gezielt in der Menschenmenge gesucht, aber Kazuya hatte sich für unbestimmte Zeit abgesetzt, um Yuri zu finden. Ihm war irgendwann allein beim Rumstehen langweilig geworden. Was blieb ihm denn anderes übrig, als sich umzusehen? Und dann war es fast unmöglich für ihn die junge Hobbyfotografin, in ihrer ungewohnten Aufmachung, zu übersehen, zumal sie sich immer noch in der Nähe von dem Punkt aufhielt, wo sich ihre Blicke das erste Mal hier begegnet waren. Mit zu Schlitzen verengten Augen sah er also zu ihr hinüber und stellte alsbald fest, dass sie ihn bemerkt hatte und seinen Blick erwiderte. Yosuke überlegte wegzusehen und seinen Standpunkt erneut zu wechseln. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass es ihn irgendwie interessieren würde, dass sie hier war und was sie tat, aber die Art wie sie zurückblickte, irritierte ihn. Als das laufende Lied verebbte und ein neues angestimmt wurde, verlor er sie plötzlich aus den Augen. Er hatte nur kurz geblinzelt, aber schon war sie verschwunden. »Na was soll’s…«, dachte er bei sich und wollte sich die Beine ein wenig vertreten, um die Unruhe in seinen Gliedern zu vertreiben, als ihm ihr rosa Zopf plötzlich wieder auf der Tanzfläche ins Auge sprang. Erstarrt und mit geweiteten Augen, widmete er ihr ungeplant einen Augenblick seiner vollen Aufmerksamkeit. War das wirklich Momoko Hanasaki, die ihren Oberkörper zum Saxofon-Auftakt des aufgelegten Rocksongs so leidenschaftlich und wild hin und her warf, dass ihr eigenes Haar um ihr Gesicht herumpeitschte? Ihre Hüfte schwang aufreizend hin und her, sodass sich ihr Rocksaum in jeder Bewegung gefährlich anhob. Das Blasinstrument verstummte nach wenigen Sekunden und machte einem dominanten Bass und einem Schlagzeug Platz, dem eine tiefe, rauchige Stimme folgte. I lost myself I think I need someone in here? I know I'm sane But still my daemon calls me A lot of bruises to remind me what I'm here for Let's play six six six Die junge Frau zog alle Register. Ihr Becken bewegte sich geschmeidig zum Rhythmus der ersten Strophe, während ihre zunächst in die Höhe gehaltenen Hände Wort für Wort tiefer wanderten und verheißungsvoll über die Konturen ihrer eigenen Silhouette glitten. You better picture this I'm not a hopeless case You want a piece of me… Schluckend sah Yosuke zu, wie sie sich auch zum veränderten, fast willkürlichen Takt perfekt in Szene setzte. Es war, als würde etwas aus ihr herausbrechen, als der Refrain einsetzte. Say the words of love If you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love is you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Eine kurze Zwischensequenz, wieder begleitet von dem Saxofon, wurde eingespielt. Sämtliche Tänzer sprangen ausgelassen im Takt mit und rissen ihre Arme dazu ebenfalls hoch. Es herrschte fast schon Konzertstimmung im Club! Momoko lachte nur für sich über das ganze Gesicht und ihre blauen Augen schienen durch das Halbdunkel hindurch alles zu überstrahlen. Das erinnerte Yosuke wieder schmerzlich an den Abend des Klassentreffens, bei dem ihre Ausstrahlung ihn das erste Mal gefesselt hatte. Es war der Anfang vom Ende gewesen. Bevor er seinen Blick abwenden konnte, um sich dem Déjà-vu nicht mehr stellen zu müssen, fand ihr Blick ihn wieder und sie hielt, wie er, kurz inne. Let's play six six six… Nachdem sie ihn unter den Schaulustigen erspäht hatte, tanzte sie zunächst zurückhaltender, weil sie nicht wusste, was sie davon halten sollte. You better stick with me I wonder what is right I know you want me too Doch schnell war ihr klar, dass es ihr egal war, was er dachte oder tat. In diesem Augenblick war sie frei von allen Erwartungen anderer an sie, denn es war niemand da, der sie kontrollierte oder ihr sagte, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Wenigstens für diesen, einen Song war sie frei. Say the words of love If you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Love if you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Mit jeder Bewegung bewies sie sich selbst, dass sie auch einfach nur für sich selbst schön und begehrenswert sein konnte und dass kein Mann auf der Welt es wert war, dass sie sich wegen ihm grämte, verstellte oder versteckte. Das hatte sie nämlich mehr als satt! Mit der Gewissheit im Nacken, dass Yosuke sie also jetzt gerade beobachtete und mit dem nötigen, angetrunkenen Mut im Blut, genoss sie es fast, dass sie ihm demonstrieren konnte, auf was und wen er da verzichtet hatte. Sollten auch nur ein paar von den Dingen, die er ihr in jener Nacht gesagt hatte, der Wahrheit entsprochen haben, dann war sie in diesem Moment eine tanzende Versuchung für ihn. Momoko war sich ihrer Figur und ihrem Sexappeal in diesem Outfit durchaus bewusst und der Whiskey lockerte ihre Hemmschwelle gehörig auf. Süffisant lächelnd, warf sie gezielt einen koketten, flüchtigen Blick in Yosukes Richtung. Sie würde nie wieder ihm gehören; genau diese Botschaft lag darin. I just want some peace of mind I need the perfect situation I want to be a stimulator I don't need no other complication Stop dragging me in your misery Yosuke wusste ganz genau, was sie da trieb; sie provozierte und reizte ihn mit voller Absicht. Verärgert darüber, dass es ihm auch tatsächlich etwas ausmachte, wie sie sich präsentierte, drehte er sich auf dem Hacken um und verschwand. It's not enough You know how hard it is to make it clear I might be wrong But no one's ever told me Inside my head I hear these voices telling me Let's play and kiss kiss kiss Momoko sah ihn plötzlich nicht mehr und schlussfolgerte daraus, dass ihr mehr als selbstbewusster Auftritt an seinem Stolz gekratzt haben musste. Ob es ihn wenigstens ein bisschen wurmte, dass sie nun ganz einem anderen gehörte? Noch dazu Takuro, den er nicht mal im Entferntesten ausstehen konnte? You better picture this I'm not a hopeless case You want a piece of me Durch den Nebel des Alkohols, in ihrem Kopf, wurde ihr kurz vor Beginn des letzten Refrains klar, wie unreif ihr Verhalten gerade war. Es war Unsinn ihn eifersüchtig machen zu wollen, denn dazu gab es keinen Grund. Sie waren nie verliebt ineinander gewesen, sodass keiner dem anderen etwas schuldig war. Es war ihr eigener Stolz, der angekratzt war. Weil sie so naiv gewesen war und geglaubt hatte, dass ihm ihre Küsse und anderen Intimitäten genauso viel bedeutet hatten, wie ihr, war sie nun verletzt. Deswegen wollte sie, dass es ihm etwas ausmachte, wenn er sie ansah; denn ihr machte es etwas aus! Say the word of love If you wanna kiss If you want kiss of me (justify your love) Love, if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Obwohl sie wütend auf ihn und zutiefst enttäuscht war, ging er ihr immer noch unter die Haut, wenn sie an ihn dachte. Love, if you wanna kiss If you want a kiss of me (justify your love) Love if you wanna dance If you wanna dance with me (justify your love) Let me be… Momoko senkte die Arme und hörte auf zu tanzen. Ihr war schlagartig die Lust vergangen und ihre anfängliche Euphorie wich einem niedergeschlagenen Gefühl. Ob das auch eine Wirkung des Whisky-Cola Drinks war? Let's play six six six… Außer Atem wand sie sich um und schlängelte sich zurück zur Bar, wo ihr alter Platz leider inzwischen anders besetzt war. »Na toll…und keine Spur von Yuri oder Hinagiku.«, dachte sie ärgerlich bei sich. Wäre sie doch einfach geblieben, wo sie war, dann hätte sie Yosuke nicht diese Szene gemacht und hätte sich in Ruhe von ihren Freundinnen wiederfinden lassen können. Nun stand sie da und wusste nicht wohin mit sich und all dem Frust, der sich in ihrem Innern gerade hochschaukelte. Denn sie konnte über das, was in ihr vorging, mit niemanden reden. Sie war dem Fußballspieler sowieso egal; ihre Tanzeinlage war also, bis auf ihr eigenes Vergnügen dabei, überflüssig gewesen. Genauso wie die zwei Drinks, die ihr inzwischen mächtig zu Kopf gestiegen waren. Ihr schwante, dass der Alkohol an ihrem verwirrenden Handeln nicht ganz unschuldig war, doch diesen Fehlern gegenüber stand das wohlig warme Gefühl, dass alle Sorgen, Ängste und Probleme viel geringer erscheinen lies. Zum ersten Mal konnte Momoko verstehen, warum ihr Vater dieser Sucht verfallen war… „Na Schätzchen, suchst du mich?“ Irritiert blickte sie in das Gesicht des jungen Mannes, der ihr die Drinks spendiert hatte. „Äh… nein, eigentlich suche ich meine Freundinnen…“, rief sie ihm über die Musik hinweg zu, zu der er lässig vor ihr rumtänzelte. »Tanzt der mich etwa an?« „Tanz doch mit mir, sie werden dich schon irgendwann hier finden.“ Er ließ seine Augenbrauen eine La-Ola-Welle vollführen und blitzte sie verführerisch an. Momoko wich einem intimeren Antanzversuch aus. „Sorry, aber ich suche sie lieber selbst. Viel Spaß noch“, versuchte sie ihn abzuwimmeln. Sie hatte kaum die Richtung gewechselt, als er sich in einer Art Schlangentanz wieder direkt vor ihr räkelte. „Nicht doch, wir haben uns doch so gut verstanden vorhin.“ Die Rosahaarige rollte mit den Augen und verzog ihren Mund. „Ich bin etwas beschwippst. Ich erinnere mich nicht mal an das, was du mir erzählt hast. Lass mich bitte vorbei.“, versuchte sie es ehrlich und eindringlich. Doch anstatt sie vorbei zu lassen, schnappte sich der Student ihre Handgelenke und zog sie für eine Schwingbewegung zu sich ran. Momoko stieß ihn augenblicklich unmissverständlich weg und funkelte ihn böse an. „Hey, mach dich locker Schätzchen!“, beschwichtigte der Typ sie, immer noch grinsend und unbekümmert tanzend. „Kein Interesse!“, fauchte sie zurück. „Das sah aber eben noch ganz anders aus… war heiß, wie du getanzt hast.“ Die junge Frau konnte nicht verhindern, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Ihr fiel außerdem kein guter Konter dazu ein und ein Danke wollte sie ihm nicht gönnen. Wortlos drehte sie sich abermals weg; wohin sie ging war egal, Hauptsache weg von diesem baggernden Schmierlappen! „Wo willst du denn schon wieder hin? Willst du dich nicht für die beiden Getränke von vorhin bei mir bedanken, Schätzchen?“ Diesmal hielt er sie am Oberarm fest und zog sie schroff zu sich herum, nur sein Tonfall und Gesichtsausdruck waren noch genauso honigsüß wie zuvor. „Ich bin nicht dein Schätzchen! Lass mich los oder…“ „Oder was? Willst du kleine Schlampe mir dann die Augen auskratzen? Ich steh’ auf widerspenstige Mädchen wie dich.“, unterbrach er sie und leckte sich dabei gierig über die Lippen. „Zappel ruhig, hier bekommt das eh keiner mit, wenn ich dich in die nächste Ecke zerre, damit wir uns ein bisschen besser kennenlernen können!“, ergänzte er und lachte zynisch auf. Von hinten grub sich plötzlich eine fremde Hand in die Schulter des Widerlings, die ihn ohne Vorwarnung unsanft nach hinten riss. „Davon würde ich nicht ausgehen!“, warnte ihn ergänzend die zur Hand gehörende, bedrohlich gereizt klingende Männerstimme. Kapitel 33: The reason why... ----------------------------- Der aufdringliche Verehrer ließ sein Opfer augenblicklich los, damit er sein Körpergewicht abfangen konnte und nicht zu Boden ging. „Ey Mann! Was hast du denn für ein Problem?!“, blaffte er erschrocken und rückte hektisch seine Brille wieder zurecht. Momoko hielt die Luft an, als hinter ihm Yosukes braungrüne Augen auftauchten, die den Fremden gefährlich anfunkelten. „Ich habe gar keins, aber du hast gleich eines mit mir, wenn du deine Pfoten nicht von ihr lässt.“, antwortete er ohne eine Miene verziehen. Eine Gänsehaut überkam die Rosahaarige beim Anblick seiner angespannten Körperhaltung. Unter seiner äußeren Gelassenheit kauerte eine tobende Kreatur, die bereit war, den zudringlichen Typen auseinander zu nehmen, wenn dieser ihm einen Anlass dazu geben würde. „Was willst du denn, Junge? Kümmer’ dich gefälligst um deinen eigenen Kram! Die Süße hier und ich, wir haben nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Ist es nicht so, Schätzchen?“, versuchte er das Ganze ungeniert ins Lächerliche zu ziehen. Immer noch unverhohlen schmierig grinsend, versuchte er wieder sich ihr zu nähern und streckte die Hand nach einer ihrer Strähnchen aus. Momoko schlug seine Finger sofort weg. „Ich bin nicht dein Schätzchen!“, wiederholte sie fauchend, was sie ihm bereits kurz zuvor schon klar gemacht hatte. Für eine Sekunde trafen ihre entschlossenen, blauen Augen auf Yosukes. Der Ausdruck in ihnen verriet nichts darüber, was er gerade dachte. „Du hast das Mädchen gehört. Sie will, dass du sie in Ruhe lässt.“, erklärte er ruhig und monoton. Seine Haltung war aufrecht und durchgestreckt, seine Hände ruhten lässig in seinen Hosentaschen. Würden seine Augen seinen Zorn nicht verraten, hätte man anders nicht erahnen können, wie sehr dieser Typ ihn in Wirklichkeit aufregte. Der Schwarzhaarige entgegnete nichts, schaute aber mit musterndem Blick zwischen Momoko und Yosuke hin und her. „Sorry, Alter. Wenn du sie wolltest, hättest du schneller sein müssen. Zieh Leine und such’ dir ’ne andere.“ So viel Selbstüberschätzung auf einem Haufen war geradezu unerträglich! Angewidert verschränkte die junge Frau ihre Arme. Ein weiterer Blick, ihres vermeintlichen Verteidigers und ein kaum sichtbares Nicken, vermittelte ihr stumm, dass sie zu ihm kommen sollte. Jeder, der ihr Hilfe anbot, war ihr jetzt willkommen. Momoko zögerte also nicht und trat mit gesenktem Blick an dem aufdringlichen Studenten vorbei. Entrüstet wollte dieser sie davon abhalten, doch Yosuke stellte sich sofort entschieden zwischen sie. „Ach komm, spielst du jetzt den Helden? Willst du Eindruck bei ihr schinden, damit du sie statt mir abschleppen kannst?“ Er lächelte herablassend, trat noch einen Schritt auf sein Gegenüber zu, sodass sie fast Brust an Brust voreinander standen und sich gegenseitig Aug in Aug sahen. Wut kochte in dem Torwart bei dieser Provokation hoch; er presste seine Kiefer aufeinander und verfinsterte seinen Blick. Momoko beobachtete mit sehr gemischten Gefühlen, was sich zwischen den beiden Männern abspielte. Der Fremde mochte ein Stück größer und vor allem älter sein, doch Yosuke war deutlich durchtrainierter und fitter. Seine sportliche Figur und vor allem seine muskulösen Arme stachen durch sein Muskelshirt besonders hervor. Hätte die junge Frau vor Aufregung nicht sowieso schon Herzklopfen gehabt, würde es spätestens bei dieser Feststellung einsetzen. „Manche Leute sollten wissen, wann sie verloren haben.“, knurrte Yosuke seinen vermeintlichen Rivalen an. „Ich lasse mir die Tour doch nicht von einem Halbstarken wie dir versauen!“, echauffierte sich der andere, unwillig es einfach gut sein zu lassen. Sein Herausforderer reckte das Kinn selbstsicher, er war einfach nicht einzuschüchtern. Dieser Mut beeindruckte Momoko tatsächlich ein wenig. „Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, du drehst dich um, gehst und setzt heute Abend keinen Fuß mehr in ihre Nähe, oder ich sorge dafür, dass dich die Security achtkantig raus wirft.“, warnte ihn der Torwart ernst, aber sachlich. „Ich habe keine Angst vor dir.“, zischte der Schwarzhaarige inzwischen deutlich verstimmt. „Solltest du aber.“, drohte Yosuke unerschrocken. Das Herz der Rosahaarigen machte einen stolzen Hüpfer, ehe es ihr anschließend in die Hose rutschte. Die Beiden würden doch wohl keine Schlägerei anzetteln? Sie überlegte sich einzumischen oder Hilfe zu holen, doch in diesem Moment kam Bewegung in den engstirnigen Verehrer. Er schnaubte mürrisch und rümpfte die Nase. „Pft, dann halt nicht!“ Der Student zog tatsächlich den Kopf ein und setzte einen bockigen Gesichtsaudruck auf. Ohne ein weiteres Wort trottete er mit eingezogenem Schwanz in Richtung Ausgang. Er musste von Anfang an nur geblufft haben; nicht so sein Herausforderer. „Große Klappe und nichts dahinter.“, schloss Yosuke und sprach damit genau das aus, was Momoko gedacht hatte. Erleichtert atmete sie tief ein und aus, um die Anspannung abzuschütteln. Diese stellte sich aber sofort wieder ein, als ihr vermeintlicher Retter sich ihr mit finsterer Miene zuwandte. „Wie hast du es geschafft dich in solche Schwierigkeiten zu bringen?“, fragte er sie schroff. Waren das wirklich seine ersten Worte an sie nach so einem Erlebnis? Sofort zog die Rosahaarige ihre Stirn in Falten. Bis eben noch hatte sie ehrliche Dankbarkeit für sein überraschendes Eingreifen empfunden und ihn für seine Gelassenheit und Courage bewundert. Aber so, wie er jetzt vor ihr stand und sie prüfend musterte, erinnerte sie sich wieder daran, wie sie ihm gegenüber eigentlich eingestellt war. „Denkst du, ich habe darum gebeten, dass dieser Schleimer mich angräbt?“, warf sie ihm wütend an den Kopf. „Nein, aber dein Auftritt vorhin hat nicht gerade “Anbaggern verboten!“ ausgestrahlt.“, erwiderte er knurrend. Getroffen flackerten ihre blauen Augen auf und sie errötete. Sie schämte sich dafür, dass er Recht hatte. „Trotzdem musst du mich nicht so anfahren…Wenn es sowieso meine Schuld war, hätte ich es auch alleine ausbaden sollen.“ Yosuke ballte seine Hände, als ihr verletzter Ausdruck ihn traf. „Du meinst, er hätte dich auch ohne meine Hilfe schon noch in Ruhe gelassen?“, hinterfragte er ungläubig und aufgebracht. „Wahrscheinlich nicht, aber seit wann interessiert dich das wieder?! Wir sind schließlich keine Freunde mehr!“, konterte sie bissig. Ihr Gegenüber versteifte sich und schien einen Moment lang tatsächlich sprachlos zu sein. „Du bist undankbar.“, erklärte er kühl, nachdem ein langer Augenblick des Schweigens, in dem es nur die ohrenbetäubende Clubmusik gab, sie eingehüllt hatte. Die Rosahaarige schüttelte ungläubig den Kopf und lachte dabei resignierend in sich hinein, was Yosuke irritierte. „Undankbar? Du hast mir doch nicht mal den Hauch einer Chance gegeben, mich bei dir zu bedanken! Hätte ich dir um den Hals fallen sollen, nachdem du mich eben direkt angeblafft hast? Du kannst froh sein, dass ich hier überhaupt mit dir stehe und mir diese dämliche Diskussion zumute, nach allem, was du mir angetan hast!“ Momoko erschrak, als ihr Tränen in die Augen schossen. Sie hatte viel emotionaler reagiert, als sie wollte und üblich für sie war. Um die Nerven zu behalten, war sie wohl einfach nicht nüchtern genug… Bemüht versuchte sie die Tränen zurückzudrängen und Fassung zu bewahren, damit sie nicht verletzlich oder gar hysterisch zu wirkte. Aber es war schwer, denn sie war furchtbar wütend auf ihr Gegenüber. So mit sich beschäftigt und den Blick gesenkt haltend, bemerkte sie nicht, dass Yosuke selber schwer getroffen war und innerlich heftig mit sich haderte. Sie hatte ja so Recht… und bei dem Ausdruck in ihrem Gesicht, der ihn schon seit ihrem Bruch verfolgte und beutelte, wollte ein Teil von ihm sie um Verzeihung bitten und alles was war ungeschehen machen. »Warum kann ich in ihrer Nähe nicht mehr klar denken?« Hart zu bleiben und sie nicht mehr an sich heran zu lassen, fiel ihm unglaublich schwer. Der gute Vorsatz war da und in der Theorie auch umsetzbar, aber all das geriet ins Wanken, wenn sie in der Realität vor ihm stand. Doch es musste sein, es war zu ihrem Besten. „Du hast Recht… und es interessiert mich wirklich nicht. Ich wollte nur helfen, das hätte ich auch für jedes andere Mädchen hier getan. Du hattest einfach nur Glück, dass ich in der Nähe war.“, entgegnete er abgebrüht. Am liebsten hätte Momoko ihn für diese gefühlskalte Aussage geohrfeigt, doch ihr Körper bebte zu sehr vor Zorn. Sie schnappte nach Luft und schaute so böse sie konnte, erkannte ihn durch den Schleier aus Tränen aber kaum. „Schön! Ist mir auch zu blöd mit dir, ich hau ab!“, sagte sie mit krächzender Stimme und drehte sich weg. Ihre Begegnung endete genauso wie das letzte Mal; sie stritten, er verletzte sie und sie rannte schließlich davon. Sie hätte es besser wissen müssen, als sie sich für einen Moment gestattet hatte sich darüber zu freuen, dass er ihr zur Hilfe gekommen war. „Das ist ja mal wieder typisch! Kaum lassen wir sie ein paar Minuten alleine, verschwindet Momoko einfach!“, beschwerte sich Yuri unruhig bei der etwas kleineren Hinagiku. „Vielleicht hat sie doch kalte Füße bekommen, weil Yosuke hier irgendwo rumschwirrt?“, mutmaßte sie und suchte, genau wie ihre Freundin, den Club mit wachsamen Augen ab.“ „Das glaube ich nicht! Sie würde nicht gehen, ohne sich bei uns abzumelden.“ „Und wenn was passiert ist? Sie hat doch gar kein Handy bei…“ Yuri wurde, bei den möglichen Erklärungen ihrer Begleiterin, angst und bange. „Na gut, wir müssen uns aufteilen. Ich gehe noch mal zu Kazuya und frage, ob er oder Yosuke sie gesehen haben. Wenn nicht, gehen wir nach draußen und fragen uns zur Not dort durch. Du gehst zur Damentoilette, vielleicht hat sie uns gesucht und steckt nun dort fest.“ Hinagiku nickte einverstanden und brach in die entgegengesetzte Richtung auf. Die Toiletten waren, wie sie nach vorheriger Suche inzwischen wusste, oben. Sich durch den entgegenkommenden Strom aus Clubbesuchern auf der Treppe zu quetschten, war eine Herausforderung, doch die junge Frau war klein und kräftig; entschlossen schob sie Drängler aus ihrer Bahn. Nicht anders als vorher, reihte sich vor der Damentoilette eine endlos scheinende Schlange auf. Selbstbewusst schritt sie aber einfach an allen vorbei und drängte sich durch den schmalen, dunklen Gang bis zur Tür durch. „Ey! Hinten anstellen!“, motzte man ihr dort entgegen. „Ich will nicht auf’s Klo! Ich suche nur meine Freundin!“, erklärte sie gereizt und zwängte sich an den mosernden Mädels vorbei ins Innere. Tatsächlich war damit ihre Suche auch schon beendet. Momoko stand vor einem der Spiegel und wusch sich Hände und Gesicht; ihr Make Up war ruiniert und ihre Augen waren gerötet. „Momoko!“, rief Hinagiku ihr zu und war mit zwei Schritten auch schon bei ihr. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaute sie der Rosahaarigen in ihre erschrockenen Augen. „Hinagiku, was machst du denn hier?“, stammelte sie und versuchte sogleich fahrig die verlaufende Wimperntusche unter ihren Augen wegzuwischen. „Was wohl? Dich suchen natürlich.“, antwortete sie streng und griff im selben Moment zu dem an der Wand hängenden Papierspender. Sie befeuchtete eines der Tücher am Waschbecken und sah dann wieder ihre, offensichtlich mitgenommene, Freundin an. „Was ist passiert?“, wollte sie mit ernster Stimme wissen, als sie ungefragt Momokos Gesicht zu sich heran zog, um es nach und nach von all der Schminke darauf zu befreien. Die Blauäugige realisierte, dass Ausreden nutzlos sein würden und versuchte deswegen gar nicht erst eine Geschichte zu erfinden. „Ich habe mich mit Yosuke gestritten.“ Hinagiku erstarrte verblüfft mitten in der Bewegung. „Wie denn das?! Ich dachte, ihr geht euch aus dem Weg?“ Momoko zuckte mit den Schultern und ließ die Abschminkprozedur weiter über sich ergehen. „Lange Geschichte… da war so ein Typ, der mich ziemlich heftig angebaggert hat. Yosuke hat das zufällig mitbekommen und mir dann aus der Patsche geholfen.“ Den Teil mit dem Alkohol und ihrer Tanzeinlage à la Femme Fatale, ließ sie dabei lieber unter den Tisch fallen. Ihr burschikoses Gegenüber musterte sie schon wieder verwirrt. „Hä? Aber das ist doch was Gutes? Wie konntet ihr da noch streiten?“, hinterfragte sie ungläubig und fast etwas entrüstet. Wieder zuckte ihre Freundin nur mit den Schultern, verkniff sich dabei aber wieder neu aufkommende Tränen. Sofort wurde Hinagiku ganz anders zumute. Sie war bestürzt und wütend zugleich. „Was hat der Mistkerl angestellt?“, wollte sie aufgebracht wissen. „Nichts. Er kann mich nur nicht ausstehen, mehr nicht. Aber es tut weh…“ Eine dicke Krokodilsträne verselbstständigte sich und rollte ihr über die Wange. Momoko war sich dieser Tatsache längst bewusst gewesen, aber es auszusprechen war noch mal etwas ganz anderes. Ihre kurzhaarige Freundin wischte die Träne hinfort und warf die Papiertücher anschließend in den Müll. Von der Schminke war nun nichts mehr übrig, nun war ihre Freundin wieder sie selbst. Nur blasser und trauriger. Ein grimmiger Groll gegen Yosuke braute sich im Inneren der temperamentvollen Frau zusammen. So würde er ihr diesmal nicht davonkommen! „Momoko, Yuri wollte nach draußen und dich suchen. Geh zum Ausgang und schau, ob du sie da siehst. Wenn nicht, dann warte da, ich komme dich gleich abholen.“ Die Blauäugige blinzelte misstrauisch. „Wieso? Komm doch einfach mit?“ „Geht nicht, ich habe noch ein Hühnchen zu rupfen!“, antwortete sie entschlossen und schlängelte sich auch schon wieder nach draußen. „Hinagiku warte! Das bringt doch nichts!“, rief die Hobbyfotografin ihr noch nach, aber es blieb ungehört. Ihre Freundin lief bereits wieder aus dem Gang heraus und um die Ecke, als sie, blind vor Ärger, in jemanden hinein rannte. „DU!“, entfuhr es ihr anklagend, als sie erkannte, dass es wie durch einen schicksalhaften Zufall ausgerechnet Yosuke Fuma war, dessen Weg sie kreuzte. Dieser war zunächst perplex, weil er sich eigentlich noch von dem Zusammenprall erholte, aber dann wurde seine Miene schnell hart und finster. „Hi, Hinagiku.“, begrüßte er sie kühl, ihren zornigen Blick ignorierend. Er wusste gar nicht wie ihm geschah, als er plötzlich ihren rechten Unterarm fest gegen seine Schlüsselbeine gepresst spürte und mit dem Rücken an die Wand gedrückt wurde. „Was hast du gemacht?!“, blaffte die kräftige Oberschülerin ihn an. Yosuke versuchte nicht sich aus dem eisernen Griff zu befreien. Eine Rangelei mit einer, die den schwarzen Gürtel in Karate hatte und das Temperament eines Stieres, der rot gesehen hatte, war das Letzte, was er an diesem verkorksten Abend noch brauchte. „Gar nichts, ich wollte nur auf die Toilette, bevor ich gehe…“ Hinagiku drückte fester zu und blitzte gefährlich mit den Augen. „Du weißt genau, was ich meine!“, zischte sie böse. „Wenn du von Momoko sprichst; ich hab ihre Haut gerettet.“, wich er weiterhin gleichgültig aus. Ruppig ließ die Braunäugige ihn los. Unerschütterlich richtete Yosuke sein Shirt. „Ich hab’ keinen Plan, was da zwischen dir und ihr los ist, aber ich hab’ es satt sie immer wie ein Häufchen Elend vorzufinden, wenn du in ihrer Nähe warst!“ Der Torwart mied ihren prüfenden Blick. Er wusste auf das was sie sagte sowieso nichts Befriedigendes zu erwidern. Es quälte ihn selber schon genug, dass er Momoko nur auf diese Art und Weise von sich fernhalten konnte. „Was kann ich denn dafür? Das sie sich alles so zu Herzen nimmt ist doch nicht mein Problem und ich habe auch nicht darum gebeten, sie vor so einem schmierigen Typen zu retten.“, gab er trotzig zurück. Fassungslos schüttelte Hinagiku ihren Kopf. Das war gar nicht der Yosuke, den sie aus der Mittelschule kannte. Es war auch nicht der junge Mann, der in ihren Blumenladen gekommen war um eine Pfirsichblüte zu kaufen. Was war bloß zwischen den Beiden in der Zwischenzeit geschehen? „Hasst und verabscheust du sie wirklich so sehr? Hast du ihr wirklich nur den netten Freund vorgespielt und sie dann so fallen gelassen, nur um ihr eins auszuwischen?“, fragte sie fast etwas zu leise für diese ohrenbetäubende Atmosphäre. Yosuke schloss die Augen und seufzte tief. Seine Maske aufrecht zu erhalten war mehr als schwer. Er ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn kaum sichtbar. Als er wieder aufsah, war sein Blick voller Pein. Jetzt wusste Hinagiku gar nicht mehr, was sie denken sollte. „Was soll dieses ganze Arschloch-Getue dann?!“ „Das geht dich nichts an.“, antwortete er störrisch. „Verdammt! Doch, das tut es! Momoko ist meine Freundin! Und du bist der beste Freund des festen Freundes meiner anderen besten Freundin, also geht es mich irgendwie sehr wohl etwas an!“ Als sie ihren verwirrenden Satz im Kopf selber noch mal Revue passieren ließ, packte der Torwart sie auf einmal unvermittelt an den Oberarmen. „Es ist das Beste so für sie, okay?! Es geht nicht anders! Belass es einfach dabei, ihr alle; bohrt nicht mehr dauernd nach und startet nicht solche Aktionen wie das hier heute! Ihr macht es für sie doch nur noch schlimmer damit!“ Überwältigt von Yosukes emotionalen, eindringlichen Ausbruch, stand Hinagiku der Mund offen und ihre riesigen Augen starrten ihn an. „Wie, was? Das versteh’ ich nicht…“ Der Dunkelhaarige lächelte schwach und verdrehte dabei die Augen. „Ihr sagt alle, ihr wärt ihre Freunde und nicht einer von euch begreift, warum wir uns nicht mehr sehen dürfen? Warum ein strikter Kontaktbruch das Beste ist? Das verstehe ich nicht. Lass es gut sein, ich gehe jetzt nach Hause.“ Er wollte an ihr vorbei, doch Hinagiku stellte sich ihm mit hochkonzentrierter Miene in den Weg. „Du tust das für sie? Etwa wegen Takuro?“, hauchte sie mit dem Anflug einer Erleuchtung in den Augen. Yosuke erwiderte nichts, er sah sie einfach nur an. Unwillig noch mehr zu erklären. Er hatte bereits viel zu viel gesagt. „Wegen allem.“, schloss er knapp und entschlüpfte ihr dann in der nächsten Traube angeheiterter Tanzlustiger. Sprachlos blieb seine Gesprächspartnerin mit viel Stoff zum Nachdenken zurück. Und nicht nur sie, denn direkt hinter der Ecke, wo sie mit Yosuke gesprochen hatte, stand Momoko, die ihr gefolgt war. Und sie hatte alles mitangehört. Mit beiden, aufgelegten Händen versuchte sie ihr Herz zu beruhigen, das wie wild gegen ihre Brust hämmerte. »Er hasst mich nicht. Er versucht nur das Richtige zu tun.« Sie schloss die Augen und atmete ruhig, doch an ihrem Puls änderte sich nichts. Sie hatte es ihm abgekauft, ihm hundertprozentig geglaubt, dass sie ihm nichts weiter bedeutete, obwohl viel zu viel davor für das genaue Gegenteil sprach. Lieber lud er sich also die Last auf, nach außen hin den gefühlskalten Mistkerl zu spielen, als zuzulassen, dass ihre Freundschaft und alles Verbotene darüber hinaus, ihre Zukunft gefährdete. Und sie war so dumm gewesen und hatte es nicht bemerkt, dabei konnte es einen größeren Freundschaftsbeweis gar nicht geben. „Huch! Du bist ja hier!“, bemerkte Hinagiku sie jetzt. Der Kurzhaarigen fiel sofort Momokos Veränderung auf. „Du hast uns belauscht, oder?“ Schluckend nickte die Rosahaarige nur. Sie war noch zu durcheinander um einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Freundin stemmte die Hände in die Hüfte und grinste verschlagen. „Warum stehst du dann noch hier? Momoko verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. Augenrollend machte ihr Gegenüber eine Kopfbewegung in die Richtung, in die Yosuke verschwunden war. „Na lauf ihm nach! Nutz’ die Chance und sprich dich mit ihm aus!“, versuchte sie die junge Frau zu motivieren. Sollte sie wirklich? War das nicht zu übertrieben? Schließlich war sie kein Groupie… doch sie hatte nur zwei Optionen. Entweder ließ sie ihn endgültig gehen, oder sie ging ihm nach und würde versuchen etwas von der Freundschaft zu retten, die ihr für eine Weile durch eine schwere Zeit geholfen hatte. „Warte nicht, komm!“, nahm Hinagiku ihr die Entscheidung ab. Sie nahm sie bei der Hand und zog sie zielstrebig mit sich die Treppe hinunter Richtung Ausgang. Momoko hatte keine Zeit zu zögern. In Windeseile erreichten sie den dunklen Flur mit der Garderobe, an dessen Ende Yuri und Kazuya standen und verwundert in ihre Richtung schauten. „Was ist denn mit euch los?“, fragte Kazuya verwundert. „Keine Zeit – habt ihr Yosuke gesehen?“, wollte Hinagiku gehetzt wissen. „Äh ja. Er hat sich gerade mies gelaunt verabschiedet und ist gegangen.“, erklärte Yuri nicht weniger verwirrt. Ihre hektische Freundin erklärte nichts, schob aber stattdessen Momoko zum Ausgang, wo diese fast über die Stufen nach draußen stolperte. „Hinagiku!“, schimpfte sie erschrocken darüber. „’tschuldige! Geh schon! Du erwischst ihn bestimmt noch!“ Ihre bezopfte Freundin orientierte sich kurz und lief dann in ihren hinderlichen Pumps los. „Hinagiku!“, hörte sie es diesmal hinter sich von Yuri rufen. Sie drehte sich um und sah in zwei fragende Gesichter. „Entschuldigt, aber das eben musste sein! Es gibt eine neue Entwicklung in der Mouske-Sache!“, leitete sie vielversprechend ein und lächelte zufrieden, als sie den Beiden haarklein erzählte, was sich soeben zugetragen hatte. Kapitel 34: Between awareness and dischantment ---------------------------------------------- Weit war es zur Bushaltestelle ja nicht, aber um mit dem Bus in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, musste man die breite Hauptstraße überqueren. Momoko lief, so schnell es eben halbwegs elegant in den hochhackigen Schuhen ging und versuchte im Dunkel der Nacht Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite auszumachen. Im Schein der Laternen erspähte sie einige Leute, die auf den Bus warteten, also konnte Yosuke noch nicht weg sein. In einer kleinen Lücke, zwischen den vorbeifahrenden Autos, rannte Momoko beherzt über die erste Straße, denn in der Ferne sah sie den Bus bereits heranfahren und sie musste doch unbedingt noch vor ihm ankommen! Allerdings steckte sie danach sekundenlang auf dem unbefahrenen Mittelstreifen fest, weil sich keine weitere Lücke zwischen den Autofahrern auftat. Der Bus rollte an ihr vorbei und parkte an der Haltestelle. Die Autos nach ihm bremsten etwas; das war ihre Chance! Ihre Schuhe blieben glücklicher Weise an ihren Füßen, als sie mit großen, überstürzten Sätzen den Bürgersteig erreichte und dem Bus nachjagte, in den bereits die letzten Passagiere einstiegen. Einer von ihnen war der braunhaarige Torwart. Mit nachdenklichem Blick und den Händen in den Hosentaschen. „Yosuke warte!“, rief sie ihm zu.“ Mit verwundertem, plötzlich sehr wachem Blick drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und sah sie völlig außer Atem heranstolpern. Natürlich zogen sich seine Augenbrauen sofort finster zusammen, als er sie erkannte. „Was willst du denn hier?“, fragte er sie, rückte in seiner Schlange aber ungerührt vorwärts. „Bitte fahr nicht mit! Ich muss mit dir reden.“, antwortete sie schnaufend. Er sah sie nicht an, blieb kühl und unnahbar und starrte wieder ins Businnere. „Ich wüsste nicht worüber.“ „Über das, was du zu Hinagiku gesagt hast.“ Endlich kam Bewegung in seine Miene und er blieb stehen, um andere hinter sich vorzulassen. „Ich weiß ja nicht, was sie dir erzählt hat, aber…“, fing er an es runterspielen zu wollen, doch Momoko fiel ihm direkt ins Wort. „Sie musste nichts erzählen. Ich habe alles gehört.“ »Das darf nicht wahr sein…«, dachte er bei sich und stöhnte laut. Er schloss konzentriert seine Augen und fuhr sich mit der rechten Hand langsam über sein Gesicht bis in den Haaransatz. Der Busfahrer musterte ihn fragend, denn er war nun der Letzte, auf den er wartete. Yosuke schüttelte den Kopf und winkte ab, denn er hatte grade beschlossen doch nicht mitzufahren. Die Automatiktür schloss sich zischend und der Bus fuhr laut brummend ab. Erst jetzt ließ der Torwart seine Hand wieder sinken und eine verstrubbelte Frisur zurück. „Na schön. Reden wir.“, begann er mut- und lustlos. „Stimmt es, dass du dich mir gegenüber nur so furchtbar und abweisend verhältst, weil du davon überzeugt bist, dass dies der einzige Weg ist mich auf Abstand zu bringen? Damit nichts passiert, was meine Zukunft oder die meines Vaters gefährdet?“, platzte Momoko ohne Umschweife mit der Tür ins Haus. Yosuke holte tief Luft und versuchte krampfhaft dem Blick der Blauäugigen stand zu halten. Ihre Augen waren etwas verquollen und gerötet, das Make Up abgewaschen. Das Natürliche stand ihr trotzdem viel besser zu Gesicht. Sein Blick wurde weicher, als er resignierte. Noch hoffte er, wenn er einfach nichts sagen würde, würde sie vielleicht wieder umdrehen und zurück zu ihren Freunden gehen, doch insgeheim wusste er es besser. „Ich hätte am Besten gar nichts sagen sollen. Das wäre besser gewesen. Konsequenter.“, entgegnete er, ohne eine direkte Antwort auf ihre Frage zu geben. Momoko fasste sich ein Herz und überwand den mehrere Meter breiten Abstand zwischen ihnen, bis sie nur noch eine Armlänge trennte. Das Blau ihrer Augen leuchtete, im Schein der Laternen, wie ein klares Morgengrauen. Yosuke schluckte, er war nicht für diese Situation gewappnet. „Dann stimmt es also?“, wollte sie wissen. Sie sah ihn ernst an, ihre Augen flackerten kurz nervös auf. „Du kennst die Antwort doch schon.“, wich er wieder aus. „Ich will es aber aus deinem Mund hören.“, bestand sie stoisch. Er senkte kurz seinen Blick und nickte dann schwach. „Ja, es stimmt.“ Unvermittelt erwischte ihn ein zorniger Fausthieb in die linke Seite. Erschrocken wich Yosuke zurück und starrte sie verblüfft an. „Du Idiot!“, brüllte sie und hielt ihre erhobene Faust drohend vor ihn hin. Sprachlos blinzelte er und rieb sich die getroffene Stelle; die unvorhersehbare Attacke hatte ihn tatsächlich mehr schockiert, als weh getan. „Hast du eine Ahnung, wie ich mich in den letzten Wochen deswegen gefühlt habe?! Benutzt, verarscht, dreckig und wie ein dummes, naives Mädchen, das sich von einem Lügner hat rumkriegen lassen!“, fuhr sie ihn weiter vorwurfsvoll an. „Ich habe dir dein Verhalten abgenommen und jedes schreckliche Wort geglaubt, das du zu mir gesagt hast!“ Der junge Mann sah schuldbewusst zu Boden, sein schlechtes Gewissen lastete noch schwerer auf ihm, als zuvor. „Das war meine Absicht…“, erklärte er leise. „Ich weiß... Du wolltest, dass ich dich hasse, damit es mir leichter fällt dich nicht mehr zu treffen. Aber war das wirklich nötig?“, hinterfragte Momoko nun deutlich zahmer und senkte ebenfalls betreten den Blick. Yosuke sah sie an. Sie war in seinen Augen immer noch eine wunderschöne, junge Frau. Das Grau der Nacht konnte der Röte ihrer Wangen und Lippen nichts anhaben und schmälerte nichts an dem ausdrucksstarken Glanz ihrer großen Augen. Den Rest traute er sich kaum anzusehen; ihr weiblicher Körper und ihre verletzliche Haltung riefen Gefühle und Erinnerungen wach, die er versucht hatte ganz tief in sich zu verschließen. „Es war nötig.“, sagte er schließlich schluckend. Momoko sah ihn verletzt an. „Warum?“ „Das weißt du. Es sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen. Als du an dem Abend vor meiner Tür standest und angefangen hast mir diese seltsamen Fragen zu stellen… Ich hatte Angst du gibst für diese eine Nacht alles auf, was du dir für dich und deinen Vater erarbeitet hast.“ Die Rosahaarige lachte zynisch auf und verschränkte die Arme. „Dabei war dir meine Verlobung mit Takuro doch am meisten ein Dorn im Auge. Wieso hat es dich da plötzlich geschert, ob ich alles hinwerfen wollte oder nicht?“ „Weil ich an diesem Abend zum ersten Mal richtig verstanden habe, wieso du das alles tust.“ Seine prompte, direkte Antwort machte sie sprachlos. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Wie meinst du das?“, fragte sie ihn verunsichert und lockerte ihre Abwehrhaltung dabei wieder etwas. „Mir geht es jetzt genau wie dir; nachdem Hiromi mir offenbart hat, dass sie schwanger ist, hatte ich nur zwei Möglichkeiten. Mich zu trennen und Hiromi mit dem Kind im Stich lassen, oder bei ihr zu bleiben und dem Kind versuchen ein guter Vater zu sein.“ Abwehrend schüttelte seine Gesprächspartnerin den Kopf. „Das ist doch Unsinn! Du kannst auch ein guter Vater sein ohne mit Hiromi zusammen zu sein!“ Jetzt war es Yosuke, der traurig lachte. „Denkst du, Hiromi würde es mir so einfach machen? Wenn ich mich trenne ist sie mit dem Kind über alle Berge, zieht zu ihren Verwandten weit außerhalb der Stadt und wird keine Gelegenheit auslassen es mir schwer zu machen. Im schlimmsten Fall sehe ich das Kind nie oder nur alle paar Monate – was wäre das für ein Leben für es? Hiromi und ich, wir würden uns nur streiten oder sie würde mich schlecht machen wo sie nur kann.“, erklärte er grimmig. Momoko konnte nicht anders, als ihn stumm anzusehen, doch in ihrem durchdringenden Blick lag so viel Ablehnung gegen Hiromi und außerdem eine Frage, die sie nicht auszusprechen wagte, die er aber trotzdem verstand. „Natürlich könnte mir das auch einfach egal sein, aber so bin ich nicht. Das kann ich nicht. Ich will nicht sein wie mein Vater.“ Jetzt verstand sie endlich, worum es ihm ging und was er meinte, als er sagte, dass es ihm nun genauso erging wie ihr. Des Kindes wegen musste er Verantwortung übernehmen und wenn es bedeutete, mit jemanden zusammen zu sein, den er nicht liebte und sein eigenes Glück dafür außer Acht zu lassen, dann nahm er das in Kauf. Genau, wie sie bereit war, Takuro für ihren Vater zu heiraten. „Glaub mir, du bist bestimmt nicht wie dein Vater. Du wirst ganz anders sein als er.“, sagte sie schließlich, nachdem sie sich eine Weile schweigend gegenüber gestanden hatten. Bekümmert lächelnde, braungrüne Augen trafen auf ihre. Momoko rang sich ebenfalls ein Lächeln ab, aber in ihrer Kehle bildete sich bereits ein dicker Kloß. Es war auf tragische Weise verfahren… Da standen sie nun; beide in derselben Situation, beide auf dieselbe Weise einsam und unverstanden, aber trotzdem nicht imstande sich gegenseitig Trost zu spenden. „Dann verstehst du also, wieso ich so gehandelt habe und wir uns nicht mehr sehen dürfen?“ Momoko nickte eifrig und schürzte dabei die Lippen, denn sie musste ein paar Tränen nieder kämpfen. Yosuke hatte Recht, sie beide hatten einfach zu viel zu verlieren. Es gab nichts was gerechtfertigt hätte, ihre Freundschaft, wider aller Vernunft, aufrecht zu erhalten. Dafür waren sie beide längst zu weit gegangen. „Es tut mir leid, dass ich so schrecklich zu dir war.“, entschuldigte er sich bei ihr. Sie musste scharf und konzentriert atmen, um nicht doch noch loszuweinen. Dem Alkohol in ihrem Blut war es geschuldet, dass sie heute deutlich näher am Wasser gebaut war, als sonst. „Danke, dass du mich vor dem Spinner vorhin gerettet hast.“, beglich Momoko auch ihre Rechnung bei ihm. Beide lachten halbherzig, als sich ihre Blicke wieder trafen. Die Blauäugige fragte sich, während einer aufkommenden Gänsehaut, ob Yosuke die elektrisierende Spannung, zwischen ihnen, auch gerade spürte oder ob es nur ihr so ging. Er spürte sie, doch ließ sich nichts anmerken. Jetzt, wo alles endlich ausgesprochen war, war ihm das Herz gleichermaßen schwer wie erleichtert. Je länger er sie ansah, desto schneller begann es zu schlagen. Zu einfach war es in ihrer Gegenwart alle Vernunft zu vernachlässigen und das Geschehende ruhen zu lassen, um wieder dort anzusetzen, wo sie vor drei Wochen aufgehört hatten. „Gern geschehen.“, entgegnete er nach einer weiteren, vielsagenden Pause. Momokos Puls ließ ihre Finger zittrig und ihre Knie weich werden. Seine Stimme klang wieder warm und geschmeidig wie früher und erst sein leicht schiefes Lächeln dazu… Sie musste die Augen schließen, um die Schauer abzuschütteln, die sie heimsuchten. „Ich muss gehen.“, sagte Yosuke schließlich beinahe flüsternd. Irgendwie lag eine Zweideutigkeit darin, die die Frage aufwarf, ob er es auf die Uhrzeit bezog, oder darauf, dass er vor der Anziehung zwischen ihnen flüchten musste, die zwischen ihnen gerade nahezu greifbar wurde. Mit argwöhnischem Blick sah er durch die getönten Scheiben seines schwarzen Wagens, während dieser wartend in einer Nebenstraße parkte, von der aus man den Club sehr gut sehen konnte. Es hatte ihm nicht gepasst, als er am Telefon, ausgerechnet von Hinagikus Vater, hören musste, wo genau sie, mit dem Tanima-Mädchen und Momoko, ihren Abend verbringen wollten. Sie sollte ihn eigentlich informieren, doch das hatte sie nicht. Die Rede war außerdem von einer kleinen, harmlosen Bar gewesen, nicht von einem derartigen Etablissement. Doch er riss sich zusammen und wollte nicht den Spielverderber mimen; seine Verlobte wollte einen lustigen Mädelsabend genießen und war dabei nicht in der schlechtesten Gesellschaft, musste er zugeben. In letzter Zeit war sie ihm gegenüber sehr zugetan gewesen und das wollte er sich nicht ruinieren. Also hatte er seine Eifersucht und seinen Stolz herunter geschluckt und nicht versucht sie abzufangen, um ihr das auszureden. Aber wenn er sie schon nicht begleitete, dann konnte er wenigstens ein Gentleman sein und sie damit überraschen, dass er sie abholte. So stand er also, dort in seiner Nebenstraße, nun schon eine ganze Weile geduldig und beobachtete gelangweilt das nächtliche Treiben. Solange, bis er aus dem Club eine junge Frau mit rosa Haaren laufen sah. Er hatte zuerst nicht glauben können, dass es sich bei ihr tatsächlich um Momoko handelte, denn ihr Outfit war ganz anders, als das, was er sonst von ihr gewohnt war. So sexy und aufgehübscht zeigte sie sich sonst nie und hätte er sie darin zuvor gesehen, hätte er es ihr verboten. Allein ihre enge Bluse war eine Provokation an jeden Mann mit einer halbwegs ausgeprägten Libido. Bewegungslos, vor Entsetzen, sah er dabei zu, wie sie die Straßen in seine Richtung überquerte und dann, ohne sein Auto zu bemerken, den Bürgersteig rechts von ihm erreichte und dem eingefahrenen Bus nachrannte. Takuro öffnete seine Tür und wollte aussteigen, um sie davon abzuhalten, dort mitzufahren. Es wunderte ihn sowieso, wieso sie vor hatte, ganz allein und anscheinend gehetzt, heimzufahren. Doch dann sah er, schon halb ausgestiegen, wie sie gar nicht einstieg, sondern stattdessen einen der anderen, potentiellen Fahrgäste, in ein Gespräch verwickelte. Schließlich blieb sie, mit demjenigen, allein an der Haltestelle zurück. Mit finsterem Blick realisierte er, dass dieser Jemand ein alt bekanntes, verhasstes Gesicht war. »Fuma…«, knurrte er stumm in sich hinein und verkrallte seine Finger in der Autotür. Was tat er hier? Wieso lief Momoko ihm nach? Worüber sprachen sie? Weshalb hatten sie überhaupt miteinander zu tun, nachdem er ihr doch klar gemacht hatte, was er von dem affektiertem Torwart hielt? Und vor allem – wieso hatte sie Yosuke nie wieder, seit dem Klassentreffen, in seiner Gegenwart erwähnt? Schäumend vor Eifersucht, beobachtete er die beiden ein paar Minuten, ehe er einschritt. Es erschien ihm zuerst so, als würden sie streiten, doch er war zu weit weg, um sie zu verstehen oder etwas in ihren Gesichtern zu erkennen, dass ihm Aufschluss über ihr ominöses Miteinander gab. Schließlich siegte sein Jähzorn. Knallend schloss er die Autotür und stampfte entschlossen auf die Zwei zu. Momoko wollte gerade etwas auf Yosukes letzten Satz entgegnen, als sie bemerkte, dass sein Blick von ihr wich und sich nach kurzem Stutzen sofort verspannte. Er musste etwas oder jemanden hinter ihr entdeckt haben, was nichts Gutes verheißen ließ. Sie warf einen Blick über die Schulter und entdeckte mit Schrecken ausgerechnet Takuro, der wütend auf sie zu kam. Ihr Herz setzte vor Schreck aus. Mit aufgerissenen Augen sah sie wieder zu Yosuke, der ihren Blick nicht minder verstört erwiderte. „Kannst du mir erklären, was das hier soll?!“, fuhr der Schwarzhaarige sie an und riss sie unsanft zu sich herum. Yosuke krallte seine Nägel in sein eigenes Fleisch, um sich davon abzuhalten, dem Schnösel nicht augenblicklich den Kopf dafür abzureißen. Momoko schüttelte ihn dafür sofort mit einem Ruck von sich ab und funkelte ihn böse an. „Aua! Was soll denn das, Takuro?“, blaffte sie zurück. Starr vor Zorn funkelte er über ihre Schulter hinweg zuerst Yosuke und dann wieder sie an. „Das fragst du noch? Was tust du hier draußen, allein mit diesem Kerl und noch dazu in diesem Outfit?“ Die Rosahaarige verdunkelte ihren Blick und verschränkte abwehrend die Arme. „Gar nichts! Aber was machst du hier? Spionierst du mir etwa nach?“, antwortete sie pampig und konterte mit Gegenfragen. „Nach gar nichts sah mir das aber nicht aus! Und ich bin hier, weil ich dich überraschen wollte. Hinagikus Vater hat ausgeplaudert, wo ihr euch rumtreibt.“, gab er aufgebracht zurück. Seine Verlobte riss verzweifelt die Arme hoch und zuckte fragend mit den Schultern. „Was soll das?! Wieso kontrollierst du, was ich mit wem mache? Und was willst du denn gesehen haben? Wir haben doch nur geredet, mehr nicht!“ „Es wäre wohl besser, ich würde dich öfter kontrollieren! Warum redest du mit ihm? Worüber? Wieso ist er überhaupt hier?“, fragte er weiter ungehalten. „Sie kann nichts dafür, dass ich heute Abend ebenfalls die Idee hatte auszugehen.“, mischte sich Yosuke ein, doch Takuro gab ihm mit einem diktatorischen Handzeichen zu verstehen, dass er sich rauszuhalten hätte. „Dich habe ich nicht gefragt!“, zischte er nur und fixierte weiterhin Momoko. „Wieso sollte ich nicht mit ihm reden, wenn ich ihn zufällig treffe?“, übernahm sie trotzig. „Weil ich nicht will, dass du dich mit jemanden wie ihn abgibst.“, antwortete er im Befehlston. Momoko sah ihn, nur noch, aus Funken sprühenden Schlitzen an. Es entstand eine unangenehme Pause, zwischen den Dreien. „Ich lasse mir nicht von dir vorschreiben, mit wem ich Kontakt habe oder nicht!“, platzte es schließlich aus der jungen Frau heraus. Takuro war sichtlich getroffen; mit entgleisten Gesichtszügen taumelte er einen Schritt zurück, ehe er sich wieder fing. „Wie lange geht das schon so? Was verschweigst du mir noch?!“ „Gar nichts!“, log sie ohne Umschweife und ohne eine verräterische Regung in ihrem Gesicht, denn die Wut gab ihr Mut. Yosuke fühlte sich hilflos und überfordert mit der Situation, wollte er doch eingreifen, konnte aber nicht. Zumindest nicht ohne Momoko und sich damit zu verraten. Der Brillenträger fixierte sie beide genaustens. „Du kommst jetzt mit, wir unterhalten uns im Auto weiter!“, befahl er ihr entschieden und griff ihr linkes Handgelenk. „Was? Das geht nicht! Yuri, Hinagiku und Kazuya sind noch im Club und warten auf mich!“, erklärte sie echauffiert und versuchte sich aus seinem Griff zu winden, doch er war eisern. „Das ist mir egal, ich lasse dich keinen Augenblick länger mehr hier in dieser Umgebung und mit diesen Leuten!“ Sein hasserfüllter Blick streifte dabei erneut Yosuke. „Diese Leute, von denen du sprichst, sind meine Freunde!“, wehrte Momoko sich anklagend. „Und ich bin dein Verlobter!“, schrie er sie an. Geschockt hörte sie schlagartig auf sich zu wehren. So aufgebracht und entschlossen hatte sie ihn noch nie erlebt. Zum ersten Mal verspürte sie, tief in ihrem Inneren, echte Angst vor ihm und seiner dunklen Seite. Sie wollte nicht wissen, wohin sein eifersüchtiges Temperament führen konnte. Selbst Yosuke war sprachlos und unfähig sich zu rühren. „Komm jetzt!“, fügte er in die Stille hinein hinzu und zog sie, ohne sich noch mal umzusehen, mit sich. Momoko hingegen sah sich nach dem dunkelhaarigen Fußballspieler um, der ihr einen ängstlich fragenden Blick hinterher warf. Sie ahnte, dass sie ihm nur ein Zeichen geben brauchte, damit er sie auch aus dieser misslichen Lage befreite. Resignierend schüttelte sie jedoch kaum merklich den Kopf und drehte sich weg. Ohne Widerstand folgte sie Takuro und fügte sich in ihr Schicksal, als sie in sein Auto stieg. Es war ein stiller, endgültiger Abschied. Kapitel 35: Loveless relationships ---------------------------------- Sie hatte sich kaum angeschnallt, als Takuro neben ihr dem Fahrer das Zeichen zum Losfahren gab. Er betätigte außerdem einen Knopf auf seiner Seite und zum ersten Mal stellte Momoko fest, dass dieses Auto eine ausfahrbare Trennscheibe, zwischen dem Fahrerraum und der Rückbank, hatte. Das roch nach Ärger. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich so hintergangen hast.“, begann ihr Verlobter mit vorwurfsvollem Unterton. Momoko verschränkte sofort wieder ihre Arme und drückte sich in die äußerste Ecke ihres Platzes, von wo aus sie ihren Sitznachbarn sauer anstarrte. „Ich habe dich nicht hintergangen. Bis eben habe ich einen ganz normalen, ausgelassenen Abend mit meinen Freunden verbracht.“ „Schau dich doch mal an! Das nennst du normal?! Und diese Bar, oder vielmehr dieser Club – ich will gar nicht wissen, was da drin für Zustände geherrscht haben.“, knurrte Takuro und malte sich die dunkelsten Dinge aus. „Ja, ich weiß, mein Outfit ist nicht nach deinem Geschmack, aber es ist weit davon entfernt billig auszusehen! Ich habe eine Leggings unter meinem Minirock, ich trage kein Bauchfrei und ich hatte mit der Bluse nicht vor an einem Wet-T-Shirt-Contest teilzunehmen.“, konterte sie provokant und frech. Takuro taxierte sie mit seinen rotbraunen Augen wenig amüsiert. „Das ist nicht der passende Zeitpunkt für Scherze.“, sagte er kühl. „Ich finde das Ganze hier auch nicht lustig! Aber was willst du denn hören? Ich habe nichts gemacht, was deinen Ärger und dein Verhalten von eben rechtfertigt!“ „Ach, jetzt drehst du den Spieß um, indem du mir vorwirfst ich hätte mich falsch verhalten?“, hinterfragte er ungläubig, aber ruhig. „Oh ja, das tue ich!“ Trotzig warf sie sich in ihre Lehne und sah aus dem Fenster. Der Schwarzhaarige musterte sie argwöhnisch. „Du wärst wohl lieber bei diesem Fußball-Proleten geblieben, als jetzt bei mir zu sein.“ Momoko rollte kopfschüttelnd mit den Augen. „Es geht doch überhaupt nicht um Yosuke! Du hast mich von der Party quasi weggezerrt und mich dastehen lassen, wie ein unartiges Kind! Yuri und die anderen werden sich jetzt außerdem wahrscheinlich totale Sorgen um mich machen, weil ich mich nicht abmelden konnte und nun weg bin.“ „Du kannst sie von Zuhause aus anrufen, aber Fuma wird dich wahrscheinlich bis dahin schon entschuldigt haben.“ Es machte die Rosahaarige rasend, dass Takuro alles, was sie sagte, abtat, als wäre es nicht von Bedeutung. „Du kannst dich nicht immer so aufführen, wann immer ich etwas tue, das dir nicht gefällt. Das geht einfach nicht.“, versuchte sie es langsam und eindringlich bei ihm. Wieder funkelte er sie nur böse an. „Warum nicht? Du wirst irgendwann meine Frau sein, da kann ich doch wohl erwarten, dass du dich nicht benimmst wie ein wilder, hemmungsloser Teenager! Schließlich repräsentierst du dann meinen Familiennamen.“ Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen und krallte ihre Fingernägel in die Haut ihrer Oberarme. „Ich habe aber auch noch ein Leben außerhalb dieser Welt! Du kannst mir nicht bei allem vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe!“, fauchte sie schmallippig. „Oh doch, weil du zu mir gehörst! Ich lasse nicht zu, dass du dich in solchen Kreisen aufhältst.“ „Weißt du überhaupt, was du da redest? Du klingst total kontrollsüchtig!“, fuhr Momoko ihn entsetzt an. „Ich weiß, aber es ist das Beste so. Du merkst es nicht, aber diese Leute sind nicht gut für dich. Sie verleiten dich zu Dingen, die dir und mir schaden könnten.“, erklärte er sachlich und vollkommen davon überzeugt. „Diese Leute? Meinst du meine Freundinnen, oder insbesondere Yosuke?“ Ihre Blicke trafen sich und Momoko schlug seine unverhohlene Eifersucht ins Gesicht. Takuro antwortete nicht, aber das war auch überflüssig. Ein zynisches Lächeln glitt über ihre Lippen. „Unglaublich… du kannst mich doch nicht von jedem Mann in meinem Umfeld fernhalten! Wie gesagt, wir haben uns zufällig in dem Club getroffen und nur ge-re-det.“ „Tatsächlich? Warum wart ihr dann nicht drinnen? Wieso musstest du ihm dazu hinterher rennen?“, konfrontierte er sie scharfzüngig. Die junge Frau blieb ihm die Antwort schuldig. So schnell fiel ihr keine plausible Ausrede dafür ein, aber sie ließ sich nach außen hin nicht anmerken, dass er einen wunden Punkt erwischt hatte. Sie hielt störrisch den Blickkontakt. Takuro wand sich, als Erstes, nachdenklich ab und einen Augenblick lang schwiegen sie beide. „Ich werde dafür sorgen, dass du jetzt immer von der Schule abgeholt wirst, an den Tagen, wo du nicht arbeiten musst. An den Anderen stehe ich abends sowieso vor deinem Café. Du wirst mir jetzt außerdem immer mitteilen, wo du bist oder wohin du gehst. Vor allem mit wem. Wenn ich dich auf deinem Handy nicht erreichen kann, werde ich deine Freundinnen abtelefonieren.“ Momoko riss die Augen auf. „Auf keinen Fall! Das ist doch krank! Vergiss es, ich lasse mich nicht zwingen!“, widersprach sie sofort leicht hysterisch. Erschreckend schnell fuhr Takuro zu ihr herum und beugte sich bedrohlich nah zu ihr hinüber. Seine rechte Hand stemmte sich in die Tür neben ihr. „Oh doch, du wirst gar nicht anders können. Ich lasse dir da keine Wahl, wir haben eine Vereinbarung – vergiss das nicht.“ Nervös blinzelnd erwiderte sie seinen durchbohrenden Blick „Ich habe keine Ahnung, was ich getan haben soll, dass du so verärgert bist... Du willst also die komplette Kontrolle über mich? Ich dachte, du liebst mich?“, flüsterte sie langsam, fast stockend. Ihr Verlobter rückte zurück auf seinen Platz. Sein Gesichtsausdruck wurde weicher, fast entschuldigend. „Gerade deswegen ja, liebste Momoko. Du bist das Wertvollste, was ich habe und ich möchte mir immer gewiss darüber sein, dass das auch so bleibt.“ Ein eiskalter Schauer lief der Blauäugigen über den Rücken. Sie wusste nicht viel von der Liebe, aber wenn sie etwas wusste, dann dass das keine Liebe war! „Du vertraust mir nicht.“, stellte sie laut fest. „Kann ich dir denn trauen?“ Angespannt senkte sie kurz den Blick, nickte dann aber. »Es war nur eine einmalige Sache. Es kommt nie wieder vor, also ist es im Grunde keine Lüge.«, redete sie sich dabei ein. „Warum dann hast du mir verschwiegen, dass du Kontakt zu Fuma hast, obwohl ich dir damals deutlich gesagt habe, was ich davon halten würde?“ „Ich hatte keinen Kontakt zu ihm. Er brachte mir nach dem Klassentreffen meine vergessene Kamera vorbei und heute lief er mir, in dem Club, über den Weg. Das ist alles.“, log sie schluckend. Ihre Glieder zitterten wie Espenlaub, vor Anspannung, doch ihre entschlossene Fassade hielt trotzdem, solange sie sich an sich selber festhalten konnte. Takuro bedachte sie mit einem undefinierbaren Blick; seine Augen sahen dabei durch sie hindurch, so als würde er an etwas anderes dabei denken. „Ich weiß von dem Foto.“, sagte er plötzlich in die Stille hinein und sein Blick klarte wieder auf. „Welches Foto?“, fragte sie verwirrt. „Das Foto, was du vor ein paar Wochen, in deinem Kellerstübchen, so hektisch versucht hast vor mir zu verstecken. Das Bild mit Yosuke darauf.“ Momoko spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. DAS Foto hatte sie fast vergessen! Die Erinnerung daran rief gleichzeitig jene wach, in der sie ihn beim Fußballspielen noch ein zweites Mal fotografiert hatte. Ebenso rief es auch alles Weitere wach, was danach geschehen war… ihre Gespräche, ihr Date zum Hanami… alles. Ihr wurde schwindelig vor Aufregung, flog jetzt etwa alles auf? Als ihre Finger plötzlich zu kribbeln begannen und sich ein widerlich kalter, übergreifender Schauer seinen Weg über ihren Rücken bis in ihren Kopf bahnte, wurde es ihr schwarz vor Augen. „Momoko!“, hörte sie von ganz weit weg Takuros Stimme heranschallen. Zwei Hände rüttelten sie vorsichtig bei den Schultern. Sie schlug widerwillig die Augen wieder auf. „Du riechst ja nach Alkohol!“, stellte ihr Gegenüber entsetzt fest. Was? Die zwei Gläser Mixgetränk konnte man riechen? Sie konnte das kaum glauben, aber wenn sie deren Wirkung immer noch deutlich in ihrem Magen und vor allem in ihrem Kopf spüren konnte, war das wohl auch möglich. „Es war nicht viel…“, hauchte sie schwach. Der Schock, in Verbindung mit dem Hochprozentigen in ihrem Blut, hatte ihren Kreislauf einknicken lassen. Momoko fühlte sich elend, aber dieser Zufall rettete sie vorerst aus ihrer prekären Lage. „Was heißt, nicht viel? Wie bist du überhaupt an dieses Zeug gekommen?! Seit wann trinkst du eigentlich etwas?“ „Zwei Gläser. Wurden mir spendiert. War mit Cola gemischt, schmeckte gar nicht übel.“, antwortete sie knapp, denn jetzt rebellierte auch ihr verkrampfter Magen. Glücklicherweise bog der Wagen gerade in diesem Moment in ihre Straße ein. „Schaffst du es noch, bis wir anhalten?“ Lammfromm und sanft redete Takuro auf sie ein, rieb beruhigend ihren Rücken und lies ihr Fenster herunter, damit sie frische Luft bekam. Sie nickte konzentriert. Als sie vor ihrem Haus parkten, sprang ihr Verlobter sofort aus dem Auto, um ihr zuvorkommend die Tür zu öffnen und hilfsbereit seine Hand anzubieten. Momoko stieg aus und schlüpfte als erstes aus ihren Pumps, die sie dann in den Händen barfuss bis zu ihrer Tür trug, zu der sie Takuro natürlich begleitete. Ein paar Sekunden, in denen sie Zeit hatte zu realisieren, dass ihr unvorhergesehener Kollaps sie vor einem potenziell sehr unangenehmen Gespräch bewahrt hatte und ihr Mageninhalt wohl blieb, wo er war. „Schaffst du es alleine in dein Zimmer, oder soll ich dich begleiten?“, fragte der Schwarzhaarige sie höflich. „Es geht schon wieder, danke.“ Ihr Korb kränkte Takuro, der sich ernsthaft bemühte seinen Groll für den Moment ruhen zu lassen, da es ihr schlecht ging. „Na schön. Schlaf dich bis morgen aus, aber das Thema klären wir dann noch.“, warnte er sie vor. „Du wirst es wirklich durchziehen, oder? Mich jetzt rund um die Uhr im Auge zu behalten?“, entgegnete Momoko schwer seufzend und schloss dabei die Haustür auf. Er nickte nur knapp. „Tut mir leid, ich kann nicht anders. Dein Zustand jetzt bekräftigt mich darin sogar noch. Ich muss doch schließlich auf meine zukünftige Frau aufpassen, nicht wahr?“ Blass und erschöpft, wie sie war, konnte sie sich nicht mal mehr ein gestelltes Lächeln abringen. Also sah sie ihn einfach nur mit leerem Blick an. Er näherte sich ihr, nahm ihr Gesicht in beide Hände und hauchte ihrer Stirn einen Kuss auf. „Glaub mir, es ist das Beste so für uns beide. Unsere Liebe ist noch jung und zerbrechlich, nur wenn ich mich intensiv um sie kümmere, wird sie gedeihen.“ Mit vor Stolz geschwellter Brust, über sein prosaisches Gerede, lächelte er sie an und ging dann zurück zu seinem Wagen, der ihn zu sich in seine ausgeborgte Villa brachte. Momoko sah ihm nach, bis er verschwunden war. Alles in ihr, was sie in den letzten Wochen und Monaten von sich niedergerungen und in sich eingeschlossen hatte, damit sie mit Takuro zusammen sein konnte und ihm gefiel, brach jetzt wieder durch und kämpfte sich wütend an die Oberfläche. Zum ersten Mal empfand sie ehrliche Abneigung gegen ihn und sein Getue, denn es war alles nur Fassade! Nichts von dem, was er vorgab zu haben oder zu sein, entsprach der Wirklichkeit. Alles war nur geliehen und diente dem Schein, der alle anderen trügen sollte. Niemand sollte sehen, wie unsicher und unbedeutend Takuro Amano tatsächlich immer noch war. Nichts – nicht einmal die Hilfe, die sie für ihren Vater bekam, war sein Verdienst; alles Geld kam von seinen Verwandten. Er sprach zwar immer von einem gut bezahltem Job, einer hohen Position und einer goldenen Zukunft, aber im Moment war das alles doch nicht viel mehr als ein Traum oder ein Plan, den es erstmal in die Tat umzusetzen galt… Die junge Frau war frustriert, denn ihr Verlobter war nichts weiter als ein schlechter Schauspieler und Puppenmeister. Und sie war mitten drin, in seinem Theater. Sie war seine Puppe, mit der er sich stolz brüstete und sie steuerte, wie es ihm beliebte, damit er selber auch daran glauben konnte, wie großartig er war. Sie war sein Besitz, mehr nicht. Diese Erkenntnis traf sie sehr hart, nachdem sie sich so lange einreden konnte, dass Takuro sie aufrichtig liebte und sie mit ihm glücklich werden würde, wenn sie es nur zuließ. Ernüchtert schloss Momoko die Tür und sperrte die einsame Nacht damit aus. Bis zum heutigen Tage hatte sie fest daran geglaubt, dass es Takuro um ihrer selbst Willen ging, doch er hatte ihr in den letzten Minuten genau das Gegenteil bewiesen. Er liebte nicht sie, sondern das, was sie unter seiner Führung sein würde, wenn sie ihm gehorchte. Sie fühlte sich betrogen und erpresst, sodass der Gedanke, an die Zukunft, ihr die Luft abschnürte. Den alten Takuro von damals, aus der Mittelschule, hatte sie mehr gemocht. Ein einfacher, eigenbrödlischer Junge, der Bestnoten in jedem Fach, außer Sport, hatte. Ein schüchterner Streber durch und durch, der in seiner Freizeit kleine Onlinegames programmierte und Probleme hatte, Kontakte zu knüpfen. Er war nie perfekt, aber er stand immer zu dem, was er war, auch wenn ihm das keine Freundschaften einbrachte. So wie er gewesen war, war er in Ordnung für sie. Jetzt hatte ihn die Aussicht auf Geld und Ruhm verändert… Sie war also nicht nur dazu bestimmt jemanden zu heiraten, den sie nicht liebte und mit ihn in ein Land zu ziehen, dass sie nicht kannte, sondern anscheinend auch dazu verdammt, einen erheblichen Teil ihrer Persönlichkeit aufzugeben, damit das funktionierte. Momoko, angekommen in ihrem Zimmer, ließ sich auf ihr Bett fallen und rollte sich wie ein kleines Kind zusammen. Sie wollte so nicht leben; nicht wie ein einsamer Vogel in einem goldenen Käfig, der nur singen und fliegen durfte, wenn man ihm ein Türchen öffnete. Doch sie würde lieber stillschweigend eingehen, als ihren Vater zu opfern. Als Yosuke die Wohnungstür hinter sich schloss, brannte noch Licht im Wohnzimmer. Schnaubend nahm er das zur Kenntnis, denn das konnte nur bedeuten, dass Hiromi noch wach war und mit aller Wahrscheinlichkeit auf ihn wartete. „Yoyo-Maus, bist du das?“, hörte er auch schon ihre hohe Stimme rufen. „Wer denn sonst.“, gab er mürrisch zurück und streifte sich die Schuhe ab. Er versuchte möglichst geschafft und müde auszusehen, als er den Wohnraum betrat, wo ihn die gelockte, junge Frau bereits auf dem Sofa erwartete. „Du kommst früher, als ich gedacht hätte.“, bemerkte sie spitz und schaltete den Fernseher aus, den sie nebenbei zu laufen hatte. „Ich hatte dir keine Uhrzeit gesagt, wann ich zurück sein würde. Du hättest nicht warten müssen.“ „Passt es dir nicht, dass ich auf dich gewartet habe? Hattest du vielleicht noch andere Pläne, von denen ich nichts wissen sollte?“, fragte sie und klang erneut etwas gereizt. Der Dunkelhaarige seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Hiromi, ich bin müde und will mich nicht streiten. Lassen wir das also.“ „Ich will auch nicht streiten, aber du grenzt mich nur noch aus! Du erzählst mir nichts mehr, gehst mir aus dem Weg, meidest mich wo du nur kannst und schläfst seit Wochen auf dem Sofa.“ Yosuke stöhnte erschöpft, während er sich gegen den Türrahmen lehnte. „Ich brauche einfach etwas mehr Zeit.“, entgegnete er und erhoffte sich Verständnis. Seine zierliche Freundin setzte sich jedoch nur bockig in den Schneidersitz und brannte mit ihrem Blick Löcher in die Luft. „Zeit wofür? Wie soll unsere Beziehung wieder werden wie früher, wenn du nicht mehr mit mir sprichst? Ich darf dir keine Fragen stellen, nicht auf dich warten… das ist grausam von dir!“, warf sie ihm gekränkt vor. „Es wird nie wieder werden wie früher, wenn du mich andauernd bedrängst! Es vergeht kein Tag, an dem du nicht versuchst so zu tun, als hätte sich gar nichts geändert!“ Hiromis Blick wurde traurig und sie schürzte ihre Lippen. „Für mich hat sich auch nichts geändert.“, erklärte sie sich mit brüchiger Stimme und begann mitleiderregend auf ihrem Daumennagel herumzukauen. „Für mich schon… Für mich hat sich alles geändert, das weißt du auch.“ Trotzig wie ein Kind sprang die junge Schwangere auf und warf das Kissen, das sie bis eben auf dem Schoß gehabt hatte, wütend auf das Sofa. „Du hast dich aber entschieden bei mir zu bleiben und es noch mal mit uns zu versuchen! Davon merke ich aber nichts! Ich bin einsam, ich vermisse dich… doch du lässt mich außen vor und behandelst mich kalt und abweisend.“, giftete sie ihn an. Schuldbewusst senkte der Dunkelhaarige den Blick. Er wusste, dass sie Recht hatte, aber es fiel ihm schwer über seinen Schatten zu springen. „Tut mir leid, ich werde mir mehr Mühe geben.“, versprach Yosuke seufzend, allerdings nicht, ohne dass sich in ihm etwas gegen seine Worte sträubte. Hiromis Laune hellte sich schlagartig auf. Begeistert stürmte sie auf ihn zu, um ihn zu umarmen, doch der Torwart wich unwillkürlich vor ihr zurück. Ihr Blick verdunkelte sich sofort wieder. „Was mache ich falsch, dass ich dir so zuwider geworden bin?“ „Nichts, bedräng mich einfach nicht so. Das muss von alleine wiederkommen.“ Sie schnaubte verächtlich. „Wer weiß, vielleicht hast du heute Abend ja schon interessantere Frauen als mich getroffen.“, stichelte sie eifersüchtig. Nun war es auch mit Yosukes Gutmütigkeit vorbei, auch sie durfte es nicht zu weit mit ihm treiben! „Du redest Unsinn! Mit solchen Sprüchen machst du alles noch viel schlimmer, ist dir das nicht klar?!“ „Kannst du meine Ängste denn nicht verstehen? Ich bin schwanger, habe Angst um unsere Beziehung und du gehst aus – wer weiß wohin! Du hast mich ein Mal betrogen, wer garantiert mir denn, dass du das nicht noch mal tust und dann weg bist?“ Am Rande der Verzweiflung schossen Hiromi dicke Tränen in die Augen. „Du wirst mir vertrauen müssen. Das ist der Grundstein einer Beziehung.“, antwortete Yosuke eindringlich und unterdrückte dabei ihr zuliebe seine eigene Wut, doch seine angespannte Haltung verriet ihn. Seine Freundin schniefte und schluckte einen dicken Kloß hinunter. Sie hätte ihm lieber eine Szene gemacht, aber angesichts ihrer wackligen Position in seinem Herzen, riss sie sich zusammen. „Schläfst du heute wieder bei mir?“, fragte sie hoffnungsvoll und wechselte damit das Thema. „Ich denke nicht, nein.“ Die Lilahaarige machte daraufhin eine Grimasse, als würde sie jeden Augenblick platzen und ein frustrierter, aufschreiähnlicher Laut brach aus ihrer Kehle heraus. Ihre Hände zerrissen etwas Unsichtbares in der Luft. „Warum nicht?! Sehnst du dich nicht nach mir? Oder wenigstens nach Nähe? Das muss dir doch auch fehlen.“ Hiromi ließ ihre rechte Hand von seinem Schlüsselbein an aufreizend langsam über seine Brust hinunter zu seinem Bauch wandern, ehe er sie entschlossen davon abhielt. Mit klimpernden Wimpern und glühenden Blick sah sie zu ihm auf, traf aber auf nichts weiter als Gleichgültigkeit. „Tut mir leid, Hiromi. Du kannst mich nicht bezirzen.“, vertröstete Yosuke sie und ließ ihre Hand wieder los. „Sag mir doch, was ich tun soll. Ich fühle mich so hilflos…“, bettelte sie verletzlich. „Gar nichts! Das habe ich dir doch schon gesagt – lass mir Zeit, dräng dich mir nicht auf und lass mir meinen Freiraum, wenn ich weggehe.“, versuchte er erneut zu erklären. „Ich kann dir aber nicht vertrauen, wenn du nicht mehr mit mir sprichst und mir nie einen Funken Zuwendung schenkst!“ Entnervt ließ der Braunhaarige seine Schultern hängen. Es war dasselbe Theater mit Hiromi wie fast jeden Tag. Immer und immer wieder bohrte sie und wollte mehr, als er ihr im Moment geben konnte. Ihre ganze Art engte ihn ein, erstickte ihn geradezu. War sie schon immer so penetrant und nervig gewesen? Wie hatte er all die Zeit, in der er mit ihr zusammen war, die Augen davor verschließen können? „Vielleicht solltest du damit anfangen meine Grenzen einfach mal zu respektieren, bevor du mehr verlangst.“ Entrüstet schnappte die junge Frau nach Luft. „Was sagst du da? Jetzt bin ich der Fehler?“, tönte ihre sich überschlagende Stimme schrill. Vor den Kopf gestoßen taumelte sie einen Schritt zurück und sah ihn mit geweiteten, starren Augen an. „Wir müssen beide an uns arbeiten, wenn das funktionieren soll! Du kannst nicht immer nur von mir verlangen, dass ich mich mehr anstrengen muss! Du machst genauso Fehler.“ „Tue ich nicht!“, fauchte sie. „Siehst du, deswegen wollte ich dich verlassen! Weil es schon lange kein Wir mehr gab, sondern nur noch dich; deine Wünsche, deine Vorstellungen eines Zusammenlebens… und ich habe mich mitschleifen lassen.“, warf er ihr nicht minder wütend an den Kopf. „Warum bist du dann nicht gegangen?!“, schrie sie zurück. „Das weißt du ganz genau!“ Wissend, dass seine Augen zu ihrem Bauch wanderten, der noch nichts von dem verriet, was darin schlummerte, faltete sie ihre Hände darüber zusammen. Sie sahen einander böse an. Hiromi straffte sich räuspernd. „Egal wie oft du mir sagst, dass du nur wegen dem Baby noch hier bist – solange du bei mir bleibst, werde ich jede Minute, in deiner Nähe, darum kämpfen, dass du dich wieder daran erinnerst, wie sehr du mich geliebt hast, bevor dir dieses unbekannte Flittchen über den Weg gelaufen ist.“ Yosuke funkelte sie gereizt an. Ihre selbstgefällige Art machte ihn rasend! Sie würde sich niemals ändern oder einsehen, dass auch sie Fehler machte und alles andere als perfekt war. „Dann schlaf halt wieder auf der Couch, früher oder später wirst du darum betteln wieder zu mir ins Bett zu dürfen.“ Süffisant lächelnd stolzierte sie an ihm vorbei und verschwand im Schlafzimmer. Hiromi war wirklich ein heimtückisches Biest, das seine Launen nach Belieben wechseln konnte. Wie sooft wünschte Yosuke sich, er hätte doppelt verhütet und nicht auf die fragwürdige Wirkung einer Pille vertraut, die bereits von einem einfachen Magen-Darm Infekt ausgehebelt werden konnte. Zwischen dem Drang, Hiromi zu verlassen und der Verantwortung seinem ungeborenen Kind gegenüber, fühlte er sich wie ein Gefangener. Das hatte sich das Schicksal wirklich raffiniert ausgedacht. Über die Ausweglosigkeit seiner Lage grübelte er nicht länger nach, sondern begann sich eine Schlafstätte auf dem Sofa herzurichten. Der Torwart war zu erschlagen von den Ereignissen des Abends, als das er sich überwinden konnte noch mal das Badezimmer aufzusuchen. So ziemlich alles war ihm gerade egal, denn er war zu frustriert, um sich zum hundertsten Mal Gedanken über seine Zukunft zu machen. Stattdessen ging ihm die Szene mit Momoko, als Takuro sie wortwörtlich abgeführt hatte, nicht mehr aus dem Kopf. Darum kreisten seine Gedanken schon, seit er sie hatte mitgehen lassen. Yosuke schaltete das Licht aus und entschlüpfte seiner Hose und den Socken, bevor er sich in seine Zudecke rollte und stumm die Sofalehne anstarrte. Dass er die kleine Hobbyfotografin heute wiedergesehen hatte, wühlte viel ihn ihm auf. Er sah ihre klaren, himmelblauen Augen vor sich, ihren schönen Mund, der ihn traurig anlächelte… Selbst wenn er seine Lider schloss, war sie noch da. Die Wärme ihrer Haut, den Geruch ihrer Haare – all das war so klar, als würde sie hier neben ihm liegen. Yosuke schluckte und verwarf jedwede Vorstellung, bevor sein Blut Wellen schlug. Zu sehr beunruhigte ihn die Sorge um sie. Ja, sie beide hatten quasi einvernehmlich beschlossen, dass es das Beste war von nun an getrennte Wege zu gehen, aber wenn er seine Beziehung zu Hiromi reflektierte, musste er sich ernsthaft fragen, ob er überhaupt wusste, was das Beste eigentlich war. Je nach Standpunkt änderte sich das nämlich sehr schnell. Kapitel 36: Loneliness, Longing, Linked --------------------------------------- Noch in der Nacht von Samstag zu Sonntag, bekam Momoko einen Anruf ihrer beiden Freundinnen. Etwas verkatert und vor allem nuschelnd, erklärte sie deshalb nur stichpunktartig, was vorgefallen war. Takuro hatte Recht behalten; Yosuke war tatsächlich in den Club zu ihnen zurück gegangen, um bescheid zu sagen, dass sie nicht wiederkommen würde. Sorgen hatten sie sich trotzdem gemacht, deswegen der nächtliche Anruf... Mehr hatte Momoko leider nicht über Yosuke erfahren, denn danach war er, ohne vor ihnen weitere Worte über das Passierte zu verlieren, endgültig gegangen. Sie und er hatten sich kaum ausgesprochen und endlich alle Missverständnisse ausgeräumt, da war es auch schon wieder vorbei. Obwohl es das Richtige war, dachte die junge Frau wehmütig daran zurück. Er war ihr einziger, wirklicher Freund in diesen umbruchsreichen Zeiten gewesen; ein Verbündeter, ein Vertrauter… und er hatte ihr etwas gegeben, dass sie glaubte nirgendwo anders jemals wieder finden zu können. Unbeschwertheit und Leidenschaft. „Hanasaki-kun? Träumst du?“ Momoko schreckte hoch. Über sie und ihren Tisch, an dem sie saß, beugte sich ihre Mitschülerin Yuko. Ihre haselnussbraunen Augen musterten sie neugierig. „Alles in Ordnung? Der Unterricht ist doch schon vorbei und wir beide sind noch mit Raumdienst dran.“, plapperte sie munter weiter. Die Rosahaarige konnte nicht verstehen, wie man an so dermaßen gut gelaunt und überdreht klingen konnte. Mit Ach und Krach hatte sie sich zur Schule gequält, nachdem sie fast den gesamten gestrigen Tag damit zugebracht hatte, sich vor ihrem Verlobten für ihr Verhalten am Samstagabend zu rechtfertigen und seine Konsequenzen hinzunehmen. „Ich war etwas in Gedanken. Was soll ich denn machen?“, fragte sie ihre Klassenkameradin lustlos, ehe diese noch dachte, sie hätte ihre Zunge verschluckt. „Du könntest die Tafel abwischen und ich kümmere mich um die Tische.“ „Gut.“ Sie stand auf und rückte ihren Stuhl wieder ordentlich zurück. Ihr Platz war in der mittleren Reihe weiter hinten, wo es zum Glück nicht auffiel, wenn man im Unterricht mit seinen Gedanken woanders war. Heute war so ein Tag, an dem sie eigentlich nur dekorativ im Klassenzimmer gesessen hatte, ohne etwas vom behandelten Stoff mitzubekommen. Momoko war beileibe nicht die beste Schülerin, aber manchmal konnte sie ihren Kopf nicht ausschalten. Takuro war zwar ruhiger und sachlicher mit ihr ins Gericht gegangen, als Vorgestern im Auto, aber trotzdem hatte er nicht vor, von seinem Vorhaben, sie ab nun strenger zu kontrollieren, abzurücken. Mit viel Überredungskunst hatte sie ihn gerade noch davon abbringen können, darauf zu bestehen, dass sie zu ihm in seine geliehene Villa zog. Momoko tauchte einen Schwamm in ihren Eimer mit Wasser, mit dem sie dann über die dunkelgrüne Tafel wischte. Während sie Bahn um Bahn von Kreideresten befreite und die Fläche in neuem, fast jungfräulichen Glanz erstrahlte, sinnierte sie weiter vor sich hin. Natürlich war auch das umstrittene Foto von Yosuke wieder zur Sprache gekommen. Darauf war sie jedoch diesmal vorbereitet gewesen. Sie konnte Takuro sachlich erklären, wie es dazu gekommen war, dass sie das Bild hatte und vor ihm verstecken wollte. Ausnahmsweise musste sie ihn dazu mal nicht belügen. Sie hatte es unbewusst, ohne Absicht geschossen. Als sie es im Beisein ihres Verlobten entwickelt hatte, hatte sie befürchtet, er würde zu Unrecht eifersüchtig reagieren, wenn er es sehen würde. So war es letzten Endes ja auch gekommen… nur, dass es inzwischen sehr wohl einen Grund zur Eifersucht für ihn gab… Darüber verlor Momoko natürlich nicht ein einziges Wort, jeden Vorwurf in diese Richtung tat sie als lächerlich und nichtig ab und schlussendlich war Takuro gezwungen, ihr zu glauben. Grummelnd zwar, aber er war zu sehr von ihrer Beziehung besessen, als dass er ihr weiterhin irgendwas unterstellen würde, das diese gefährden könnte. „Lass uns nicht mehr von diesem Tag sprechen, wir vergessen es einfach. Ich will mich nicht mit dir streiten… Das nächste Mal werde ich dich einfach begleiten.“, hatte er freudestrahlend beschlossen. „Ich hole dich morgen Abend wieder von deiner Arbeit ab. Bitte ruf mich aber an, wenn du Unterrichtsschluss hast.“, hatte er ergänzt und dem frisch besiegelten Frieden somit einen gehörigen Dämpfer verpasst. Aus Trotz hatte sie sich heute noch nicht bei ihm gemeldet, obwohl er das so wollte. Momoko seufzte und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. Es war entsetzlich schwül an diesem Tag. „Schreckliches Wetter, oder?“, hörte sie Yuko hinter sich sagen. Ihre beiden Blicke gingen zu den Fenstern, gegen die heftiger Regen prasselte. Schon am Morgen hatte sich schlechtes Wetter angekündigt, aber ab der ersten Schulstunde hatte es dann abrupt angefangen ununterbrochen zu regnen. Kein Wunder; sie hatten wochenlang warmes, sonniges Wetter gehabt. Es war sogar so warm gewesen, dass viele Schülerinnen – sie eingeschlossen – ihre Winteruniform, mit dem langärmeligen Oberteil, gegen die kurze Sommeruniform getauscht hatten. Sie trugen nun weiße Blusen, statt ihren schwarzen Trikots und dazu das gewohnt rote Halstuch. Jedenfalls war heute der Tag gekommen, an dem sich die angestauten Wassermassen entluden. „Schrecklich ist eigentlich nur, dass es trotzdem so drückend warm ist.“, entgegnete die Blauäugige und stellte gleichzeitig ihre Arbeit fertig. „Wie weit bist du denn mit den Tischen?“, fügte sie noch höflich fragend hinzu. „So gut wie fertig – würdest du denn schon die ersten Stühle hochstellen?“ Momoko nickte, räumte ihren Putzeimer weg und machte sich ans Werk. Bei allem was sie tat fühlte sie sich demotiviert, lustlos und leer. Dieses Gefühl hielt schon an, seit sie am Samstag von Takuro heimgebracht worden war. Sie wusste, dass es daran lag, dass sich ihre Sicht auf die Dinge… nein; auf ihn verändert hatte. Ein Teil von ihr wollte gegen diese Verlobung und alles, was damit zusammen hing, rebellieren. Der andere Teil hatte resigniert, einfach aufgegeben und sich in sein Schicksal gefügt. So zuwider ihr das auch war, ihr blieb nach wie vor keine andere Wahl, als an der Vereinbarung mit Takuro festzuhalten. »Und trotzdem…«, erlaubte sie sich einen leisen, gedanklichen Widerspruch. Es war, als spiegelte der Regen ihren seelischen Zustand wieder. Düster, grau und traurig sah es in ihr aus. Takuro würde wahrscheinlich alles, nach und nach, still und leise ersticken, was noch ein kleinwenig Sonne und Lebendigkeit in ihr verfahrenes, bereits durchgeplantes Leben bringen konnte. Alles, was sie nicht in seine Arme trieb, war ihm ein Dorn im Auge. Momoko sah die Rinnsäle an den Fensterscheiben ihres Klassenzimmers hinab gleiten und seufzte. War das der Anfang einer Depression? Oder war sie einfach nur einsam und mutlos? „Beobachtest du auch den Typen da unten?“, riss Yuko sie erneut aus ihren Gedanken. Verwirrt blinzelte sie ihre Mitschülerin an. Das junge Mädchen beachtete sie gar nicht, sondern renkte sich bald den Hals bei dem Versuch aus, durch das vom Regen verzerrte Glas anständig nach draußen schauen zu können. „Der steht schon eine ganze Weile am Schultor und hat nicht mal ’nen Regenschirm dabei, der arme Kerl…“ „Vielleicht wartet er ja auf einen Freund oder so. Ist doch nichts Ungewöhnliches.“, kommentierte die Blauäugige desinteressiert und stellte währenddessen die letzten beiden Stühle hoch. „Im Regen? Da hätte er auch unter der Aula warten können. Nein, nein, der hier ist nicht mal von unserer Schule. Er hat eine ganz andere Uniform an.“ Momoko ließ vor Schreck den letzten Stuhl etwas zu laut auf die Tischplatte gleiten. »Oh nein, Takuro wird jetzt doch nicht auch noch anfangen, mich von der Schule abholen zu wollen, um mich höchstpersönlich zur Arbeit zu bringen?« Ihr wurde flau im Magen bei diesem Gedanken. Zwar war nichts dergleichen zwischen ihnen ausgemacht, aber zuzutrauen war es ihm trotzdem. Vielleicht wollte er sie testen. Etwas ängstlich näherte sie sich der Fensterfront, um ebenfalls einen Blick zu riskieren und spähte auf den fast gänzlich verlassenen Schulhof. Yuko neben ihr deutete auf einen Pfeiler des Schultors. „Da hinten steht er. Ich erkenne zwar nicht viel, aber der sieht gut gebaut aus.“, schwärmte sie anerkennend. Der Rosahaarigen klappte vor Staunen der Mund auf, als sie durch die Wand aus Regen wider Erwarten keinen schwarzhaarigen Brillenträger mit Pferdeschwanz erkannte, sondern einen brünetten, jungen Mann mit breiten Schultern und Fußballerstatur. „Yosuke…“, kam ihr flüsternd über die Lippen. Plötzlich überschlugen sich ihre Gefühle und ihr Herz begann zu Rasen. Wo eben noch Trostlosigkeit und Leere waren, kämpften nun Überraschung, Freude, Erschrecken und Verwunderung um die Vorherrschaft. So wach und lebendig war sie in den ganzen letzten 36 Stunden nicht gewesen! „Kennst du den etwa?“, hakte ihre Klassenkameradin neugierig nach, als ihr nicht verborgen blieb, dass auf einmal Schwung in Momokos Bewegungen kam. Überaus hektisch drehte diese sich weg, schnappte sich im Vorbeilaufen ihre Tasche von ihrem Tisch und flitzte wie angestochen zur Tür, wo sie sich noch mal zu ihrer Kommilitonin umdrehte. „Wir sind hier ja fertig? Bis morgen dann also, Yuko!“, rief sie mit hoher Stimme und winkte ihr im Losgehen halbherzig zu. Ganz verdattert blieb die junge Frau zurück. Weil Rennen auf den Fluren, wie überall im Schulgebäude, verboten war, blieb Momoko nichts anderes übrig, als mit übertrieben großen, schnellen Schritten den langen Flur bis zur Treppe entlang zu hechten. Am unteren Ende der Treppe fühlte sie sich aber unbeobachtet genug, um die wenigen Meter bis zu ihrem Schließfach schnell laufend zu überwinden. Jetzt konnte ihr nur noch der Schuhwechsel und das Umpacken ihrer Schulsachen nicht schnell genug gehen. Noch immer jagte ihr Puls und sie spürte, wie ihre Glieder vor Aufregung zitterten, aber es war keine unangenehme Aufregung. Zumindest nicht ausschließlich. Eine gewisse Spannung und Vorfreude durchzuckte sie. An der Automatiktür ihrer Schule angekommen, vergaß sie in der Hektik fast ihren Schirm, der in einem der extra aufgestellten Ständer neben vielen anderen stand und auf Gebrauch wartete. Am gegenüberliegenden Ende ihres Weges konnte sie Yosuke bereits sehen. Momoko atmete noch ein paar Mal tief durch, um ihr wie wild klopfendes Herz und damit auch ihre Nerven, wenigstens ein bisschen zu beruhigen, bevor sie ihren großen, transparenten Schirm aufspannte und nach draußen in den Regen trat. Der Torwart hatte sie noch nicht bemerkt. Angelehnt an den Pfeiler stand er da und strich sich nachdenklich sein regennasses Haar aus dem Gesicht. Erst als Momoko schon die Hälfte des Weges zu ihm hinter sich gebracht hatte, sah er zufällig doch mal in ihre Richtung und erstarrte, genau wie sie, mitten in der Bewegung. In einem Sekundenbruchteil loteten sie anhand ihrer Körpersprache aus, wie die Gesinnung des jeweils anderen war. Dann löste sich zuerst die Schülerin aus ihrer Starre und rannte, ungeachtet der Hausregeln, auf ihn zu, sodass das Wasser unter ihren Schuhen in alle Richtungen spritzte. Yosuke beobachtete sie mit großen Augen. „Was tust du denn hier?!“, war das Erste, dass sie ihm ungläubig entgegen rief. Er wusste nicht, ob er auf diese Begrüßung perplex oder entrüstet reagieren sollte, aber dazu ließ ihm die Blauäugige keine Zeit, denn schon im nächsten Moment zerrte sie ihn am Arm hinter die Schulmauer auf den Hof. „Wenn Takuro mitbekommt, dass du hier bist, macht er uns beide einen Kopf kürzer!“, erklärte sie aufgeregt flüsternd und warf vorsichtig einen Blick hinter das Tor, um zu schauen, ob die Luft rein war. „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“, witzelte der Dunkelhaarige völlig am Thema vorbei. Momoko sah ihn verwirrt an, musste beim Anblick seines zaghaften, schiefen Lächelns aber ebenfalls schmunzeln. Es war schon eine recht ungewöhnliche Situation. Er lächelte sie an, das war ein gutes Gefühl. Keine kalte, abweisende Miene; kein schroffer Ton, keine bösen Worte. Alles war gut. „Tut mir leid, aber ich war so erschrocken, dass du hier bist… und er würde wirklich durchdrehen! Es war leichtsinnig herzukommen. Wieso bist du überhaupt hier? Woher weißt du eigentlich, wo ich zur Schule gehe?“, sprudelte es nur so aus ihr heraus, was sie sich in Gedanken schon die ganze Zeit fragte. Yosuke legte sein Lächeln ab, aber in seinen Augen blieb der warme Ausdruck bestehen, der verriet, dass er sich insgeheim freute sie zu sehen. „Es muss dir nicht leid tun. Ich weiß, ich hätte nicht herkommen sollen, aber ich wusste auch nicht, dass ich hier eventuell mit Takuro rechnen muss.“ Er senkte selbstermahnend den Blick und dachte nach. Seiner kurzen Erklärung hing noch ein unausgesprochenes Aber an, dem Momoko nur allzu gern auf den Grund gehen wollte. „Aber…?“, hakte sie vorsichtig nach. Er sah sie aus seinen braungrünen Augen an, fast entschuldigend. „Aber ich musste wissen, ob es dir gut geht.“, antwortete er nervös. Sein Gegenüber errötete und blinzelte verlegen, er selbst versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Die Rosahaarige schüttelte ihre Perplexität schnell wieder ab und straffte sich. „Nun, wie du siehst stehe ich taufrisch wie immer vor dir.“, scherzte sie halbherzig und erbarmte sich, ihren Schirm auch über den triefnassen Torwart zu halten. „Danke.“, sagte er daraufhin und versuchte erneut, das Regenwasser davon abzuhalten, ungehindert von seinem Haaransatz in sein Gesicht zu laufen. „Aber um das zu erfahren hättest du doch nicht bei diesem Wetter und ohne Schirm herkommen müssen? Kazuya hätte es dir doch bestimmt erzählt, wenn du gefragt hättest.“ „Ich wollte es aber von dir selber hören. Kazuya und die anderen… sie erfahren doch auch nur das, was du ihnen sagst. Was wirklich in dir vorgeht kann ich nur wissen, wenn ich dir selbst dabei in die Augen sehe.“ Ihre blauen Augen flackerten verletzlich auf. Momokos Puls beschleunigte sich. Denn sein Blick war durchdringend und prüfend; so, als würde er in diesem Moment alles aus ihrer Seele herauslesen, was sie in den letzten anderthalb Tagen bewegt hatte. Reflexartig kniff sie ihre Lider zusammen und massierte sich mit zwei freien Fingern die Stelle zwischen ihren Augenbrauen. Es war ihr unheimlich, dass Yosuke, nachdem sie kaum drei Minuten miteinander sprachen, bereits dabei war sie zu durchschauen. „Ähm, ja… okay… und wie kommst du hierher?“, lenkte sie nervös ab. Er setzte ein lässiges Grinsen auf. „Glaubst du, ich könnte anhand deiner Uniform nicht auch deine Schule bestimmen? Was du kannst, kann ich schon lange. Davon abgesehen, wissen Yuri und Hinagiku natürlich, auf welche du gehst.“ „Und hast du es dir nun leicht gemacht, oder wirklich nachgeforscht?“, hinterfragte sie neugierig. „Ist das denn wichtig? Ich bin hier.“, antwortete er ruhig. Das war er, aber er durfte nicht hier sein. Dieser Gedanke holte Momoko wieder in die bittere Wirklichkeit zurück. Angespannt schmulte sie ein weiteres Mal um das Schultor herum, konnte aber weit und breit keinen verdächtigen, schwarzen Wagen ausmachen. „Wir sollten hier nicht länger zusammen so herumstehen, das fällt irgendwann auf.“ Yosuke wusste selber nicht genau, wieso er sein Training in der trockenen Sporthalle für diesen Spontanbesuch hatte sausen lassen. Sein Verstand sprach eine äußerst deutliche Sprache und ließ ihn verstehen, dass er es, für sie und sich, alles nur noch schwieriger damit machte. Doch schon als er sie im Regen auf sich zukommen sah, wurde es ihm leichter ums Herz. Er wusste nicht mehr, was er erwartet hatte, als er sich um sie gesorgt hatte. Takuro war ja vieles zuzutrauen, aber er würde Momoko niemals anrühren. Nach außen hin ging es ihr gut, sie war unbeschadet, ging ganz normal zur Schule und schaffte es bereits in den ersten Sekunden ihres Aufeinandertreffens, ihm ein Lächeln zu entlocken. Eine leise Stimme in seinem Kopf fragte sich, ob er wirklich nur gekommen war, um nach ihr zu sehen oder ob er hier war, weil sie es irgendwie schaffte, nur mit einem Augenaufschlag und dem einem Anflug eines Lächelns, das Grau aus seinen Gedanken zu vertreiben. Aber sie hatte auch die Macht ihn jeder Zeit wegzuschicken, wenn ihr seine Gesellschaft zu brenzlig wurde. „Naja… Wir haben sowieso dieselbe Richtung, gehen wir ein Stück zusammen?“, brach Momoko schließlich das kurze Schweigen. Sein Herz machte einen glücklichen Hüpfer, als sie das sagte und sich ihre Mundwinkel dabei schüchtern anhoben. „Aber bist du nicht mit Fahrrad hier?“, gab er zu bedenken, denn er wollte ihr Angebot nicht zu selbstverständlich annehmen, obwohl alles in ihm vor Aufregung kribbelte. Die junge Frau warf einen Blick zu den Fahrradständern auf der anderen Seite des Tores und hielt ihm dann den Schirm, sowie ihre Schultasche hin. „Hältst du das mal bitte kurz? Ich hole es eben.“ Wortlos nahm er ihre Sachen entgegen und sah dabei zu, wie sie durch den Regen zu ihrem Fahrrad flitzte, um es abzuschließen. Er rüttelte sich selber kopfschüttelnd wach, als ihm klar wurde, dass er ihr mit dem Schirm hätte folgen sollen und holte das umgehend nach. Die Rosahaarige warf ihre langen, offenen und nunmehr etwas feuchten Haare sorgfältig nach hinten über ihre Schultern und schob dann ihr Rad im Schutz des Regenschirms auf den Bürgersteig vor dem Schulgelände. Wieder sah sie sich misstrauisch um. „Gibt es einen konkreten Grund, warum du befürchtest, er könnte hier auftauchen und uns sehen?“, fragte Yosuke schließlich. Ihr Gesichtsausdruck wirkte daraufhin ein wenig bedrückt und zugleich genervt. „Das ist eine komplizierte Sache.“, entgegnete Momoko seufzend. „Gab es zwischen dir und Takuro denn noch viel Ärger?“, hakte er nach und warf ihr einen fragenden Blick zu. Schnell wurde durch ihren schlagartigen Stimmungswechsel, der sich deutlich in ihrem Gesicht abzeichnete, klar, dass dieses Gesprächsthema nicht gerade klug gewählt war. Sie schaute düster ins Leere. „Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.“, ruderte Yosuke zurück. Insgeheim interessierte es ihn jedoch brennend! Seine Gedanken kreisten, seit sie vorgestern gegangen war, ohne sich verabschieden zu können, um nichts anderes mehr. Außerdem hatten sie drei lange Wochen nichts voneinander gehört, es musste also vieles geben, das es zu erzählen gab. Momoko schüttelte beruhigend ihren Kopf und blickte nachdenklich auf den Bürgersteig vor ihren Füßen. „Schon gut. Du bist ja nicht der Erste, der fragt…“, setzte sie an. Der Dunkelhaarige schaute ebenfalls wieder geradeaus. Natürlich hatte sie diese Frage schon von ihren Freunden gehört. Warum sollte sie es also, nach allem was war, ausgerechnet auch noch ihm jede Einzelheit davon berichten? „…aber du wärst wahrscheinlich der Einzige, dem ich es wirklich erzählen könnte.“, beendete sie vorsichtig ihren Satz, aber mied dabei seinen Blick. Der Torwart erstarrte und blieb stehen. Ihre Aussage verwirrte ihn. „Wie meinst du das?“ Seine Begleiterin wollte nicht stehen bleiben, doch sie wollte auch nicht nass werden. Missmutig hielt sie inne und starrte stur auf ihre Hände, die angespannt ihren Fahrradlenker umklammerten. Yosuke sah ihr an, dass es ihr unangenehm war, dass ihre Antwort diese Gegenfrage aufgeworfen hatte. Aber sie überwand sich und schaute schüchtern durch ihre dichten Wimpern zu ihm zurück. „Ich kann doch mit niemanden darüber reden. Keiner außer dir würde verstehen, warum ich das alles trotzdem durchziehe.“ Der Stich in Yosukes Herzen, den der Klang ihrer unglückliche Stimme verursachte, war so schmerzhaft, dass er die Luft anhalten musste, um sich nichts anmerken zu lassen. „Dann geht es dir gar nicht gut, oder? Das hast du nur so dahingesagt, damit ich nicht nachfrage.“ Die Rhetorik in seiner Frage war deutlich herauszuhören, denn die Antwort darauf war ihm längst klar. Momoko blinzelte das verräterische Flackern in ihren Augen weg und versuchte auf dieselbe Art auch ihre Verletzlichkeit zu kaschieren. Räuspernd straffte sie sich und strich mit einer Hand eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Sie merkte es vielleicht nicht, aber dem Torwart fiel auf, dass ihre Finger dabei zitterten. „Es ist alles in Ordnung, aber manchmal möchte ich die Dinge, die mich beschäftigen oder die ich kaum noch ertrage, gerne irgendjemanden erzählen können. Einfach nur um mich danach besser zu fühlen… Es war einfacher, als wir beide noch Freunde waren.“ Sehnsüchtig sah die junge Frau durch den transparenten Schirm zum grauen Himmel hinauf. „Ich glaube, der Regen stimmt mich weinerlich; ich rede schon wieder zu viel. Entschuldige.“ Sie bedachte ihn mit einem traurigen Lächeln. Yosuke musterte sie nachdenklich und runzelte angestrengt die Stirn, denn es kostete ihn eine Menge Willenskraft, nicht einfach alles fallen zu lassen und sie in seine Arme zu reißen. Er gab sich einen Ruck und ging weiter. Momoko lief unaufgefordert mit und hielt Schritt. „Mir geht es genauso. Manchmal, wenn mir alles über den Kopf wächst, sehne ich mich nach der guten, alten Zeit, in der wir noch alle unbeschwert waren. Natürlich kann ich zum Beispiel mit Kazuya über fast alles reden, aber eben nur fast… und auch wenn er sich bemüht mich zu verstehen, er kann mir nicht wirklich helfen. Ich fühle mich dann einfach…“ „…einsam?“, beendete sie den Satz für ihn und sah tief in seine Augen. Der Ausdruck in ihren erzählte davon, wie sehr sie verstand, was er zu erklären versuchte. Niemand außer ihr konnte es besser nachvollziehen. Der junge Mann schluckte und nickte ihr bestätigend zu. Die Verbundenheit, die er in diesem Augenblick zwischen ihnen fühlen konnte, war so greifbar, dass man sich an ihr festhalten konnte. Sie mussten es nur zulassen, durften es aber nicht. Momoko hielt an und spannte ihren Gepäckträger. „Hier, stell deine Tasche darauf. Dann hast du nicht so viel zu tragen.“, wechselte sie das Thema. Dankbar lud der Torwart seine große Umhängetasche auf dem Fahrrad ab. Ihr Gewicht hatte während dem langen Fußmarsch zu ihrer Schule, beim Warten auf sie im Regen und auch jetzt hier, mächtig in seine Schulter eingeschnitten. Dagegen war Momokos kleine Schultasche leicht wie eine Feder. „Danke dir.“ „Nichts zu danken, du musst ja schließlich immer noch meine Tasche und den Schirm tragen, sonst kann ich nicht schieben.“, erklärte sie. „Dafür musst du aber wegen mir den ganzen Weg nun laufen.“, konterte er und täuschte Bedauern vor. Sie durchschaute es schmunzelnd. „Das macht nichts, wenigstens komme ich halbwegs trocken Zuhause an. So hätte ich im Regen ohne Schirm fahren müssen. Beides gleichzeitig funktioniert ja schlecht.“ Yosuke konnte sich ein selbstgefälliges, schelmisches Zwinkern nicht verkneifen. „Dann bin ich ja heute zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen.“ Sie lachte ein leises, heiteres Lachen, das seinen Puls anfachte. „Kann man so sagen. Wie immer der Retter in der Not.“, scherzte sie. Ihre Blicke begegneten sich; ihre blauen Augen strahlten ihn fröhlich an. Es war eine Lebendigkeit in ihnen, die er schon lange bei sich selbst vermisste. Doch hier in diesem Moment, spürte er diese Energie auch wieder durch seine Adern fließen. Und das lag nur daran, dass sie da war und ihn nicht mehr zu Unrecht hassen musste. „Du hast wohl öfter einen Retter nötig, als andere Mädchen.“, witzelte er zurück, denn es war ja nicht das erste Mal, dass er ihr behilflich war. Mit ihr zusammen zu sein, fühlte sich so herrlich einfach und natürlich an. Das hatte er vermisst, sehr sogar… Sie beide liefen eine Zeit lang nebeneinander her, ohne etwas zu sagen. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Es fühlte sich ein wenig seltsam an, dass, obwohl so viel zwischen ihnen passiert war, sie trotzdem hier und jetzt zusammen spazieren gehen konnten, als hätte sich an ihrer Freundschaft nichts verändert. So als gäbe es immer noch ein Verbindung zwischen ihnen. Schweigend hatten sie längst über die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als Yosuke irgendwann unvermittelt etwas durch das Pladdern des Regens flüsterte. „Du hast mir gefehlt.“ Im Augenwinkel sah er, wie Momokos Wangen sich verfärbten und sie ihn erschrocken musterte. „Sag das nicht!“, erwiderte sie verlegen. „Tut mir leid! Das klang bestimmt komisch, oder?“ Innerlich gab er sich selbst eine Ohrfeige; wie hatte er sich nur zu so einer Aussage hinreißen lassen können?! Es war doch klar, dass so was falsch rüberkommen würde. „Alles ist irgendwie komisch seit… na du weißt ja.“ Sie errötete noch mehr und auch selbst er fühlte, wie ihm das Blut vor Verlegenheit ins Gesicht schoss. „Läuft es zwischen dir und Hiromi denn nicht gut?“, lenkte die Rosahaarige schnell vom Thema ab. „Schlecht ist nicht das richtige Wort. Es läuft gar nicht.“, antwortete er seufzend und überraschend gerade heraus, auch wenn er trotzdem erleichtert darüber wirkte, dass sie die peinliche Situation schnell wieder auflöste. „Wie darf ich das denn verstehen?“, fragte Momoko verwundert. Der Dunkelhaarige warf ihr einen ernsten Blick zu. „Ich wollte die Beziehung zu ihr beenden – du erinnerst dich? Ich bin nicht bei ihr geblieben, weil ich so sehr an ihr hänge, dass ich es nicht ertragen hätte sie zu verlassen.“ Sie stutzte darüber, wie verbittert Yosuke klingen konnte. „Dann vertragt ihr euch also nicht mehr?“ Er schnaubte verächtlich und setzte eine grimmige Miene auf. „Du kennst sie ja. Sie kommt nicht damit klar, dass ich Abstand brauche und sie nicht bekommt, was sie will. Ich habe sie um Zeit gebeten, denn ich kann unsere Beziehung nicht einfach so reparieren und so tun, als wäre nichts gewesen. Auch wenn ich mir wünschte, dass es irgendwie wieder zwischen uns funktioniert.“ Die Rosahaarige verstand genau, wie es ihm dabei ging. „Ich fühle mich immer noch schuldig deswegen. Wenn ich nicht gewesen wäre…“, stammelte sie betroffen los. „Du hast gar nichts damit zu tun. Du hast mir höchstens die Augen geöffnet, wie oberflächlich und eintönig unsere Beziehung war. Wäre sie nicht schwanger, würden wir längst getrennte Wege gehen.“ Momoko stolperte gedanklich wieder über diese Tatsache. „Yosuke? Nimm es mir nicht übel, dass ich frage, aber du bist auch wirklich sicher, dass sie schwanger ist? Ich kann das immer noch nicht so richtig glauben.“, fragte sie zurückhaltend. Er hielt inne und zog mit zwei Fingern, die er nicht brauchte, um ihre Schultasche zu halten, seine Börse aus einer seiner Hosentaschen und fummelte umständlich darin herum. Momoko schaute ihm währenddessen gespannt dabei zu. Schlussendlich zog er ein kleines, gefaltetes Stück Papier heraus und reichte es ihr. Sie faltete es schweigend mit einer Hand auseinander. „Ein Ultraschallbild?“, stellte sie fest und betrachtete es eingehender. In dem schwarzweißen Durcheinander erkannte sie als Laie nicht viel, aber ein eingekritzelter Pfeil zeigte auf eine unförmige, schwarze Blase mit einer kleinen, weißen Bohne darin. »Ist das sein Baby?«, fragte sie sich und versuchte sich vorzustellen, dass aus dieser kleinen Bohne mal ein richtiger Mensch werden würde. Ihre Augen wanderten hoch an den Rand des Bildes, wo in Computerschrift, neben ein paar Daten, außerdem Hiromis Name geschrieben stand. Es war also ihr Ultraschallbild, daran gab es keinen Zweifel. Verwirrt blinzelnd gab Momoko es an Yosuke zurück. „Warum trägst du es bei dir?“ Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. „Wenn ich Hiromis Launen über habe und am liebsten alles hinwerfen möchte, sehe ich es mir an und werde dann wieder klar im Kopf. Es erinnert mich daran, dass ich Verantwortung habe und gebraucht werde.“ Die junge Frau bekam eine Gänsehaut bei seinen Worten und der Art, wie er sie sagte. So verantwortungsbewusst und entschlossen… Er wirkte nie zuvor erwachsener und reifer auf sie. Ungern musste sie insgeheim zugeben, dass sie verstehen konnte, wieso Hiromi ihn nicht aufgeben wollte, obwohl er nur wegen dem Baby noch bei ihr blieb. „Vielleicht brauche ich auch so ein Bild von meinem Vater in meiner Börse.“, versuchte sie möglichst locker zu kommentieren. Yosuke, der sein Portemonnaie wieder weggesteckt hatte, lächelte halbherzig. „Wie geht es ihm denn eigentlich? Hast du schon etwas von ihm gehört?“ „Besser, denke ich. Ich habe ihn erst ein Mal besuchen können, aber es geht ihm gut in der Klinik.“ „Fehlt er dir sehr?“, wollte der Torwart wissen, der selber nie einen Vater hatte. „Jeden Tag.“, antwortete sie ohne zu Zögern. Das Thema nahm sie unerwartet stark mit; sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie selbst nicht hatte kommen sehen. Momoko ließ es sonst nicht allzu sehr an sich herankommen, doch jetzt, wo sie es aussprach, übermannte sie die Sehnsucht nach ihrem Vater so sehr, dass ihr der Atem stockte. Sie war schon viel zu lange alleine ohne ihn in dem großen Haus und er war nicht da, um sie wie früher zu beschützen. „Pfirsichtörtchen…“, flüsterte Yosuke bestürzt und sah sie mitleidig an. Sie winkte strikt abwehrend ab und versuchte sich zu beruhigen. „Bitte nenn mich nicht so. Sonst muss ich weinen.“, hauchte sie eindringlich mit brüchiger Stimme und rang dabei um Fassung. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und tiefen Sorgenfalten auf der Stirn, respektierte er ihren Wunsch. Ohne sie aus den Augen zu lassen, lief er viele ungezählte Minuten schweigend neben ihr her und sah zu, wie sich, wieder und wieder, ihre verletzliche Seite und ihre Einsamkeit an die Oberfläche kämpften, wenn Momoko gerade glaubte sich unter Kontrolle zu haben. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie wieder ungehindert durchatmen konnte. In Gedanken strafte sie sich dafür, dass sie es schon wieder zugelassen hatte, dass Yosuke einen Einblick in ihr Innerstes bekommen hatte. Zwar war er ihr ebenfalls offenherzig entgegengekommen, aber auch wenn es sich irgendwie gut, ehrlich und richtig anfühlte, so war es doch verkehrt. Diese Zweisamkeit würde ein jähes Ende finden, spätestens, wenn sie bei ihrem Zuhause angekommen wären und sich ihre Wege trennten. Sie schwiegen beide im Moment nur tot, dass es am Ende ihres Weges kein Versprechen auf ein Wiedersehen geben würde. „Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich peinlich berührt. „Mir tut es leid.“, widersprach Yosuke ihr, womit er sie aufhorchen ließ. „Ich habe dich hängen gelassen und war nicht für dich da, als du mich gebraucht hast.“ Momoko war zu perplex, als dass sie ihm folgen konnte, worauf genau er anspielte. „Ich meine an dem Abend, als du zu mir gekommen bist, weil das Date mit Takuro nicht so lief, wie du gehofft hattest... Und vorgestern, als er dich einfach mit sich mit gezerrt hat, obwohl du nicht wolltest. Ich hätte einschreiten sollen. Aber auch jetzt – du sollst wissen, ich möchte so gerne für dich da und dir ein Freund sein, aber ich kann nicht!“, erklärte er verzweifelt und ballte wütend seine Finger um die Dinge, die er trug. Ihr angegriffenes Herz begann wieder zu rasen. War er in Wirklichkeit deswegen gekommen? Damit sie genau das erfuhr? Dass sie ihm nicht egal war, unabhängig davon, wie die Umstände um sie herum waren? „Du bist doch jetzt da.“, antwortete sie ihm dankbar mit errötetem Gesicht und erntete direkt einen ungläubigen Blick. „Ich habe dich ehrlich gesagt auch vermisst. Das Unbeschwert sein, das Lachen, das Reden...“, gestand sie ihm. Ihr Puls überschlug sich fast bei ihrem Geständnis. Jetzt war es raus, denn was gab es zu verlieren? Sie standen doch beide auf verlorenem Posten. Yosukes Gesichtsausdruck spiegelte Verlegenheit wider und gleichzeitig einen dumpfen Schmerz, der unter seiner Fassade kratzte. Die Rosahaarige wusste sofort, dass er auch daran dachte, dass dieses intensive Aufflackern ihrer vergangenen, kurzen Freundschaft bald schon vorbei sein würde. Es blieb ihnen wenig Zeit, denn sie waren fast bei Momoko Zuhause angekommen. Wenn sie noch Dinge loswerden wollten, mussten sie sie jetzt erzählen. „Du hast doch gefragt, ob es noch viel Ärger mit Takuro gab. Willst du noch wissen, wie es ausgegangen ist?“ Der Dunkelhaarige nickte interessiert. „Nun, er war nicht gerade begeistert, als er mich ausgerechnet bei dir aufgelesen hat. Er hat getobt vor Eifersucht, auch weil ich ihn im Dunkeln darüber gelassen habe, wo die Mädchen und ich hingehen wollten. Außerdem hat ihm mein Outfit nicht gepasst und…“ „…und das du mit mir geredet hast?“, unterbrach Yosuke sie. Er lächelte still in sich hinein bei, dem Gedanken, dass sich der einstige Streber von ihm anscheinend bedroht fühlte. „Das außerdem. Aber vielmehr hat ihn wohl die Tatsache aufgeregt, dass ich ein kleinwenig beschwippst war.“, klärte sie auf und biss sich nervös lächelnd auf die Unterlippe. Ihrem Begleiter schlackerten die Ohren, als er das hörte. „Beschwippst?! Oh nein, sag nichts… dieser Typ aus dem Club war daran Schuld, oder?“ „Woher weißt du das?“, hinterfragte Momoko verblüfft. „Weil ich euch zufällig beobachtet habe. Er hat dir Drinks ausgegeben.“, gestand er. „Ah ja… zufällig. Aber jain, er war nicht allein daran Schuld.“ „Was oder wer denn noch?“ Sie schaute ihn nur mit schief gelegtem Kopf und anklagendem Blick von der Seite an. Einen größeren Wink mit dem Zaunpfahl brauchte es nicht, damit er verstand, dass er selbst gemeint war. Den Rest konnte sich der Torwart wohl allein zusammenreimen, denn er ließ es unkommentiert. „Jedenfalls… das, was ich sonst keinem erzählen kann ist, dass ich denke, dass ich mich in Takuro getäuscht habe.“, kam sie wieder auf das Thema zurück. Auf einmal wurde sie ganz ruhig und ihre Miene ausdruckslos und leer. Yosuke in ihrem Augenwinkel musterte sie beunruhigt. „Weil er eifersüchtig und besitzergreifend ist?“, riet er angespannt. Doch sie schüttelte nur langsam ihren Kopf. „Nein, weil ich dachte, er würde alles für mich tun, damit es mir gut geht und ich glücklich bin, weil ich ihm wichtig bin.“, korrigierte sie Yosukes Vermutung. „Stattdessen hat er vor, mir alles zu verbieten, was sich in seinen Augen nicht als standesgemäß für den wohlhabenden Teil seiner Familie erweist. Er kontrolliert nun fast meinen kompletten Tagesablauf und wenn es nach ihm ginge, dürfte ich wahrscheinlich nicht mal mehr Kontakt zu Yuri und Hinagiku, ohne seine Erlaubnis, haben.“, schloss sie bitter. Geschockt und sprachlos starrte der Braunhaarige sie an. War das ihr Ernst? War das Takuros Ernst? „Deswegen hatte ich Angst, dass er mich möglicherweise vor der Schule abfängt und uns sieht. Ich weiß nicht, wie er reagieren würde, wenn er uns schon wieder zusammen sehen würde.“ „Droht er dir etwa?“ „Nein, aber er hat mich noch mal sehr deutlich daran erinnert, dass wir eine Vereinbarung haben, die an gewisse Bedingungen geknüpft ist.“ Abschätzend, ja fast angewidert warf sie einen Blick auf ihren rechten, abgespreizten Ringfinger, an dem nach wie vor ein in Gold eingefasster Rubin prangte. Wütend betrachtete Yosuke ihn mit derselben Inbrunst, wie sie. Die wildesten Fantasien darüber, wie Takuro diese Bedingungen interpretierte und durchsetzte, überschlugen sich in seinem Kopf und machten ihn rasend. „Yuri, Hinagiku oder mein Vater… sie würden es nicht verstehen und mich für verrückt erklären. Aber mit dir und Hiromi ist es doch ganz ähnlich, oder? Wenn du nicht nach ihren Regeln spielst, kann und wird sie dir früher oder später das Leben schwer machen. Wir sitzen beide im selben Boot.“ Er schaute vom Ring hoch in ihr Gesicht. „Und ausgerechnet ich habe dir mal vorgeworfen, du würdest dich prostituieren. Dabei ist das, was ich mache, wirklich nicht anders.“ Momoko biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Also ich tue nichts dergleichen, das habe ich dir aber auch schon mal gesagt!“ So wie sie es sagte, klang es fast ein wenig vorwurfsvoll. Trotzdem ließ ihn dieser Satz aufhorchen. „Nicht?“, hinterfragte er simpel. Seine Gesprächspartnerin versteifte sich entrüstet und lief puterrot an. „Was bitte willst du mit deinem „Nicht?“ andeuten?“, gab sie mit hoher Stimme zurück. Jetzt war er verunsichert und wurde selbst verlegen. Hatte seine Fantasie über die Strenge geschlagen? „Naja… ich dachte, du hast… ihr habt…“, stammelte er unsicher vor sich her. „Was? Nein! Niemals! Was denkst du denn von mir?! Dass ich von einem Bett ins nächste hüpfe?“ Erschrocken über ihre eigene Lautstärke, sah sich die Rosahaarige um, ob sie beide Aufmerksamkeit erregt hatten. Aber kein Passant interessierte sich für sie. Es war Yosuke schrecklich peinlich, dass er fast schon selbstverständlich davon ausgegangen war, dass Takuro sich geholt hatte, was er wollte. Umso mehr freute sich ein anderer Teil in ihm darüber, dass dem nicht so war und Momoko, so wie sie reagiert hatte, auch nicht allzu bald vorhatte, das zu ändern. „Entschuldige. Irgendwie hatte es so geklungen, als du erzählt hast, dass er dich an eure Vereinbarung und die Bedingungen erinnert hat.“ „Das hast du falsch verstanden! Das könnte ich zurzeit gar nicht mit ihm…“, erklärte sie sich kleinlaut. Im selben Moment fanden sie sich am Gartentor zu ihrem Zuhause wider. Sie waren da. Wortlos schob Momoko ihr Fahrrad auf ihr Grundstück. In diesen paar Sekunden dachte Yosuke über ihre Worte nach und begann sich zu fragen, ob sie manchmal an ihre gemeinsame Nacht dachte, wenn sie mit Takuro zusammen war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Brillenträger nicht zumindest schon mal versucht hatte sie rumzukriegen. Die Rosahaarige kehrte zu ihm zurück, immer noch einen Hauch Rosa auf ihren schönen Wangen, um seine Umhängetasche gegen ihre zu tauschen und um ihren Schirm zurückzunehmen. „Wirst du nun, wo du ja weißt, was bei mir los ist und dass es mir trotzdem gut geht, gehen?“, fragte sie ihn kalkulierend und wechselte damit abermals das Thema. Schon wieder war der Abschied gekommen, doch diesmal sollte es der Letzte sein. Yosuke setzte eine undefinierbare Miene auf, schulterte seine Umhängetasche und ließ seine linke Hand in seiner blauen Anzughose verschwinden. Ein paar Sekunden verstrichen, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Willst du denn, dass ich gehe?“ Momoko stutzte und sah ihn irritiert an. Was erwartete er für eine Antwort von ihr, in dieser Situation, in der sie beide waren? „Du solltest gehen. Du solltest gar nicht hier sein. Wir sollten uns nicht mehr sehen.“, erklärte sie sachlich, aber der Ausdruck in ihren Augen sprach eine ganz andere Botschaft. In ihnen lag das ganze Bedauern darüber, dass es gekommen war, wie es nun war. Sie hatte Angst ihn mit ihren Worten zu verletzen, überkam sie selbst doch gerade eine so starke Sehnsucht nach seiner Anwesenheit, dass sie Mühe hatte, es sich nicht anmerken zu lassen. „Ich weiß. Wir sollten nicht…“, wiederholte er gezielt betont ihre Worte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und mit ihm die Stimmung um sie herum. Hier standen sie nun; allein unter einem Schirm im Regen. Zusammen und doch allein. Ihr verräterisch pochendes Herz meldete sich wieder und schaffte es, das Rauschen des Regens ungehört zu machen. Momoko hörte nur noch ihren Herzschlag und die Betonung von Yosukes Worten in ihren Ohren. In seinen dunklen Augen glimmte eine Wärme auf, die ihr die Knie weich werden ließ. Sie war nicht fähig etwas zu entgegnen, oder gar leb wohl zu ihm zu sagen. Es war wie eine Lüge, die ihr nicht über die Lippen kommen wollte. Er schloss die Augen und seufzte schwer. „Ich kann nicht gehen, wenn du mich so anschaust.“ Sie blinzelte, als zerplatzte eine Blase vor ihr. „Was? Wie schaue ich denn?“, hauchte sie verlegen ihre Frage. Der Dunkelhaarige streckte seine rechte Hand nach ihr aus und berührte flüchtig streichelnd ihre Wange. Momokos Haut begann sofort zu kribbeln. „So, als würde ich dich im Stich lassen.“ Ihre Augen flackerten berührt, denn tief in ihr fühlte sie sich genau so, wie Yosuke es beschrieb. Sie wollte nicht, dass er ging. Sie brauchte ihn und seine Nähe, obwohl es wie eine Folter war, dass seine Finger sie nur kurz streiften. Er seufzte abermals. „Darf ich dir noch eine letzte Frage stellen?“ Seine Stimme klang so ruhig und melodisch, dass sie der jungen Frau unter die Haut ging. Sie nickte abgehackt und schluckte nervös den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. „Warum konntest du dich nicht auf Takuro einlassen?“ Die Frage kam für Momoko so überraschend, dass es sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurückholte. Das Blut schoss ihr in die Wangen und sie wusste nicht, wie sie unter Yosukes durchdringendem Blick eine gescheite Antwort darauf finden sollte. „Das… das ging nicht. Ich war gehemmt, irgendwie blockiert.“, stotterte sie. Der Torwart ließ seine Hand sinken und runzelte die Stirn. „Hattest du Angst?“, fragte er vorsichtig. „Nein... Aber ich konnte mich nicht fallen lassen.“ »Himmel! Warum antworte ich ihm darauf?« Yosuke trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie ganz nah voreinander standen. Sie wollte vor Scham wegsehen und ihm am liebsten ganz ausweichen, doch seine Augen hielten sie fest. „Warum nicht?“ Da war sie, die Fragen aller Fragen. Sah er nicht, dass er sie ganz durcheinander brachte? Spürte er nicht, wie sich die Luft um sie herum auflud und eine Spannung erzeugte, die kaum zu ertragen war? Er musste die Antwort längst kennen, sie hatte sie ihm am Abend ihres misslungenen Dates mit Takuro schon ein Mal gegeben. „Wegen dir. Wegen uns…“, antwortete sie atemlos. Die Augenbrauen ihres Gegenübers zuckten für eine Sekunde erstaunt nach oben. Yosuke öffnete seinen Mund einen Spalt breit, doch es kamen keine Worte heraus. Stattdessen schloss er ihn wieder und griff, ohne den Blick von ihr zu lassen, mit seiner rechten Hand nach ihrer linken. Sein Daumen glitt zärtlich über ihre zarten Fingerknöchel. Momoko sog scharf die Luft ein, als sie deswegen erschauerte. Es war so lange her, dass sie die Wärme seiner Hand gespürt hatte, aber es fühlte sich noch genauso intensiv und knisternd an, wie damals. Sie schaute auf ihre ineinander geschlungenen Finger und dann wieder zu ihm. Hitze stieg in ihr auf und drohte sie innerlich zu verglühen. Was tat er da mit ihr? Er rief Sehnsüchte in ihr wach, von denen sie bis eben nicht mal gewusst hatte, dass sie da waren. „Ich will nicht etwas sollen müssen, wenn wir beide doch eigentlich etwas ganz anderes wollen.“, durchschnitt seine raue Stimme die Luft. Die Zweideutigkeit in seinen Worten war nicht zu überhören und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Momoko wurde von Erregung durchzuckt. Yosuke brachte sie zu sehr durcheinander, schwächte ihren Willen vernünftig zu sein, riss ihre Fassade in kleine Stücke und brannte sich mit seinen braungrünen Augen einen Weg zu ihrem Herzen frei. Sie verfiel seiner Anziehung – schon wieder! Und sie wusste, worin das das letzte Mal geendet war. Eine bittersüße Erinnerung, die ihr durch Mark und Bein fuhr und sowohl in ihrem Bauch widerhallte, als auch in ihrem Unterleib. Sie schloss die Augen und atmete flatternd aus. Ihre Haut kribbelte von der Elektrizität, die durch sie hindurch strömte, ausgelöst von nichts weiter, als von ein paar Worten und einer simplen Berührung. Als sie ihre Lider wieder aufschlug, begegnete ihr ein bekanntes, sehnsuchtsvolles Glühen in seinem Blick. Ein Auflodern dunkler, sich verzehrender Sehnsucht und Lust. Sie traute sich kaum zu Atmen, als sie bemerkte, dass sich sein Gesicht ihrem näherte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihre Augen wanderten zu seinem Mund, der flachen Atem hinaus und hineinströmen ließ. Das Pochen ihres Blutes vernebelte ihr alle Sinne; Yosukes Lippen waren nah und willig genug, dass sie sie sich nur nehmen musste, wenn sie wollte. Doch plötzlich wurde Momoko sich für einen Sekundenbruchteil der möglichen Konsequenzen gewahr. Lange genug, um klar zu werden und zu reagieren. „Ich kann nicht, wir dürfen nicht!“ Sie zog ihre Hand weg, wie vor einer glühenden Flamme, wich deutlich ein paar Schritte zurück und sah Yosuke mit weit aufgerissenen, fassungslosen Augen an. Er starrte genauso erschrocken zurück; sein Atem ging stoßweise und rau. „Tut mir leid!“, rief sie verstört aus und drehte sich um. Achtlos zerrte sie ihren Schirm mit sich, als sie zur Haustür rannte und einhändig, mit zitternden, fahrigen Fingern, versuchte sie aufzuschließen. Momoko stürmte in den Flur hinein, warf ihre Schultasche und den noch offenen Schirm ab und schmiss die Tür hinter sich ins Schloss, ohne sich nach dem brünetten Torwart noch ein Mal umzusehen. Schwer atmend stand sie da, die Tür in ihrem Rücken, den Kopf in den Nacken gelegt und so aufgewühlt, wie noch nie. Ihr Körper gehorchte ihr nicht, ein süßer Schauer jagte den nächsten und selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie noch seinen brennenden Blick vor sich, der überall an ihr prickelte und die Tür zu ihrer verborgenen Wolllust aufstieß. Sie mochte den jungen Mann ausgeschlossen haben, der diese verbotenen Gefühle bei ihr auslöste, doch die Sehnsucht nach ihm war allgegenwärtig und sie dagegen völlig wehrlos. „Momoko! Bitte mach die Tür auf!“ Das Herz sprang ihr fast aus der Brust, als sie seine gedämpfte Stimme durch die Pforte zu ihrem Haus dringen hörte, der ein aufgebrachtes, flehendes Klopfen folgte. Sie fuhr herum und zögerte nicht, die Tür wieder aufzureißen. Yosuke stemmte sich mit beiden Händen in den Türrahmen; völlig außer Atem und seine Augen immer noch glühend vor Verlangen. Sie standen sich stumm gegenüber, sahen sich nur eine Sekunde lang in die Augen und suchten dort nach Vernunft, die nicht zu finden war, nach einem Grund standhaft zu bleiben, sich abzuwenden und voneinander zu lassen, doch alles was sie fanden, war Sehnsucht und Begierde. Im nächsten Augenblick fielen sie sich in die Arme, pressten ihre Lippen aufeinander, als wäre es das letzte Mal auf Erden und stolperten, verschlungen ineinander, ins Haus. Kapitel 37: Hungry hearts ------------------------- Yosukes Tasche rutschte ihm von der Schulter und fiel zu Boden, während er mit einem Schubs seines Hackens die Tür hinter sich zu fallen ließ. Sie interessierten sich nicht weiter dafür, denn für Achtsamkeit war zwischen all ihren tosenden Empfindungen kein Platz. Momokos Finger fuhren stürmisch durch sein noch feuchtes, braunes Haar und verkrallten sich darin. Seine Hände umschlossen ihr glühendes Gesicht und zogen es noch dichter zu sich heran, damit er ihre Lippen mit seiner ganzen Inbrunst in Besitz nehmen konnte. Atemlos und seufzend drängte er sie an die Wand neben der Garderobe, biss zärtlich in ihre Lippe und leckte darüber. Er spürte ihre Zunge nach seiner tasten und begegnete ihr nur allzu willig. In einer fließenden Bewegung ließ er seine rechte Hand, an ihrer Kontur, hinab zu ihrer Hüfte gleiten. Eine Sekunde lang ließen sie beide voneinander ab, um atmen zu können. Momokos Augen schimmerten wie reißendes Wasser und ihre Lippen bebten erregt. Sie wollte nicht aufhören. Yosuke senkte seinen Kopf an ihren Hals, an dessen Haut er begierig saugte und erntete ein lustvolles Seufzen. Von seinem eigenen Verlangen getrieben, hob er ihr linkes Bein an, glitt mit seiner Hand entschieden unter ihren Rock und drängte sich zwischen ihre Beine. Momoko spürte seine Erektion durch all den Stoff zwischen ihnen an ihrem Schambereich reiben. Sie zuckte elektrisiert zusammen, als er sich dort bewegte und mit seiner Hand ihren Po massierte. Ihrem leicht geöffneten Mund entkam ein genießerischer Laut, sie errötete vor ihrer eigenen Ungezügeltheit. Ihr Körper erinnerte sich anscheinend noch sehr gut an das Vergnügen, was dieser Mann vermochte ihr zu bereiten. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und verwickelte ihn in einen intensiven Zungenkuss, während sie ihr Hohlkreuz durchdrückte, um ihn noch mehr zu spüren. Ihre Schulterblätter stemmten sich gegen die stützende Wand, doch ihr Hintern lag für jeden Zugriff einladend frei. Der Braunhaarige ließ die Gelegenheit nicht verstreichen und verschwand nun mit beiden Händen unter ihrem Rock, wo er ungezügelt in das straffe Fleisch griff. Seine Gespielin fühlte seine Fingerspitzen über ihren Slip gleiten und wand sich genierend unter seinen durchdringenden Augen, die jede ihrer Reaktionen gierig in sich aufsogen. Gezielt tangierte er ihre empfindlichsten Bereiche und sah dabei zu, wie ihr Atem immer flacher wurde. Sie zerfloss unter jeder Berührung und ihr Körper sehnte sich nach mehr davon. Sie rieb ihre Schenkel aneinander, denn das Lustzentrum zwischen ihren Beinen zog sich sehnsüchtig zusammen. Momoko spürte ihre eigene Feuchtigkeit, obwohl er sie bisher kaum berührt hatte. Sie glaubte zu verbrennen, wenn er mit seiner köstlichen Folter nicht bald aufhörte und endlich Ernst machte. Vergessen waren ihre Zweifel, Ängste und der Vorsatz, vernünftig und Takuro treu zu sein. Sie war zu lange einsam gewesen; Yosuke und sein Lächeln, das Brennen seiner Augen und die Geborgenheit, die er ihr gab, hatte sie nur allzu schmerzlich vermisst. In ihrer trostlos erscheinenden Welt konnten nur seine Berührungen ihr das geben, was ihr Verlobter nicht vermochte. Alles verzehrende Leidenschaft. „Ich brauche dich…“, hauchte sie erstickt zwischen zwei Küssen. Yosuke stöhnte in den Kuss hinein. „Ich weiß…“, raunte er zurück. Er zog seine Hände zurück und löste den Kuss, nur um dann mit unruhgien Fingern am untersten Knopf ihrer Bluse anzusetzen. Sie überlegte nicht lange und befreite sich selbst, mit groben Bewegungen, von ihrem Halstuch, das sie anschließend einfach fallen ließ. Schnell war auch der letzte Knopf geöffnet; er hatte freie Sicht auf ihren hautfarbenen BH mit reizendem Spitzenbesatz. Der Torwart gestattete sich einen Moment lang diesen Anblick zu genießen, ehe er seine Finger von ihrem bebenden, flachen Bauch quälend langsam hinauf zu ihren Brüsten gleiten ließ und diese liebkosend umschloss. Momoko atmete deutlich hörbar aus und wollte ihren weichen Knien am liebsten nachgeben, doch da drängte er sie auch schon wieder mit der Hüfte an die Wand. Ein spitzer Laut entfuhr ihr, als Yosuke sie plötzlich an den Schenkeln hoch hob und so fixiert zwischen Tapete und ihm fest hielt. Doch schon im nächsten Augenblick blitzte prickelnde Lust durch ihre Glieder, als er ihre rechte Brustschale mit den Zähnen herunter zog und sich ihrer empfindlichen Brustwarze widmete, die sich unter seinen saugenden Lippen sofort aufrichtete. Sie vergrub ihre Finger erneut in seinem Haar und legte den Kopf zurück, um sich ihm noch mehr entgegenzustrecken. Sie hatte erst ein Mal Sex gehabt; wie konnte Yosuke, anders als sie, wissen, was er tun musste, damit ihr Körper so auf all das hier reagierte? Sie selbst war sich nicht mal darüber im Klaren gewesen, wie sehr sie sich danach verzehrt hatte. Es fühlte sich schon jetzt alles so viel besser an, als beim letzten Mal. Ihr Unterleib zuckte und zog sich immer wieder hungrig zusammen. Noch immer presste sich sein anschwellendes Glied gegen ihre Vulva. Momoko unterdrückte den Drang sich daran zu reiben, doch es fiel ihr schwer still zu halten, wo Yosuke sich doch so hingebungsvoll ihrer Brust widmete und sie mit seinen Zähnen reizte. Erst als sie heftig erzitterte und laut stöhnte, ließ er sie endlich wieder auf ihre Füße sinken. Ihr Blick war getrübt von der Hitze, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete und ihre Sinne vernebelte. Er schaute sie an, blies seinen heißen Atem auf ihr Gesicht und ließ sie in seiner Miene ablesen, wie verrückt sie ihn machte. Sie hatte ja keine Vorstellung davon, was ihre offensichtliche Lust mit seinem Verstand anstellte. Diese junge Frau war seine Inkarnation von unverdorbener Reinheit und Lebensfreude. Wenn sie nicht glücklich war, war er es auch nicht. Ihr Lächeln war das Licht, das ihn aus dem Dunkel führte und ihm neue Energie einhauchte. Dass ihr Körper sich nach seinem genauso sehnte, wie seiner nach ihrem, war Grund genug Hiromi und alles andere zu vergessen. Momoko streckte ihre Finger ungeduldig nach seiner Knopfleiste aus, doch plötzlich erstarrte Yosuke und hielt sie davon ab. „Was ist?“, flüsterte sie irritiert. Seine Augen wurden auf einmal klar und er schluckte schwer, als er ihrer erregten Erscheinung wiederstehen musste. „Ich kann nicht. Ich meine, wir können nicht…“ Erschrocken starrte sie ihn an, bekam er etwa jetzt Gewissensbisse? Es war doch so eindeutig gewesen, was sie beide wollten! „Versteh mich nicht falsch. Es ist nur… ich habe nichts dabei.“, erklärte er aus der Fassung gebracht und schaute sie unsicher an, in der Hoffnung, dass sie verstand, worauf er anspielte. Die Blauäugige musterte ihn einen Augenblick lang verwundert, bis ihr ein Licht aufging. Ohne ein Wort streckte sie ihren Arm zu der Garderobe neben ihnen aus, an der auch ihre Handtaschen hingen. Sie griff gezielt in eine hinein, während ihr Yosuke fragend dabei zusah. Er bemerkte, wie sich ihr überhitztes, konzentriertes Gesicht aufhellte, als sie nach kurzem Wühlen anscheinend gefunden hatte, was sie suchte. Mit einem verlegenen Blick zückte sie ein kleines, schwarzes und viereckiges Utensil aus der Tasche und hielt es ihm vielsagend unter die Nase. „Redest du von so was?“, fragte sie ihn und knabberte nervös an ihrer Lippe dabei. Der Dunkelhaarige erkannte das Kleinod als Kondom und nahm es verblüfft entgegen. „Woher…?“ „Frag nicht.“, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd und ließ ihn mit einem zärtlichen Kuss verstummen. Sie hatten genug geredet. Ihre Finger suchten blind ihr Ziel und fanden schnell die hinderlichen Knöpfe zu seinem Hemd. Seufzend ergab sich der junge Mann erneut seiner Begierde und ließ sie gewähren. Ihre Zunge leckte aufreizend und neckend über seine Zähne, während sie Knopf um Knopf öffnete und ihre Finger über seine Haut wandern ließ. Als sie ihr Werk vollendet hatte, strich sie ihm den klammen Stoff von den Schultern. Das Hemd gesellte sich zu den übrigen Dingen, die bereits kreuz und quer auf dem Boden lagen. Momoko fühlte, wie angespannt Yosukes Muskeln waren. Ihre Fingerspitzen zeichneten ausgiebig die starken Linen seines Oberkörpers nach; seine Schlüsselbeine, sein Brustbein und die Wölbungen seiner Bauchmuskeln. Er erzitterte unter ihrer Berührung, aber hielt trotzdem ganz still, um sie tun zu lassen, wonach es sie verlangte. Nur seine Hände ruhten auf ihrer Hüfte. Das Herz der Langhaarigen schlug schneller beim Anblick seines gestählten Körpers. Unter ihren aufgelegten Handflächen überschlug sich sein eigener Puls fast in seiner Brust. Neugierig küsste sie die Kuhle unter seinem linken Schlüsselbein und streichelte dabei sanft seine festen Schultern und Oberarme. Seine sonnengebräunte Haut schmeckte vom Regen und Schweiß leicht salzig. Sie ließ ihre Hände über seinen Rücken nach unten wandern und glitt mit ihren Nägeln über den empfindlichen Bereich oberhalb seines Hosenbundes. Yosuke erschauerte heftig und schob sie an ihrem Becken ein Stück von sich weg. Sein Blick war dunkel und hungrig wie der eines Wolfes. Sie kannte diesen Blick; er konnte nicht mehr warten. Bestätigend verlangte er nach ihrem Mund und tauchte tief darin ab, bis sie beide atemlos seufzten. Momoko ließ sich nicht bitten, denn ihr ging es nicht anders. Mutig zog sie ihn an seinem Gürtel zu sich heran und begann an ihm zu nesteln. Ihr Liebhaber drehte sie von der Wand weg und führte sie, noch im Kuss versunken, rückwärts durch ihr Wohnzimmer. Sie hatte kaum die Gürtelschnalle geöffnet, da zog er ihr im Gegenzug die Bluse endgültig aus und warf sie mit einem impulsiven Handgriff weg. Ihre Bewegungen wurden nun schneller und passten sich dem Rhythmus ihrer rasenden Herzen an. Sie trieben sich gegenseitig voran. Momoko stieg stolpernd aus ihren Halbschuhen, während Yosuke sie immer weiter dirigierte und seine Hände dabei wieder forschend unter ihren Rock schob. Sie kamen erst zum Stehen, als die junge Hausherrin die Rückseite ihrer Couch hinter sich spürte. Der Dunkelhaarige löste sich mit Widerwillen von ihren geschwollenen Lippen. Seine Finger glitten entschlossen unter den Bund ihres Slips, doch seine Augen fixierten nur ihre unergründliche Miene. Unerwartet schnell und geschmeidig ging er vor ihr in die Knie und zog ihr das hinderliche Kleidungsstück herunter. Sie schaute ihn verlegen an, als sie dem Slip entstieg und er ihn an Ort und Stelle liegen ließ. Jetzt trug sie nur noch ihre schwarzen Kniestrümpfe, den Faltenrock und ihren BH. Der Braunhaarige sah wölfisch zu ihr auf, provozierte sie mit seinem stechenden Blick und glitt mit seinen Händen ihre blassen Schenkel hinauf. Momoko hielt sich mit einer Hand an dem Sofa fest und schlug sich die andere peinlich berührt vor den Mund. Langsam, aber stetig, raffte sich der Stoff ihres Rockes zwischen Yosukes Daumen zusammen, als seine Hände immer höher wanderten. Er grinste sie vielversprechend an, wand den Blick ab und küsste die empfindliche Innenseite ihres linken Oberschenkels. Sofort verkrallte sie sich in seinem Haar und wollte ihn abhalten, denn er war nur ein kurzes Stück von ihrer empfindsamsten Stelle entfernt. Sie wusste nicht, ob sie solch einem Reiz gewachsen war und sich überwinden konnte, so etwas zuzulassen. Doch Yousuke ließ sich nicht beirren und wanderte mit seinem Mund und seiner fordernden Zunge immer weiter nach oben. „Nicht!“, rief Momoko spitz aus und biss sich auf einen ihrer Fingerknöchel, als seine Zunge zwischen ihren Schamlippen abtauchte und sofort begann ihre Klitoris zu stimulieren. Es war zweifellos das peinlichste, aber auch intensivste und aufregendste Gefühl, das sie jemals empfunden hatte! Jeder Zungenschlag traf sie dort unten wie ein Blitz, der von ihren Zehen bis in ihre Haarspitzen reichte. Sie ließ ihn los fuhr sich mit den Händen über ihr Gesicht, bis in ihr eigenes Haar und starrte erzitternd und stöhnend zur Decke. Etwas in ihr rollte heran und baute sich zu etwas auf, dass früher oder später über ihr zusammenschlagen und sie davon tragen würde. Sie versuchte ihre Schenkel zusammenzupressen, doch der forsche, junge Mann ließ sie nicht. Stattdessen führte er fordernd seinen Mittelfinger in sie ein. „Bitte nicht…“, stöhnte Momoko flehend und drohte nach hinten über die Couch zu kippen. Sofort stand er wieder und zog sie zurück in seine Arme. Ihr Blick war verklärt, ihr Atem kam bebend über ihre Lippen und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Noch weiter konnte er sie nicht treiben, ohne dass sie kam. Er küsste sie noch ein Mal eindringlich, während er sie mit einem Arm stützte und mit der anderen Hand ihren Kopf zu sich zog. Sie selbst klammerte sich in seinem Nacken fest und schmeckte ihre eigene Salzigkeit in seinem Mund. Verlegen, aber betört leckte sie sich davon die Lippen. Wenn er sie jetzt nicht auf der Stelle nahm, würde sie den Verstand verlieren! Yosuke hob sie auf die Lehne der Couch und zögerte nicht länger. Er öffnete seinen Hosenstall und zog Hose und Shorts gerade weit genug herunter, dass sein Glied in seiner vollen Pracht enthüllt wurde. Anerkennend zog Momoko scharf Luft ein, als sie seine harte Erektion zwischen ihren Schenkeln pulsieren sah. Etwas mulmig wurde ihr bei dem Anblick; kaum zu glauben, dass sie wirklich damit entjungfert worden war. Der Dunkelhaarige versuchte ihre Reaktion, begleitet von nervösem Herzrasen, einzuordnen, doch als sie ihren feurigen Blick zu ihm hob und ihn damit willig einlud, war jede Hemmung wie weggewischt. Mit einer schnellen Bewegung öffnete er die Kondompackung und streifte es sich über. Er schmiegte sich an sie, ihre Haut war heiß und überreizt wie seine. Ihre Herzen schlugen gegeneinander, als sie ihre Arme um seine Taille legte. Yosuke drang ohne weiteres Zögern in sie ein. Es entlockte ihnen beiden ein erlösendes Stöhnen. Er hielt sie an ihren schwebenden Schenkeln fest und zog sich noch mal ganz zurück, um noch mal langsam in ihr zu versinken. Ihre Enge und das zusammenziehen ihrer Scheide war unbeschreiblich! Er musste die Augen schließen und sich konzentrieren, damit er nicht sofort zum Höhepunkt kam. Sein Penis füllte Momoko ganz aus; das Gefühl war verstörend intensiv, doch es reichte ihr nicht. Sie wusste, das konnte sich noch sehr viel besser anfühlen. Sie ließ eine Hand in seinem Nacken und stützte die andere auf der Couch ab. „Bitte…“, seufzte sie und blickte tief in seine Augen, die zu flüssiger Schokolade geworden waren. „…halt dich nicht zurück.“ Damit war es um seine Zurückhaltung geschehen und so stieß er fordernd in sie hinein. Die junge Frau gab einen erschrockenen Laut von sich, der sich bereits beim nächsten Stoß in einen lusterfüllten verwandelte. Yosukes Erektion erreichte jedes Mal mehr einen Punkt in ihrem Inneren, der ihr die höchste Befriedigung versprach. Unwillkürlich bewegte sie ihr Becken mit, damit er tiefer und härter in sie eindringen konnte. Jeder ihrer süßen Laute erregte ihn mehr und mehr; er fühlte sich angeheizt wie ein wildes Tier auf der Jagd. Er konnte sich nicht bremsen sich alles von ihr zu nehmen, was ihr Körper hergab. Er beschleunigte sein Tempo und spürte sie sich in seinen Armen aufbäumen. Er biss animalisch in Momokos Hals und schob ihren BH hoch, um ihre rechte Brust zu massieren. Sie legte ihre Hand auf seine und folgte ihm über ihre harte Knospe, die er unnachgiebig zwischen seinen Fingern zu zwirbeln begann, an ihr zog und sie wieder wegschnippen ließ. Die junge Frau konnte sich nicht mehr halten, aber das war egal, denn Yosuke hob sie in diesem Moment hoch und lag nach einer schwungvollen Bewegung über ihr auf der Couch, wo er weiter so fordernd in sie eindrang, dass ihr Busen mitwippte. Ihr Stöhnen und Seufzen wurde lauter. Ihr Liebhaber verschränkte seine Hände über ihrem Kopf mit ihren und küsste sie, bis sie sich unter ihm heftig aufbäumte und den Kopf in den Nacken warf. Von heftigen Zuckungen geschüttelt und mit einem stummen Stöhnen auf den Lippen, überrollte sie endlich ihr erlösender Orgasmus. Ihr Unterleib zog sich bittersüß zusammen, sodass Yosuke beim nächsten Vordringen in sie nicht mehr an sich halten konnte und ebenfalls mit aller Heftigkeit kam. Ein rauer Ton entkam seiner Kehle, als er sich erschöpft auf seine Unterarme fallen ließ. Schweißperlen glänzten auf seiner ganzen Haut, aber auch Momoko sah mitgenommen aus und atmete noch aufgewühlt. Das Nachbeben ihrer Ekstase schüttelte sie beide noch ein paar Augenblicke, ehe sie zu mehr imstande waren, als sich tief in die Augen zu sehen. Kapitel 38: Caught between two stools ------------------------------------- Bis in die Haarspitzen angefüllt mit Endorphinen und Dopamin, kühlte ihr erhitztes Blut allmählich wieder herunter. Als Momokos Blick sich wieder klärte, sah sie Yosuke nachdenklich in ihre Augen schauen. Auch er war nun wieder Herr seiner Gedanken. Er legte ihr seine rechte Hand auf die Wange und strich mit seinem Daumen über ihre geschwungenen Lippen. „Ich glaube, das war unausweichlich.“, flüsterte er erschöpft. Verlegen erwiderte sie seinen Blick, der ein wenig bekümmert wurde. „Was ist?“, hauchte sie gegen seinen Daumen zurück. „Ich kann dir einfach nicht leb wohl sagen. Auch wenn es falsch war, was wir gerade getan haben.“ Er lehnte seine Stirn an ihre, sein ruhiger Atem streifte ihr Gesicht. Mit Herzklopfen blinzelte sie ihn an. Es war ein kurzes, aber heftiges und vor allem heißes Intermezzo gewesen. Ein Ausdruck dessen, wie sehr sie beide aus ihrem jeweiligen Leben ausbrechen wollten; wie sehr sie sich nach mehr sehnten… und dies nur ineinander finden konnten. „Ich weiß.“, entgegnete Momoko schlicht. Der Anflug eines Lächelns umspielte Yosukes Mundwinkel, doch sein Blick blieb ernst und es lag noch immer eine Spur Verlangen in ihm. „Du weißt gar nichts… Du weißt nicht wie oft ich in den letzten Wochen an unsere gemeinsame Zeit zurückgedacht habe. Dich in meinen Gedanken lachen und weinen gehört habe, wie ich mich nach unseren Gesprächen gesehnt habe… und nach dem hier…“ Er nahm seinen Daumen von ihrem Mund, um eben diesen zu küssen. „Und danach…“, raunte er weiter und liebkoste sich von ihrem Kinn den Hals hinunter bis zu ihrem Schlüsselbein. Die junge Frau unter ihm seufzte erschauernd. Sie wusste genau, was er meinte. Sie vermisste ihn als Freund genauso sehr, wie als Liebhaber. Diese Sehnsucht in ihr war ihr gar nicht bewusst gewesen, dabei lag es jetzt, im Nachhinein, auf der Hand. Das war der Grund dafür, warum sie sich auf Takuro nicht hatte einlassen können; sie wollte nicht ihn, denn es gab einen anderen, den sie begehrte. Der Dunkelhaarige war gerade an der tiefsten Stelle zwischen ihren Brüsten angekommen, als eine durchdringende, penetrante Musik sie beide hochschrecken ließ. Mit aufgerissenen Augen sah Momoko in die braungrünen des Torwarts, der sie verwirrt musterte. Ihr Schrecken galt ihrem dumpf aus ihrer Schultasche rödelnden Handy, denn diesen Klingelton hatte sie einer ganz bestimmten Person zugeordnet. »Takuro!« „Oh Gott! Da muss ich rangehen! Schnell, lass mich aufstehen!“, drängte sie hektisch und krabbelte unter Yosuke hervor, der sich verstört aufsetzte und ihr nach sah. Mit noch ganz wackeligen Knien, stolperte die Rosahaarige über die am Boden liegenden Klamotten und stürzte sich schlitternd auf ihre Tasche, um noch in letzter Sekunde den Anruf entgegennehmen zu können. „Hey Takuro! Warum rufst du denn an?“, rief sie gehetzt in den Hörer hinein. Der Dunkelhaarige zog sofort seine dichten Augenbrauen zusammen und musterte sie kritisch aus der Ferne. Als würde sie seinen Blick auf ihrer Haut spüren, sah sie sich zu ihm um und ermahnte ihn, mit dem Zeigefinger auf ihren Lippen, zur Stille. Ihr Gesichtsausdruck machte deutlich, dass sie aufgeregt und ängstlich war. „Ja ich weiß, ich sollte mich nach dem Unterricht bei dir melden… Ich habe es vergessen. Ich hatte noch Raumdienst und wollte dann nur noch nach Hause… Es hat geregnet und ich war mit dem Fahrrad unterwegs, da konnte ich nicht telefonieren.“ Genervt von dem Verhör, runzelte sie die Stirn. Doch plötzlich starrte sie mit aufgeklapptem Mund in Yosukes Richtung. „Die Arbeit! Jaaa~… nein, die habe ich nicht vergessen…“, log sie schnell und schlug sich ihre freie Hand an die Stirn. Ihr verbotener Besuch sprang sofort verstehend vom Sofa auf, entledigte sich diskret seines Verhüterlis und richtete sein verbliebenes Outfit, während er weiter angespannt dem Telefonat lauschte. „Ich? Ich bin quasi schon fertig und würde jetzt losgehen… Ich bin spät dran, aber das schaffe ich noch… Nein, du brauchst mich nicht hinbringen!“ Yosuke erstarrte und Momoko hielt die Luft an. „Wie, du bist schon unterwegs?!“, fragte sie etwas zu schrill nach. Dem halbnackten jungen Mann, in ihrem Wohnzimmer, klappte der Mund erschrocken auf. „In 10 Minuten?... okay… nein, kein Problem. Danke. Bis gleich.“ Sie legte auf und sprang auf ihre Füße. „Sag nicht, Takuro kommt hierher. Jetzt?!“ Die Hobbyfotografin warf ihr Handy in die Tasche zurück und klaubte in heller Aufregung die herumliegenden Klamotten vom Boden auf, die in ihrer Nähe lagen. „Oh doch! Und ich müsste schon längst auf dem Weg zum Maid-Café sein! Wir haben jetzt noch 10 Minuten! Hier, fang!“, rief sie ihm zu, als sie sein Hemd durch die Luft warf. Sie schnappte sich ihre Schuhe, stellte sie ordentlich in den Flur, wo sie auch den Schirm zusammenklappte und mit der Schultasche an die Wand lehnte. Yosuke blieb nicht untätig. Nachdem er sich sein Hemd übergeworfen hatte, sammelte er ihre Bluse und auch ihr Höschen ein, was sie ihm beides mit hochrotem Kopf aus den Händen riss. „Sieh zu, dass du deine Spuren so verwischst, dass man sie nicht aus Versehen im Mülleimer entdeckt... Ich werfe meine Sachen in die Wäsche und muss mich umziehen und meine Haare… oh Gott, wenn er was bemerkt!“ Mit Schnappatmung und schriller Stimme fuhr sie sich durch ihr zerwühltes Haar. Noch 8 Minuten, bis ihr Verlobter hier auftauchte. „Geh und mach dich fertig, ich räume den Rest hier auf und verschwinde dann.“, versuchte der Brünette sie zu beruhigen. „Er darf dich nicht sehen! Nicht mal in meiner Straße!“, ermahnte sie ihn eindringlich. Er grinste gespielt gekränkt. „Keine Sorge, ich bin ganz schnell weg.“ Momoko drehte sich auf dem Weg zur Treppe noch mal zu ihm um. „Tut mir leid, ich…“ „Schon gut, ich verstehe schon.“, unterbrach er sie kopfschüttelnd, aber lächelnd. Ohne ein weiteres Wort, schüttelte Yosuke schnell die Couchkissen auf und öffnete die Fenster, um verdächtige Gerüche verschwinden zu lassen. Oben angekommen wand sich die junge Frau abermals zu ihm um. So konnte sie ihn nicht gehen lassen. Sie wollte nicht schon wieder in Ungewissheit leben! „Yosuke, sehe ich dich wieder?“ Perplex drehte sich der Torwart zu ihr um; er war gerade dabei sein Hemd wieder zuzuknöpfen. „Möchtest du das denn?“, fragte er schief grinsend. Das fragte er noch? Nachdem er ihr selber gesagt hatte, dass er ihr nicht lebe wohl sagen konnte? Die Blauäugige nickte heftig und fast war es ihr peinlich, das zuzugeben. Sie erntete ein warmes, glückliches Lächeln dafür. „Heute Abend? Zum Reden?“ „Ja!“, bestätigte sie. „Hast du meine Nummer noch?“ Sie errötete, als sie erneut nickte. Sie hatte es nicht fertig gebracht sie zu löschen. „Dann melde dich einfach, wenn die Luft rein ist. Dann komme ich wieder her.“ Ihr Herz machte einen erleichterten Hüpfer. Voller Euphorie drehte sie sich um und verschwand in ihrem Zimmer. Sie hörte irgendwann die Haustür ins Schloss fallen, doch statt Wehmut erfasste sie die Vorfreude auf das schnelle Wiedersehen. Was gerade in der letzten halben Stunde geschehen war, war unglaublich! Es fühlte sich bereits unwirklich an, wie ein Traum, doch sie spürte es noch am ganzen Körper kribbeln. Das Adrenalin, das ihr Herz wegen der Angst erwischt zu werden durch ihre Venen pumpte, war an ihrem Hochgefühl nicht ganz unschuldig. Takuro klingelte pünktlich an ihrer Tür. Momoko hatte es in der Eile gerade erst geschafft in ihre Arbeitsuniform zu schlüpfen, denn Zeit, sich wie immer erst im Café umzuziehen, blieb ihr nicht mehr. „Ich komme gleich!“, schrie sie durch das große Haus und malträtierte ihr postkoitales Haar noch hektischer mit der Haarbürste, um es anschließend in ihrem Nacken zu einem dicken Dutt einzudrehen. Ein breites Haarband, als Schleife verknotet, band sie darüber und fertig war die perfekte Vertuschungsfrisur. Nervös und mit großen Schritten, huschte sie die Treppe hinunter und warf einen flüchtigen Blick in ihr Wohnzimmer und zum Flur. Alles sah unbenutzt und ordentlich aus wie immer. Yosuke hatte gute Arbeit geleistet. An der Haustür angekommen, straffte und räusperte sie sich, bevor sie öffnete. „Na endlich! Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“, begrüßte Takuro sie mit strenger Miene. Er trug die strenge, elitäre Uniform seiner Schule. Anscheinend hatte er vorher keine Zeit mehr gehabt sich umzuziehen. Sie war ganz schwarz, mit edlem, silbern eingesticktem Schulwappen auf der Brust, einem weißen Hemd unter dem Blazer und einer ebenfalls schwarzen Krawatte. „Tut mir leid, ich hatte Schwierigkeiten mit meiner Frisur. Dieses Wetter ist ein Graus für jedes langhaarige Mädchen.“, versuchte sie lachend zu erklären und deutete auf ihren Dutt. „Du bist ja so gut gelaunt.“, stellte Takuro misstrauisch fest. „Ach so? Naja, ich freue mich einfach, dass du mich davor bewahrst zu spät zur Arbeit zu kommen.“, flunkerte Momoko leichthin. Der Schwarzhaarige machte eine Handgeste, mit der er sie einlud mit ihm zum bereitstehenden Auto zu gehen. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. „Ich hatte angenommen, dass du mir noch böse bist. Es überrascht mich, dass du es so positiv auffasst, dass ich darauf bestanden habe dich hinzubringen.“ Seine Verlobte unterdrückte ein Augenrollen. „Ich möchte einfach nicht mehr streiten. Wenn es dich glücklich macht, dann bin ich einverstanden.“ Ihr plötzliches Einlenken verwirrte den aufstrebenden, jungen Mann. „Auch damit, dass du dich immer telefonisch melden sollst, wenn du Schulschluss hast oder etwas vor hast?“, hakte er ungläubig nach. „Darüber reden wir noch, aber vorerst ist das ok, solange ich meine Freunde noch sehen und treffen darf, wie ich möchte.“ Takuro machte kurz eine verkniffene Miene, beschloss dann aber fürs Erste den frischen Frieden mit seiner Angebeteten zu wahren. „Gut, dann lass uns fahren.“ Auf dem Weg zu sich nach Hause strahlte Yosuke über das ganze Gesicht. Es war fast so, als Riss der bewölkte Himmel nur für ihn endlich auf. Frische, reingewaschene Luft füllte seine Lungen; er hätte Bäume ausreißen können! So lebendig und schlicht glücklich, hatte er sich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Wieder und wieder sah er Momoko vor sich, spielte ihre Liaison in Gedanken ein ums andere Mal durch und spürte das Kribbeln in seinem Bauch dabei. Es tat so gut zu wissen, dass sie ihn ebenso vermisst hatte und wiedersehen wollte, wie er sie. Längst war dem Dunkelhaarigen natürlich der Gedanke gekommen, dass es moralisch falsch war, was er getan hatte, aber es schreckte ihn nicht ab. Als Yosuke seine Wohnung betrat, empfing ihn der umwerfende Duft von warmen Essen. Er hatte gar nicht bemerkt, wie ausgehungert er eigentlich war. Wie üblich führte ihn sein erster Weg zum Wohnzimmer, wo er Hiromi dabei beobachtete, wie sie lustlos am Esstisch saß, wo abgedeckte, dampfende Töpfe standen. Ihre Ellenbogen stützten sich auf die Tischplatte und ihr Kopf ruhte auf ihren verschränkten Händen. „Hallo.“, rief er ihr vorsichtig zu. Sie schreckte hoch. „Yosuke… hi.“, entgegnete sie zurückhaltend. Ihre lilafarbenen Curlys wippten, als sie ihren Kopf schnell wieder zum Tisch wegdrehte. Ihre roten Augen schauten bedrückt und entmutigt zu den abgedeckten Speisen. „Hast du etwa Essen gemacht?“, hakte der Torwart nach. Er gab sich einen Ruck und versuchte nicht allzu kühl zu wirken. Schließlich war es das erste Mal, dass sie ihn schweigsam begrüßte und nicht mit ihrer schrillen Art über ihn herfiel. Sie nickte, erstaunt über seinen freundlichen Tonfall, in seine Richtung. „Ich dachte, nach dem Training hast du vielleicht Hunger.“, erklärte sie langsam, während sie die Handtücher von den Töpfen zog. Yosuke biss sich getroffen auf die Unterlippe, als er daran dachte, dass er ungeplant einer ganz anderen Art von körperlicher Ertüchtigung nachgegangen war. Ganz leise klopfte sein schlechtes Gewissen bei ihm an. „Ich habe sogar einen Bärenhunger!“ Hiromi erlaubte sich ein erfreutes Lächeln. „Wirklich? Ist das auch nicht zu aufdringlich von mir?“, hinterfragte sie noch etwas ungläubig über seine ungewohnt gute Stimmung. „Im Gegenteil, es war sehr aufmerksam von dir, dass du etwas gemacht hast. Was gibt es denn?“ Ungern musste er zugeben, dass es tatsächlich eine nette Geste von ihr war und es verdammt gut roch. „Curry mit Reis.“, sagte sie im stolzen Singsang und enthüllt Reis und Soße. Ihr Freund schluckte kurz. „Du isst doch sicher mit?“ Auch wenn es sich merkwürdig anfühlte, gebot ihm doch die Höflichkeit, sie danach zu fragen. Er drängte die Gedanken an Momoko in seinem Kopf zurück, aber seine gute Laune blieb und verhalf ihm ganz unverhofft dazu, nett zu Hiromi zu sein. Sein Frust und sein Kummer waren verschwunden; er fühlte sich einfach ausgeglichen. „Natürlich! Wenn ich darf…“, freute sich die Kurzhaarige diebisch. Nach dem obligatorischen Händewaschen, saß sich das auseinandergelebte Paar eine Weile schweigend gegenüber, während Hiromi Reis und Curry auf die Teller verteilte. Sie machte einen sehr hochtrabenden, stolzen Gesichtsausdruck, als sie dem Torwart seine Portion reichte. „Das habe ich mit viel Liebe gekocht.“, säuselte sie verliebt. Etwas in ihrem Gegenüber zog sich unangenehm zusammen. Er erwiderte ihre Gefühle nicht, dazu war er noch nicht wieder fähig. Ohne einen Kommentar führte er einen vollen Löffel zu seinem Mund, sein Magen knurrte ungeduldig. Wenn er auch nichts erwidern konnte, so konnte er ja trotzdem nett zu ihr sein und wenigstens lächeln. „Und? Schmeckt es dir?“, fragte sie mit hoher Stimme und erwartungsvollem Blick. Yosuke kaute und schluckte. Zu seinem Bedauern schmeckte es furchtbar. Er erschauderte, als er den Bissen hinunter schluckte und auf den randvoll beladenen Teller schaute. Wie konnte etwas, das so gut roch, so scheußlich schmecken? „Uuuund?“, drängelte Hiromi ungeduldig. »Sei nett zu ihr.«, mahnte er sich gedanklich. „Es schmeckt ganz prima.“, presste er unter einem gestellt begeisterten Lächeln hervor. Seine Köchin klatschte vor Freude die Hände zusammen und begann selber zu essen. Anders als ihr Tischgeselle, musste sie nicht vorspielen, dass sie ihr Fabrikat geradezu köstlich fand. Genüsslich seufzend wanderte Löffel um Löffel in ihren Mund. Der Dunkelhaarige zwang sich mitzuhalten, aber sein Magen rebellierte heftig. „Magst du nicht mehr? Du wirst so blass?“ „Alles gut, ich bin nur müde vom Training.“, flunkerte er und schob den fast leeren Teller von sich. „Ich glaube, ich bin satt.“ Sein Bauch beschwerte sich grummelnd. „Ehrlich? Ich könnte mir glatt noch eine Portion auftun! Ich habe ja sooo einen Hunger! Das macht bestimmt die Schwangerschaft.“ Yosuke stutzte. Hätte sie es nicht ausgesprochen, hätte er es schon wieder vergessen. Man sah noch nichts, aber der kleine Krümel in ihrem Bauch existierte. Wahrscheinlich war das der Grund für Hiromis heftige Geschmacksverirrung. Irgendwie amüsierte ihn das und ließ ihn vergessen, dass sich seine runtergequälte Portion später wahrscheinlich noch rächen würde. „Hiromi… wie war denn dein Tag?“ Verdutzt sah sie von ihrem Essen auf. „Hast du mich gerade nach meinem Tag gefragt?“ Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern und nickte, als wäre nichts weiter dabei. Es war an der Zeit aufzuwachen und endlich einen Schritt nach vorne zu tun. Wenn Momoko mit Takuro zusammen sein konnte und sich dafür selbst zurückstellte, dann konnte er das auch. Sie war schließlich kein abscheuliches Monster, sondern nur ein etwas verdrehtes Mädchen, das im Begriff war sein Kind auszutragen. „Ist etwas passiert, dass du plötzlich so nett zu mir bist?“, hinterfragte Hiromi misstrauisch. Er dachte sofort an den vergangenen Nachmittag, aber schüttelte trotzdem resolut den Kopf. „Nein. Ich interessiere mich einfach nur dafür.“, log er. Ihre Freude darüber strahlte aus jeder ihrer Poren; umso schwerer wog sein schlechtes Gewissen, weil es sein Herz nicht erwärmen konnte. Leichtfüßig und unbeschwert tänzelte Momoko bis zum späten Abend zwischen den Gästen und ihren Tischen umher. Ihre gute Laune übertrug sich auf ihre Kunden; ihr Lächeln und das Strahlen ihrer Augen, ließ ihre Trinkgeldbörse mehr als sonst anschwellen. Die positive Ausstrahlung der jungen Frau motivierte auch ihre Kolleginnen zu Höchstleistungen, aber an diesem Abend stach sie unter ihnen hervor. Lächelnd verabschiedete sie am Ende des Tages ihre letzten Kunden und schloss hinter ihnen zu. „Gute Arbeit, Hanasaki-chan.“, hörte sie ihre Chefin sagen. Sie drehte sich zu der Schwarzhaarigen um und schaute in deren prüfende Augen. „Dankeschön.“ Die hochgewachsene Frau hatte die Arme verschränkt und grinste sie wissend an. „Die ganze Schicht über strahlst du schon so von innen heraus. Als dich dein Freund gebracht hat war es, als hätte sich die Sonne doch noch durch die Wolkendecke gekämpft.“ Momoko blinzelte überrascht und wurde rot. „Ach, tatsächlich?“, erwiderte sie verlegen und strich sich eine gelöste Haarsträhne hinter ihr Ohr. Ihre Vorgesetzte, die heute eine edle Bluse und einen schicken, schokoladenbraunen Bleistiftrock trug, stieß sie freundschaftlich mit einem Ellenbogen an. „Komm schon, mir kannst du es doch erzählen. Es ist etwas Gutes passiert, oder? Und ich wette, es hat etwas mit einem Jungen zu tun.“ Die Gesichtsfarbe ihrer Kellnerin färbte sich ertappt noch eine Nuance dunkler. „Was? Wie kommen sie denn darauf?“ „Liebes, ich bin zufällig auch eine Frau und habe außerdem schon ein bisschen mehr Erfahrung, in gewissen Dingen, als du. Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass etwas anders ist.“ Das Glühen im Gesicht der Rosahaarigen breitete sich bis über ihre Ohren aus. Hektisch lief sie zum Tresen, wo sie sich einen Eimer und Putzmittel schnappte und danach zu den Tischen ging. Ihren Schatten wurde sie dadurch allerdings nicht los. „Die Beziehung mit deinem Verlobten muss gut laufen.“, konfrontierte sie ihre Chefin flüsternd, als sie bereits die erste Tischplatte hartnäckig bearbeitete. „Er muss dich ja sehr glücklich gemacht haben.“, ergänzte sie mit einem vielsagendem Zwinkern und breitem Grinsen. Durfte ihre Vorgesetzte überhaupt solche Dinge zu ihr sagen oder mit ihr über Intimes reden? „Ich weiß gar nicht, wovon Sie da reden.“, stammelte Momoko nervös und mied dabei den Blickkontakt. „Hanasaki-chan… wie viele Monate arbeitest du jetzt schon hier? Ich beobachte meine Mädchen hier sehr genau und ich weiß, dass du in den letzten Wochen der schlimmste Trauerkloß warst, den die Welt je gesehen hat! Nur heute kommst du quasi durch die Tür geschwebt und leuchtest von innen heraus, wie noch nie zuvor. Dein Blick, dieses unbewusste Lächeln hin und wieder, der Hauch von Rosa auf deinen Wangen, das Strahlen deiner Haut… also wenn ich mal etwas indiskret sein darf…“, setzte sie räuspernd an. „Er muss wirklich gut gewesen sein.“, flüsterte sie ihr ins Ohr. Die Highschool Schülerin versteifte sich und riss die Augen weit auf. „Er?!“, wiederholte sie überspitzt und mit rauchendem Kopf. Die schwarzhaarige Frau rollte mit den Augen. „Na dein Freund bei… du weißt schon.“ Momoko wollte in Ohnmacht fallen vor Scham. War es etwa so offensichtlich, dass sie Sex gehabt hatte?! Der erwartungsvolle Blick ihres Gegenübers und wie sie gespannt auf der Unterlippe herumkaute, sagte alles. Ja und erzähl endlich Details. „Nein. Weiß ich nicht. Takuro und ich… so weit sind wir noch nicht.“ Ihrer Chefin klappte der Mund perplex auf. Jetzt war es an ihr verlegen zu sein. „Im Ernst?! Und ich rede mich hier um Kopf und Kragen! Entschuldige, aber weil ihr schon so lange zusammen und verlobt seid, da dachte ich…!“ Bevor das Ganze noch peinlicher wurde, winkte Momoko lächelnd ab. „Schon ok, alles gut. Ich wollte das nur klarstellen.“ „Puh… tut mir leid, dass ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Ich war mir so sicher, dass deine gute Laune daher rührt…“ Erleichtert legte sie eine Hand auf ihr Herz und atmete tief ein und aus. Ihre junge Angestellte wechselte den Tisch, doch anscheinend war das Gespräch immer noch im vollen Gange. Das hatte man nun davon, wenn man einen freundschaftlichen Umgang mit seiner Vorgesetzten pflegte… „Möchtest du nicht darüber reden? Es muss doch etwas Positives sein, was dir passiert ist. Warum machst du so ein Geheimnis daraus?“, hakte die selbstbewusste Jungunternehmerin nach. „Es ist nichts Besonderes passiert.“, antwortete Momoko knapp. Was sollte sie auch sonst sagen? Dass sie im Prinzip Recht mit ihrer ersten Vermutung hatte, nur der männliche Part ein anderer als ihr Verlobter war? Bis zu diesem unangenehmen Gespräch hatte die Blauäugige erfolgreich verdrängt, dass sie schon wieder denselben, fatalen Fehler gemacht hatte. Sie hatte Takuro betrogen. Nur das schlechte Gewissen wog dieses Mal um einiges leichter, als beim ersten Mal. Sie war nicht etwa abgebrühter oder gleichgültiger geworden, aber ganz genau erklären konnte sie sich das selber auch noch nicht. Sie war eigentlich die letzte, die vorsätzlich mit den Gefühlen anderer spielte oder leichtsinnig das Wohl geliebter Menschen aufs Spiel setzte, aber dieses eine Mal war sie egoistisch gewesen. Nachdem sich ihr Innerstes nach Wochen und Monaten disziplinierter Selbstaufgabe und Aufopferung für andere ausgehungert, leer und trostlos angefühlt hatte, war es Yosukes Freundschaft und Nähe gewesen, die sie wieder in Ordnung gebracht hatten. Er war das Pflaster für ihre Seele. Das würde sie ihm heute sagen müssen, denn auch wenn es verwerflich war in ihrer Position so über ihn zu denken, so entsprach es doch der Wahrheit und sie hatte das untrügliche Gefühl, dass es ihm genauso ging. Sie mussten bereden wie es weitergehen sollte, denn zwischen dem, was sie tun mussten und dem, was sie tun wollten, lagen Welten und beide waren ohne Opfer oder Risiken nicht miteinander zu verbinden. „Na gut… es geht mich ja im Prinzip auch nichts an, aber ich freue mich trotzdem, dass es dir heute so gut zu gehen scheint. Ich hoffe, das bleibt jetzt auch so. Egal, wer oder was dir gut tut; halte es ab jetzt ganz fest.“ Mit einem motivierenden Augenzwinkern tätschelte sie Momokos Schulter und ging dann wieder an ihre eigene Arbeit. Der Tagesumsatz rechnete sich schließlich nicht von alleine zusammen. Die junge Kellnerin seufzte augenrollend und stützte sich dabei auf den Tischkanten ab. »Ich soll ihn also festhalten, auch wenn das mein Untergang sein könnte?« Sie schüttelte die aufkommenden, grauen Gedanken ab und verrichtete weiter ihre Arbeit. Jetzt war nicht der Zeitpunkt darüber nachzudenken. Als Takuro sie wie angekündigt nach ihrer Schicht abholte, war Momokos Höhenflug abgeflaut. Je mehr sich die Aussprache mit Yosuke näherte, desto mehr Angst bekam sie davor. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Herz und Kopf sprachen zwei unterschiedliche Sprachen. Ihr Verlobter saß hier im Auto neben ihr, hielt ihre beringte Hand, schenkte ihr ein zufriedenes, verliebtes Lächeln und träumte wahrscheinlich von einer glorreichen Zukunft mit ihr als seine Frau an seiner Seite. Sie schwiegen die Autofahrt über, was der Rosahaarigen ganz recht so war. Es hing so viel von ihrer Verbindung mit Takuro ab, aber noch nie hatte es sich so unecht angefühlt wie jetzt. „Du bist so schweigsam? Wo ist deine gute Laune hin, die du heute Nachmittag noch hattest?“, fragte Takuro sie, kurz bevor sie in ihre Straße einfuhren. „Ich bin nur etwas geschafft, heute war viel los.“, flunkerte sie und setzte dabei ein müdes Lächeln auf. „Das glaube ich gerne. Ich wünschte, du würdest diesen Job aufgeben. Du weißt ja, dass ich dafür sorgen kann, dass du es nicht mehr nötig hast so zu Geld zu kommen.“ „Ich möchte es aber so. Ich fühle mich nicht gut dabei von dir und deiner Familie abhängig zu sein. Noch sind wir einfache Schüler im Abschlussjahr und unverheiratet. Es käme mir falsch vor… außerdem sammle ich so ein paar Erfahrungen fürs Leben und komme unter Menschen.“ „Ich weiß, ich weiß…“, erklärte der Schwarzhaarige ruhig und gab ihr, wie sooft, einen flüchtigen Handkuss. Momoko konzentrierte sich auf das Gefühl dabei. Sie konnte vorgeben sich geschmeichelt zu fühlen, verzückt zu sein und diesem Mann vielleicht sogar alles von sich geben ohne Skrupel zu haben, aber sie würde nie das empfinden, was Yosuke in der Lage war bei ihr auszulösen. „Träumst du?“ Sie schreckte tatsächlich aus ihrem Tagtraum hoch und erntete ein belustigtes Lächeln. „Du scheinst ja wirklich schon müde zu sein. Na dann will ich dich mal aussteigen lassen.“ Amüsiert stieg Takuro aus. Momoko hatte gar nicht bemerkt, dass sie bereits geparkt hatten, straffte sich aber schnell, als ihr Verlobter ihr wie immer galant die Autotür aufhielt. „Rufst du mich morgen wie versprochen nach der Schule an?“ „Ja, okay.“ „Entschuldige, dass ich dich jetzt nicht zur Tür bringe, aber ich habe Zuhause noch einiges für den Unterricht zu erarbeiten und es deswegen etwas eiliger als sonst.“ „Du bist und bleibst eben doch ein Streber.“, neckte sie Takuro. Er grinste, funkelte sie aber dunkel an. Bevor sie ging zog er sie an ihrer Hand noch mal zu sich rum und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Sie legte ihre überrascht auf seine. Dass er sie küsste hätte sie nicht überraschen dürfen, schließlich war das inzwischen ganz normal zwischen ihnen geworden, doch sie hatte ihren Kopf einfach ganz woanders. Nach einem kurzen, atemlosen Augenblick entließ Takuro sie aus seinem Griff und sah sie zufrieden an. „Dein Streber, für immer und ewig.“ Momoko schluckte schwer, aber kämpfte sich durch den Nebel der Überrumpelung zu einem Lächeln durch. „Gute Nacht, Ta-kun.“, hauchte sie ihm entgegen und wand sich dann um. Da war es wieder, ihr schlechtes Gewissen, das sich nun mit aller Macht auf sie stürzte. Sie versuchte vor ihm zu flüchten und es auszuschließen, als sie die Haustür hinter sich verschloss, doch es hatte sich unnachgiebig an ihre Fersen geheftet. Mit Herzrasen beobachtete sie vom Wohnzimmer aus, wie Takuro davon fuhr. Sie legte ihre Sachen ab und zückte ihr Handy. Yosukes Nummer war schnell angewählt, aber sollte sie ihn auch wirklich anrufen? Frustriert warf sie das Telefon auf die Couch und raufte sich das verknotete Haar. Sie löste den Dutt und ließ ihr Haar ungezähmt über ihre Schultern fallen. »Was soll ich nur tun?!« Die Blauäugige schloss ihre Augen und klammerte sich an sich selbst fest. Diese Entscheidung konnte ihr niemand abnehmen, doch eigentlich war sie längst gefällt. Er war überall; in ihrem Kopf, in ihrem Bauch, unter ihrer Haut… er ließ sich von dort nicht mehr vertreiben, egal was die Vernunft ihr riet. Mit eiliger Hand griff sie nach ihrem Handy und begann eine Nachricht zu tippen, während sie sich aufmachte die Stufen zur oberen Etage zu erklimmen. Kapitel 39: Plaintext and decisions ----------------------------------- Yosuke fiel ein riesen Stein vom Herzen, als Momokos Textnachricht ihn zur späten Stunde erreichte. Fast hatte er daran gezweifelt, dass sie sich noch bei ihm melden würde. Er hatte befürchtet, dass sie Skrupel bekommen könnte und deswegen wieder alles abblocken und ungeschehen machen wollte. Doch sie bat ihn zu kommen, genauso wie abgesprochen. Es war nicht leicht gewesen, sich glaubwürdig davon zu stehlen, ohne dass es Hiromi verdächtig vorkam, doch nachdem sie beide nach dem Essen noch ein relativ friedliches und produktives Alltagsgespräch geführt hatten, befand sie sich in zuversichtlicher Hochstimmung. Eine lange Joggingrunde, um für seinen Sport fit zu bleiben, war seine Erklärung für den späten Ausflug. Sie glaubte ihm das ausnahmsweise ohne nachzubohren und so hoffte er, dass sie auch müde genug war, um dieses Mal nicht auf seine Rückkehr zu warten. Der Torwart joggte nun also in langen, lockeren Trainigsklamotten den weiten Weg durch die Straßen bis zu Momokos Haus. Außer Atem und schwitzend erreichte er ihre Straße, in der bereits die alten Laternen ihr gelbes Licht auf den Bürgersteig warfen. Yosuke zog seine graue Sweatjacke aus und band sie sich um die Hüfte, so erhitzt konnte er doch nicht bei der jungen Hobbyfotografin aufschlagen. Mit in die Hüfte gestemmten Händen, streckte er sich durch und sah zum Himmel hinauf, der erstaunlich klar war und an dem sich die ersten Sterne abzeichneten. Er zog die frische, gereinigte Nachtluft tief in seine Lungen und akklimatisierte sich langsam aber sicher. Nur sein Herz schlug nach wie vor schneller als sonst. Der Sportler fasste mit der rechten Hand dorthin, wo es verräterisch gegen seine Brust schlug; er war nervös. Was würde sie sagen? Was würde er sagen? Wohin würde das klärende Gespräch führen? Was sollten sie tun, oder was lieber nicht? Was wollten sie beide? Gab es überhaupt ein “Wir“ für sie? Die kreisenden Gedanken in seinem Kopf kamen zum Stillstand, als er sich vor Momokos Haustür wiederfand und klingelte; es brannte bereits Licht im Wohnzimmer. Sein Puls beschleunigte sich aufgeregt, je länger er wartete, dabei waren es nur Sekunden, bis die junge Hausherrin schließlich öffnete. „Hi.“, begrüßte sie ihn zurückhaltend und ein schüchternes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Die Anspannung fiel von ihm ab, jetzt, wo sie vor ihm stand. „Hi.“, erwiderte er auf ähnliche Weise. Schnell zog Yosuke die Hände aus den Taschen seiner Jogginghose und entknotete seine Jacke. „Interessanter Aufzug.“, bemerkte die Rosahaarige. Ihre Augen funkelten amüsiert. Es war unmöglich daraufhin nicht ebenfalls zu grinsen. „Tja… ich habe mein Trainingspensum für heute noch nicht erfüllt, also dachte ich, ich könnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“, scherzte er. Momoko schloss die Tür hinter ihm und drehte sich zum Wohnzimmer um. „Ach so? Und ich habe schon gedacht, dass das deine Tarnung war, um von Hiromi wegzukommen.“, gab sie zurück. Ihr ironischer Unterton war nicht zu überhören, aber spätestens ihr spitzbübiges Grinsen verriet ihr Spielchen. Das war ihre Art ihre Nervosität zu überspielen. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe.“, spielte Yosuke mit und streifte sich kopfschüttelnd seine Turnschuhe ab. Seine Gastgeberin zog aus dem Schuhschrank der Garderobe ein Paar braune Pantoffeln und stellte sie vor ihm ab. „Hier, probier die mal an. Dann musst du nicht auf Socken laufen.“ Er schlüpfte in die leichten Latschen und fand genug Platz für seine Füße darin. Vielleicht sogar etwas zu viel. „Danke, die sollten gehen. Gehören sie deinem Vater?“ „Ja, aber im Moment braucht er sie ja nicht. Er hätte bestimmt nichts dagegen, dass ich sie dir leihe.“ Der Dunkelhaarige schaute Momoko prüfend in die blauen Augen, doch wenn dort irgendwo noch die Verletzlichkeit des vergangenen Nachmittags war, hielt sie diese geschickt verborgen. Je länger er sie ansah, desto verlegener wurde die junge Frau, bis sie schließlich ihren Blick senkte und sich fahrig eine Haarsträhne hinter ihr Ohr schob. „Ähem… kann ich dir etwas zu Trinken anbieten?“, wechselte sie lautstark räuspernd das Thema. „Oh. Ja, klar.“ Sie kicherte leise. Etwas flatterte dabei aufgeregt in seiner Körpermitte. „Okay…und was?“, hakte sie amüsiert nach. „Das ist mir eigentlich egal. Was du grad da hast.“ „Sehr präzise. Dann muss ich doch mal schauen, was ich unter egal in meiner Küche finde.“, späßelte sie weiter und drehte sich schwungvoll auf dem Hacken um. Ihr sportlicher Gast nutze den Moment, um ihre Aufmachung sehr genau in Augenschein zu nehmen. Ihr langes Haar fiel in schweren, ungezähmten Wellen über ihren Rücken und sie trug ein kurzes, dunkelbraunes Strickkleid zu einem dünnen, weißen Langarmshirt mit Rollkragen. Es war nicht gerade das züchtigste Outfit, wie ihm sein urteilender Blick auf ihre langen, nackten Beine verriet. Auch das Kleid lag sehr eng auf ihrer Silhouette. Er schloss schnell die Augen und schüttelte sich, um seine unzüchtigen Gedanken abzuwehren und einen klaren Kopf zu bewahren. „Sag mal, hast du abgenommen?“, fragte er sie trotzdem, als sie hinter die Theke ihrer offenen Küche verschwand. Überrascht sah sie zu ihm hinüber und wurde rot. „Wie?“, fragte sie verdattert zurück. »Was für eine saudämliche Frage…«, schimpfte Yosuke sich selbst. „Entschuldige… du kommst mir nur schmaler um die Körpermitte und an den Beinen vor, als noch vor drei Wochen.“, erklärte er sich etwas peinlich berührt. Sie schaute ihn aus großen Augen an, sagte aber nichts. In diesem Blick lag viel mehr, als Worte jetzt erklärt hätten. Die Röte ihrer Wangen verriet, dass sie lieber nicht nachfragen wollte, wie ihm das aufgefallen war. Ihr Schweigen machte außerdem deutlich, dass sie sich zu den Gründen ihrer Abnahme nicht äußern würde. Er räusperte sich, hängte endlich seine Jacke auf und gesellte sich dann zu ihr in die Küche. Die Atmosphäre, wie sie geschäftig ihrer Tätigkeit auf der Arbeitsfläche nachging und er sie dabei beobachtete, rief Erinnerungen in ihm wach. Sinnierend starrte er wieder ihre Kehrseite an. „Du machst mich nervös.“, durchbrach Momoko die Stille und holte ihn damit aus seinen Tagträumen zurück. Sie schaute über ihre Schulter zu ihm nach hinten, während sie in zwei Tassen abwechselnd herumrührte. „Ich? Dich nervös?“, hinterfragte er verblüfft. Sie wand ihr Gesicht wieder um, aber nickte sichtbar. Yosuke biss sich auf die Unterlippe und stellte sich vor, wie ihr Gesicht gerade die Farbe einer reifen Tomante annahm, während sie ungewöhnlich lang mit den Tassen hantierte. Sein Herzschlag beschleunigte sich erneut; mutig trat er leise an sie heran und strich ihr das Haar vom Nacken über die Schulter. Erschrocken zuckte die Blauäugige vor ihm zurück und starrte ihn verwirrt an. „Was machst du da?!“ Er lächelte sie trotz ihres harschen Tons warm an. „Das ist wie ein Déjà-vu, stimmt’s?“ Konsterniert erwiderte sie seinen Blick, bis ihr klar wurde, worauf er anspielte. Jetzt wusste sie auch, wieso sie selbst so nervös war. Die Situation erinnerte sie an den Tag nach dem Klassentreffen. „Damit verbinde ich aber nicht nur gute Erinnerungen.“, bemerkte sie nach einer kurzen Denkpause und erlangte räuspernd ihre Fassung zurück. Noch ehe sie sich wieder zur Arbeitsfläche umdrehte, nahm Yosuke ihre linke Hand in seine. Er betrachtete ihre helle Haut, schaute ihr dann in die blauen, verwirrten Augen, strich mit seinem Daumen über ihre Fingerknöchel und vertiefte seinen Blick. Eine Gänsehaut ergriff Besitz von ihr; er tat es schon wieder! „Aber damals fing alles an…“, sagte er leise. Momoko entzog ihm mit Herzrasen ihre Hand und reichte ihm stattdessen rüde seine Tasse. Sein Gesichtsausdruck wirkte angesichts des schwarzbraunen, würzig riechenden Heißgetränks, etwas unglücklich. „Stimmt etwas damit nicht?“, wollte Momoko wissen. „Kaffee? Um diese Uhrzeit?“, fragte er ungläubig. Die Rosahaarige zuckte mit den Schultern. „Wir beide brauchen jetzt einen klaren Kopf, da hielt ich Koffein für eine gute Idee. Außerdem hattest du die Wahl und hast sie mir überlassen.“ Sie grinste ihn frech an und nippte an ihrer Tasse. Unzufriedenes Grummeln röhrte in diesem Moment aus Yosukes Magengegend. Er lächelte entschuldigend, als sie ihn deswegen erstaunt musterte. „Hiromi hat versucht mich mit ihrem selbstgemachten Abendessen zu vergiften, deswegen reagiert mein Magen jetzt etwas gereizt, bei dem Gedanken an Kaffee.“ Die junge Frau lachte leise auf, eine gewisse Schadenfreude konnte sie sich einfach nicht verkneifen. „Du Ärmster!“, zog sie ihn kichernd auf. Pikiert rümpfte der Dunkelhaarige die Nase. „Tut mir leid, aber das kann ich mir nur zu gut lebhaft vorstellen! Warum hast du denn nichts gesagt?“, lenkte sie sofort wieder ein. „Na ja… was hätte das geändert?“ „Gar nichts, stimmt. Aber versuch es doch mal mit dem Kaffee, der soll ja anregend auf die Verdauung wirken.“ Es war schon fast unheimlich, wie locker sie miteinander umgingen, obwohl immer noch eine gewisse, knisternde und gleichzeitig beklemmende Stimmung zwischen ihnen herrschte. Diese Leichtigkeit war es wert erhalten zu werden. „Wir müssen reden.“, setzte Yosuke ernst an. Momokos Miene wurde sofort strenger. „Dann lass uns hoch in mein Zimmer gehen. Es ist mir lieber, wenn dabei niemand Neugieriges durch die Wohnzimmerfenster schaut.“ Das war einleuchtend. Sie wollte nicht riskieren, dass Takuro oder ihre Freundinnen, aus welchem Grund auch immer, plötzlich vor ihrer Tür standen und sahen, dass sie beide auf der Couch ein angeregtes Schwätzchen miteinander hielten. „Okay. Ladies first.“, antwortete er einverstanden und ließ ihr den Vortritt nach oben. Sie rollte mit den Augen, aber schmunzelte. Yosuke konnte sich nicht erinnern schon mal in Momokos Zimmer gewesen zu sein. Sie hatte ein sehr typisches Mädchenzimmer mit hellem Teppich, weißen Möbeln und vielen, pastellfarbigen Akzenten. Es war ordentlich und organisiert, nur ihr Schreibtisch lag voll mit Fotoumschlägen, einzelnen Fotografien und ihrer Kamera. „Schau nicht so, ich brauche mein kleines Chaos.“, ermahnte sie ihn, stellte ihre Tasse ab und schob flüchtig ein paar Bilder zu einem ordentlichen Stapel zusammen. Der Torwart hob unschuldig beide Hände, sofern das mit der heißen Tasse in einer Hand eben ging. „Ich habe doch gar nichts bemängelt.“ „Das ist auch besser so!“, entgegnete sie gespielt streng. „Setz dich ruhig auf mein Bett. An Stühlen mangelt es hier.“ Er tat, wie ihm geheißen und ließ sich auf die gesteppte Tagesdecke nieder. „Sind das alles deine privaten Aufnahmen?“, fragte er neugierig. „Zum Teil, das Meiste sind Fotos von den Veranstaltungen, wo ich an den Wochenenden manchmal nebenbei fotografiere. Die Haushaltskasse… du weißt schon.“, erzählte Momoko ruhig und beendete schließlich ihre halbherzige Aufräumaktion. „Stimmt. Einer deiner Nebenjobs… Hast du eigentlich auch noch Fotos von früher? Aus der Mittelschule?“ Sie hielt kurz inne, um zu überlegen. Nach wenigen Augenblicken sah sie ihn mit schief gelegtem Kopf von der Seite an. „Schon möglich.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem verheißungsvollen Lächeln. Yosuke konnte gar nicht anders als es zu erwidern, doch dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ihre Miene wurde ernster und bedrückt. „Wir sollten uns jetzt aber nicht ablenken lassen.“, mahnte sie ihn bestimmt. Er senkte seinen Blick zu der Kaffeetasse in seinen Händen und nickte. „Du hast Recht, tut mir leid. Ich weiß, dass dieses Gespräch unausweichlich ist, aber ich fürchte mich ehrlich gesagt ein wenig davor.“, gestand der Dunkelhaarige. Als er wieder aufsah, bemerkte er einen erleichterten Ausdruck in Momokos Gesicht. Lässig zog sie mit einer Hand ihren Schreibtischstuhl herum und setzte sich auf ihn, sodass sie nur eine Armlänge von ihm entfernt saß. „Dann geht das also nicht nur mir so.“, gab sie verlegen lächelnd zu. Von einer unsichtbaren Last befreit, atmete er laut aus. „Okay, dann bin ich ja beruhigt. Also… wo fangen wir am besten an…“ Grübelnd nahm er einen großen Schluck von seinem Kaffee und stellte die Tasse dann entschlossen auf dem Nachttisch neben einer kleinen Lampe ab. Er leckte sich angespannt zurückgebliebene Tropfen von den Lippen und blickte dann in die blauen Augen seiner Gesprächspartnerin. Sie flackerten aufgeregt. Die ganze Körpersprache der jungen Frau verriet ihre Nervosität. Ihre Knie waren dicht zusammengepresst, ihre Hände ruhten Flach in ihrem Schoß und ihr Rücken war unnatürlich gerade aufgerichtet. Yosuke unterdrückte seine eigene Unsicherheit, beugte sich zu ihr vor, zog sie an ihren Händen mitsamt Stuhl trotz Protestlauts näher zu sich heran, sodass sie nun Knie an Knie voreinander saßen. Mit Absicht ließ er seine Hände auf ihren Beinen ruhen. Ihr entrüsteter Gesichtsausdruck und ihre Schamesröte amüsierten ihn kurz, bevor er sich wieder zusammen riss. „Als erstes muss ich wohl zugeben, dass es mir nicht leid tut, was heute Nachmittag zwischen uns passiert ist.“ Er drückte vorsichtig ihre Knie und sie errötete noch intensiver dabei, aber schwieg abwartend. „Deine Nähe macht etwas mit mir, dass ich nicht erklären kann. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht nach dir gesehnt habe… und ich meine nicht nur das Körperliche. Da ist mehr zwischen uns. Etwas, auf das ich nicht mehr verzichten möchte.“ Ihre Augen warfen ihm durch den Vorhang ihrer dichten Wimpern einen schüchternen Blick zu. Ob ihr Herz genauso raste wie seines? „Bitte versteh mich nicht falsch, es ist so, wie ich dir bereits gesagt habe. Dein Lachen hat mir gefehlt, unser unbeschwerter Umgang miteinander, das Rumblödeln und unsere Gespräche… einfach alles. Ich habe dich als Freundin und Leidensgenossin vermisst. Wenn du bei mir bist erscheint mir alles, um mich herum, viel leichter. Mit dir kann ich Spaß haben und ausgelassen sein; ich muss mich nicht verstellen.“, beendete er seine erste Ausführung. Sie legte ihre Hände beruhigend auf seine. „Ich habe mich auch schrecklich einsam gefühlt ohne dich… Mit dir zu reden ist anders als mit Yuri oder Hinagiku. Du bringst mich ehrlich zum Lachen und anders als bei ihnen, brauche ich vor dir keine Geheimnisse haben. Ich habe das Gefühl dir alles erzählen zu können; in jeder Hinsicht. Mir geht es also genauso, wie dir.“ Momoko bedachte ihn mit einem warmen Ausdruck in ihrem Blick, aber diesmal empfand er dabei nur Bestürzung. Sie stutzte bei seiner Reaktion; ihre Augen flackerten unsicher auf. „Als du damals nach deinem Date mit Takuro so aufgewühlt zu mir gekommen bist, hast du ein paar verwirrende Dinge gesagt und ich hatte Angst, dass du dich in mich verliebt haben könntest.“, setzte er wieder an. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, er wollte sie nicht verletzen oder taktlos sein, aber er war ihr seine ungeschönte Ehrlichkeit schuldig. Er zwang sich sie anzusehen und abzuwarten, wie sie seine Konfrontation damit auffasste. Beinahe ungerührt davon, hörte sie ihm ruhig zu und schaute dann nachdenklich auf ihre Hände, die auf seinen auflagen. „Anfangs dachte ich, ich würde mich nur körperlich zu dir hingezogen fühlen. Einfach, weil mein Leben langweilig geworden war. Du bist plötzlich darin aufgetaucht; vom hässlichen Entlein zu einem schönen Schwan herangewachsen und warst plötzlich ausgerechnet die Freundin von Takuro Amano. Das hat mich gereizt und provoziert, mich neugierig gemacht und unangebrachte Jagdinstinkte in mir geweckt…“ Momoko runzelte grimmig ihre Stirn, weswegen Yosuke ohne Atempause weiterredete. „…aber dann habe ich dich schnell näher kennengelernt und zugelassen, dass du mein Herz berührst. Du wurdest mir wichtig, obwohl ich es zuerst nicht wahrhaben wollte. Doch als du dann nach unserer Nacht und diesem Date zu mir kamst… ich hätte an diesem Abend nicht damit umgehen können, wenn du mir gesagt hättest, dass du mehr als Freundschaft für mich empfindest.“ Sie schaute in seiner kurzen Sprechpause zu ihm auf, aber ihre Miene verriet nichts darüber, was sie gerade fühlte. Nur ihre Stirn hatte sich wieder geglättet. „Pfirsichtörtchen… du bedeutest mir viel, aber in meinem Leben ist kein Platz für die Liebe. Ich bin nicht gut in solchen Dingen, ich weiß nicht mal, ob ich Hiromi jemals wirklich geliebt habe. Trotzdem sind sie und das Baby alles, worum sich meine Welt dreht. Ich kann sie nicht im Stich lassen oder riskieren, dass mein Kind ohne Vater aufwächst. Es macht mir keinen Spaß und ich fühle mich oft wie ein Gefangener in dieser Situation, aber ich lasse nicht andere für meine Fehler büßen. Wenn das jemand verstehen kann, dann du.“ Die Rosahaarige schaute nun bedrückt, fast traurig auf ihren glänzenden Verlobungsring. Yosuke schluckte schwer an seiner Anspannung. „Das tue ich.“, antwortete sie konzentriert. „Tatsächlich habe ich damals in meiner Aufregung kurz darüber nachgedacht, ob wir beide etwas mehr füreinander empfinden würden, wenn es Hiromi und Takuro nicht geben würde... Sag, hättest du mich denn beachtet und mir dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt, wenn wir uns einfach so auf dem Klassentreffen wiedergesehen hätten? Ohne die Beiden und ohne unsere Probleme?“ Sie musterte ihn prüfend; ihr Puls überschlug sich in ihrer Brust. Seine braungrünen Augen schauten unsicher hin und her, nervös fuhr er sich mit einer Hand durch sein Haar und vergrub anschließend sein Gesicht in ihr. „Ich weiß es nicht.“, gestand er unzufrieden. „Das macht nichts. Es spielt keine Rolle, denn ich will genau Dasselbe wie du.“, entgegnete sie beschwichtigend. Er hob erstaunt seinen Blick. „Dann hast du nicht aufgegeben daran zu glauben, dass du dich doch noch in Takuro verlieben könntest?“ Momoko schaute ihn streng an. „Alles hat sich verändert, doch ich gebe weiter mein Bestes… ich habe nur das Gefühl, dass es sich niemals ganz richtig anfühlen wird, mit ihm zusammen zu sein. Seine Nähe und Zudringlichkeit ersticken mich irgendwie… ich brauche mehr als das, aber ich will und werde an der Verlobung mit ihm trotzdem festhalten. Ich kann nicht anders… Romantik und Liebe, das ist etwas für Kinder. Für junge Mädchen, die in der Mittelschule hübschen Jungs nachlaufen und von ihrem Prinzen auf einem weißen Ross träumen. Ich verstehe nichts von der Liebe, aber ich habe gesehen, wie sie meinen Vater zerstört hat und das will ich nicht für mich. Sie würde alles nur verkomplizieren.“ Sie lächelte kurz spöttisch, schürzte dann aber ihre Lippen und blinzelte ihre feuchten Augen trocken. Da saßen sie nun also und hatten sich gestanden, dass es nichts zu gestehen gab. „Jetzt stehen wir wieder am Anfang. Du hast jemanden, ich habe jemanden und wir wollen beide nicht von unserem Kurs abweichen. Ist das dann das Ende? Müssen wir uns jetzt Lebewohl sagen?“ Momoko konnte ihre Bestürzung darüber nicht zurückhalten und umschloss fest Yosukes Hände. »Ich kann nicht!« schrie eine Stimme in ihrem Kopf. „Wenn du mich nicht fort schickst, werde ich nicht gehen.“, antwortete er ernst und verschränkte seine Finger mit ihren. Sie sah ihn aus ihren großen, verzweifelten Augen erwartungsvoll an. „Wie oft soll uns das Leben denn schließlich noch vor Augen führen, dass das nicht funktioniert? Bis wir begreifen, dass wir sowieso nicht voneinander lassen können? Es ist nie bei dem Abschied geblieben; über kurz oder lang zieht es einen von uns doch wieder zu dem anderen.“, erläuterte er, nicht ohne dabei etwas zynisch zu klingen. „Was ich sage klingt alles so geschwollen, aber ich finde keine anderen Worte dafür. So fühlt es sich zumindest für mich an.“, ergänzte er. Momoko fasste Mut und sammelte sich für ihre Erwiderung. „Wenn du nicht da bist fühlt es sich an, als würde ich eingehen. Die Freundschaft zu dir ist das einzige bisschen heimliches Glück, das noch Licht und Lebendigkeit in mein Leben bringt und mich aufrecht hält. Niemand sonst versteht so wie du, wie es mir geht.“, erzählte sie mit brüchiger Stimme. „Denkst du, mir geht es anders? Aber so gut du mir auch tust, oder ich dir, wir könnten füreinander der Untergang sein.“ „Dann willst du doch gehen?“, hinterfragte sie traurig. „Nein! Denn obwohl ich in meinem Kopf weiß, dass es falsch ist, was wir tun, hat sich in den letzten Wochen und Monaten nichts jemals so richtig angefühlt. Ich will wenigstens ein Mal nicht auf meinen Kopf hören.“ Eine Träne rollte über ihre rechte Wange, als sie in seine aufrichtigen Augen schaute und heftiges Herzklopfen bekam. „Wir sind beide einsam, obwohl wir eigentlich glücklich sein müssten. Nicht wahr? Wir sind so undankbar…“, stellte sie schwermütig fest. „Es tut mir leid, dass ich so egoistisch bin und es dir schwer mache, das Richtige zu tun, aber ich glaube nicht, dass ich mich von dir fernhalten kann.“, hauchte er schmerzlich lächelnd und wischte dabei mit seiner linken Hand die Träne von ihrer Haut. Ihr Herz flatterte aufgeregt unter der Berührung und seinen Worten. „Du machst mir nichts schwer. Das mit uns, das ist das Einzige, worüber niemand sonst Kontrolle hat. Ich will das Gefühl nicht verlieren wenigstens über eine Sache, in meinem Leben, selbst bestimmen zu können.“ Sie lächelte ihn mit Tränen in den Augen an. Dieser Anblick warf seine Gefühle durcheinander; am liebsten wollte er sie in seine Arme ziehen und ihr versprechen, dass alles gut werden würde und es nie wieder einen Grund gäbe zu weinen, doch das konnte er nicht. Sie bewegten sich auf einen unsicheren, moralisch verwerflichen, Pfad zu, der ihnen viel geben, aber auch alles nehmen konnte. „Schhhh… nicht weinen.“ „Tu ich doch gar nicht.“, log sie dreist und wischte sich die Augenwinkel trocken. Yosuke schmunzelte. „Doch, tust du wohl. Was machen wir jetzt nur…“, seufzte er müde. Die junge Frau schüttelte den Kopf und zuckte unwirsch mit den Schultern. „Ich weiß es nicht… ich fühle mich wie ein schlechter Mensch, dabei bin ich so gar nicht.“ „Vielleicht sind wir aber doch so und sollten das akzeptieren?“ Verständnislos funkelte sie ihn an, doch er erzählte unbeeindruckt davon weiter. „Wir haben uns gegenseitig dazu gebracht Seiten an uns zu entdecken, die wir noch gar nicht kannten, unsere Grenzen auszuloten und sie zu überschreiten.“ „Wie meinst du das?“, fragte sie mit argwöhnischem Tonfall nach. Wieder musste der dunkelhaarige Torwart grinsen. Er hob seine rechte Hand und legte es an ihr Kinn, um es anzuheben. „Ich hielt dich zum Beispiel immer für vorlaut, tollpatschig und schüchtern, aber ich hätte nie gedacht, dass du auch sehr erwachsen, sexy und verrucht sein kannst.“ Momoko lief rot an und schnappte aufgeregt nach Luft. „Stimmt ja gar nicht!“, dementierte sie verlegen und schob seine Hand weg. Der schlummernde Wolf in ihm spitzte die Ohren und reckte den Hals. „Nicht? Soll ich deine Erinnerungen daran auffrischen, wie du sein kannst?“, raunte er verschwörerisch. Sofort spürte er sein Gegenüber unter seinen Handflächen erzittern, als er sie provozierend ihre Schenkel hinauf gleiten ließ. Allerdings hielt sie ihn keine Sekunde später entschieden davon ab und schob sich und ihren Stuhl außerhalb seiner Reichweite. „Lass das! Lenk nicht vom Thema ab.“, ermahnte sie ihn knurrend. Amüsiert räusperte er sich und fuhr dann mit seiner Erklärung fort. „Ich wollte damit sagen, dass wir wahrscheinlich nicht die Menschen sind, die wir gerne sein würden. Wir sind nicht bedingungslos treu, wir fügen uns nicht ohne Murren in unser Schicksal und wir wollen mehr vom Leben, als uns zusteht. So sind wir eben; wir sind keine perfekt guten Menschen, aber sind wir deswegen gleich schlechte?“ Die Rosahaarige dachte über seine Worte nach. „Früher hätte ich wahrscheinlich mit ja geantwortet, aber es gibt nicht nur Schwarz und Weiß in dieser Hinsicht...“ Yosuke war froh, dass Momoko verstand, worauf er hinaus wollte. Auch wenn das als Rechtfertigung für ihr Verhalten und ihre Begierden vor den Augen Außenstehender alles andere als akzeptabel wäre. „Was wird dann jetzt nun? Sind wir wider aller Vernunft wieder einfach Freunde?“ Der Braunhaarige überlegte kurz, schüttelte dann aber langsam seinen Kopf. „Nein, ich glaube nicht, dass ich das kann.“ Erschrocken, er könnte ihre Freundschaft meinen, starrte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Es nie wieder tun, meinte ich.“, setzte er belustigt hinzu, als er die Doppeldeutigkeit, in seinem Satz, durch ihren entsetzten Gesichtsausdruck verstand. Die Blauäugige errötete, als der Groschen bei ihr fiel. „Du denkst wirklich dauernd nur an das Eine, oder?“, grummelte sie verlegen und schaute möglichst entrüstet dabei. „Hey, ich habe mich dir nie aufgedrängt. Du warst es doch, die mich in ihr Haus gezogen- und... na ja…“, scherzte er anzüglich und zwinkerte ihr vielsagend zu. Momokos Kopf wurde purpurrot vor Scham; Yosuke konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Yosuke Fuma… du bist wirklich ein ungehobelter Mistkerl…“, schimpfte sie kleinlaut und schmollte weiter peinlich berührt vor sich hin. „Nein, ich bringe dich nur unglaublich gern aus der Fassung.“, erklärte er selbstgefällig. Sie schnaubte verächtlich, verschränkte ihre Arme und schlug ihr rechtes Bein über. „Ich muss gestehen, dass dir das teilweise im Minutentakt gelingt.“ „Unter anderem deswegen bin ich doch noch hier, oder?“, raunte er gefährlich. Mit glühendem Gesicht erwiderte sie verlegen seinen durchdringen Blick. „Du hast vorhin gesagt, du brauchst mehr. Mehr was?“ Sein Tonfall brachte sie ganz durcheinander; erhitzt wich die Blauäugige seinem Blick aus und versuchte sich durch das Pulsieren ihres Blutes, in den Ohren, auf eine Antwort zu konzentrieren. „Was willst du denn von mir hören? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dich brauche… das ich einsam bin ohne dich.“, wich sie ihm aus. Plötzlich erhob er sich, tat einen Schritt auf sie zu, griff nach ihren Händen, zog sie an ihnen wieder zu sich heran und ließ sich dann zurück aufs Bett fallen, sodass sie mit einem kräftigen Rück von ihrem Drehstuhl gerissen wurde und direkt in seine Arme stolperte. Rittlings auf seinen Beinen sitzend, verhalf er ihr grinsend zu einer aufrechten, würdevolleren Position. Noch bevor sie den Schrecken überwunden hatte, ergriff Yosuke auch schon wieder das Wort. „Ich will, dass du ehrlich zu dir selbst und auch zu mir bist! Du kannst so cool tun wie du willst, aber ich sehe dir an, dass ich dich nicht kalt lasse… War mit diesem Mehr vielleicht Leidenschaft gemeint? Das brechen der Regeln; die Lust am Leben? Frei zu sein und zu tun, wonach einem der Sinn steht?“ Unterstreichend ließ er seine Hände anregend ihre schmale Taille hinter gleiten, während ihre auf seinen Schultern auflagen. „Warum tust du das?“, fragte sie flüsternd. Ein elektrisierender Schauer packte sie, als sie seine Finger an ihrer Hüfte fühlte und seine Augen sich bedeutsam verdunkelten. „Weil ich mehr von dir möchte, als nur deine Freundschaft. Gegen alle Regeln.“ „Gegen alle Vernunft…“, ergänzte sie raunend. „Genau.“ Sein Atem streifte ihr Gesicht und alle ihre kleinen Härchen stellen sich auf. Ihr Herz verselbstständigte sich und pumpte ihr Blut tosend durch ihre Venen; sie war machtlos gegen seine Anziehung. „Was machst du nur mit mir?“, hauchte sie benommen, als sie seine Lippen fast schon auf ihren spüren konnte. „Nein, was machst du mit mir?“, konterte er, drückte im Anschluss daran, aufreizend ihre straffen Oberschenkel. „Du willst also Freundschaft plus? Eine Affäre?“, wich Momoko aus und warf ihr vorgefallenes Haar mit einer schwungvollen Kopfbewegung nach hinten. „Ich will dich so wie du bist und ich will dich ganz; ohne Liebe und Verpflichtungen. Mir ist egal, wie man das nennt.“ Yosuke sah sie lange sehnsüchtig an, so als erwartete er eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage. »Will ich das auch?«, stellte sie sich die Frage in Gedanken selbst. Es gab keinen anderen Weg, um nicht auf Yosuke verzichten zu müssen. Anstatt etwas zu sagen, rutschte sie auf seinem Schoß näher heran und schlang ihre Arme um seinen Hals. Stirn an Stirn blickten sie sich aus glühenden Augen an, bis sie ihren Mund quälend langsam auf seinen sinken ließ, was eine Antwort überflüssig machte. Kapitel 40: Bittersweet ----------------------- Sofort wanderten seine Hände hinauf zu ihrem Gesicht, welches er liebevoll umschloss. Momokos Kuss war zärtlich und schüchtern, trotzdem wagte er es vorsichtig mit den Zähnen an ihrer Unterlippe zu knabbern, als sie sich löste. Sie spürten beide ein nur allzu bekanntes, aufregendes Kribbeln in ihrem Inneren. Der intime Moment wurde jäh von einem unheilvollen, tiefen Grollen aus Yosukes Bauchgegend zerstört. Perplex und wachgerüttelt, starrten sie einander an. „Oh oh, mein Magen rebelliert.“, kommentierte der Dunkelhaarige und hielt sich mit beiden Händen und erblassendem Gesicht den Bauch. Etwas erschrocken rutschte die junge Frau auf seinem Schoß zurück und musterte ihn besorgt. „Hast du etwa Hunger? Ich dachte, du hättest schon zuhause gegessen?“ Er schüttelte mit konzentriertem Blick seinen Kopf und fing an sich gequält zu winden, was Momoko dazu veranlasste von ihm runter auf ihre Bettkante zu steigen. „Vergiftet, schon vergessen?“, erklärte er knapp und versuchte sich dabei ein Lächeln abzuringen. Ein weiteres Mal grollte es böse in seinem Bauch. „Das klingt nicht gut.“, stellte die Rosahaarige fest. „Es fühlt sich auch nicht besonders gut an… Gott! Das ist wohl der unwürdigste Moment in meinem Leben, aber ich glaube, ich muss eure Toilette benutzen…“, gestand Yosuke ungern. Seine Gastgeberin zeigte verblüfft mit einer Handbewegung zu ihrer Zimmertür. „Nur zu. Du weißt ja inzwischen, welches Zimmer nicht das Bad ist.“, wies sie ihn an. Der Torwart atmete erleichtert aus, als er feststellte, dass Momoko sein Umstand keineswegs unangenehm war. Schnell stand er auf und lief verkrampft zur Tür. „Brauchst du noch etwas? Kann ich dir irgendwie helfen?“, rief sie ihm fragend hinterher. Als er sich zu ihr umdrehte war sie bereits aufgesprungen und hielt die Hände besorgt verschränkt vor ihre Brust. Durch seine Bauchkrämpfe hindurch schenkte er ihr ein schiefes Grinsen für ihre Aufmerksamkeit. „Nein danke, ich bin gleich wieder da. Hoffe ich.“ Momoko sah ihn ihm Flur verschwinden und hörte danach, wie er die Badezimmertür hinter sich verschloss. Ohne seine Worte ernst zu nehmen, sammelte sie seinen kaum angerührten Kaffee ein und stieg schnell die Treppe nach unten hinab. In der Küche kippte sie ihn in den Abfluss, spülte die Tasse gründlich aus und schaltete den Wasserkocher ein. Eilig wirbelte sie zwischen den Küchenschränken umher und wühlte in einem von ihnen nach Salzstangen, von denen sie sich sicher war, sie selbst noch nicht angerührt zu haben. Als der Wasserkocher sich abschaltete, hing sie einen Teebeutel in Yosukes Tasse und goss auf. Außerdem warf sie einen Blick in den Kühlschrank und angelte lächelnd einen kleinen, abgedeckten Teller mit zwei Onigiris heraus, die von ihrem eigenen Abendessen übrig geblieben waren. Die Reisbällchen weckten Erinnerungen in ihr. Ruckzuck begab sie sich mit der heißen Teetasse in einer Hand, dem Teller in der anderen und der Salzstangentüte zwischen den Zähnen, wieder nach oben in ihr Zimmer. Momoko hatte richtig spekuliert, dass ihr Gast etwas länger mit seinem Problem beschäftigt sein und deswegen nicht vor ihr wieder zurück sein würde. Nachdem sie die Sachen auf die wenige freie Fläche auf ihrem Schreibtisch abgestellt hatte, schaltete sie die kleine Nachttischlampe neben ihrem Bett ein. Zufrieden drehte sie sich um und lief zur Zimmertür, um dort das große, grelle Deckenlicht auszuschalten. Die kleine Lampe spendete mehr als genug Licht um sich unterhalten zu können. Das Radio neben der Tür, das auf einer niedrigen Kommode stand, lud sie zudem dazu ein mal wieder Musik zu hören. Sie schaltete es ein und drehte die Lautstärke angenehm leise; es lief irgendein Sender, auf dem bevorzugt westliche Musik gespielt wurde. Momoko wartete und wandelte dabei nachdenklich durch ihr Zimmer. Verträumt tänzelte sie halbherzig zu den Tönen eines laufenden Liedes über ihren Teppichboden. So tief in Gedanken versunken zuckte sie fürchterlich zusammen, als Yosuke plötzlich räuspernd wieder hinter ihr im Türrahmen auftauchte. „Erschreck mich doch nicht so!“, fuhr sie ihn beschämt an. Er grinste nur amüsiert. „Das war gar nicht meine Absicht.“, entgegnete er schmunzelnd. „Aber es muss dir auch nicht peinlich sein, schließlich ist es dein Zuhause.“ „Es ist mir aber peinlich!“, moserte sie hochrot und verschränkte ihre Arme. Seine Augen blitzten wölfisch auf. „Ich habe dich schon ganz anders tanzen sehen und das war dir kein bisschen peinlich, hatte ich den Eindruck.“ Man konnte die imaginären Rauchwolken über Momokos erhitztem Kopf förmlich aufsteigen sehen, als er sie damit konfrontierte. Zufrieden mit dieser Reaktion, streckte Yosuke sich mit über den Kopf erhobenen Armen durch und gab sich betont lässig. Unter dem prüfenden Blick der Blauäugigen, trat er zu ihr ins Zimmer und drehte dabei unauffällig beiläufig die Musik ein Stückchen lauter. „Du magst englische Musik?“ Seine Worte klangen mehr wie eine Feststellung, statt wie eine Frage. Unwirsch zuckte Momoko mit den Schultern. Die Stimmung im Raum hatte sich mit Yosukes Eintreten schlagartig verändert und machte sie nervös. „Ich weiß nicht…manchmal.“, entgegnete sie und zeigte dann ablenkend auf ihren Schreibtisch. „Als du beschäftigt warst habe ich dir ein bisschen was aus der Küche geholt. Ich hoffe, das ist in Ordnung so.“ Erfolgreich lenkte sie die Aufmerksamkeit des Torwarts auf die magenfreundlichen Leckereien. Der Geruch von frisch gebrühtem Tee war ihm bereits im Türrahmen in die Nase gestiegen. Mit einem Lächeln ging er zunächst an seiner leicht nervösen Gastgeberin vorbei und auf den Teller mit den Reisbällchen zu. Seine Augen funkelten glücklich, ganz so als würde er sich bei ihrem Anblick an etwas Schönes erinnern. „Onigiri.“, war das Einzige, was er in einen kurzen Tagtraum versunken sagte. Die junge Frau lächelte ebenfalls, als er sich zu ihr umsah. Ein charmanter Hauch Rosa legte sich auf ihre Wangen. Zappelig spielte sie dabei an ihren Fingern herum. „Ja. Die magst du doch, oder? Ich hatte noch welche übrig…“ Ehe sie weiter angespannt irgendetwas erklärte, was Yosuke sowieso schon wusste, nur damit keine peinliche Stille zwischen ihnen entstand, drehte sich dieser wieder zu ihr um. Sie verstummte sofort, als er sie mit seinen Blicken taxierte. Ihm und ihr war bewusst, dass sie zuvor in einem sehr speziellen Augenblick unterbrochen worden waren. Alles war jetzt anders; endgültiger und klarer. Eine gewisse Spannung lag in der Luft, denn sie standen sich nicht mehr nur als Freunde gegenüber und das rumorte in Momokos Kopf genauso wie in seinem. Sie verband nun offiziell mehr. Er ließ die wenigen, aber liebevoll angerichteten Speisen unangetastet zurück, als er wieder vor sie trat. Sie schluckte, denn Yosukes Augen glimmten dabei undurchschaubar. Wenn er sie richtig einschätze, dann begann ihr Herz in diesem Moment, unter seinem stillen Blick, zu rasen. „Dankeschön.“, flüsterte er ihr leise, durch die laufende Musik hindurch, zu. Sein eigenes Herz klopfte ebenfalls verräterisch. Ihre fürsorgliche und aufmerksame Art berührte etwas in ihm und stimmte ihn glücklicher, als es das Überraschungsessen von Hiromi getan hatte... Weil sie sich noch daran erinnerte; an den Tag zwischen den Kirschbäumen; an ihre Gespräche; an sein Lieblingsessen… genauso wie er sich noch daran erinnerte. Seine Gastgeberin runzelte kurz die Stirn, weil sie die Doppeldeutigkeit in seinem Danke herausgehört hatte. Im Radio wurde ein neuer Song angespielt, der, begleitet von kräftigen Drumschlägen, sofort jede Aufmerksamkeit auf sich zog. Für einen Augenblick lösten Yosuke und Momoko den Blickkontakt und hörten den stimmungserzeugenden Klängen zu. Für ein paar Sekunden standen sie so unbeweglich und konzentriert mitten im Raum. Es war ein poppiger Song mit Gute-Laune-Potenzial, gesungen von einer kindlichen Frauenstimme. I really wanna stop But I just gotta taste for it I feel like I could fly with the ball on the moon So honey hold my hand you like making me wait for it I feel I could die walking up to the room, oh yeah Ein schiefes Lächeln stahl sich auf Yosukes Lippen bei den ersten Zeilen. Momoko versuchte dem englischen Text ebenfalls zu folgen. Late night watching television But how we get in this position? It's way too soon, I know this isn't love… But I need to tell you something Er biss sich grinsend auf die Unterlippe und auch sie musste schmunzeln, als seine aufblitzenden Augen wieder auf ihre trafen. Das hätten auch ihre Worte sein können, die dort gesungen wurden. I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Verschmitzt sahen sie sich an. Verlegen strich sich die Rosahaarige ihr Haar hinter die Ohren. Es war ein bisschen so, als spielte ihnen das Schicksal gerade gezielt diesen Song vor. Oh, did I say too much? I'm so in my head When we're out of touch I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Yosuke nickte und grinste noch schiefer, obwohl keine Frage gestellt wurde; zumindest keine von Momoko. Trotzdem errötete sie. It's like everything you say is a sweet revelation All I wanna do is get into your head Yeah we could stay alone, you and me, and this temptation Sipping on your lips, hanging on by thread, baby Ihr Blick hing bei den letzten Zeilen dieser Strophe wie automatisch angezogen an seinen Lippen. Der junge Mann bemerkte dies mit Herzklopfen. Dieser Song war wirklich wie für sie beide geschrieben worden. Late night watching television But how we get in this position? It's way too soon, I know this isn't love… But I need to tell you something Mit einem weiteren, entschiedenen Schritt stand er nun so dicht vor ihr, dass sie ihr Gesicht anheben musste, um mit der Stirn nicht gegen sein Kinn zu stoßen. Momokos Augen leuchteten angesteckt von der mitreißend guten Stimmung, die die Musik vermittelte. Weil es ihm genauso ging, legte Yosuke führend seine Fingerspitzen auf ihre Hüften. I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Auffordernd bewegte der Torwart ihre Hüfte unter seinen Händen zu beiden Seiten im Takt, bis sie von selbst darauf einging. Ein albernes, glucksendes Kichern rutschte dabei aus ihrer Kehle. Oh, did I say too much? I'm so in my head When we're out of touch I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Beiden war es zunächst etwas peinlich gewesen, sich rhythmisch zur Musik zu bewegen, doch die schwingenden Bewegungen ihrer Körper und auch das Mitwippen ihrer Köpfe kam wie von selbst, wenn sie es zuließen sich ganz von der Musik tragen zu lassen. Der Song wurde im nächsten Moment ruhiger und fast ein bisschen andächtig. Mit deutlich langsameren Bewegungen tänzelten sie, sich in die Augen schauend, umeinander herum. Who gave you eyes like that? Said you could keep them I don't know how to act The way I should be leaving I'm running out of time Going out of my mind I need to tell you something Yeah, I need to tell you something Mit nachdenklich zusammengezogenen Augenbrauen streichelte Yosuke nach der ersten Zeile mit seinem rechten Handrücken über Momokos Wange und sah in ihr tiefes Blau. Die Botschaft in dieser Strophe war wie ein erschreckendes Déjà-vu zu ihrer eigenen, verzwickten Geschichte. Aber die junge Frau lächelte ihn nur schüchtern an, hob ihre Arme über den Kopf und begann beim nächsten Refrain, ausgelassener als vorher, wieder zu tanzen. Sie öffnete ihren Mund dabei und bewegte ihre Lippen stumm synchron zum Text. I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Sie erkannte einen räuberischen Ausdruck in seinen dunklen Augen, als er sie unvermittelt an sich heranzog. Diesmal war es sein linker Daumen, der ihr verzehrend über die Wange streichelte, während seine rechte Hand in der Kuhle ihres Kreuzes ruhte. Er stieg auf ihr Spielchen ein und übernahm im nächsten Akt das Playback. Oh, did I say too much? I'm so in my head When we're out of touch I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Sie lachten beide. Momokos Puls raste und sie war Yosuke nah genug, um auch seinen pulsierenden Herzschlag zu spüren. Ein frischer Fluss aus Endorphinen und Adrenalin strömte durch ihre Körper. Übers ganze Gesicht strahlend, ließen sie beide ihre Hemmungen fallen und warfen sich gut gelaunt tanzend in den nächsten Refrain. I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Sie tanzten einander hüpfend und springend an. Überspitzt posierend, wie ausgelassene Teenager, sangen sie sich tonlos jede einzelne Zeile dabei vor. Oh, did I say too much? I'm so in my head When we're out of touch I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? Sie spielten mit ihrer Mimik und dem Ausdruck in ihren Augen, während sie sich ansahen und dabei weiter bewegten. Es machte unheimlichen Spaß so losgelöst zu sein. I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, too? I really really really really really really like you And I want you, do you want me, do you want me, to? Der Song endete abrupt und der Radiomoderator begann mit einer unwichtigen Ansprache. Ganz außer Atem standen sie nun wieder so dicht voreinander, wie zu Beginn. Etwas verlegen lächelten sie einander an. Das Glänzen in ihren Augen und ihr heftig gehender Atem verriet, wie viel Spaß sie gehabt hatten und das noch immer Glückshormone von ihren aufgeregten Herzen durch ihre Adern gepumpt wurde. „Ich wusste doch, dass dieses Feuer in dir steckt.“, setzte Yosuke außer Atem an, „Genau das war es, was ich in dem Club gesehen habe.“, endete er schnaufend. Ein selbstgefälliges Grinsen zierte seine Lippen. Momoko wollte etwas Keckes entgegnen, doch das nächste Lied, das angestimmt wurde, wischte das Lächeln ihres Gegenübers so plötzlich fort, dass es ihr den Wind aus den Segeln nahm. Melancholische Pianoklänge und eine traurige E-Gitarre begleiteten eine ruhige, raue Männerstimme. Der Song war das genaue Gegenteil von dem vorherigen! Is anybody out there? Is anybody listening? Does anybody really know if it’s the end of the beginning? Erschüttert von dem unerwarteten Stimmungswechsel, wandelte sich Yosukes Miene zu einem beklemmenden Gesichtausdruck. Momoko registrierte seine Reaktion auf die neuen Klänge besorgt, sagte aber nichts dazu. Stattdessen legte sie beide Hände um sein Gesicht und schaute ihn intensiv an, während die Strophe weiter lief. Sie wollte sich diesen schönen Moment, der nur ihnen gehörte, nicht ruinieren lassen. Sie lauschten wieder gemeinsam. The quiet rush of one breath Is all we're waiting for Sometimes the one we're taking Changes every one before. Yosuke schien den Song zu kennen, denn noch ehe der Refrain einsetzt zog er sie in einer sanften Bewegung fest an sich. Er ließ seine Hände fest über ihren Rücken streichen und schmiegte seine Wange innig an ihre, wo er den Duft ihres Haares einatmete. It's everything you wanted, it's everything you don't It's one door swinging open and one door swinging closed Some prayers find an answer Some prayers never know We're holding on and letting go Er sang den Refrain gemeinsam mit dem Sänger leise in ihr Ohr. Es war ein unglaublich mitreißendes Lied, das durch das anschließende Einsetzen eines Schlagzeuges noch dramatischer wurde. So als wollte Yosuke das Mädchen in seinen Armen, anders als im Liedtext, um keinen Preis los lassen, hielt er sie fest und wog sie mit sich im Rhythmus. Sie gehörten nicht zusammen, aber hier und jetzt gehörte sie zu keinem mehr als zu ihm. Momoko spürte die Botschaft über den besungenen Liebeskummer viel mehr, als das sie ihn aus dem Text heraus hörte. Ihr Körper passte sich Yosukes an. Gemeinsam drehten sie sich mit langsamen, kleinen Schritten, Arm in Arm, im Kreis. Sometimes we're holding angels And we never even know Don't know if we'll make it, But we know, We just can't let it show Schmerzhaft schlugen die Herzen in ihrer Brust, während sie sich wieder ansahen. Wo war die positive, ausgelassene Stimmung von eben nur so plötzlich hin? Verderben und Glück konnten so nah beieinander liegen… Ihre Geschichte war so tragisch wie dieses Lied. Als der nächste Refrain einsetzte, küssten sie sich auf den Punkt genau. It's everything you wanted, it's everything you don't It's one door swinging open and one door swinging closed Some prayers find an answer Some prayers never know We're holding on and letting go Yeah, letting go Ineinander verschlungen und die Lippen voller Sehnsucht aufeinander gepresst, widersetzten sie sich symbolisch der Gesellschaft, in der es ihnen nicht möglich war offen ihre komplizierte Beziehung zueinander auszuleben. Sie hatten entschieden weiterzumachen und einander nicht aufzugeben, keiner von ihnen wollte zurück! Yosukes besitzergreifende Hände glitten von ihren Schulterblättern zu ihrer Taille hinab bis zu ihren Oberschenkeln. It's everything you wanted, it's everything you don't It's one door swinging open and one door swinging closed Some prayers find an answer Some prayers never know We're holding on and letting go Bereitwillig ließ Momoko zu, dass ihr Partner den Saum ihres Strickkleides packte und es, ohne seinen dunklen Blick von ihren Augen zu lösen, langsam hoch schob und über ihren Kopf zog. Sie schüttelte ihr noch ungekämmtes, welliges Haar; es flog in sinnlichen Strähnen um ihr Gesicht. Der Song begleitete ihr beider Tun derweil mit einem langen, instrumentalen Part. Ihre Finger strichen über seine muskulösen Oberarme, als seine sich an ihrem Rücken unter ihr Shirt stahlen und dort auf Höhe der Schulterblätter feststellten, dass sie gar keinen BH trug. Ein erfreutes, schelmisches Grinsen umspielte seinen Mund. Momoko erwartete aufgeregt seine zärtlichen Berührungen, doch er zögerte es hinaus, indem er ihr zunächst quälend langsam auch das weiße Oberteil abstreifte. Verlegen über ihre Entblößtheit, schaute sie mit glühendem Gesicht durch ihre dichten Wimpern zu ihm auf. Yosuke sah nur verlangend in ihre Augen. It's everything you wanted, it's everything you don't It's one door swinging open and one door swinging closed Some prayers find an answer Some prayers never know We're holding on and letting go Die letzten Zeilen hallten wieder und wieder in seinem Kopf wider. »Es ist alles was du wolltest, es ist alles was du nicht wolltest… Es ist als ob eine Tür auf schwingt und eine zu. Manche Gebete werden erhört, manche niemals… Wir halten fest und lassen los.« In Momokos Augen, die ihn mit derselben Melancholie betrachteten wie seine sie, fand er die Bedeutung des Textes. Um den Schmerz, sie nicht haben zu dürfen und die Angst, dass sie ertappt werden würden und so alles verloren, zu betäuben, zog er ihr schönes Gesicht mit einer Hand in ihrem Nacken zu seinem heran und küsste sie abermals. Kapitel 41: Lust – Getting to the peak -------------------------------------- Intensiv und verlangend bewegten sich ihre Lippen aufeinander, gaben sich einem zärtlichen Tanz hin, der Stück für Stück fordernder wurde. Das altbekannte, lustvolle Prickeln dehnte sich, aus ihrem tiefsten Innern heraus, aus. Stück für Stück drängte Yosuke seine Auserwählte durch das kleine Zimmer zum Bett hinüber, wo er ihren heißen Kuss unterbrach und Momoko umdrehte. Atemlos und überrascht ließ sie es geschehen, sie hatte nicht vor sich seinem Verlangen zu entziehen. Irgendwie war ihr klar gewesen, dass es so kommen würde. Sie hatte es schon geahnt, nachdem sie sich ausgesprochen hatten. Umso mehr war sie nun verwundert, dass er sie nicht ganz los ließ oder direkt auf das Bett zitierte. Stattdessen spürte sie plötzlich seine großen, warmen Hände von hinten unter ihren Armen hindurchschlüpfen und sich präzise auf ihre Brüste legen. Ein erschrockener Laut kam ihr über die Lippen, doch Yosuke ließ sie auch schon wieder verstummen und zugleich erzittern, indem er ihrem rechten Schlüsselbein brennende Küsse aufhauchte und ihre empfindliche Haut dort mit seinen Zähnen reizte. Sie seufzte verlegen und legte ihre Hände auf seine, die ihre Brüste zärtlich zu massieren begonnen hatten und deren Spitzen zwischen seinen Fingern auf köstliche Weise malträtierten. Ein angenehmer Schauer schüttelte sie kurz; seine Nähe und Zärtlichkeit brachten sie immer wieder aus der Fassung. Nachdem er ihren Hals nach oben hin verwöhnt hatte, biss er ihr spielerisch ins Ohrläppchen, was ihr eine weitere, heftige Gänsehaut bescherte. Die junge Frau rang um Standhaftigkeit und knabberte aufgeregt an ihrer Unterlippe. „Nicht…“, hauchte sie hilflos. Sie war wie Butter in seinen Händen; es war nicht mehr normal, wie weich ihre Knie wegen ihm wurden. „Sag nicht, es gefällt dir nicht.“, flüsterte er herausfordernd zurück. Momoko war froh, dass er für den Moment nicht sah, wie sie hochrot anlief. Natürlich gefiel es ihr, doch es war immer wieder aufs Neue befremdlich, wie ihre Sinne die Oberhand über ihren Verstand gewannen. Ihre rechte Brust wurde entlassen, doch Yosukes Finger verschwanden nicht ganz, sondern strichen kitzelnd über ihren Rippenbogen hinab, über ihren Bauch und bis zum Rand ihrer frischen Spitzenunterwäsche. Allein die flüchtige Berührung ihres Hüftknochens ließ ihren Unterleib vorfreudig zusammenziehen. Ihr Liebhaber machte keine Anstalten ihre Wäsche zu betrachten oder sich langsam vorzutasten; er schob seine Finger direkt unter den feinen Stoff, wo er schnell ihren Venushügel und den feinen Flaum passierte, hinter dem er fand, was er suchte. Ein kehliges „Ah!“ drang an sein Ohr und sofort warf seine Gespielin ihren Kopf zur anderen Seite. Erschrocken und beschämt über die Intensität seiner Berührung, presste sie ihre Schenkel zusammen, doch er hatte längst gemerkt, wie bereit sie für ihn war. Mit einem leisen, erregten Knurren biss er ihr in den freigelegten Hals, saugte an ihrer Haut und vergrub die Finger seiner anderen Hand fester in dem straffen Fleisch ihrer Brust. Erneut erntete er ein überraschtes Stöhnen. Sie schlang ihren linken Arm nach hinten und legte ihre Hand in Yosukes Nacken, wo sie Halt suchte. Längst presste sich seine erwachte, harte Männlichkeit durch seine Hose an ihren Po. Sie spürte ihn dort und seine Finger woanders; sie war gefangen und konnte sich kein qualvolleres und zugleich verheißungsvolleres Gefängnis vorstellen. „Entspann dich.“, raunte ihr der junge Mann ins Ohr. Tatsächlich ließ ihre Körperspannung, die sie unbewusst aufgebaut hatte, sogleich merklich nach und er hatte wieder freie Bahn. Sachte bewegte er zwei Finger zwischen ihren Beinen auf und ab, glitt zwischen ihre Lippen und tauchte dabei in ihre heiße Feuchtigkeit ab. Momoko wand sich heftig bei seinem Tun. Bei jeder ihrer unkontrollierten Windungen verlangte es ihn mehr danach sich aus dieser lästigen, immer enger werdenden Hose zu befreien, ihr den verbleibenden Stoff vom Leib zu reißen und sie sofort an Ort und Stelle zu nehmen. Sie machte ihn wahnsinnig; ihre erregte Stimme; ihre willkürlichen Bewegungen… er brauchte seinen ganzen Willen, um behutsam vorzugehen und den Moment in seiner ganzen Sinnlichkeit auszukosten. Welche Musik auch immer inzwischen im Hintergrund lief, sie hörten sie nicht mehr. An ihre Stelle waren der Klang ihres aufgeregten Atems und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren getreten. Yosuke spreizte ihre Schamlippen ein wenig und bewegte seinen Mittelfinger kreisend um ihren empfindlichsten Punkt. Ihre ebenfalls zunehmende Erregtheit machte sein stimulierendes Treiben zum reinsten Vergnügen. Ihr Körper gab sich jeder seiner Berührungen erfreut und bereitwillig hin. Mit peripheren Berührungen brachte er Momoko dazu sich mehr und mehr zu winden und sich gleichzeitig der süßen Folter zu ergeben. Es machte ihn wild und heiß zu spüren, wie angeturnt sie war. „Hör auf…“, raunte sie halbherzig, doch er wusste, dass sie das Gegenteil meinte; sie wollte mehr. Zielsicher führte er seinen Finger in sie ein und ähnlich wie bereits einige Stunden zuvor, reagierte sie sehr heftig darauf, so als wollte sie sich entziehen weil sie es nicht länger ertrug. Doch diesmal hatte er nicht vor einfach aufzuhören; es reizte ihn viel mehr zu sehen und zu erleben, wie sie reagierte, wenn er es bis zum Äußersten auf diese Weise trieb. Sie glaubte seinem dezent sadistisch anmutenden Treiben endlich entkommen zu sein, als er sie abrupt aus seinem Griff entließ, doch sie wurde eines Besseren belehrt. Schwungvoll drehte er sie zu sich herum und warf sie rücklings aufs Bett, wo er sich ohne Umschweife über sie beugte und besitzergreifend heftig küsste. Seine Finger waren sofort wieder unter ihrem Slip verschwunden und tauchten nun noch tiefer in ihr ab. Daran änderten auch Momokos Fingernägel nichts, die sich unter einem heftigen Aufbäumen ihres Körpers in seine Schultern gruben. Ihre Wehrlaute verhallten ungehört in seinem Mund, der ihr allen Atem abrang. Sie spürte seinen Finger tief in sich forschen und es dauerte auch nicht lang, da traf er jenen Punkt, bei dessen Penetration sich etwas in ihr auf eine sehr verheißungsvolle, lustvolle Weise zusammenzog. Yosuke gestatte ihr Luft zu holen, ließ es sich aber nicht nehmen dabei berauscht mit den Zähnen an ihrer geschwollenen Unterlippe zu ziehen. „Ich möchte etwas probieren…“, kündigte er mit rauer Stimme an und verabschiedete sich mit heißer Zunge über ihren Hals abwärts gleitend. Ahnend, was er vorhaben könnte, schüttelte sie energisch den Kopf. „Bitte nicht, das halte ich nicht aus… und es ist mir peinlich.“, brachte sie außer Atem hervor. Ohne aufzusehen tastete Yosuke blind nach ihrer Nachttischlampe und schaltete sie aus. Nur noch das fahle Licht der Nacht und der Laternen draußen wurde an die Wände des kleinen Zimmers geworfen. Es war deutlich dunkler, doch sie sah noch jedes Detail seiner Silhouette, auch wenn nun alles im Schatten lag. Der Dunkelhaarige beugte sich über ihr Gesicht, lächelte und neckte ihre Nase mit seiner. „Heute Nachmittag hat dir das auch nichts ausgemacht.“ Ihr Gesicht entflammte sofort noch mehr. „Es ist… ah… nicht das Licht…“, keuchte sie. Seine Finger bewegten sich weiter in ihr; das Prickeln und Ziehen in ihrem Unterleib war nicht mehr zu ignorieren. Sie hörte das glitschige Geräusch zwischen ihren Beinen, das Yosuke mit seinem unfairen Spiel erzeugte und wand ihr Gesicht vor Scham ab. Mit geschlossenen Augen versuchte sie einen kühlen Kopf zu bewahren, doch das war unmöglich! Eine nur allzu bekannte Hitze begann sich in ihrem Körper auszubreiten und sie wusste, dass er sie dabei ganz genau beobachtete. Unter unkontrollierten Muskelzuckungen ließ sie von seinen Schultern ab und krallte sich stattdessen fest in das Laken unter sich. „Nicht…!“, presste sie ein letztes Mal flehentlich hervor, doch es war zu spät. Yosukes Bewegungen waren so schnell, stoßend und unerbittlich geworden, dass ihr Körper dem bereits im nächsten Augenblick nicht mehr stand hielt. Ihr Orgasmus kam so heftig über sie, dass sie glaubte dabei zu zerspringen. Jeder einzelne Muskel, den sie besaß, zog sich zusammen, als diese gewaltige, erlösende Welle über ihr zusammenschlug und sie noch lange danach schüttelte. Ihr vermeintlicher Folterknecht atmete rau und schwer. Er betrachtete ihren sich aufbäumenden Körper und ihr von Lust verzerrtes Gesicht mit heiß glühenden Augen. Ihr Stöhnen, das ihr Kommen angekündigt hatte, war einem langen, stummen Laut gewichen. Zwischen seinen Lenden pulsierte es kräftig und nachdrücklich, noch nie hatte er so etwas Erotisches gesehen. Noch bevor Momoko wieder zu sich kam, befreite er sich von seiner Kleidung, die er ohne hinzusehen ins dunkle Zimmer hinter sich warf. Zuvor jedoch hatte er aus seiner Hosentasche ein Kondom gezückt, welches er ohne Hintergedanken und aus reiner Vorsicht mit sich getragen hatte. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt. Aus verklärten Augen schaute seine Gespielin geschafft zu ihm auf, als er sich nackt und präpariert wieder über sie beugte. „Dreh dich um…“, flüsterte er ihr bittend ins Ohr. Sie wusste kaum wie ihr geschah, denn noch zuckte alles zwischen ihren Beinen vor Leidenschaft und trübte ihre Sinne, doch sie kam seiner Aufforderung nach und rollte sich auf den Bauch. Momoko fühlte sich noch immer angefüllt mit Lust und trotzdem für den Moment ermattet. Was er jetzt wohl wieder im Schilde führte? Konnte sie einfach so weitermachen? Auf die Antwort musste sie nicht lange warten, denn schon im nächsten Moment fühlte sie sein heißes, hartes Glied auf ihrem Po ruhen und spürte seinen aufgeregten Atem in ihrem Nacken. Dem folgten seine Hände, die von ihren Schultern anerkennend Zentimeter um Zentimeter nach unten zu ihrem Hintern wanderten, wo er ihre straffen Backen kurz bewundernd massierte. »Er wird doch wohl nicht…?« Plötzlich nervös hob sie ihren Kopf an und wollte etwas sagen, doch wieder war Yosuke schneller. Seine Daumen zogen ihre Pobacken am Oberschenkelhals etwas auseinander. Mehr als einen überraschten Laut brachte Momoko nicht zustande, als sie seinen Penis in dieser Position an ihrer Scheide spürte und er anschließend auch schon vollständig in sie eindrang. Der Torwart stöhnte tief und hielt konzentriert inne. Er musste nichts sagen, denn sie fühlte selbst genau, wie unglaublich eng sie sein Glied umschloss und es mit dem Nachbeben ihres vorangegangenen Orgasmus’ massierte. Nach einigen Sekunden begann er sich in ihr zu bewegen und sie setzte sofort in seine leisen Lustlaute mit ein. Sie fühlte sein tiefes Eindringen so bewusst und intensiv, dass sie bereits das Neuentflammen ihrer Erregung in ihrem Inneren spüren konnte. Es war unbeschreiblich wie sich ihr Körper für ihn anfühlte. Sie war so heiß und eng wie kein Mal davor, das Zusammenziehen ihrer Scheide um sein Glied herum ließ ihn schier verrückt werden. Er stemmte seine geballten Hände rechts und links neben Momoko ins Bett und verlagerte alle Kraft in seine Hüften. Sie hob ihre einladend ein kleines Stück an, was seinem wiederholten Eindringen durchaus zuträglich war. Genießende Seufzer drangen an sein Ohr. Er ließ sich gehen, wurde schneller und stieß fest in sie hinein. Immer mehr süße, erregte Laute kamen über ihre Lippen, die ihn anspornten sich nicht zurückzuhalten. Yosukes Kopf schien zu überhitzen; er hielt es keinen Moment lang mehr aus sein Verlangen, zu kommen, zu zügeln, als auch Momoko unter ihm sich plötzlich wieder unwillkürlich zu winden begann und sich alles in ihr zusammenzog. Explosionsartig kam es über ihn, als er sich ein letztes Mal in ihr versenkte. Besiegt von seiner Begierde, brach er erschöpft und erfüllt über ihrem Rücken zusammen. Sie schüttelte sich im selben Moment unter ihm und stöhnte dabei laut in ihr Kissen, das sie mit beiden Armen umklammerte. Geschafft auf die Unterarme gestützt, hing Yosuke nur knapp über ihr. Sein Herz hämmerte gegen ihre Haut und sein Atem streifte stoßweise ihr Ohr. Auch sie musste ihr Gesicht anheben und nach Luft ringen. Die Hitze in ihren Gliedern war die reinste Wonne. „Das… war der Wahnsinn…“, raunte sie und genoss die letzten lustvollen Wellen, die bis in ihre Haarspitzen reichten. Der Dunkelhaarige lachte kurz kehlig auf und ließ sich zur Seite neben sie fallen. Momoko drehte ihr Gesicht in seine Richtung und suchte im Dunkeln seinen Blick. Verlegen lächelten sie einander an. „Du bist unbeschreiblich…“, flüsterte Yosuke, obwohl außer ihnen niemand im Zimmer war. „Das stimmt nicht. Ich habe doch gar nichts weiter gemacht.“, widersprach die Blauäugige erschöpft. Er bettete seinen Kopf auf seinen rechten Arm und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Das stimmt nicht. Dein Körper reagiert sehr zufriedenstellend auf alles was ich tue.“ Sie lief rot an, er lächelte. „Das geht doch gar nicht anders…“, grummelte sie peinlich berührt. „Doch, das geht. Und das kann sehr frustrierend sein. Und außerdem vertraust du mir.“ Momoko verschränkte ihre Arme unter ihrer Brust und stützte sich auf sie. „Wie meinst du das?“, wollte sie wissen. Selbst etwas in Verlegenheit gebracht, schmunzelte der muskuläre junge Mann. „Egal was ich bisher versucht oder getan habe, du hast mir die Führung überlassen und dich fallen lassen.“ „Und das ist gut?“ „Das ist vor allem ungewöhnlich. Dafür, dass du noch nicht viel Erfahrung hast.“ Die junge Frau biss sich lächelnd auf die Unterlippe. Sie fühlte sich geschmeichelt und freute sich über dieses Kompliment. Yosuke legte seinen Daumen verträumt auf ihre Lippe und befreite sie. Er dachte darüber nach was ihm der Sex mit ihr bedeutete. Es war nicht in Worte zu fassen wie sehr er sie begehrte. Selbst jetzt, wo die bleierne Müdigkeit in seine Glieder kroch, nachdem die Extase abgeklungen war, reichte schon ein Blick auf ihre nackten Brüste oder auf die Kurve ihres Hinterns, um ihm neues Leben einzuhauchen. Das Bedürfnis mit ihr Dinge zu tun, die selbst für ihn noch neu waren, erschien unermesslich. Seine Fantasie und Vorstellungskraft kannte da keine Grenzen und nur der Gedanke daran machte ihn erneut an. Sie definierte Lust für ihn neu, denn mit ihr war es erfüllender und erotischer, als er es je mit Hiromi erlebt hatte. Es war etwas ganz anderes und er fragte sich, ob ob es auch daran lag, dass er seine Freundin nie wirklich geliebt hatte. Den Rest seines geheimen Verlangens schob er auf den Reiz des Verbotenen, den eine Affäre nun mal mit sich brachte. „Woran denkst du?“, holte ihn Momoko zurück in das Hier und Jetzt. „Unter anderem daran wie normal und richtig es sich anfühlt, mit dir hier zu liegen und diese Dinge zu tun… und wie seltsam fremd es mir vorkommt, dass ich jetzt wieder zu Hiromi nach Hause muss.“ Er wusste, dass seine Worte die Stimmung ruinieren würden, doch es war schon unglaublich spät geworden und er konnte unmöglich über Nacht bleiben. Und mehr als das traute er sich für den Augenblick nicht ihr zu gestehen. Sie seufzte schwer, aber nickte wissend. „Ich weiß so in etwa, was du meinst…“ Yosuke richtete sich auf um aufzustehen. Er sammelte seine Klamotten vom Boden auf und lief am Schreibtisch vorbei, wo er sich ein Onigiri schnappte und sich hungrig in den Mund schob. „Hmmm forzüglisch.“, schwärmte er mit vollem Mund, sodass Momoko lachen musste. Er ging weiter zur Tür, wo das Radio noch immer vor sich hin dudelte. „Ich komme gleich wieder.“, versprach er augenzwinkernd und setzte sich mit Reisbällchen und Bekleidung vermutlich ins Badezimmer ab. Seine Gastgeberin lächelte ihm verträumt hinterher und rollte sich dann mit Bauchkribbeln auf den Rücken, wo sie mit angezogenen Beinen die Decke anstarrte. Ihr Intermezzo war unglaublich gewesen, aber noch mehr war es Yosukes Präsenz selbst, die ihr gut tat. Er vertrieb alle dunklen Gedanken und Gefühle, spendete ihr Trost, heiterte sie auf und machte sie glücklich. Mit geschlossenen Augen atmete sie tief ein und hielt die Luft an, so als wollte sie damit die Zeit anhalten und den Moment festhalten. Sie empfand in diesem Augenblick keine Angst mehr vor der Zukunft. »Ach wenn es doch immer so wäre…<< Kapitel 42: Intricacies ----------------------- In einen Pyjama gekleidet, verabschiedete Momoko Yosuke klammheimlich, im Dunkeln, an ihrer Haustür. Die Nacht draußen war einsam und still; zu dieser Zeit war nicht mal mehr ein Auto unterwegs. „Vielen Dank, dass du hergekommen bist.“, sagte sie schließlich. „Danke, dass du mich hergerufen hast.“, entgegnete Yosuke neckend. Sie lachte leise auf. „Keine Ursache. Nein, wirklich… ich bin froh, dass wir uns ausgesprochen haben.“ Ein dreckiges Grinsen huschte über seine Lippen. „Ausgesprochen nennst du das also, interessant.“ Natürlich sofort knallrot, boxte Momoko ihm unsanft gegen die Schulter. „Blödmann! Du weißt ganz genau, was ich meine!“, schimpfte sie zischend. Yosuke lachte amüsiert und rieb sich seine beigebrachte Kriegsverletzung. „Natürlich weiß ich das, aber es macht einfach so viel Spaß dich zu ärgern.“ Sein Gegenüber knurrte eingeschnappt und verschränkte bockig die Arme. „Tse, so behandelst du also deine Freunde. So so…“ Der Torwart griff nach ihrem linken Handgelenk und zog es zu seinem Gesicht heran. „Nur meine besten Freunde.“, sagte er speziell betont und hauchte ihrem inneren Handgelenk anschließend einen keuschen Kuss auf. Momoko schluckte schwer und kämpfte gegen das Herzklopfen in ihrer Brust an. „Ja, ja… ist ja gut. Sieh lieber zu, dass du heim kommst.“, reagierte sie fahrig und eroberte währenddessen ihre Hand zurück. „Das werde ich, schließlich muss ich in ein paar Stunden schon wieder aufstehen.“ „Nicht nur du…“ „Na dann, gute Nacht.“, verabschiedete Yosuke sich freundlich lächelnd und mit zum Winken erhobener Hand. „Gute Nacht.“, flüsterte auch Momoko und winkte ihm hinterher, als er sich auch schon umdrehte und lässig zum Gartentor joggte, hinter dem er um die Ecke bog und verschwand. Er war weg. Sie stieg langsam die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf und spürte dabei immer noch das Flattern in ihrer Brust. Mit einem glücklichen Lächeln kehrte sie in ihr Zimmer zurück und sank auf ihr zerwühltes Bett, wo sie ihre Arme um ihr Kissen schlang und sich auf die Seite rollte. Zum ersten Mal seit langer Zeit ging es ihr nach einem Abschied von dem braunhaarigen Torwart gut. Es gab schließlich kein Zweifeln und kein Hadern mehr und sie musste ihn auch nicht mehr vermissen. Yosuke würde da sein, wenn sie ihn brauchte. Als Freund und auch für mehr. Kurz kämpfte sich ihr schlechtes gewissen Takuro gegenüber durch, doch sie schüttelte es schnell wieder ab. Heute wollte sie nicht mit dem Gefühl einschlafen ein schlechter Mensch zu sein, sondern mit dem endlich nicht mehr einsam zu sein. Der Schlaf kam schnell über sie und zog sie traumlos mit sich in die Tiefe. Sein Wecker klingelte zu früh. Viel zu früh… Yosuke tastete blind nach dem nervtötenden Gerät, das kaum eine Armlänge von ihm entfernt auf dem Couchtisch stand. Er hatte sich hochmotiviert und mit den besten Vorsätzen auf seine Couch schlafen gelegt, doch die Nacht fühlte sich viel kürzer an, als er gehofft hatte. Lustlos rollte er sich mit dem Gesicht zur Lehne und zog seine Decke etwas weiter über seinen Kopf. Für die Schule aufzustehen war grad das letzte, wozu sich sein innerer Schweinehund überwinden wollte. „Aufstehen Schlafmütze!“ »Oh nein…«, dachte er nur betäubt bei dem hohen Singsang einer bekannten Frauenstimme. Aus welchem Grund auch immer lehnte sich Hiromi über die Sofalehne und strahlte ihn voller Energie aus ihren roten Augen an. „Na los, komm. Sonst kommen wir noch zu spät.“ »Wir…?« Dieses kleine Wort allein brachte ihn dazu sich zu berappeln und sich aufzurichten. Er ignorierte das Gefühl, letzte Nacht von einem Laster überrollt worden zu sein. „Was? Wieso wir?“, krächzte er mit trockenem Mund und rieb sich massierend den Nacken. Er hoffte nicht ansatzweise so hoffnungslos postkoital und übermüdet auszusehen, wie er sich fühlte. Hiromi grinste weiter unbeeindruckt. „Ich bin extra früh aufgestanden und habe schon ganz leise Frühstück und Essensboxen für uns fertig gemacht.“, erzählte sie weiter ohne auf seine Frage einzugehen. Yosuke wurde munter als er das hörte und musterte sie mit nun wachem Blick. Sie trug eine weiße Bluse, eine dunkelblaue Krawatte und einen gleichfarbigen, kurzen Faltenrock; ihre Schuluniform. „Gott… was hast du denn vor?“, fragte er ungläubig. Inständig hoffte er, sie würde diese Uniform aus irgendeinem banalen Grund tragen, wenn sie es nur nicht tat um damit wieder den Unterricht zu besuchen. „Na was denkst du denn? Ab heute komme ich wieder mit dir zur Schule.“ Das hatte er befürchtet… diese Neuigkeit verschlug ihm trotzdem die Sprache. Verständnislos starrte er seine übertrieben gut gelaunte Mitbewohnerin an. „Was ist denn los mit dir, Yoyo-Maus? Du schaust als hättest du einen Geist gesehen.“, bemerkte sie etwas enttäuscht. „Ich… ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was hier vor sich geht… Du bist seit Schuljahresbeginn nicht ein Mal in der Schule gewesen, außer um deine Bescheinigungen vom Frauenarzt abzugeben… Ich dachte, du wolltest dieses Jahr aussetzen?“, erklärte er seine Verwirrung so aufrichtig er konnte. Hiromi winkte verharmlosend ab. „Ach iwo! Das hatte ich doch noch gar nicht entschieden… ich hatte mich nur gesorgt, was die Lehrer und unsere Mitschüler wohl denken und sagen würden, wenn sie eine schwangere Schülerin unter sich haben. Außerdem habe ich mich um unseren Krümel gesorgt, der ganze Schulstress und das alles… verstehst du?“ Nein, er verstand ganz und gar nicht, trotzdem nickte er. Sie lächelte zufrieden. „Aber ich habe nachgedacht – eine Schwangerschaft ist nichts, weswegen man sich schämen musste, schließlich ist unser Baby aus Liebe entstanden und wir sind trotz aller Probleme noch zusammen.“ Sie errötete glücklich, während sie diese Worte aussprach. Yosuke derweil war schockiert darüber, wie verquer seine Freundin die Dinge zwischen ihnen wahr nahm, aber er widersprach ihr nicht und ließ sie weiterreden. „Du warst gestern so lieb zu mir… und da habe ich mir gedacht, dass es doch schön wäre, wenn wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen könnten. Ich bin tagsüber hier immer so allein und du hast lange Unterricht und dann noch dein Fußballtraining. So wären wir wieder mehr zusammen – so wie früher!“ Das Leuchten in ihren Augen machte Yosuke klar, wie wichtig ihr das war. Sie gab sich Mühe und machte sich Gedanken um ihre Beziehung, die eigentlich schon lange keine mehr war… „Wir gehen also wieder gemeinsam zur Schule? Du willst das Jahr durchziehen?“ „Na ja… ich bin ja erst in der zehnten Woche und die Morgenübelkeit wird besser… also geht das bestimmt! Nur das ganze Jahr werde ich wohl nicht schaffen, wenn unser Baby kurz vor Weihnachten schon kommt.“ Ganz verträumt legte sie eine Hand dabei auf ihren Bauch. Sie fühlte sich offensichtlich wohl in ihrer Rolle und mit ihrer Vorstellung von der Zukunft. Ihrem Partner wurde bei dem Anblick und vor allem bei dem Gedanken daran jedoch ganz anders. „Macht das dann überhaupt Sinn? Du hast sechs Wochen im Unterricht verpasst und wirst wahrscheinlich irgendwann nach den Ferien im Oktober abbrechen… Deinen Abschluss schaffst du so doch niemals.“ Das das die falsche Reaktion auf ihre Idee war, wurde ihm sofort klar, als sich ihre Miene verdunkelte und einen bitter enttäuschten Ausdruck annahm. „Willst du mich nicht in der Schule, beziehungsweise in deiner Nähe haben? Ist es das? Bin ich dir lästig oder schämst du dich für mich?“ Yosuke raufte sich entnervt durch das ohnehin verstrubbelte Haar. Er schlug seine Decke zur Seite, stand auf und ging um das Sofa herum auf sie zu. „Nein. Du bist mit nicht lästig. Ich habe mich lediglich gesorgt. Es wird nicht einfach für dich werden… in jeder Hinsicht.“, beschwichtigte er sie mit mildem Tonfall. Traurig hielt sie den Blick gesenkt und schmollte. Sie gab sich unsicher und verletzlich. Dem Dunkelhaarigen fiel es schwer zu unterscheiden, ob das nur eine ihrer üblichen Maschen war, um ihm mehr als nur ein versöhnliches Wort abzuringen, oder ob sie tatsächlich verunsichert war. Wenn er bedachte, was sie alles seinetwegen in den letzten Wochen durchmachen musste, war Letzteres wahrscheinlicher. Yosuke seufzte innerlich schwer und gab sich dann einen Ruck. In einer liebevollen Geste legte er ihr seine Hände auf die Schultern und drückte sie ermutigend. „Ich würde mich sogar freuen, wenn du wieder mit mir zur Schule kommst.“, säuselte er. Diese Lüge kam ihm so glatt über die Lippen, dass er selber davon überrascht war. „Ehrlich?“, hakte Hiromi mit ihrer hohen Stimme hoffnungsvoll nach. Er nickt bestätigend, er wollte sein Schauspieltalent nicht ausreizen. Jauchzend vor Glück schlug seine Freundin in die Hände und führte einen kleinen Freudentanz auf. „Ich bin ja so gespannt auf all die anderen in unserer Schule! Wie sie wohl reagieren, wenn ich wieder da bin?“, fragte sie sich laut selbst und lief dabei in die Küche, wo vermutlich noch ihr beider Essen stand. Ihr noch immer leicht überrumpelter Freund massierte sich mit einer Hand nachdenklich den Nacken und steuerte dann das Badezimmer an. Das hatte ihm gerade noch gefehlt… Hiromi wieder während der ganzen Schulzeit um sich zu haben, war ein Umstand, mit dem er nicht gerechnet hatte. Weder er noch Momoko. Sie wurde von Takuro an der kurzen Leine gehalten und auch er hatte ab jetzt wieder einen Schatten, der ihm mit Sicherheit auf Schritt und tritt folgen würde. Wie sollten sie es da anstellen sich unbemerkt zu schreiben, oder sich gar zu treffen? Kaltes Wasser strömte aus der Dusche über seinen Kopf; ächzend schüttelte sich der noch unfitte Torwart und begann sich einzuseifen. Es war schon irgendwie aberwitzig, dass es ausgerechnet die Dusche war, in der er vermehrt über solche Themen nachdachte. Yosuke wurmte die Tatsache, dass er ab jetzt zwangsläufig mehr kontrolliert wurde und deswegen mehr aufpassen musste, wann er was genau tat, aber andererseits war es ja nie das Ziel gewesen Hiromi aus seinem Leben auszuschließen. Im Gegenteil; trotz der Affäre mit Momoko wollte er versuchen seine Beziehung zu ihr wieder gerade zu biegen, so weit das eben ging. Deswegen hielt er das Verhältnis mit der Rosahaarigen schließlich aufrecht, damit sie ihm das geben konnte, was seine Freundin nicht vermochte oder er von ihr noch nicht wieder anzunehmen bereit war. Momoko war sein Anker, so wie er ihrer war. Frisch geduscht schlüpfte er in neue Kleidung und betrachtete sich mit gerunzelter Stirn im Spiegel. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, dass sie beide noch nicht alles geklärt hatten. Sie brauchten Regeln und Grenzen, was ihre spezielle Beziehung betraf. Doch das musste jetzt warten. „Yoyo-Maus~ kommst du endlich? Sonst kommen wir wirklich noch zu spät!“ Augenrollend nahm der Braunhaarige ihr Drängeln zur Kenntnis. »Also schön… auf in den Kampf!« „Na los, red schon! Wer war der Typ von gestern?“ Perplex sah Momoko von ihrem Notizheft auf, direkt in die hellbraunen Augen ihrer Mitschülerin. „Dir auch einen guten Morgen, Yuko.“, entgegnete sie ruhig. Es hatte eben erst zum Stundenende geklingelt, da war ihre aufgeregte Mitschülerin auch schon aufgesprungen und zu ihr ans Pult gehetzt. „Entschuldige, aber ich bin so neugierig! Erzähl schon! Bitte, bitte!“, flehte sie ungeduldig. „Sssscht! Sei doch nicht so laut!“, zischte die Angesprochene warnend und schaute sich prüfend um. „Könntest du bitte etwas leiser sein!“, setzte sie noch hinzu, nachdem sie sicher war, dass niemand Yuko und sie beachtete. Diese grinste verschlagen. „Aaaaah… verstehe. Es soll keiner wissen, oder? Ist das etwa dein Lover?“, fragte sie augenzwinkernd und etwas albern kichernd. Obwohl sich Momoko zu 98 Prozent sicher war, dass ihre Klassenkameradin mit Lover eigentlich fester Freund meinte, lief sie rot an. „Nein!“, antwortete sie gepresst und vergewisserte sich erneut, dass niemand zuhörte. Yuko warf ihr schulterlanges, hellbraun gebleichtes Haar mit einer Kopfbewegung aus ihrem Gesicht und musterte sie prüfend. Anklagend deutete sie mit dem Zeigefinger auf ihren Verlobungsring. „Du bist doch verlobt. Wenn das nicht dein Freund war, wer war der Typ denn dann?“ Momokos Herz begann zu rasen. Ohne ihr Pult auf die nächste Stunde vorzubereiten, stand sie entschlossen auf, packte ihre Kommilitonin am Handgelenk und zog sie mit sich aus dem Klassenraum. Erst als sie sich auf dem Flur außerhalb der Reichweite anderer, potenzieller Mithörer gebracht hatte, lies sie das junge Mädchen wieder los. „Würdest du bitte damit aufhören mich so ins Kreuzverhör zu nehmen? Wir sind keine Freundinnen. Ich wüsste also nicht, was es dich angeht, mit wem ich zu tun habe.“, fauchte sie Yuko, immer noch flüsternd, an. Erschrocken hob diese abwehrend die Hände. „Hey! So war das doch gar nicht gemeint! Ich war nur neugierig, weil ich ihn noch nie hier gesehen habe und du plötzlich so euphorisch wurdest, als du ihn gesehen hast.“ Die Hobbyfotografin holte tief Luft und schraubte einen Gang zurück. Es war nicht gut, dass jemand sie mit Yosuke sah, der sie an Takuro verraten konnte. Es war auch nicht gut, dass er sie abgeholt hatte… und es war nicht gut, dass sie ihre Gefühle anscheinend nicht im Griff gehabt und offen zur Schau gestellt hatte. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er hier auftaucht um mich abzuholen.“, erklärte Momoko teilweise. „Das war nicht zu übersehen…“, grummelte Yuko eingeschnappt darüber, dass ihr Gegenüber sie so harsch angegangen war. „Entschuldige, das ist kompliziert. Er ist ein sehr guter Freund von mir.“ Die Brünette zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Na und? Warum ist das bitte kompliziert?“ Die Langhaarige, junge Frau unterdrückte einen entnervten Aufschrei und das Bedürfnis ihre Klassenkameradin zu würgen und gab sich stattdessen ganz gelassen. Sie musste sich etwas Einleuchtendes aus den Fingern saugen. „Es ist so… mein Verlobter reagiert etwas eifersüchtig auf männliche Freunde von mir. Ich möchte ihn nicht unnötig aufregen, deswegen war es mir nicht recht, dass du laut in der Klasse davon angefangen hast. So was führt nur zu Gerede.“ Schon wieder breitete sich ein vielsagendes Grinsen auf dem Gesicht der etwas kleineren Schülerin aus. „Er ist bestimmt ein Ex von dir, oder?“ Reflexartig wollte Momoko das sofort dementieren, aber dann biss sie sich doch auf die Zunge. Ihre nervösen Reaktionen waren vielleicht besser zu rechtfertigen, wenn sie diese Story vor Yuko einfach bestätigte. „Ja, das stimmt.“, hauchte sie mit geröteten Wangen. Warum in aller Welt fiel ihr eine solch banale Notlüge schwerer, als Takuro etwas vorzumachen?! Ihr Herz spielte verrückt und ihre Hände zitterten aufgeregt. „Ha! Wusste ich es doch! Keine Sorge, Hanasaki-kun. Dein Geheimnis ist bei mir sicher! Jungs können schließlich sooo anstrengend sein, nicht wahr?“ Aufgekratzt drückte sie Momokos Hände vertrauensvoll, bis es klingelte. „Oh je! Die nächste Stunde geht gleich los!“, quietschte sie, ließ los und drehte sich um, um zum Klassenraum zurück zu sprinten. Momoko folgte ihr mit gemächlichen Schritten. Der Schulflur war bereits leer, sodass sie einen Augenblick ohne Beobachtung für sich hatte. »Jungs und anstrengend?«, dachte sie belächelnd und schüttelte den Kopf. Es war merkwürdig, wie entwachsen sie sich der Schule und der unbeschwerten Teenie-Zeit fühlte, in der sich andere gleichaltrige Mädchen noch auf ganz naive Weise Gedanken um Jungs machten oder von einer verschnörkelten Zukunft träumten. Für sie war es, als wäre sie in den letzten Wochen um zehn Jahre gealtert und deswegen fremd hier. Sie fühlte sich viel reifer und abgeklärter, obwohl sie trotzdem kein Stück klüger war. Zwischen ihren Mitschülern und ihnen lag eine Distanz, die sich nur schwer erklären ließ. Fakt war aber: Sie empfand sich nicht mehr als Mädchen und Takuro und Yosuke nicht als Jungs… Und sie mussten besser aufpassen, denn ihre gemeinsame Entscheidung, letzte Nacht, erforderte ein spezielles Feingefühl, wenn sie nicht sofort auffliegen wollten. Sie schaute aus dem Fenster, wo sich die Wolkendecke des Vortages langsam lichtete. »Wann wir uns wohl wiedersehen?«, fragte sie sich selbst ein wenig sehnsüchtig, bis sie schließlich das zweite Klingeln aus ihren Gedanken riss und verkündete, dass sie zu spät kommen würde. Kapitel 43: Treaty ------------------ Yosuke saß, mit dem Kopf ruhend auf seinen Arm, dessen Ellenbogen sich auf sein Pult stützte, die letzten Minuten der Unterrichtsstunde ab, die ihn von seinem Fußballtraining nach der Schule trennte. Ungeduldig tippte er mit der stumpfen Seite seines Stiftes auf seinen karierten Collegeblock und starrte Löcher ins Papier. Dieser Tag war ein Alptraum und konnte gar nicht schnell genug vorbei gehen. Seit Hiromi und er das Schultor passiert hatten, standen sie im Focus der gesamten Schule. Ihnen war sowohl die volle Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler, als auch die des Lehrerpersonals sicher. Von den Lehrern wusste natürlich schon längst jeder bescheid über Hiromis Umstand, doch trotzdem schien das erst jetzt zu einem unausgesprochenen Skandal zu mutieren, wo sich die vermeintlich Schwangere auch noch frisch und voller Mut in der Schule präsentierte. Aus den Augen; aus dem Sinn. Es war kein Problem, wenn man damit nicht direkt behelligt wurde. »Tja… das ändert sich ab heute.«, hatte Yosuke sich gedacht, als er all die Blicke der anderen auf seiner Freundin und sich ruhen gespürt hatte. Ihre Mitschüler waren ahnungsloser gewesen als die Lehrerschaft, aber natürlich waren Gerüchte um eine mögliche Schwangerschaft kursiert. Der Torwart selbst hatte sich stets bedeckt gehalten und alle Nachfragen höflich weggelächelt oder mit einem „Hiromi geht es zur Zeit nicht gut.“ quittiert. Vor der 12. Woche, ab der erst das Fehlgeburtsrisiko statistisch gesehen drastisch sinkt, wollte er nichts an die große Glocke hängen. Manchmal wollte er am liebsten selbst glauben, dass es kein Baby gab, aber seine Freundin hielt ihm natürlich oft genug vor Augen, dass dem doch so war. Hier saß er nun wie ein Todsünder; jede Pause und erst recht der Hofgang waren eine Katastrophe gewesen! Jene, die sich nicht mit neugierigen Blicken oder heimlichen Getuschel zufrieden gegeben hatten, waren direkt auf sie beide zugekommen und hatten sie ausgefragt. Diese Art von Interviews war nicht Yosukes Fall, doch Hiromi schien diese Aufmerksamkeit richtig zu genießen. Sie hatte keine Gelegenheit ausgelassen freudestrahlend von ihrem zukünftigen Mutterglück zu erzählen. Sie war so vertieft darin, stolz jede noch so private Frage ausführlich zu beantworten und ganze Romane zu quatschen, dass ihr entging, dass Yosuke, als Vaterfigur in ihrer Seifenoper, ebenfalls ab nun aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet werden würde. Sein guter Ruf als netter, verantwortungsbewusster Schüler und aufstrebender Mannschaftstorwart war dahin. Oder zumindest hatte dieses Bild von ihm einen tiefen Riss erlitten. Die Resonanz der Schüler war sehr unterschiedlich. Wer ihn besser kannte hatte entweder Mitleid mit ihm, schüttelte verständnislos den Kopf oder nannte ihn gerade heraus, aber wenigstens lachend, einen Idioten. Die anderen waren schlichtweg entsetzt und philosophierten darüber, dass er sich seine Zukunft ruiniert hatte. Den Rest machte der Anteil aus, der missbilligte, dass er als Highschool-Schüler überhaupt schon Sex gehabt hatte und dass dann auch noch ohne wirksame Verhütung… »Wenn sie nur wüssten…« Hiromi hatte es da irgendwie leichter. Die meisten Mädchen mochten sie ohnehin noch nie wirklich, das wurde nicht gerade dadurch verbessert, dass sie offiziell seine Freundin war, wo doch die beliebten Jungs als Eigentum der eingeschworenen Mädchen-Fanclubs angesehen wurden. Jetzt, wo sie auch noch ein Kind von ihm erwartete, war sie gänzlich bei ihnen unten durch. Das klang hart, aber immerhin ignorierten sie sie, anstatt ihr nervige Fragen zu stellen oder sie mit Vorwürfen zu behelligen. Stattessen gab es einige Jungs, die durchaus eine Schwäche für die kleine, hübsche Schülerin mit den Curly-Locken hatten und Yosuke deswegen nun mit argwöhnischen Blicken taxierten. Er starrte weiter nachdenklich auf seinen Block. Den Schultag hätte er genauso gut schwänzen können; er hatte nicht ein Wort von dem mitbekommen, was die Lehrer ihnen während des Unterrichts vermitteln wollten. Sein Kopf war voll mit anderen Gedanken und selbst während den Stunden fühlte er die durchdringen Blicke seiner Klassenkameraden auf seiner Haut kribbeln. Ungeduldig hoffte er auf das Stundenklingeln und plante im Kopf bereits seine Flucht durch. »1. Hektisch aufspringen, 2. Tasche öffnen, 3. Kram achtlos mit einer Handbewegung darin verschwinden lassen, 4. aus dem Raum rennen. Und bloß nicht den Blick zwischendrin heben, sonst haben sie dich!« Jedes Auftippen seines Stiftes imitierte den Schlag einer Sekunde und so zog sich Minute um Minute, bis die Schulglocke ihn endlich erhörte. Wie geplant erhob er sich von seinem Stuhl und packte so hektisch zusammen, dass er erst recht merkwürdig angesehen wurde. Im Eiltempo hastete der Dunkelhaarige aus dem Klassenraum in den langen Schulflur und schwor sich erst wieder an der Turnhalle zu rasten. Doch er kam keine drei Meter weit, da schob sich die Tür der Parallelklasse auf und seine lockenhaarige Freundin rannte fast in ihn hinein. „Yosuke!“, sagte sie erschrocken, strahlte dann aber sofort. „Das ist aber lieb, dass du mich abholst!“, setzte sie glücklich hinzu. »Oh nein…«, dachte er nur deprimiert. Sofort ging das Getuschel um sie herum los. Er verkniff sich ein genervtes Seufzen, konnte sich aber nicht überwinden auch noch zu lächeln. „Ich habe jetzt gleich Fußballtraining.“, entgegnete er nur gehetzt. Sie machte einen Schmollmund. „Oh… dann hast du es gar nicht wegen mir so eilig?“ Ein Blick auf seine herumstehenden Mitschüler verriet, dass er nichts Falsches sagen durfte. Schließlich hatte er sie geschwängert, er hatte sie gefälligst liebevoll zu behandeln und bedingungslos auf Händen zu tragen. Klar, sie war ja die arme Frau, die ihre Ausbildung und Karriere für das Baby, das er gemacht hatte, zurückstellen musste. „Doch, auch. Wenn du zusehen willst, dann musst du gleich mitkommen.“ Yosuke wartete keine Antwort ab, sondern schnappte ihre Schultasche mit der einen Hand und nahm sie bei der anderen. Hiromi freute sich diebisch darüber, dass er öffentlich Händchen mit ihr hielt und ihr außerdem die schwere Tasche abgenommen hatte. Sie genoss die beißenden, missgünstigen Blicke der Mädchen, die seinem Fanclub angehörten oder zumindest bis dato angehört hatten. Für ihren Freund war das nur ein Mittel zum Zweck, denn er wollte keinen netten Plausch mit ihr halten und dabei ruhig und gelassen durch die Schule schlendern, sondern nur schnellstmöglich den Schauplatz verlassen. „Ich bin ja so aufgeregt! Ich habe dir schon ewig nicht mehr vom Platzrand zugesehen!“, plapperte Hiromi begeistert, als sie sich an den Umkleiden der Mannschaft einfanden. Yosuke holte tief Luft und atmete erstmal ordentlich durch. Er war der Erste hier; ihm waren ein paar Minuten allein vergönnt. Zumindest fast… „Unglaublich, dass du so cool bist.“, grummelte er verständnislos in ihr glückliches Gesicht, das nach dieser Aussage sofort gefror. „Du hast also doch schlechte Laune…“ „Ich habe keine schlechte Laune!“, motzte er. Er fuhr sich mit den Händen durch sein Gesicht und massierte seine Schläfen. „Ok, habe ich doch.“, gab er resignierend zu. Hiromi trat auf ihn zu und lehnte ihre Stirn, ohne ihn mit ihren Armen zu umschlingen, an seine Brust. „Bist du böse auf mich?“, fragte sie kleinlaut und mitleiderregend genug, dass auch seine Immunität gegen ihre Maschen schwächelte. Ihre unerwartete Berührung verunsicherte ihn zusätzlich. „N-nein… aber es war ein harter Tag. Jeder hat sich das Maul über uns zerrissen.“, erklärte der hochgewachsene Sportler, unfähig, sich von ihr weg zu bewegen. Ermutigt darüber, dass er nicht zurück wich, schmiegte sich die junge Frau schließlich ganz an seinen Oberkörper. „Das macht doch nichts. Hauptsache, wir halten zusammen.“ Nun seufzte er doch. Was sollte er sagen? Was sollte er tun? Sie meinte es bestimmt gut, doch das alles war bereits wieder viel zu viel für ihn. Trotzdem, wie konnte er sich ihr entziehen, wenn sie solche Dinge sagte, die jeder normale Boyfriend unglaublich romantisch finden müsste? „Ich weiß. Aber es geht alles schon wieder zu schnell.“, leitete er so feinfühlig wie möglich ein. Ihre roten Augen schauten zu ihm auf. Fragend? Ängstlich? Unzufrieden? Er durchschaute den Ausdruck in ihnen nicht. Yosuke hatte schon vor Wochen aufgehört zu verstehen, was sie ihm durch sie hindurch sagen wollte. Er sah nicht mehr ihre Augen vor sich, sondern ein klares, intensives Blau, welches je nach Licht und Stimmung anders schimmerte. Sein unterbewusster Gedanke an Momoko bescherte ihm Herzklopfen und entspannte seinen Gesichtsausdruck. Hiromi fühlte seinen beschleunigten Puls durch seine Brust hindurch und bezog seinen verträumten Blick auf sich. Überrascht blinzelte sie ihn an und lächelte dann errötend. Sie hob ihre linke Hand zu seinem Gesicht und legte ihre Finger vorsichtig auf sein Kinn. Direkt sah Yosuke wieder klar. „Vielleicht solltest du deinen Gefühlen einfach freien Lauf lassen?“, schnurrte sie einladend. Er verkrampfte innerlich. Seine Reaktion hatte sie gehörig in den falschen Hals bekommen! „Hey, Fuma! Hier wird nicht geknutscht!“ Ein erleichternder Ruck ging durch den Torwart, als hinter Hiromi sein Mannschaftskapitän auftauchte und sie damit sofort dazu brachte von ihm abzulassen. „Neidisch?“, witzelte die Lilahaarige keck und kokettierte sofort mit dem äußerlich ebenfalls nicht zu verachtenden Spieler. Yosuke spürte das Vibrieren seines Handys in seiner Tasche und nutzte die Gunst der Stunde, um die Flucht in die Umkleidekabinen Anzutreten. „Ich geh’ mich dann mal umziehen.“ Hiromi drehte sich enttäuscht zu ihm um, er winkte nur halbherzig. „Wir sehen uns dann am Spielfeld.“, rief er ihr noch tröstend zu, als er hinter der Tür verschwand. Sein Kapitän folgte ihm nur Augenblicke später. „Ich weiß nicht ob ich es dumm oder mutig von dir finde, dass du deine Freundin wieder mit zur Schule bringst.“, begann er Yosuke zu belehren, während sie sich ihrer Schuluniform entledigten. „Oh bitte… nicht auch noch du. Ich habe gehofft, diesen Verhören wenigstens hier zu entkommen. Ich will Fußball spielen und nicht über meine Beziehung reden.“, antwortete er entschlossen. Er sah seinen Kollegen nicht an und zog sich dabei weiter um. „Aber es stimmt? Das sie schwanger von dir ist?“ Yosukes Miene verfinsterte sich, doch er starrte nur stoisch in den Spind, in dem er seine Uniform und seine große Tasche verstaute. Sein Kapitän wertete sein Schweigen als Ja. „Verstehe, du willst wirklich nicht darüber reden.“ „Richtig.“, knurrte der Torwart. Sein Nebenmann klopfte ihm aufbauend auf die Schulter. „Alles klar. Dann werde ich die anderen Jungs gleich in die Mangel nehmen und darauf einschwören, dass sie dich in Ruhe lassen sollen. Hoffentlich hast du trotzdem den Kopf frei um im Tor richtig Gas zu geben. Ich will vollen Einsatz von dir auf dem Feld, verstanden?“ Ein Mundwinkel des Dunkelhaarigen hob sich zu einem zufriedenen Lächeln. Wenigstens einer, der ihn verstand und nicht auf den Typen reduzierte, der eine Mitschülerin geschwängert hatte. „Ich bin auf dem Platz und laufe mich warm. Komm nach, wenn du fertig bist. Die anderen kommen bestimmt auch bald. Damit verschwand sein Mannschaftskapitän auch schon durch die nächste Tür. Bevor Yosuke ihm folgte fiel ihm wieder ein, dass sich sein Handy vorhin gemeldet hatte. Er zog es aus seiner Tasche hervor und fand eine neue SMS darauf. Sie war von Momoko. >>>Hi Yosuke. Wie war Dein Schultag? Hast Du heute wieder Training? Bist Du gut aus dem Bett gekommen? Entschuldige die vielen Fragen. LG M.<<< Unwillkürlich sah sich der junge Mann in der Umkleide um, doch sie war noch immer menschenleer. Trotzdem tippte er eilig eine Antwort. Seine Finger kribbelten aufgeregt und ein schiefes Lächeln huschte über sein eben noch angespanntes Gesicht. >>>Hi „M.“(?) Zu Deinen Fragen: bescheiden, ja & nicht besonders elegant. Es gibt nichts zu entschuldigen. Und wie war Dein Tag? Ist etwas? LG Y. ;)<<< Er schickte die Nachricht ab und lächelte erneut. Er konnte sich ihr verschmitztes Grinsen vorstellen, das sie angesichts seiner SMS bestimmt aufsetzen würde. Als sein Telefon erneut surrte, öffnete sich die Tür zur Umkleide und eine Schwalbe laut plaudernder Mannschaftskollegen trat ein, die bei seinem Anblick verstummten und sich peinlich berührt ansahen. Yosuke hatte nicht vor seine Mitspieler auf irgendeine Weise zu hemmen, also stand er wortlos auf und ging mitsamt Telefon zu den Toiletten, wo er sich in einer der Kabinen einschloss. Er hatte noch genug Zeit, ehe das Training offiziell anfing. Also öffnete er die neue Nachricht, um sie in Ruhe zu lesen. >>>Ha ha… entschuldige, ich versuche diskret zu sein. Was, wenn jemand meine Nachrichten auf Deinem Handy findet? Was war denn los in der Schule? Und ja, es ist etwas… wir müssen noch mal reden.<<< Bei dieser SMS zog sich etwas in ihm auf widerliche Weise zusammen und hinterließ ein ungutes Gefühl. Wie ein Geschwür oder ein Knoten, der sich nicht lösen wollte. »Sie will reden?« Dieser Satz bedeutete nichts Gutes. >>>Diskret? Dann sollte ich vielleicht damit anfangen Deine Nummer nicht unter „Momoko“ abzuspeichern, sonst nützt Dein „M.“ auch nicht viel ;) Schwer per SMS zu erklären, was heute hier los ist.<<< Trotz seines flauen Gefühls im Magen, hatte er versucht so locker wie immer zu klingen. Vielleicht irrte er sich und es war gar nichts, doch die wildesten Szenarien liefen in seinem Kopf ab. Wollte sie vielleicht doch den Cut? Hatte sie es sich anders überlegt? Hatte Takuro vielleicht etwas herausgefunden? War vielleicht etwas anderes, ihn betreffend, passiert? Sein Handy vibrierte erlösend. >>>Das solltest du wirklich tun, mit meiner Nummer. Takuro hat mich tatsächlich von der Schule nach Hause gebracht. Aber jetzt bin ich allein – hast Du nachher Zeit zum Reden? Ich könnte Dich vielleicht abholen.<<< Er fasste sich angespannt in den Nacken und starrte zur Decke, eher er antwortete. >>>Ich muss gleich raus auf den Platz. Du kannst mich nicht abholen… es ist kompliziert.<<< Nach einigen Augenblicken, in der er seinen Text immer wieder überflog, löschte er ihn und wählte stattdessen ihre Nummer. „Oh hey, warum rufst du mich denn an?“, flüsterte ihre Stimme am anderen Ende überrascht ins Telefon. „Weil Schreiben zu lange dauern würde und ich habe nur jetzt ein paar Minuten unbeobachtet Zeit.“ Trotz aller Anspannung, freute er sich Momokos helle Stimme zu hören. Sie klang nicht verkrampft, also konnte es so schlimm nicht sein. „Oh, warum denn das?“ , wollte sie wissen. Yosuke atmete schwer und überlegte, wie er es am einfachsten erklärte, aber egal wie – es würde sie aus den Socken hauen, genau wie ihn und alle anderen. „Tja… der Grund ist derselbe, warum mein Schultag heute nicht so besonders war. Hiromi hat ganz spontan beschlossen ab heute wieder zum Unterricht zu gehen.“ „Was?!“, kam es genauso entsetzt und ungläubig von der Rosahaarigen, wie er erwartet hatte. „Aber wieso?!“ , setzte sie im selben Tonfall noch hinzu. „Sie will mehr Zeit mit mir verbringen, damit wir uns schneller wieder annähern. Verbieten oder verübeln kann ich es ihr nicht.“, erklärte er ruhig, aber betont unzufrieden. Momoko seufzte deutlich hörbar durch das Telefon. „Verstehe… das macht das Ganze nicht einfacher…“ Da war es wieder, das üble Geschwür in seinem Magen. Ihr Tonfall klang plötzlich bedrückt. „Was meinst du? Was ist denn los?“, hakte er nach. „Es ist wegen uns. Wir sind viel zu unvorsichtig. Bis gestern Nachmittag waren wir weder Feind noch Freund, aber jetzt sind wir… na du weißt schon.“ Ja, er wusste. Und er konnte das verlegende Glühen ihrer Wangen förmlich in ihrer Stimme hören. Yosuke schmunzelte. „Ja.“, entgegnete er und vermittelte dabei, dass er amüsiert war. „Wir haben gestern einfach so etwas beschlossen ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie das eigentlich funktionieren oder ablaufen soll. Wir müssen uns viel mehr Gedanken um unser Umfeld machen! Heute in der Schule zum Beispiel hat mich eine Mitschülerin auf dich angesprochen und mich förmlich darüber ausgequetscht, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen, weil sie uns vom Fenster aus auf dem Schulhof gesehen hat.“ „Oha. Und was hast du gesagt?“ „Nun… du bist jetzt offiziell mein Ex-Freund.“, entgegnete sie trocken. Yosuke prustete lauthals ins Telefon. „Wie komme ich denn zu der Ehre?“, hinterfragte er lachend. „Frag nicht… Anders hätte sie mich nicht in Ruhe gelassen oder für mich vor den anderen geschwiegen. Sie musste glauben, dass Takuro fürchterlich eifersüchtig auf dich wäre, wenn er wüsste, dass ich Kontakt zu dir habe.“ „Das ist nicht mal gelogen.“, warf der Braunhaarige abfällig ein. „Tu das nicht…“, bat Momoko ihn nach einer kurzen Pause ernst. Er runzelte die Stirn. „Was soll ich nicht tun?“ „Sprich nicht in einem Ton von ihm, als wäre er Abschaum.“ Ihr Gesprächspartner war sprachlos. Erschrocken hielt er inne und schluckte schwer. „Entschuldige, aber das ist auch etwas, über das ich mit dir reden wollte.“ „Ich verstehe nicht ganz, worauf du hinaus willst.“, gab er gekränkt zurück. „Dann sei nicht bockig, sondern hör mir zu!“, ermahnte sie ihn schroff. Unglaublich – stritten sie wirklich gerade am Telefon, während er auf der Herrentoilette fest saß und wahrscheinlich nun doch die ersten Minuten seines Trainings verpasste? „Dann rede.“, forderte er sie ruhig auf. „Danke.“, begann sie milde, „Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, das es das Beste wäre, wenn wir in unserer komplizierten Beziehung zueinander unsere eigentlichen Partner außen vor lassen würden.“ Momoko traf einen Punkt, über den er selbst auch schon nachgedacht hatte. „Ich glaube, ich weiß, was du in etwa sagen möchtest.“ „Ach so?“ „Ja. Diesen Gedanken hatte ich heute auch schon. Es geht darum, dass wir zwar… etwas Besonderes miteinander haben, aber trotzdem das Ziel verfolgen unsere eigentlichen Beziehungen hinzubekommen. Stimmt’s?“ Eine Weile wurde es still am Telefon und einen Moment lang befürchtete Yosuke, er hätte etwas Falsches gesagt, doch dann atmete Momoko erleichtert aus. „Ja.“, hauchte sie leise und es klang fast etwas traurig. „Gut.“, flüsterte er genauso zurück. „Wir sollten Hiromi und Takuro einfach aus unseren Gesprächen so weit es geht streichen und wenn wir doch mal über sie sprechen, dann sollte keiner von uns den Partner des anderen irgendwie verurteilen oder schlecht über ihn reden. Das macht es uns nur schwer unsere Ziele zu verfolgen. Wir wollen uns doch gegenseitig unterstützen und uns nichts madig machen oder ausreden.“ Diesmal schwieg er. Der Fußballspieler wusste, dass sie Recht hatte, denn schließlich waren das auch seine Gedanken gewesen, aber irgendwie fiel ihm die Vorstellung schwer, nicht mehr nach Takuro und dem was er tat, fragen zu dürfen. „Dazu gehört auch, dass wir nicht über unser Intimleben mit ihnen sprechen.“, setzte sie wieder an. „Was?“, rutschte es Yosuke heraus. Sauer auf sich selbst, schlug er sich die flache Hand vor die Stirn. Ein Glück, dass Momoko ihn nicht sehen konnte. „Na ja… ich finde diese Regel wichtig. Es muss Grenzen in unserem Verhältnis geben und ich will ehrlich gesagt nicht von dir wissen oder hören, wann und wie du dich mit Hiromi wieder versöhnst.“ Das Kopfkino des Sportlers schaltete sich an; er versuchte es sich anders herum vorzustellen. Wie würde er reagieren, wenn er wüsste, wann, wie oder wo sich die schöne Blauäugige und dieser Amano küssten, oder Schlimmeres? Der Gedanke schüttelte ihn eiskalt. „Du hast Recht. Es würde das, was wir miteinander haben, nur beeinflussen.“ Er glaubte sie erleichtert seufzen zu hören. „Dann bist du damit also einverstanden?“ „Ja.“ „Das ist gut, sehr gut.“, sagte sie glücklich. Leider musste er ihre gute Stimmung auch schon wieder ruinieren. „Aber das wir uns hin und wieder sehen wird jetzt sowieso schwierig. Takuro spielt deinen persönlichen Wachhund und ich habe Hiromi nun auch in der Schule und während des Trainings bei mir. Ich kann mich nicht immer auf dem Klo verbarrikadieren, nur damit ich dir tagsüber wenigstens eine SMS schreiben kann. Sie wird bestimmt noch mehr Zeit mit mir verbringen wollen und dein Verlobter möchte jeden Schritt und jede Verabredung von dir am liebsten protokolliert haben.“ „Yosuke.“, ermahnte die Rosahaarige ihn langgezogen durch das Telefon. „Entschuldige, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll. Ich kann mich auch nicht immer spät nachts bei dir reinschleichen, sonst kann ich die Schule gleich vergessen und irgendwann wird auch Hiromi mal misstrauisch.“ „Ich weiß… es ist alles sehr kompliziert. Fangen wir doch einfach erstmal damit an, dass wir unsere Kontaktdaten unter anderen Namen einspeichern und aufpassen, wie wir uns per SMS ansprechen. Auch sollten wir die Nachrichten immer wieder löschen, wenn wir sie gelesen haben.“ „Und wie und wann sollen wir uns sehen? Wir können ja nicht mal unsere Freunde um ein Alibi bitten…“, gab Yosuke auch noch zu bedenken. Momoko seufzte nachdenklich. Trotzdem schien ihre heitere Laune keinesfalls zu schwanken. „Ehrlich gesagt habe ich nicht die leiseste Ahnung im Moment, aber da wird sich noch eine Lösung finden. Lass uns doch fürs Erste mal schauen, wie viel Freiraum uns unsere Partner tatsächlich noch geben und dann sehen wir weiter. Ok?“ Der Torwart schloss die Augen. Im Augenblick reichte es ihm eigentlich schon zu wissen, dass sie ihn immer noch wollte und nicht daran dachte ihre besondere Freundschaft zu beenden. „Ok… Du, Pfirsichtörtchen, ich muss jetzt leider auch schon Schluss machen. Ich komme zu spät zum Training.“ Sie kicherte ein verlegendes Mädchenkichern, das sein Herz zum Flattern brachte. „Dann bis bald. Vielleicht können wir uns ja wenigstens abends oder nachts etwas schreiben.“ „Klar. Ich bin da.“ „Gut. Ciao, Yosuke.“ „Ciao.“ Momoko war die Erste, die auflegte. Der Dunkelhaarige konnte nicht anders als gut gelaunt zu strahlen, als er sich schließlich auf dem Fußballplatz bei seiner Mannschaft einfand. Daran änderte auch Hiromis Anwesenheit am Spielfeldrand nichts. Er konnte das Training genießen und vergaß dabei die Strapazen des bisherigen Tages. Er konnte alles aushalten und ertragen, solange er sich gewiss sein konnte, dass sie immer ein offenes Ohr für ihn haben würde. Kapitel 44: Ambitions --------------------- Drei Tage später hatte sich die Lage nicht geändert. Hiromi begleitete Yosuke jeden Morgen in die Schule, wo sie sich den Blicken, Fragen und Sprüchen ihrer Mitschüler tapfer stellten. Takuro hielt ebenfalls sein bedenkliches Versprechen Momoko gegenüber. Er holte sie von der Schule ab, fuhr sie zur Arbeit, holte sie von dort wieder ab und überwachte auch sonst fast alles, was sie tat. Sie ging nicht mehr aus dem Haus, um sich vielleicht mit Yuri oder Hinagiku zu treffen, denn für all das verlangte ihr kontrollsüchtiger Verlobter eine Anmeldung und Rechtfertigung. Darauf hatte die junge Frau aber keine Lust, also genoss sie ihre unfreiwillige Einsamkeit, in der sie wenigstens unbeobachtet war. Die gewonnene Zeit investierte sie darin für die Schule zu lernen, unzählige Fotos zu sortieren und in Alben zu verschieben oder sich – wann immer es sich einrichten lies – mit Yosuke zu schreiben. Ein Glück gab es Datenflatrates und andere Kurzmitteilungsprogramme außer SMS… Die Rosahaarige strich nach einem absolvierten Arbeitstag ihre Maiduniform glatt und verstaute sie in ihrer Tasche, in der auch schon ihre Schuluniform lag. Takuro machte sich nicht den Umweg sie nach der Schule erst noch mal zum Umziehen nach Hause zu fahren, sondern brachte sie jetzt immer direkt zu dem Maid-Café, in dem sie arbeitete. Das dadurch entstehende Zeitfenster, bis zum Beginn ihrer Schicht, wollte er nun immer dazu nutzen, um mit ihr noch einen Kaffee zu trinken und etwas zu plaudern. Eigentlich eine sehr süße Idee, wenn sie seine dauernde Anwesenheit nur nicht so einengen würde… Momoko seufzte nachdenklich und zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu. Zivile Wechselkleidung hatte sie also seit dem vergangenen Mittwoch immer mit dabei, weshalb sie jetzt ein lockeres, weißes T-Shirt und eine schlichte, blaue Jeans trug. „Hanasaki-chan, dein Freund wartet schon wieder auf dich.“, hörte sie die Stimme ihrer Chefin hinter sich sagen. Sie rollte kurz mit den Augen, ehe sie sich zu der schwarzhaarigen, schönen Frau umdrehte, die ihr langes Haar heute zu einem strengen Dutt hochgesteckt trug. „Ich bin ja schon fertig.“, antwortete sie und lächelte trotzdem dabei. Ihre Vorgesetzte musterte sie schmunzelnd. „Das zwischen Euch ist ja ganz schön eng geworden. Er holt dich immer ab, verbringt mit dir hier noch Zeit vor deiner Schicht… das ist wirklich süß.“ Die Schülerin strich sich verlegen eine Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr. „Tatsächlich?“, entgegnete sie unsicher. Ihr Gegenüber stutzte. „Na… findest du das denn nicht?“, hakte sie nach. „Doch! Natürlich, unbedingt sogar! Er ist sehr zuvorkommend.“ Ihre Chefin lachte ungläubig. „Zuvorkommend?! Wäre das mein Verlobter, würde ich wohl eine andere Wortwahl treffen.“, frotzelte sie amüsiert. „Entschuldigung… es ist mir etwas unangenehm…“, versuchte sich die Blauäugige herauszureden und wurde tatsächlich etwas rot um die Nasenspitze herum. »So was Blödes! Warum bin ich so verkrampft? Reiß dich mal zusammen!«, schimpfte sie sich innerlich. Zum Glück winkte die hochgewachsene Frau beruhigend ab. „Kein Problem! Ich hätte dich nur gar nicht so schüchtern eingeschätzt. Aber ist doch schön, wenn deine Beziehung gut läuft. Mir war ja schon am Montag aufgefallen, dass sich deine Laune und auch deine ganze Ausstrahlung verbessert haben. Ich freue mich für dich und es tut mir leid, dass ich letztens so indiskret war. Das stand mir als deine Vorgesetzte nicht zu.“ Diesmal schüttelte Momoko beschwichtigend den Kopf. „Nein, schon gut. Sie und die Mädchen – wir alle hier sind wie eine kleine Familie. Ich finde es schön, dass Sie sich um uns alle kümmern. Ich bin Ihnen nicht böse.“ Ihre Chefin atmete erleichtert aus. „Da bin ich aber froh. Nun lauf aber schnell, sonst wird dein Schatz noch ungeduldig. Ach und viel Spaß mit deinem Vater morgen.“, sagte sie augenzwinkernd. Ihre Angestellte verzog den Mund bei dem Wort Schatz für einen Moment, lächelte dann aber schnell wieder ungerührt; sie freute sich zu sehr darauf ihren Vater wiederzusehen. Takuro hatte sich heimlich um einen zweiten Besuchstermin in der Spezialklinik bemüht und sie damit überrascht. „Danke, dann bis Montag! Wiedersehen!“ „Bis dann, Hanasaki-chan.“ Momoko schulterte ihre volle Tasche beim Verlassen des Ladens und straffte sich noch mal für die erneute Begegnung mit ihrem Verlobten an diesem Tag. Die Abendluft war durch den Regen der letzten Tage frischer als sonst. Sie lenkte ihren Blick geradewegs zu dem dunklen Automobil, das wie selbstverständlich auf sie wartete. Als Takuro ausstieg war sie jedoch überrascht. „Guten Abend, liebste Momoko.“, empfing er sie liebevoll. Mit großen Augen musterte sie seine Aufmachung. „Takuro! Das ist aber ein ungewohnter Aufzug!“, entgegnete sie, statt ihn ebenfalls anständig zu begrüßen. Kein Jacket, keine Anzughose, kein steif gebügeltes Hemd; nicht mal eine Krawatte trug der, sonst so bemüht seriös wirkende, junge Mann an diesem Abend. Er hatte seinen steifen Dresscode gegen eine lockere, weinrote Cordhose und ein olivgrünes Poloshirt mit Dreiviertelarm getauscht, das außer dem weißen Brustprint “smart“ schmucklos war. Der Schwarzhaarige schob seine Brille das Nasenbein hinauf und grinste selbstzufrieden. „Gefällt es dir?“, fragte er erwartungsvoll. Seine Verlobte starrte noch einen Moment verblüfft, ehe sie sich genau überlegt hatte, was sie sagen sollte. „Ja, schon… es ist nur so… ungewohnt. Sind deine Anzüge alle in der Reinigung, oder warum trägst du heute mal leger?“ Er lächelte breit und hielt ihr dann die Autotür auf. „Es ist frisch heute, lass uns doch während der Fahrt weiterreden.“ Sie nickte und ließ sich nicht lange bitten. Im Auto war es nicht nur wärmer, sondern auf den feinen Ledersitzen auch noch bequemer als draußen. Solche Wagen und ihre Vorzüge waren tatsächlich das Einzige, an das sich Momoko schnell in ihrem neuen Leben gewöhnen könnte. „Also?“, fragte sie erneut, als sie sich in den Straßenverkehr einfädelten. Betont lässig drehte Takuro sich zu ihr um. „Ich dachte einfach, ich versuche mal etwas Neues. Etwas, das nicht so förmlich und einschüchternd auf dich wirkt.“ »Oh… es sind nicht die Anzüge, die mich einschüchtern…«, schoss es ihr durch den Kopf, doch sie biss sich auf die Unterlippe, um ihren Gedanken nicht laut auszusprechen. „Es steht dir.“, kommentierte sie nur. Sein Lächeln wurde breiter. „Das hatte ich gehofft! Ich habe nämlich nachgedacht…“, setzte er an. Nun war sie aber gespannt. Unbewusst und mit konzentriertem Gesichtsausdruck, beugte sie sich zu ihm vor, damit sie seiner Ausführung besser lauschen konnte. „Unsere letzte Auseinandersetzung hängt mir noch etwas nach. Ich weiß, dass du unglücklich damit bist, dass ich so viele Forderungen und Bedingungen an dich und dein Verhalten gestellt habe. Doch es macht mich glücklich zu sehen, dass du meinen Wünschen trotzdem bisher ohne Widerworte nachgekommen bist. Ich weiß… ich sollte dir mehr vertrauen und dir mehr Freiraum lassen, aber ich will dir unbedingt beweisen, dass ich eine genauso gute Gesellschaft sein kann, wie deine Freundinnen oder dieser Fuma.“ Momokos Augenbrauen hoben sich überrascht, nicht zuletzt wegen Yosukes namentlicher Erwähnung. „Deswegen versuche ich seit dieser Woche noch mehr Zeit mit dir zu verbringen, das ist dir bestimmt schon selbst aufgefallen. Ich will dich nicht kontrollieren, ich möchte nur bei dir sein.“ »Du willst mich nicht ausschließlich kontrollieren, wohl eher…«, dachte sie zynisch. „Ich kann auch locker und spontan sein, mit dir Spaß haben und all diese Dinge… deswegen auch diese Kleidung. Als sichtbares Zeichen dafür, dass ich nicht nur ein Streber bin oder ein blasierter Anzugträger.“ Ein bisschen – und dagegen konnte sich Momoko nicht erwehren – schmeichelten ihr seine Bemühungen tatsächlich, denn er brachte sie mit einem solchen Enthusiasmus rüber, dass sie es einfach glauben musste. Takuro Amano hatte also tatsächlich angefangen darüber nachzudenken, was ihrer Beziehung gut tun würde und was ihr vielleicht gefiel. Sie musterte seine Erscheinung noch mal eingehend von unten bis oben und kam zu dem Schluss, dass ihm dieser Style ein wenig schlechter zu Gesicht stand, als Hemden und Krawatten, weil er einfach etwas zu schmächtig für den sportlichen Look war, aber andererseits wirkte er damit wirklich etwas lockerer und weniger streng. „Es gefällt mir wirklich.“, bestätigte sie ihre Aussage von zuvor noch mal glaubwürdig, woraufhin er glücklich und etwas verlegen lächelte, was sie angesteckt davon erwiderte. Momoko verschnaufte kurz und sah aus dem Fenster auf die Straße. „Oh, wir fahren falsch!“, bemerkte sie erschrocken und fuhr zu ihrem Verlobten herum, der sich augenscheinlich nicht davon aus der Ruhe bringen ließ. „Nein, nein. Alles gut. Ich habe unseren Fahrer darum gebeten diese Route zu nehmen.“, antwortete er gelassen. „Aber warum? Wo fahren wir denn hin?“, wollte die junge Frau wissen und schaute dabei immer wieder nervös nach draußen und zu ihm. „Zu mir.“, informierte er sie mit einem verheißungsvollen Grinsen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich automatisch und auf sehr unangenehme Weise. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Wieso?“, krächzte sie nervös mit aufgeregt flackernden Augen. Takuro nahm ihre rechte Hand in seine und streichelte die Haut ihres Handrückens mit seinem Daumen. „Das war eine spontane Idee von mir. Es ist Freitag und wir wollten doch morgen früh sowieso deinen Vater besuchen, also dachte ich mir, dass du dann doch auch direkt bei mir übernachten könntest.“ Der Rosahaarigen verschlug es die Sprache. Tonlos klappte ihr der Mund auf, während sich in ihrer Körpermitte ein schmerzhaft unangenehmer Knoten aus ihren Organen bildete. Plötzlich lachte Takuro leise auf. „Nun schau doch nicht so! Denkst du, ich habe aus meinen Fehlern nicht gelernt? Ich rede nur von übernachten und von nichts anderem. Du hast sogar ein eigenes Zimmer, in dem du schlafen kannst.“ Die Momoko konnte nur raten, wie sie gerade dreingeschaut hatte, aber es musste eindeutig gewesen sein. Sie versuchte sich wieder zu fangen. „Entschuldige, ich war so perplex…“, stammelte sie. Ihr Herz pochte immer noch warnend gegen ihre Brust und ihre zitternden Finger waren kalt vor Anspannung geworden. „Keine Sorge. Ich habe verstanden, dass du nicht so Eine bist… du willst erobert werden. Ich werde dein Herz schon noch gewinnen, dafür würde ich fast alles für dich tun.“ Sein Tonfall und der Ausdruck in seinen Augen wurde ernster; reifer. Nur ein Wimpernschlag und statt dem schüchternen Streber saß ihr ein erwachsener Mann gegenüber. Sogar seine Körperhaltung hatte sich verändert und wirkte nun ein wenig einschüchternd. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Verlegen erwiderte sie seinen durchdringenden Blick. Zu schnell neigte sie dazu zu vergessen, dass Takuro nicht weniger ein Mann war als Yosuke. Er warb ernsthaft um sie, auch wenn seine Mittel und Wege oft die falschen zu ihrem Herzen waren. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll…“ „Du musst nichts sagen, außer ja. Bleib über Nacht bei mir und lass uns morgen gemeinsam aufstehen und frühstücken.“ Sie konnte sein Angebot unmöglich ausschlagen, schließlich hatte er in diesem Gespräch deutlich gemacht, dass er sich ernsthaft bemühen wollte. Vielleicht kam er ihr noch ein, zwei Schritte entgegen, wenn sie auf sein Werben einging. Letztendlich war das ja auch das Ziel; womöglich war sie beeindruckt genug von ihm, dass sie ihm irgendwann ihr Herz öffnen können würde, wenn er seinen Kurs beibehielt. „Ja.“, flüsterte sie mit glühendem Gesicht durch das Wispern der Motorengeräusche hindurch. Ein warmes Leuchten glimmte in seinen rotbraunen Augen auf. Glücklich drückte er ihre Hand und beugte sich zu ihr rüber, wo er ihr Kinn mit der anderen anhob, um ihr anschließend einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Den Anblick des imposanten Herrenhauses würde Momoko wohl niemals als selbstverständlich hinnehmen. Gerade im Dunkeln, wo einige Bereiche der Außenfassade und des Gartens beleuchtet wurden, wirkte es noch beeindruckender. Takuro hatte natürlich ein Abendessen für sie beide liefern lassen, denn selbst zu kochen war selbstredend unter seiner Würde und lag wahrscheinlich auch außerhalb seines umfangreichen Könnens. Jedoch überraschte er mit schlichten, chinesischen Hauptgerichten eines einfachen Schnellrestaurants. Ob das auch zu seiner neuen Coolness gehörte? Wollte er sie wirklich auf diese Weise bezirzen? Doch die junge Frau musste zugeben, dass ihr das durchaus gefiel. Das war viel mehr ihre Welt, als all diese Förmlichkeit und der ganze Prunk um sie herum. Aus welchem Grund auch immer, schien das ihr Verlobter inzwischen begriffen zu haben. „Du überraschst mich immer mehr. Kommt da heute noch mehr, von diesem neuen Ich von dir?“, zog Momoko ihn auf, als sie sich satt und zufrieden an ihren Stuhlrücken lehnte. Der blasse Dunkelhaarige tupfte sich die Mundwinkel mit einer Papierserviette sauber und lachte belustigt. „Das ist kein neues Ich, sondern nur eine andere Seite von mir.“ „So? Sie ist mir jedenfalls sympathisch.“, witzelte sie. „Ich sagte doch schon, dass ich dir beweisen will, dass ich der Richtige für dich bin.“, entgegnete er selbstzufrieden. Erneut errötete sie und wurde zappelig. Takuro machte sie ja oft nervös, aber selten auf diese Weise. „So… ich bin eigentlich ziemlich geschafft vom heutigen Tag. Zeigst du mir mein Zimmer? Ich möchte mich so richtig ausschlafen, damit ich morgen fit für meinen Vater bin.“, wechselte sie geschickt das Thema. „Selbstverständlich. Komm, es wird dir gefallen.“ Natürlich, wie konnte es das auch nicht? Alles an diesem Abend schien ja schließlich darauf abzuzielen, dass es ihr gefiel. Schweigend folgte Momoko ihrem Freund von dem Esszimmer in die große Eingangshalle, in der auf der linken Seite eine Treppe, in einer Kurve, hinauf zu einer Galerie führte. Dort war, so wusste sie noch von der letzten Rundführung, noch ein Flur, einige kleinere Zimmer, sowie ein ausladendes Badezimmer. Eben jene Treppenstufen galt es zu erklimmen, bevor ihr Begleiter eine Zimmertür, in der hinteren Ecke des Flures, für sie öffnete. „Das hier ist eines der schönsten Gästezimmer. Es hat Aussicht zu zwei Seiten.“, versprach er und stieß die Tür vollends auf. Die Rosahaarige schluckte schwer, als ihr der schwere Duft von Rosen und die Wärme unzähliger, brennender Kerzen entgegen schlugen. Sie legte ehrfürchtig ihre Hände auf ihre Brust, während sie ins Zimmer trat. Es war ein kleiner Raum mit flauschig weichem Hochfloorteppich, einem riesigen Kingsize Bett in der Mitte und kleinen, hellen Kommoden an den Wänden. Das Bett war gedeckt mit einer dicken, gesteppten Tagesdecke und unzähligen Kissen in verschiedenen Formen und Größen. Hinter dem Bett und auf der rechten Zimmerseite waren riesige Fenster, die vom Boden bis zur hohen Decke reichten; genauso wie die traumhaften, transparenten Vorhänge davor. Teppich, Bettwäsche, Tapeten und Gardinen harmonierten farblich in femininen Pastelltönen wie Flieder und Zartrosa. Die junge Frau war aber nicht wegen des Zimmers an sich verstummt, sondern wegen der zahlreichen Vasen mit Rosen darin, den zu einem Herzen geformten Blütenblättern auf ihrem Bett und den vielen Teelichtern, die auf den Nachttischen und Kommoden überall standen, wo keine Blumen waren. Vollkommen geflasht drehte Momoko sich zu Takuro um, der begeistert in ihre tellergroßen Augen schaute. „Das ist meine letzte Überraschung heute für dich.“ Sprachlos sah sie sich wieder in dem Zimmer um und strich abwesend mit ihren Fingerspitzen über die samtigen Blütenblätter einer blutroten Rose. Neben der Tür stand sogar schon ihre Tasche mit all ihren Sachen. Der erste, klare Gedanke, den die Schülerin fassen konnte, war der, dass Takuro hoch gepokert hatte. Dieses Szenario konnte er unmöglich in einem der kurzen Momente auf die Beine gestellt haben, in der er sich für einen Toilettengang entschuldigt hatte. Er musste riskiert haben, dass all der Aufwand und die Blumen vielleicht umsonst waren, denn sie hätte seine Einladung, über Nacht zu bleiben, auch ablehnen können. „Oh. Mein. Gott. Das ist unbeschreiblich.“, sagte sie schließlich atemlos und staunte weiter. Und das war es wirklich! Unbeschreiblich romantisch, unbeschreiblich kitschig, unbeschreiblich schön, unbeschreiblich klischeehaft, unbeschreiblich süß… unbeschreiblich eben. „So wie du für mich.“, erwiderte ihr Verlobter geschwollen. Sie hätte aus dem Häuschen sein müssen und sollte sich freuen wie eine Schneekönigin; so etwas Romantisches kannte man nur aus Liebesfilmen oder Romanen; das gab es nicht im echten Leben. Wie einst versprochen, wollte Takuro ihr offensichtlich wirklich die Welt zu Füßen legen. Wenn, ja wenn… es nicht immer auch ein Aber gäbe. Ihr Herz, das angesichts dieser Überraschung wie wild schlug, konnte sich trotzdem nicht dafür erwärmen. Ihre Augen und ihr Kopf sagten “wow“, aber in ihr drin blieb alles stumm. Nichts regte sich, dabei würde jede andere Frau ausflippen und ihm in die Arme springen. Als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihr bewusst, dass er wahrscheinlich auch genau das, in diesem Moment, von ihr erwartete. Wie ferngesteuert wirbelte sie herum und warf sich Takuro überschwänglich an den Hals, bevor der magische Moment vorüber war. „Es ist wunderschön!“, säuselte sie so überzeugend, wie sie nur konnte. Der Schwarzhaarige stolperte einen Schritt zurück, als ihr Gewicht ihn traf, aber legte dann auch seine Arme um sie und tätschelte ihr Haar. „Ich bin so glücklich, dass es dir gefällt. Das war mein Wunsch.“ Momoko biss sich auf die Unterlippe. Sie hasste sich dafür, dass sie ihm etwas vormachen musste, damit er nicht enttäuscht war. Es war genau wie mit dem Date; es war perfekt gewesen, aber nicht für sie… und warum das so war wusste sie selber nicht. War es zu viel des Guten? Mit Sicherheit, aber das war nicht der Grund. »Ich liebe ihn nicht! Noch nicht…« Sie konnte nicht erzwingen etwas wegen dieser Überraschung für ihn zu empfinden, wenn die Voraussetzung dafür fehlte. Zu ihrem Glück hatte Takuro keine Kontrolle über ihren Kopf. Dass ihre Gedanken zu ihren Handlungen, ihm gegenüber, in einem einzigen Widerspruch zueinander standen, würde ihn zutiefst verletzen. „Na dann...“, setzte er an und löste ihre Umarmung, „Mach dich mal bettfertig. Wo das Bad ist weißt du ja schon vom letzten Mal.“ Erleichtert, dass der zärtlich anmutende Augenblick vorbei war, atmete sie aus und nickte bestätigend. „Vielen Dank. Ich bin immer noch ganz überwältigt.“ „Das ist alles, was zählt.“, sagte er und zwinkerte ihr vielsagend zu. „Dann gute Nacht?“ „Gute Nacht, Liebste.“ Er setzte an sie zum Abschied zu küssen, als kurz bevor sich ihre Lippen trafen Momokos Handy laut piepte. »Shit!«, schrie ihre innere Stimme. Sie beide schauten gleichzeitig auf die am Boden liegende Tasche, aus der das unüberhörbare Geräusch gekommen war. „Was war denn das?“, fragte Takuro irritiert. „Ach, das ist nur mein nerviger Klingelton für Kurznachrichten. Den sollte ich dringend ändern.“, versuchte sie ganz lapidar klingend zu erklären. Tatsächlich aber schoss ihre Herzfrequenz sprungartig in die Höhe. „Wer schreibt dir denn um diese Uhrzeit noch eine Nachricht?“, hinterfragte der Schwarzhaarige. „Bestimmt nur eine Freundin. Das wird nichts Wichtiges sein.“, versuchte sie lächelnd abzulenken. Ihr Gegenüber sah sie prüfend an. „Wenn dir jemand jetzt noch schreibt, dann ist es ganz sicher wichtig. Sieh lieber mal nach.“, ermutigte er sie milde lächelnd. Momoko erwog ihrem Verlobten zu widersprechen, befürchtete aber damit seinen Unmut auf sich zu ziehen. „Ok, wenn du meinst.“, gab sie nach. Mit schwitzigen Fingern fummelte sie an einer kleinen Seitentasche herum und zog ihr Smartphone heraus, das aufgeregt blinkte. Als sie sich wieder aufrichtete und nachsehen wollte, wer geschrieben hatte, glaubte sie ihr Magen würde sich umdrehen. Nur eine ganz bestimmte Person schrieb um diese Uhrzeit noch Nachrichten an sie. „Was ist denn?“ Takuro holte sie aus ihrer Starre zurück, in der sie, ohne das Handy zu bedienen, einfach nur das noch immer dunkle Display anstarrte. „Gar nichts, ich hab nur kurz geträumt.“, erklärte sie hektisch. Momoko kam nicht drum herum die Nachricht abzurufen, also entsperrte sie ihren Bildschirm mit einem Fingerwisch und las mit angespanntem Blick die Nachricht. Zu lange, für den Geschmack ihres Freundes. „Und? Wer ist es denn nun?“, wollte er ungeduldig wissen. Seine Verlobte schaute ihn nichtssagend an. Er konnte nicht ahnen, wie ohnmächtig sie in diesen Sekunden vor Angst war. „Äh…“ Sie kam nicht mehr dazu etwas zu erwidern, denn der Dunkelhaarige nahm ihr mit ungerührt fröhlicher Miene das Handy aus der Hand. Trotz das er lächelte, wirkte der Ausdruck in seinen Augen kalt. Der Blick, mit dem er ihr begegnete, sagte alles. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihm zu haben; gar keine! Er runzelte die Stirn beim Lesen der Nachricht; Momokos Nerven waren zum Zerreißen gespannt. „Was ist das denn?“, begann er und las dann vor. „Hi M! Ich habe heute noch gar nichts von Dir gehört, alles ok? Wie war Dein Tag? LG Y.“ Wieder sah er die Eigentümerin des Telefons skeptisch an. „Wer bitteschön ist “Y.“, Momoko?“ Kapitel 45: Unspoken -------------------- Ein Buchstabe mit einem Punkt dahinter machte den feinen aber klaren Unterschied, zwischen einer totalen, zwischenmenschlichen Apokalypse und einer nur mittelschweren Katastrophe, aus. Momoko versuchte sich nach außen hin ganz ruhig zu geben, noch gab es schließlich keinen Grund für Panik. »Es ist nur die Abkürzung eines Namens, nichts weiter!«, sagte sie sich in Gedanken. Sie atmete entspannt ein und aus, straffte ihre Haltung und sah ihrem Verlobten direkt in die Augen. Noch immer misstrauisch, lächelte er trotzdem weiter scheinheilig. „Das ist eine Klassenkameradin von mir. Du kennst sie nicht.“, antworte die junge Frau schließlich. Takuros Augen zuckten ungläubig und prüften noch mal den gemailten Text. »Unglaublich! Er traut mir nicht! Wonach sucht er?« „Und wie heißt sie ausgeschrieben?“, hinterfragte er streng. Die Rosahaarige zögerte nicht lange. „Yuko.“ Ihre prompte Antwort schien den Schwarzhaarigen zu verblüffen, aber nicht vollends zufrieden zu stellen. „Aha. Yuko also. Du hast noch nie von ihr erzählt.“ Schnaubend verschränkte Momoko ihre Arme. „Weil es nichts zu erzählen gibt. Wir gehen einfach nur in dieselbe Klasse.“ Takuro schob die Brille hoch auf seine Nase. „Dafür klingt ihre Nachricht aber ganz schön interessiert. So als wärt ihr enger befreundet.“, hakte er kühl nach. Die schmalen Finger seines Gegenübers gruben sich verärgert in ihre Oberarme. „Ich weiß. Sie bildet sich ein wir wären enger befreundet, als es eigentlich der Fall ist. Sie ist etwas vorlaut und neugierig, deswegen sucht sie ständig Anschluss. Im Grunde ist sie aber ok und wir schreiben uns deswegen manchmal. Auch wegen Hausaufgaben und so.“ Eine Lüge nach der anderen flatterte seiner Verlobten zu; fast schon natürlich gingen ihr diese Geschichten über die Lippen. Es war ein großes Glück, dass sie Yuko schon zuvor - wenn auch unfreiwillig - zu einer Mitverschwörerin von sich gemacht hatte. Sollte es also dazu kommen, dass Takuro diesen Umstand überprüfen wollte, würde ihre Klassenkameradin sie bestimmt decken. Allmählich bröckelten die Zweifel ihres Freundes; seine Haltung entspannte sich und der warme Glanz in seinen Augen kehrte zurück. „So warst du schon immer. Nett zu denen, die von anderen missverstanden wurden.“, entgegnete er lächelnd. „Deswegen habe ich mich schon damals in dich verliebt.“ Momoko blickte schuldbewusst weg. Sie heftete ihren Blick an das Handy, das er immer noch in seiner Hand hielt. Hätte sie damals in der Mittelschule geahnt, was es für ihre Zukunft bedeute, dass sie neben Hinagiku als einzige nett zu dem allseits gemobbten Streber Takuro Amano war, hätte sie möglicherweise in manchen Situationen anders gehandelt. „Alles in Ordnung?“ „Oh, entschuldige. Ich war kurz in Gedanken. Kann ich mein Handy jetzt wieder zurück haben?“ Sein Ausdruck wurde etwas finster, aber er reichte ihr das Telefon kommentarlos. Er hatte auf seine romantische Phrase wahrscheinlich eine andere Reaktion erwartet. „Ich habe dich schon wieder verärgert, oder?“ Ihre blauen Augen trafen auf seine rotbraunen. Sie schluckte und ein Moment der Stille verstrich, ehe sie zögerlich nickte. „Es kränkt mich, dass du mir so wenig vertraust und mich wegen einer simplen Textnachricht ins Kreuzverhör nimmst.“ Er wollte etwas entgegnen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. Wenn sie schon die Chance hatte etwas zu sagen, dann wollte sie die Situation auch voll zu ihrem Vorteil ausnutzen. „Und das in dieser Umgebung! Du hast dir so viel Mühe gegeben, mir einen schönen Abend zu bereiten und dann ruinierst du alles auf dem Höhepunkt deiner Überraschung durch so etwas Albernes…“ Sie betonte es extra dramatisch und setzte eine enttäuschte Miene auf. Es widerstrebte ihr sehr, Takuro derartig etwas vorzumachen, aber hatte sie eine andere Wahl? Er ließ ihr keine; sie musste alle Register ziehen, wenn sie wieder mehr Freiheiten in dieser Beziehung wollte. Ihre Masche zog und der unsichere, vorsichtige Takuro von früher stand wieder vor ihr und schaute sie trübsinnig an. „Das… das tut mir leid. Du hast Recht, ich hätte es einfach lassen sollen. Ich hätte dich auch später noch fragen können. Bitte, Momoko… sei nicht böse deswegen. Dieser Abend soll nicht mit Groll oder Streit enden.“ Nachgiebig schüttelte sie den Kopf. „Schon gut. Ich verstehe dich ja.“, gab sie vor. Das war Phase zwei. Erst verursachte man Schuldgefühle und dann kam man mit Verständnis; das funktionierte fast immer. „Morgen gebe ich mir noch mehr Mühe, in Ordnung?“ Takuro griff nach ihrer beringten Hand und streichelte über ihre Fingerknöchel. Fast so wie es Yosuke manchmal tat. Unwillkürlich errötete sie bei dem Gedanken daran. Ihr Gastgeber missinterpretierte das und lächelte glücklich. „Na dann… schlaf gut und bis morgen.“ Er küsste sie flüchtig auf die linke Schläfe und ließ dann von ihr ab. Momoko sah ihm nach, als er winkend hinter sich die Tür zu ihrem Zimmer schloss. Ihr Blick blieb an dem Schlüssel hängen, der auf ihrer Seite des Schlosses steckte. Unbewegt harrte sie zehn Sekunden aus, die sie in Gedanken runter zählte, ehe sie fast schon sprintartig zur Tür hastete und abschloss. Sie atmete laut aus und lehnte sich seufzend gegen das glatte Holz. Ihre Anspannung hatte sich schlagartig gelöst, als sie sich sicher war, dass ab nun niemand mehr ungebeten in ihr Zimmer kommen konnte. »Wie ich diese Überwachung hasse!« Doch für den restlichen Abend war sie davon befreit. Da war sie sich sicher. Momoko hob ihr Handy hoch und betrachtete es nachdenklich. Es war an der Zeit dem Auslöser für diese Aufregung zu antworten, doch andererseits hatte sie ja eigentlich vorgehabt duschen zu gehen… Sie stellte sich vor nur mit einem Handtuch umwickelt über den langen Flur zum Bad und anschließend zurück zu schleichen. Nicht, dass sie Takuro voyeuristische Absichten unterstellte, aber angesichts der jüngsten Umstände war sie, so oder so, nicht wild darauf ihm noch mal zu begegnen. Entschlossen verwarf sie ihr Vorhaben und schüttelte den Gedanken ab, mit dem sie gleichzeitig auch einen unangenehmen Schauer los wurde. Die Rosahaarige ließ das Telefon in ihrer Hand wieder sinken und sah sich erneut in dem Zimmer um. All die Blumen und Kerzen; der drückend, warme Duft und die Stimmung, die all das verbreitete, missfiel ihr plötzlich so sehr, dass der Drang, es zu vertreiben, in ihr übermächtig wurde. Sie wollte das alles nicht! Schnell schritt sie auf das Bett zu, wo sie ihr Handy zunächst fahrig auf den Nachttisch knallte und dann, auf eine wüterische Weise, achtlos sämtliche Dekokissen von der Decke nahm und hinter sich in den Raum warf. Als nächstes riss sie die gesteppte Tagesdecke mit dem Rosenblätterherz herunter und lies sie ans Fußende fallen. Angestrengt atmend fuhr sie sich durch ihr Haar und begann dann sämtliche Kerzen im Raum auszublasen. Eine Wolke aus schwerem Schwefeldunst breitete sich aus und vermischte sich mit dem Rosenduft, doch Momoko bahnte sich im Dunkel der Nacht bereits stolpernd einen Weg durch die verteilt auf dem Boden liegenden Kissen Richtung Fenster, wo sie schließlich die wuchtigen Vorhänge zurück zog und zwei große Flügelfenster öffnete. Frische, klare Nachtluft wehte herein und blies durch ihr offenes Haar. Sie schloss die Augen, als sie ihr Gesicht dem Mondlicht entgegen reckte. Vor dem Fenster war das schmiedeeiserne Geländer eines französischen Balkons, auf das sie ihre Hände legte. »Ich will nicht hier sein…« Eine plötzliche Melancholie ergriff Besitz von ihr. So würde also ihr Leben aussehen? Sie schaute in die Sterne und dann über den akkurat getrimmten Rasen und die zu steifen Figuren beschnittenen Sträucher des Gartens, der an dem übertrieben hohen Sicherheitszaun des Gründstückes endete. Dahinter lag die Aussicht auf ihre kleine Stadt, in der sie aufgewachsen und zuhause war. „Jetzt verstehe ich, warum die, die alles haben, am einsamsten sind…“, murmelte sie leise und traurig vor sich hin. So weit weg von allem was sie kannte und ausmachte, kam sie sich unbedeutend und klein vor. So wie immer, wenn sie hier war oder Takuro sie in seine Welt entführte. Sie vermisste ihren Vater jetzt noch viel mehr, ebenso Yuri und Hinagiku… all jene, die sie liebte. Niemand bemerkte wie unglücklich sie hinter der Fassade war, die sie zum Schutz vorzeigen musste. »Außer ihm.« Als Momoko an Yosuke dachte flatterte ihr Herz aufgewühlt. Sie drehte sich zurück zum Zimmer und sah im Dunklen das Aufleuchten des Handydisplays, der das Mondlicht reflektierte. Die junge Frau ging zurück zum Bett, nahm das Telefon in die Hand und ließ sich langsam auf das riesige Bett sinken. Mit den Knien fast schon unter dem Kinn, begann sie endlich eine Antwort auf seine letzte Nachricht zu schreiben. >>>Hi Y.<<< Lange blinkte der Curser hinter diesen drei Buchstaben. Sie hielt ihren Daumen lange über die Tasten erhoben, aber ihr wollte einfach nicht einfallen, wie oder womit sie anfangen sollte. In ihrem Kopf ging grad so viel vor und außerdem spielten ihre Gefühle verrückt. Es war nicht genug Raum da, um in einer Kurzmitteilung zu erklären, was passiert war. Doch telefonieren ging auch nicht. Nach weiteren ungezählten Minuten gab sie es auf und setzte hinter ihre paar Buchstaben nur noch drei bedeutungsschwangere Punkte, die alles und doch nichts sagten. »Vielleicht schläft er ja auch schon… was soll’s…«, dachte sie missmutig, richtete sich auf und begann sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Da piepte ihr Handy wieder lautstark, sodass sie sich erschrocken auf das kleine Gerät stürzte, als wollte sie es mit beiden Händen auf dem Bett erdrosseln. Mit heftigem Herzrasen blieb sie darauf liegen und rührte sich nicht. Sie lauschte, ob es im Flur vor ihrer Tür irgendwelche Geräusche gab, die darauf hinweisen könnten, dass Takuro sein Zimmer verlies. Doch alles blieb still. „Gott! Ich werde schon langsam paranoid!“, knurrte sie leise und stellte als erstes ihr Handy auf lautlos. Momoko kroch unter ihre Decke und öffnete dann die Nachricht. >>>Was ist passiert?<<< Drei Worte, die ihre Gefühle noch mehr durcheinander warfen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und gleichzeitig lächelte sie glücklich. Drei kleine Punkte hatten gereicht; Yosuke musste nicht fragen, ob etwas los war und er machte auch keine verwunderten Kommentare oder Sonstiges. Er wusste einfach, dass etwas passiert war und wollte für sie da sein. Sie sah seinen ernsten, besorgten Ausdruck vor sich; wie sich seine braungrünen Augen verdunkelten und er die dichten Augenbrauen zusammen zog, während sein Blick bis hinunter in ihre seelischen Abgründe schaute. Die Tränen kullerten stumm über ihre Wangen, obwohl sich eine angenehme Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Verwirrt legte sie eine Hand auf ihre Brust, in der es sich schmerzhaft zusammen zog. Sie freute sich über seine Nachricht und sein Interesse, aber trotzdem war ihr elend zumute. Er war nicht hier, konnte ihr jetzt nicht helfen und ihre akute Einsamkeit beenden… sie war einfach durch, ihre Nerven waren mal wieder am Ende. Sie reagierte wegen nichts emotional. Einfach, weil sie grad in diesem Moment wieder alles satt hatte und am liebsten laut schreien wollte. Sie wollte über das Fenster hinaus klettern und davon rennen. Momoko stellte sich vor wie es wäre, bei Nacht und Nebel einfach durchzubrennen und nie mehr zurück zu kommen. Der Gedanke war beängstigend und trotzdem gleichzeitig irgendwie befreiend. »Ob es Mama genauso gegangen ist, als sie fort ging?« Darüber hatte sie nie nachgedacht. Überhaupt dachte sie nicht mehr oft an ihre Mutter, seit sie älter geworden war. Ihr Vater sprach auch nie von den Gründen, wegen denen sie damals weggegangen war. Alles was sie wusste war, dass er trotz allem stets gut von ihr sprach und anscheinend auch keinen Groll gegen sie hegte… das hatte sich erst mit dem Alkohol geändert. »Aber ich bin nicht so…« Sie würde nicht weggehen und ihm im Stich lassen, nur damit sie frei von Verantwortung war. Niemals. Ein leiser Schluchzer drang aus ihrer Kehle, während ihr Handy aufgeregt blinkte. Yosuke hatte in der Zwischenzeit eine weitere Nachricht geschrieben. >>>Zwing mich nicht, mich wieder davon zu stehlen und mit Steinen an dein Fenster zu werfen.<<< Momoko konnte nicht anders als gequält aufzulachen. Sie schrieb ihm umgehend zurück. >>>Damit wirst du dieses Mal auch keinen Erfolg haben. Ich bin nicht Zuhause.<<< Natürlich kam die Antwort darauf umgehend. >>>Wo bist du? Was ist passiert? Ich meine das ernst!<<< Traurig schaute die Blauäugige auf das Chatfenster. Sie wollte ihm nicht erzählen wo sie war und warum es ihr schlecht ging. Letzteres wusste sie im Moment selber nicht mal ganz genau. Doch sie hatte angefangen ihn neugierig zu machen und es war nur fair, wenn sie ihm jetzt auch die Infos lieferte, die er haben wollte. >>>Ich bin bei Takuro. Bzw. mit ihm in dem Haus seiner Verwandten. Alles etwas schwierig per Chat zu erklären… Ich übernachte hier. Wir fahren morgen gemeinsam meinen Vater besuchen.<<< Sollte sie erwähnen, dass sie in getrennten Zimmern schliefen? Oder konnte er sich das denken, wenn sie ihm schließlich gerade jetzt schrieb? Sie schüttelte den Kopf; das ging ihn doch gar nichts an! Momoko drückte auf senden. Es trat das ein, was sie insgeheim befürchtet hatte; Yosuke antwortete daraufhin nicht mehr. Mutlos ließ sie irgendwann, nach vielen ungezählten Minuten, das Smartphone aus ihrer Hand auf das Laken gleiten und starrte leer nach draußen. Gespenstig wölbten sich die Gardinen in dem lauen Wind, der noch immer den schweren Duft aus dem Raum trug. Er und das Mondlicht waren irgendwie tröstlich in diesem einsamen Zimmer, das sich wie ein Gefängnis anfühlte. Plötzlich lachte sie stumm in sich hinein, denn ein bisschen kam sie sich wie Rapunzel in ihrem Turm vor – die Ironie dabei entging ihr nicht. Die junge Frau zuckte zusammen, als ihr Handy brummend zu erzittern begann. Yosuke machte sich nicht mehr die Mühe zu schreiben, er rief an! Mit großen Augen starrte sie unschlüssig auf das Display und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie nahm ab und begann hinter vorgehaltener Hand zu flüstern. Misstrauisch duckte sie sich von der Zimmertür weg, obwohl sie diese abgeschlossen hatte. „Schhhh! Du kannst mich doch nicht einfach so anrufen!“, hauchte sie klagend in das Mikro. Momoko klang zwar ermahnend, aber innerlich freute sie sich sehr darauf seine Stimme zu hören. „Tut mir leid, aber deine Nachrichten haben mir keine Ruhe gelassen.“, erklärte er ruhig und ebenfalls flüsternd. Sie schloss die Augen und lächelte. „Du bringst uns beide noch mal in Teufels Küche.“, schimpfte sie halbherzig weiter. Man konnte ihn daraufhin am anderen Ende förmlich schmunzeln hören. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass du das jetzt brauchst. Sonst wärst du nicht rangegangen.“ Er verpackte es so, als wollte er sie aufziehen, doch die ernste Spur in seinen Worten war nicht zu überhören. Zu ihrem Glück sah er nicht, dass sich ihre Augen vor Ergriffenheit mit Tränen füllten. Er hatte ja so Recht… Momoko stand auf und schlich zum Fenster zurück, wo sie gedankenversunken in die Ferne blickte. Ihr Gesprächspartner war irgendwo da draußen zwischen all den Häusern. „Sag mal wo bist du, dass du mich überhaupt anrufen kannst?“, wechselte sie das Thema, nach mehreren Augenblicken des Schweigens. „Ich stehe unten vor meinem Wohnhaus im Freien. In Pyjamahose, wie findest du das?“, scherzte er über sich selbst. Tatsächlich lachte sie leise. „Lass dich so nur nicht von deinen Nachbarn sehen, sonst denken sie noch, Hiromi hätte dich nach einem Streit rausgeschmissen.“, witzelte sie. Jetzt lachte er amüsiert. „Das macht nichts, dann schiebe ich es auf ihre Hormonschwankungen.“ Sie kicherten leise zusammen bei dem Gedanken an so ein Szenario, wussten sie doch beide, dass sich der jeweils andere das Ganze ebenfalls bildlich vorstellte. „Und du? Wo bist du und was machst du gerade?“ Momoko schaute reflexartig an sich herunter und errötete abrupt. „Ich… ich stehe am Fenster eines Gästezimmers und schaue auf die Lichter der Stadt.“, stotterte sie hektisch. „Sicher? Du klingst, als wärst du gerade halbnackt über einen öffentlichen Rasen geflitzt.“ Ihr Gesicht lief hochrot an vor Scham. Yosuke lag daneben, aber er ahnte nicht wie knapp! Immerhin seine Bemerkung über ihr Outfit stimmte schon mal. „Bin ich aber nicht!“, protestierte sie piepsend, so gut es eben im Flüsterton ging. Ihr Gesprächspartner lachte tief und kehlig ins Telefon hinein. „Schon gut, es war doch nur ein Spaß, Pfirsichtörtchen.“ Aus dem Puterrot wurde ein schüchternes Rosa, das auf ihren Wangen zurück blieb. „So hast du mich lange nicht mehr genannt.“, wollte sie sagen, doch sie verkniff es sich und kaute stattdessen nervös auf ihrer Unterlippe herum. „Ist alles in Ordnung?“ Die Blauäugige horchte kurz auf und analysierte dann ihren Gemütszustand. Der Knoten in ihrer Brust war unbemerkt einem Gefühl von Leichtigkeit gewichen. Ein warmes Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr klar wurde, dass ihre Traurigkeit verschwunden war. „Ja, jetzt schon.“, antwortete sie ehrlich. „Was war denn los?“ „Ach… Takuro hat mitten in einer fürchterlich romantischen Situation deine Kurznachricht mitbekommen. Er hat darauf bestanden zu erfahren wer mir schreibt und hat sich dann mein Handy gegriffen.“ Sie hörte wie Yosuke auf der anderen Seite scharf die Luft einzog und gespannt anhielt. „Keine Panik. Ich habe ihn davon überzeugen können, dass “Y.“ meine Klassenkameradin Yuko ist. Ich bin also davon gekommen. Trotzdem war es ziemlich… ätzend, wie sehr er mich deswegen unter Druck gesetzt hat. Allein dass er überhaupt darauf bestand, dass ich ihm mein Handy zeige…“ In den nächsten Minuten hörte der Torwart ihr einfach geduldig zu und ließ sich schildern, was genau vorgefallen war. Es war ihm anzuhören das er erleichtert darüber war, dass er seinen Namen abgekürzt und nichts weiter Verdächtiges geschrieben hatte. „Das hätte tatsächlich ins Auge gehen können.“, schloss er. „Ja… wir müssen noch mehr aufpassen. Wenn ich deine Nummer unter deinem vollen Namen eingespeichert hätte, wäre er durchgedreht. Aber wir müssen auch darauf achten wie und was wir schreiben, bevor wir sicher sein können, dass der andere auch gerade so antworten kann, wie er möchte.“ „Du meinst unbeobachtet? Klar, ich frage ab jetzt nur noch, ob du grad Zeit und Lust zum Texten hast.“ „Das ist bestimmt das Sicherste.“ Bitterkeit hatte sich in ihren Tonfall gemischt. Momoko seufzte. „Was ist los?“, hinterfragte Yosuke, dem das nicht entgangen war. „Nichts… es ist nur unheimlich anstrengend, das alles… Eine Woche erst und ich bin schon von der ganzen Heimlichtuerei genervt.“ „Hm… du bist gestresst. Das bin ich auch! Hiromis Bemühungen in allen Ehren, aber dieses Geklette manchmal…“, beklagte er sich und setzte in Ihr Seufzen mit ein. Die junge Frau nestelte verträumt am Stoff der Vorhänge herum, während sie einander vielsagend anschwiegen. Was er wohl in diesem Moment dachte? Etwas in ihr wollte „Ich vermisse dich.“ oder „Du fehlst mir.“ sagen, doch auch das verbot sie sich entschlossen. »Am Ende denkt er noch, ich steigere mich zu sehr in diese Sache hinein!«, maßregelte Momoko sich selbst. Doch es war wahr; seine Gegenwart und Nähe fehlte ihr. Mit ihm zu telefonieren war schön und beruhigte ihre Nerven, aber es war nicht dasselbe. „Wenn du morgen mit Takuro deinen Vater besuchst, wie sieht es dann mit Sonntag aus? Besteht die Chance, dass dir dein Verlobter einen freien Tag einräumt?“ Ihr ruheloses Herz beschleunigte sein Tempo. Yosuke fragte sie nach einem Treffen? Konnte er ihre Gedanken lesen, oder war das nur ein Zufall? „Ich weiß nicht… schon möglich. Vielleicht.“, antwortete sie bemüht gelassen. Innerlich jubelte ein kleiner Teil von ihr bereits vorfreudig aus vollem Halse. „Vielleicht reicht mir.“ Wieder sah sie sein schiefes Grinsen vor ihrem inneren Auge. „Okay, aber ich kann noch nichts Genaues sagen…“ „Das macht nichts. Lass uns morgen schreiben oder telefonieren, wenn wir beide wieder können. So langsam wird es nämlich kalt hier draußen, so ohne T-Shirt.“ „Glaub mir, das kann ich sehr gut nachvollziehen.“, entgegnete sie und fröstelte wie auf Bestellung im frischen Wind. „Dann bis morgen. Bye.“ „Bye.“ Yosuke legte auf und reckte seinen Hals zum Himmel, wo zwischen den Hochhäusern ein kleines Stück des Mondes Licht auf ihn warf. Er lächelte ihm entgegen, denn es fühlte sich an, als ob der Mann im Mond ihm seinen Segen für seine spontane Idee gegeben hätte. Der Gedanke, Momoko nach den Geschehnissen der letzten Tage eventuell wiederzusehen, ließ ihn seine Sorgen fast vergessen. Mit Leichtigkeit im Herzen und durchströmt von dem aufregenden Kribbeln der Vorfreude, trat er zurück in sein Wohnhaus und machte sich wieder auf in seine Wohnung, in der die längst schlafende Hiromi und sein vertrautes Sofa auf ihn warteten. Momoko am Rande der Stadt fiel mit demselben warmen Gefühl und einem Lächeln auf den Lippen, in einen ruhigen, traumlosen Schlaf. Kapitel 46: Father and daughter ------------------------------- Ihren Vater, nach drei schier endlos wirkenden Wochen, endlich wieder in die Arme zu schließen, löste ein emotionales Hochgefühl im Momoko aus. „Du hast mir gefehlt, Papa.“, nuschelte sie glücklich an seine breite Brust gedrückt. „Und du mir erst, Kleines.“ Liebevoll strich Shôichirô ihr über den Rücken. Sie lächelte erleichtert und blinzelte ein paar Freudentränen weg, als sie die Umarmung lösten. „Du strahlst ja diesmal richtig, Momoko. Ich darf wohl annehmen, dass es Dir gut geht?“ Seine großen, warmen Hände ruhten noch auf ihren Schultern, wo er sie mit seinen Daumen unentwegt streichelte. Seine Tochter nickte bestätigend. „Ja, natürlich. Und dir?“ Tatsächlich war sie an diesem Morgen gut gelaunt aufgestanden. Der Kummer und die Sorgen des Vorabends waren vergessen oder zumindest unter Kontrolle. Allein der Gedanke an den nächsten Tag zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht. Ihren Vater wohlauf zu sehen, tat sein Übriges dazu. „Wollen wir uns nicht setzten?“, unterbrach Takuro den kurzen Smalltalk. Mit einer höflichen Handbewegung deutete er auf einen freien Tisch in ihrer Nähe. Sie waren auch diesmal wieder in dem großzügigen Besuchsraum der Klinik, in der auch an diesem Samstag ein angeregtes Treiben herrschte. Wortlos folgten Momoko und ihr Vater Takuros Hinweis und ließen sich auf die bequemen Sessel, um einen kleinen, flachen Tisch herum, sinken. Immer wieder musterte die junge Frau ihren Vater zufrieden. Er wirkte viel kräftiger und weniger ausgezehrt als noch beim letzten Mal. Seine gesunde Gesichtsfarbe war zurückgekehrt, ebenso der lebendige Glanz in seinen gutmütigen Augen. „Stimmt etwas nicht, Momoko?“ Ertappt blinzelte sie sich zurück in die Realität. „Entschuldigung! Mir fällt nur auf, wie gut du inzwischen aussiehst!“ Charmant lächelte sie ihre Verlegenheit weg. Shôichirô lachte leise. „Danke für das Kompliment.“, scherzte er. „Ich muss mich Momoko anschließen, Sie sehen wirklich sehr viel besser und erholt aus, Hanasaki-san.“ Der breitschultrige Erwachsene winkte ab. „Oh bitte, Takuro! Über diese Höflichkeitsfloskeln sollten wir doch längst hinweg sein. Du musst mich nicht bei meinem Nachnamen nennen, sag einfach Shôichirô zu mir. Schließlich gehörst du schon so gut wie zur Familie.“ Mit vor Stolz geschwellter Brust erwiderte der Schwarzhaarige das ehrliche Lächeln seines künftigen Schwiegervaters. Momoko strahlte unentwegt weiter und ließ sich nicht anmerken, dass sie der Gedanke an diese Tatsache nervös machte. „Papa, jetzt erzähl schon, wie ist es dir hier ergangen?“, kehrte sie zügig wieder zum eigentlichen Thema zurück. „Es geht mir von Tag zu Tag besser. Der Entzug war hart, aber noch schwerer ist es der Versuchung zu widerstehen, rückfällig zu werden. Es gibt zwar hier natürlich keinen Alkohol, aber der Gedanke daran, die Lust darauf, ist manchmal trotzdem da. Ich muss noch daran arbeiten mit diesen Gedanken umzugehen. Deswegen bekomme ich auch psychotherapeutische Betreuung, damit ich bald wieder in der Lage bin am richtigen Leben teilzunehmen.“ Momoko horchte sofort aufgeregt auf. „Heißt das, du kannst vielleicht bald nach Hause?“ Sie klammerte sich an die Sessellehnen wie an die leise Hoffnung, dass sie sich nicht nur verhört hatte. Ihr Vater lächelte schief und nickte vielversprechend. „Das ist ja großartig!“, jubelte die Blauäugige unverhohlen und schlug dabei glücklich die Hände vor ihrem Gesicht zusammen. „Schhhh, Momoko! Sei nicht so voreilig, bald heißt noch nicht heute oder morgen. Bald ist bald. Ein paar Wochen muss ich schon noch bleiben, aber die Ärzte hier sind zuversichtlich, dass ich den Sommer schon wieder zuhause verbringen kann.“ Sein Versuch, ihre Euphorie zu bremsen, blieb erfolglos. Es spielte keine Rolle ob morgen oder erst in einigen Wochen; zum Sommer hin reichte ihr völlig. Überhaupt die Tatsache, dass er sein Problem überwinden lernen- und bald wieder als ihr vertrauter, liebevoller Vater zu ihr heimkehren würde, machte sie glücklicher und hoffnungsvoller als alles andere, was sie in den letzten Wochen und Monaten erlebt hatte. „Das ist so schön, ich freue mich so!“, hauchte sie und kämpfte erneut mit Freudentränen. Takuro neben ihr streichelte liebevoll ihre rechte Schulter. „Momoko vermisst Sie… äh, dich… sehr.“, versuchte er stammelnd zu erklären. Shôichirôs Miene wurde schwermütig. „Ich weiß… Das Einzige, was mich das hier durchstehen lässt, ohne vor Sorge um meine Tochter verrückt zu werden, ist, dass ich weiß, dass du bei ihr bist und auf sie für mich aufpasst.“ Momoko schluckte schwer. Eine Sekunde lang versteifte sie sich, ehe sie sich aufrappelte und einen verliebten Augenaufschlag in Takuros Richtung warf. Er bemerkte ihre gekünstelte Reaktion nicht, aber als ihr Blick wieder den ihres Vaters streifte, erkannte sie einen Augenblick lang Skepsis in ihm. »Mist!« „Takuro, du warst doch schon beim letzten Mal so nett; würdest du uns allen vielleicht auch diesmal wieder etwas zu Trinken besorgen, damit Momoko und ich ein paar Minuten für uns haben? Schließlich hast du im Moment deutlich mehr von ihr, als ich.“ Natürlich sprang der schlaksige Brillenträger sofort gehorsam auf. „Selbstverständlich! Wieder einen Kaffee, so wie damals?“, fragte er stocksteif nach. „Ja bitte, das hast du dir gut gemerkt. Schätzchen, du nimmst sicher wieder eine heiße Schokolade?“ Sie nickte nur eifrig. Eine mit ordentlich Schuss, zum Mut antrinken, wäre ihr jetzt am liebsten gewesen. Der Blick ihres Vaters verhieß schon wieder nichts Gutes und das hatte schon fast etwas von einem Déjà-vu. „Dann bis gleich.“, verabschiedete Takuro sich knapp, hauchte Momoko noch einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe und verschwand dann. Als er außer Sichtweite war, entspannte sich Shôichirôs Gesichtsausdruck merklich und er lehnte sich seufzend zurück. „Für die ersten Minuten hast du mich tatsächlich glauben lassen, dass er der Grund dafür ist, dass du so strahlst.“ Das Herz der Langhaarigen rutschte ihr in den Schoß. „Hm? Warum sollte das auch nicht so sein?“, wehrte sie bemüht gelassen ab. Ihr Gegenüber zog die Stirn in Falten. „Momoko. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich mir nicht den Kopf über dich und Takuro zermartert habe, seit du mir vor drei Wochen eröffnet hast, dass ihr heiraten werdet. Er ist ein feiner junger Kerl, ambitioniert und klug, aber mal ganz ehrlich… so jemand war doch nie der Typ Junge, der dich angesprochen hat.“ Unglaublich! Da hatte ihr Vater seine ganze Zeit damit verbracht, ihre Beziehung zueinander anzuzweifeln, obwohl sie das letzte Mal das Gefühl gehabt hatte, er hätte die scheinheilige Geschichte geschluckt? Nervös spielte sie an ihren Fingernägeln herum. „Das weißt du doch gar nicht, schließlich hatte ich vor ihm doch noch nie einen festen Freund!“ Der dunkelhaarige Mann lachte amüsiert. „Aber ich kann mich noch sehr lebhaft an deine Pubertät und Schwärmereien erinnern. Takuros Name fiel dabei nie und er ging doch mit dir auf dieselbe Schule, oder? Zwischen dir und deinen Freundinnen waren eher Jungs wie dieser Yanagiba Thema gewesen.“ Momoko spürte, wie ihr Gesicht sich rot färbte. „Das ist doch schon Ewigkeiten her! Kazuya und Yuri sind längst ein Paar und außerdem… Geschmäcker und Vorlieben ändern sich eben.“, verteidigte sie sich wacker. Ihr Vater verschränkte die Arme und zog misstrauisch eine Augenbraue hoch. Spätestens jetzt war ihr klar, dass sie sich in einem ernsten Verhör befand. Es fehlte eigentlich nur noch die gleißende Hochleistungslampe, die anklagend auf sie gerichtet wurde. „Du redest davon, als wäre das alles unzählige Jahre her und du inzwischen uralt und weise. Du bist 18 Jahre jung. Willst du mir weismachen, dass sich mein Töchterchen in den letzten zwei bis drei Jahren so stark verändert hat? Von heut auf morgen? Habe ich tatsächlich so viel verpasst?“ Was sollte sie darauf antworten? Schweigend und schuldbewusst schaute sie auf ihre Finger, die ineinander verschränkt in ihrem Schoß lagen. Eine unangenehme Pause entstand. „Bitte bohr doch nicht immer nach, vertrau mir doch einfach.“, setzte sie flüsternd an. Überrascht schaute Shôichirô zu ihr hinüber. „Ich weiß, dass das alles komisch für dich sein muss. Ausgerechnet ich bin mit einem Streber verlobt und plötzlich sittsam geworden, aber warum ist das deswegen gleich unmöglich?“ Sie schaute wieder auf und ihre großen, blauen Augen sahen ihn tiefgründig und sehr, sehr erwachsen an. Es war, als würde ihm plötzlich nicht mehr sein eigenes Kind gegenüber sitzen, sondern eine andere, reife junge Frau, die sehr gut wusste, was sie tat. Unweigerlich musste er sich fragen, wann diese Verwandlung in Momoko stattgefunden hatte. „Ein geordnetes Leben ohne Ausschweifungen und Abenteuer ist vielleicht genau das Richtige für mich. Ich brauche etwas Sicheres und Handfestes, keine Albernheiten und Träumereien.“ Dieser Satz verwirrte ihren Vater ganz offensichtlich. Ob er drüber nachdachte, dass das eine Anspielung auf sein eigenes Leben gewesen sein könnte? Auf die gescheiterte Beziehung zu ihrer Mutter oder sein Alkoholproblem? Momoko versuchte nicht nachzugrübeln, ob sie etwas Falsches gesagt hatte. Wichtig war nur, dass er aufhörte ihre Entscheidungen anzuzweifeln und zu analysieren. Ehe er etwas erwidern konnte, schaute sich seine Tochter suchend um und ergriff selbst erneut das Wort. „Takuro braucht aber diesmal lange. Wo er wohl steckt?“ „Dann ist es wirklich das, was du willst? Du bist glücklich damit? Mit ihm?“ Shôichirô ließ sich nicht so schnell vom Thema ablenken, wie sie gehofft hatte. „Ja.“, antwortete sie wahrheitsgetreu. Takuro war nicht der perfekte Partner und schon gar nicht die Liebe ihres Lebens, aber genau das versprach ihr ein sicheres, angenehm leichtes Leben. Wo keine Liebe war, da konnte auch nichts verletzt werden. Glück lag definitiv im Auge des Betrachters. Ihr Herz bäumte sich widerstrebend bei diesem Gedanken auf, so als wollte es sie lautstark der Lüge strafen. Ein Bild flatterte ihr für den Bruchteil einer Sekunde durch den Sinn. Es war Yosukes Gesicht. Ihr Vater legte seinen Kopf schief, als er beobachtete, wie sie da gerade ins Grübeln geraten war. Etwas ging in ihr vor, aber er konnte nur ins Blaue hinein raten, was es war. „Kleines… ganz egal was du tust, ich werde immer sehr stolz auf dich sein. Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Auch wenn ich gerade den Eindruck habe, dass du schon sehr viel erwachsener bist, als ich es gerne wahr haben möchte. Aber du musst nicht alles was dich beschäftigt mir dir selbst ausmachen, nur weil du mich vielleicht schonen oder raushalten möchtest.“ Das waren Worte, die Momoko dazu brachten sich fest auf die Unterlippe zu beißen, weil sie an wunden Punkten in ihrem Inneren kratzten. Verstehend und beruhigend hob ihr Vater eine Hand. „Du musst nichts sagen, ich werde dir ab jetzt voll und ganz vertrauen. Ich möchte nur, dass du dir das erhältst, was dich so zum Strahlen bringt. Was oder wer das auch immer ist. Dieses Leuchten, was du da vorhin in den Augen hattest… das möchte ich auch in Zukunft noch an dir sehen.“ Er lächelte sanft und versöhnlich. Das Herz seiner verblüfften Tochter pochte aufgeregt. Ihre Augen leuchteten? Wie hatte er das gemeint? „Bei deinem letzten Besuch war das nicht so, da warst du eine andere.“, ergänzte er ganz so, als hätte er ihr ihre stumme Frage angesehen. Momoko war versucht etwas zu sagen, ihm etwas anzuvertrauen, das sie bis eben noch felsenfest unter Verschluss halten wollte, doch es kam, wie es in solchen Momenten immer kam; Takuro kehrte, längst überfällig, zu ihnen zurück. „Bitte entschuldigt, dass es diesmal so lange gedauert hat. Sage und schreibe zwei Automaten waren außer Betrieb! Ich habe mich durch die halbe Klinik fragen müssen, bis ich endlich einen funktionstüchtigen gefunden habe…“ Momoko nickte Takuros Ausführungen nur halbherzig ab. Sie war mit ihren Gedanken inzwischen ganz woanders, sodass ihre heiße Schokolade sogar gänzlich erkaltet war, als sie später ihren ersten Schluck davon nahm. Abwesend nahm sie den Smalltalk zwischen ihrem Verlobten und ihrem Vater nur peripher wahr, während sie selbst immer nur daran dachte, was sich seit ihrem letzten Besuch hier verändert hatte. Sie brauchte nicht lange zu überlegen, denn das wohl entscheidenste Ereignis war die Aussöhnung mit Yosuke gewesen. Der einzige Mensch, der ihre festen Vorsätze und ihre Vernunft immer wieder ins Wanken bringen konnte und definitiv kein guter Einfluss für ihre Tugendhaftigkeit war. Das er sie auf eine gewisse Weise glücklich machte, darüber war sie sich längst im Klaren. Aber dass man ihr dieses Glück anscheinend auch ansah und ihr Vater dabei sogar von einem Leuchten in ihren Augen sprach… das begann ihr plötzlich Angst zu machen. Erst als Takuro Momoko Stunden später wieder an ihrem Zuhause absetzte, erwachte sie aus ihrem ausgedehnten Tagtraum. „Alles in Ordnung? Du wirktest heute irgendwie abgelenkt und still. Ich habe mich die meiste Zeit fast allein mit deinem Vater unterhalten. Stimmt etwas nicht?“ Natürlich war ihm das nicht entgangen. Sie verkniff sich ein Augenrollen. „Nein, alles gut. Ich bin nur so überwältigt, dass es ihm schon so gut geht und er bald nach Hause kommen kann. Ich konnte an nichts anderes denken.“ Sie schämte sich für diese Lüge. Nicht, weil sie, wie sooft, Takuro belügen musste, sondern weil ihre Gedanken in Wirklichkeit immer nur um Yosuke gekreist waren, statt um ihren Vater. „Das kann ich natürlich verstehen. Ich bin mir sicher, dass du nicht mehr lange warten musst. Er und die Ärzte scheinen zuversichtlich zu sein.“, sagte er lächelnd. „Ja.“, bestätigte sie glücklich. „Na dann… wollen wir uns morgen wiedersehen?“, fragte er hoffnungsvoll. Momoko erinnerte sich sofort an das Telefonat vom Vorabend und an ihr heimliches Vielleicht zu einem Treffen mit dem Torwart, der ihr sowieso schon die ganze Zeit im Kopf herum spukte. „Eigentlich wollte ich mich morgen gerne mal wieder mit Yuri und Hinagiku verabreden, wenn du nichts dagegen hast.“ Bittend schaute sie zu ihrem Verlobten auf, der etwas zerknirscht über diese Antwort zu sein schien. Doch er erinnerte sich an sein Versprechen, ihr wieder mehr Raum zu geben, weswegen er nach einem langen Seufzer zustimmte. „Aber ihr geht in keine Bar und ich möchte immer wissen, wo du bist.“, ermahnte er sie mit erhobenem Zeigefinger. Wenn er dabei nicht scherzend geschmunzelt hätte, hätte Momoko diesen Befehl glatt für voll genommen. Bei Takuro wusste sie selten, woran sie gerade war. Seine Entscheidungen waren stets sehr von seinen wechselhaften Launen abhängig. „Ich danke dir.“, hauchte sie liebreizend und platzierte einen flüchtigen Kuss auf seine linke Wange. Er strich mit den Fingern über diese Stelle und schaute sie aus seinen rotbraunen Augen glücklich und verliebt an. Es gelang ihr immer besser falsche Emotionen vorzutäuschen, ohne dabei von einem schlechten Gewissen zerfressen zu werden oder es sich anmerken zu lassen. Doch dieses Schauspiel hier und jetzt ertrug sie nicht mehr viel länger; sie wollte endlich ins Haus und ihr Telefon auf Hochtouren bringen. Schließlich brauchte sie dringend ein Alibi für den nächsten Tag. „Dann bis dann, Liebste.“, verabschiedete Takuro sich schließlich. Ungeduldig wippte seine Verlobte von einem Bein aufs andere, während er sich umdrehte, in sein Auto stieg und ihr noch lange aus dem Fenster heraus zuwinkte. Kaum war er weg hastete sie ins Haus, warf ihre Sachen ab und zückte ihr Handy, um eine Verabredung mit ihren beiden besten Freundinnen auszumachen. Erst danach würde sie Yosuke kontaktieren können. Der Gedanke an ihn und ihr kleines Treffen wühlte sie innerlich so sehr auf, dass ihre Finger zitterten, als Sie ihm am Ende des Tages endlich die lang ersehnte SMS schrieb. Sie hatte vor das Treffen mit ihm nicht nur zu genießen, sondern auch dazu zu nutzen, um gewissen Dingen auf den Grund zu gehen. Kapitel 47: Precious moments (Part I) ------------------------------------- Yosuke hatte mit Momokos Nachricht fast gar nicht mehr gerechnet. »Sie hat vielleicht gesagt.«, hatte er sich immer wieder in Erinnerung gerufen, als die Stunden ins Land zogen und der Abend nahte, aber immer noch keine Nachricht von ihr eingegangen war. Umso aufgeregter war er jetzt! Heimlich war er ins Badezimmer geflüchtet, um ihre SMS in Ruhe zu lesen. Immer und immer wieder. Ein breites Grinsen hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet und war nur schwer wieder von dort zu vertreiben. Konzentriert starrte Yosuke sein Spiegelbild an und mahnte sich selbst zur Gelassenheit, denn Hiromi würde seine plötzliche Hochstimmung garantiert bemerken, nachdem er in den letzten Stunden immer missmutiger geworden war. Abwesend hatte er in dem Abendessen herumgestochert, mit dem ihn seine vermeintliche Freundin in letzter Zeit immer öfter zu vergiften versuchte und dabei immer wieder auf sein Smartphone geschaut. „Alter, du musst cool bleiben. Noch offensichtlicher geht es kaum noch!“, sprach er mit sich selbst, während seine Finger nervös auf den Keramikrand des Waschbeckens vor ihm tippten. Das war jedoch leichter gesagt als getan, denn er hatte schon in der letzten Nacht minuziös geplant, was er mit Momoko unternehmen würde, wenn sie zusagte. Doch dazu bedurfte es sein Fingerspitzengefühl, Übung und eine Menge Überwindungskraft. „Yoyo-Maus? Brauchst du noch lange? Ich muss nämlich auch mal!“ Hiromis Singsang beendete seinen Tagtraum. Entschlossen klatschte er sich mit beiden Händen auf die Wangen, um endlich das leicht idiotisch anmutende Grinsen aus seinem Gesicht zu bekommen. „Ich komme schon!“, rief er seiner Mitbewohnerin zu. „Das hat aber gedauert, hast du etwa schon wieder eine Magenverstimmung?“, fragte sie besorgt, als er schließlich die Tür öffnete. Yosuke schnaubte verächtlich, denn was seinen Magen in letzter Zeit so zu schaffen machte, war eher ihren Kochkünsten als einer ernstzunehmenden Verstimmung zu verdanken. „Nein, nein. Ich habe nur etwas Falsches gegessen.“ Hiromi zog eine Augenbraue kritisch nach oben. „So? Meinst du? Vielleicht waren die Eier nicht mehr gut… aber mir sind sie doch auch bekommen?“, begann sie zu rätseln. Der Dunkelhaarige rollte unbemerkt mit den Augen. Solange sie schwanger war, würde sie wohl niemals von selbst darauf kommen, dass ihre Speisen zurzeit einfach furchtbar schmeckten. „Mach dir keinen Kopf darum, dein Essen war vorzüglich.“, log er charmant. „Aber sag mal… weißt du zufällig, wo meine Akustik Gitarre ist?“ Die junge Frau schaute ihn verwundert an. „Das alte Ding? Ich habe dich noch nie darauf spielen sehen.“ Yosuke zwang sich nicht genervt zu reagieren. „Mag sein, aber das war nicht meine Frage. Weißt du nun, wo sie ist?“ Die Schwangere überlegte angestrengt und verzog dabei unschön das Gesicht. „Hm… ich glaube, sie ist auf dem großen Kleiderschrank im Schlafzimmer. Was willst du denn damit?“ „Ach… ein paar Schulkameraden haben mich spontan gefragt, ob ich nicht Lust hätte mich mit ihnen morgen früh für ein paar Stunden zum Üben zu treffen.“ „Morgen früh? Schulkameraden? Gitarre üben? Aber du spielst doch schon seit Jahren nicht mehr!“, bemerkte sie ungläubig und nicht ohne eine gewisse Spur Entrüstung in der Stimme. „Deswegen ja das Üben.“, konterte Yosuke augenzwinkernd und drehte sich weg, damit er sich keiner weiteren Diskussion stellen musste. Im Schlafzimmer angekommen und auf Zehenspitze gestellt, stellte er fest, dass Hiromi tatsächlich nicht gelogen hatte, was den Standort seiner alten Gitarre betraf. In einem verstaubten, schwarzen Müllsack gehüllt, lag sie einsam und vergessen in der hintersten Ecke auf dem Schrank. Mit etwas Mühe holte er das, mit Klebeband versiegelte, Paket herunter und ließ sich dabei unfreiwillig von Staubflocken berieseln. Angewidert klopfte Yosuke sich den Dreck vom Shirt und der Hose, ehe er beherzt in das elastische Material des Sackes griff und es auseinander riss. „Mach ja keinen Dreck, ich habe gestern erst gesaugt!“, hörte er Hiromi dumpf aus dem Badezimmer rufen. Für diese Warnung war es zu spät, aber darum würde er sich auch noch später kümmern können. In Erinnerungen an alte Zeiten schwelgend, hob er die schwarze Tasche aus dem Sack heraus und legte sie direkt auf das Bett, wo er vorfreudig den Reißverschluss aufzog und den Deckel zurückklappte. »Alles noch heil!«, war das Erste, was er erleichtert dachte. Ehrfürchtig strich er mit seiner rechten Hand über die Decke aus laminiertem Fichtenholz und fuhr prüfend über die sechs Saiten, den Hals hinauf bis zu den Wirbeln. Seine alte Grand Concert war ihm nach all der Zeit noch sehr vertraut. „Schön, dich wiederzusehen.“, murmelte er gedankenversunken und lächelte zufrieden. 3:30 Uhr klingelte Momokos Wecker. Ächzend und schlaftrunken ließ sie ihren bleiernen Arm auf das nervtötende Gerät fallen, damit es endlich verstummte. Zusammengerollt und unwillig aufzustehen, drehte sie sich noch mal um. »Yosuke spinnt doch völlig…«, dachte sie grummelnd und zog sich dabei die Decke über den Kopf. Sie war kein Frühaufsteher; in der Mittelschule war es ihr schon schwer gefallen für die Schule rechtzeitig aus dem Bett zu finden, aber mitten in der Nacht?! Das war praktisch nicht machbar! Natürlich war sie vor lauter Vorfreude und Aufregung viel zu spät eingeschlafen. Warum hatte der Torwart auch so ein Geheimnis daraus gemacht, was er mit ihr vor hatte? „Steh früh auf, hat er gesagt. Zieh dir was Bequemes an, hat er gesagt. Nimm deine Kamera mit, hat er gesagt. Pack Essen für unterwegs ein, hat er gesagt… Gott, dem sag ich beim nächsten Mal auch etwas! Nämlich meine Meinung!“, fluchte sie maulend in ihr Kopfkissen hinein. Momoko knurrte noch ein paar Minuten vor sich hin, während sich ihre Neugier mit der Müdigkeit ein kleines Gefecht lieferte. Am Ende siegte die Neugier. Erschlagen und mit dicken Augenringen, trottete sie ins Bad und danach, frisch geduscht und mit einem Handtuch um den Kopf, in die Küche. Draußen war es noch dunkel. Auch wenn der schwarze Sternenhimmel mit all seinen Lichtern schon einem tiefen Dunkelblau gewichen war. Noch etwas unkonzentriert, hantierte die junge Hausherrin zwischen ihren Schränken mit Lebensmitteln herum. Sandwiches würden es heute werden; für mehr hatte sie spontan nicht ausreichend da und beim besten Willen auch keine Ambitionen. Statt an Essen, dachte sie aber lieber an ihr noch immer warmes Bett, das sie förmlich verführerisch nach sich rufen hören konnte. »Wehe, der Aufwand lohnt sich nicht.« Vergessen waren die Vorfreude vom Vortag auf das heimliche Treffen und mit ihr die merkwürdigen Gefühle und Ängste, die sie so lange bis in den Schlaf hinein beschäftigt hatten. Es fiel ihr sehr schwer, ihren Schweinehund zu überwinden. Vor allem, wenn sie daran dachte, dass sie heute Mittag auch noch mit ihren beiden Freundinnen verabredet war und am nächsten Tag schon wieder die Schule und Arbeit auf sie warteten. Bei dem Gedanken daran riss sie genervt das Handtuch herunter und raufte sich die Haare. „Gnaaa~h ich komme gar nicht mehr dazu zu lernen!“ Ihr Handy, das neben ihr auf der Arbeitsplatte zwischen Toastbrot, Salat, Remoulade und anderen Zutaten lag, vibrierte. >>>Ich komme Dich in einer halben Stunde abholen. LG Y<<< Gehetzt legte Momoko das Gerät wieder aus den Händen und beschleunigte ihr Arbeitstempo. „Auch das noch!“, stöhnte sie überfordert. Wenigstens war sie jetzt wach und aufmerksam bei der Sache. Pünktlich fuhr Yosuke auf dem Grundstück der Hanasakis ein. Der Rasen, über den er sein sportliches Fahrrad schob, war feucht vom frischen Tau. Am Himmel hinter ihm begann es allmählich zu dämmern. Er klopfte nervös an die Tür; es brannte kein Licht im Wohnzimmer. »Hoffentlich hat sie es aus den Federn geschafft.« Ein bisschen Sorgen machte er sich schon, denn auch ihm waren ihre regelmäßigen Verspätungen zum Unterricht in Erinnerung geblieben. Doch seine Angst war unbegründet, denn schon im nächsten Augenblick entzündete sich ein Licht im Wohnzimmer und er konnte hören, wie sie polternd die Treppe herunter eilte. Kurz danach öffnete Momoko auch schon, ganz außer Atem, die schwere Haustür. „Du bist zu früh!“, begrüßte sie ihn gehetzt. „Nein, ich bin pünktlich.“, entgegnete er schmunzelnd und hielt ihr dabei sein Smartphone vor die Nase, auf dessen Display es Punkt 4:00 Uhr morgens anzeigte. „Wie kann man um diese Uhrzeit nur so widerlich gut gelaunt und schon wieder so fies sein?“, beschwerte sie sich halbherzig und ließ ihn herein. Yosuke lachte. „Ich bin doch gar nicht fies zu dir? Außerdem, guten Morgen erstmal.“ Momoko bemerkte ihre Unhöflichkeit erst jetzt. Ertappt schaute sie zu ihm auf. „Oh, entschuldige. Guten Morgen.“, murmelte sie verlegen. Mit einem belustigten Lächeln auf den Lippen, schüttelte er den Kopf und sah sich flüchtig um. Alles war besser als sie weiter anzustarren, wie sie da in einem leichten, pastellgelben Sommerkleid vor ihm stand und einfach hinreißend darin aussah. Ihr offenes, frisch geföhntes Haar, fiel über ihre entblößten Schultern und sie trug darin wieder ihr Markenzeichen; die beiden gelben Bänder. „Bist du denn fertig?“, fragte er beiläufig klingend. „Ja, ich muss nur noch meine Tasche mit den Sandwiches und die Kamera holen.“ Geschäftig lief sie an ihm vorbei. Eine sanfte Note Pfirsichshampoo wehte ihm um die Nase. Kurz gönnte er sich einen prüfenden Blick auf ihre Kehrseite. Das taillierte Kleid endete knapp unter ihren Knien, noch weiter unten umschlossen feminine Riemchen-Sandalen ihre Füße. „Du solltest dir doch etwas Bequemes anziehen.“, kritisierte er ihre Aufmachung besorgt. „Was?“, sie folgte seinem Blick auf ihre Schuhe. „Ach, wegen der Sandaletten? Die sind doch bequem! Es soll heiß werden heute, es ist schon leicht schwül draußen.“ „Ich hatte eigentlich an Shorts und Turnschuhe gedacht.“ „Tja, das hast du aber nicht eindeutig geschrieben.“ Neckend streckte sie ihm die Zunge raus. Resignierend zuckte Yosuke daraufhin mit den Schultern. Sie war eben unverbesserlich; wenigstens er hatte ein ärmelloses Shirt, eine sportlich legere Khaki-Hose und Turnschuhe an. „Wohin soll es denn gehen?“, hakte sie neugierig nach, als sie sich eine hellgraue Strickjacke, die perfekt zu den taubenblauen und grauen Rosen auf ihrem Kleid passte, überwarf und die kleine Tasche mit ihrem Frühstück und dem Fotoaperrat schulterte. „Lass dich überraschen. Ich möchte Dir einen ganz bestimmten Platz zeigen.“, verkündete er verheißungsvoll. Er öffnete ihr höflich die Tür und sie trat nach draußen. Dort geriet Momoko umgehend ins Stutzen, als sie Yosukes abgestelltes Fahrrad und daneben eine große, schwarze Gitarrentasche entdeckte. „Okay… JETZT bin ich wirklich neugierig!“ Der Dunkelhaarige grinste verschwörerisch, hielt aber nicht inne. „Alles zu seiner Zeit, wir müssen uns jetzt wirklich beeilen, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig.“ Ein weiteres Fragezeichen stand in Momokos Miene geschrieben, aber da sie wusste, dass sie bei weiteren Nachfragen auch nur auf Granit beißen würde, ließ sie es gleich ganz. Das aufregende Kribbeln, das von der Ungewissheit darüber, was sie wohl erwarten würde, hervorgerufen wurde, breitete sich wie ein Sturm in ihrem Körper aus. Davon beschwingt, lief sie zu ihrem eigenen Fahrrad, dessen Anblick ihr die gute Laune schlagartig wieder austrieb. „Das gibt es doch nicht! Ich habe einen Platten!“ Yosuke schaute mit großen, ungläubigen Augen zu ihr und ihrem Vehikel hinüber, doch es gab keinen Zweifel. Die Felge des Vorderrades drückte den Mantel platt wie eine Flunder und das schon gut sichtbar, ohne dass man es zusätzlich belastete. „Er ist kaputt, damit kann ich nicht fahren. Ich bräuchte erst einen neuen Schlauch.“ Verärgert schnaubte Momoko und gab dem Drahtesel einen halbherzigen Tritt in die Speichen. Yosuke hinter ihr schaute zum Himmel auf, der seine Farbe bereits von Dunkelblau zu Lila verändern begann. „Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen jetzt los.“ Entschlossen schob er sein eigenes Fahrrad vor und reichte Momoko dann seine Gitarrentasche. „Hier, nimm sie auf den Rücken. Ich nehme dafür deine Umhängetasche. Du fährst auf meinem Gepäckträger mit.“ Ein Paar verwirrter blauer Augen starrte auf das schwarze Transportstück. „Keine Sorge, sie ist leicht.“ Momoko nahm sie am Gurt entgegen und stellte fest, dass er Recht behielt. Sie war viel leichter, als sie aussah. Nachdem sie sie über ihren Kopf gezogen und sich auf den Rücken gedreht hatte, übergab sie dem Dunkelhaarigen ihre eigene Tasche, die er sich praktisch veranlagt einfach um den Hals hing. „Steig auf, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig und verpassen das Beste.“ Er schaffte es immer noch die junge Frau zu verblüffen; sein zuversichtliches Lächeln und seine gute Laune waren ungetrübt. Ermutigend schaute er sie aus seinen braungrünen Augen an, die wieder diesen warmen Glanz in sich trugen, der ihr Herz dazu brachte schneller zu schlagen. Ohne weitere Umschweife setzte sie sich hinter ihn, zupfte unbeholfen ihren Rock in die ideal züchtige Position und bemängelte dabei gedanklich, wie unbequem so ein Gepäckträger war. „Halt dich gut fest, ich fahre schnell“, warnte er vor und obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, meinte Momoko sein spitzbübisches Lächeln herauszuhören. Etwas schüchtern schlang sie ihre Arme um seine Mitte, aber anstatt loszufahren, legte er seine Hand um ihre Linke und verstärkte ihre Umarmung. „Fester.“, raunte er undefinierbar. Das Blut schoss ihr automatisch in die Wangen. Dort, wo seine Hand ihre länger als nötig berührte, begann ihre Haut zu kribbeln. „Okay.“, flüsterte Momoko kleinlaut zurück. Ihre Sinne leisteten wie auf Knopfdruck Hochleistungsarbeit; Yosukes Geruch, auf den sie bis eben nicht mal geachtet hatte, war intensiver; sein Körper wärmer und sie nahm die festen Bauchmuskeln unter seinem Shirt ganz genau wahr. »Himmel noch mal!« Der eingefleischte Sportler fuhr wirklich schnell! Wie eine Maschine trat er in die Pedale und ließ Straße um Straße, Viertel um Viertel hinter sich. „Du fährst zum Stadtrand?“, rief Momoko ihm nach einer Weile gegen den Wind zu. „Erraten.“, antwortete er angestrengt. Yosuke schlug dieselbe Straße ein, die sie und Takuro nahmen, wenn sie zu der Klinik fuhren, in der ihr Vater untergebracht war… sie führte bergauf in die Hügel, die diesseits der Stadt den Horizont säumten. Mit der Steigung stieg auch der Kraftaufwand, den Momokos Chauffeur aufbringen musste, um sie Meter für Meter die Bergstraße hinauf zu bringen. Es dauerte nicht lange, da glänzten feine Schweißperlen in seinem Nacken. Dort, wo ihre Arme ihn umschlangen und ihr Körper an seinem lehnte, wurde sein Oberteil langsam klamm. „Geht es? Kannst du noch?“, fragte seine langhaarige Beifahrerin besorgt. „Ja, ja. Geht schon.“, schnaufte er. Dass sie allmählich immer langsamer voran kamen, bestärkte seine Aussage nicht unbedingt. „Bist du dir sicher?“ Yosuke schnaubte amüsiert über ihren anzweifelnden Tonfall. „Na ja, du bist schwerer als ich dachte.“ „Waaa~s???“, stieß Momoko entrüstet aus. Laut lachend warf der Dunkelhaarige seinen Kopf in den Nacken. Das Fahrrad geriet gefährlich ins Straucheln. „Hey! Schau gefälligst wohin du fährst, du Fiesling!“, schimpfte sie weiter beleidigt und gab ihm einen Klapps auf die Brust. „Wenn du mich schlägst, baue ich erst recht einen Unfall!“, beschwerte er sich prustend. Schlingernd kam das Fahrrad auf dem Radweg zum Stehen. Yosuke wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete erschöpft. „Du bist also doch am Ende. Ist es denn noch weit?“ Der junge Mann schaute den Hügel hinauf und dann, wie schon einige Male zuvor, zum Himmel. Es dämmerte. „Es ist noch ein kleines Stück, aber so langsam glaube ich, dass das eng wird.“ Seine entmutigte Stimme ließ Momoko ihren kleinen Pseudozwist vergessen. Sie folgte seinem Blick zu den Wolken und ahnte so langsam, was er ihr zeigen wollte. Einen Augenblick später rutschte sie vom Gepäckträger, um eben diesen mit den Händen zu umfassen. Yosuke drehte sich verdutzt nach ihr um. „Was machst du da?“ „Wonach sieht das denn aus? Du trittst, ich schiebe! Wenn es nicht mehr weit ist, dann schaffen wir das letzte Stück auch noch!“ Beeindruckt von ihrer Entschlossenheit, schmunzelte der Braunhaarige. „Okay, aber wir tauschen – ich laufe schneller als du.“ Deutlich zügiger als zuvor, erklimmten sie den Hügel. Momoko legte ihr ganzes Gewicht in die Pedale und Yosuke rannte so schnell, wie er sonst nur einem Fußball nachjagte. Es war eine gute Idee gewesen, dass einer von ihnen schob. Sie erreichten gerade den höchsten Punkt der Straße, bevor diese in einer Kurve, um den kleinen Berg herum, weiter verlief. „Stopp!“, brüllte der Torwart, sodass Momoko sofort erschrocken die Bremsen drückte. „Was ist?!“, hinterfragte sie verdattert. Yosuke antwortete nicht, sondern diktierte sie mit eiligen Handbewegungen vom Sattel herunter, versteckte das Fahrrad anschließen hinter Büschen am Straßenrand und führte die junge Frau dann mit sich auf die andere Straßenseite. Ratlos folgte sie ihm und verstand erst, was er vor hatte, als er begann sich direkt querfeldein den Hügel hinauf zu bewegen. »Ach deswegen wollte er, dass ich Turnschuhe und Hosen trage!« Mit mulmigen Bauchgefühl sah sie seinen sportlichen Bewegungen zu und begann sich selber an Gestrüpp und Baumstämmen hochzuziehen. „Du hättest mir sagen können, dass du eine Klettertour unternehmen willst.“, scherzte sie halbherzig und versuchte dabei nicht abzurutschen oder mit ihrem Kleid irgendwo hängen zu bleiben. Sie bedauerte seine Warnung, bezüglich ihrer Kleiderwahl, verspottet zu haben. Yosukes Hand tauchte vor ihrem Gesicht auf. Die Blauäugige sah an ihr hinauf, bis sie in sein hilfsbereit lächelndes Gesicht schaute. „Komm, ich helfe dir.“ Nicht ohne Herzklopfen und mit leichter Farbe auf den Wangen, nahm sie sein Angebot an. Ihre Hand in seiner, das war inzwischen eine vertraute Berührung, an die sie sich trotzdem nie ganz zu gewöhnen glaubte. Der Fußballspieler erklomm zusammen mit der Hobbyfotografin die letzten Meter bis zur Spitze des Hügels. Überall waren Bäume und Sträucher um sie herum, in denen gut versteckte Vögel den jungen Morgen inzwischen zwitschernd und singend begrüßten. Etwas am Rande gab es eine ganz kleine Lichtung. Gerade groß genug für den großen, alten, mit Moos bewachsenen Baumstamm, der dort einsam inmitten von Gras und kleinen Wildkräutern lag. Yosukes Griff um Momokos Finger wurde fester, während er sie zu diesem lauschigen Platz führte. Unwillkürlich beschleunigte sich ihr Puls davon; wenn er aufgeregt war, dann war sie es erst recht. „Wir sind da, das wollte ich dir zeigen.“, verkündete er ehrfürchtig. Seine Begleitung warf einen Blick auf die ihr dargebotene Aussicht. „Wow…“, hauchte sie hingerissen. Von hier aus konnte sie ihre ganze kleine Heimatstadt überblicken. Zusammen mit der Hügelkette um sie herum, die sich bis in den Horizont erstreckte. „Wir sind gerade noch rechtzeitig hier angekommen.“, erklärte Yosuke leise, denn er wollte den Moment nicht zerstören. Momoko musste nicht nachfragen, wovon er sprach. Dort im Osten tauchten die ersten, zaghaften Sonnenstrahlen des Tages die wenigen, feinen Wolken in tiefes Lila, in das sich rasch ein sattes Rot-Orange mischte. Sprachlos und mit großen Augen, sog sie diesen Anblick in sich ein. Schon sooft hatte sie einen Sonnenuntergang beobachtet, doch noch nie einen Sonnenaufgang. Zumindest erinnerte sie sich nicht daran es je bewusst getan zu haben. Noch nie von so einem unberührten Ort aus; noch nie mit einer solchen Aussicht. Es war schön, wie die Zeit um sie herum stillzustehen schien und sie in andächtiger Stille diesen Anblick genießen konnten. Zusammen. „Willst du keine Fotos machen?“ Aus ihrem Tagtraum geweckt, erblickte sie in Yosukes Händen ihre Kamera, an die sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr gedacht hatte. Dankbar nahm sie sie entgegen, nicht ohne ihm ein strahlendes Lächeln zu schenken und schraubte anschließend geübt die Blende ab. Sofort war sie in ihrem Element, stellte die richtigen Einstellungen für diese Szene ein und schoss drauf los. Fast sekündlich entstand ein neues Bild, aus nur leicht veränderten Blickwinkeln, in ihrem Fotoapparat, denn beinahe genauso schnell veränderten sich die Farben am Himmel. Glühend rot tauchte die Sonne zwischen den Hügeln auf und warf einen intensiv goldgelben Streifen ans Firmament. „Das ist so schön!“, schmachtete Momoko angetan von diesem Motiv. Ihre Heimat aus Beton und Asphalt, eingerahmt von Bergen und Bäumen, getaucht in goldenes Licht – das war ein Bild wie gemalt. Ein Kunstwerk, wie es sicher nirgendwo ein 2. Mal zu finden war. Es war ihr Bild… und Yosuke hatte es ihr geschenkt. Kapitel 48: Precious moments (Part II) -------------------------------------- Ein seliges Lächeln umspielte seine Lippen, während er Momoko dabei zusah, wie sie die Morgenröte mit ihrer Kamera einfing. Das Fotografieren machte aus ihr einen anderen Menschen; sie war viel konzentrierter und ihre Aura sprühte nur so vor Leidenschaft für ihre Sache. So war es schon immer gewesen. Auch, als sie noch ein junges, naives Mädchen gewesen war. Ihre ehrliche Euphorie riss ihn mit. Yosuke wendete seinen Blick amüsiert zum Sonnenaufgang und atmete dabei tief die frische Morgenluft ein. Die Stille um sie herum war eigentlich keine; überall war Leben und Gewimmel. Singende Vögel, geschäftige Kleintiere im Unterholz und müde Insekten, die sich schwerfällig aufmachten, um die Ersten an den taufrischen Blütenkelchen zu sein. Dazwischen war nur der seichte Wind in den Bäumen und das Klicken von Momokos Fotoapparat zu hören. Er war so tief in seinem Tagtraum versunken, dass er fast vergaß, dass das noch nicht das Ende der Überraschung war. Die Sonne hatte sich inzwischen knapp über den Horizont erhoben. „Die Aussicht ist einfach ein Traum! Woher kennst du diesen Platz?“, durchbrach die eifrige Fotografin als erstes die Ruhe. „Von früher, als ich jünger war.“ Sie ließ die Kamera in ihren Händen sinken. Ihre blauen Augen richteten sich auf ihn. „Wie viel jünger?“ Er schmunzelte etwas verlegen und zeigte auf seine Gitarrentasche, die sie immer noch auf dem Rücken trug. „Als ich damals anfing Gitarre zu spielen, war ich schlecht. Grottenschlecht.“ Momoko lachte kurz amüsiert. „Ich übte zuhause, wann immer es mir die Zeit neben der Schule erlaubte und meine Mutter nicht da war. Doch das Gejaule ging den Nachbarn ziemlich bald auf die Nerven und ich wollte mich nicht in der Schule zum Gespött machen, wenn ich dort übte…“ „Also hast du dir einen Platz gesucht, an dem du niemanden gestört hast.“, führte die junge Frau seinen Satz zu Ende. Yosuke nickte bestätigend und zuckte mit den Schultern. „Ich kann nicht ausschließen, dass ich vielleicht ein paar Eichhörnchen verschreckt habe, aber ja. Das stimmt.“, antwortete er spitzbübig lächelnd. Sie gab ihm ein strahlendes Lächeln dafür zurück, weswegen sein Herz sofort schneller schlug. Wieder war er da, der flüchtige Gedanke, warum er nicht schon vor langer Zeit bemerkt hatte, wie schön sie eigentlich war. Momoko bemerkte seine geistige Abwesenheit und legte prüfend den Kopf schief. „Und? Verschreckst du heute immer noch wehrlose Tiere mit deinem Spiel?“ Er blinzelte und kratzte sich ertappt am Hinterkopf. „Ich weiß es nicht. Ich habe jahrelang nicht mehr gespielt; Fußball konnte ich irgendwie besser, also habe ich mich mehr darauf konzentriert.“ „Schade, dabei ist es hier so schön… Ich hätte diese Idylle vermisst.“ Er nickte zustimmend. „Die Aussicht war auch einer der Gründe, wieso das hier mein Platz wurde. Es war inspirierend.“ Sie schaute erneut von ihm in die Ferne, aber hob den Sucher nicht mehr an ihr Auge. Momoko genoss einfach, was sie sah. Genau wie er. „Und wen hast du schon alles hier hinauf geführt?“, setzte sie nach kurzem Schweigen wieder an. Der Dunkelhaarige kniff die Augen zusammen. Hatte er da eine Spur Eifersucht in ihrer Stimme mitschwingen hören? „Niemanden. Keiner außer mir kennt diese Lichtung. Bis auf dich, jetzt.“, antwortete er ihr ernst. Momokos Herz begann zu flattern, als sie das hörte. Sie fühlte wie ihr das Blut in den Kopf stieg und vermied es, Yosuke dabei anzusehen. Würde sie es doch tun, wäre schnell offensichtlich, wie sehr ihr das imponierte. Es war sein ganz persönlicher, geheimer Ort und er teilte ihn mit ihr, so wie er auch seine Erinnerungen an damals mit ihr teilte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass viele andere neben ihr von seinem niedergelegten Hobby wussten. Das war wie ein noch weiteres Geschenk an sie, vor allem aber war das ein großer Vertrauensbeweis. Wäre dies ein Date – und sie vermied tunlichst, es als eines einzustufen – wäre es perfekt! Sie brauchte keinen Protz, keine Liebesschwüre, rote Rosen oder unzählige Kerzen; das hier reichte völlig. Er, sie, dieser Hügel, der Sonnenaufgang und die kostbaren Momente, die sie hier miteinander verbrachten. Yosuke räusperte sich lautstark. „Kann ich vielleicht meine Gitarre haben?“ „Oh! Ja, sicher!“, stammelte sie peinlich berührt. Jetzt war sie es gewesen, die geträumt hatte. Sie tauschten die Taschen gegeneinander aus, Momoko verstaute ihre Kamera und stellte dann alles neben den Baumstamm. Vorsichtig tastete sie dessen grünlich-braungraue Rinde ab, um festzustellen, ob sie es wagen konnte, sich mit ihrem feinen Sommerkleid darauf niederzulassen. »Wieder ein Punkt mehr, warum ich besser eine robuste Shorts angezogen hätte.«, dachte sie zerknirscht. Doch zu ihrem Glück war sie sauber und trocken, also raffte sie ihren Rock und setzte sich. Erwartungsvoll beobachtete sie Yosuke dabei, wie er sich mit der Gitarre zu ihr setzte und begann an den Wirbeln zu drehen. Mit einem kleinen Plektrum riss er dabei die einzelnen Saiten solange immer wieder an, bis sie seiner Meinung nach den richtigen Ton spielten. Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihn mit einem Musikinstrument, statt mit einem Ball in den Händen zu sehen. Seine Ausstrahlung war sanfter und ruhiger, als auf dem Fußballplatz. „Was spielst du denn?“, fragte sie neugierig. Er grinste verschwörerisch. „Warte es ab, vielleicht erkennst du es ja selber.“ Momoko schluckte. Wenn er nicht irgendeinen bekannten, japanischen Popsong spielen würde, standen ihre Chancen schlecht, dass sie es erraten konnte. Yosuke beachtete ihre Unsicherheit nicht, sondern positionierte sich richtig, legte die Finger seiner linken Hand um den Gitarrenhals und griff in die Saiten. Die ersten Töne, die er seinem Instrument entlockte, waren etwas holprig und steif, doch das überspielte er gekonnt mit einem charmanten Lachen. „Gib mir einen Moment, ich muss erst warm werden.“ Die Rosahaarige stimmte in sein leises Lachen entzückt mit ein. Es war irgendwie beruhigend zu sehen, dass es auch Dinge gab, in denen dieser sagenhaft tolle Typ nicht großartig war. Einige Augenblicke später hatte er den Dreh dann aber endlich raus, straffte sich noch mal und begann von vorne zu spielen. Die Noten flossen langsam und irgendwie traurig dahin. Es war ein ruhiges Lied, aber im Refrain auch aufwühlend und mitreißend. Momoko überlegte angestrengt; sie war sich sicher, diesen Song schon mal gehört zu haben, aber kam partout nicht auf den Titel. Er war bekannt und es gab ungezählte Interpretationen von ihm… „Das ist You raise me up, von Rolf Lovland.”, klärte Yosuke sie ungefragt auf und beendete sein Spiel dabei. „You raise me up?“, wiederholte sie den Titel fragend. Sie meinte sich an das Lied zu erinnern, allerdings unter einem japanischen Titel. Er hob seinen Blick und schaute sie mit seinen durchdringenden, klaren Augen an. Ihr Atem stockte unwillkürlich. Der Torwart sparte sich Erklärungen, setzte sein Plektrum erneut an und begann, zu ihrer absoluten Verblüffung, leise zu singen. When I am down and, oh my soul, so weary When troubles come and my heart burdened be Then, I am still and wait here in the silence Until you come and sit awhile with me. You raise me up, so I can stand on mountains You raise me up, to walk on stormy seas I am strong, when I am on your shoulders You raise me up: To more than I can be. Seine flache, rechte Hand legte sich auf die Saiten über dem Klangloch und brachte sie so zum Verstummen. Eine Gänsehaut überzog Momokos gesamten Körper. Yosukes tiefe, melodische Stimme, die anfangs ein wenig schüchtern gesungen hatte, hatte sich perfekt in sein Gitarrenspiel und die Töne eingefügt, die er auf ihr hervorgebracht hatte. Verlegen schaute er wieder zu ihr und sie war unfähig seinen Blick nicht zu erwidern. „Das… das ist ein wirklich schönes Lied.“, flüsterte sie ehrfürchtig. Ihr Herz pochte so heftig, dass ihre Finger zitterten und sie sich bis in ihre Haarspitzen von Elektrizität durchströmt fühlte. „Danke.“, murmelte Yosuke erleichtert darüber, dass sie ihn nicht auslachte. „Das war aber nur die erste Strophe. Ich dachte, den Rest würdest du vielleicht singen.“ „Ich?!“, stieß sie entsetzt aus. „Du kannst nicht schlechter sein, als ich. Ich habe dich schließlich auf dem Klassentreffen singen hören.“ „Aber, aber, aber… ich kenne den englischen Text gar nicht!“, wehrte Momoko sich wild herumfuchtelnd und mit puterroter Gesichtshaut. Er grinste, so als schien er nur darauf gewartet zu haben, dass sie so argumentieren würde. Mit einem Handgriff an einer seiner Hosentaschen, zückte er ein gefaltetes Blatt Papier und reichte es ihr. »Der Songtext, natürlich…«, stellte sie unglücklich fest. Ihr Herz machte einen weiteren Satz, als sich Yosukes rechte Hand ermutigend auf ihr linkes Knie legte. Das Funkeln in seinen Augen dabei war entwaffnend. „Du kannst das. Es geht auch nicht darum es perfekt zu machen, sondern um das Gefühl, was der Song transportiert.“ Irritiert blinzelte die junge Frau ihn an. Seit wann redete er so geschwollen fachmännisch? War das der wiedererweckte Musiker in ihm? „Und… welches Gefühl ist das?“, hinterfragte sie unsicher. Seine Miene wurde nachdenklicher. Er zog seine Hand zurück und lehnte sich lässig über seine Gitarre, während er der Sonne dabei zusah, wie sie weiter aufstieg. „Dasselbe das ich habe, wenn ich mit dir zusammen bin.“ Momoko stockte der Atem; mit großen Augen schaute sie in sein Profil. Sie war sprachlos, doch noch mehr erstaunte sie, dass Yosuke plötzlich deutlich nervöser wirkte und sich ein warmer Hauch Farbe auf sein sonnengebräuntes Gesicht legte. Stolpernd setzte ihr Herz seine Arbeit fort. „Yosuke…“, hauchte sie ohne zu wissen, wie der Satz eigentlich weitergehen sollte. Er drehte sich wieder zu ihr um, die Augen leuchtend vor Aufregung. Er war genauso verlegen wie sie. „Wir haben doch vorgestern Nacht darüber am Telefon gesprochen, wie gestresst und eingeengt wir uns fühlen.“ Sie erinnerte sich an das heimliche Telefonat auf dem Balkon und nickte. Gespannt strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und lehnte sich zu ihm rüber. „In der Schule mache ich tagtäglich gute Miene zum bösen Spiel. Ich lächle, gebe mich verliebt und fürsorglich, doch Hiromi führt mich, wo sie nur kann, vor wie ein Hündchen, das ein besonderes Kunststück kann. Sie schämt sich kein Stück für ihre Situation. Ich wünschte, ich hätte ihr Selbstvertrauen, aber sie ist es ja auch nicht, die die beschuldigenden und verurteilenden Blicke der Mitschüler und Lehrer erntet.“ Yosukes Ton wurde bitter und sein Gesichtsausdruck wütend. „Das… tut mir leid…“, wollte Momoko tröstend sagen, doch er schüttelte abwehrend den Kopf. „Muss es nicht. Es enttäuscht mich nur maßlos, dass niemand von den anderen sieht, dass ich ihr die Schwangerschaft ja nicht aufgedrängt habe! Und das auch niemand versteht, was ich dafür letztendlich alles opfern muss. Für Hiromi geht alles normal weiter, sie träumt von einem kleinen, harmonischen Familienidyll, aber für mich schließen sich so viele Türen…. Und an jeder Ecke schlagen mir die Vorurteile ins Gesicht. Das macht mich krank!“ Erschrocken, über so viel unverblümte Ehrlichkeit, bildete sich ein Kloß in Momokos Hals. „Ich versuche mein Bestes zu geben, damit sie glücklich ist und wir es vielleicht irgendwann zusammen sein können, aber ich möchte fast täglich mindestens ein Mal einfach alles hinwerfen und mich nicht mehr verstellen müssen. Manchmal fehlt mir dann die Kraft nach vorne zu blicken und ich rede mir ein, dass ich das nicht schaffe; dass ich versagen werde.“ Yosuke atmete tief ein und aus, um sich zu sammeln. Die Falten auf seiner Stirn lockerten sich. Bedrückt schaute Momoko auf ihren rechten Ringfinger. Sie wusste nur allzu gut, wovon er sprach. „Doch dann denke ich an dich, verbringe Zeit mit dir und das gibt mir dann neuen Auftrieb.“ Ein Ruck ging durch seine Sitznachbarin. Sein Herz hämmerte wie wild. Wie würde sie reagieren? Erstarrt vor Schreck saß sie da und hielt den Blick gebannt auf ihre Hände gerichtet. Ihre Wangen glühten geradezu. Ob er sich falsch ausgedrückt hatte? „Pfirsichtörtchen?“ Endlich schaute sie zu ihm auf; die blauen Augen groß und verletzlich wie die eines Rehs. „Es ist nichts. Ich war nur… überrascht.“, erklärte sie schüchtern lächelnd. Yosuke ahnte nicht, wie tief seine direkten Worte in ihr Innerstes eingedrungen waren. „Ich dachte, du empfindest genauso, deswegen…“ „Das tue ich!“, fiel sie ihm hastig ins Wort. Perplex erwiderte er ihren Blick. „Das tue ich… und das weißt du. Darüber haben wir schon mal gesprochen.“, begann sie noch mal ruhiger. Ihre Worte hallten als ein warmes Gefühl in seiner Brust wider. Er konnte gar nicht anders, als sie dafür anzustrahlen. „Und um dieses Gefühl geht es in dem Lied. Schau dir den Text an.“ Momoko tat wie ihr geheißen und faltete, mit noch immer geröteten Wangen, das Blatt Papier in ihren Händen auseinander. Der Dunkelhaarige wusste, dass Englisch nicht ihr bestes Schulfach gewesen war, doch so konzentriert, wie ihre Augen über die Worte flogen, schienen ihre Kenntnisse für diese simplen Zeilen auszureichen. Nach ein paar Minuten schaute sie wieder auf. Ihre Augen leuchteten dabei berührt. „Du hast Recht. Es ist sehr schön…“ „Noch viel schöner ist es, wenn man es vollständig gesungen hört. Wollen wir?“ Sie wirkte unsicher und zögerlich, doch als er seine Gitarre anstimmte und die ersten Noten die Luft erfüllten, setzte sie mit leiser Stimme ein. When I am down and, oh my soul, so weary When troubles come and my heart burdened be Then, I am still and wait here in the silence Until you come and sit awhile with me. You raise me up, so I can stand on mountains You raise me up, to walk on stormy seas I am strong, when I am on your shoulders You raise me up: To more than I can be. In seinem Magen kribbelte es wie verrückt, als ihre zarte hohe Stimme nach dieser ersten Strophe verstummte. „Ich sagte doch, du kannst es!“, ermutigte er sie begeistert. „Leg in der nächsten Strophe ruhig mehr Gefühl rein, hier hört dich schließlich niemand außer mir.“ „Ich kenne den Song kaum; ich treffe die Töne bestimmt nicht oder verhaspel mich mit den Wörtern!“, befürchtete sie. „Ich spiele extra langsam. Es ist nicht schlimm, wenn es beim ersten Mal nicht alles stimmt.“ Ohne Umschweife glitt sein Plektrum wieder über die Saiten. There is no life - no life without its hunger Each restless heart beats so imperfectly But when you come and I am filled with wonder Sometimes, I think I glimpse eternity. You raise me up, so I can stand on mountains You raise me up, to walk on stormy seas I am strong, when I am on your shoulders You raise me up: To more than I can be. Yosuke startete ein kleines Solo und schaute sie dabei sehr zufrieden an. „Und jetzt noch mal, lauter! Sei mutig.“ Momoko schluckte angespannt und holte dann tief Luft. You raise me up, so I can stand on mountains! You raise me up, to walk on stormy seas! I am strong, when I am on your shoulders! You raise me up: To more than I can be! „Noch mal!”, rief er ihr erneut zu und setzte selbst unterstützend mit ein. You raise me up, so I can stand on mountains! You raise me up, to walk on stormy seas! I am strong, when I am on your shoulders! You raise me up: To more than I can be! You raise me up: To more than… I can be… Die Melodie verstummte, sie sahen einander an. Und dann begannen sie prustend zu lachen. Die Anspannung fiel ganz einfach von ihnen ab. „Na, das war doch gar nicht so schlecht!“, lachte Yosuke durch einen Tränenschleier blinzelnd. „Hi hi, na ja… ich weiß ja nicht! Jedenfalls ist es ausbaufähig“, erwiderte Momoko nach Luft schnappend. Natürlich war ihr spontaner Gesang weder auf den Punkt genau, noch technisch einwandfrei gewesen, aber es war ein Anfang. „Wenn du möchtest, dann versuchen wir es noch mal eine Tonlage höher, sodass es besser zu deiner Stimme passt und vielleicht auch etwas ruhiger.“ Hoffnungsvoll sah er zu ihr rüber. Er erntete ein einverstandenes Lächeln; das Eis war gebrochen. Momoko zählte die Durchgänge nicht, die sie machten, aber von Mal zu mal wurde sie sicherer. Bald schon brauchte sie den Zettel in ihren Händen nicht mehr, sondern konnte beim Singen in die Ferne schauen und die Aussicht auf sich wirken lassen. Es war wirklich ein wunderschönes und zeitloses Lied. Ihr Herz schwoll an, wenn sie daran dachte, dass Yosuke neben ihr diese Person war, die ihr wie im Lied beschrieben, diese Kräfte verlieh, wenn ihr Herz und ihre Seele ins Wanken gerieten. Beinahe tat dieses Gefühl im Herzen weh… Ob er dasselbe fühlte? Aus dem Augenwinkel heraus sah sie zu, wie er in sein Gitarrenspiel versunken war. Er war so viel für sie geworden: ein Freund; ein Leidensgenosse; ein Liebhaber… aber das alles schien nicht auszureichen, um zu beschreiben, was er für sie war. Er machte sie glücklich, das war das Einzige, dessen sie sich gewiss war. Und da war sie wieder, die Angst, die sich kalt und kriechend in ihr Unterbewusstsein schlich. Niemals würde sie auf ihn verzichten können. Jeder Tag, jede Stunde und Minute, die sie miteinander verbrachten, auch ohne intim miteinander zu werden, machte ihr den Gedanken daran immer unerträglicher. Tränen stiegen in ihren Augen auf und ihre Stimme versagte. „Hey, was ist los?“ Hart holte sie seine besorgte Stimme in die Wirklichkeit zurück. Hektisch wischte sie sich die verräterischen Tränen aus den Augenwinkeln. „Gar nichts! Es ist nur das Lied, es ist irgendwie so traurig.“, versuchte sie sich herauszureden. Yosuke tat, was er immer tat; er reagierte perfekt. Sofort hatte er sein Instrument aus der Hand gelegt und rückte zu ihr rüber, sodass er sie mit einem Arm tröstend umarmen konnte. Woher sollte er wissen, dass seine Nähe den Schmerz in ihrer Brust nur noch anwachsen ließ? Obwohl sie es nicht wollte und sogar versuchte sie wegzulachen, liefen die Tränen nun unaufhaltsam über ihre Wangen. „Du weinst doch nicht deswegen?“, fragte er misstrauisch mit milder Stimme und streichelte ihren rechten Oberarm, während er ihre Linke Hand mit seiner drückte. „Ich weine doch gar nicht!“, protestierte sie halbherzig und schniefte dabei laut. „Doch, tust du.“, rüffelte der Torwart sie mit einem hilflosen Lächeln auf den Lippen. Momoko legte ihren Kopf auf seine Schulter. Wie er sie festhielt war so schön… sie fühlte sich so geborgen in seiner Umarmung. »Wenn es doch nur immer so sein könnte….« Ein nur allzu bekanntes Grollen ruinierte den Augenblick. Aufgeschreckt sahen sie einander an und lauschten dem klagenden Laut, der erst aus ihrem und dann einstimmend auch aus Yosukes Magen drang. „Hunger?“, hinterfragte er rhetorisch und grinste dabei schief. „Oh ja.“ Ihre Tränen versiegten angesichts der aberwitzigen Situation schnell. Sie schob ihre wehmütigen Gedanken und die plötzlichen Ängste für den Augenblick beiseite, damit sie nicht die kurze, schöne Zeit, die sie beide gerade miteinander verlebt hatten, überschatteten. Die junge Frau griff zu einer ihrer Taschen und packte das mitgebrachte Essen, sowie eine Thermoskanne mit Tee aus. Ausgehungert machten sie sich über ihr längst überfälliges Frühstück her und verloren kein Wort mehr darüber, was Momoko eben noch so aufgewühlt hatte. Während sie aßen, sich unterhielten und dabei der erwachenden Flora und Fauna um sich herum lauschten, dachte sie insgeheim über ihn und sich nach. Ihr Freundschaft-Plus-Verhältnis zueinander war verzwickter, als sie erwartet hätte. Allein die letzte Woche hatte mächtig an den Nerven der Beiden gezerrt. Das Lügengespinst um sie herum würde stetig wachsen und immer schwerer aufrecht zu erhalten sein. Es musste doch noch einen anderen Weg geben, um in Yosukes Nähe sein zu können, ohne Angst zu haben, dass sie erwischt wurden… Und den gab es auch, aber ob er begehbar war? Was, außer jeder Menge Überredungskunst, Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick, musste sie dafür aufbringen? Yosuke machte im selben Augenblick einen kleinen Scherz und lachte jungenhaft. Ihr Herz, flüchtig abgelenkt von ihren Sorgen, flatterte vergnügt auf. »Egal. Ich muss es tun!«, beschloss sie daraufhin selbstbewusst und legte dieses unangenehme Thema, für den Rest dieses Treffens, zu den Akten. Kapitel 49: Confession ---------------------- „Der Film war der Knaller!“ Hinagikus laute, begeisterte Stimme gellte über den Platz vor dem Kino. „Der Stunt am Ende… BHOOM! Weg waren die Mistkerle!“, resümierte sie weiter, bestens gelaunt. Yuri neben ihr hielt sich die Ohren zu und rollte mit den Augen in Momokos Richtung. Die Rosahaarige machte eine entschuldigende Miene, fand das Verhalten ihrer burschikosen Freundin dabei aber eigentlich ganz witzig. „Also mir war das alles viel zu laut und brutal! Wie kann man nur auf solche Filme stehen?!“, äußerte sich die Brünette klagend. Ihre Freundin mit der Kurzhaarfrisur grinste nur frech und streckte ihr die Zunge entgegen. „Sehr erwachsen, wirklich.“ „Ätsch! Es kann ja nicht jeder nur auf kitschige Liebesfilme oder Komödien stehen.“ Yuri verschränkte ihre Arme und nahm eine strenge Haltung ein, die perfekt zu ihrer adretten Erscheinung in weißer Bluse und enger, dunkelblauer Röhrenjeans passte. Anklagend wendete sie sich wieder der heimlich amüsierten Momoko zu. „Das hast du mir ja schön eingebrockt, beste Freundin.“ „Entschuldigung.“, drückte sie zwischen zwei leisen Lachern heraus. Mittags am Kino angekommen, hatten sie nach eingehender Prüfung des aktuellen Kinoprogramms und einer angeregten Debatte darüber, welcher Film aus welchen Gründen der sehenswerteste war, letztendlich abgestimmt. Hinagiku wollte von Anfang an in den neusten Aktionstreifen gehen, aber Yuri stand der Sinn mehr nach Romantik. Dabei hatte sie voll auf Momokos Unterstützung gezählt, denn auf sie war früher in dem Punkt immer Verlass gewesen. Doch ausgerechnet heute stand der blauäugigen, jungen Frau nicht der Sinn nach Liebesdramen und jeder Menge Happy End. Ihr Herz war noch von den frühmorgendlichen Erlebnissen aufgewühlt genug. Was sie danach gebraucht hatte, war etwas Neutralisierendes und da kam ihr eine geballte Ladung testosterongesteuerter, ruppiger Helden und bis an die Zähne bewaffneter Gangster gerade recht. „Also ich fand den Film eigentlich auch ganz gut.“, gab sie zu. „Ha! Sag ich doch!“, feierte Hinagiku diese Aussage und klatschte begeistert in die Hände. „Momoko! Du Verräterin!“ Die Grünhaarige, in luftige Shorts und in ein Top gekleidet, schnappte ihre Unterstützerin schnell am Handgelenk und ergriff gemeinsam mit ihr die Flucht. Wie kleine Kinder brachten sie sicheren Abstand zwischen sich und die grummelnde Yuri. Es war sagenhaft, wie verändert Momoko sich in Gegenwart ihrer Freundinnen fühlte. Jünger, fast wie ein Kind… Der Morgen, den sie mit Yosuke verbracht hatte, begann wie ein schöner Traum zu verschwimmen. Das machte es leichter für sie nicht immerzu daran zu denken. „Lasst und etwas essen gehen, der Film war lang und ich verhungere allmählich!“ „Und das aus deinem Mund, Yuri.“, zog Hinagiku die schlanke, hochgewachsene Oberschülerin auf. Es war inzwischen früher Nachmittag geworden und natürlich hatte die Brünette jeden Grund zu klagen, denn Popcorn und Softdrinks konnten keinen Magen glücklich stimmen, der regelmäßige Mahlzeiten gewohnt war. „Ich habe auch Hunger… ich bin für Okonomiyaki!“, schlug Momoko vor. „Au ja!“, stimmten ihre beiden Begleiterinnen unisono zu. Ein Schnellimbiss mit Sitzgelegenheit war in der gut befüllten Promenade rasch gefunden. An diesem Sonntag war einiges los auf den Straßen, obwohl nur die wenigsten Lokale und Geschäfte geöffnet hatten. Um der schwülen Wärme und der unnachgiebigen, späten Maisonne wenigstens ein bisschen zu entgehen, setzte sich das Trio weit weg von der Fensterfront. Es war ein kleiner Laden mit dunklen Möbeln und noch dunkleren Holztäfelungen an den Wänden. Im Hintergrund leierte altmodische Enka-Musik vor sich hin und die Luft war geschwängert vom Duft frisch gebratenen Weißkohls und Bonito-Flocken. „Wenigstens gibt es Deckenventilatoren!“, bemerkte Yuri erleichtert und fächerte sich mit der Getränkekarte frischen Wind in den verschwitzten Nacken. Mit der freien Hand holte sie ihre Haare über ihre linke Schulter nach vorne und ordnete ihre schweren, braunen Locken. Stöhnend beschwerte sie sich weiter: „Das ist kein Wetter für offen getragene, lange Haare.“ In stiller Zustimmung lüftete auch Momoko ihre Mähne ein wenig. Nur Hinagiku grinste selbstgefällig und schnipste gelassen eine Haarsträhne, ihrer Bobfrisur, in die Luft. „Tja, bei solchen Luxusproblemen kann ich nicht mitreden.“, kommentierte sie ihre Geste frech. Sofort wurde sie dafür von Yuri gemaßregelt und es entstand ein weiteres, kleines Streitgespräch. Diesmal über das Pro und Kontra von langen und kurzen Haaren. Momoko stand derweil auf und bestellte am Tresen direkt Eistee für sie drei. Wieder an ihrem Platz angekommen, blätterte sie müde in der Speisekarte zwischen all den möglichen Zutaten für die Okonomiyaki hin und her. Sie gähnte langgezogen. „Hey, was ist denn los mit dir? Das hast du schon im Kino andauernd gemacht und dir dabei sogar die Augen gerieben. Hast du die Nacht durchgemacht, oder was?“ Perplex schaute sie in Hinagikus braune Augen. Diese saß über ihren Eistee gebeugt und nuckelte genüsslich am Strohhalm herum, ohne den Blick von ihr zu wenden. Wie ein Luchs, der seine Beute beobachtete. „Was, ich? Nein… ich, äh… habe nur nicht so gut geschlafen. Das ist alles.“ „Du und nicht gut geschlafen? Du schläfst doch immer wie ein Murmeltier!“ Momoko warf Yuri dafür einen vorwurfsvollen Blick zu. „Tse, früher vielleicht, als wir keine anderen Probleme außer unseren Schulnoten und die Deadlines für unsere Schülerzeitung hatten.“, konterte sie schnippisch. „Wo drückt denn der Schuh? Lief das Date mit Takuro nicht gut?“ Hinagiku sprach das Wort Date wie ein Schimpfwort aus und ließ fast genauso angewidert ihre Augenbrauen dazu tanzen. Yuri war eine ähnliche Skepsis anzusehen; beiden lag die zweifelhafte Verbindung zwischen ihr und Takuro nach wie vor quer im Magen. Sie waren genauso stur und schwer zu überzeugen, wie ihr Vater. Die Rosahaarige fühlte, wie ihr Gesicht heißer wurde, aber versuchte dennoch sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Geräuschvoll schlürfte sie hastig die letzten Tropfen ihres Getränks aus. Schmelzend rutschten die zurückgebliebenen Eiswürfel in dem nun leeren Glas ineinander. „Da läuft alles perfekt.“, betonte Momoko heraushebend. „Außerdem war das kein Date, sondern ein gemeinsamer Besuch bei meinem Vater.“ Von diesem hatte sie ihnen bereits ausgiebig auf ihrem Weg zum Kino erzählt, nachdem sie sie von Zuhause abgeholt hatten. Sehr hatten sie sich mit ihr darüber gefreut, dass Shôichirô eine baldige Entlassung bevorstand. Nur die Details rund um ihr Gefühlswirrwahr, während des Besuches, sowie ihre nicht ganz freiwillige Übernachtung bei Takuro, hatte sie ausgelassen. Die sittsam erzogene Yuri wäre sonst wahrscheinlich, vor lauter Schreck, auf ihrer Bank in Ohnmacht gefallen. Und wie Hinagiku wohl erst darauf reagieren würde…? Das wollte sie sich lieber gar nicht erst ausmalen. „Nein, nein… damit hatte meine unruhige Nacht nichts zu tun.“, ergänzte sie, nachdem ihr das bohrende Starren ihrer Freundinnen langsam unangenehm wurde. „Entschuldigung, haben die Damen schon gewählt?“ Der Kellner; ein smarter, gut gebauter Japaner mit kurzen, schwarzen Haaren und Grübchen in den Wangen, unterbrach sie nur ungern. Momokos Freundinnen reagierten bei seinem Anblick pubertär wie eh und je, als hätte sich seit der Mittelschule nichts geändert. Mit einem strahlenden Lächeln und Herzchen in den Augen, kokettierten sie liebreizend mit ihm und gaben kichernd ihre Bestellungen auf. Sie selbst erhielt sich wenigstens ihr letztes bisschen Selbstachtung und bestellte so, wie es erwachsene Menschen tun würden. Kaum war er weg, beugte sie sich kopfschüttelnd und flüsternd zu den Pheromon versprühenden Damen hinüber. „Also wirklich… das Hinagiku Typen wie ihn anschmachtet kann ich ja noch verstehen, aber du, Yuri, du hast doch Kazuya.“ Yuri drückte ihr edles Kreuz durch und gab sich völlig unbeeindruckt von Momokos halbherziger Kritik an ihrem Flirtverhalten. „An Kazuya reicht ja auch absolut niemand heran, deshalb ist Schauen erlaubt. Er hat deswegen nichts zu befürchten, denn er ist und bleibt meine Nummer Eins! Trotzdem ist es doch ein schönes Gefühl für eine Frau, wenn sie merkt, dass auch andere Männer sie beachten.“ Melodramatisch warf sie ihre langen Haare mit einer schwungvollen Kopfbewegung, wie aus einem Shampoo-Werbespot, nach hinten. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich für eine vollwertige, reife Frau hielt. „Aber du hast doch ihn angeschmachtet und nicht andersherum.“, korrigierte Hinagiku sie provozierend. „Ach! Was weißt du schon! Dich hat er doch gar nicht erst wahrgenommen! Immerhin hatte er eine Lady vor sich, da blieb kein Platz für ein Mannsweib in seinem Blickfeld.“ „Bitte?!“ „Hey, hey, hey! Kommt mal wieder runter, Mädels!“, schritt Momoko lachend ein. Sie grinste hilflos in die kleine Runde. „Ich bin mir sicher, der Kellner hat euch beide gleich nett angelächelt. So, wie er es mit jeder seiner Kundinnen tut.“ Sie zwinkerte ihnen beschwichtigend zu und lehnte sich dann wieder entspannt in ihren Sitz zurück. „Hört, hört… da spricht die Profi-Kellnerin aus ihr.“, zog Yuri sie neckend auf. Der kleine, alberne Zank war längst vergessen. Er war sowieso nicht von ernster Natur gewesen. „So ist es.“, reagierte die Rosahaarige prompt. Hinagiku verschränkte die Arme und grinste sie verschlagen an. Ihre Augenbrauen tanzten dabei wieder La Ola. „Für ein ordentliches Trinkgeld lächelst du bestimmt auch allerhand Typen in eurem Café an, oder?“ Es sollte ein Witz sein; ein harmloser Spaß, aber niemand lachte darüber. Der fade Beigeschmack, den ihre unglücklich gewählte Ausdrucksweise verursacht hatte, war nicht zu ignorieren. Zwar lächelten alle Beteiligten verkniffen, doch sogar Hinagiku selbst merkte, dass ein peinliches Schweigen entstanden war. Vielleicht wäre es anders angekommen, wenn ihre Freundin nicht wirklich jeden Heller zwei Mal umdrehen müsste. „Ach sag mal, Momoko…“, wechselte Yuri, geistesgegenwärtig und taktvoll, wie sie war, das Thema. „…das wollte ich dich vorhin schon fragen: Du und Takuro, ihr hattet also keinen großen Streit nach unserem Abend letzte Woche?“ Die junge Frau blinzelte nur verwirrt, also holte die Brünette weiter aus. „Na du sagtest doch vorhin, dass es zwischen euch gut läuft.“ Sie mied das Adjektiv perfekt. „Er war dir also nicht lange sauer, dass wir dich in einen Club geschleppt haben?“ „Yosuke hatte uns nämlich den Eindruck vermittelt, dass er echt stinkig drauf war, deswegen...“, ergänzte die Kurzhaarige. Da war er: Der Name desjenigen, den sie seit einigen Stunden versuchte in die hinterste Ecke ihrer Gedanken zu verbannen. Unweigerlich beschleunigte sich ihr Puls und das Blut strömte ihr in die Wangen. Sie hörte es vor Aufregung darüber, dass man ihr ihre Nervosität vielleicht ansehen könnte, sogar in ihren Ohren rauschen. Yuri und Hinagiku beobachteten das angeregte Mienenspiel in ihrem Gesicht. „Äh… Momoko? Alles ok?“ Nein nichts war ok; in ihrer rechten Hand ließ sie ihr leeres Glas immer wieder kreisen und starrte dabei, mit tiefen Falten auf der Stirn, die sich verflüssigenden Eiswürfel an. „Momoko???“, wiederholte Yuri, deutlich besorgter, als beim ersten Mal, ihre Frage nachdrücklich. Endlich schaute sie auf und in die grünen Augen ihres wenig älteren Gegenübers. Danach in die Rehbraunen von Hinagiku, die einen noch fragenderen Eindruck, als ihre Sitznachbarin machte. „Nun, es ist so… Takuro war schon etwas… verstimmt wegen der Sache. Das hatte ich euch ja letztens schon am Telefon erzählt. Das war aber nicht nur wegen des Clubs oder meinem Outfit oder wegen dem Alkohol…“ „Alkohol?!“, warfen ihre Freundinnen schockiert ein. „…sondern weil er ziemlich eifersüchtig und misstrauisch ist.“, erklärte sie ungerührt zu Ende. „Du hast Alkohol getrunken?“, hakte Yuri beharrlich nach. Momoko schnaubte entnervt. Hätte sie doch besser ihr voreiliges Mundwerk gehalten. „Ja~ha… aber das ist nicht das Thema.“ Hinagiku, immer schnell begeistert von jeder Dummheit, die man anstellen konnte, lehnte sich so weit es ging über den Tisch. „Wie bist’e denn da drangekommen?“ Die Rosahaarige rollte mit den Augen. Sie kam anscheinend nicht weiter, wenn sie den Fragen ihrer Tischgesellinnen auswich. „Von diesem Kerl, der versucht hat bei mir zu landen.“, gestand sie deshalb notgedrungen. Die burschikose junge Frau ihr gegenüber wurde sofort hellhörig. „Der, den Yosuke dann für dich platt gemacht hat?“ Wieder erstarrte sie kurz und lief rot an. Mit gesenktem Blick nickte sie zögerlich. „Ja…“ Analysierend kniff die Dunkelhaarige die Augen zusammen. Sie merkte sofort, dass Momoko etwas Bestimmtes auf dem Herzen hatte. „Takuro war wütend wegen Yosuke, stimmt’s? Weil er euch zusammen gesehen hat.“, schlussfolgerte sie. Erleichtert, dass Yuri das Thema wieder in die richtige Richtung lenkte und gleichzeitig auch noch das Kernproblem ansprach, schaute sie auf. „Ja, das stimmt. Er ist vor Eifersucht fast ausgeflippt, obwohl er und ich nur geredet haben…“ Bei der Erinnerung daran, biss sie sich verärgert auf die Unterlippe. Die verdrängten Bilder und Dialoge, dieser Auseinandersetzung, lebten in ihren Gedanken wieder auf. Er hatte sie wie seinen Besitz behandelt, über den er herrschen und verfügen konnte, wie es ihm beliebte. Ihre Nackenhaare stellten sich bei der Verachtung, die sie in diesem Moment wieder für ihn empfand, auf. „Aber er hat sich wieder beruhigt?“, hinterfragte Hinagiku mit argwöhnischem Blick. „Ja, schon… aber er hat mir danach strikt verboten mich mit Yosuke abzugeben und eigentlich ist sein Vertrauen in euch auch auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Am liebsten wäre es ihm, wenn ich mich nur noch auf ihn und unsere Zukunft konzentrieren- und mir eher Bekanntschaften in seinen Kreisen suchen würde.“, erklärte sie verbittert. „Waaas? Der spinnt doch total! Jetzt verstehe ich auch richtig, wieso Yosuke dir aus dem Weg gehen wollte! Er wusste von Takuros Spleen und dass das nur Ärger für euch beide geben würde.“ Yuri schaute Hinagiku perplex an. Ob die junge Sportlerin ihr noch nicht alles von der Begegnung in dem Club erzählt hatte? „Heißt das, Takuro ist so eifersüchtig und misstrauisch, dass er dir deswegen gleich komplett Männerfreundschaften und ein bisschen harmlosen Spaß verbietet?“ Momoko schluckte bedrückt. „So kann man das sagen.“ Sie behielt lieber für sich, dass er sie in der letzten Woche beinahe krankhaft überwacht hatte und es fast an ein Wunder grenzte, dass er ihr überhaupt dieses Treffen mit ihnen erlaubte. Noch viel mehr galt es allerdings zu verschweigen, dass sein Misstrauen leider nicht unbegründet war… „Was ist denn das für eine Beziehung, wenn er dir nicht vertraut und dir alles verbietet, das dir etwas bedeutet?“, schimpfte die Dunkelhaarige verärgert. „So ist das ja auch wieder nicht… meine Fotografie und meinen Job im Maid-Café lässt er mich ja auch machen.“, versuchte sie Takuro ein wenig zu verteidigen, denn ihr schlechtes Gewissen, ihm gegenüber, meldete sich. Hinagiku funkelte sie ungläubig an. „Aber passen tut es ihm nicht wirklich, stimmt’s?“ Daraufhin wollte sie noch etwas erwidern, doch sie war entwaffnet. Sie hatte keine Argumente dagegen und wenn, dann wären es nur erlogene gewesen. Ihre beiden Freundinnen schauten sich bedeutsam an. Momokos Schweigen war aufschlussreicher für sie, als tausend Worte. Wieder war es die Kurzhaarige, die sie nach dieser kurzen Pause ansprach. „Hast du seitdem trotzdem mal wieder etwas von Fuma gehört? Und seid ihr denn noch dazu gekommen euch auszusprechen, bevor Takuro dich eingesackt hat?“ Sie konnte ihre Frage so salopp verpacken wie sie wollte, die blauäugige Highschool-Schülerin rutschte trotzdem verlegen in ihrem Sitz zusammen und wich den neugierigen Blicken der Beiden aus. „Ja, wir hatten danach noch mal Kontakt…“, nuschelte sie fast so leise vor sich her, dass es zwischen dem Summen des Deckenventilators und den Geräuschen aus der offenen Imbissküche fast nicht zu hören war. Yuri und Hinagiku hatten die Ohren aber gut genug gespitzt. Sie rissen verblüfft ihre Augen auf und taxierten sie mit interessierten Blicken. Momokos Gesicht begann erneut zu glühen, denn Kontakt war im höchsten Maße untertrieben ausgedrückt! „Müssen wir dir wirklich jede Einzelheit aus der Nase ziehen oder rückst du jetzt endlich von selbst mit der Sprache raus?“, forderte die Größere von beiden ungeduldig. „Er… er hat mich am Montag nach der Schule abgefangen. Da haben wir dann auf dem Heimweg zu mir geredet.“ »Geredet! Wenn es mal nur das gewesen wäre!!!«, dachte sie beschämt. Ihr Kopf rauchte förmlich bei all den heißen Erinnerungen an diesen Tag. „War da nicht dieser Wolkenbruch?“, bemerkte Hinagiku beiläufig. „Schon… ich habe mein Rad geschoben und wir haben uns notgedrungen einen Regenschirm geteilt.“, erklärte Momoko leise und begann nervös am Saum ihres Kleides herumzuspielen. Ihr Herz hämmerte verräterisch in ihrer Brust und sie ahnte schon, welche Reaktionen ihre Antwort nach sich ziehen würde. Die selbsternannte Lady unter ihnen verfiel nach dieser Erläuterung auch direkt in ihre altbekannte Schnappatmung. Ihre perfekt manikürten Finger gruben sich dabei aufgeregt in die unnachgiebige Tischplatte. „Im Ernst jetzt?“ Resignierend nickte die Blauäugige stumm. „Von dieser Geschichte bekomme ich ja richtiges Herzklopfen! Das ist ja fast wie bei Romeo und Julia! Er, der Todfeind von Julias Verlobten, schleicht sich nachts heimlich unter ihren Balkon und verführt sie…“ Rot wie eine Tomate, machte Momoko eine beschwörende Handbewegung, damit Yuri ja aufhörte, ihre poetischen Hirngespinste weiter laut auszusprechen. „Schhhh, erzähl doch keinen Mist! So war das gar nicht!“, zischte sie eindringlich. Reflexartig sah sie sich um, ob auch niemand sie belauschte, obwohl sie eigentlich wusste, dass diese Befürchtung unbegründet war. Hinagiku ließ das nur noch mehr stutzen. „Du glühst wie ’ne Lavalampe und benimmst dich grad wie ’ne echte Schwerenöterin. Ihr habt also nur geredet… über was denn? Habt ihr euch ausgesprochen und vertragen?“ Die Rosahaarige verschränkte ihre Arme ebenfalls und ging in Abwehrhaltung. „Wisst ihr… Ihr klingt beide so, als wolltet ihr ihm und mir immer noch eine Liebesbeziehung anhängen. Da ist aber nichts zwischen uns! Wir wissen beide ganz genau, wohin wir gehören.“ „Hm…“, seufzte Yuri nachdenklich und zeichnete mit ihrem rechten Mittelfinger den Rand ihres Glases Runde um Runde nach. „Du musst aber schon zugeben, dass das irgendwie alles sehr dramatisch und… na ja, auch romantisch klingt.“ „Da ist weder Drama noch Romantik bei uns im Spiel!“, beharrte Momoko ernst. Hinagiku verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf und lehnte sich lässig zurück. „Ich finde, Yuri hat Recht. Erst erzählst du uns gar nichts davon, dass du dich mit Yosuke auf wundersame Weise vertragen und angefreundet hast, dann zerstreitet ihr euch wegen Hiromi und Takuro so stark, dass du einen halben Nervenzusammenbruch hast; heulst und ihm nicht mal gegenüber stehen willst… Dann erfahre ich von ihm, dass er sich nur aus Rücksicht auf die Beziehung zwischen dir und Takuro wie ein Idiot verhalten hat und nun holt Yosuke dich wiederum heimlich von der Schule ab und ihr teilt euch sogar einen Schirm. Wenn das nicht klingt, wie ein Schmierenroman, na dann weiß ich auch nicht…“ Yuri nickte die Ausführung dankbar ab. „Siehst du, Momoko? Selbst Hinagiku findet das alles merkwürdig.“ Natürlich war das merkwürdig! Wollte sich die Hobbyfotografin am liebsten lautstark verteidigen. Ihnen fehlte ja auch mehr als die Hälfte an Informationen… sie waren so nah an der Wahrheit dran, aber ahnten nicht, wie kompliziert das alles tatsächlich war. „Ich bin mit Takuro verlobt. Und Yosuke ist mit Hiromi zusammen. Wir sind nur Freunde. Punkt.“, ratterte sie störrisch herunter. Sie würde sich auf keinen Fall in die Ecke drängen und aus der Reserve locken lassen. Egal was sie wirklich für den jungen Torwart empfand, sie würde es niemanden zeigen. Ihr Herz begehrte gegen ihren Willen, den süßen Schmerz in ihrer Brust niederzuringen, heftig klopfend auf, doch ihr Verstand war in diesen Minuten stärker. „Und das werde ich auch beweisen.“, setzte sie ganz ruhig fort. Die ungeteilte Aufmerksamkeit und Verwunderung ihrer Freundinnen galt nun ganz ihr, selbst als der süße Kellner in diesem Moment ihre Okonomiyaki servierte und dabei wieder sein strahlendes Zahnpasta-Lächeln präsentierte. „Takuro wird mir nicht erlauben mit Yosuke Kontakt zu haben. Wahrscheinlich nicht mal, wenn er dabei wäre und ich bin mir sicher, wenn Hiromi wüsste, dass wir uns gut verstehen und uns zwischendurch sogar heimlich gesehen haben, würde sie ganz schön durchdrehen.“ Hinagiku grinste breit und süffisant. „Die würde ’nen richtiges Fass aufmachen! Da würde ich gerne Mäuschen spielen.“, kicherte sie amüsiert. „Pscht!“, maßregelte Yuri sie und trat ihr unter dem Tisch gegen den Fuß. „Das Problem ist… die Freundschaft zu euch ist ihm auch ein Dorn im Auge. Im Grunde ist jeder für ihn eine Bedrohung, der ihn damals zur Schulzeit ausgeschlossen hat oder ihm in irgendeiner Weise überlegen ist.“ „Ach so? Ich hab’ ja eher das Gefühl, dass wir diesem Neu-Schnösel nicht mehr gut genug sind…“, unterbrach sie erneut die Grünhaarige. „Hi-na-gi-ku! Kannst du sie nicht ein Mal ausreden lassen?!“ „Ist schon gut. Ganz Unrecht hast du ja damit nicht. Takuro ist charakterlich etwas… unbeständig. Wie man es auch dreht und wendet, meine Freunde und mein Leben sind mit dem, was er sich vorstellt, derzeit irgendwie schwer vereinbar.“ Bedauernd schauten Yuris smaragdgrüne Augen in ihre. Langsam schien sie zu begreifen, in welcher Zwickmühle sie steckte. „Wir sind dir natürlich so wichtig, dass du uns nicht für ihn aufgeben möchtest, aber seine Wünsche und Bedürfnisse sind dir auch nicht egal.“, schlussfolgerte sie logisch. Momoko nickte, obwohl es nur der halben Wahrheit entsprach. Er würde sie vielleicht oder sogar wahrscheinlich, mit ihren Problemen unter Druck setzen, wenn sie sich seinem Willen widersetzte oder er gar herausfand, was sie alles hinter seinem Rücken veranstaltete. Aber das konnte sie ihnen nicht sagen, obwohl sie ja schon längst wussten, aus welchen Gründen sie eigentlich dieser Eheschließung zugestimmt hatte. „Und Yosuke ist dir auch wichtig.“, ergänzte ihre Sitznachbarin ausnahmsweise ohne irgendeinen spitzen Unterton. Um die aufsteigenden Flugzeuge in ihrem Bauch ruhig zu stellen, begann Momoko ihr Okonomiyaki in sich reinzuschaufeln. Das Katsubushi darauf tanzte noch zitternd in der aufsteigenden Wärme. „Ich habe beschlossen mit Takuro ganz offen zu reden.“, erzählte sie mit vollem Mund und ignorierte dabei ganz bewusst Hinagikus letzte Aussage. „Es muss auch einen Weg geben, dass wir uns alle miteinander verstehen ohne Vorurteile zu haben oder uns gegenseitig zu misstrauen. Wir müssten nur gemeinsam hin und wieder Zeit miteinander verbringen.“ „Wir alle? Wen schließt du da mit ein? Und wie stellst du dir das vor?“, hinterfragte Yuri kritisch. Weiter auf ihr Essen konzentriert, redete die Angesprochene kauend weiter. „Na alle eben. Takuro, euch, Kazuya und…“ Sie brachte es kaum über die Lippen; konnte sie doch selbst nicht glauben, dass sie diesen Entschluss gefasst hatte. „…und eben auch Yosuke und… Hiromi.“ „Hiromi?!“, stießen die Mädchen gleichzeitig entrüstet aus. „Ich weiß! Himmel, ich bin auch kein Fan von ihr, aber sie gehört nun mal zu Yosuke dazu! Also, was soll ich machen?“ „Schätzchen, das klappt niemals. Takuro dazu zu bringen sich mit uns oder sogar mit den Jungs zu verstehen, das hielt ich ja schon für ’ne Schnapsidee. Aber DIE soll auch noch bei uns mitmischen? Ist die Mayo auf deinem Essen nicht mehr gut, hat man dir was in den Eistee getan oder was? Du kannst sie doch noch am wenigsten von uns ausstehen!“ „Ich hätte wohl eine andere Formulierung dafür verwendet, aber ich schließe mich Hinagiku da voll an!“ Momoko schluckte herunter und seufzte hoffnungslos. Sie legte ihre ineinander verschränkten Hände vor sich auf den Tisch und sah ihren Freundinnen bittend in die Augen. „Bitte, lasst mich nicht hängen. Ich habe noch keinen genauen Plan, wie das werden oder funktionieren soll, aber wenn, dann geht das nur mit eurer Hilfe. Wenn ihr der Sache keine Chance gebt, dann brauche ich Takuro gar nicht erst darauf anzusprechen.“ Beide tauschten bedrückte Blicke, aber es sah nicht so aus, als würden sie nur wegen der herzerweichenden Betonung in ihrer Stimme sofort nachgeben wollen. Momoko musste ihnen mehr erzählen, damit sie ihren Leidensdruck besser verstanden. „Takuro will nach dem Abschlussjahr wieder im Ausland studieren und er will, dass ich mit ihm mit gehe.“ Sofort wandten sie sich, mit angehaltener Luft, wieder zu ihr um. „Wenn wir uns jetzt schon nicht mehr uneingeschränkt sehen können, wann und wo wir es wollen, dann befürchte ich, dass wir uns völlig aus den Augen verlieren werden, wenn ich erstmal nicht mehr hier in Japan lebe. Takuro wird euch bestimmt nicht zu Besuchen zu uns einladen, vielleicht auf Betteln meinerseits, aber niemals… niemals…“ Plötzlich versagte ihre Stimme und Tränen verschleierten ihre Sicht. Sofort sprangen ihre Freundinnen auf und nahmen sie tröstend in ihre Mitte. „Momoko… ich wusste nicht, dass es so ernst ist…“, beschwichtigte Yuri sie und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Hinagiku zog ein Stofftaschentuch aus ihrer Hosentasche und reichte es dem aufschluchzenden Häufchen neben sich. „Deswegen musst du doch nich’ gleich heulen... Is’ ja kein Wunder, dass du nachts nicht pennen kannst, wenn du dich mit so was beschäftigst.“ Tränenerstickt schüttelte Momoko den Kopf und schnäuzte jämmerlich in das Tuch. Sie war selbst geschockt von ihrem Gefühlsausbruch. Die Mädchen um sie herum wussten nicht, was los war. Auch, wenn sie es glaubten. Aber da sie ihren Satz nicht mehr hatte beenden können, fehlte ihnen die wichtigste Information. »…aber niemals Yosuke.« Schon zum zweiten Mal an diesem Tag brachte sie der Gedanke zum Weinen, dass sie irgendwann endgültig von diesem Mann getrennt sein würde. Stumm trafen derweil ihre ehemaligen Klassenkameradinnen eine Entscheidung, die sie sich über ein verstehendes Nicken gegenseitig mitteilten. „Hey, alles wird gut. Natürlich ziehen wir drei gemeinsam an einem Strang. Ich kenne Takuro schon so viele Jahre; es wäre doch gelacht, wenn wir das nicht hinbekommen!“, versuchte Hinagiku sie aufzumuntern. „Genau, und Kazuya wäre der Letzte, der sich deiner Idee verweigern würde. Er kennt Yosuke und kann eigentlich mit jedem umgehen, also wird das schon werden! Mit Hiromi werden wir dann auch noch fertig. Also rede mit deinem Freund und dann findet sich schon eine Lösung.“ Momoko lachte leise zwischen ihren verebbenden Schluchzern und empfing das warme, liebevolle Lächeln ihrer besten Freundinnen. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. „Danke.“, hauchte sie leise und tupfte sich die Tränen von den Wangen. Sie setzten sich alle wieder an ihre Plätze und machten sich nun auch über ihre Okonomiyaki her, ehe sie zu kalt wurden. Nur der verheulten Momoko war der Appetit vergangen. Obwohl sie sich hätte freuen müssen, eine der zu bestreitenden Hürden, für ihren Plan, erfolgreich genommen zu haben, fiel ihr das ausgelassen sein sehr schwer. In ihr drin herrschte Chaos und allmählich dämmerte ihr, dass ihre Idee nur auf ihrem eigenen Egoismus beruhte und rein gar nichts damit zu tun hatte, dass sich möglichst alle Involvierten miteinander verstanden. Es ging ihr dabei nur um Yosuke; um einen Weg, wie sie es möglich machen konnte, nicht auf ihn verzichten zu müssen und nicht jedes Treffen mit ihm in aller Heimlichkeit ablaufen zu lassen. »Ich bin so dumm…« Sie schnaubte mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen und stützte ihren Kopf dabei auf ihrem linken Arm ab, damit ihre Gegenüber ihren leidenden Gesichtsausdruck nicht gleich mitbekamen. Es war sinnlos, sich weiter etwas vormachen zu wollen, denn ihr Körper und vor allem ihr Herz, schlugen schon länger einen sehr eindeutigen Ton an. Sie hatte es noch am Morgen, während des Sonnenaufgangs, nicht wahrhaben wollen, aber jetzt war es ihr klar; sie war dabei sich in Yosuke Fuma zu verlieben. Kapitel 50: Guilty conscience ~Yosuke~ -------------------------------------- Der Sonnenstand kündigte den nahenden Vormittag an. Die kleine Stadt zu Füßen dieses Hügels begann sich mit Leben zu füllen und auch von der nahegelegenen Straße hörte man immer öfter das Brummen vorbeifahrender Autos. „Es wird Zeit zu gehen.“, hörte er sich sagen. Sie lächelte wieder; warum sie zuvor geweint hatte wusste er nicht, aber er fragte sie auch nicht weiter danach. Er hatte das Gefühl, dass sie darüber nicht reden wollte. Weiß Gott, sie hatte genug Gründe dafür… ihm war nur wichtig, dass sie sich damit nicht allein fühlte. Vielleicht war es auch nur das Lied, das sie ergriffen und aufgewühlt hatte. »Wer weiß.«, dachte er. »Vielleicht auch alles zusammen.« Er selbst fühlte sich glücklich und unbeschwert. So viel Überwindung hatte es ihn gekostet, sie hierher mitzunehmen und nach Jahren wieder auf seiner Gitarre zu spielen, doch jetzt war er froh darüber, dass er es gemacht hatte. Sie hatten schnell zusammengepackt. Fast ein bisschen zu schnell, dachte er bedauernd und genehmigte sich noch einen letzten, ausgiebigen Blick auf die Aussicht. Seine Begleiterin hetzte ihn nicht. Im lauen Wind strich sie sich eine Haarsträhne hinter das linke Ohr und schaute ebenfalls in die Ferne. Er sah aus dem Augenwinkel, dass ihre Augen das Licht himmelblau reflektierten. Einfach alles an ihr faszinierte ihn; mehr und mehr zog sie ihn an. „Hilfst du mir wieder beim Abstieg?“, fragte sie ihn und lächelte etwas hilflos. Er musste schmunzeln, als sie dabei auf ihr unpraktisches Schuhwerk zeigte. Das war wie ein stummes Eingeständnis, dass er mit seiner Warnung Recht gehabt hatte. „Sicher. Ich kann doch schließlich nicht verantworten, dass du den Abhang runter purzelst.“ Sofort warf sie ihm, wie erwartet, einen vernichtenden Blick zu, über den er nur amüsiert lachen konnte. Es machte ihm unheimlich viel Spaß sie zu necken. Die ersten Schritte durch das wilde Unterholz waren leicht gewesen, aber das verwitterte Herbstlaub, des letzten Jahres, überdeckte hier und da tückische Wurzeln. Sie beide hatten etwa die Hälfte des Weges geschafft, als Momoko, die aus Trotz ein kleines Stück voraus gelaufen war, auf dem steilen Hang ins Rutschen geriet und kreischend stolperte. Er handelte instinktiv schneller, als er denken konnte. Alles was er trug ließ er fallen und sprang ihr kühn hinterher. Kaum hatte er sie an einem Arm gepackt, strauchelten sie gemeinsam noch ein Stück weiter abwärts, bis er seine Füße schließlich bremsend gegen den Hügel stemmen konnte und sie so in einer ruckartigen Bewegung zum Stehen kamen. Erschrocken starrten ihn ihre riesigen Augen an, als er sich zusätzlichen Halt an einem Strauch suchte und sie mit der anderen Hand zu sich heran in Sicherheit zog. „Das war knapp!“, stellte er fest.. Adrenalin pumpte durch seine Venen und sein Atem ging schnell, genauso wie ihrer. „Allerdings, danke.“, antwortete sie und sah sich noch mal ängstlich zum Abhang um. Wahrscheinlich hätte sie sich nichts Ernstes getan, vielleicht ein paar harmlose Schrammen von Sträuchern und Steinen oder ein verdrecktes Kleid… Aber so war sie nur mit einem Schrecken davon gekommen. „Du bist ein echter Tollpatsch.“, zog er sie kopfschüttelnd auf. Momoko hielt sich, anscheinend unbewusst, am Stoff seines Shirts fest und funkelte ihn vorwurfsvoll an. „Bergab ist mit den falschen Schuhen viel gefährlicher, als bergauf!“, verteidigte sie sich. Erst jetzt, fast Nase an Nase mit ihm, bemerkte sie, dass sie sich an seine Brust schmiegte, während er sie immer noch fest hielt. Sie verstummte und ein Hauch verlegenes Rosa hatte sich auf ihre Wangen gelegt. So wie sie ihn jetzt ansah, brachte das seinen Puls auf eine ganz neue Weise zum Beschleunigen. Er räusperte sich ein wenig und bemerkte, bei einem flüchtigen Blick woanders hin, dass ihr der rechte Kleiderträger von der Schulter gerutscht war. Fast schon automatisch ließ er seine Finger über ihren blanken Oberarm gleiten und schob ihn zurück über ihre Schulter, wo er hingehörte. Ihre Finger gruben sich dabei nervös noch mehr in sein Oberteil. Er konnte ihren flatternden Herzschlag an seiner eigenen Brust spüren und sah ihrem glühenden Gesicht an, wie unruhig seine flüchtige Berührung sie machte. Die Luft um sie herum hatte zu knistern begonnen. Momokos, von dichten Wimpern verhangender, Blick hatte sich verändert. Sie machte keine Anstalten sich von ihm zu lösen, stattdessen hingen ihre Augen für einen Moment lang an seinen Lippen. Er selbst rang um Fassung, denn das Blut in seinen Adern begann, bei dem Gedanken daran, dass er sie hier und jetzt einfach küssen konnte, zu köcheln. Es war der perfekte Platz; niemand würde sie sehen. Die Männlichkeit in ihm regte sich überdeutlich. Noch mit geschlossenen Augen fühlte er die Wärme ihrer Haut unter seinen Fingern prickeln und nahm den Duft ihrer Haare wahr. Seine Nase berührte ihre und sie schloss die Augen. Fast wäre er ihrer stummen Erlaubnis gefolgt, doch er konnte spüren, dass ihre Hände zitterten. Er wusste nicht warum, denn dafür gab es eigentlich keinen Grund, aber andererseits war sie möglicher Weise noch von der Situation vorhin aufgewühlt. Sollte er diesen Zustand wirklich ausnutzen? Ihr warmer Atem streifte seine Lippen und fast war sein Verlangen zu übermächtig, doch er überwand seinen animalischen Trieb mit aller Macht, schwer seufzend. Es würde niemals bei einem Kuss bleiben, wenn er ihren Mund erst einmal in Besitz genommen hatte. Sein Körper reagierte allein bei der Vorstellung daran, was an diesem abgelegenen Ort alles möglich war, sehr eindeutig. Dafür ließ er es sich nicht nehmen ihr Gesicht noch kurz zu streicheln, ihrem verwunderten Blick mit einem Lächeln zu begegnen und ihr einen flüchtigen, keuschen Kuss in die Kuhle zwischen Ohr und Hals zu hauchen. Er grinste, als sie dabei erschauerte. „Ich habe dich nicht hierher gebracht, um dich zu verführen.“, witzelte er spitzbübig. Peinlich berührt blinzelte sie sich zurück in die Realität und lief hochrot an. Sein Grinsen wurde breiter. „Yosuke, du bist ein Schuft!“ Hektisch befreite sie sich aus seiner schützenden Umarmung und begann die beiden Taschen einzusammeln, die er für sie achtlos losgelassen hatte. Er gab sich gewohnt lässig, als er ihr dabei half, doch sein Herz klopfte noch lange Zeit danach ungewohnt schneller als sonst. Als er die Augen aufschlug, war es finstere Nacht. Einen Moment lang war er orientierungslos, doch dann erkannte er die Vorhänge am Fenster, die Möbel um sich herum und das Bett in dem er lag. Ein Blick zur anderen Bettseite und er sah Hiromi eingerollt neben sich schlummern. Mit finsterem Blick und einer Hand auf seiner Stirn, starrte er wieder zur Decke. »Ein Traum.«, stellte er fest. Aber es war mehr als das; schließlich war es wirklich passiert. Sein Gesicht fühlte sich überhitzt an und sein Puls ging schnell. Die geträumte Wiederholung des vergangenen Morgens hatte sich sehr, sehr real angefühlt. Mit grimmiger Miene rollte er sich mit dem Gesicht zur Wand, weg von seiner schwangeren Freundin. Jetzt wünschte er sich, er hätte Momoko doch im Wald geküsst und vielleicht auch mehr gewagt… nun vermisste er sie und ihren warmen Körper schmerzlich. Es konnte manchmal ein echter Fluch sein, wenn man ein Mann war! Konzentriert versuchte er nicht mehr an sie zu denken. Nicht mehr an ihren begeisterten Ausdruck, als er ihr seinen Platz gezeigte hatte; nicht mehr an ihre schüchterne, zarte Stimme, als sie You Raise Me Up das erste Mal gesungen hatte; nicht an ihr Lachen, als sie gefrühstückt und dabei herumgealbert und gescherzt hatten; nicht an ihre Traurigkeit; nicht daran wie sie sich an ihn geschmiegt hatte; nicht daran wie… »Herrgott noch mal! So wird das nichts!« Yosuke schlug seine Decke zur Seite und watschelte ungalant ins Badezimmer. Dort hatte er genau zwei Möglichkeiten; entweder den jämmerlichen Weg der Erleichterung auf dem Klo hockend einzuschlagen, oder eine sehr kalte Dusche zu nehmen. Er zuckte resignierend mit den Schultern, als seine Wahl auf letzteres fiel. Das dieser gläserne und geflieste Quadratmeter so langsam aber sicher zu seinem stillen Ort des Grübelns wurde, wann immer seine Gedanken mal wieder um die junge Hobbyfotografin kreisten, überraschte ihn nicht mehr. Jetzt brauchte er neben dem eisigen Wasser nur noch ein anderes Thema, über das er zu dieser späten Stunde sinnieren konnte. Danach musste er nicht lange suchen. Schneller als ihm lieb war kam ihm wieder in den Sinn, wieso er in dieser Nacht zum ersten Mal, seit einer gefühlten Ewigkeit, in seinem Bett neben Hiromi aufwachte, statt auf seinem vertrauten Sofa. Es hatte damit begonnen, dass er irgendwann vormittags von seinem heimlichen Ausflug nach Hause zurückgekehrt war… Er hatte Brötchen und Crossaints auf seinem Heimweg besorgt. Das war zurzeit etwas, dass seine Freundin am liebsten jeden Morgen zum Frühstück as. Ganz nebenbei ersparte ihm das Blätterteiggebäck ihre kläglichen Kochkünste, also hatten sie sogar beide etwas davon. Bestens gelaunt; mit der Gitarre auf dem Rücken, der Brötchentüte zwischen den Zähnen und den Schlüsseln, sowie der Türklinke in den Händen, verschaffte er sich so leise es ging Zugang zu ihrer gemeinsamen Wohnung. Es war noch nicht allzu spät und Hiromi schlief neuerdings an Wochenenden gerne länger. Außer heute. „Du bist heute aber früh aufgestanden.“, begrüßte sie ihn mit verschränkten Armen im Flur. Sie konnte noch nicht lange auf sein, denn sie trug immer noch ihren pastellrosanen Schlafanzug bestehend aus einer Dreiviertelhose und einem kurzärmeligen Oberteil. Sie hatte außerdem noch lauter kleine Schleifchen im Haar, die ihre wilden Locken nachts davon abhielten sich unwiderruflich ineinander zu verknoten. „Gufen Morfen!“, begrüßte er sie heiter mit der Papiertüte im Mund. Er verschloss die Tür hinter sich und legte alles ab, was er im Augenblick nicht benötigte. Ihren argwöhnischen Blick, auf seine Gitarrentasche, fing er während des Schuheausziehens aus dem Augenwinkel heraus auf. „Ich habe dir Crossaints mitgebracht.“, versuchte er ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Du warst also beim Bäcker. Wozu brauchtest du denn da deine Gitarre?“ Er hatte keine Chance, Hiromi war bereits im Aggro-Modus. Mit Engelszungen und seinem versöhnlichsten Lächeln, redete er auf sie ein. „Ich habe dir doch erzählt, dass ein paar Schulkameraden sich mal mit mir zum Üben treffen wollen, erinnerst du dich?“ „Doch, natürlich. Aber es ist jetzt kurz nach neun. Ich habe dich weggehen hören, da war es draußen noch nicht mal hell. Es ist Sonntag und du willst mir erzählen, dass da irgendwelche Freunde mit dir musiziert haben? Wo denn bitte? Ich würde meine Nachbarn verklagen, wenn die mir so was zumuten würden!“ Yosuke ließ die Tüte mit den Backwaren in seiner Hand sinken. Es wurmte ihn gewaltig, dass er sich schon wieder einem ihrer Kreuzverhöre stellen musste. „Wir waren draußen in einem Park, damit wir niemanden stören. Ich kenne diese Jungs noch von ganz früher, als ich noch gespielt habe. Dir würden ihre Namen gar nichts sagen, aber wenn du mir nicht glaubst… was denkst du denn, wo ich wirklich gewesen bin?“ Hiromi stutzte, auf eine Gegenfrage schien sie nicht vorbereitet zu sein. „Ich… weiß nicht genau.“, gestand sie ungern. Er versuchte es erneut mit einem Lächeln und ging auf sie zu. „Na siehst du, wenn du es nicht mal selber weißt… dann glaub mir doch einfach.“ Sie zog ihre Stirn in Falten und machte ein weinerliches Gesicht. „Immer schließt du mich aus…“, hauchte sie bedrückt. „Was?“ „Du hast mich nicht mal gefragt, ob ich nicht auch Lust hätte mitzukommen. Ich hätte dich gerne mal spielen gehört.“ Perplex wich er zurück und musterte sie mit großen Augen. „Aber du schläfst doch gern länger…“ „Das ist doch egal! Darum geht es nicht! Du hast mich einfach von vorne herein ausgeschlossen – so machst du das in letzter Zeit ständig! Du gehst einfach weg, triffst dich mit Leuten… du fragst mich nie und sprichst auch nichts mit mir ab.“ Ihre Stimme begann zu stocken. Ihre katzenhaften Augen füllten sich mit dicken Krokodilstränen. Hilf- und sprachlos stand Yosuke vor ihr, als sie ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und hemmungslos losschluchzte. „Ich gebe mir solche Mühe dich nicht einzuengen und dir zu gefallen, koche für dich und schlafe weiter, ohne zu klagen, alleine… aber ich halte das nicht mehr länger aus! Immer wenn du weg bist habe ich Angst, dass du vielleicht doch wieder zu dieser anderen Frau gehst…“ Sein schlechtes Gewissen meldete sich heftig aus den Tiefen seines Unterbewusstseins zurück. Er konnte keine Frau weinen sehen; nicht mal Hiromi. Schon gar nicht wo er doch wusste, was für ein falscher Mistkerl er eigentlich war. Ihre Ängste und Bedürfnisse hatte er aus Frust und Wut über die Situation mit ihr und der Schwangerschaft einfach beiseite geschoben. Es versetzte ihm einen Stich, dass sie seinetwegen so litt. „Hiromi… es tut mir leid. Ich brauchte meine Auszeit von dem Ganzen und habe mich dabei wohl zu sehr distanziert.“ Sie schluchzte statt zu antworten. Hilflos legte er seine Hände auf ihre Schultern. „Hör bitte auf zu weinen. Was kann ich denn tun, damit es dir besser geht?“ Zögerlich und schniefend öffnete sie ihre Finger einen Spalt breit, um ihn ansehen zu können. „Sag, hasst du mich?“, fragte sie erstickt. Mild lächelnd schüttelte er den Kopf. „Aber nein.“ Plötzlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn stürmisch, dicht an ihn gedrängt. Vor lauter Schreck ließ er die Tüte fallen und stolperte, samt ihr, zwei Schritte zurück. Er war überrumpelt worden, aber wagte es nicht, sie mit Gewalt von sich zu lösen. Ihr Kuss schmeckte salzig und nach Verzweiflung. Beinahe flehend presste sie ihre schmalen Lippen auf seine und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte er tun? Im Prinzip gab es nur eine richtige Antwort… wenn er wollte, dass sie glücklich war und sie beide wieder auf den richtigen Kurs kamen, dann war es an der Zeit wieder einen Schritt auf sie zuzugehen. Also legte er, wenn auch etwas steif, seine Arme um ihre zierliche Taille und erwiderte ihren Kuss. Es war ein sehr merkwürdiges, sehr fremdes Gefühl. „Bitte, bitte… weis mich nicht mehr ab, wenn du noch ein kleines Bisschen Zuneigung für mich empfindest.“, wisperte sie dicht vor seinem Mund. Sein Innerstes versteifte sich; zu deutlich war die Gewissheit, dass es nicht Liebe, sondern Verantwortungsbewusstsein war, was ihn bei ihr hielt. Sie durfte sein Zögern nicht bemerken, also zog er sie zurück an sich heran. Sie empfand das als klare Liebesbekundung und ließ sich in dem erneuten Kuss ganz fallen. Verliebt strichen ihre Hände über seine kräftigen Oberarme. Versiegt waren ihre bitteren Tränen und fürs Erste waren auch ihre Ängste zerstreut. „Heißt das, du schläfst heute Nacht wieder bei mir?“ Erwartungsvoll strahlte sie ihn an und biss sich nervös auf die Unterlippe. „Wenn du das möchtest?“ Natürlich wollte sie das. Überschäumend vor Glück warf sie sich um seinen Hals. Yosuke hingegen fühlte sich innerlich wie betäubt und leer, aber ihm war klar, dass das der Preis für diesen Weg war. Der Torwart stellte das Wasser ab. Nun war sein Kopf wieder klar und auch der Rest seines Körpers abgekühlt. Yosuke vermied es auf die Uhr zu sehen. Kaum hatte er sich notdürftig abgetrocknet und wieder angezogen, schlich er sich zurück ins Schlafzimmer. Er war noch nicht ganz zugedeckt, da robbte Hiromi im Halbschlaf an ihn heran und kuschelte sich an seinen Rücken. Er seufzte und starrte in die Dunkelheit. »Ich wünschte, das wäre der Traum…<< Kapitel 51: Guilty conscience ~Momoko~ -------------------------------------- Wieder lag eine fast schlaflose Nacht hinter ihr. Momoko hatte den Wecker schon deaktiviert, noch bevor er sie überhaupt für die Schule aus dem Bett klingeln konnte. Sie lag auf dem Rücken und starrte Löcher in ihre Zimmerdecke, während sie mit beiden Armen ihr Kopfkissen umschlang. Die Tränensäcke unter ihren Augen wogen schwer; sie brauchte nicht in den Spiegel zu sehen, um zu wissen, dass sie fürchterliche Augenringe hatte. »Wie konnte ich nur auf diese schwachsinnige Idee kommen?!«, fragte sie sich wieder und wieder. Takuro zu bitten sich mit den Mädchen, aber auch mit Kazuya, Hiromi und Yosuke anzufreunden, hatte vor noch nicht ganz einem Tag ziemlich verlockend in ihren Ohren geklungen. Schließlich würde das vieles zwischen ihr und dem Torwart erleichtern... Aber es war absurd! Sie stünden trotzdem immerzu unter der Beobachtung ihrer Partner und Freunde. Die Chancen, dass Takuro oder Hiromi ihrer Idee überhaupt zustimmten, gingen ohnehin gegen null. Das war wohl auch das Beste so… Sie machte ein gequältes Gesicht und drückte es in ihr Kissen, um einen frustrierten Schrei damit zu dämpfen. Noch mehr Zeit mit Yosuke verbringen zu wollen, war eine schlechte Idee. Wenn sie in seiner Nähe war, konnte sie nicht mehr klar denken. Dann war alles rosarot. »Wieso musste mir das passieren?« Es war doch alles klar abgesprochen; sie waren nur Freunde plus mehr, wann und wenn sie wollten. Eine Affäre eben, ganz ohne den lästigen Gefühlskram. Daran hatte sie sich festgehalten und orientiert; schon lange davor hatte es für sie keinen Zweifel daran gegeben, dass da nicht mehr zwischen ihnen war, als das. Momoko zog das Kissen weg und schlug die Augen wieder auf. Wann war es passiert? Wann hatte sie angefangen sich in diesen Fußball spielenden Oberschüler zu verlieben? Ihr Herz machte einen kleinen Satz, als sie unwillkürlich an seine braungrünen Augen und sein schelmisches, schiefes Lächeln dachte. Es gab keinen festen Punkt, an dem es bei ihr gefunkt hatte. Ihre Gefühle für ihn waren einfach mit der Zeit entstanden… mit jedem Lächeln, das er ihr geschenkt hatte; mit jeder tröstenden, liebevollen Umarmung; mit jedem netten Wort, das sie von ihrem Kummer abgelenkt hatte; mit jeder zärtlichen Berührung; mit jedem Kuss… Ein wohliger Schauer schüttelte sie bei diesen Erinnerungen und ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen. Es war ein gutes, kribbelndes Gefühl in ihrem Bauch. Das mussten die Schmetterlinge sein, von denen man immer wieder hörte. Jetzt, nachdem sie sich das eingestanden hatte, war das Chaos in ihrem Kopf nicht mehr so groß. Momoko wusste jetzt, warum sie sich bei ihm so wohl und hingezogen fühlte, doch es stürzte sie gleichzeitig in ein heftiges Dilemma. Sie war mit Takuro Amano verlobt, würde ihn bald heiraten und dann ins Ausland mit ihm gehen, aber sie liebte einen anderen. Wieder stieg die Verzweiflung, in Form von Tränen, in ihr auf. »Es tut so weh!«, schrie sie in Gedanken und presste ihre Hände auf die Augen. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn einfach hinter sich zu lassen; ihm einfach Lebewohl zu sagen und danach nie wieder zu sehen. Aber sie konnte sich auch nicht mehr weiter mit ihm treffen. Nicht, nachdem sie nun wusste, wie es um ihr Herz bestellt war. Sie schluchzte laut, schließlich konnte sie in ihrem Zimmer niemand hören. „Blöde Liebe!“, schimpfte sie erstickt und riss ihre Bettdecke zur Seite. Als sie sich auf die Bettkante aufsetzte, klebten ihr zottelige Haarsträhnen im tränennassen Gesicht. Das war es nun also, was Verliebtsein mit sich brachte? Abgesehen von den ganzen neuen Problemen, die das verursachte, war allein schon das ständige Geheule Grund genug dafür, dass sie es verabscheute. Es war wie sie befürchtet hatte – sie tat weh und machte alles komplizierter. Genau deswegen hatte sie das für sich nicht mehr gewollt, nachdem es ihren Vater zugrunde gerichtet hatte. Aber auf der anderen Seite… diese Wärme in ihrem Herzen, die sie verspürte, wenn sie an Yosuke dachte und die Kraft, die seine Gegenwart ihr geben konnte; das war einmalig schön. „Gnah~ das führt doch zu nichts!“ Momoko vergrub ihr Gesicht in den Händen und versuchte das leidige Thema endlich abzuschütteln, das sie bis jetzt um ihren essentiellen Schlaf gebracht hatte. Sie kam ja doch nicht zu einem vernünftigen Ergebnis! »Was soll ich nur tun?« Die Antwort darauf konnte ihr das leere Zimmer nicht geben. Auch nicht die frühe Morgensonne, die sie daran erinnerte, dass es längst Zeit war sich für die Schule fertig zu machen. »Ich wünschte, ich könnte es Yuri und Hinagiku erzählen…« Wieder hatte sie sie angelogen und ihnen etwas vorgemacht. Die Lügenspirale drehte sich immer weiter abwärts und sie wusste nicht, wie sie aus diesen ganzen Verstrickungen jemals wieder glaubwürdig herauskommen sollte. Das hatte etwas sehr Ironisches. So hatte sie ihren Freundinnen doch noch vor gar nicht langer Zeit einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie vermehrt auf sich und ihr eigenes Privatleben fixiert waren, statt ihr in ihrer bislang schwersten Zeit beizustehen. Was sagte es dann erst über sie, als angeblich beste Freundin, aus, dass sie ihre zwei wichtigsten Bezugspersonen, neben ihrem Vater, seit Monaten anlog? Am Anfang waren es nur Notlügen gewesen, doch spätestens seit sie und Yosuke das erste Mal miteinander geschlafen hatten, hätte sie reinen Tisch machen müssen. Momokos schlechtes Gewissen verursachte einen hässlichen Knoten in ihrem Magen. Wie hätte Yuri wohl reagiert, wenn sie ihnen im Restaurant gebeichtet hätte, dass sie ein Verhältnis mit Yosuke hatte? Sie war vernünftig und verständig, bestimmt hätte sie ihr, nach dem ersten großen Schock, bis zum Schluss zugehört… vor allem, wenn sie ihr gestanden hätte, dass sehr wohl romantische Gefühle im Spiel waren. Andererseits… Ehrlichkeit und Vertrauen waren der Dunkelhaarigen sehr wichtig. Zu erfahren, dass sie schon von Anfang an von ihr belogen wurde, obwohl sie sie mit Hinagikus Hilfe sogar vor Takuro gedeckt hatte und versuchte zwischen ihr und Yosuke zu vermitteln… das hätte auch nach hinten losgehen können. Dazu der Fakt, dass sie sich von einem vergebenen Mann hatte verführen lassen und noch dazu verlobt war… »Oh nein, das widerspricht all ihren Wertvorstellungen! Sie würde sich wahrscheinlich von mir abwenden und mich für ein Luder halten.« Die junge Frau dachte an Hinagiku, die mit Takuro seit der frühen Kindheit befreundet war. Zwar hatten sich die Dinge inzwischen etwas verändert, aber Momoko glaubte nicht daran, dass er der Sportlerin deswegen egal geworden war. Sie hatte sie sogar davor gewarnt Takuro zu verletzen oder ein falsches Spiel mit ihm zu spielen, nachdem sie ihnen ehrlich erzählt hatte, dass ihre Verbindung nicht aus Liebe geschlossen wurde. Momoko resignierte seufzend. Sie wollte ihren Freundinnen nichts unterstellen, aber konnte auch nicht das Risiko eingehen, dass eine von ihnen ihr in den Rücken fallen und Takuro alles erzählen würde. Davon hing schließlich nicht nur ihr eigenes Glück ab, sondern auch das von Yosuke und Hiromi! Es nutzte alles nichts, sie musste weiter auf ihren Geschichten beharren. Müde blickte die Rosahaarige auf den Wecker; sie war inzwischen viel zu spät dran, um noch rechtzeitig zur ersten Stunde zu erscheinen. Vom ständigen Weinen war ihr schwindelig. Ihr Kopf fühlte sich, vom vielen Nachdenken, so an, als könnte er Gefahr laufen, während des Unterrichts, einfach wie ein Amboss auf die Tischplatte zu knallen. Nach weiteren Minuten, in denen sie, unbewegt verharrend, auf das sich ständig ändernde Ziffernblatt ihres Radioweckers schaute und mit sich haderte, seufzte sie abermals. In den letzten Wochen war sie, vor lauter Arbeit und all den kleinen, privaten Kleinkatastrophen, mit denen sie sich herumgeschlagen hatte, mit ihrem Schulstoff kaum nachgekommen. Momoko konnte es sich eigentlich nicht leisten zu schwänzen, aber sie konnte so auch unmöglich nachmittags zur Arbeit gehen. „Ach… was soll’s…“, sagte sie und gab sich einen Ruck. Nachdem sie Takuro brav per Textnachricht darüber informiert hatte, dass sie heute Vormittag Zuhause blieb und sie sich erst Nachmittags sehen würden, stellte sie ihren Wecker auf eine neue Uhrzeit ein. Auf dem Nachttisch daneben lag ihr kleines Notizbuch, aus dem die Ecken zweier Fotos lugten. Erschöpft rollte sie sich wieder in ihre Bettdecke ein und zückte die beiden Bilder heraus, die sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr angesehen hatte. Yosuke auf dem Klassentreffen und Yosuke beim Fußballspielen. Sie hatte ganz vergessen, dass sie ihm das zweite Bild schon vor einer ganzen Weile zeigen wollte. Während sie sein Antlitz eingehend betrachtete und sich an all die schönen Erlebnisse mit ihm erinnerte, erweckte das wieder all die guten und zärtlichen Gefühle für ihn. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich mit ihm noch mal auf dem Hügel zwischen all den Bäumen und Sträuchern stehen; sein Arm schützend um sie gelegt und sein Gesicht ganz nah. Eine Gänsehaut schüttelte sie und die Stelle hinter ihrem Ohr begann zu prickeln. »Hätte er mich doch nur geküsst…«, dachte sie bedauernd. Doch instinktiv – und das wusste sie, hatte er richtig gehandelt. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Emotionen noch zu aufgewühlt gewesen. Trotzdem… auch wenn es gefährlich war, mehr für ihn zu empfinden, so hatte sich doch nichts daran geändert, dass er ihr gut tat und sie ihn brauchte. Im Gegenteil - Sie musste unvernünftig handeln, es ging nicht anders. Sich von ihm zurückzuziehen war auch unter diesen neuen Umständen keine Option, denn das hatte davor schon nicht funktioniert. Ihre Sehnsucht würde nur ins Unermessliche anwachsen. Zudem würde er Fragen stellen und nicht locker lassen, bis sie ihm erklären würde, wieso. »Das kann ich nicht! Ich kann es ihm nicht sagen!« Nichts war unantastbarer, als diese Tatsache. Yosuke hatte ihr bereits sehr deutlich klar gemacht, dass er nicht auf diese Weise für sie empfand. Ein Geständnis darüber, dass sich das bei ihr geändert hatte, würde alles ruinieren. Er würde sich zurückziehen und dann hätte sie ihn verloren… darauf lief es so oder so hinaus, aber sie wollte nicht Diejenige sein, die das beschleunigte! Momoko wollte jeden Moment, den sie mit ihm noch haben durfte, nutzen und auskosten. Es gab also nur den Weg nach vorne, sie würde Takuro ansprechen und darum bitten, auf die anderen, ihr zuliebe, zuzugehen; koste es, was es wolle! Takuro tippte ungeduldig mit den Fingern auf seinen Oberschenkeln herum. Nachdenklich schaute er nach draußen, auf die Straßen und Häuser, die in das Licht der Abenddämmerung getaucht waren. Er war angespannt. Momokos Verhalten beunruhigte ihn. Erst am Morgen diese Nachricht darüber, dass es ihr wegen einer durchwachten Nacht nicht gut ging und sie deswegen den Unterricht schwänzte und dann später ihre mentale Abwesenheit, als er sie zur Arbeit begleitet hatte. In der letzten Woche hatte sie dabei immer ein angeregtes Schwätzchen mit ihm gehalten und gestrahlt, doch heute nicht. Überhaupt war sie nicht nur still, sondern auch blass gewesen. Ihre schönen Augen hatten immer wieder ins Leere geschaut, wenn nur er etwas von sich und seinem Tag erzählt hatte. »Etwas bedrückt sie.«, schlussfolgerte er. Sie war nicht krank, denn dann wäre sie nicht arbeiten gegangen. Irgendetwas anderes hatte ihr den Schlaf geraubt und er kam einfach nicht darauf, was das sein konnte. Er ballte seine Hände verärgert. Das Einzige, das zwischen dem Samstagsbesuch bei ihrem Vater und heute passiert war, war das Treffen mit ihren Freundinnen gewesen. »Natürlich, sie müssen etwas damit zu tun haben!«, ging es ihm durch den Sinn. Unzufrieden warf er sich in den weichen Lederrücksitz und legte seine rechte Hand, in einer Denkerposition, an sein Kinn. Takuro war von Anfang an nicht wohl dabei gewesen, Momoko, kaum eine Woche nach ihrem Fehltritt, mit dem Clubbesuch, unbeaufsichtigt zu ihnen zu lassen. Er hatte eigentlich fest vorgehabt ihr das nicht mehr leichtfertig zu erlauben, weil er die Beiden für einen schlechten Umgang hielt. Aber wenn sie ihn auf ihre umwerfende Weise anlächelte und dabei um etwas bat, war es schwer ihr zu widerstehen. Sie hatte sich in der letzten Woche außerdem ohne Quengeln an seine Regeln gehalten, weswegen er ihr versprochen hatte, das was sie tat, nicht mehr übermäßig zu kontrollieren. Ein Kompromiss wegen guter Führung sozusagen… also war er selbst Schuld. Ob Yuri und Hinagiku auf sie, wegen ihrer Beziehung, eingeredet hatten? Wollten sie sie, nachdem er Momoko damals einfach von der Straße weg mitgenommen hatte, vielleicht davon überzeugen, dass er zu herrschsüchtig war und deswegen nicht der Richtige für sie? Der Wagen bog in die Straße zu ihrem Arbeitsplatz ein. Unsicher strich er sich mit seinem Daumen über das Kinn. Schon seit dem Vorfall hatten sich Gewissensbisse und Ängste, sie zu verschrecken, in seinem Kopf abgewechselt. Das Letzte, was er wollte, war Momoko auf Abstand zu bringen, nachdem es ihn so viel Mühe gekostet hatte sie mehr und mehr für sich zu gewinnen. Das war auch der Grund für seine romantischen Bemühungen von vor ein paar Tagen gewesen. Um keinen Preis wollte er sich seinen Erfolg damit, nun von diesen beiden großschnäuzigen Frauen ruinieren lassen! Das Auto kam zum Stehen. Durch das Fenster sah er, dass seine Angebetete diesmal, schon fertig umgezogen, vor dem Café auf ihn wartete. Hübsch wie immer; mit einer hellblauen, kurzärmeligen Bluse und einer grauen Röhrenjeans bekleidet, die ihm sehr bekannt vorkam. „Hallo, schöne Frau! Warten sie etwa auf eine Mitfahrgelegenheit?“, rief er ihr durch einen geöffneten Fensterspalt zu. Sie lächelte mild und warf ihre offenen Haare nach hinten. Heute trug sie keine Haarbänder wie sonst, aber das gefiel ihm. Es ließ sie erwachsener und noch attraktiver wirken. „Das kommt ganz darauf an, wer mich mitnehmen möchte.“, scherzte sie zurück. Doch Takuro bemerkte gleich, dass ihr Lachen nicht ihre Augen erreichte. Wortlos öffnete er Momoko die Autotür und rutschte einen Sitz weiter, um ihr Platz zu machen. „Danke, dass du mich wieder abholst.“, sagte sie beim Einsteigen und schloss die Tür hinter sich. Er beugte sich zu ihr herüber, um ihr einen kleinen Begrüßungskuss zu geben, doch sie wendete ihr Gesicht kaum wahrnehmbar ab, sodass er nur ihre Wange traf. Sofort verfinsterte sich seine Miene. „Immer wieder gerne.“, antwortete er trocken. Sie sah ihn fragend an, also war ihr sein veränderter Tonfall aufgefallen. Er erwiderte ihren Blick nicht, sondern gab dem Fahrer nur sein Zeichen und schaute dann durch die Windschutzscheibe nach draußen. Takuro biss sich innerlich auf die Zunge, damit er sie nicht sofort barsch zur Rede stellte. Das fiel ihm schwer, denn in seinem Kopf spielen sich bereits zahlreiche Szenarien ab, was vorgefallen sein könnte. Seine Fantasien reichten von einer Gehirnwäsche ihrer Freundinnen, dass sie sich von ihm trennen sollte, bis hin zu dem Gedanken, dass sie eventuell etwas anderes zu verheimlichen hatte, das er sich noch nicht ausmalen wollte. Wenigstens die Chance von sich aus zu erzählen, was mit ihr los war, wollte er ihr geben. Momoko sollte ihn nicht für den paranoiden, unsicheren Mann halten, der er war. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie ihn nach einer Weile des Schweigens. Er rührte sich nicht, nur seine Augen wendeten sich ihr zu. Wieder lächelte sie müde. „Hm… müsste ich das nicht vielleicht dich fragen?“ Momoko hob bei seiner Anspielung verdutzt das Kinn, so als wäre sie aus einem Tagtraum erwacht. Sie senkte den Blick und begann nervös am Gurt ihrer Tasche zu nesteln. Diese Angewohnheit von ihr hatte Takuro bereits im Kopf abgespeichert. Es war ein sicheres Zeichen dafür, dass sie etwas auf dem Herzen hatte, über das sie nicht so leicht sprechen konnte. „Du hast also gemerkt, dass ich heute nicht ganz bei der Sache bin?“, fragte sie ihn unsicher. Er atmete tief durch, damit er nicht zynisch oder vorwurfsvoll antwortete. Seine Reaktion sollte die eines Gentlemans sein. „Natürlich, ich mache mir schon seit heute Morgen Sorgen um dich. Du bist so blass und still, was ist denn los?“ Wieder sah sie weg, so als suchte sie die Antwort darauf im Innenraum dieses Fahrzeuges. Ihre blauen Augen flackerten ängstlich und verletzlich, sodass es ihm die Kehle zuschnürte. »Sie will doch hoffentlich nicht Schluss machen?«, jagte es ihm durch den Kopf und er musste alle Kraft aufbringen, sich seine plötzliche Panik nicht anmerken zu lassen. Was, wenn Yuri und Hinagiku wirklich bei ihrem Treffen mit ihr über ihn gesprochen hatten? Wenn sie nur lange genug auf sie eingeredet und ihn in ein schlechtes Licht gerückt hatten? Würde Momoko dann den Mut aufbringen und ihre Verlobung lösen? Sein Herz raste, als sie nach ungezählten, quälend langen Sekunden immer noch nicht antwortete, sondern nur schwer seufzte. »Nein, unmöglich. Das würde sie nicht; das kann sie nicht!«, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Takuro schluckte nervös und räusperte sich beiläufig. Sie würde sich nicht von ihm trennen, immerhin hatten sie eine Vereinbarung. Das war ihr gegenüber zwar vielleicht nicht ganz fair, doch er war so oder so die beste Partie, die sie machen konnte. Früher oder später würde sie das von selbst erkennen. Der Rest würde sich dann ebenfalls ergeben, schließlich liebte er sie. Ihr die Welt zu Füßen zu legen und ihr so die Augen zu öffnen, sollte da das kleinste Problem sein. „Ehrlich gesagt, beschäftigt mich etwas… aber ich finde einfach nicht die richtigen Worte dafür.“ Nun beschleunigte sich sein Puls doch wieder erheblich. Ihr Einleitungssatz kam dem klischeebehafteten „Wir müssen reden.“ beängstigend nahe! Er nahm ihre beschäftigten Hände in seine und sah sie eindringlich an. „Wenn es etwas gibt, das dich bedrückt oder unglücklich macht, dann sag es mir! Du weißt doch, dass ich für dich alles in meiner Macht stehende tun würde.“ Der Schwarzhaarige hob ihre zarten, weichen Hände an seine Lippen und küsste sie, wie schon oft zuvor, auf den blutroten Rubin ihres Verlobungsringes. Sollte sie irgendeinen Groll gegen ihn hegen, so hoffte er ihn mit dieser Geste der Zuneigung geschwächt zu haben. Als er wieder in ihr Gesicht sah, war es vor Verlegenheit errötet und ihr hübscher, voller Mund stand verblüfft einen Spalt weit offen. „Ta-… Ta-kun…“, stammelte sie schüchtern blinzelnd. Sie war sprachlos, das war perfekt! Stolz darauf, sie aus der Fassung gebracht zu haben, grinste er sie mit glühenden Augen an. Es war schon länger her, dass er ihr richtig nahe gekommen war. Vielleicht brauchte Momoko mal wieder diese Art der besonderen Aufmerksamkeit von ihm. „Das ist lieb von dir, Takuro. Wenn das so ist… meinst du, wir könnten reden?“ Seine rotbraunen Augen weiteten sich erschrocken. „Ich meine, allein. In Ruhe. Ohne Zuhörer.“, sie schaute dabei zu dem Fahrer vorne. „Nicht hier. Vielleicht bei mir Zuhause?“ Takuro erholte sich von dem kurzen Schrecken und sammelte sich für eine Antwort. „Bei dir? Wann? Jetzt?“ Sie nickte verlegen. Derart unsicher hatte er die junge Frau schon lange nicht mehr erlebt. Elektrisierende Aufregung begann seinen Körper zu durchfluten; noch nie hatte sie ihn einfach nur so zu sich nach Hause eingeladen. „Natürlich. Soll ich den Wagen dann warten lassen?“ „Nein, besser nicht. Vielleicht wird es ein längeres Gespräch.“ Die Art, wie sie das letzte Wort betont und ihn dabei angesehen hatte, verschaffte ihm eine Gänsehaut. Er wollte nichts hineininterpretieren, was am Ende gar nicht so gemeint war, aber konnte es sein, dass sie da gerade versuchte mit ihm zu flirten? Seine Zunge glitt bei der Vorstellung, dass mehr dahinter stecken könnte, genüsslich über seine obere Zahnreihe. Momoko schluckte nervös und entzog ihm ihre Hände. Es gefiel ihm, dass seine Ausstrahlung einschüchternd auf sie wirkte. Sie hielt ihn also nicht für einen Schwächling. „Dann machen wir es so. Für dich habe ich immer Zeit, Liebste.“ Wie abgemacht schickte er seinen Fahrer mit dem Wagen weg, als sie an Momokos Zuhause angekommen waren. Kaum war er weg und sie beide in das Haus eingetreten, wurde die Rosahaarige zusehends unruhiger. Sie stellte ihre Tasche ab und schaltete überall im Wohnzimmer und in der offenen Küche die Lampen an. „Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie höflich und mit etwas höherer Stimme, als üblich. „Nein danke, ich würde lieber gleich von dir hören, was du mir so Wichtiges zu erzählen hast.“ Sie hielt inne und lächelte ihm angestrengt zu. Ihre plötzlich so hilflose, ängstliche Aura erweckte etwas Mächtiges ihn ihm. Sie beide waren hier, alleine in diesem Haus und sie sendete alle Signale, die es brauchte, um seinen Beschützerinstinkt zu aktivieren. Von neuem Mut erfüllt, ging er auf Momoko zu und nahm sie an die rechte Hand. „Komm, setzen wir uns doch.“, forderte er sie säuselnd auf. Wortlos lies sie sich führen und auf die Polster ihres Sofas fallen. Sie betrachtete die Couch einen Augenblick lang merkwürdig eingehend und wurde dann rot. Takuro biss sich auf die Unterlippe. Konnte es tatsächlich sein, dass sie auf diese Situation angespielt hatte? Fühlte sie sich in ihren eigenen, bescheidenen vier Wänden möglicherweise wohler, als bei ihm oder woanders? „Warte!“, sagte er und lies sie mit verwirrtem Blick zurück. Schnell hastete er zu den Lichtschaltern zurück und schaltete alle grellen Lichtquellen aus. Nur noch die gedimmte Hintergrundbeleuchtung aus der Küche und eine kleine Stehlampe neben der Couch, blieben an. »Perfekt!«, dachte er selbstzufrieden und kehrte mit lässigen Schritten wieder zu ihr zurück. Takuro sah nicht, wie unbehaglich Momoko, auf ihrem Platz, hin und her rutschte. „Na dann… was ist los, Momolein?“ Sie holte tief Luft; ihre Hände zitterten. Jetzt war er gespannt. „Es ist so… würdest du mir bitte zuerst versprechen, dass du mir wirklich zuhörst und nicht wütend wirst?“ Er stutzte. Stirnrunzelnd fixierte er sie. „Warum das? Ist das denn nötig?“ „Ich weiß nicht, vielleicht… bitte.“ Seine Laune schwenkte um, misstrauisch nickte er ihr zu. „Na gut.“ Sie atmete erleichtert und lächelte ihn dankbar an. Es war das erste ehrliche Lächeln an diesem Abend und ausgerechnet dieser Fakt machte ihn nervös. „Wie du ja weißt, war ich gestern mit Yuri und Hinagiku im Kino. Wir hatten viel Spaß zusammen, es war ein wirklich schöner Tag. Ich bin froh, dass du mir wegen der Sache von vorletzter Woche nicht mehr böse bist… es hätte mir sehr gefehlt, die Mädchen gar nicht mehr sehen zu dürfen.“ Ihr Lob schmeichelte seinem Ego. Es war also doch die richtige Entscheidung gewesen, ihr wieder mehr Freiheiten zu lassen. „Das freut mich. Ich bin ja auch kein Unmensch… ich war nur wegen dem Alkohol und diesem Fuma so aufgebracht.“ Momoko zuckte zusammen. „Was das angeht… er gehört auch mit zu der Sache, über die ich mit dir reden wollte.“, entgegnete sie in leicht geduckter Haltung. Augenblicklich versteifte sich alles in ihm. Eiskalte Eifersucht umklammerte sein Herz, als sie diesen Torwart ins Spiel brachte. Takuro wäre am liebsten aufgesprungen, doch er zog es aus diplomatischen Gründen vor, sich einfach nur in der Rückenlehne zu verkrallen, auf die er lässig seinen rechten Arm abgelegt hatte. „Er!“, fauchte er abfällig. „Was hat er denn bitte damit zu tun, dass du gestern mit deinen Freundinnen weg warst?“ Sein Blick musste vor Funken nur so sprühen, denn Momoko zog ihre Augenbrauen tiefer in ihr Gesicht. Doch sie hielt ihm tapfer stand. „Er hat damit gar nichts zu tun! Es geht mir darum, dass ich meine Freunde vermisse. Alle meine Freunde. Ich hätte gerne öfter Kontakt zu ihnen.“, erklärte sie schnell, aber eindringlich. Takuro klappte fassungslos der Mund auf. „Was? Seit wann zählt Yosuke zu deinen Freunden?!“, blaffte er sie an. Um seine Beherrschtheit war es nun geschehen. Es war unmöglich bei diesem Thema nicht die Nerven zu verlieren. Fahrig fuhr er sich durch sein Haar und ruinierte damit seine Pferdeschwanz-Frisur. „Du hast versprochen nicht wütend zu werden und mir zuzuhören!“ Ihr fordernder Tonfall machte es nur schlimmer. Im Stolz verletzt und außer sich vor Wut, sprang er auf und lief vor dem Sofa auf und ab. „Ich habe gedacht, du hast mich zu dir eingeladen, weil du ein wenig romantische Zeit mit mir verbringen wolltest! Stattdessen fängst du jetzt mit diesem Lederball fixierten Angeber an!“ Ein sehr finsterer Blick flog ihm zu. „Dieser Angeber hat mich in diesem verdammten Club vor einem Sittenstrolch gerettet! Ich habe es dir später erzählt, erinnerst du dich? Als wir uns wegen dem Alkohol und dem Foto unterhalten haben?“, konterte sie hartnäckig. „Erinnere mich lieber nicht daran. Dafür, dass du dort gegen meinen Willen hingegangen bist, könnte ich dich und deine ach so tollen Freunde, heute noch, in der Luft zerreisen!“ Wütend riss er die Arme hoch und gestikulierte wild mit ihnen. „Du solltest ihm dafür dankbar sein.“, erklärte Momoko deutlich ruhiger und abgeklärter, als zuvor. „Dankbar? Das Thema hatten wir schon – ich schulde ihm nichts. Du hättest dort gar nicht sein sollen! Was soll das jetzt überhaupt? Ist er jetzt dein Held und ich soll ihm huldigen? Willst du meine Erlaubnis, dich mit ihm zu treffen, damit du einen Kniefall vor ihm machen kannst? Hat er dich so sehr beeindruckt, ja?“ Takuro redete sich mehr und mehr in Rage, sein Blut kochte schäumend in seinen Venen über. Wütend galoppierte das Herz in seiner Brust. Wie konnte sie ihn nur so demütigen, nach allem, was er für sie getan hatte? Nach all den Ablehnungen, die er von ihr klaglos, aus Rücksicht, hingenommen hatte? Er sah ihr in die Augen und erschrak. Ihr Blick war starr und tapfer auf ihn gerichtet. Stolz drückte sie dabei ihr Kreuz durch, doch ihre Augen flackerten zerbrechlich. „Warum musst du deswegen so gemein werden?“, flüsterte sie mit zittriger Stimme. Ihr Anblick entwaffnete ihn. Hatte er es wieder übertrieben? War er zu hart zu ihr? „Momoko… siehst du denn nicht, dass ich mir Sorgen mache? Ich habe Angst dich zu verlieren!“ Sie schnaubte verächtlich. „Wieso denn? Wegen Yosuke Fuma, weil er mir aus einer misslichen Lage geholfen hat?“ Er hielt ihrem weinerlichen, gekränkten Blick nicht mehr Stand und wendete sich, ohne zu antworten, ab. Niemals würde er zugeben, dass sie Recht hatte und ihn die Eifersucht auf seinen ehemaligen Mitschüler, dem damals schon sämtliche Mädchen nachgerannt waren, zerfraß. Er musste zurückrudern, wenn er das Gespräch wieder in die richtige Bahn lenken wollte. „Worauf wolltest du von Anfang an hinaus? Erkläre es mir.“ Der Schwarzhaarige schob seine Brille hoch und rieb sich kurz die Augen. In seinem Kopf hämmerte es, doch er war bemüht wieder Fassung zu erlangen. Sein versöhnlicherer Tonfall war ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Ich möchte meine Freunde nicht aus den Augen verlieren, wenn wir irgendwann nach Amerika gehen. Aber auch jetzt schon nicht… du vertraust mir und ihnen nur bedingt und das verletzt mich. Ich will mich mit ihnen treffen können wann und wie ich es will, ohne dass du Angst hast, dass wir etwas anstellen könnten, was deinem neuen guten Ruf schadet.“ „Du hast Recht, ich vertraue deinen Freundinnen und diesem Fuma nicht. Wir beide wissen doch genau, warum. Wie und warum sollte ich meine Meinung über sie ändern?“ Sie zögerte kurz, aber da er ihr zuhörte, ohne wieder seine Stimme zu erheben, wagte sie eine Antwort. „Ganz einfach: Ich möchte, dass du ebenfalls Zeit mit Ihnen verbringst. Wir könnten alle Freunde werden, wenn du das zulassen würdest. Dann siehst du, wie sie wirklich sind… Hinagiku kennst du doch eigentlich schon aus deiner Kindheit, was soll sich da geändert haben? Und auch du hast mal wieder etwas Ablenkung verdient. Du verbringst deine Zeit doch fast nur damit für die Schule zu lernen und dich auf dein Studium vorzubereiten. Die Kreise, in denen du verkehrst, sind von der feinen und steifen Sorte. Wir sind doch aber noch so jung, wir sollten in unserer wenigen Freizeit auch noch etwas ausgelassen sein dürfen und Spaß haben. Findest du nicht?“ Von Satz zu Satz wurde sie euphorischer, Momoko sprühte fast schon vor Elan. Er konnte kaum Glauben, dass das tatsächlich ihr Ernst war. „Spaß haben. Mit deinen Freunden. Mit diesem Fuma.“, wiederholte er ungläubig. Sie hob hilflos lächelnd die Schultern. „Ja, warum denn nicht? Und außerdem schließt das nicht nur Yuri, ihren Freund Kazuya, Hinagiku und Yosuke mit ein, sondern auch seine Freundin Hiromi.“ Takuro horchte auf. „Hiromi? Ich dachte, sie kannst du nicht leiden?“ Momoko rollte seufzend mit ihren blauen Augen. „Jain… das stimmt schon, irgendwie… aber sie ist nun mal seine Freundin, genauso wie du mein fester Freund bist. Sie ist mindestens genauso schlecht auf die Mädchen und mich zu sprechen, wie du auf Yosuke.“ Langsam wurde die Idee seiner Verlobten immer verrückter. „Warum, abgesehen von dem angeblichen Spaß, den ich dabei haben könnte, sollte ich das alles mitmachen?“ „Weil… weil…“, grübelte sie angeregt. „Weil ich dir damit auch gleichzeitig beweisen könnte, dass du mir vertrauen kannst. Dass da zwischen Yosuke und mir zum Beispiel nichts ist, weswegen du dich sorgen müsstest.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde hart und angespannt. Beschäftigte sie dieses Thema so sehr? Aber dieses eine Argument lies Takuro sacken. Von dieser Warte aus hatte er es noch nie betrachtet. »Kenne deinen Feind und kenne dich selbst, dann wirst du in hundert Schlachten nie in Gefahr geraten.« Es war das kluge Zitat eines chinesischen Militärsstrategen, das ihm da durch den Kopf ging. Er ließ die Idee in sich wirken. Nachdenklich, aber nicht mehr abgeneigt, lief er wieder hin und her; immerzu unter Momokos abwartenden, prüfenden Blick. Als er schließlich zum Stehen kam, schaute er sie erwartungsvoll an. „Wenn ich mich auf diese absurde Idee einlasse, dann nur für dich. Das ist dir doch klar?“ Sie schluckte und räusperte sich nervös, hob dann aber ihre rechte Hand hoch, sodass er ihren Verlobungsring im schummrigen Licht gut sehen konnte. „Tu es nicht für mich, tu es für uns.“ Das wollte er. Alles würde er für ihre Liebe geben. Er beugte sich über sie, sodass seine Arme sich rechts und links neben ihrem Kopf in die Sofalehne stemmten. Sofort wich die toughe Momoko wieder der nervösen und schüchternen jungen Frau von vorhin. „Ich liebe dich.“, raunte er ihr unverblümt zu. Sie musste es einfach hören, damit sie wusste, wie ernst es ihm war. Momoko schürzte die Lippen und blinzelte unruhig. Er hoffte auf eine Antwort. Wenigstens dieses Mal wollte er mehr von ihr und nicht einsam zurückbleiben. „Bitte sag etwas…“, flüsterte er. Sie löste den Blickkontakt auf und schaute unruhig hin und her. Takuro wusste, dass er sie in eine Ecke drängte, doch er brauchte ein Echo auf seine Gefühle für sie. Egal was sie einst vereinbart hatten, er brauchte jetzt mehr von ihr als nur ein liebes Lächeln oder einen schönen Augenaufschlag. Mit der rechten Hand an ihrem Kinn, drehte er ihr Gesicht wieder zu seinem und schaute ihr tief und lasziv in die Augen. Das Herz blieb ihr stehen, als er sie so ansah. Sie kannte diesen dunklen Blick sehr gut. Er ließ keine Sekunde vergehen, da legten sich seine Lippen auch schon sehnsüchtig auf ihre. Seine Hand wanderte von ihrem Kinn in ihren Nacken. Takuro zog ihr Gesicht näher zu sich heran und trieb mit seiner Zunge ihre Lippen fordernd auseinander. Momoko war überrumpelt, trotzdem ging sie auf sein Bitten ein und erwiderte den Kuss. Wie betäubt ließ sie es über sich ergehen. Darin hatte sie Übung, es war ja nicht das erste Mal. „Ich liebe dich… Deswegen werde ich versuchen, worum du mich gebeten hast.“, hauchte er ihr entgegen. Sie öffnete ihre Augen und wollte sich gerade über seine unerwartete Zustimmung freuen, als sie seinem Blick begegnete, der ihr direkt den Wind aus den Segeln nahm. Er war verhangen und irgendwie undefinierbar. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus, als er von ihr urplötzlich abließ und in ihre Kniekehlen griff, um sie daran in eine liegende Position zu ziehen. „Wa…?“ Takuro versiegelte ihren Mund erneut. Nun lag sie unter ihm, vor Schreck unfähig sich zu rühren. Sie begann zu zittern; atemlos versuchte sie sich aus seinem Kuss zu befreien. „Was machst du denn?“, fragte sie verstört. Er streichelte mit beiden Händen ihr Gesicht und lächelte verliebt. Ihre Hände legten sich stoppend auf seine Schlüsselbeine. Was sollte das hier werden, wenn es fertig war? „Dich küssen… und dir zeigen, wie sehr ich dich liebe.“ Prompt blieb ihr die Luft weg. War das noch derselbe Takuro wie immer? Das letzte Mal, dass er ihr auf diese Art näher gekommen war, lag schon ein paar Wochen zurück. Damals hatte sie sich recht einfach aus der Situation stehlen können. Er wartete nicht auf eine Antwort von ihr, sondern nahm ihre Hände in seine und fixierte sie über ihrem Kopf. Sein heißer Atem kitzelte die Haut an ihrem Hals, bevor sich sein heißer Mund darauf legte und zu saugen begann. „Nicht!“, quietschte Momoko entsetzt auf. Takuro vollendete erst sein Werk, bevor er sich wieder erhob und ihre Hände los ließ. Sein Blick war plötzlich wieder finsterer und durchdringend. „Du gehörst zu mir, oder? Mit Leib und mit Seele.“, raunte er und strich ihr mit einem Finger über den frischen Bluterguss an ihrem Hals. „Ich versprach dir bei meinem Antrag, dass ich immer nur dich lieben- und ich jederzeit alles für dich und deine Familie tun würde. Erinnerst du dich?“ War das eine Anspielung? Sollte ihr die Art seiner Betonung einen Wink mit dem Zaunpfahl geben? Verständnislosigkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. „Gilt dieses Versprechen auch für dich? Liebst du mich… eines Tages?“ Seine rotbraunen Augen wurden traurig. Bestürzt sah Momoko ihn an, unfähig etwas Gescheites dazu zu sagen. Dafür meldete sich ihr schlechtes Gewissen mit aller Macht zurück. Takuro wollte nichts anderes, als von ihr beachtet und geliebt zu werden. Er wünschte sich Zuneigung und so ungern sie es sich auch eingestehen wollte, er hatte es auch verdient. Nach allem, was er für sie und ihren Vater möglich gemacht hatte. Egal, ob er sich dazwischen auch mal falsch verhielt… er war auch nur ein Mensch mit Fehlern, genau wie sie. Und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als ihm die nächste Lüge unterzuschieben, nur weil sie zu schwach war sich von einem anderen Mann fernzuhalten. Sie war so falsch; untreu und verlogen… Momoko konnte Takuro einfach nicht die drei magischen Worte sagen, aber ihm sehr wohl wenigstens auf anderem Weg gefallen und ihn glücklich machen. „Ja, es gilt auch für mich.“, flüsterte sie schließlich zurück, legte ihre Hände um sein Gesicht und küsste ihn. So, wie er sie zuvor geküsst hatte. Sie spürte seine Verblüffung und wie sie schnell in Wohlgefallen umschlug. Aufgeregt schmiegte er sich an ihren Körper und ließ seine Hände, an ihm, bis zur Hüfte hinabgleiten. Momoko winkelte ihr rechtes Bein an und legte ihre Arme um den jungen, schmalen Mann. Sie hatte keine Angst mehr davor diese Grenze zu überschreiten. Die Zeiten, in denen diese Dinge in ihren Albträumen vorgekommen waren, hatte sie längst hinter sich gelassen. Takuros lange Finger begannen sich an den Köpfen ihrer Bluse zu schaffen zu machen, während er ihren Hals Stück für Stück abwärts liebkoste. Sie erschauerte, als er den leichten Stoff weg schob und dabei über die nackte Haut ihres Bauches streichelte. Momoko hatte keine Angst, trotzdem wurde sie nervös. Seine Berührungen waren ungewohnt und vorsichtig, sein Atmen ging verräterisch flach und schnell. Anders als bei ihr, war dies sein erstes Mal. Er musste wahnsinnig aufgeregt sein! Und sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass ihre Jungfernschaft schon lange der Vergangenheit angehörte. Erschrocken schnappte sie nach Luft und warf den Kopf zur Seite, als seine linke Hand ihre rechte Brust, die noch im BH verborgen war, umschloss. Zaghaft und ungeschickt berührte er sie. Momoko kniff die Augen zu, als er sich dazu noch küssend über ihr Tal hinunter bis zur ihrem Bauchnabel bewegte. Ihr Körper sträubte sich ganz unwillkürlich gegen seine Avancen. Ohne es zu wollen, stahl sich Yosuke in ihre Gedanken. »Nein, nicht jetzt!«, ermahnte sie sich. Das war nicht der Zeitpunkt, um an ihn zu denken, aber sie verglich Takuros leidenschaftliche Bemühungen, schon seit er damit begonnen hatte, unbewusst mit seinen. Es fühlte sich mit dem Brillenträger nicht halb so richtig an, wie mit ihm. Das Gesicht des Schwarzhaarigen glühte vor Verlegenheit. Mit zitternden Fingern setzte er seine Brille ab und legte sie auf den Couchtisch neben ihnen. Dann zog er langsam sein Shirt aus, wonach er peinlich berührt und fast schon scheu dreinsah. Sein Oberkörper war, wie erwartet, schmal und bleich. Trotzdem und allein schon, um ihn zu ermutigen, strich sie mit ihren Händen über seinen Bauch bis zu seiner Brust hinauf. Sein Herz hämmerte wie wild darin. Er hatte wahrscheinlich mehr Angst, als sie. Seine flatterigen Hände nestelten an dem Hosenstall ihrer Jeans, parallel dazu küsste er sie immer wieder flüchtig. Takuro war sichtlich überfordert, aber blieb tapfer bei der Sache. Mit einem Zug zog er ihr die enge Hose von den Beinen und warf sie auf den Boden; nun beschleunigte sich auch Momokos Puls um einiges. Schüchtern versuchte sie ihren halbnackten Körper mit den Armen zu bedecken, doch natürlich war das sinnlos. Der Kopf des jungen Mannes rauchte überhitzt, doch in seinen Augen glomm, bei ihrem Anblick, Erregung und neu gewonnener Mut auf. Langsam beugte er sich wieder über sie, erkundete all ihre unbekleidete Haut und erzitterte unter den zurückhaltenden Berührungen ihrer Hände. Momoko sammelte ebenfalls all ihre Tapferkeit zusammen. Es war vollkommen anders, als mit Yosuke, aber das war zu erwarten gewesen. Wehmütig dachte sie an ihn und versuchte dann wieder ihr Herz zum Schweigen zu bringen, das schmerzhaft darüber klagte, dass sie sich dem falschen Mann hingab. „Es ist schon ok… ich bin auch nervös.“, flüsterte sie Takuro zwischen zwei Küssen zu. Ihre Blicke trafen sich, seine Augen suchten in ihrer Miene nach Ängsten oder Zweifeln, aber die gab es dort nicht. Sie würde ihm keine Schwäche zeigen oder zurückweisen. Dankbar lächelte er und schenkte ihr einen langen, romantischen Kuss dafür. Momoko hörte, wie er den Reißverschluss seiner Hose öffnete und atmete mit geschlossenen Augen tief durch. »Es ist wirklich ok, ich schaffe das!«, sagte sie sich überzeugt. Es gab nur den Weg nach vorn, das hatte sie sich am Morgen bereits selbst geschworen: Sie würde alles tun; koste es, was es wolle! Und so ließ sie das Unvermeidbare geschehen. Kapitel 52: A fateful idea -------------------------- Seine nervösen Finger waren überall auf ihrer Haut, während sein Atem heiß an ihrem Hals brannte. Sie hörte seine zittrige, dumpfe Stimme zu ihrem Ohr dringen und hielt die Augen fest geschlossen. Sein Körper lag schwer und bebend auf ihr. Momokos frühere Alpträume waren Wirklichkeit geworden… Und obwohl sie keine Angst verspürte, war es trotzdem das schrecklichste Gefühl, das sie je empfunden hatte. Sie fühlte sich ausgeliefert auch wenn es nicht gegen ihren Willen geschah. Ein Teil von ihr schrie hinter einer von ihr erbauten, inneren Mauer um Hilfe und sträubte sich gegen diesen Akt. Sie löschte ihre Gedanken, schaltete sämtliche Gefühle aus und hoffte einfach nur auf ein schnelles Ende dieser Liaison. Takuros linker Daumen glitt an ihrer Hüfte hinab und schob sich dort unter den Bund ihres Slips. Ihr Herz begann aufgebracht zu rasen; so schnell, dass sie befürchtete, es könnte aussetzen. Er hielt inne, machte eine ausgedehnte Pause und atmete dabei schwer. Momoko, die immer noch die Augen zukniff und sich in Gedanken ihre selbstmotivierenden Mantras vorbetete, hielt ihr Gesicht weiter abgewandt. „Tut mir leid…“, hörte sie seine Stimme unerwartet sagen. Sie öffnete die Augen, einen Spalt breit und sah ihren Verlobten fragend an. Sein Gesicht glühte feuerrot vor Verlegenheit. „…ich…ich kann nicht.“, stammelte er leise und zog seine Hand von ihrer Hüfte zurück. Momoko schaute entgeistert. „Was…?“ Der Schwarzhaarige setzte sich auf, fuhr mit den Händen über sein Gesicht und durch das Haar. Er war vor Scharm nicht imstande ihr in die Augen zu sehen. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Konnte das wirklich möglich sein? „Das hier… ich kann einfach nicht. Es geht nicht…“ Je weiter er sprach, desto dünner wurde seine Stimme. Der jungen Frau schwante beim Anblick des peinlich berührten Mannes ganz langsam aber sicher, dass ihr leiser Verdacht sich bewahrheitete. Eilig setzte sie sich ebenfalls auf und zog die Bluse wieder verhüllend über ihrer Brust zusammen. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“, fragte sie irritiert. In ihr jubelte eine schwache, kleine Stimme bereits leise vor Erleichterung, doch noch wollte die Rosahaarige diesem Gefühl nicht ganz nachgeben. Takuro drehte sich um, schloss seinen Hosenstall und griff fahrig nach seinem Shirt. Er mied ihren Blick noch immer. Seine Miene war voller Selbstzweifel und einem Hauch Ironie. „Ich hatte nicht erwartet, dass…“, begann er leise zu erklären und warf ihr einen schüchternen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Ich bin zu aufgeregt. Ich möchte gern, aber es geht nicht.“ Er setzte seiner knappen Erläuterung ein selbstverhöhnendes, lautloses Lachen hinterher. Sprachlos schaute Momoko ihn aus ihren geweiteten Augen an. Sie war in zweierlei Hinsicht unglaublich verblüfft. Dass ausgerechnet er es sein würde, der ihre intime Zweisamkeit abrupt beendete – damit hätte sie niemals nach den vergangenen Wochen gerechnet. Vor ihr saß in diesem Augenblick wieder der Takuro Amano von früher. Ein etwas ungeschickter, unsicherer und schüchterner junger Mann, der seine klapprige Streberbrille hoch auf das Nasenbein schob. Wohl in der Hoffnung der dicke, schwarze Rahmen würde von dem Blut in seinen Wangen ablenken. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll… habe ich etwas falsch gemacht?“, hinterfragte sie vorsichtig und legte eine Hand tröstend auf seine Schulter. Er schnaubte kopfschüttelnd, so als wäre ihre Frage ein schlechter Scherz gewesen. „Nein. Du bist…“ Er warf einen flüchtigen Blick auf ihren halbnackten Körper und lief erneut hochrot an. „…wunderschön. Ich bin einfach zu nervös!“ Bestürzt über sein eigenes Versagen verbarg er sein Gesicht in den Händen und stützte sich auf seinen Knien ab. Momoko streichelte unbeholfen seinen Rücken. Was sollte sie ihm sagen? Was tat man als Freundin in so einer Situation? Seine Verlegenheit war so präsent, dass sie sogar ein wenig auf sie abfärbte. Es gab nur eine Situation bisher, die ihr peinlicher war als diese hier und die hatte sich bei Yosuke daheim abgespielt. Als sie damals nicht viel mehr als sein abgelegtes Hemd und ihre Unterhose getragen hatte. »Stopp, völlig falscher Gedanke gerade!« Räuspernd wand sie sich ihrem Verlobten zu. „Ta-kun, das ist doch nicht schlimm. Ich bin mir sicher du bist nicht der erste Mann, dem das passiert.“ Zumindest mutmaßte sie das; aus Erfahrung sprechen konnte sie nicht. Takuro antwortete nicht, aber er stand auf und zupfte seine Kleidung zurecht. Momoko presste ihre Oberschenkel zusammen und legte ihre Hände darüber, während sie begann die nähere Umgebung nach ihrer Hose abzusuchen. Der Dunkelhaarige bemerkte das und reichte sie ihr stillschweigend. Sie nahm sie ebenso verlegen schauend entgegen; die peinliche Stille war nahezu unerträglich. „Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt dafür?“ Sitzend versuchte sie sich mit Hüpfbewegungen in die Jeans zurückzuquälen. Ein Unterfangen, bei dem sich eigentlich keine komplexgeplagte Frau gerne von einem Mann beobachten ließ. „Du hast Recht, es war wohl nicht der richtige Moment, aber ich wünschte, er wäre es gewesen.“ »Gott sei Dank, er spricht wieder!« Seine rotbraunen Augen schauten sie bedauernd an. „Ich war so überwältigt davon, dass du es zugelassen hast… Ich hatte es zwar gehofft, aber trotzdem irgendwie nicht damit gerechnet.“ Momoko schluckte nervös. Er durfte ihr nicht anmerken, wie viel Überwindung sie der Entschluss, es durchzuziehen, gekostet hatte. Er beugte sich zu ihr runter und küsste sie auf die Stirn. „Dankeschön.“, flüsterte er verliebt. Auch wenn letztendlich doch nichts Ernstes zwischen ihnen passiert war bedeutete es Takuro offensichtlich sehr viel, dass sie ihn nicht zurückgewiesen hatte. Die Frage, ob sein Versprechen bezüglich ihrer Idee trotzdem noch Bestand hatte, huschte durch ihre Gedanken. Aber sie wollte seine angeschlagene Laune nicht auf die Probe stellen und verbot sich deshalb, ihn danach zu fragen. „Das ist mir alles etwas unangenehm. Ich denke, ich sollte jetzt nach Hause fahren, damit wir beide wieder einen kühlen Kopf bekommen und morgen wieder neu anfangen können.“ Er zückte sein Mobiltelefon und tippte eine Nachricht. Wahrscheinlich an seinen Fahrer. „Ja… das ist vielleicht das Beste. Es ist ja auch schon spät.“ Das war die beste Nachricht des Tages; er würde gehen und zumindest für heute seine Finger von ihr lassen. Endlich konnte sie aufstehen. Mit eiligen Handgriffen knöpfte sie auch den letzten Knopf ihrer Bluse wieder zu. Der Wagen stand keine zehn Minuten später wieder vor ihrem Haus. Ausnahmsweise war es der junge Japaner, dem es diesmal nicht schnell genug gehen konnte von hier wegzukommen. Vielleicht hätte Momoko mehr aufmunternde Worte für ihn finden müssen, doch andererseits war es ihr inzwischen mehr als recht, dass es so gekommen war. Nicht, dass ihre tröstenden Bemühungen das Ruder am Ende doch noch rumgerissen hätten. Kurz bevor er einstieg, drehte er sich noch mal zu ihr um und schaute sie an, als wäre ihm gerade noch etwas Wichtiges eingefallen. „Ach übrigens, Momoko… wegen deinem Vorschlag von vorhin. Du weißt, ich bin davon nicht sonderlich angetan und eigentlich fehlt mir neben der Schule auch die Zeit, um mich mit anderen außer dir zu treffen. Aber ich hätte da eine Idee, die sicherlich auch in deinem Sinne wäre.“ Die Rosahaarige, die mit locker verschränkten Armen dastand und eigentlich gehofft hatte, dass er einfach nur einstieg und davon fuhr, warf ihm einen gespannten Blick zu. Was für eine Idee sollte das sein? „Wir haben Ende Juni doch eine Woche Ferien. Ich weiß nicht, ob ich dir davon erzählt habe, aber meine Familie hat ein kleines Ferienhaus am Meer. Dort habe ich als Kind oft mit meinen Eltern Urlaub gemacht.“ Takuro machte eine Pause, um zu sehen, ob Momoko darüber Bescheid wusste oder nicht. Sie schüttelte verneinend den Kopf. Diese Information war neu für sie. »Was kommt denn jetzt?!« „Eigentlich wollte ich dich bald fragen, ob wir dort ein paar Tage zusammen hinfahren wollen, aber ich war mich nicht sicher, was du darüber denken würdest... Deswegen habe ich so lange gezögert. Na wie auch immer. Was ich sagen will ist: Was würdest du davon halten, wenn wir alle gemeinsam ans Meer fahren? Ich lade alle deine Freunde ein, das Haus ist groß genug. Es muss auch nicht die ganze Woche sein; vielleicht drei oder vier Tage.“ Momokos Kinnlade klappte herunter, während ihre innere Persönlichkeit direkt einen Ohnmachtsanfall vortäuschte. „Ich weiß, dass ist sehr spontan, aber auch die effektivste Art viel Zeit mit den anderen zu verbringen, ohne dass wir uns aufteilen müssen. So kannst du mich auch am einfachsten davon überzeugen, dass dieser Fuma nicht der ist, für den ich ihn halte.“ Er lachte scherzhaft und gab ihr einen amüsierten Klaps auf den linken Oberarm. Es war ein Witz; ein Spaß; ein ulkig dahingesagter Spruch, aber er schlug bei Momoko ein wie eine Bombe. Nur allzu gern hätte sie sich ebenfalls in Ohnmacht fallen lassen. Stattdessen blinzelte sie die bunten Funken vor ihren Augen weg und wehrte sich gegen das Sausen in ihren Ohren, sowie gegen ihre wackeligen Knie, die sich verhielten, als wären sie auf einmal aus Gummi. „U- Urlaub? Mit allen zusammen?“, wiederholte sie stotternd und mit viel zu hoher Stimme. Takuro grinste breit. „Da staunst du jetzt. Dass ich so was vorschlagen würde, hattest du wohl nicht erwartet.“ „Stimmt, hab ich nicht.“, erwiderte sie schmallippig. Er erwartete keine Begeisterungsstürme, hielt er ihre Sprachlosigkeit doch für das untrügliche Zeichen, dass er sie tatsächlich verblüfft hatte. Und das hatte er, nur nicht so, wie er glaubte. „Frag sie einfach und es werden sich bestimmt ein paar Tage finden, an denen sie alle Zeit haben. Bestell ihnen schöne Grüße von mir – ich muss jetzt los. Gute Nacht, Liebste.“ Zwei aufgehauchte Küsse auf ihre blassen Wangen später stieg er endlich in das Auto und verschwand damit in der Nacht. Versteinert blickten ihre blauen Augen hinter den Rücklichtern her. Sie fröstelte, obwohl es warm war. Alle ihre Härchen waren aufgerichtet und ihre Glieder zitterten. Ihr ganzer Körper signalisierte ihr: Gefahr! »Das ist nicht gut. GAR nicht gut!« Ja, sie wollte einen Weg finden, mehr Zeit ohne Kontrolle mit ihren Freunden und Yosuke verbringen zu können, aber so?! Ihr war gerade erst klar geworden, dass sie ernste Gefühle für ihn entwickelt hatte und sie deswegen eigentlich genau das Gegenteil tun müsste. Nun sollte aus etwas mehr Zeit gleich ein ganzer Urlaub werden? Ein Trip auf dem sie sich Tag und Nacht sahen und bei dem auch noch ihre Partner und besten Freunde anwesend wären? Momoko schnappte nach Luft; die bunten Funken und das Schwächegefühlt kehrten schlagartig zurück. Sie rettete sich im Laufschritt zurück ins Haus, wo sie hinter der Tür schließlich auf die Knie sank und die Hände an ihre Schläfen presste. „Das kann nicht gut gehen. Das kann nicht gut gehen, das kann nicht gut gehen…“, murmelte sie immer wieder leise vor sich hin. Um sich selbst zu beruhigen, wippte ihr Oberkörper dabei vor und zurück. Die Angst, dass alles zwischen ihr und Yosuke auffliegen würde, war nahezu übermächtig. Sie konnten auf so einem langen Ausflug vielleicht ihre Partner täuschen, aber bestimmt nicht ihre besten Freunde, die sie seit Kindertagen kannten. »Ich kann Takuros Idee aber auch nicht ablehnen! Was würde er denken, wenn ich plötzlich zurück rudere und einen rein freundschaftlichen Ferientrip ablehne? Wenn ich das Eine will, aber das andere wiederum nicht?« Es war zum Haare raufen und genau das tat Momoko auch. Ihr wechselhaftes Verhalten würde sein eifersüchtiges Gemüt ganz sicher misstrauisch werden lassen. Dann würde er keine Kompromisse mehr eingehen. Entweder sie spielte nach seinen Regeln mit oder gar nicht. Sie versuchte tief und gleichmäßig zu atmen. »Warum schiebe ich eigentlich jetzt schon solche Panik? Vielleicht haben die anderen ja gar keine Zeit! Wahrscheinlich flippt Hiromi sogar aus und sagt sowieso nein. Dann bin ich aus dem Schneider.« Momoko legte die Hände auf ihr galoppierendes Herz und beruhigte sich langsam. Sie musste gelassen sein; es brachte ihr gar nichts, wenn sie schon ausrastete, bevor das Ganze überhaupt spruchreif war. Etwas entspannter schleppte sie sich, immer noch kreislaufschwach, nach oben ins Badezimmer, um sich bettfertig zu machen. Das grelle, kühle Licht der Leuchtstoffröhre stach ihr in den Augen. Zielstrebig griff sie zur Zahnbürste und lud sich eine ordentliche Portion Pfefferminz-Zahnpasta auf die Borsten. Den Geschmack dieses aufwühlenden Abends aus dem Mund zu bekommen, war noch vor dem Schlafengehen ihr dringendstes Bedürfnis. Momoko hob das Reinigungswerkzeug an den Mund und schaute in den Spiegel. „WAS ZUM…!!!“, stieß sie entsetzt aus und ließ die Zahnbürste ins Waschbecken fallen. Sie beugte sich vor und drehte ihre linke Gesichtshälfte zum Spiegel hin. Hektisch schob sie ihr störendes Haar dabei zur Seite und rieb sich mit einer Hand immer wieder über den Hals. Ein tiefroter, münzgroßer Fleck leuchtete dort unübersehbar auf ihrer Haut. »Ein Knutschfleck?!« Mit verkniffenem Blick ging sie die ungeliebten Erinnerungen an den Fast-Verkehr mit Takuro durch. „So eine blöde, alberne Scheiße!“, fluchte sie hemmungslos drauf los. »Wie soll ich das tagelang verstecken? Der Fleck leuchtet doch durch jedes Make-up durch!« „Du gehörst zu mir, oder? Mit Leib und mit Seele.“ Sie stöhnte, als sie sich an diesen Satz und die Situation dazu erinnerte. Er hatte ihr dieses Zeichen gar nicht im Eifer des Gefechts verpasst, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war volle Absicht gewesen! Damit jeder wusste, dass sie ihm gehörte! Damit es auch Yosuke wusste, wenn sie ihm gegenüber stand, um ihn wegen des Kurztrips zu fragen. »Takuro hat das geplant - unglaublich!« Momoko knurrte in ihr finster schauendes Spiegelbild und grub die Finger wütend in das Waschbecken. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen. ~*~ Das Läuten der Schulglocke kündete vom Pausenbeginn. Momoko schnappte sich erleichtert ihr Lunchpaket und flüchtete allein aus dem Klassenzimmer nach draußen. Ihr Ziel war das Dach. Sich dort aufzuhalten war den Schülern eigentlich untersagt, aber nur da konnte sie ganz für sich sein. Die Luft war frisch, der Himmel klar und die Sonne strahlte warm und hell auf sie hinunter. Es sollte eine sehr sonnige Woche werden. Entspannt ließ sich die Oberschülerin am Rande des Daches auf dem blanken Betonboden nieder und lehnte sich gegen den Sicherheitszaun. Hinter ihr drang das Gemurmel sämtlicher Mitschüler, die sich auf dem Hof tummelten, zu ihr hinauf. Die junge Frau gönnte sich einen Augenblick Frieden und schloss die Augen. Fast die ganze Nacht lang hatte sie über die sich anbahnende Katastrophe nachgedacht, die sie selbst angestiftet hatte. Genügend Schlaf war ihr deswegen auch diesmal kaum vergönnt gewesen. Wenn das so weiter ging, dann fielen ihre ohnehin eher mittelmäßigen Schulnoten bald in den Keller. »So kann das nicht weitergehen.« Sie zupfte gedankenversunken an ihrem roten Halstuch herum, das sie heute direkt um den Hals trug, statt unter dem Kragen ihrer Uniform. Etwas Besseres war ich nicht eingefallen, um den auffälligen Fleck auf ihrer Haut zu verstecken. Unangerührt stellte Momoko ihr Bento neben sich ab und zückte dafür ihr Handy aus der Rocktasche. Sie hatte es aufgeschoben, sich nach den jüngsten Ereignissen direkt bei Yosuke zu melden, aber jetzt war ein guter Zeitpunkt gekommen, das nachzuholen. >>>Hi Y.! Hast du diese Woche vielleicht Zeit? LG M.<<< Nach dem Absenden tippte sie sich mit der oberen Kante des Telefons immer wieder unruhig und gedankenversunken gegen die Lippen. Sie wusste, dass Yosuke in den Hofpausen ganz sicher von Hiromi wie von einer Schmalzfliege umkreist wurde und es deswegen sein konnte, dass er nicht sofort antworten würde. Aber er tat es; ihr Handy brummte verkündend. >>>Hi M! Kommt darauf an, wofür. H. hat übermorgen nach der Schule einen Arzttermin. 2h Luft hätte ich da ca. LG<<< >>>Nur zum Reden. Kann ich da rumkommen? Ich bleibe auch nicht lange.<<< Es störte sie, dass sie beide ihre Nachrichten so merkwürdig salopp formulieren mussten, doch falls ihnen jemand über die Schulter schaute durfte nichts Verdächtiges darin zu sehen sein. „Hey, Hanasaki-kun! Hier bist du also!“ Momoko schreckte hoch und steckte sofort ihr Telefon weg. „Yuko! Mein Gott, du hast mich erschreckt!“, fuhr sie ihre Klassenkameradin an und legte die Hand beruhigend auf ihr wild klopfendes Herz. Die vorwitzige Schülerin lächelte schuldbewusst und ließ die Tür zum Treppenhaus hinter sich leise ins Schloss fallen. „Entschuldige! Ich habe gesehen, dass du zu den Treppen nach oben gelaufen bist… Ich dachte, dir geht es vielleicht nicht gut.“ In einer unschuldig anmutenden Geste verschränkte sie ihre Arme hinter dem Rücken und kam mit kleinen Schritten auf sie zu. Neugierig schauend reckte sie ihren Hals nach dem Handy, das ihre Mitschülerin eilig versteckt hatte. Momoko verschärfte ihren Blick und schnappte sich ihr Mittagessen. „Es geht mir blendend, danke.“, widersprach sie knapp. „Wem hast du denn gerade gesimst?“ Die kleine Japanerin ignorierte ihren leicht gereizten Ton einfach und setzte sich zu allem Überfluss auch noch ganz unverfroren neben sie. „Niemandem. Ich habe nur etwas nachgeschaut.“, log die Rosahaarige kühl. „Wie läuft es denn mit deinem Freund und deinem Freund?“, fragte Yuko einfach frech grinsend weiter. Momoko schnaubte kopfschüttelnd. Konnte sie nicht einfach mal ihre Ruhe haben, wenn sie es wollte? Genervt stand sie auf und klopfte ihren dunklen Faltenrock ab. „Da läuft alles ganz prima. Warum kümmerst du dich nicht einfach mal um deine eigenen Angelegenheiten?“ Das junge Mädchen sah entrüstet zu ihr auf. „Hey, ich dachte, wir sind Freundinnen?“, beschwerte sie sich maulend. Etwas an ihr erinnerte die Langhaarige ganz stark an Hiromis nervtötende Art. Augenverdrehend wandte Momoko sich ab und beschloss, das Dach wieder zu verlassen. „Wir leben doch in ganz anderen Welten. Lass mich einfach etwas mehr in Ruhe.“, sagte sie ihr noch und ging. Irgendwie tat es ihr leid, dass sie so harsch zu Yuko gewesen war, aber ihre neugierigen Fragen waren im Moment das Letzte, das sie gebrauchen konnte. Noch während sie die Treppen hinab stieg, griff sie noch mal nach ihrem Mobiltelefon, um ihren Posteingang zu prüfen. Yosuke hatte noch mal geantwortet. >>>Ja, ok. Was gibt es denn zu bereden? Alles i.O.?<<< Nur mit dem Daumen tippte sie hastig ihre Antwort. >>>Alles i.O. Wir sehen uns Donnerstag. LG M.<<< ~*~ Das Wetter verschlimmbesserte sich im Verlauf der Woche signifikant. Aus warm wurde heiß; aus einst lauen Lüftchen eine Wand aus schwelender Wärme. Für Ende Mai waren es außergewöhnlich hohe Temperaturen geworden. Zwar waren für das folgende Wochenende ausgleichende Gewitter angesagt, doch noch war davon weit und breit nichts zu spüren. Blauer konnte der Himmel nicht sein. Yosuke schleppte sich verschwitzt in seine Wohnung, nachdem er Hiromi direkt nach der Schule und dem Fußballtraining auf ihr Bitten und Betteln hin noch zum Frauenarzt eskortiert hatte. Das Duschen direkt nach dem Training war sinnlos gewesen; sein Hemd klebte bereits wieder an seiner überhitzten Haut. Geschafft warf er seine Sporttasche ab und schlüpfte aus den qualmenden Schuhen. Es war angenehm, ohne Hausschuhe über den blanken Laminatboden zu laufen. »Ich brauche dringend noch eine Dusche!«, dachte er bei sich und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Gespannt erwartete er, dass Momoko sich endlich bei ihm meldete. Sie hatte ein großes Geheimnis daraus gemacht, was es so Wichtiges zu bereden gab, das man nicht auch telefonisch klären konnte. Er war etwas nervös deswegen, denn ihm war aufgefallen, dass sie sich in den letzten Tagen wenn überhaupt nur sporadisch bei ihm gemeldet hatte. Ob es etwas mit ihrem Treffen, letzten Sonntag, zu tun hatte? Yosuke schüttelte den Kopf und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Sie würde jeden Moment hier sein, dann erfuhr er es hoffentlich. Wäre er wegen ihrem distanzierten Verhalten nicht so nervös, würde er sich über ihren Besuch ehrlich freuen. Er hatte ihr Treffen in sehr guter Erinnerung behalten und es verschaffte ihm ein aufregendes Gefühl, wenn er daran dachte, sie heimlich hier in seinen vier Wänden zu empfangen, wo alles angefangen hatte. Der Torwart streifte sich seine Socken ab und genoss den kühlen Boden unter seinen Füßen. Es war ja keine Hiromi da, die ihn davon abhalten konnte barfuß durch die Wohnung zu laufen. »Sie verspätet sich.«, stellte Yosuke, der einen weiteren Blick auf die Uhrzeit warf, missmutig fest. Er löste seine enge Krawatte und öffnete die oberen Knöpfe seines Hemdes bis zur Brust. Die Dusche rief verlockend nach ihm, aber er wartete weiter geduldig. Als die Türklingel endlich ertönte, zuckte er erschrocken zusammen und hastete dann zur Freisprechanlage. „Ja bitte?“ „Ich bin’s, Momoko.“ Per Knopfdruck entsicherte er ohne weiteren Kommentar die Tür. Yosuke lief den Flur ungeduldig auf und ab, während er auf ihre Ankunft wartete. Im Kopf ging er durch wie lange sie wohl auf den Fahrstuhl warten musste und wie lange dieser brauchte, bis er seine Etage erreichte. Dann klopfte es. Aufgeregt öffnete er ihr die Tür. „Hi!“, begrüßte sie ihn strahlend. „Hi.“, entgegnete er ebenfalls lächelnd; sein Herz machte bei ihrem fröhlichen Anblick einen erleichterten Satz. Momokos Gesicht war gerötet von der Hitze und den Anstrengungen, die sie unternommen hatte, um mit dem Fahrrad hierher zu kommen. Sie trat an ihm vorbei in den Flur und warf einen begutachtenden Blick in den Raum, ohne etwas zu sagen. Ob sie sich dabei an dieselben Dinge erinnerte, wie er vorhin? „Wie geht es dir? Bist du gut hergekommen?“ „Was, ich? Ja klar, mit dem Fahrrad kommt man besser durch den Nachmittagsverkehr als mit einem Auto. Nur diese Wärme…“, erzählte sie erschöpft und fächerte sich mit der Hand Luft zu. „Ja, ich weiß, was du meinst.“, bestätigte er und zeigte an seiner ebenfalls durchgeschwitzten Erscheinung herunter. Ihr Blick folgte seiner Handbewegung, blieb aber auf Brusthöhe an seiner geöffneten Knopfleiste hängen. Ein Hauch verräterisches Rosa färbte ihre Wangen. Yosuke konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. „Möchtest du deine Tasche nicht ablegen und richtig reinkommen? Ich habe Eistee im Kühlschrank.“ „Eistee?“, fragte sie mit merkwürdigem Unterton. „Nicht gut?“, hinterfragte er verwundert. „Doch, Eistee ist super! Aber ich gehe eh gleich wieder. Ich sagte ja, dass ich nur kurz bleibe. Ich möchte lieber kein Risiko eingehen.“ Ihre Finger klammerten sich angespannt um den Griff ihrer Schultasche. Ein wenig enttäuscht und auch verunsichert zog er seine Stirn in Falten. „Ist alles in Ordnung? Du bist schon seit Tagen so… komisch. Schreibst kaum und wenn, dann irgendwie distanziert. Habe ich etwas falsch gemacht?“ Die junge Frau winkte beschwörend ab und errötete. „Nein! Gar nicht! Meine Woche war nur ziemlich stressig bisher… ich hänge in der Schule ganz schön hinterher und nach der Arbeit bin ich fast immer total erschlagen. Das ist alles.“ Yosuke musterte ihre Miene; irgendwie glaubte er ihren Worten nur zum Teil. „Na gut… was ist denn nun so wichtig, dass du das persönlich mit mir bereden musst und dafür extra hergekommen bist?“ Momoko schaute auf ihre Finger und sammelte sich. „Also… es ist so…“, holte sie zögerlich aus und begann zu erzählen. In den nächsten Minuten hing er wie gebannt an ihren Lippen, die sehr nervös von ihrer ungewöhnlichen Idee erzählten, die sie bereits nach ihrem letzten Treffen ausgeheckt hatte. Mit verschränkten Armen stand er vor ihr an die Wand gelehnt und lauschte verblüfft. Seine braungrünen Augen weiteten sich immer mehr, je weiter sie ausführte. Was sie vorschlug war absurd, wenn man daran dachte, wie ihre beiden Partner tickten. Umso sprachloser war er, als er von Takuros Reaktion darauf hörte und was dieser im selben Atemzug vorgeschlagen hatte. „Ein Urlaub? Wir alle zusammen? Am Meer?“, resümierte Yosuke ungläubig. „Jaaa~ so ähnlich habe ich auch reagiert.“, erwiderte sie seufzend. „Ich dachte, er hasst mich?“ „Tja… ich bin genauso erstaunt darüber, wie du.“ Achselzuckend lächelte sie ihre eigene Ratlosigkeit weg. Er spielte den Gedanken flüchtig im Kopf durch und langsam dämmerte ihm, warum Momoko sich so merkwürdig verhielt. „Und was denkst du darüber? Also über seinen Vorschlag?“ Er sah sie ernst an und sie schaute überrascht von seinem Tonfall zurück. „Na ja… ich denke, dass das unmöglich ist…oder? Es ist bestimmt keine kluge Idee, wenn wir so nah aufeinander hocken…“ Nervös spielte ihre linke Hand mit einer langen Haarsträhne herum, während ihre blauen Augen seinem durchdringenden Blick auswichen. Momoko begann auf ihrer Unterlippe zu kauen und ihre Gesichtsfarbe wechselte ins Dunkelrot. Ihre verlegene Reaktion auf seine Nachfrage weckte wölfische Instinkte in ihm; es stand ihr ins Gesicht geschrieben, warum sie es für keine gute Idee hielt. „Hast du Angst, dass sie etwas bemerken? Dass sie uns ansehen, was zwischen uns läuft?“, fragte er sie mit dunklerer, herausfordernder Stimme und trat auf sie zu. Wie erwartet erstarrte sie in ihrer Bewegung und schluckte nervös. Seine Wirkung auf sie verstärkte seinen erweckten Jagdtrieb nur noch mehr. Sein Puls beschleunigte sich. „Ich… ich… ja?“, stammelte sie aus der Fassung gebracht. Der Torwart nahm ihr die Strähne aus der Hand, wickelte sie um seine eigenen Finger und zog sie daran näher zu sich heran. „Ich nicht.“ Mit offenstehendem Mund sah sie ihn an. „Du machst Witze?“, flüsterte die junge Frau atemlos. Ihr entsetzter Gesichtsausdruck, mit den tellergroßen Augen, den rot glühenden Wangen und den erschrocken geöffneten Lippen, war ein göttlicher Anblick. Da begann Yosuke zu schmunzeln und schließlich auch leise zu lachen. Er schnippste ihr die Haarsträhne neckend ins Gesicht und entfernte sich mit in die Hüften gestemmten Armen. „Natürlich war das ein Witz! Ich bin doch nicht verrückt. Es macht nur solchen Spaß, dich aus der Fassung zu bringen.“ Entrüstet schnappte sie nach Luft, doch das Donnerwetter blieb aus. „Das hätte ich mir ja denken können…“, erwiderte sie nur mürrisch. Schnippisch reckte sie ihm das Kinn entgegen, während sie ihren Puls wieder unter Kontrolle- und eine normale Gesichtsfarbe bekam. Yosuke grinste zufrieden und mehr als nur amüsiert über ihr Verhalten. Es war besser er ließ nicht durchblicken, dass diese abstruse Idee tatsächlich etwas Reizvolles für ihn hatte. „Na ja… wie auch immer. Takuro wollte, dass ich meine Freunde frage und da bin ich nun. Er verspricht sich von dieser Idee ganz sicher auch etwas. Entweder will er mich testen oder dich vorführen und demütigen. Vielleicht auch beides. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er diesen Plan nur mir zuliebe so schnell ausgeheckt und vorgeschlagen hat.“ Der Dunkelhaarige schnaubte zustimmend. „Ich mir auch nicht.“ „Wirst du Hiromi trotzdem fragen? Oder sagst du sowieso nein zu seiner Einladung?“ „Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich ihr das erklären soll, da sie ja nicht mal weiß, dass wir miteinander Kontakt gehalten haben… aber da denke ich mir schon was aus. Also ja, ich frage sie.“ „Oh wow, ok… ich hoffe, sie lehnt ab.“ Yosuke verengte verletzt die Augen. „Du hast tatsächlich etwas dagegen.“ Momoko sah ihn verständnislos an. „Umringt von zig Paar wachsamen und prüfenden Argusaugen – ja!“ Er schüttelte den Kopf. Ihre Reaktion war nachvollziehbar; er sollte sich nicht wünschen, dass diese Idee umgesetzt wurde. Sie hatten beide Gründe genug dazu, solche Situationen zu vermeiden und vorsichtig zu bleiben. Aber er genoss ihre Anwesenheit so sehr, dass sie ihm fehlte. Sie nicht um sich zu haben war wie nicht vollständig zu sein. Ein merkwürdiges Gefühl… „Na ja, ich werde dann jetzt wohl besser wieder gehen. Meldest du dich, wenn du es hinter dich gebracht hast? Takuro hat mich bereits gestern gefragt, ob ich dich und die anderen schon darauf angesprochen habe… ich würde ihm morgen gerne eine Antwort geben können, bevor er sich noch anfängt zu wundern, warum ich das so lange vor mir herschiebe.“ „Uff, wirklich viel Zeit mir etwas Glaubhaftes auszudenken, gibst du mir ja nicht gerade.“, witzelte Yosuke stichelnd. „Ja ich weiß, entschuldige.“ Ein wenig bekümmert schaute Momoko auf ihre Finger. „Ich bin immer noch verblüfft, wie du Takuro von diesem Einfall überzeugen konntest. Diese Unterhaltung mit ihm stelle ich mir schwierig vor.“ Der Fußballspieler sah nicht, wie sich ihr Griff um den Henkel ihrer Tasche anspannte. „Ach… das war sie gar nicht. Ich hatte einfach überzeugende Argumente.“ Yosuke bemerkte das Zögern in ihrer Stimme, aber reagierte nicht darauf. Sie hatten ausgemacht nicht mehr als nötig nachzuhaken, wenn es um Ihre Partnerschaften ging und er gab sich alle Mühe, diese Grenze nicht zu überschreiten. „Okay… also melde ich mich morgen bei dir? Soll ich dir schreiben oder dich anrufen? Oder sehen wir uns dieses Wochenende vielleicht noch mal?“ Hoffnungsvoll musterte er ihre Miene. Ihre letzte Begegnung hatte ungenutzte Gelegenheiten hinterlassen, die er sich insgeheim noch nachzuholen wünschte. Doch die Blauäugige starrte wieder nur schwermütig auf ihre Tasche. „Was das angeht… darüber wollte ich auch noch mit dir reden. Ich habe jetzt schon viele Wochenenden verstreichen lassen, ohne kleinere Fotografenjobs anzunehmen. Du weißt, dass ich keine Reserven habe, um das auszugleichen. Ich muss also wieder mehr arbeiten gehen.“ Jetzt sah sie wieder zu ihm auf; traurig und ein wenig ängstlich, wie seine Reaktion darauf wohl ausfallen würde. Tatsächlich versetzte es Yosuke einen Tiefschlag. An diese Dinge hatte er schon lange nicht mehr gedacht. Die aufkeimende Freude und das aufgeregte Kribbeln in seiner Brust wichen einem schwer lastenden Gefühl. Es war sein schlechtes Gewissen Momoko gegenüber und die Machtlosigkeit, weil er nicht in der Lage war ihr mit diesem Problem zu helfen. „Und in der Schule läuft es auch nicht gut. Ich war zu oft mit meinen Gedanken woanders und habe mich ablenken lassen. Wenn das so weiter geht, dann schaffe ich die anstehenden Klausuren nicht und wir reden hier immerhin vom Abschlussjahr. Ich muss meine Noten wieder in den Griff bekommen. Dazu muss ich aber zwischen der Arbeit lernen, lernen und noch mehr lernen… Ich denke, bis zu den Ferien werden wir uns nicht mehr treffen können.“ Er holte tief Luft und ließ ihre Aussage wirken. Damit hatte er nicht gerechnet. „Das sind gute drei Wochen!“, stellte Yosuke erschrocken fest. „Ernsthaft?!“, hakte er ungläubig nach. Momokos Augen aber machten nicht den Eindruck, als würde sie scherzen. Eher im Gegenteil; in ihnen lag dasselbe Bedauern, das er in diesem Moment tief in sich drin empfand. „Das klingt lange, aber wir haben ja unsere Handys. Ich muss mich für den Moment einfach wieder auch auf die anderen Dinge in meinem Leben konzentrieren. Dasselbe täte dir sicher auch mal ganz gut.“, versuchte sie ihn mit einem halbherzigen Lächeln zu beschwichtigen. Nein, das tat ihm ganz und gar nicht gut! Er hatte Sehnsucht nach ihr und hielt seine niederen Instinkte, die sich seit ihrem Eintreffen in seiner Wohnung immer wieder aus dem Hinterhalt zu kämpfen versuchten, nur aus Höflichkeit zurück. Und jetzt offenbarte sie ihm, dass er noch fast einen ganzen Monat weiter auf sie verzichten musste? Yosuke seufzte schwer und massierte seinen Nacken mit beiden Händen. »Was für ein Dilemma.« „Ich finde es ja auch schade… Letztens, das war wirklich schön und hat mir sehr viel Spaß gemacht. Lass uns das oder etwas Ähnliches doch in den Ferien dann noch mal machen, wenn es irgendwie möglich ist.“ Das Momoko es anscheinend ganz offensichtlich von vorne herein ausschloss, dass der Kurzurlaub mit ihnen allen zustande kommen würde, überschattete seine Freude darüber, dass sie ihren Ausflug zusammen genauso genossen hatte wie er, fast gänzlich. Sie drehte sich zur Tür um und ertastete bereits die silberne Klinke. „Na gut, ich fahre jetzt nach Hause. Wir hören voneinander, ok?“ Als sie den Türgriff herunter drückte, agierte sein Körper wie ferngesteuert von selbst. Noch bevor sich die Tür öffnete, drückte er sie mit seiner linken Hand wieder zu. Die junge Frau drehte sich eingeschüchtert zu ihm um. Er versperrte ihr mit dem ausgestreckten Arm den Weg. „Ist das alles? Willst du wirklich schon gehen, obwohl wir uns jetzt wochenlang nicht sehen werden?“ Provozierend kam er ihrem Gesicht näher und bedachte jedes Detail darin mit prüfenden Blicken. Keine ihrer Regungen würde ihm entgehen. Ihren sich beschleunigenden, unruhigen Atem konnte er bereits auf seiner überhitzten Gesichtshaut spüren. „Ich kann nicht bleiben…“, hauchte sie verlegen. „Kannst du nicht oder willst du nicht? Hiromi ist noch ein, zwei Stunden lang weg.“, versprach Yosuke ihr verheißungsvoll. Aufreizend zärtlich strich er mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Unterlippe ihres leicht geöffneten Mundes. Die Lust diese sündigen Lippen zu küssen, überkam ihn erneut unerbittlich. Momokos lange, dunkle Wimpern verhingen ihren Blick, der seinem auswich, aber ziemlich eindeutig an seinem eigenen Mund hing. „Weißt du, es ist ziemlich heiß heute und ich wollte gerade duschen gehen. Du könntest mir Gesellschaft leisten.“ Sein Herz wummerte aufgeregt; ein solch anrüchiges Angebot hatte er noch keiner Frau zuvor gemacht. Sie schaute mit glühenden Augen zu ihm auf. Interessiert, aber unsicher; verlegen, nervös, zweifelnd… und auf ihrer Unterlippe kauend. „Nein, ich kann nicht.“ Ihre Ablehnung war schwach. Ihr Mund hatte das Nein geformt, aber ihre Körpersprache erzählte etwas anderes. Yosuke verdunkelte seinen Blick unwillkürlich und drängte sich noch näher an sie heran. „Willst du mir sagen, dir sei nicht heiß?“ An ihr klebten noch die Schweißperlen der Radfahrt, aber es war nicht diese Art von heiß, die er meinte. Momoko hatte die Bedeutung zwischen den Zeilen sehr wohl verstanden, was ihr purpurfarbener Teint verriet. Sein Blut geriet in Wallungen; es gab nichts mehr was ihn davon abhielt, sie auf der Stelle zu verführen. Er nahm ihr rotes Halstuch an einem Ende in die Hand. „Dir muss doch warm darunter sein.“, raunte er verführerisch und zog daran. Momoko riss ihre Augen erschrocken auf. „Warte!“, bat sie und wollte ihn gerade von sich wegdrängen, doch da hielt er das Tuch bereits gelöst in seiner Hand. Erstarrt ruhte sein Blick auf ihrem freigelegten Hals, auf dessen sonst so makelloser Haut ein bräunlich bis gelbgrün gefärbter Fleck herausstach. „Was ist das?“, fragte er eine Spur zu scharf. Die Frage war unnötig. Er wusste genau, was das war. Schließlich erkannte er einen Knutschfleck, wenn er ihn sah. Er wich ein paar Schritte zurück. Ein hässliches Gefühl stieg in ihm auf. Yosuke ballte seine Hände und versuchte gegen die Wut anzukämpfen, die sich ein seinem Unterbewusstsein gerade gegen Takuro aufbaute und nur allzu gern aus ihm herausbrechen wollte. Beschämt bedeckte Momoko den Fleck mit ihrer Hand und wand die Augen ab. „Gehört das mit zu den Argumenten, die du vorhin erwähnt hast?“, hinterfragte er schroff. Getroffen erwiderte sie seinen Blick. Innerlich versetzte ihm ihr Ausdruck einen weiteren, schmerzhaften Stich. Was war denn plötzlich los mit ihm? Wieso wurde er so zynisch? Was zwischen ihr und Takuro lief, ging ihn rein gar nichts an. Er war nicht in der Position sie zu verurteilen oder gar zu verhöhnen, schließlich lagen solche Dinge in der Natur der Sache, wenn man in einer Beziehung war. Hiromi hatte er neulich schließlich auch nicht abgewiesen. Trotzdem drehte ein Teil von ihm, der ihm seltsam neu und fremd war, durch bei der Vorstellung, wie dieser Knutschfleck zustande gekommen war. Es war ein zerfressendes Gefühl und je länger er diese Stelle an ihrem Hals anstarrte, desto größer wurde der Drang, sie auszulöschen. „Tu das bitte nicht.“, unterbrach Momoko sein aufgeregtes Gefühlschaos. „Schau mich nicht so an, als hätte ich etwas Verwerfliches getan. Bitte, werd nicht gemein oder unfair deswegen.“ Verletzlich, mit flackernden Augen und über die Maßen beschämt, flehte sie ihn mit weinerlicher Stimme an, sie nicht als eine andere wahrzunehmen, die sie war. »Wie könnte ich das je?«, dachte er erschüttert. Er ließ das Tuch aus seiner Hand gleiten und trat mit großen Schritten wieder auf sie zu. Sie begriff noch gar nicht, wie ihr geschah, da hatte er schon einen Arm um ihre schmale Taille geschlungen und seine andere Hand in ihrem Nacken vergraben. Sie zu küssen – gerade auch auf diese sehnsuchtsvolle, verzehrende Weise - war längst überfällig gewesen. Worte waren fehl am Platz, denn er wusste ohnehin nicht, wie er ausdrücken sollte, was er fühlte. Momoko sollte auf keinen Fall wegen seiner Taktlosigkeit weinen. Ihr Lächeln bedeutete ihm mehr als all die düsteren Dinge, die sie und Takuro vielleicht miteinander teilten. Es war ihm egal, was sie getan oder nicht getan hatte, solange sie jetzt hier bei ihm war und es auch sein wollte. Und das wollte sie. Kapitel 53: Hot shower ---------------------- Es war ein merkwürdiges Gefühl, Yosukes Wohnung nach all der Zeit wieder zu betreten. Nichts hatte sich in dem Flur verändert. Er war noch Derselbe, aber sie beide waren es nicht mehr. Ihr Puls hatte sich, allein bei der Erinnerung daran, was sich hier auf diesem Boden, an der Wand gegenüber und in dem Schlafzimmer um die Ecke abgespielt hatte, deutlich beschleunigt. Aber sie war nicht gekommen, um sich von Flashbacks verwirren zu lassen. Trotzdem fand sie sich nun in seinen Armen wieder. Mit weichen Knien, aufgewühlt von ihren Gefühlen und eingehüllt von seinem innigen Kuss. Eben noch hatte sie Angst gehabt, dass der Knutschfleck an ihrem Hals sie vor Yosuke in ein falsches Licht rücken würde. Sie wollte nicht, dass er etwas Falsches von ihr dachte… Sie war kein Flittchen. „Tu das bitte nicht. Schau mich nicht so an, als hätte ich etwas Verwerfliches getan.“, hatte sie gesagt. »Es ist nichts passiert! Er hat mich nicht angerührt! Ich habe nicht mit ihm geschlafen!«, wollte Momoko am liebsten noch ergänzen, aber ihr Hals war wie zugeschnürt. Die Miene des jungen Mannes war versteinert und voller Bitterkeit. »Verachte mich nicht!«, schrie sie innerlich. Sein Blick traf auf ihren und sofort schmolz sein eisiger Ausdruck dahin. Um das Warum zu analysieren blieb ihr keine Zeit, denn schon im nächsten Augenblick hatte er sie an sich gerissen und genau das Richtige getan. Yosuke fing sie mit seinem Kuss mental auf und löschte all ihre Befürchtungen vollständig aus. Er stellte keine Fragen - sie musste nichts erklären. Wie sollte sie auch? Wie sollte Momoko ihm gestehen, dass es ihr etwas ausmachte, was er über sie und Takuro dachte? Nicht als Freundin, sondern als Frau? Wie, ohne ihm gleichzeitig zu erklären, was sie in Wirklichkeit für ihn empfand? Allein Yosukes Hand in ihrem Kreuz und die andere in ihrem Nacken, ließ einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch aufflattern! Auf diese Weise von ihm geküsst zu werden war wie ein Feuerwerk, von dem man nicht wollte, dass es endete. Momoko legte ihre Hände um seinen Oberkörper und krallte sich in das klamme Hemd. Erleichtert seufzte sie seinen Lippen entgegen und drängte sich erwidernd gegen seinen Körper. »Hör nicht auf…« Wie lange war es her, dass sie sich zuletzt so nahe gekommen waren? Zwei Wochen? Es war ihr ganz gleich - es war auf jeden Fall zu lange. Sie legte ihre ganze Sehnsucht in den Kuss, wagte sich bittend mit der Zungenspitze vor und wurde willig empfangen. Ihr wurde heiß; ihr Herz raste und ein erregtes Glühen machte sich in ihrem Schoß bemerkbar. Ein Mal mehr fragte Momoko sich, wie Yosuke nur so eine Macht über ihren Körper und auch über ihren Geist haben konnte. Als er sich nach unendlich anfühlenden Augenblicken von ihren erröteten Lippen löste, war sie Butter in seinen Händen und bereit, jede mögliche Sünde mit ihm zu begehen. „Na? Ist dir immer noch nicht heiß?“, fragte er raunend. Seine Stimme, vor Erregung rau, ließ sie erschauern. Durch einen rosa Traumschleier hindurch schaute sie in seine Augen, die wie schmelzende Schokolade glänzten. „Doch.“, hauchte sie atemlos zurück. Der Torwart nahm ihr Gesicht in seine Hände und ließ seine Daumen immer und immer wieder über ihren Mund streichen. Inständig hoffte sie, dass er sie noch einmal küssen würde; sein heißer Atem kitzelte auf ihren gereizten Lippen, so nah war er ihr. Doch er tat es nicht. Stattdessen erwiderte er vielsagend: „Mein Angebot steht noch.“ Momokos Sinne waren viel zu sehr damit beschäftigt, seine Berührungen und die Art, wie er sprach und sie ansah, außerordentlich elektrisierend zu finden, als dass sie jetzt imstande war zu begreifen, von welchem Angebot er da redete. Yosuke bedachte sie mit dem von ihr so heiß geliebten, schiefen Lächeln und trat dann lässig zwei Schritte zurück. Ihr Blick haftete an seinen Fingern, die anfingen die Knöpfe seines Hemdes der Reihe nach quälend langsam zu öffnen. Sie musste nicht aufschauen, um zu wissen, dass seine Augen sie dabei wölfisch fixierten. Ihre Haut prickelte unter seinem Blick. Der Dunkelhaarige streifte das klamme Hemd ab und knüllte es flüchtig zusammen, nur um es dann neben sich auf den Fußboden zu pfeffern. Mit einer Gänsehaut wanderten Momokos blaue Augen von seinem Hosenbund, unter dem sich eine Spur feiner, dunkler Haare zu seinem Bauchnabel hochrankte, über seine definierten Bauchmuskeln nach oben. Jenseits seiner kräftigen Brust und den Schlüsselbeinen schaute sie ihm wieder ins Gesicht. Er grinste befriedigt, über ihre Reaktion. Erst jetzt bemerkte die junge Frau, dass ihr der Mund offen stand und schloss ihn eilig. Ihre Ohren glühten heiß vor Verlegenheit. Sie öffnete die Lippen wieder, um einen halbherzigen Vorwurf oder eine Rechfertigung zu formulieren, aber schloss sie erneut, als Yosuke, ohne den Blick von ihr zu nehmen, Hand an seinen Gürtel legte. Geschickt fädelte er ihn aus der Schnalle und zog ihn anschließend in einer fließenden Bewegung komplett aus seinem Hosenbund heraus. Metallisch klingend fiel das Accessoire, genau wie das Hemd zuvor, auf den Holzfußboden. „Ich nehme an, du bleibst?“, fragte er sie herausfordernd und begann die zwei Knöpfe seines Hosenstalls zu öffnen. Tonlos klappte Momokos Mund wieder auf – glaubte er tatsächlich, sie wäre gerade dazu imstande, ohne Stammeln darauf zu antworten? Yosukes Hose hing gefährlich tief, auf eine sehr erotische Weise, auf seinen Hüften. Im Bauch seines weiblichen Besuchs schlug irgendetwas einen Purzelbaum, bei seinem Anblick. Er war verdammt sexy! Sie biss sich fest auf die Unterlippe, als sie seinen ausgehungerten Blick erwiderte. Grinsend und sicher, dass sie ihm folgen würde, drehte er sich um und lief gelassen auf das Badezimmer zu, in dem er ohne sich umzusehen verschwand. Der Mund der Rosahaarigen war vor Aufregung ganz trocken. Nervös schluckte sie und schüttelte die Schauer ab, die sie einer nach dem anderen heimsuchten. Sich umzudrehen und die Wohnung zu verlassen, war keine Option. Ihr ganzer Körper sehnte sich nach diesem Mann, von ihrem Geist ganz zu schweigen! Nervös und mit weichen Knien, folgte sie Yosuke; das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ungewiss, was sie erwarten würde, drückte Momoko die Tür zum Bad auf und tastete den kleinen Raum vorsichtig von unten nach oben mit den Augen ab. Ihr gutaussehender Gastgeber stand direkt vor der gläsernen Dusche, in der bereits das Wasser lief und streifte sich seine Hose ab. Abrupt blieb sie mit angehaltener Luft stehen und starrte auf die schwarzen Boxershorts, die sich mehr als vorteilhaft um sein Gesäß und die kräftigen Oberschenkel schmiegte. Noch genauer traute sich die Blauäugige nicht hinzusehen. Das Blut schoss ihr schon wieder pulsierend in die Wangen und brachte ihr Gesicht zum Glühen. Yosuke musterte sie prüfend und bewertete abwägend ihren Ausdruck, ehe er sich dann vor ihren Augen auch diesem letzten Kleidungsstück entledigte und unter die Dusche schlüpfte, in der ihn eine Schwade weißer Wasserdampf einhüllte. Momoko blieb mit rasendem Puls zurück. Sie war unglaublich nervös, aber ihr Hunger auf dieses erotische Abenteuer war größer. Wenn er keine Hemmungen zeigte, dann wollte sie ihm darin nicht nachstehen. Entschlossen knöpfte sie ihre Bluse auf und ließ den Faltenrock von ihrer Hüfte gleiten. Sie tat es im vollen Bewusstsein, dass Yosuke sie aus der Dusche heraus womöglich dabei beobachtete. Also tat sie es langsam, mit dem Rücken zu dem transparenten Glas gedreht. Aufreizend und berechnend führte sie ihre fließenden Bewegungen aus. Wenn er sie ansah, und davon ging Momoko fest aus, dann sollte er dieselbe Show bekommen, die er ihr geliefert hatte. Als auch ihre Unterwäsche zusammen mit den Kniestrümpfen und anderen Kleidungsstücken von sich und Yosuke den Fliesenboden bedeckte, löste sie letztendlich noch die gelben Haarbänder und drapierte die rosa Mähne in zwei gleichen Teilen nach vorne, wo sie ihre Brüste bedeckte. Auf der Unterlippe kauend drehte sie sich zur Dusche um und schob nach kurzem Zögern die Schiebetür auf. Heißer Dunst vernebelte einen Augenblick lang ihre Sicht, dann prasselte Wasser auf ihr Gesicht. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr nach.“ Momoko blinzelte, sich Wasser und Haare aus dem Gesicht wischend, zu ihm auf. Yosukes Tonfall war neckend, doch in seinen Augen lag das erregte, unterdrückte Glühen, das sie bereits gut kannte. Seine dunkelbraunen Haare klebten schwarz und angeklatscht in seinem Gesicht, von wo aus das Wasser aus dem Duschkopf über seinen ganzen Körper rann. Den Blick zu senken, traute die Hobbyfotografin sich nicht. Allein der jetzige Anblick reichte schon aus, um sie aus der Fassung zu bringen. Er grinste sie vielsagend an, so als ahnte er, was in ihrem Kopf vor sich ging. Es gab nicht viel Platz in dieser kleinen Zelle, trotzdem drängte Momoko sich in die äußerste Ecke, weg von ihm. Er änderte das, indem er sie einfach mit beiden Armen an der Taille zu sich heran zog. Direkt unter den Wasserstrom. Prustend, blind vom Wasser und nach Luft schnappend, quietschte sie auf und wollte sich aus seinem Griff winden, doch ihr entrüsteter Widerstand wurde jäh unterbrochen, als seine feuchten Lippen ihren Mund einfingen. Momoko ergab sich sofort seufzend und schlang ihre Arme um seinen Hals. Ein nicht enden wollender Strom an Impulsen und Gefühlen jagte durch ihren Körper und sorgte dafür, dass jede noch so kleine Zelle vor Aufregung kribbelte. Seine Hände streichelten ihren nackten Rücken und glitten fast beiläufig über ihren Hintern. Sie vergrub die Finger gierig in seinem Haar und zog sich nah an ihn heran, presste ihren Oberkörper gegen seinen. Yosukes Herz hämmerte gegen ihre Brust. Spürte wirklich nur sie diesen Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch? Es fühlte sich vielmehr nach Vögeln an, vielleicht Tauben, die sich gleichzeitig mit ihren weißen Flügeln vom Boden ihres Magens abstießen und wild aufflatterten. »Weiße Tauben…«, dachte sie und seufzte verzückt in den Kuss hinein. Momoko bekam eine Ahnung davon, wie es war, im siebten Himmel zu schweben. Nur widerwillig ließ sie zu, dass der Torwart den Kuss löste und sie ein Stück zurückschob, sodass er ihr besser in die Augen blicken konnte. Seine waren dunkel vor Lust, das Prasseln des Wassers übertönte seinen rauen Atem. Momoko spürte an ihrem Bauch sehr deutlich das Epizentrum seines Verlangens. Auch in ihrem Schoß pulsierte es bereits ungeduldig. Es war eine bittersüße Qual. Yosuke griff in das kleine Duschregal neben sich und nahm sein Duschgel zur Hand. Als er es öffnete und sich eine Wallnussgroße Portion auf die Handfläche drückte, stieg ihr der frische Duft von Limonen in die Nase. Sie schloss die Augen und erschauerte bei der Erinnerung, die der Geruch in ihr wach rief. Als seine Hände sich auf ihre Schlüsselbeine legten, sah sie ihn wieder an. Unter kreisenden Bewegungen wurde das Gel auf ihrer Haut zu Schaum, durch den sich seine Berührungen seidenweich anfühlten. Der Dunkelhaarige stellte das Wasser ab, damit es den samtigen Schaum nicht sofort wegspülen konnte und setzte das Einseifen ihres Körpers fort. Nicht sicher, was Yosuke damit bezwecken wollte, ließ sie ihn gewähren und verfolgte das Mienenspiel in seinem Gesicht. Anerkennend betrachtete er ihre Brüste, deren Knospen sich schon vor Minuten aufgerichtet hatten und sich ihm nun erwartungsvoll entgegen reckten. Seine großen Hände glitten rutschig über das weiche Fleisch und streichelten sie hingebungsvoll, bevor er die Seife auch auf ihrem Bauch und dem Becken auftrug. Momoko seufzte mit geschlossenen Augen und legte den Kopf in den Nacken. Im nächsten Moment drehte Yosuke sie langsam um. Sie stützte sich an der Scheibe vor sich ab, während er den Schaum auch überall an ihrem Rücken verteilte und ihr nasses Haar in ihrem Nacken mit einer Hand zusammenraffte. Er hielt sie daran fest, tat ihr aber nicht weh, sondern brachte sie nur in seine Wunschposition. In freudiger Erwartung überließ sie ihm die Zügel nur zu gern. Seine andere Hand ging auf Wanderschaft, fing an ihre rechte Brust zu kneten, die unter dem glitschigen Badezusatz immer wieder entwischte und glitt dann zielsicher weiter abwärts. Dort passierten sie ihr Scharmbein. Aufgeregt zog die junge Frau scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und wollte sich winden, doch kurz vor dem Ziel bogen seine Finger unerwartet ab. Er zog seine Hand zurück und ließ auch ihr Haar einfach wieder los. Perplex verharrte Momoko in ihrer Position. Sie konnte sein amüsiertes Schmunzeln förmlich in ihrem Nacken kribbeln spüren - er erlaubte sich einen Spaß mit ihr! Bestätigend hauchte Yosuke ihr an der prickelnden Stelle einen Kuss auf und rieb sie mit schrubbenden Bewegungen mit noch mehr Duschgel ein. Dabei widmete er sich auffällig lange ihren Pobacken. Die Rosahaarige wurde ganz verrückt bei dieser Prozedur. Sie wollte, dass er sie richtig anfasste! Kleine Stromstöße ließen ihren Unterleib wieder und wieder begierig zusammenzucken, doch die stummen Lustschreie waren vergebens. „Stopp!“, unterbrach sie ihn schließlich und fuhr herum. Ein bisschen schien er erschrocken zu sein - er fragte sich sicher, ob er es vielleicht zu weit mit seiner kleinen Folter getrieben hatte. Nun war es an Momoko, ihn durchtrieben anzulächeln. Nichts lag ihr ferner, als ihre Liaison an dieser Stelle zu unterbrechen, wo doch jede Faser ihres Körpers nach Erlösung schrie. Wortlos griff sie an Yosuke vorbei nach dem Duschgel und bediente sich daran. „Ich bin dran.“, verkündete sie verheißungsvoll und verrieb das Gel zwischen den Händen. Ihr hochgewachsenes Gegenüber zog unschlüssig die Stirn in Falten, aber hielt sie nicht auf. Sie begann, wie er, bei den Schlüsselbeinen. In kreisenden Bewegungen verteilte sie den Schaum auf seiner schon leicht sonnengebräunten Haut. Es fühlte sich ganz anders an, ihn durch einen Seifenfilm zu berühren, als pur. Aber es hatte etwas sehr Aufreizendes. Momoko konnte sich nicht erinnern, dass sie bisher je die Gelegenheit gehabt hatte, so viel von seinem Körper auf ein Mal und so beinah beiläufig zu erkunden. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wollte ihm einen genauso quälenden Genuss bereiten, wie er es immer tat, doch befürchtete sie, ihre Unerfahrenheit könnte ihr dabei ihm Weg stehen. Durchatmend massierte sie seine Brust- und Bauchmuskeln, versuchte auf ihre instinktiven Impulse zu vertrauen und auf das zu horchen, was auch ihr Herz ihr im Geheimen zuflüsterte: Sie wollte an seinen Lippen hängen; seine Haut streicheln; seine lüsterne, heisere Stimme hören und mehr von ihm erkunden, als bisher. Sich davon leiten lassend, trat sie an ihn heran und küsste ihn durch all den Schaum zwischen ihnen am Hals. Ihre Zähne reizten vorsichtig die Haut dort und arbeiteten sich neckend und verlangend zu seinen Schultern vor. Yosukes Körper spannte sich an und bekam eine Gänsehaut. Zufrieden schickte Momoko ihre Hände hinter seinen Rücken hinab zu seiner Hüfte, wo sie ein Mal beherzt in sein festes Hinterteil griff und dort streichelnd verweilte. Er zuckte zusammen und wand sich kaum merklich in ihrer Umarmung. Hocherfreut über diese kleinen Erfolge, drängte sie sich an ihn und sah auf. Seine braungrünen Augen waren verengt und durchdrangen sie fragend, fast vorwurfsvoll. Ganz so, als wollte er sagen „Was machst du da nur mit mir?“. Ein winzig kleiner, sadistischer Teil in Momoko führte deswegen einen Freudentanz auf. Sie konnte ihm also genauso um den Verstand bringen, wie er sie. Aktiv zu sein machte Spaß, sie konnte ihn verstehen. Jetzt bekam er wenigstens ansatzweise eine Ahnung davon, wie sie sich fühlte, wenn er all diese Dinge mit ihr tat. Ihre eingeseiften, rutschigen Körper rieben unkontrolliert aneinander. Ihre Brustwarzen wurden davon ganz von selbst stimuliert; sein erigiertes Glied an ihrem Bauch erklärte eindeutig, dass es ihm genauso ging. Mutig wagte sie einen Blick zwischen sie beide und betrachtete den beachtlich angeschwollenen Penis. Bei seinem Anblick wurde Momoko heiß und kalt zugleich – würde sie sich jemals daran gewöhnen, dass dieser blutgefüllte Schwellkörper der Schlüssel zu der überwältigenden Lust war, die sie imstande war zu empfinden? Nervös schluckte sie und sah wieder auf. Yosukes Blick hatte sich nicht verändert, er war höchstens noch verhangener und erregter. Erneut ergriff sie die Initiative und küsste ihn auf den Mund. Es war kein zärtlicher Kuss, denn er empfing sie überhitzt, begegnete ihrer Zunge ungeduldig und animalisch. Ermutigt von seinem Verlangen nach ihr, überwand seine Gespielin weitere Hemmungen und schloss die Finger ihrer rechten Hand um seinen Schaft. Abrupt sah der Torwart sie mit großen Augen an und hielt inne. Sofort holte Momokos Unsicherheit sie wieder ein. Wollte er das nicht? War es noch zu früh? Machte sie etwas falsch? Er hatte sie schon sooft an ihren intimsten Stellen berührt; war es nicht natürlich, dass sie das auch bei ihm tun wollte? Entschlossen, aber zunächst vorsichtig und bedächtig, bewegte sie ihre Hand auf und ab. Es war ein merkwürdiges Gefühl; der Penis war heiß und hart - viel fester, als sie vermutet hätte. Nur seine Eichel war weich, glatt und überaus empfindlich, wie sie schnell feststellte. Yosuke presste ein Stöhnen hervor und erzitterte. Sein Laut hallte tief in ihr wider, sodass sich all ihre Härchen aufstellten. Sie fröstelte etwas und entschied, das warme Wasser wieder anzustellen, ehe sie ihr Tun motiviert fortsetze. Nach nur wenigen Handgriffen verstand sie es, ihre Bewegungen und auch seine Vorhaut richtig einzusetzen, sodass es dem jungen Mann sehr schnell Vergnügen bereitete. Staunend sah sie zu, wie seine Erektion in ihrer Hand noch weiter anwuchs. Entzückt zog sich ihr Unterleib zusammen. Die Dusche spülte den Schaum und auch den gleitenden Seifenfilm hinfort. Unter ihrer linken Hand fühlte Momoko Yosukes rasenden Herzschlag und wie sich seine Brust unter seinen konzentrierten Atemzügen hob und senkte. Er zog sie an den Schultern heran und verwickelte sie in einen weiteren, innigen Kuss. Sie standen beide regelrecht in Flammen! Je mehr sich das Level ihres gegenseitigen Verlangens steigerte, desto größer wurde Momokos Neugier und der Drang, noch weiter zu gehen. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, bei all den Möglichkeiten, die sich ihr eröffneten. Willig pulsierte das Glied in ihrer Hand; es gab nur eine Möglichkeit diese Neugier zu stillen. Sie löste sich keuchend von seinem Mund, der sie versuchte mit den Zähnen, an ihrer Unterlippe knabbernd, zurückzuhalten. Noch ehe er wusste was sie vor hatte, glitt ihre Zungenspitze zügig hinab über sein Brustbein, über die Naht zwischen seinen Bauchmuskeln; tauchte kurz in seinem flachen Nabel ab und glitt dann noch tiefer… „Nicht!“, stöhnte Yosuke überrumpelt und suchte mit einer Hand hilflos Halt um sich herum. „Du musst das nicht tun!“, presste er atemlos zwischen den Zähnen hervor. Momoko wusste, dass sie es nicht tun musste, aber sie wollte es. Aufgeregt, aber auf eine positive Weise, kniete sie vor ihm und betrachtete sein fleischfarbenes bestes Stück. Sie schluckte die letzten Zweifel herunter, öffnete ihre Lippen und schloss die Augen. Instinktiv begrüßte sie seine empfindsame Spitze zuerst mit der Zunge, ehe sie sich an den Schaft herantraute. Sie war zart und weich, schmeckte eigentlich nach nichts, doch wenn sie vorsichtig daran saugte, legte sich ein leicht salziger Geschmack auf ihre Zunge. Daran war nichts unangenehm, im Gegenteil – zwischen ihren Beinen reagierte etwas sehr Feuchtes zuckend und bebend auf ihren ersten Blowjob. Er warf den Kopf in den Nacken und kniff die Augen konzentriert zusammen. Damit hätte er niemals gerechnet, schon gar nicht so früh in dieser vermeintlichen Beziehung, die sie führten! Das sie nicht annähernd so prüde war, wie sie sich manchmal gab, das wusste er nur allzu gut, aber das… das übertraf seine Erwartungen. Allein die Vorstellung, wie ihre rosafarbenen, vollen Lippen sich in diesem Moment um sein Glied schlossen und sich daran vor und zurück bewegten, brachte ihn um den Verstand. Seine restlichen Sinne waren wie benebelt, er konnte nur noch fühlen und das umso intensiver. Ihre heiße, feuchte Zunge schlang sich verführerisch um seine Spitze, kurz darauf wurde sein Schaft saugend tiefer in ihren Mund gezogen. Seine Knie wurden butterweich. Hilfesuchend stemmte er seine Arme gegen das Glas rechts und links von sich und rang um Fassung. Es dauerte nicht lange, bis Momoko ein Gefühl dafür bekam, was sie da tat und einen tödlich sadistischen Rhythmus entwickelte. Yosuke biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe, damit er seinen niederen Instinkten widerstehen konnte und nicht dem Drängen seines Körpers nach Erleichterung nachgab. Aber er musste sich wenigstens einen Blick auf die kniende Frau vor sich gewähren. Er musste es sehen, um es ganz glauben zu können. Und tatsächlich – es war ihr wunderschöner Mund, der ihn fast unerträglich göttlich verwöhnte. Stöhnend kommentierte er den Anblick, wie sein Glied sich wieder und wieder fast komplett in ihr versenkte. Ihre großen, blauen Mandelaugen schauten kurz zu ihm auf; selbstbewusst und heiß. Das Wasser spülte ihr Haarsträhnen ins Gesicht, aber das tat ihrer erotischen Ausstrahlung keinen Abbruch. In seinem unteren Rücken spürte er ein altbekanntes, ankündigendes Prickeln; eine erlösende Welle war auf dem Vormarsch. Momoko musste aufhören – sofort! Sonst war es zu spät. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und zwang sie ihn anzusehen. Es war unmöglich etwas zu sagen, er konnte nur zittrig atmen und versuchen nicht zu ertrinken. Nicht etwa am Wasser, sondern an all den Gefühlen, die ihn übermannten. Momoko ließ sich nicht bitten, sie war genauso nah am Abgrund wie er und sehnte sich nach echter, rauer Penetration. Sie stand auf und ließ sich von ihm in eine leidenschaftliche Umarmung reißen. Yosuke schob seine Zunge zwischen ihre Lippen, die nach Wasser und ein wenig nach ihm schmeckten. Er hob ungeduldig ihren rechten Oberschenkel an und führte seine Hand an ihm hinauf, zielsicher zwischen ihre Beine. Sie war mehr als bereit für ihn. Doch dann versteifte er sich, weil er sich an etwas Notwendiges im denkbar ungünstigsten Moment erinnerte. „Mist, ich habe hier kein…“ „Schhh...“, unterbrach die Rosahaarige ihn, mit auf die Lippen gelegten Fingern. „Ich habe gerade meine sicheren Tage.“, flüsterte sie ihm ergänzend ins Ohr. Wie auch immer sie seine Gedanken gelesen hatte, mehr als das brauchte er nicht zu wissen. Er drehte sie ohne weiteren Kommentar mit dem Rücken zur einzig gefliesten Wand und hob sie hoch. Seine Arme griffen unter ihren Knien hindurch und hoben sie an ihrem Gesäß an. Sie war so leicht… es kostete ihn keine Mühe Momoko anzuheben, die sich vorfreudig in seinem Nacken festklammerte und mit den Schulterblättern gegen die Wand drücken ließ. Ihre Zehenspitzen berührten das Glas auf der gegenüberliegenden Seite, doch die gebogene Position machte ihr nichts aus. Yosuke presste seine Stirn gegen die Kuhle unter ihrem Hals, als er in sie eindrang und sich sofort rhythmisch in ihr bewegte. Sie schenkte ihm ein dankbares, tiefes Seufzen, das er nur erwidern konnte. Sie pur und unverfälscht zu spüren, wie sie sich eng um sein Glied zusammenzog und feucht willkommen hieß, verstärkte seine Lust enorm. Es bescherte ihm außerdem wieder den Konflikt, zwischen dem unbändigen Drang, sofort zum Höhepunkt zu kommen und dem Bestreben, diesen Akt so lang es ging auszukosten. Wer konnte schon sagen, wann sie wieder eine Gelegenheit für ein Stelldichein bekommen würden? Was sie jetzt hier hatten, war ohnehin kaum zu toppen; Sex in der Dusche – vor allem solchen Sex, das war eine Premiere. Auch für ihn. Ihre perfekten Brüste wippten bei jedem seiner Stöße mit. Gierig schloss er seinen Mund um einen ihrer Nippel; saugte, knabberte und zog zärtlich daran. Die kleinen, kehligen Laute, die seiner Gespielin entschlüpften, fachten derweil die Bemühungen seiner Lenden weiter an und er verwarf den Plan, sich zu zügeln. Es war Momoko, die sich zuerst vom Orgasmus überrollen ließ. Ihre Nägel gruben sich in die Haut seines Nackens, während sie sich bebend an ihn klammerte und ungezügelt an seinem Hals stöhnte. Yosuke war abseits seines instinktiven Denkens und Handelns überrascht, von ihrer heftigen Reaktion. Unfähig irgendetwas zu analysieren, nahm er ihren lustverzerrten Ausdruck in sich auf und gab schließlich die mentale Gegenwehr gegen seinen Körper auf. Er vergrub sein Gesicht in dem nassen Haar an ihrem Hals, als das verheißungsvolle Prickeln in seinem Rücken zu einem elektrischen Strom in seinen Lenden wurde, der sich in einem letzten Stoß endlich mit voller Macht in ihr entlud. Erlöst, aber zitternd und schwach, zog er einen Arm nach dem anderen unter Momokos Schenkeln hervor und ließ sie herunter. Sie verweilten noch einige Augenblicke in einer Umarmung, in der sie sich unter dem dampfenden Wasserstrom gegenseitig Halt gaben und das Nachbeben ihrer Ekstase auskosteten. Kapitel 54: An unexpected visitor --------------------------------- Nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, hatten sie sich verlegen angelächelt, ihre Umarmung gelöst und fertig geduscht, als wäre nichts gewesen. Der Duft von Yosukes Limonen-Duschgel erfüllte den schwülen Raum, während sie sich mit Handtüchern trocken rubbelten. In der Luft zwischen ihnen lag immer noch das Knistern und eine gewisse Hitze, die ganz sicher nichts mit den sommerlichen Außentemperaturen zu tun hatte. Momoko fühlte sich zum ersten Mal etwas unbehaglich und vor allem unbeholfen in ihrer Haut. Sie war um jedes Wort verlegen, wich peinlich berührt Yosukes Blicken aus und wusste auch sonst nicht so recht, wie sie sich verhalten oder was sie sagen sollte. Ihr Körper hatte sehr heftig auf das Vergnügen in der Dusche reagiert – ungewohnt heftig. Weil sie wusste, dass er es gemerkt hatte und sie deswegen immer wieder mit undefinierbaren Blicken taxierte, war es ihr unangenehm. Es war absurd und trotzdem befürchtete sie, dass er ihr vielleicht an den Augen ablesen konnte, wieso sie sich so ungezügelt hingegeben hatte. Yosukes dunkle, braungrüne Augen hatten die Angewohnheit, sie am Grund ihrer Seele zu erschüttern, wenn er es nur darauf anlegte. Momoko wollte kein offenes Buch für ihn sein und mit ihren Geheimnissen den Augenblick oder gar mehr zerstören. Diese Gefühle gehörten nur ihr allein. „Du hast mich ganz schön überrascht.“, sprach er das sensible Thema schließlich doch an. Mit abgewandtem Gesicht rollte die junge Frau ihren letzten Kniestrumpf hoch. „Ach wirklich?“, gab sie unbeeindruckt zurück, so als wüsste sie nicht worauf er anspielte. Ein kleiner, kesser Klapps auf ihren Po ließ sie aufschrecken. Entrüstet rieb sie ihr Gesäß und starrte den Übeltäter aus blitzenden Augen an. Er lachte ein unschuldiges Jungenlachen; wie das eines Kindes, das sich über einen erfolgreichen Streich amüsierte. Nur sein Blick war anzüglicher. „Ja, wirklich. Ich meine, wir waren ja beide ziemlich angeturnt, aber das, was du da drinnen mit mir gemacht hast und wie dein Körper reagiert hat…“, er führte den Satz nicht zu Ende, aber machte eine Handbewegung, als hätte er sich an etwas Heißem verbrannt und stieß einen anerkennenden Pfiff dazu aus. Es war als Kompliment gemeint, da war Momoko sich sicher, aber sie schämte sich unendlich dafür, obwohl sie nichts bereute und jede Kleinigkeit genossen hatte. Jederzeit wieder würde sie all diese kleinen Sünden mit ihm wiederholen, wenn sie nur die Gelegenheit dazu bekäme. Doch etwas fehlte; etwas daran fühlte sich diesmal unvollkommen an. „Das wird mir in den nächsten Wochen sehr fehlen.“, witzelte Yosuke, während er sein Haar mit zwei Handgriffen vor dem Spiegel in Form brachte. Die Rosahaarige seufzte unhörbar. Er ließ ihr keinen Zweifel daran, dass er ganz anders zu der Sache stand als sie. Ihr Stelldichein war vorbei und sie beide bereits wieder voll bekleidet, doch noch immer strömte das Blut in Momokos Venen, heiß und rauschend. Ihr Herz pumpte es heftig schlagend vorwärts durch ihren Körper, was es gleichzeitig unmöglich machte die verräterische Röte, auf ihren Wangen, loszuwerden. Der Dunkelhaarige grinste sie deswegen verschlagen an - er verstand ihre Körpersprache ganz falsch. Für ihn war es nur reines Verlangen gewesen; ein Vergnügen, eine Zerstreuung. Das konnte sie ihm nicht übelnehmen, denn genauso war es ja gedacht gewesen, als sie beide diese Affäre angefangen hatten. Es war nicht seine Schuld, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Gedankenversunken und darauf konzentriert, ihren Puls wieder auf Normalfrequenz zu senken, fuhr Momoko sich immer wieder mit den Fingern kämmend durch ihr handtuchtrockenes Haar. Sie hatte es plötzlich sehr eilig, wieder von hier weg zu kommen. So nah war sie ihm gekommen... nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal im vollen Bewusstsein ihrer Gefühle für ihn. Als er sie angefasst, geküsst und schließlich Sex mit ihr gehabt hatte, war etwas in ihr explodiert. Was sie dabei empfunden hatte ließ sich nicht mit Worten beschreiben. Es gab einen deutlichen Unterschied zwischen bedeutungslosen Sex und welchem aus Liebe, das wusste sie nun. Zwar war es für sie mit Yosuke nie wirklich bedeutungslos gewesen, aber das eben... Momoko konnte den Gedanken nicht beenden; ein wohliger Schauer schüttelte sie und die Tauben in ihrem Bauch waren wieder da. Mit ihnen drängte sich ein stumpfer Schmerz in ihre Brust. Ein Gefühl von Wehmut... Es war an der Zeit zu gehen und das für einen längeren Zeitraum. Das nächste Wiedersehen oder gar die nächste Zweisamkeit, war noch nicht abzusehen. Aber das Schlimmste daran war - und das versuchte sie vehement zu verdrängen – Yosukes Herz würde ihr nicht folgen; es gehörte nicht ihr. Und das würde es auch nie. „Hast du vielleicht einen Fön?“, fragte sie hektisch. Sein Gast wollte nur noch nach Hause, weg aus dieser Wohnung und weg von ihm. „Alles in Ordnung?“, fragte Yosuke, verwundert über ihr Verhalten und das Gesicht, das sie machte. Wortlos reichte er ihr aus einem Wandschrank einen Föhn, den sie sofort anschloss und machte ihr Platz vor dem Waschbecken, wo sie sich eine Weile schweigend den heißen Wind ums Gesicht blasen ließ. „Ich will schnell heim, bevor Hiromi hier auftaucht!“, rief sie dem Dunkelhaarigen über das ohrenbetäubende Getöse hinweg zu. Über ihre Schulter sah sie ihn im Spiegel lächeln. Verständnisvoll, wenn auch kopfschüttelnd. Das war einer der Gründe, wieso sie die Flucht vor ihm ergreifen musste; sein Lächeln, sein Charme, seine Nähe. In der Dusche, nachdem sie... fertig waren, hatte ein Teil von ihr nach mehr verlangt. Momoko wollte sich am liebsten ewig an ihn schmiegen, seine Arme um sich spüren, seine Wärme und seinen Geruch in sich aufnehmen und ihn küssen. Alles auf eine verliebte Weise, die ihr nicht vergönnt war. Sie hatte Worte für ihn, die niemals an sein Ohr dringen durften, stumm hinuntergeschluckt. Körperlich war sie befriedigt, aber seelisch klaffte ein Loch in ihrer Mitte auf; eine Wunde, mit der die junge Frau nicht gerechnet hatte. Obwohl sie mit Yosuke zusammen war und es nicht inniger hätte sein können, fühlte sie sich einsamer als zuvor. „Ich glaube nicht, dass sie schon so bald wieder Zuhause sein wird. Sie meldet sich zuverlässig nach jedem Termin bei mir.“, versuchte er sie zu beruhigen, um vielleicht noch etwas gemeinsame Zeit mir ihr herauszuschlagen. „Nichts für ungut, aber wir hatten schon ein Mal das Vergnügen, fast erwischt zu werden. Ich möchte unser Glück lieber nicht überstrapazieren.“ Momoko überwand sich zu einem verschmitzten Lächeln und ordnete noch mit letzten Handgriffen ihre fluffige Mähne. „Schade, dass wir uns jetzt so lange nicht mehr sehen werden.“, erinnerte Yosuke sie wieder. Ehrliches Bedauern stand in sein Gesicht geschrieben, als sie im Korridor nach ihrer Schultasche griff und auch schon in ihre schwarzen Halbschuhe schlüpfte. Er machte ihr die Flucht, weg von ihm, die ihr auch ohne seine Wehmut schon schwer genug fiel, nur noch unerträglicher. Was hatte sie sich da nur selbst angetan? „Das werden wir schon überleben.“, witzelte sie. Ihre Antwort hatte sie bewusst sarkastisch und leichtfertig dahingesagt. Sie spürte Yosukes zerknirschten Blick in ihrem Rücken kribbeln. Er musste gar nichts erwidern damit sie wusste, dass er mit dieser Aussage nicht zufrieden war. „Also dann.“, setzte sein Gast schließlich an, als sie bereit zum Gehen war. „Bis dann.“ Beide sahen sich zum Abschied noch einen Augenblick lang an. Jeder von ihnen schien darauf zu warten, dass der andere noch irgendwas Abschließendes sagte oder tat, aber dazu kam es nicht. Sie schauten einander einfach nur an. Ihre Blicke füreinander waren voller Gefühle und Gedanken, die einfach nicht den richtigen Kanal nach draußen finden wollten. In Momokos Brust zog sich bei dem traurigen Glimmen in Yosukes Augen, dem im Kontrast dazu sein Lächeln gegenüberstand, etwas unangenehm zusammen. Es raubte ihr die Luft zum atmen und weckte den Wunsch, wenigstens irgendwas zu ihm zu sagen, das sie erleichterte. Plötzlich regte sich hinter ihr etwas; ein Schlüssel klimperte auf der anderen Seite der Wohnungstür im Schloss und entriegelte sie. Es erwischte die Beiden eiskalt, schlagartig wich ihnen alles Blut aus den Gesichtern. „Hallo? Jemand Zuhause?“ Eine feine Frauenstimme verschaffte sich Gehör, während die schwere Tür erfolgreich aufschwang. Ein Rollkoffer passierte zuerst die Türschwelle, hinter der Yosuke und Momoko versteinert und leichenblass verharrten. Braungrüne Augen – dieselben wie Yosukes – schauten nun direkt und ziemlich verblüfft in Momokos entgeistertes Gesicht. „Nanu?“ Der erstaunte Blick der Frau, die offensichtlich nicht Hiromi war, wanderte von der Rosahaarigen hinüber zu dem vermeintlichen Hausherrn, dieser Wohnung. „Mutter?!“, formten seine angespannten Lippen. Mit offenem Mund starrte sein weiblicher Besuch, der im wahrsten Sinne des Wortes zwischen ihnen stand, von einem zum anderen hin und her. »Seine Mutter?«, ging es Momoko wie ein Echo durch den Kopf. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen: Yosuke hatte dieselben warmen und wachsamen Augen und die gleiche kleine, skeptische Falte zwischen den Augenbrauen. Die Frau mittleren Alters, ähnlich wie ihr eigener Vater, trug die hellbraunen Haare knabenhaft kurz geschnitten. Brav umrahmten sie ihr schmales Gesicht, was ihre ohnehin kleine Gestalt, in dem förmlichen Hosenanzug, noch zierlicher wirken ließ. „Ich freue mich auch dich zu sehen, mein Sohn.“, durchbrach ihre Stimme erneut die peinliche Stille. Yosuke blinzelte seine Verwirrung fort und lockerte seine verkrampfte Haltung. „Mutter, was machst du denn hier?!“ Sie schnaubte verächtlich, noch immer im Türrahmen stehend. „Entschuldige mal, das hier ist auch meine Wohnung. Tut mir leid, wenn ich ungelegen und ohne Anmeldung hier aufgetaucht bin.“ Prüfend huschte ihr Blick zu Momoko zurück, die unwillkürlich schluckte. Ihre vertrauten Augen zogen sich kurz nachdenklich zusammen, aber sie vergas in keiner Sekunde trotzdem nett zu lächeln. „Kennen wir uns?“, fragte sie die Rosahaarige, die unbehaglich von einem Fuß auf den anderen tänzelte. „Wie, was?“, stammelte sie überrumpelt. „N-nein! Nicht das ich wüsste! Entschuldigung, dass ich hier so herumstehe!“ Hastig straffte sie ihre Haltung und verbeugte sich höflich, was sie als gut erzogene, japanische Schülerin längst getan hätte, wenn sie nicht vor Schreck so erstarrt gewesen wäre. „Mutter entschuldige bitte, das ist eine ehemalige Mitschülerin von mir. Momoko Hanasaki.“, unterstützte Yosuke sie hastig. Auch seine Stimme klang noch belegt und trocken von dem Schock. „Hanasaki?“, wiederholte die gepflegte Frau mit einem seltsam überraschten Klang in der Stimme. Noch mit gesenktem Kopf bestätigte die Angesprochene die Rückfrage nickend. „Ich war gerade dabei zu gehen, ich möchte ihr Wiedersehen nur ungern stören!“ Momoko verbeugte sich ein weiters Mal und das so tief, dass ihr die ungebändigten Haare ins Gesicht fielen. In dieser demütigen Haltung machte sie Yosukes Mutter Platz, damit sie eintreten konnte und drängte sich kurz darauf auch schon selbst hinaus. „Du kannst ruhig noch bleiben.“, wollte die Kurzhaarige sie beruhigen, aber Momoko schüttelte vehement den Kopf. „Nein danke, vielleicht ein anderes Mal. Ich habe es ziemlich eilig.“ Ein Mal noch schauten ihre blauen Augen nervös zu Yosuke hinüber, dem ebenfalls noch immer die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand. Dann ging sie ohne ein weiters Wort; das war kein schöner Abschied, doch vielleicht war im Moment alles besser, als sich lange bedeutungsvoll, aber ohne etwas zu sagen anzustarren. Nur auf den entsetzlichen Schrecken, als sie beide eine Sekunde lang dachten, dass sie nun tatsächlich auffliegen würden, hätte sie gut und gerne verzichten können. Akiko Fuma schloss nach einem Moment des Innehaltens die Tür hinter sich. Die nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn war noch da, als sie sich ihrem Sohn zuwendete, dessen Fäuste sich nervös immer wieder abwechselnd öffneten und schlossen. Ihre gutmütigen Augen musterten den jungen Mann eingehend, der offensichtlich immer noch ganz entgeistert wegen ihres spontanen Besuches war. „Meine Güte… wie erwachsen du geworden bist.“ Staunen und mütterlicher Stolz schwang in ihrer Stimme mit. Sie ließ ihren Koffer stehen und streckte die Hände nach dem jungen Mann aus, den sie Sohn nannte. Akiko strich an seinen Oberarmen auf und ab und lächelte ihn beinahe schüchtern an. „Wir haben uns Monate nicht gesehen, möchtest du deine alte Mutter nicht begrüßen?“ Yosuke lächelte verschmitzt und schlang endlich die Arme um sie. Sie war fast so klein wie Momoko, aber auf eine andere Art zierlich und zerbrechlich. Ihre Haut war blass, weil sie in ihrem anstrengenden Bürojob keine Sonne abbekam und sie roch nach einem dezent blumigen Parfum, das sie schon benutzte, als er noch klein gewesen war. „Tut mir leid, dass ich so überrumpelt war. Willkommen Zuhause.“ Liebevoll tätschelte die Heimgekehrte seinen Rücken, bis sie wieder voneinander abrückten, damit sie sich ihrer Schuhe und des Blazers entledigen konnte. „Meine Güte, ist das heute vielleicht heiß draußen!“, beklagte sie sich dabei. „Ist Hiromi gar nicht da?“ Yosuke versteifte sich augenblicklich und riss die Augen weit auf. Seine Mutter sah ihn ruhig an, doch hinter der gelassenen Miene lag etwas Ernstes verborgen. Als sie in sein erblasstes Gesicht sah hob sie die Augenbrauen an und stemmte die Hände in die Taille. „Jetzt schau nicht so, als ob du einen Geist gesehen hättest! Was glaubt du wohl, wieso ich hier bin?“ Der Dunkelhaarige schluckte. „Du weißt es?“ Akiko schnaubte wieder und reckte das schmale Kinn vor. „Allerdings. Und ich hätte mir gewünscht solche Nachrichten direkt von meinem Sohn zu bekommen, anstatt per Textnachricht von seiner Freundin.“ Schuldbewusst und innerlich wütend darüber, dass Hiromi das ohne nachzufragen vorweg genommen hatte, senkte Yosuke den Blick. „Yosuke…“, begann sie noch mal beschwörend. „Wie konnte das passieren? Warum hast du mir nichts erzählt? Ich meine, wie weit ist Hiromi? Sie ist im dritten Monat oder? Wann dachtest du, dass du es mir sagen willst?“ Er sah sie an und fand keinen Vorwurf in ihren Augen, nur Sorge und die Enttäuschung darüber, dass ihr eigener Sohn ihr anscheinend nicht genug vertraute. „Stell dir vor, wenn die Schule sich bei mir gemeldet hätte… vielleicht sogar direkt in meinem Büro…“ „Ich wollte noch warten!“, fiel ihr Sohn ihr ins Wort – sein Gesichtsausdruck war gequält. „Warten? Worauf?“, flüsterte Akiko verwirrt. „Die Ärzte sagen, dass die ersten zwölf Wochen nicht sicher sind…“ Wieder senkte Yosuke den Blick. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Er wollte nicht erklären müssen, dass ein Teil von ihm – auch wenn er sehr klein war und leise und heimlich in ihm schlummerte – darauf wartete, ob Hiromi das Kind innerhalb dieser Frist vielleicht doch noch verlor. Niemals würde er ihr das wünschen oder es gar provozieren, aber dieser dunkle Gedanke war manchmal trotzdem da. Und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst sein wollte, dann musste er sich eingestehen, dass dieser Gedanke lauter wurde, je mehr Zeit er mit Momoko verbrachte. „Ich verstehe.“ Das war alles, was seine Mutter sagte und dabei wirkte sie keinesfalls unzufrieden. „Tut mir leid, dass ich uns in diese Situation gebracht habe. Die lebenserfahrene Frau schüttelte den Kopf und legte ihrem Sohn eine Hand auf die Wange. „Das muss es nicht. Ein Kind entsteht nie aus der Schuld eines Einzelnen, daran sind immer zwei Personen beteiligt. Ich wünschte nur, ihr wäret älter.“ Sie seufzte schwer. „Komm, wir müssen nicht hier zwischen Tür und Angel reden. Lass den Koffer stehen, wir gehen ins Wohnzimmer.“ Zum ersten Mal empfand Yosuke so was wie Erleichterung darüber, dass er inzwischen wieder das Bett mit Hiromi teilte. Sein zusammengelegtes Bettzeug auf dem Sofa hätte bei seiner Mutter ganz sicher einige Fragen aufgeworfen. Er holte den Eistee aus der Küche, den er eigentlich für sich und Momoko kalt gestellt hatte und setzte sich dann an den kleinen Esstisch. „Hiromi ist dann wohl beim Arzt?“ „Ja, aber sie kommt sicher bald heim. Wusste sie, dass du kommst?“ „Nein, aber ich denke schon, dass sie darauf spekuliert hat.“ Yosuke sparte sich die Frage, wie sie zu dieser Annahme kam. Der Blick seiner Mutter verriet es ihm auch so. Bestimmt hatte Hiromi sehr freimütig von ihrem besonderen Umstand berichtet und den ein oder anderen Wink mit dem Zaunpfahl ausgeteilt. Akiko trank ihr Glas in einem Zug aus. „Zwischen euch kriselt es etwas?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen begegnete ihr Sohn ihrem Blick. „Hat sie das gesagt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie hat zwar erwähnt, dass ihr anfangs einen Streit hattet, aber das ist es nicht. Es ist mehr deine Körpersprache, die es mir verrät.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, so als ob das etwas daran ändern würde, dass seine Mutter ihn durchschaute. „Die Art wie du schaust, wie du ihren Namen aussprichst oder wie du dich beim Klang ihres Namens versteifst – das verrät es mir. Seit ich durch die Tür gekommen bin hast du dich noch nicht ein Mal so richtig locker oder liebevoll gezeigt. Außer zu mir natürlich.“ „Das Babythema belastet mich.“, versuchte Yosuke sich zu rechtfertigen. Wieder schüttelte sie ihr kurzhaariges Haupt. „Auch wenn ich dir das glaube, so denke ich nicht, dass das alles ist.“ Diesmal seufzte Yosuke. „Es ist kompliziert, aber ich möchte darüber nicht reden.“ Sein Gegenüber goss sich Eistee nach und zog eine Augenbraue hoch. „Dieses Mädchen da vorhin, hat sie etwas damit zu tun?“ „Nein!“, schoss es sofort aus Yosuke heraus. Erschrocken über sich selbst, blieb ihm der Mund offen stehen. Verdutzt verschüttete seine Mutter beinahe ihr Getränk. „Ist ja schon gut, kein Grund laut zu werden.“, ermahnte sie ihn vorwurfsvoll. „So war das nicht gemeint, aber dann erzähl doch nicht solchen Unsinn.“ Er fühlte sich sichtlich unwohl. Fahrig fuhr er sich durch sein Haar und starrte an ihr vorbei Löcher in die Luft. Akiko kniff die Augen zusammen. „Was wollte sie denn hier? Hanasaki war ihr Name oder?“ „Sie ging in der Mittelschule in eine Parallelklasse von mir, wir kennen uns noch von damals.“ „Seit ihr Freunde?“ „Ich denke schon, ja.“ „Du denkst?“ „Ja – wir sind Freunde.“ Seine Mutter lachte ein leises, jugendliches Lachen. Ihr Sohn hingegen grummelte. „Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du damals mit einem Mädchen befreundet warst.“ „Damals war das auch anders zwischen uns.“ „Ach so?“ Er redete schon wieder zu viel. Im Kreuzverhör seiner Mutter würde er sich über kurz oder lang um Kopf und Kragen reden, wenn er nicht aufpasste. Er sammelte sich und holte tief Luft, eher er erneut sprach. „Wir haben uns auf einem Klassentreffen vor einigen Wochen eigentlich erst so richtig angefreundet, nachdem wir ein paar Sachen von früher aus der Welt geschafft haben. Seitdem treffen wir uns manchmal und reden miteinander. Einfach nur so.“ Jetzt hob die erwachsene Frau auch die andere Augenbraue skeptisch. „Das klingt ein bisschen ungewöhnlich. Und Hiromi?“ Yosukes Finger umklammerten das Glas in seiner rechten Hand so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sein Blick wurde finster und unnachgiebig. „Sie hat etwas gegen Momoko, deswegen weiß sie nicht, dass wir Kontakt zueinander haben und es wäre schön, wenn das so bleibt.“ Ein undefinierbarer Ausdruck funkelte in den Augen seiner Mutter. „Wenn du sie beim Vornamen nennst muss sie eine sehr gute Freundin sein. Aber solche Geheimnisse vor deiner Partnerin?“ „Mutter, bitte… Hiromi ist sehr eigen. Sie reagiert eifersüchtig auf jedes Mädchen, das mich auch nur ansieht.“ Ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Kein Wunder, du bist mir ja auch sehr gut gelungen.“ Mit hängenden Schultern resignierte Yosuke, atmete entnervt aus und trank sein Glas leer. „Tu mir einfach den Gefallen und erwähne sie bitte nicht vor Hiromi. Es ist auch ohne solche Dinge ein Drahtseilakt, mit ihr momentan auszukommen.“ „Das sind bestimmt die Hormone.“ Diesmal lachte ihr Sohn sarkastisch. „Ja, das rede ich mir dann auch immer wieder ein.“ Akiko erwiderte das mit einem Schmunzeln. „Hiromi war ja schon immer ein bisschen… speziell.“ Die Wahl seiner Freundin hatte seine Mutter von Anfang an überrascht. Sie hatte es für eine vorübergehende Laune gehalten oder für den halbherzigen Versuch, erste Erfahrungen mit einem Mädchen zu sammeln. Das ausgerechnet aus ihnen beiden ein ernstes Paar werden würde, obwohl Yosuke durchaus andere, stilvollere Mädchen mit mehr Herz, vor allem aber mit mehr Verstand, hätte haben können – damit hatte sie nicht gerechnet. Doch die Wochen und Monate glitten dahin und ein Ende war nie in Sicht gewesen. Ob das nun der anerzogenen Loyalität ihres Sohnes oder der Hartnäckigkeit Hiromis zu verdanken war, blieb ihr bis zum heutigen Tag ein Rätsel. Jedenfalls hatte sie es sich nie angemaßt über diese Beziehung zu urteilen oder sie gar in Frage zu stellen. Selbst, als sie arbeitsbedingt aus- und Hiromi dafür bei Yosuke eingezogen war, hatte sie das trotz des Alters der Beiden und ihres Gesellschaftsstandes nicht kritisiert. „Speziell trifft es ziemlich gut.“, scherzte ihr Gegenüber amüsiert. „Es ist schön, dich lächeln zu sehen.“, bemerkte Akiko glücklich, doch etwas ging ihr nicht aus dem Kopf. „Noch mal wegen diesem Mädchen, Momoko. Sie kam mir so bekannt vor… dabei bin ich mir sicher, dass ich sie noch nie gesehen habe. Weißt du, wie ihre Eltern heißen? Hanasaki sagt mir irgendwas… ich komme nur nicht drauf.“ Sofort misstrauisch und skeptisch, überlegte Yosuke sich seine Worte sehr gut. „Hm… Ihre Mutter kenne ich nicht, aber ihr Vater heißt Shôichirô Hanasaki, soweit ich weiß.“ In ihr Gesicht trat derselbe überraschte Ausdruck, den sie schon gehabt hatte, als Momoko vor ihr gestanden- und sich vorgestellt hatte. „Wirklich?“, fragte sie mit viel zu hoher Stimme. Es klang so betont eher wie ein Tatsächlich? und weniger wie eine Frage, sondern mehr wie eine überraschte Feststellung. Nachdenklich tippte sie mit dem Zeigefinger auf ihre Lippen; den Blick abgeschweift in ihre Gedankenwelt. „Die Haare, die Augenfarbe…“, murmelte sie leise und unverständlich vor sich hin, Yosuke hatte sie völlig ausgeblendet. „Mutter?“, hinterfragte er und räusperte sich dazu lautstark. „Oh, entschuldige! Ich habe geträumt. Mir fiel ein, dass sie jemanden ähnelt, den ich früher kannte… Aber jetzt bin ich wieder voll da!“ „Schön zu hören.“, erwiderte der Dunkelhaarige etwas verwundert. Etwas zerstreut und verträumt war seine Mutter ja schon immer gewesen. „Wie lange wirst du denn eigentlich hierbleiben?“ „Willst du mich etwa schon wieder los werden?!“, moserte seine jung gebliebene Mutter künstlich beleidigt, sodass er lachte. „Nein, nein. Wir haben uns lange nicht gesehen und uns bestimmt viel zu erzählen. Ich möchte nur wissen, wie viel Zeit wir haben, unsere Geschichten auszutauschen.“, versicherte Yosuke ihr mit einem Augenzwinkern. „Ich habe mir nur heute, morgen und das Wochenende freischaufeln können. Ich bin ziemlich Hals über Kopf aus der Stadt hierher gekommen. Die Nachricht von Hiromis Schwangerschaft kam so überraschend, dass ich alle Kollegen so lange verrückt gemacht habe, bis sie für mich diese zwei Tage einsprangen. Ich musste einfach sofort herkommen und mich vergewissern, dass es dir gut geht und ihr Zwei das hinbekommt. Wir werden wirklich viel zu bereden haben.“ Bei den letzten zwei Sätzen hatte seine Mutter sich zu ihm über den Tisch gelehnt und ihre Hand nach seiner ausgestreckt. Er löste seine verschränkten Arme auf und legte seine Hand in ihre. „Du kannst mit mir über alles reden; wir zwei müssen uns wie immer aufeinander verlassen können, nicht wahr?“ Die Zuversicht in den Augen der Frau, die ihn ganz allein und ohne Hilfe großgezogen hatte, musste einfach auf ihn abfärben. Er würde weder sie enttäuschen, noch Hiromi. Das war sein oberstes Ziel, auch wenn ihm eine leise Stimme kummervoll immer wieder einen anderen Namen zuflüsterte. Sanft drückte er die Finger seiner Mutter. „Ja.“ Kapitel 55: New prospects ------------------------- Das Wochenende verging so schnell, wie es gekommen war. Die vier Tage mit seiner Mutter waren geradezu verflogen und obwohl sie sich lange nicht gesehen hatten und das für Yosuke schon längst zum Alltag gehörte, fehlte sie ihm jetzt schon. Ihre liebevolle, fürsorgliche Art – ohne dabei aufdringlich zu sein – und ihr Humor sowie die Stärke, die sie ausstrahlte, hatten ihm sehr gut getan. Er hielt sich schon lange nicht mehr für ein Kind, trotzdem umhüllte ihn das Gefühl, Zuhause zu sein, nur in ihrer Gegenwart. Nicht mal Hiromis Launen konnten ihre vertraute Zweisamkeit ruinieren. Im Gegenteil: Nachdem sie von ihrem Arzttermin heimgekehrt war, war sie Akiko freudestrahlend in die Arme gefallen. Überschwänglich hatte sie immer wieder ihre Freude darüber ausgedrückt, mit der zukünftigen Oma – Yosuke lachte innerlich immer wieder über den Ausdruck im Gesicht seiner Mutter, bei dieser Betitelung – endlich gemeinsam über Babythemen zu debattieren. Dem Sportler fehlte dafür etwas der Sinn, aber es kam ihm nie ungelegen, so auch hin und wieder ein paar Minuten für sich zu haben. Die Frauen waren unter sich geblieben und hatten sich anscheinend ganz in ihrem Element befunden. Yosuke war fest davon ausgegangen, dass seine Mutter sich irgendwann eigentlich genervt fühlen müsste, von so viel Euphorie und Aufdringlichkeit. Aber stattdessen bewies sie Hiromi gegenüber eine Engelsgeduld und bewahrte immer ihr Lächeln. Sie hatte immer ein offenes Ohr für jede Kleinigkeit, die seiner Freundin gerade durch den Sinn ging. Bewundernswert, hatte er gedacht. Die Minuten, in denen er dann für sich gewesen war, ohne befürchten zu müssen, dass Hiromi auch ihn in ihre Gespräche mit seiner Mutter einband, hatte er oft genutzt, um sein Handy zu überprüfen. Doch seit ihrem Abschied am Donnerstag hatte Momoko sich nicht mehr gemeldet und das, obwohl noch das Thema mit dem Kurztrip im Raum stand. Das Telefon war stumm und nutzlos geblieben. Immer wieder hatte er mit sich gerungen und überlegt, ihr zu schreiben, doch dann war wieder irgendetwas dazwischen gekommen. Und wenn sie ihm nicht schrieb, wollte sie dann überhaupt, dass er ihr schrieb? Ihm fehlte der kleine, tägliche Austausch mit ihr sehr. Er hatte nicht erwartet, dass er sooft an sie denken – ja, sie sogar vermissen würde, obwohl er mit zwei Frauen im Haus sehr wohl ausgelastet war. Manchmal, wenn Hiromi gerade nicht im Raum gewesen war und er wieder leer auf das schwarze Display seines Handys starrte, hatte seine Mutter ihm einen prüfenden Blick zugeworfen. In ihren Augen, die wie ein Spiegel zu seinen eigenen waren, hatte er jedes Mal einen durchschauenden Ausdruck vorgefunden. „Schatz, bist du fertig? Können wir gehen?“ Yosuke blinzelte sich zurück in das Hier und Jetzt. „Ja, na klar! Komme schon.“, rief er Akiko zu. Es war Sonntagnachmittag, der Himmel über ihrer Stadt war grau verhangen und es grollte in den sich auftürmenden Wolken bedrohlich. Der Wetterbericht würde wohl Recht behalten und Regen würde bald schon die ungewöhnliche Hitze der letzten Tage vergessen machen. Der Torwart schob den neu gepackten Koffer seiner Mutter aus der Wohnung und schloss hinter sich ab. Hiromi und er hatten ihr angeboten sie zum Bahnhof zu bringen, wo ein Zug sie wieder in die Großstadt mitnehmen sollte, in der sie seit etwas mehr als einem Jahr arbeitete. In den letzten Tagen hatten sie viel über die Zukunft gesprochen. Hiromi hatte von ihren Plänen erzählt, evtl. außerhalb der Stadt bei ihren Verwandten zu leben und dort das Baby aufzuziehen. Das war eine dieser Ideen, die Yosuke schon sehr lange Sorgen bereitete. Akiko war zum Glück nicht dumm; ihr war sehr wichtig, dass sowohl Hiromi, als auch Yosuke einen gescheiten Schulabschluss und eine Ausbildung machten. Auch mit Baby. Mit Engelszungen hatte sie auf die junge Frau eingeredet und ihr die Vorzüge der Stadt beschrieben, in der sie derzeit lebte. Immer wieder hatte sie betont, wie praktisch es doch wäre, wenn sie wieder näher beieinander wohnen würden. Schließlich hätten sie dann eine Oma und erfahrene Kinderbetreuung gleich um die Ecke. Sie würde extra dafür sogar wieder weniger arbeiten, hatte sie gesagt. Diese Aussicht nahm Yosuke einige Sorgen von den Schultern. Plötzlich schien es gar nicht mehr so unmöglich, dass er trotz früher Vaterschaft wenigstens einen Teil seiner eigenen Zukunftsträume verwirklichen konnte. Hiromi war leicht zu beeindrucken; schon bald hatte sie diese Möglichkeit ebenfalls in Betracht gezogen. Schließlich war das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter in spe mehr als gut! Warum also nicht? Yosuke hatte überlegt, ob seine Mutter vielleicht genau aus diesem Grund so überaus zuvorkommend und geduldig mit seiner Partnerin war – weil sie ihm helfen wollte. „Yoooyooo~!“, rief Hiromi nach ihm. „Hm?“, entgegnete er verträumt. „Sag mal, schläfst du etwa mit offenen Augen?“ Ihr neckischer Ton brachte ihn dazu, sich umzusehen. Sie saßen ganz hinten in dem Bus der sie zu dem angestrebten Bahnhof bringen sollte. Yosuke hatte so in Gedanken versunken völlig ausgeblendet, wie sie dorthin gekommen waren. „Tut mir leid, ich bin wohl etwas müde.“, log er matt und zwang sich zu einem Lächeln. Seine kleinere Freundin hakte sich bei ihm unter und schmiegte sich an seine Schulter. „Mein armer Liebling.“, säuselte sie verliebt. Sie war in den letzten vier Tagen in absoluter Hochstimmung. Besser konnte es derzeit zwischen ihr und ihm nicht laufen und auch das war dem guten Einfluss seiner Mutter zu verdanken. Von einem schlechten Gewissen geplagt, sah er zu ihr hinüber. Sie lächelte – so wie immer. Wieder erinnerte er sich. Bei sich Zuhause hatte Akiko in alten, längst vergessenen und verstaubten Kisten Relikte aus seiner Kindheit hervorgezaubert. Fotoalben mit Kinderfotos, über denen sie und Hiromi stundenlang sinniert- und sich ausgemalt hatten, ob das kleine, ungeborene Wesen wohl genauso niedlich werden würde, wie er es gewesen war. „Noch niedlicher!“, hatte Hiromi natürlich stolz behauptet und seine Mutter hatte tapfer darüber gelacht. Er selbst hatte sich lieber rausgehalten – vor allem bei den peinlichsten aller Bilder; den Nackedei-Badefotos, die seiner Meinung nach aus Würdeschutzgründen aus jedem Kinderalbum der Welt verbannt gehörten. Sein Interesse hatten stattdessen noch viel ältere Dinge geweckt. Alte Fotos und Bücher, die noch aus der Jugend seiner Mutter stammten. Die Fotos waren vergilbt und hatten teilweise unschöne Stoßkanten, aber die Motive auf ihnen waren noch sehr gut zu erkennen. Akiko hatte schon immer kürzere Haare getragen und auch ihr Lachen war auf jedem Bild unverkennbar. Ein Foto war dabei gewesen, bei dem ihm der Atem gestockt hatte. Yosuke hatte nicht damit gerechnet, ihn zwischen ihren wichtigsten Erinnerungen zu finden. „Auch wenn er sonst nichts je für uns getan hat, so hat er mir doch den größten Schatz geschenkt, den ich habe.“, hörte er noch die Stimme seiner Mutter sagen. Sie hatte ihm das Foto aus den Fingern stibitzt. Als sie das Bild mit seinem Vater darauf betrachtete, hatte Yosuke zum ersten und einzigen Mal so was wie Traurigkeit über ihr Gesicht huschen sehen. Der Mann auf dem Foto hatte dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, markante Gesichtszüge, einen breitschultrigen Körperbau und lächelte ein schiefes, verschmitztes Lächeln. Auch wenn es ihm nicht gefiel, so hatte Yosuke doch viel von sich in ihm wiedererkannt. „Behalte es, auch ihm verdankst du, dass du hier bist.“ Mit diesem Satz hatte Akiko ihrem Sohn das Foto vermacht und er wagte nicht, es abzulehnen. Die anderen Erinnerungsstücke von ihr waren alte Jahrbücher. Diese hatte der junge Torwart allein gewälzt, während die beiden Frauen über die Niedlichkeit seines allerersten Stramplers diskutierten, den seine Mutter natürlich auch aufgehoben hatte. Die Seiten waren von keiner guten Druckqualität; unter vielen Fotos der ganzen Mitschüler waren die persönlichen und handgeschriebenen Texte und Angaben zu ihnen verblasst und kaum noch leserlich. Wenigstens das Abschlussjahr der Highschool hätte Yosuke interessiert. Akiko hatte er trotzdem schnell auf den kleinen Schwarzweißbildern wiedererkannt. Sie war eine schlichte Schönheit mit warmen Augen und dem unverwechselbaren Lächeln auf den schmalen Lippen. Ihre Klassenkameraden waren bunt durchwachsen, aber in der Mehrheit durchschnittlich vom Äußeren her gewesen. Nur eine Seite weiter war er dann ins Stutzen geraten, als ihm eine langhaarige, junge Frau ins Auge gefallen war. Sie hatte große, klare Augen und das helle Haar floss ihr seidenweich über die Schultern. Dieser Anblick war ihm sehr vertraut vorgekommen. Yosuke hatte zwei Mal hinsehen- und sich erst wieder bewusst machen müssen, dass das Buch in seinen Händen über 20 Jahre alt war, ehe er den Kopf schüttelte und es schließlich geräuschvoll zu schlug. »Ich sehe schon Gespenster«, hatte er sich eingeredet und angestrengt seinen Nasenrücken massiert. Er hatte so viel über Momoko nachgedacht und warum sie sich nicht meldete, dass er jetzt schon in alten Schwarzweißfotos, von wildfremden Menschen, Ähnlichkeiten zu ihr entdecken geglaubt hatte. Der Dunkelhaarige beendete an dieser Stelle seine Reise in die Vergangenheit und kam mit seinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Hiromi klebte immer noch an seiner Seite und ruhte sich dort aus. Aus dem Fenster heraus erspähte er bereits den Bahnhof und seufzte. „Der Zug kommt in ca. 10 Minuten. Gut, dass wir es noch vor dem Regen hierher geschafft haben.“ Akiko sah zum Himmel auf, der schon fast anthrazitfarbig grummelte. Blitze zuckten zwischen den Wolken, die schwer und unheilvoll tief über der Stadt hingen. „Brr, ich hasse Gewitter!“, quengelte Hiromi ängstlich und kuschelte sich innig an ihren Freund. „Und ich muss mal ganz dringend auf die Toilette!“ Yosukes Mutter kicherte und zeigte mit einer Hand zu einer Beschilderung. „Schau mal, das Gleis runter gibt es eine Toilette für Reisende. Geh doch einfach und schenk mir noch ein paar Minuten alleine mit meinem Sohn, in Ordnung?“ Ihre Stimme lullte die junge Frau ein wie ein kleines Schuldkind, aber Hiromi sprang ohne Diskussion sofort darauf an. Ihr Bestreben, bei Yosukes Mutter einen guten Eindruck zu hinterlassen, war groß. „Alles klar. Bis gleich, Yoyo-Maus.“ Sie hinterließ ein Bussi auf seiner Wange und tänzelte dann übertrieben in Richtung WC. „Yoyo-Maus“, wiederholte Akiko amüsiert, nachdem Hiromi sicher außer Hörweite war. Yosuke rollte mit den Augen, konnte sich ein Grinsen aber auch nicht verkneifen. „Sie gibt sich sichtlich Mühe.“, setzte sie erneut an. „Und du dir auch.“ Sein Lächeln wich einer fragenden Miene. Seine Mutter nahm seine beiden Hände in ihre und sah ihn eindringlich, aber freundlich an. „Ich weiß nicht, was da zwischen euch los ist, aber ich bewundere, dass ihr beide versucht das hinzukriegen.“ Yosukes Augen weiteten sich erstaunt, aber er sagte nichts. Sie lächelte sanft. „Ich bin so stolz auf dich, ganz egal was du tust. Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen und dein Leben leben, wie du es für richtig hältst. Da vertraue ich dir voll und ganz, aber wenn ich dir einen Rat als Mutter und auch als Frau geben darf: Halte an nichts und niemanden fest, nur weil du dich aus irgendeinem Grund verpflichtet fühlst.“ Ihm stockte der Atem. Reflexartig zog er seine Hände aus ihren zurück und vergrub sie nervös in den Jackentaschen. „Was? Wovon redest du denn da?“ Er gab sich verwundert und tat es lässig ab, aber sein Gegenüber erwiderte sein halbherziges Glucksen nicht. „Von nichts Bestimmten. Ich möchte nur, dass du glücklich wirst und auf dein Herz hörst. Falls Hiromi nicht den Platz in deinem Herzen hat, den sie anstrebt und sicher auch verdient hat, dann spiel ihr nicht dem Baby zuliebe etwas vor. Ihr habt beide ein Recht auf richtiges Glück. Ich bin dir, denke ich, auch ohne deinen Vater eine gute Mutter gewesen.“ „Ich würde Hiromi niemals im Stich lassen!“, protestierte der Dunkelhaarige prompt entrüstet. „Das weiß ich doch! Du sollst sie ja auch nicht im Stich lassen, aber du musst auch nicht aus übertriebenem Verantwortungsgefühl mit ihr zusammen bleiben, wenn du sie nicht ehrlich lieben kannst.“ Yosuke wand den Blick ab und verschränkte die Arme. Sein Puls ging rasend schnell und ihm wurde flau im Magen. Waren seine Gefühle so offensichtlich, dass seine Mutter ihn ganz und gar durchschauen konnte? „Ich weiß gar nicht, wie du darauf kommst. Zwischen Hiromi und mir ist alles in Ordnung.“, antwortete er trotzig. Akiko seufzte. Sie legte ihm ihre rechte Hand an die linke Wange. „Natürlich.“, bestätigte sie ihn resignierend. „Wenn das so ist, dann werde ich für euch und das Baby da sein und euch helfen, so gut ich kann.“ Wieder erwischte ihn sein schlechtes Gewissen eiskalt. Die selbstlose Bereitschaft seiner Mutter, einfach alles in ihrer Macht stehende für ihn zu tun, was sie im Grunde schon seit seiner Geburt tat, belastete ihn. Er war nicht in der Lage allein aus eigener Kraft für seine Familie da zu sein, zumindest noch nicht. Dabei hatte gerade sie von ihnen am meisten etwas mehr eigenes Glück verdient, stattdessen wollte sie schon wieder ihr Leben nach ihm richten. „Womit habe ich nur eine Mutter wie dich verdient?“, flüsterte er schuldbewusst. Sie lachte ihn mit tränennassen Augen an. „Ich habe ja auch den besten Sohn, den man sich wünschen kann.“, scherzte sie. Auch Yosuke kämpfte jetzt mit den Tränen. Hektisch blinzelte er das lästige Nass aus seinen Augen weg. „Komm schon her und lass dich drücken!“ Und schon fielen sich Mutter und Sohn in die Arme. Sie tätschelte seinen Rücken, wie sie es schon bei ihrer Ankunft getan hatte und kraulte mit den Fingern der anderen Hand seinen Hinterkopf. „Danke, dass du immer für mich da bist.“, nuschelte er in den Kragen ihres Blazers, an dem er sein Gesicht vergraben hatte. „Du weißt doch, wir halten immer zusammen.“ Mit einem Räuspern vertrieb sie ihre erstickte Stimme und als sie einander wieder los ließen, wischte sie sich schnell die Augenwinkel trocken. „Ich werde versuchen öfter mal ein Wochenende frei zu bekommen. Pass bitte auf dich auf, gib dir Mühe in der Schule und lern vielleicht besser kochen. Benutz das alte Kochbuch, das wir Zuhause haben. Das was Hiromi momentan zusammenrührt ätzt ja ganze Abflussrohre frei.“ Yosuke brach in schallendes Gelächter aus, in das seine Mutter unaufgefordert mit einstimmte. Ein heftiger Donnerschlag übertönte ihre Ausgelassenheit und ließ sie zusammenzucken. „Uiuiui, was für ein Wetter!“, kommentiertet Akiko, die sich vor Schreck das Herz hielt. Augenblicklich prasselte auch der Regen los, als gäbe es im Himmel kein Halten mehr für all die aufgestauten Wassermassen. Yosuke schaute hoch hinauf. Das letzte Mal, als es so heftig zu regnen begonnen hatte, hatte er mit Momoko auf einem der Hügel beim Hanami gestanden und sie geküsst. Mit Bauchkribbeln erinnerte er sich daran zurück und vor seinen Augen verschwamm das Bild des grauen Himmels zu ihrem Gesicht, das errötet und triefnass vom Regen dicht vor seinem war. Mit diesem einen Kuss hatte alles angefangen. Eine Gänsehaut stellte sich auf seinen Armen auf und etwas in seinem Bauch machte einen Purzelbaum. Beim nächsten Augenaufschlag stand wieder seine Mutter vor ihm, die ihn interessiert beobachte. „Na? Hast du da gerade an etwas Schönes gedacht?“ Er spürte, wie das Blut verräterisch in sein Gesicht schoss. Sie kommentierte diese Reaktion mit einem leisen Kichern. „Du musst es mir nicht verraten, aber der Ausdruck auf deinem Gesicht hat mir gefallen. So möchte ich dich gerne öfter sehen.“ Verwirrt darüber, was oder wie seine Mutter das meinte, zog er seine dichten Augenbrauen enger zusammen. Doch noch bevor er fragen konnte rief Hiromi ihnen aus der Ferne zu. Sie winkte hektisch und machte einen verängstigten Eindruck. „Yooosuke, ich hab Angst!“, quengelte sie und fiel ihm schließlich in die Arme. Ein Blitz, gefolgt von einem weiteren Donnerschlag, erhellte den dunklen Himmel. Ein hohes Kreischen aus Hiromis Kehle folgte dem Schauspiel. „Na, na, es ist doch nur ein Gewitter.“, maßregelte Akiko die empfindliche Schülerin sanft. Eine Ansage hallte aus den Lautsprechern des Gleises und der erwartete Heimreisezug für Yosukes Mutter fuhr ein. „Nun denn, macht es gut, ihr Zwei. Achtet schön auf Euch. Hiromi, nimm dich etwas mehr zurück und denk an deine Schwangerschaftsvitamine. Yosuke…“ Sie sah zu ihm auf und er nickte wissend. „Ich hab dich lieb, du machst das schon.“ „Danke, ich dich auch.“, sagte er zum Abschied und umarmte sie noch mal. Selbst Hiromi winkte dem abfahrenden Zug mit einem bedauernden Gesichtsausdruck hinterher. „Hach… deine Mama ist ja so ein Schatz! Wie Schade, dass sie schon wieder abreisen musste.“ Yosuke sah sie nicht an, sein Blick folgte noch dem letzten Wagon, der in der Ferne verschwand. „Ja, es ist wirklich schade.“, erwiderte er trotzdem. Hiromis Lockenkopf kuschelte sich an seine Brust. „Es wäre bestimmt schön in ihrer Nähe oder sogar mit ihr zusammen zu wohnen. Dann wären wir alle vereint, wie eine große, glückliche Familie.“ Der Dunkelhaarige legte ihr einen Arm um die Schulter und nickte, während er nur ein bestätigendes Brummen von sich gab. »Es würde so viel einfacher machen.«, dachte er bei sich und fing an, diese Variante, einer Zukunft, in Gedanken auszuschmücken. Es gab nur einen Haken, der ihm dabei einen Stich im Herzen versetzte: Er müsste dafür alles Vertraute hier zurücklassen. Bis vor zwei Monaten hätte ihm das nichts ausgemacht, denn es gab hier nicht viel, dass ihm wirklich etwas bedeutete, aber das hatte sich geändert. Es blitzte und Donner grollte über den strömenden Regen hinweg. Der Zug mit Akiko darin war schon lange nicht mehr zu sehen. „Lass uns heimfahren, ok? Ich hasse dieses Gewitter.“, bettelte Hiromi. Verliebt umklammerte sie seinen Arm. Glücklicher und zufriedener als jetzt konnte sie kaum sein. Sie hatte allerbeste Laune. „Weißt du was? Lass uns doch noch irgendwo hingehen, vielleicht in ein Café. Am Bahnhofseingang habe ich eines gesehen.“, schlug er spontan vor. Ihre katzenhaften Augen wurden groß vor Staunen und ihr Mund verzog sich zu einem Stillen „Oh!“. Yosuke hatte sie am Haken, die Gelegenheit war günstig. Also setzte er ein gewinnendes Lächeln für sie auf. „Ich würde mich mit dir dort gerne ein bisschen unterhalten.“, ergänzte er. Aus ihrer Verwunderung wurde ein Strahlen. „Sehr gern!“, trällerte sie aufgeregt und zog ihn bereits ungeduldig mit sich. Es war wirklich nur ein kleines Bahnhofscafé, das bei diesem schlechten Wetter auch noch restlos überfüllt war. Trotzdem schafften sie es noch, einen kleinen Tisch für zwei nah beim Eingang zu ergattern. Hiromi hatte nicht mehr aufgehört zu plappern, seit sie das Bahngleis verlassen hatten. Ihre gute Laune war irgendwie ansteckend, aber das viele Gerede fiel Yosuke schon bald auf die Nerven. Doch er blieb tapfer und lächelte, so wie es seine Mutter auch getan hätte. Schließlich wollte er am Ende etwas von ihr. Geduldig wartete er, bis ihr der extra große, koffeinfreie Milchkaffee mit Sahne serviert wurde, auf den sie sich so gefreut hatte. Wie sie da so vor ihm saß und ihr anhaltendes Lachen Grübchen in ihre Wangen zeichnete, versuchte Yosuke sich daran zu erinnern, ob das die Seite von Hiromi war, die es ihm damals möglich gemacht hatte, sie so sehr zu mögen, dass er es für Verliebtsein gehalten hatte und eine Beziehung mit ihr eingegangen war. Wenn ja, dann war dieser kleine, gute Teil an ihr schon längst in Vergessenheit geraten. In seinen Erinnerungen, an ihre gemeinsame Zeit bisher, dominierte ein anderes, düsteres Bild von ihr. „Du warst schon lange nicht mehr so glücklich.“, stellte er fest und trug damit erstmals etwas zu dieser einseitigen Unterhaltung bei. Sie bemerkte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme nicht und lachte nur vergnügt. „Das stimmt! Ich bin sehr glücklich! Das war so ein schönes Wochenende!“ Yosuke schmunzelte und schüttelte unmerklich den Kopf. Die Finger seiner rechten Hand zeichneten den Rand seiner Tasse Schwarztee nach. Es war wohl besser ihr nicht zu erklären, wie er seine Aussage eigentlich gemeint hatte. Aber es war an der Zeit ein anderes Thema anzuschneiden, das er schon seit Tagen mit sich herumschleppte. Seit Freitag bereits schuldete er Momoko eine Antwort, die er nun endlich für sie einholen wollte. Allerdings nicht kampflos. »Dafür wird sie mir vermutlich böse sein.«, ging es ihm durch den Kopf und ein schiefes, selbstgefälliges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Es sind doch bald Ferien. Was würdest du davon halten, wenn wir beide etwas Zeit am Meer verbringen würden?“ Hiromi verschluckte sich fast an ihrem Kaffee und hustete in eine Serviette. „Meinst du das ehrlich?“, fragte sie schrill. Ihr Gegenüber nickte lächelnd. „Ooohhh das wäre ja so romantisch! Aber wovon sollen wir uns das denn leisten?“ Das war der Punkt, an dem Yosuke tief Luft holte und sich auf alles gefasst machte. „Tja… allein wohl gar nicht, aber es gibt da jemanden, der uns einladen würde.“ Die Lilahaarige zog stutzig die Augenbrauen zusammen. „Ach so? Wen denn?“ „Erinnerst du dich an Takuro Amano? Er hat auf unserem Klassentreffen vorbeigeschaut.“ Seine Erinnerungshilfe war unnötig gewesen; Hiromi hatte sofort gewusst, von wem er sprach. Ihr Blick wurde bohrend. „Ja, ich erinnere mich. War er nicht der Verlobte von dieser Momoko?“, hinterfragte sie mit abwertendem Tonfall und gönnte sich einen großen Schluck Milchkaffee. „Was ist mit ihm?“ Mit so einer Reaktion hatte Yosuke gerechnet. „Er ist derjenige, der uns einladen würde.“ Sie stellte ihre Tasse klirrend auf die Untertasse und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, von wo aus sie ihren Freund misstrauisch taxierte. „Das verstehe ich nicht. Ihr hasst euch doch! Erklär’s mir.“ Der Torwart schluckte angespannt. Dass sie auf diese Erklärung gespannt war, konnte er sich lebhaft vorstellen. Wie schade, dass ihre Ausgelassenheit von eben nun der Vergangenheit angehörte. Er konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn bereits arbeitete. Seine Hände machten eine beschwichtigende Handbewegung. „Wir hassen uns nicht, es gab in der Vergangenheit nur ein paar… Missverständnisse.“, versuchte er zu erklären, ohne dass daraus eine richtige Lüge wurde. „Und wann habt ihr die aus der Welt geschafft?“ „Noch gar nicht. Das wäre ja der Anlass für diese Reise.“ Ungläubig hob Hiromi eine Augenbraue und verschränkte die Arme. Spätestens jetzt wurde das Gespräch heikel. „Er würde mitkommen? Yosuke, was soll das? Seit wann habt ihr überhaupt Kontakt zueinander? Wieso weiß ich davon nichts?“, wetterte sie scharf los, wie bei einem Kreuzverhör. Ihre Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. „Ehrlich gesagt haben wir bislang gar keinen Kontakt miteinander.“, gestand er nervös. Er sah sie forschend an, bewertete jede Regung in ihrem Gesicht sorgfältig und wappnete sich für eine Hiromi-typische Schimpftriade. Irgendwann schien der Groschen bei der Schwangeren zu fallen und sie riss die Augen auf, während ihr Gesicht eine purpurrote Farbe annahm. „Willst du mir etwa erzählen, dass du mit Momoko zu tun hast?! Hinter meinem Rücken?!“, kreischte sie fast. Die anderen Gäste drehten sich missbilligend zu ihrem Tisch um und begannen zu tuscheln. Yosuke hob die Hände und beschwor seine Tischpartnerin mit Blicken, sich zu mäßigen. „Lass es mich bitte erklären! Reg dich nicht so auf, denk an das Baby.“, zischte er im Flüsterton zu ihr herüber. Hiromi wollte etwas sagen, doch sie schloss den Mund wieder, blies wütend ihre Wangen auf und gab nur einen zerknirschten Ton von sich. Sie war definitiv kurz davor zu platzen. „Weißt du noch, als wir das Date damals in ihrem Café hatten, in dem sie arbeitet? Du hattest dich ihr gegenüber nicht ganz… richtig verhalten und ich bin ihr deswegen nachgegangen. Du warst deswegen furchtbar sauer auf mich – zu Recht natürlich - und bist danach zu deinen Verwandten gefahren. Wir haben über diese Sache nie wieder gesprochen, weil danach alles… anders war.“ Ihre Gesichtsfarbe wechselte zwischen diversen Rot- und Lilatönen hin und her, was alles andere als gesund aussah. Das war wohl ihre Art, mit den unliebsamen Erinnerungen umzugehen, die sie in Gedanken rekapitulierte. Plötzlich stieg Angst in Yosuke hoch, nachdem er seine Worte selbst noch mal im Geist durchging. Wenn Hiromi nun weiter dachte und anfing, eins und eins zusammenzuzählen? Wenn sie durch seine unglückliche Ausdrucksweise nun darauf kam, dass Momoko die Frau war, mit der er sie damals in ihrer Abwesenheit betrogen hatte? Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Was gab es denn da noch zu bereden?“, antwortete sie schließlich schnippisch und er atmete durch. Zumindest für den Moment. „Ich habe mich damals bei ihr in unser beider Namen entschuldigt und sie hat angenommen. Dadurch sind wir etwas ins Gespräch gekommen und haben angefangen uns über die alten Zeiten zu unterhalten.“ „Was denn, das alles an dem einen Tag?!“, erwiderte sie sauer. „Nein, natürlich nicht… aber wir haben uns manchmal gemailt.“ Es war an der Zeit auf Notlügen zurückzugreifen. Das Gesicht seiner Freundin lief schon wieder wutrot an. „Gemailt? Heimlich?!“, knurrte sie. „Hiromi, versuch mich bitte nur ein Mal zu verstehen! Jetzt scheint es zwischen uns beiden bergauf zu gehen und darüber freue ich mich sehr, aber damals wollte ich mich noch von dir trennen! Wie hättest du reagiert, eifersüchtig wie du bist, wenn ich dir damals auch noch davon erzählt hätte? Es war Zufall, dass wir uns angefreundet haben und ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt dazu. Ich habe dir bis jetzt nichts davon gesagt, weil ich dich nicht noch mehr verletzen oder beunruhigen wollte, aber ich möchte jetzt keine Geheimnisse mehr vor dir haben.“ Yosuke schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass man ihm seine Lügen hoffentlich verzieh und die misstrauische junge Frau sie glaubte. Hiromi war sichtlich verletzt; ihr Ausdruck wurde weicher und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Die zurückliegenden Ereignisse und Wunden auf ihrer Seele waren noch frisch. „Keine Geheimnisse mehr? Dann sei ehrlich und sag mir, wer die andere Frau damals wirklich war.“, sagte sie mit weinerlicher Stimme. Mit dieser Forderung hatte er nicht gerechnet, sie versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube. „Niemand.“, flüsterte er atemlos. Gequält lachte seine Freundin auf. „Das glaube ich dir nicht. So bist du nicht.“ Was sollte er darauf antworten? So war er wirklich nicht; er war nicht der Typ Mann, der mit einer beliebigen Frau ins Bett gestiegen wäre. Schon gar nicht mit einer Fremden. „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Du kennst sie nicht und ich weiß nicht mal ihren Namen. Was zählt ist doch, dass ich jetzt und hier bei dir bin.“ Mit einem abgerungenen Lächeln auf dem blassen Gesicht beugte er sich zu ihr über den Tisch und streckte die Hand nach ihrer aus. „Ich werde das nie wieder richtig gutmachen können, aber ich versuche wirklich ehrlich zu dir zu sein. Deswegen erzähle ich dir auch gerade, dass ich Kontakt mit einem anderen Mädchen außer dir habe. Rein platonisch, natürlich.“ Hiromi blinzelte sich durch den Tränenschleier und zögerte kurz, konnte sich ihm dann aber doch nicht verwehren. Sie griff nach seiner Hand und schniefte lautstark. „Warum ausgerechnet zu der? Ich dachte, dass du sie nicht leiden kannst.“ Er schmunzelte matt. „Missverständnisse aus der Mittelschulzeit, genau wie bei Takuro.“, erklärte er und es klang logisch, auch wenn ihr das gegen den Strich ging. „Aber ich kann sie nicht ausstehen. Sie ist laut, nervig und wie eine Klette, die man einfach nicht los wird.“ Yosuke runzelte die Stirn, passte diese Beschreibung nicht besser zu ihr, als zu Momoko? „Mimi, es sind fast drei Jahre seit der Mittelschule vergangen. Der Eindruck, den du von ihr hast, ist ganz bestimmt veraltet.“ Wieder blinzelte seine Gesprächspartnerin, diesmal perplex. „Du hast mich schon ewig nicht mehr Mimi genannt.“ Er ließ seinen Charme spielen und funkelte sie vielsagend an. „Stimmt, aber das sollte ich wieder ändern. Also, was meinst du? Könntest du Momoko und Takuro eine Chance geben, um sie besser kennenzulernen? Du hast so wenig echte Freunde, du könntest sie so noch mal richtig von all deinen Vorzügen überzeugen.“ Ihr Gesicht hellte sich etwas auf. Das war anscheinend ein Gedanke, der ihr gefiel. Eine Sache zu ihren Gunsten zu nutzen war schon immer etwas, das sie reizte. „Du willst also, dass wir uns mit den Beiden anfreunden? Während eines Urlaubs am Meer, der auf Takuros Kosten geht?“ „Sozusagen, ja. Aber es geht nicht nur um die Zwei… Yuri Tanima, ihr Freund Kazuya Yanagiba und Hinagiku Tamano sind vielleicht auch mit von der Partie.“ Erstaunt über dieses weitere Detail, überlegte sie angestrengt. Bis auf Kazuya waren das alles nicht unbedingt Personen, die sie mochte, aber bei wem war das schon so? Hiromi mochte nie jemand außer sich selbst besonders, mit Ausnahme von Yosuke. „Das hätte ich mir ja fast denken können… Hanasaki ist schon damals nirgendwo ohne ihren Anhang hingegangen… Das ist ja fast schon eine kleine Klassenfahrt. Wo bleibt denn da die Privatsphäre?“ Sie schaute unzufrieden und machte einen Schmollmund. Yosuke musste tiefer in die Trickkiste greifen. „Ich bin mir sicher, dass wir ein romantisches Zimmer für uns allein bekommen würden. Es gibt außerdem keinen Grund eifersüchtig oder feindselig zu sein – wir sind fast alle in einer festen Beziehung und gemeinsam mit unseren Partnern dort.“ Umgarnend streichelte er ihre Finger mit seinen und lächelte vielversprechend. „Stimmt, wir wären drei Pärchen plus dieses grünhaarige Mannsweib.“ Der Dunkelhaarige überging diesen Kommentar über Hinagiku taktisch. „Und die Sonne, der Strand und das Meer.“, lockte er sie weiter. Hiromi überlegte einige Augenblicke stumm und betrachtete dabei die Sahne auf ihrem Kaffee, die allmählich dahinschmolz. Zu gerne hätte Yosuke gewusst, was in ihrem launenhaften Kopf vor sich ging, bis sie schließlich mit einem verheißungsvollen Grinsen antwortete. „Okay, lass uns fahren, Yoyo-Maus!“ Kapitel 56: Decisions --------------------- Müde ließ Momoko die Haustür hinter sich ins Schloss fallen. Ihre Skinny-Jeans und die blaue, ärmellose Bluse waren trotz Regenschirm nass geworden. Auch ihre hellen Ballerinas waren aufgeweicht. Der Wind peitschte den nicht enden wollenden Regen einfach in alle Richtungen. Dagegen mit einem Schirm ankämpfen zu wollen, hatte sich als zwecklos erwiesen. „Ich bin sooo müde!“, stöhnte die junge Frau, nachdem sie sich die feuchten Schuhe von den Füßen gestreift hatte und sich einen Augenblick lang mit dem Rücken gegen die Tür lehnte. Um ihren Hals hing ihre schwarze Kameratasche. Wenigstens die war so gut wie trocken geblieben. Ein langer Tag auf einem Kindergeburtstag, bei dem Momoko unzählige Bilder geschossen hatte, lag hinter ihr. Es war ein spontanes Jobangebot gewesen und ziemlich laut und turbulent dazu, aber man hatte sie bereits im Voraus sehr gut angezahlt. Momoko lächelte zufrieden; sie war sich sicher, dass sie einige sehr gute Bilder gemacht hatte. Das bedeutete nach dem Entwicklungsprozess ein gutes Plus in ihrer schmalen Haushaltskasse. Eltern von Einzelkindern, die sich die halbe Schule einladen konnten, waren bei Fotos solcher Ereignisse selten geizig. Abgesehen von der Tatsache, dass sie lieber in eine Highschool-Schülerin investierten, als in einen Profifotografen. »Gut für mich.«, dachte sie mit einem Schulterzucken und ging die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf. Sie war zu fertig für eine Dusche oder ein Bad. Momoko legte die Tasche auf ihren Schreibtischstuhl und hing ihre feuchte Kleidung über dessen Lehne. Trotz Gewitter war es nach wie vor zu warm für einen Schlafanzug, also schnappte sie sich ein legeres Top aus ihrem Kleiderschrank und zog sich das stattdessen über. In dem dunklen Zimmer, das nur von Blitzen und den trüben, gelben Straßenlaternen erhellt wurde, rief ihr Bett bereits lockend nach ihr, doch zuerst ging sie noch hinüber zu dem kleinen alten Radio, das ein wenig eingestaubt auf seiner Kommode ruhte. Schon vor ein paar Tagen hatte sie damit angefangen, die Weckfunktion des Gerätes zu benutzen, anstatt ihren schrillen Wecker auf dem Nachttisch. Es war viel angenehmer, morgens von leiser Musik geweckt zu werden, als von einem nervenden Alarmton. Verträumt strich Momoko mit ihren Fingern über die glatten Lautsprecher. Sie hatte immer noch denselben Radiosender eingestellt, den sie gemeinsam mit Yosuke gehört hatte, als er das letzte Mal bei ihr gewesen war. Eine Gänsehaut krabbelte bei den damit verknüpften Erinnerungen ihren Rücken hinauf. Sie seufzte langgezogen. Unvermittelt brummte ihr Handy irgendwo hinter ihr los. Hastig drehte sie sich zu dem Stuhl um und durchwühlte ihren feuchten Wäscheberg, nach dem vibrierenden Telefon. „Ja – hallo?“, rief sie laut in den Lautsprecher. „Guten Abend, Pfirsichtörtchen.“, kicherte eine wohlbekannte Stimme. Ihr Herz machte einen Satz und rutschte ihr direkt danach in den Magen. Jetzt rief er schon genau dann an, wenn sie gerade an ihn dachte! „Yosuke! Oh, entschuldige – ich wollte nicht, dass die Mailbox drangeht und dabei habe ich gar nicht darauf geachtet, wer da eigentlich anruft.“ Sie warf einen Blick auf die Uhrzeit und begann unbewusst zu flüstern. „Kannst du denn gerade überhaupt frei telefonieren?“ „Ich bin draußen und jogge. Kannst du denn?“ „Wäre ich sonst rangegangen?“, entgegnete sie rein rhetorisch, aber lächelnd. „Na dann, hi.“ „Hi.“, hauchte Momoko wenig intelligent zurück. Das Herzklopfen hallte bis zu ihren Ohren; sie freute sich so sehr, seine Stimme zu hören, dass sie deswegen wahnsinnig aufgeregt war. „Wir haben ja schon ein paar Tage nichts mehr voneinander gehört.“, setzte Yosuke noch mal neu an. „Stimmt, knapp drei Tage ist es her.“ Sie schlug sich im selben Atemzug tonlos die flache Hand vor die Stirn, für diesen völlig überflüssigen und peinlichen Kommentar. „Zählst du etwa die Stunden?“, scherzte der Torwart auf der anderen Seite der Leitung. Er hatte ja keine Ahnung davon, wie genau er damit ins Schwarze traf. „Quatsch! Es lag nur auf der Hand.“, redete sie sich raus. „Was gibt es denn?“ Sie hörte ihn verwundert stutzen. „Schon vergessen? Ich sollte mich doch eigentlich Freitag schon bei dir melden… wegen Takuros Angebot.“ Erneut wollte die Rosahaarige sich ohrfeigen und biss sich mit einem stummen Stöhnen in die Faust. „Jaaa, stimmt! Das hatte ich irgendwie schon zu den Akten gelegt!“ Momoko fing an in ihrem Zimmer auf und ab zu laufen. „Dann hat Takuro noch nicht wieder bei dir nachgefragt?“ „Nein, irgendwie waren er und ich immer zu beschäftigt, um darüber zu reden.“ „Ach so. Wie war denn dein Wochenende so? Geht es dir gut?“ „Ja. Ich war wie immer arbeiten, habe gestern versucht ein bisschen zu pauken und heute war ich als Fotografin unterwegs. Ich bin ziemlich platt, aber es geht mir gut. Und wie geht es dir? Ist deine Mutter noch da?“ „Schön zu hören. Ich hoffe, du hattest Erfolg heute! Und nein, meine Mutter ist vor ein paar Stunden schon wieder gefahren, aber es war eine schöne Zeit mir ihr. Auch, wenn ihr Besuch doch etwas überraschend war... Wir haben viel Wichtiges besprochen, deswegen geht es mir etwas besser als sonst.“ „Ja? Möchtest du mir davon erzählen?“ Yosuke zögerte etwas und schien zu überlegen. „Soll ich vorbei kommen? Persönlich redet es sich besser.“ Die junge Frau schreckte zusammen und starrte automatisch aus dem Fenster. „Du joggst während eines Gewitters! Das allein ist schon eine dumme Idee! Spät ist es außerdem auch!“ Er lachte dieses amüsierte, kehlige Lachen, das sie so an ihm mochte. „Es wäre nicht meine erste dumme Idee, in Verbindung mit dir. Und ich habe ja schon Übung darin, bei dir nachts vorbeizuschauen.“ Was er sagte klang verschwörerisch und auf eine prickelnde Weise vielversprechend. Sie konnte sein Augenzwinkern förmlich heraushören. Momoko lief zur Fensterbank und schob mit der freien Hand die Gardinen zur Seite. Sie schaute nach draußen zu dem Platz unter der einen Laterne, an dem Yosuke eines Nachts gestanden hatte. Das Pochen in ihrer Brust wurde lauter bei dem Gedanken, an all die Möglichkeiten, die sich auftun würden, wenn er jetzt zu ihr nach Hause käme. Doch so laut wie ihr Herzschlag auch war, so laut riefen sie auch die Zweifel in ihrem Kopf zur Vernunft. Sein Besuch würde unweigerlich auf das Eine hinauslaufen und dazu war sie nicht bereit. Sie wollte seine Anwesenheit viel zu sehr auf eine ganz andere Weise, die er ihr leider nicht geben konnte – sie wollte, dass er blieb. Es würde nur weh tun, genau wie nach dem letzten Mal. Nach der anfänglichen Freude seufzte sie nun schwer und ließ betrübt den Kopf hängen. „Nein, lieber nicht. Morgen ist Schule und ich bin sehr müde. Ich bin schon mit einem Bein im Bett. Kannst du es mir nicht am Telefon erzählen?“ „Verstehe.“, sagte er und klang dabei enttäuscht. „Wie du schon sagtest, ich stehe im Regen. Kein gutes Wetter, für längere Themen.“ Momoko malte bedeutungslose Muster auf ihre beschlagene Fensterscheibe und dachte nach. „Na ja… wenn es vielleicht nicht ganz so dringende Themen sind, dann erzählst du mir davon eben ein anderes Mal?“ Sie bemühte sich um einen aufbauenden, tröstlichen Ton, doch sie hörte selber, wie kläglich sich das in Wirklichkeit aus ihrem Mund anhörte. Yosuke atmete unzufrieden aus. „Okay, kein Problem. Es ist nicht so wichtig. Das kann warten.“ Er klang selbst durch das Telefon noch kühl. „Hey… tut mir leid, bist du sauer?“ „Nein. Es ist nur, ich ver… du fe… Ich wundere mich nur. Ich habe ehrlich gesagt nicht mit einer Abfuhr gerechnet.“ „Das war keine Abfuhr! Ich bin nur nicht in Sti…. Ich bin nur müde. Ehrlich!“ Er lachte leise. Wohl, weil sie genauso stammelte wie er? „Ich glaube dir ja schon. Drei Wochen sind nur eine lange Zeit, ich würde dich gerne eher wiedersehen. Einfach nur so, ohne Hintergedanken.“ Die junge Frau lief rot an. Solche Aussagen aus seinem Mund brachten ihren Puls zum Flattern! Sie hatte ihm insgeheim unlautere Absichten unterstellt und nun widerlegte er sie. Ob er auch einfach nur ihre Anwesenheit vermisste, so wie sie seine? Ein geflüstertes „Tut mir leid.“ war alles, was sie heraus brachte. „Macht nichts, dafür sehen wir uns dann mehr als genug.“ Sie stutzte und das kitschig-romantische Glockengebimmel in ihrem Kopf erstarb. „Wieso?“ Das Yosuke nicht sofort antwortete, machte sie misstrauisch. „Ich habe Hiromi von dem Ausflug erzählt und sie hat zugestimmt, ihn mitzumachen.“ Momokos Kinnlade verselbstständigte sich. Sie riss ihre Gardinen ruckartig zurück in Position und fuhr herum, um sprachlos vor Entsetzen wieder im Zimmer auf und ab zu tigern. „Pfirsichtörtchen? Bist du noch dran? Du wirst doch nicht in Ohnmacht gefallen sein?“, scherzte ihr Gesprächspartner etwas verunsichert. „Noch nicht, aber ich bin ganz kurz davor! Yosuke, wie konnte das passieren?!“ „Wieso passieren? Du hast gesagt, ich soll sie fragen und das habe ich.“ „Aber ich bin doch nicht davon ausgegangen, dass sie JA sagt! Erinnerst du dich daran, was ich gesagt habe? Ich war von dieser ganzen Idee nicht angetan! Das geht nicht… das geht nicht gut. Was hast du nur zu ihr gesagt? Da steckt doch ganz sicher deine ganze Überredungskunst hinter!“ Yosuke lachte laut und heiter. Ihre aufsteigende Panik amüsierte ihn offensichtlich – das machte sie wütend. „Hör auf zu lachen! Das ist doch kein Witz!“, fuhr sie ihn schroff an. Er beruhigte sich und schlug einen milderen Tonfall an. „Wovor hast du solche Angst? Wir fahren als Freunde dorthin und das sind wir doch schließlich. Oder? Also Freunde, meine ich.“ Momoko atmete nicht, als sich bei dem Wort ein Kloß in ihrem Hals bildete. „Ja, aber…“ „Nichts, aber.“, unterbrach er sie ruhig. „Es ist ja schließlich nicht so, als könnten wir nicht die Finger voneinander lassen. Es wird ein rein freundschaftlicher Trip. Fast so wie früher, als wir noch mit der Klasse weggefahren sind.“ „Du warst doch in einer ganz anderen Klasse… wir haben uns fast nie gesehen.“ Während sie nach Ausflüchten suchte, um keine unbeabsichtigten Eingeständnisse vor ihm zu machen, machte er eine kurze Pause, in der er angestrengt ausatmete. „Bitte.“ Dieses eine Wort und die Art, wie er es betonte, entwaffnete die junge Frau. „Bitte gib dieser Idee die Chance, eine von diesen Erinnerungen zu werden, an die man auch später immer noch gern zurück denkt. So, wie die Dinge derzeit stehen, ist es wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, noch mal auf diese Weise mit all unseren Freunden zusammen zu sein.“ Ungern gestand Momoko sich ein, dass Yosuke damit Recht hatte. Vor allem, wenn das Experiment “Alle-freunden-sich-mit-Takuro-und-Hiromi-an“ scheiterte. Und davon war bei all der explosiven Spannung, die zwischen ihnen allen herrschte, im Moment am ehesten auszugehen. Bröckelnd brach ihr Widerstand in sich zusammen. Mehr als alles andere wollte ein Teil von ihr diese geschenkte, wertvolle Zeit mit Yosuke annehmen, während die Vernunft resignierend mit dem Kopf schüttelte, warnend die Arme hoch riss und dann mit den Fäusten auf ihr wild klopfendes, unvernünftiges Herz einschlug. Und bei dem Gedanken an Sonne und Strand; das Meer und zwangsläufig viel nackte Haut, führte zu allem Überfluss auch noch ihre Libido einen ganz eigenen Freudentanz auf. »Um Gottes Willen, ich bin so unreif!« Hilflos und entnervt stöhnte sie ins Telefon. „Ach Yosuke… ich weiß nicht. Ich möchte schon irgendwie.“ „Dann lass es uns machen. Wir haben nur noch diesen einen Sommer, danach beginnt für uns alle der wahre Ernst des Lebens.“ Es sollte sie motivieren, aber irgendwie hinterließen diese Worte bei ihr einen faden Beigeschmack. »Nur noch ein Sommer… dann verändert sich alles.« „Okay.“ „Hm? Wie bitte?“ Momoko rollte mit den Augen. „Du hast mich schon verstanden. Ich sagte: OK. Ich gebe Takuro eure Zusage weiter und werde auch Yuri und Hinagiku fragen.“ Yosuke antwortete darauf nicht sofort etwas, aber sie war sich fast sicher, dass er gerade eine Jubelpose ausführte. Schmunzelnd schmiegte sie ihre Wange enger an das Handy – allein die Vorstellung, von seinem ehrlichen Lächeln, löste ein warmes Kribbeln in ihrem Bauch aus. Es ließ sie für den Moment vergessen, welches Risiko sie bereit war einzugehen. „Du bist unverbesserlich. Immer musst du deinen Willen bekommen.“, sagte sie spöttisch. Er kicherte brummend. „Ich kann eben sehr überzeugend sein.“ Das klang eine Spur zu dunkel - Momoko verstand die Zweideutigkeit darin sehr klar und bekam direkt Gänsehaut. „Möglich… und jetzt beweg dich aus dem Regen und geh nach Hause! Sonst überlege ich es mir wieder anders.“ „Dazu wollen wir es mal nicht kommen lassen.“, spielte Yosuke lachend mit. „Schlaf gut, wir hören uns.“ „Danke, du auch. Bis dann!“ Diesmal war sie es, die zuerst auflegte. Schnell und unbarmherzig. Bevor dem Torwart doch noch ein Thema einfiel, was sie von einem endgültigen Abschied abhielt. Noch mit dem Handy in der Hand ließ sie sich rücklings auf ihr Bett fallen. Damit sie nicht auch noch mit Takuro telefonieren musste, verpackte sie die unerwartete Zusage in ein paar Zeilen einer Kurznachricht. Ihr Daumen schwebte ein paar Sekunden unentschlossen über der Senden-Taste. Das verlief alles ganz anders, als sie geplant hatte. Momoko begab sich auf sehr dünnes Eis – dünner, als es für Yosuke sein konnte, denn er war sich anscheinend sicher, dass man ihm nichts ansehen würde. Er konnte seine Gefühle für sie, weil sie von einer anderen Art waren als ihre, verstecken und rein freundschaftlich mit ihr umgehen. Würde ihr das auch gelingen? Sie wurde schon nervös, wenn sie nur daran dachte, sich in Gegenwart ihrer Freundinnen von Yosuke weitestgehend unbeeindruckt zu geben. Sie waren fast wie Schwestern für sie und hatten schon so einiges über ihre Beziehung zu dem Dunkelhaarigen geunkt… Ihr Kopfkino schaltete sich ein und sofort spielte es alle möglichen Szenarien ab, in denen sie sich verraten könnte. Ein falscher Blick auf seinen trainierten, sonnengebräunten Köper… oder zu viel Augenkontakt. Oder zu wenig… zu vertraut, zu steif – fast alles konnte falsche Signale senden! »Herrje! Wie soll ich nur ein gesundes Mittelmaß finden, wenn ich es schon kaum schaffe, mir selbst etwas vorzumachen!« Momoko tippte einfach blind auf Senden und ließ dann den Arm samt Handy schlaff auf die Matratze fallen. „Kneifen gilt nicht.“, flüsterte sie ihrer dunklen Zimmerdecke zu. Am Ende war ihr Wunsch, zu fahren, wider aller Vernunft größer. Die Dinge würden schon irgendwie ihren Lauf nehmen… ~*~ Momoko nahm sich knapp eine Woche Zeit dafür, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Erst nachdem Takuro Bescheid wusste und sich trotz aller Verblüffung um die Details der Reise zu bemühen begann, fühlte sie sich genötigt genug, auch an ihre Freundinnen die Einladung zu übermitteln. Es war der erste Freitag im Juni und Kazuya Yanagiba, Nachwuchsfußballspieler, derzeit wohnhaft in Tokyo und Schüler einer renommierten Schule für aufstrebende Sportler, war zu Besuch bei seiner Freundin in der alten Heimat. In seinem Leben lief derzeit alles glatt; er hatte nichts zu bemängeln und konnte kaum glücklicher sein. Vor allem, wenn ihm nach einer langen Anreise Yuri Tanima die Tür öffnete. Das Strahlen in ihrem Gesicht und das Leuchten ihrer grünen Augen, vermittelte ihm jedes Mal das wohlig warme Gefühl, dass er Zuhause war. Ihre Eltern akzeptierten ihn von Anfang an vorbehaltlos und das war ein Glück, denn Yuris Vater verstand keinen Spaß, wenn es um seine einzige, heiß geliebte Prinzessin ging. Und irgendwie war Yuri das tatsächlich; sie war nicht nur sehr hübsch, sondern auch anmutig, warmherzig, bescheiden, zurückhaltend, klug, sittsam, aufopfernd, loyal, ehrlich, hatte gute Manieren und auch Humor. Die Dunkelhaarige war trotz ihres Auftretens nicht steif oder spießig – das wusste kaum jemand besser als all jene, die ihr näher standen. Aber sie wusste ihre lockere Seite zu zügeln, wann immer sie es für angebracht hielt. Kazuya schmunzelte, als er darüber in ihrem Zimmer nachdachte. In dieser Hinsicht waren sie sich sehr ähnlich. „Möchtest du etwas trinken?“ Yuris höfliche Frage holte ihn aus seinen Tagträumen zurück. „Ja, sehr gern.“ Er sah von der Bettkante aus zu ihr auf und lächelte sie an. Wie üblich erwiderte sie das mit einem zarten Hauch von Rosa auf den Wangen. Zwei Jahre waren sie jetzt zusammen, würde sich ihr Blick auf ihn jemals ändern? Würde das Herzklopfen in seiner Brust, wenn sich ihre Finger miteinander verschränkten, jemals abebben? Sie huschte aus dem Zimmer und das dunkelbraune, wellige Haar flatterte hinter ihr her. Einmal mehr hielt sich Kazuya für einen Glückspilz, dass diese junge Frau hartnäckig, aber nicht aufdringlich am Ball geblieben war, bis er sie endlich als mehr, als nur eine Mitschülerin wahrgenommen hatte. Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit zählten ebenfalls zu ihren guten Eigenschaften. Meistens zumindest. Der Blonde hörte durch die offene Zimmertür Yuris Mutter nach ihr rufen. Momoko war am Telefon und wollte mit ihr sprechen. Kazuya wollte nicht lauschen, aber die Erwähnung ihres Namens wischte seine bisherigen Gedanken mit einem Mal weg. Stattdessen grübelte er nun und begann ein Rätsel zu entschlüsseln, von dem ihm bis eben gar nicht klar gewesen war, dass es existiere. Er zückte mit gerunzelter Stirn sein Handy und rief eine Nachricht von Yosuke auf, die er ihm schon vor einigen Tagen geschickt- und die nichts als Verwirrung bei ihm hinterlassen hatte. >>>Hallo Kazuya, wie geht es Dir in Tokyo? Bist du immer noch fit auf dem Feld, oder setzen Dir die anderen Spieler auch mal zu? Ich muss Dich um etwas bitten oder Dich vielmehr an etwas erinnern. Bitte sei nicht schockiert, falls Yuri Dich in nächster Zeit etwas Bestimmtes fragt. Erinnere Dich bitte einfach an das Versprechen, das Du mir gegeben hast! Ruf mich an, wenn Du danach noch reden möchtest. Ciao, Yosuke.<<< Der Stürmer hatte sich auf diese Mail einfach keinen Reim machen können und obwohl er natürlich geantwortet und nachgeharkt hatte, war ihm Yosuke Fuma die Antwort schuldig geblieben. »Das wird doch wohl nichts mit ihr zu tun haben?« Er starrte mit leerem Blick auf das Display und würfelte mit den Puzzleteilen in seinem Kopf herum. Das einzige Versprechen, das er ihm in letzter Zeit gegeben hatte, war das, dass er niemanden davon erzählen würde, dass er etwas mit Momoko gehabt hatte. Bisher hatte er sich daran gehalten; es gab aber auch nie wieder Anlass dafür, dass er davon Gebrauch machen musste. Seit ihrem erzwungenen Aufeinandertreffen in dem Club damals hatte er nichts mehr von Yosuke gehört. Und von Yuri wusste er nur, dass die Hobbyfotografin bei ihrem letzten Treffen ganz normal und ausgelassen war. Mehr hatte sie auf sein Nachfragen nicht erzählt, aber sie hatte dabei nachdenklich und irgendwie kurz angebunden gewirkt. Aus Höflichkeit hatte er nicht weiter nachgefragt, doch jetzt wünschte Kazuya sich, er hätte es doch getan. „Dann war das dein Ernst gewesen?!“, hörte er Yuris Stimme zu ihm hinauf schallen. Es war der einzige Satz, den sie mit ungewohnt lauter und viel zu hoher Stimme sagte, sodass alle mithören konnten. Kazuya steckte sein Handy weg und stützte seine Unterarme gelassen auf seinen Schenkeln ab. Er wusste gar nichts, aber er ahnte, dass seine Freundin gleich zu ihm nach oben kommen und ihm eine unglaubliche Geschichte erzählen würde. Und er ahnte auch, dass es sich darum nicht ganz unwesentlich um ihre beste Freundin und seinen besten Freund drehte. Er sollte Recht behalten. Es vergingen keine zehn Minuten, da trabte Yuri deutlich hörbar die Stufen zu ihm wieder hinauf. Als sie ins Zimmer platzte hatte sie natürlich längst vergessen, dass sie eigentlich etwas zu Trinken holen wollte. „Kazuya!“, sagte sie mit großen Augen und einer Hand auf ihrer, vom Atmen bebender Brust. „Momoko hat gerade angerufen und du glaubst gar nicht, wieso sie angerufen hat!“ Er streckte ermunternd eine Hand nach ihr aus und versuchte sie mit einem halbherzigen Lächeln zu beruhigen. „Du hast Recht, ich weiß es nicht, aber komm her und erzähl es mir.“ Sie legte ihre Hand in seine und ließ sich in einer fließenden Bewegung auf seinen Schoß ziehen. Yuri schob seinen Oberkörper trotz offensichtlichem Herzflattern entschlossen von sich weg und sah ihm ernst in die Augen. „Weißt du, was sie wollte? Sie möchte uns einladen. Nicht nur sie, sondern auch Takuro.“ Verwirrt blinzelte Kazuya sie an. Sprachlos und ohne Worte wies er sie an, das näher zu erläutern, aber sie schien noch viel verwirrter zu sein als er. „Ich verstehe nicht… was daran bringt dich denn so durcheinander?“ Sie atmete tief und langsam ein und aus in der Bemühung, ihre Fassung zurückzuerlangen. „Bitte entschuldige, ich war von dem Telefonat eben noch so aufgewühlt… Es geht nicht um eine Einladung zum Tee oder Mittagessen, es geht um einen Urlaub.“ Jetzt schossen seine Augenbrauen verblüfft in die Höhe. „Und sie schließt nicht nur uns beide ein, sondern auch noch Hinagiku und – ich kann es kaum aussprechen – Yosuke und Hiromi.“ Kazuya konnte nicht mehr überraschter sein, also wurde er blass, während ihm seine Freundin die ganzen Details um das Angebot herum darlegte. Seine ersten Worte, nachdem Yuri fertig erzählte hatte waren: „Das kommt so… überraschend.“ Die Dunkelhaarige schien weniger irritiert. Sie schlug die Augen nieder und nestelte irgendwie schuldbewusst am Saum seines Hemdes herum. „Für mich eigentlich nicht.“, gab sie schließlich zu. Kazuya schüttelte den Kopf und kniff sich in den Nasenrücken, gegen den anklopfenden Kopfschmerz hinter seiner Stirn. Jetzt verstand er gar nichts mehr. „Bitte, Schatz… spann mich nicht länger auf die Folter. Erzähl es mir einfach, ok?“ Yuri schluckte und holte aus. „Weißt du noch, wie ich dir davon erzählt habe, dass ich vor zwei Wochen mit Hinagiku und Momoko im Kino war?“ Er nickte aufmerksam. „Als du mich gefragt hattest, wie es ihr geht, da habe ich dir nicht alles erzählt… weil ich erstmal nachdenken wollte und nicht so richtig schlau daraus wurde.“ „Woraus?“, beschwor der Blonde sie förmlich. „Nun… es ist so, dass es in Momokos Beziehung zu Takuro einige Spannungen gibt, die vor allem Yosuke betreffen. Aber auch uns alle, also ihre Freunde von früher.“ Ein Ruck ging durch den jungen Mann. So langsam wurde ihm klar, warum er diese verschwörerische Mail von seinem ehemaligen Torwart bekommen hatte. Gefasst ließ er sich nichts anmerken und lauschte weiter gespannt. „Es war Momokos Idee, dass wir versuchen sollen, uns mit ihrem Verlobten und Yosukes Freundin anzufreunden. Sie hat die Befürchtung, dass sie uns sonst alle verliert…“, schloss sie wehmütig und sah wieder auf ihren Schoß. Kazuya hob ihr Kinn liebevoll mit den Fingerspitzen an. „Wie kommt sie denn darauf?“ Sie seufzte schwermütig. „Sie hat uns erzählt, dass sie und Takuro Japan bereits nach dem Abschluss verlassen werden. Er will es so und sie befürchtet, dass er danach versuchen wird, den Kontakt zu uns zu unterbinden.“ Ihr Freund öffnete erschrocken den Mund. „Sie geht weg?“ Yuri nickte traurig. „Ja. Und sie betonte immer wieder, dass sie die Freundschaft zu uns nicht aufgeben will.“ „Und das schließt ihren eigenen Worten nach auch Yosuke mit ein?“ „Ja. Irgendwie seltsam oder? Damals und bis vor Kurzem hätte ich es nie für möglich gehalten, dass Momoko ihn jemals als Freund bezeichnen würde. Aber jetzt scheint es ihr so ernst damit zu sein… Und niemand von uns hat mitbekommen, wie und wann das eigentlich passiert ist.“ Sie seufzte wieder schwer. „Sie hat Hinagiku und mich, was das betrifft, einfach ausgeschlossen… es erscheint mir so verworren. Es ist ihr wichtig, mehr lässt sie uns bisher nicht wissen. Sie hat sogar geweint deswegen.“ Kazuya ballte die Hände angespannt zu Fäusten. „Momoko und Yosuke haben also nach dem Abend in dem Club Kontakt gehalten…?“, flüsterte er mehr zu sich, als zu Yuri. „Ja, so hat sie es erzählt. Aber eben alles heimlich… Was ist denn los mit dir, stimmt etwas nicht?“ Er konnte seinen aufgewühlten Zustand nicht vor seiner Freundin verbergen, dafür kannte sie ihn zu gut. Er wollte es auch gar nicht. „Hat sie am Telefon gesagt, ob Hiromi und Yosuke schon eingeweiht sind?“, wich er ihr vorerst noch aus. „Ja, hat sie. Beide sind einverstanden und haben schon zugesagt. Wenn wir und Hinagiku auch zusagen, dann fahren wir gleich zu Beginn der Ferien in zwei Wochen los.“ Kazuya stöhnte und legte eine Hand an die Stirn, wo sie seine Augen bedeckte. „Liebster, jetzt machst du mir langsam Angst. Was ist denn?!“ Yuri rückte von seinem Schoß herunter und legte besorgte ihre Hände auf seine Schultern. »Natürlich. Deswegen soll ich schweigen.«, dachte er bei sich. In was für eine Lage brachte ihn sein Freund da gerade? Nicht mal von Yosuke persönlich, sondern von seiner eigenen Partnerin hatte er gerade erfahren, dass das Verhältnis, zwischen ihm und Momoko, anscheinend noch oder zumindest wieder bestand. Egal von welcher Art es war, es war ganz sicher unmoralischer Natur! Hinter dieser ganzen Inszenierung, mit der Einladung und hinter all der Geheimnistuerei, steckten Gefühle und Taten, die die Zwei in Teufels Küche bringen konnten und würden, wenn sie aufflogen. „Sie rennen beide in ihr Unglück.“, sagte er schließlich seufzend. „Wie bitte?“, hinterfragte die Dunkelhaarige irritiert. Der blonde junge Mann straffte sich und schaute seine Freundin mit leidender Miene an. „Yuri, ich glaube, ich muss dir jetzt etwas sehr Schwerwiegendes anvertrauen. Und ich muss dich bitten mir zu versprechen, dass du mich nicht verrätst! Ich habe Yosuke ein ähnliches Versprechen gegeben, aber das kann ich unter diesen Umständen einfach nicht halten...“ Gram zeichnete sich in seiner Mine ab, trotzdem redete er weiter. „Du musst es jetzt erfahren; als beste Freundin von Momoko steht dir das einfach zu. Und ich brauche dich als meine engste Vertraue in dieser Sache an meiner Seite.“ Ihre grünen Augen flackerten ängstlich. Nun war es an ihr, zu erblassen, aber sie nickte tapfer und lauschte seinen folgenden Worten. Kapitel 57: secret Loyality - to much Questions - even more Lies ---------------------------------------------------------------- Mit Sorge sah Kazuya zu, wie sich Yuris Gesichtsfarbe im Sekundentakt veränderte. Sie war nach seiner Warnung gewappnet gewesen, aber ganz sicher nicht gefasst genug, für die schier unglaublichen Enthüllungen, die er nach und nach vor ihr ausbreitete. Schweigsam und geduldig hatte sie seinen Berichten über Momoko und Yosuke zugehört. Kein Ton war aus ihrem Mund gekommen, dabei war Yuri mehr als nur ein Mal die Kinnlade heruntergeklappt. Ihr Gesicht war zuerst aschfahl, dann glühend purpurn und schließlich wieder blass geworden. Mit ihrer Gesichtsfarbe wechselte auch der Ausdruck in ihren Augen: Verblüffung, Schockiertheit, Sorge, Verlegenheit und Unglaube wechselten sich immer wieder in ihrem Mienenspiel miteinander ab. Kazuya hielt die Hände seiner sehr anständig und konservativ erzogenen Freundin mit seinen umschlossen und sah sie lange einfach nur abwartend an, bis sie ihren Tunnelblick endlich ablegte. „Diese Zwei…“, hauchte sie flüsternd über ihre Lippen. Blinzelnd kehrte ihr Bewusstsein in die Gegenwart zurück; zu Ende war ihr Kopfkino und abgeschlossen ihre Analyse der inzwischen offengelegten Fakten. „Yuri, es tut mir leid. Ich hätte dir alles viel eher erzählen müssen.“ Immer noch in Sorge um seine Freundin, die im Augenblick erblasst blieb, fühlte er sich schuldig. Doch Yuris grüne Augen fanden seine ohne einen Vorwurf darin. Vielmehr lag Verständnis in ihnen und ein Funkeln, das man bei Menschen sah, denen gerade ein Licht aufgegangen war. „Jetzt macht alles einen Sinn. Wir haben so viel in ihr seltsames Verhalten hineininterpretiert, uns so viele Möglichkeiten ausgedacht und wilde Zusammenhänge gesponnen, aber darauf wären wir nicht mal im Traum gekommen.“ Der Blonde wusste, dass sie mit wir Hinagiku und sich selbst meinte. Sie wirkte erstaunlich gefasst, auch wenn ihr Blick immer noch hin und wieder abdriftete, weil sie grübelte und vergangene Situationen rekapitulierte. Yuris Wangen färbten sich schamhaft rot. „Ein Verhältnis.“ Sie weigerte sich schüttelnd es eine “Affäre“ zu nennen. „Das hätte ich Momoko niemals zugetraut. Ich dachte immer, dass das Stoff für schwülstige Romane und Filme ist und im wahren Leben nur bei Leuten in der Midlifecrisis vorkommt.“ Kazuya konnte ein schiefes Lächeln nicht unterdrücken. „Willst du damit sagen, dass unsere Freunde zu jung für solche Ausschweifungen sind?“ Er meinte es witzig, aber die Dunkelhaarige warf ihm einen entrüsteten Blick zu. „Selbstverständlich! Wenn das ihre Eltern wüssten oder die Schule – wenn das ihre Partner wüssten!“ Und schon wurde ihr Gesicht wieder kreidebleich. Das Grauen zeichnete sich darauf ab, fassungslos legte sie ihre Hände an die Wangen und schüttelte den Kopf. „Mein Gott! Mir war klar, dass Yosuke für Momoko mehr als nur ein Freund ist und ich hätte ihr zugetraut, dass sie sich trotz all des Abstreitens in ihn verliebt hat… aber das… Ihre Empfindlichkeit auf seinen Namen; die Tränen; der Streit; die Distanz, die ihr so zu schaffen gemacht hat; ihre ständigen Stimmungsschwankungen… Das ist das fehlende Puzzlestück, das alles zu einem stimmigen Bild zusammenfügt.“ Sie raufte sich die Haare und warf die Locken anschließend grob zurück über ihren Rücken. Ihr Freund griff erneut beruhigend nach ihrer Hand. „Und was wirst du nun tun?“ Nachdenklich betrachtete sie ihre ineinander verschränkten Finger. „Ich weiß es nicht… Hinagiku darf es nicht erfahren, zumindest jetzt noch nicht! Sie würde es sicher nicht verstehen; Takuro bedeutet ihr wegen ihrer einstigen Sandkastenfreundschaft vielleicht mehr, als sie uns gegenüber zugibt. Ich müsste erst mit Momoko reden, aber wenn ich sie darauf anspreche macht das womöglich alles nur schlimmer. Dann weiß sie von Yosuke und dir, und er erfährt, dass du es mir erzählt hast. Ich möchte mich so wenig wie möglich einmischen, aber gleichzeitig bin ich so wütend, dass sie mich ausgeschlossen hat - am liebsten würde ich sie schütteln und fragen, wie sie dazu kommt so was anzufangen!“, sie seufzte. „Trotzdem wäre ich gerne für sie da.“ „Es ist ein Dilemma.“, stellte Kazuya fest. „Ja, das ist es.“, erwiderte Yuri mit einem schwachen Lächeln. Er zog sie in seine kräftigen Arme und küsste sie beruhigend auf den Scheitel. „Glaubst du, dass sie sich lieben?“ „Ich weiß es. Nur die Liebe kann jemanden wie Momoko dazu bringen, solche Dummheiten zu machen. Niemals würde sie mit irgendeinem Jungen ins Bett gehen, obwohl sie mit einem anderen verlobt ist. Und da es sich hierbei um Yosuke Fuma handelt, müssen erst recht Gefühle im Spiel sein… Oder jede Menge Drogen und Alkohol.“, schloss sie trocken. Kazuya lachte kehlig auf. „Ich denke genauso – also was den Gefühlsteil angeht. Allerdings muss ich davon ausgehen, dass es die Beiden entweder selber noch nicht wissen oder sich nicht eingestehen wollen.“ „Oder sie wissen es, geben es aber voreinander nicht zu, weil sie genau wissen, was auf dem Spiel steht.“, ergänzte die junge Frau traurig und schmiegte sich enger an die Brust ihres Freundes. „Darum auch dieser irrwitzige Urlaub. Wenn wir zusagen sind wir ihr Alibi, damit sie noch mal gemeinsam Zeit miteinander verbringen können, bevor die Umstände sie für immer trennen.“ Seine Worte trieben Yuri Tränen in die Augen. Fest umklammerte sie ihren Liebsten, während sie sich vorstellte, dass sie an der Stelle ihrer Freundin wäre. Die Aussicht, einen Mann aus Pflichtgefühl zu heiraten, den sie nicht liebte, und sich dafür für immer von Kazuya zu trennen, der sie aus eigenen Gründen nicht würde abhalten können – das zerriss ihr das Herz. Sie schloss die Augen zu einem zittrigen Seufzer, bei dem ihr die Tränen stumm über die Wangen rollten und erinnerte sich an die gemeinsame Schulzeit mit ihren Freundinnen. Momoko war schon immer die hoffnungslos Romantischste von ihnen gewesen. Immer optimistisch, stets gut gelaunt und jeder Zeit bereit für ihre Gefühle einzutreten und zu kämpfen. „Kaz, erinnerst du dich noch, als wir damals zusammengekommen sind?“ „Als wäre es gestern gewesen.“, antwortete er verliebt. „Du warst einer der beliebtesten Jungs an der ganzen Schule, so ziemlich jede war hinter dir her. Du hast immer so getan, als würdest du das nicht bemerken, dabei haben sogar Hinagiku und Momoko unverhohlen für dich geschwärmt, als wir noch für die Schülerzeitung gearbeitet haben.“ Der junge Mann sagte dazu nichts, aber er streichelte ihren Rücken und lauschte gespannt, wohin der plötzliche Themenwechsel noch führen würde. „Als wir beide dann zusammengekommen sind, da war ich mir erst nicht sicher, wie die Zwei das aufnehmen würden, aber Momoko hat sich sofort für mich gefreut. Einfach so, ohne Wenn und Aber. Sie hat es gar nicht in Frage gestellt, sondern meine Hand genommen und sich ausgelassen für mich gefreut und mir weiß gemacht, dass sie schon immer fand, dass wir ein tolles Paar abgeben würden.“ Glücklich dachte sie an diesen Moment zurück, wohingegen sich Kazuya nicht sicher war, auf was sie eigentlich hinaus wollte. „Was ich sagen will ist, sie hat Dasselbe auch verdient. Wenn sie Yosuke liebt, dann werde ich ihre Beziehung zu ihm nicht hinterfragen. Ich möchte, dass sie glücklich wird!“ Yuri löste sich aus der Umarmung und blickte ihrem Liebsten mit noch feuchten Wangen fest in die Augen. „Also los; verschaffen wir den Beiden ein Alibi und sehen wir zu, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht, damit sie am Ende nicht den größten Fehler ihres Lebens begehen.“ ~*~ Momoko schlief in der Nacht von Freitag auf Samstag so gut wie schon lange nicht mehr. Die Prüfungen des ersten Schultrimesters waren endlich vorüber. Wochenlanges Lernen, der damit einhergehende Schlafentzug und die Entsagung sämtlicher sozialer Kontakte waren ausgestanden und hatten sich bezahlbar gemacht. Mit einem sehr zufriedenen Gefühl hatte sie ihre letzte Prüfung geschrieben und war danach ein letztes Mal zu ihrer Arbeit im Café erschienen. Die Ferien hatten nun offiziell begonnen und Momoko hatte in der nächsten Woche frei, denn der lange geplante Kurzurlaub stand vor der Tür. Das Beste aber - und deswegen schlief sie am ruhigsten - war die Tatsache, dass sie am nächsten Tag ihren Vater wieder in die Arme schließen können würde. Nicht nur zu einem Besuch sondern er würde endlich zu ihr nach Hause zurückkehren. So träumte sie in dieser Nacht von all den schönen und glücklichen Dingen, die ihr im Kopf herumschwirrten und die sie sich ausmalte. Zuletzt von einem blauen Meer und der warmen Sonne, unter der sie vereint mit ihren Liebsten und ohne Sorgen einen herrlichen Tag verbrachte. Ein Strandpicknick am türkisblauen Wasser im weißen Sand, bei dem sie unter dem fürsorglichen Blick ihres Vaters mit ihren Freundinnen herumalberte. Es war eine Traumwelt, in der sie sich nicht mit Schule oder Geldsorgen beschäftigen musste und in der ihr Vater kein Alkoholproblem hatte. Er lag mit entspannter Miene in einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm. Und noch etwas war anders, denn es gab auch keinen schweren Verlobungsring an ihrem Finger. Anstelle von Takuro saß ein anderer junger Mann neben ihr und hielt ihre Hand, als wäre es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Es war ihr Traum, in dem sie es sich erlauben durfte, Yosuke anzusehen und zu berühren, wie ihr Herz danach verlangte. Seine braungrünen, warmherzigen Augen waren ganz real und der Blick aus ihnen verheißungsvoll. Sie fühlte zum ersten Mal das sachte, angenehme Kribbeln von Schmetterlingsflügeln in ihrem Bauch. Es waren keine Tauben, die nur kurz wild umher flogen und sie am Ende mit Wehmut zurückließen; das hier war beständiger. Es tat nicht weh, denn hier in dieser Traumwelt erwiderte er ihre Gefühle. Alles war perfekt, sie war glücklich. Im Traum, noch während die Welt um sie herum in Ordnung war und sie sich verliebt in Yosukes Augen verlor, schlich sich der Klang eines Liedes ein. You got me sippin' on something I can't compare to nothing I've ever known, I'm hoping That after this fever I'll survive I know I'm acting a bit crazy Strung out, a little bit hazy Hand over heart, I'm praying That I'm gonna make it out alive Zuerst fühlte sich das normal an; wie ein Radio, das jemand neben ihnen aufgestellt hatte. So wie ein Song, der in Liebesfilmen eingespielt wurde, doch dann bröckelte die Fassade des Traumes und Momoko begann sich umzusehen und sich zu fragen, von wo die Musik kam, die immer lauter wurde und die Stimmung um sie herum zu verändern begann. The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants Und dann wusste Momoko plötzlich, dass sie träumte. Mit dieser Erkenntnis zerfiel das Traumbild um sie herum und sie schlug die Augen auf. You got me scattered in pieces Shining like stars and screaming Lighting me up like Venus But then you disappear and make me wait And every second's like torture Hell over trip, no more so Finding a way to let go Baby, baby, no I can't escape The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants This is a modern fairy tale No happy endings No wind in our sails But I can't imagine a life without Breathless moments Breaking me down, down, down, down The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants, baby It wants what it wants, baby It wants what it wants It wants what it wants Seufzend rollte Momoko zu ihrem Radiowecker herum und schaltete ihn ab. Sie warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Hätte ich dich nur nicht reaktiviert.“, grummelte sie in ihre Bettdecke hinein, die sie wie ein Stofftier umklammert hielt. Der Text des Liedes hallte als lästiger Ohrwurm in ihrem Kopf wider. War das ein Zufall, dass sie immer dann Songs mit treffenden Texten zu verfolgen schienen, wenn sie mit Yosuke zusammen war oder an ihn dachte? Oder achtete sie einfach viel mehr als früher auf den Inhalt von Musik, anstatt nur auf deren Melodie? Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln und sich nicht wieder von ihrem Liebeskummer runterziehen zu lassen. Die Prüfungszeit hatte ihr sehr gut über den Abstand von dem Torwart und ihrer komplizierten Beziehung hinweg geholfen. Sie hatte gar keine Zeit und Kraft gehabt, sich mit diesem Dilemma auseinanderzusetzen, und das sollte sich jetzt auch nicht gleich wieder ändern, nur weil ein Traum und ein dummes Lied sie dazu verleiteten. „Nicht heute.“, sagte sie zu sich selbst, atmete tief durch und dachte an ihren Vater. Sofort lächelte sie glücklich und sprang aus dem Bett. Momoko konnte es kaum erwarten, ihn endlich abzuholen. Es war noch nicht ganz Mittag, als das Auto mit ihr und Takuro darin auf das Klinikgelände fuhr und sie ungeduldig über den Parkplatz tänzelte, weil sie es nicht abwarten konnte, ihren Vater in die Arme zu schließen. Zwei Monate war es jetzt her, dass Momoko in ihrer Verzweiflung den Schritt gegangen war, ihn in die Entzugsklinik einweisen zu lassen. Shôichirô war damals nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen, aber diese Erinnerung hatte nichts mehr gemein mit dem strahlenden Mann, der in der Lobby mit offenen Armen auf sie wartete. An seine Brust gedrückt, wo sie sich immer noch wie ein junges Mädchen fühlte, schienen die Ereignisse von damals nicht mehr real zu sein. Als wären sie nicht ihr widerfahren, sondern jemand anderem. „Ich hab dich so unendlich vermisst!“, nuschelte sie in sein Hemd hinein. Seine Arme umschlangen sie wieder fest und stark wie früher, väterlicher konnte sich eine Umarmung nicht anfühlen. „Ich dich auch, Momoko.“ Sie schnupperte an dem Stoff und sog den Duft von Kindheit und Geborgenheit tief ein, mit dem sie seit sie denken konnte alles verknüpfte, was ihr Sicherheit und das Gefühl von Zuhause vermittelte. Ihre schönsten Kindheitserinnerungen dufteten genau wie er jetzt und hier, wo sie in seinen Armen lag. Dieses Gefühl wollte sie sich tief ins Gedächtnis brennen. „Ich hab dich lieb, Papa. Endlich kommst du nach Hause.“ Shôichirô tätschelte ihren Kopf und wischte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel, die sich heimlich darin gesammelt hatte. „Na na, wir werden diesen Moment doch nicht mit Tränen ruinieren?“, zog er sie auf. Momoko lächelte und schüttelte dabei einverstanden den Kopf. Ihr Vater blickte über sie hinweg zu Takuro und schenkte ihm ein dankbares Nicken. „Ich danke dir, dass du dich in all der Zeit so gut um meine Tochter gekümmert hast.“ Er streckte seinen Arm nach dem zurückhaltenden Japaner aus und legte ihm anerkennend eine Hand auf die Schulter. „Das war doch eine Selbstverständlichkeit, Shôichirô-san.“ Mit einem Augenrollen kommentierte er stumm die Höflichkeitsfloskel, die er seinem zukünftigen Schwiegersohn trotz der Besuche zwischendurch immer noch nicht ausgetrieben hatte. „Ich hoffe, Momoko hat sich gut benommen?“ Sie strafte ihm mit einem anklagenden Blick – als ob sie sich jemals daneben benehmen würde! Aber wenn er wüsste, was Takuro hingegen schon auf ihrer unschuldigen Wohnzimmercouch bei ihr versucht hatte… An dieser Stelle stoppte ihr Gehirn ihre Erinnerungen, nachdem ihr Gesicht bereits verräterisch zu glühen begann. »Naaa gut.«, dachte sie reumütig. »Ich war und bin wohl doch kein Unschuldslamm.« Räuspernd wendete sie sich Takuro zu und wartete seine Antwort ab. Mit durchgedrücktem Kreuz und hinter dem Rücken verschränkten Händen strahlte er sie und ihren Vater an. „Ich habe jedenfalls nichts Negatives zu vermelden. Sie ist brav zur Schule gegangen und nachmittags vorbildlich ihrem Aushilfsjob nachgekommen. Wann immer ich konnte habe ich sie gefahren und sicher nach Hause gebracht.“ Der große, dunkelhaarige Mann lachte amüsiert über die steifen Formulierungen. „So so, meine Momoko und vorbildlich… aus dir wird am Ende noch eine sittsame und fleißige Hausfrau. Hast du dich denn auch hin und wieder mit deinen anderen Freunden getroffen?“ Mit Mühe erhielt sie ihr Lächeln aufrecht. „Manchmal.“, sagte sie unbestimmt. „Nur manchmal? Ich habe das Gefühl so viel verpasst zu haben… Es ist doch alles gut, zwischen euch?“ Momoko schob sich nervös eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr und schaute kurz zu Takuro hinüber, dem trotz der Frage, die ihr etwas unangenehm war, keine Veränderung in der Mimik anzusehen war. „Na ja, es waren ja nun Prüfungen in der Schule. Da hatten wir alle keine richtige Zeit, um uns zu treffen oder etwas zu unternehmen.“ „Stimmt auch wieder. Wie liefen denn die Prüfungen für euch? Ach, was rede ich hier – lasst uns nach Hause fahren, wir können uns dann immer noch unterhalten.“ Die Autofahrt über redeten sie über fast nichts anderes als die Schule, die Prüfungen und darüber, welche Universitäten für Takuro in Frage kamen und wie hart er arbeiten musste, um die schweren Aufnahmeverfahren zu bestehen. Dabei schwärmte er auch von den Studienmöglichkeiten im Ausland, die ihm offen stünden, wenn er es nur in Erwägung ziehen würde, viel früher nach Übersee zu gehen als geplant. Welche Vorteile das für seine berufliche Zukunft und Momoko doch bedeuten würde, im Gegensatz dazu in Japan zu studieren und danach erst auszuwandern. Momoko klinkte sich bei der hitzigen Pro & Kontra Debatte zwischen ihrem Vater und Takuro aus und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Ihr Traum war es mal gewesen Fotografie zu studieren, aber diese Akte hatte sie bereits abgeheftet und weggeschlossen. Es war klar, dass es im Sinne ihrer Beziehung mit Takuro war, wenn sie als seine Frau traditioneller Weise entweder gar nicht arbeiten ginge oder ihr Arbeitsleben wenn dann um seine Karriere herum passend gestaltete. Deswegen hatte sie schon früh aufgehört, nach einer passenden Universität für sich zu suchen, denn nirgendwo wo ihr Verlobter studieren wollte, wurde auch Fotografie als Studienfach angeboten. Da konnte sie auch gleich freiberuflich als Amateurin weitermachen. Und wo sie das letztendlich tat, ob hier oder in Amerika, war ihr gleich. „Freust du dich schon?“ Herausgerissen aus ihren eigenen Gedanken, schaute sie fragend in das erwartungsvolle Gesicht ihres Vaters. „Hm? Worauf?“ „Dummerchen, auf unseren Kurzurlaub natürlich!“, neckte Takuro sie. »Dummerchen?!«, dachte Momoko und schauderte irritiert. Wann waren sie beziehungstechnisch auf der Stufe angelangt, an denen sie sich mit solchen Spitznamen neckten? „Er hat mir die ganze Zeit davon erzählt, dass ihr vorhabt gemeinsam mit euren Freunden noch mal wegzufahren, bevor das Schuljahr vorbei ist und ihr dann wahrscheinlich nicht mehr so schnell die Gelegenheit habt, euch regelmäßig zu sehen. Hast du etwa nicht zugehört?“ Momokos erster Impuls war höhnisch die Augenbrauchen hochzuziehen, als sie eure Freunde hörte, aber dem konnte sie zum Glück widerstehen, „Oh, nein. Entschuldigung. Ich war grad in Gedanken.“ Einen kurzen Moment lang huschte ein ernster, sorgenvoller Blick über Shôichirôs Gesicht, der aber so schnell wieder seinem väterlichen Lächeln wich, dass Momoko sich nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt wirklich gesehen hatte. „Du bist sicher müde von dem ganzen Stress in letzter Zeit.“ Seine Hilfestellung nahm seine Tochter dankbar an. „Ja, das bin ich.“ „Dann hast du dir diesen Urlaub auch verdient.“ „Ach Papa… ich hätte dir schon viel eher davon erzählen sollen. Das kommt jetzt so kurzfristig, wo du doch gerade erst entlassen worden bist.“ Doch er winkte beschwichtigend ab. „Mach dir mal um mich keine Sorgen, ich komme schon zurecht. Es bleibt mir ja noch knapp ein Wochenende mit dir, um mich wieder einzugewöhnen. Danach werde ich wohl ein paar Tage ohne dich auskommen können. Du hast wirklich mehr als genug für mich getan.“ Die junge Frau kämpfte gegen aufsteigende Tränen. Eine Last fiel endlich von ihren Schultern und Erleichterung kämpfte sich an die Oberfläche. Auch wenn er noch ein bisschen dünner war als früher, und ein paar Falten mehr sein freundliches Gesicht zierten, ihr Vater würde ab jetzt wieder für sie da sein. Sie konnte all die Verantwortung und die Sorgen wieder mit ihm teilen und war nicht mehr allein. Den Rest der Strecke über plauderten sie über den weiteren Therapieplan, der für Shôchirô vorgesehen war. Ambulante Psychotherapie ein Mal die Woche, sowie beliebige Treffen bei den anonymen Alkoholikern, wenn er sie benötigte. Und damit er abgelenkt war und ihm Zuhause nicht die Decke auf den Kopf fiel, war ihm sogar dazu geraten worden so bald wie möglich schon wieder eine leichte Arbeit anzunehmen. Das ließ Momoko alles vergessen, was hinter oder vor ihr lag und ein Mal mehr war sie Takuro für seinen Einsatz dankbar, ohne den diese Wendung niemals möglich gewesen wäre. Das Glück, das sie im Moment empfand, reichte aus, um im Gesicht des jungen, schlaksigen Mannes etwas Liebenswürdiges zu sehen, das sie dort sonst vergeblich suchte. Ob ihre Sympathie für ihn reichen würde, um ein ganzes Leben zu füllen, das fragte sie sich nicht. Dafür war kein Platz, sie wollte sich einfach nur am Hier und Jetzt erfreuen. Zuhause angekommen betrachtete Shôichirô lange sein Haus, während die jungen Leute seine Koffer aus dem Auto bugsierten. „Es ist merkwürdig, wieder Zuhause zu sein.“ „Willkommen, Papa.“, bejubelte Momoko symbolisierend seinen ersten Schritt über die Grundstücksgrenze. Er schritt aufrecht durch die Tür in den Flur, wo er seine Schuhe tauschte und dann weiter ins Wohnzimmer lief. Dem Anschein nach immer auf der Suche nach einer Veränderung, die in seiner Abwesenheit, die psychisch schon weit vor dem Klinikaufenthalt stattgefunden hatte, vielleicht vorgenommen wurde. Doch bis auf den fehlenden Fernseher und die Musikanlage, sowie ein paar anderen Dingen, die einfach weg waren und leere Plätze hinterließen, war alles genau so, wie er es kannte. Seine Tochter hatte ihr gemeinsames Zuhause gehegt und gepflegt. „Die Sachen…“, er deutete dabei auf den leerstehenden TV-Tisch. „…Die sind…?“ „In der Pfandleihe.“, erklärte Momoko schnell. Sie schob die beiden Koffer an den Fuß der Treppe und gesellte sich dann zu ihm dazu, genau wie er auf den leeren Platz starrend. „Ich befürchte aber, dass wir einige der Sachen nicht mehr auslösen können. Viele der Fristen sind schon verstrichen…“ Er legte einen Arm um sie und streichelte ihre Schulter. „Das macht nichts. Ich kaufe uns einen neuen sobald ich kann.“ Momoko legte eine Hand auf seine, die an ihrem Arm ruhte. „Es gibt so viel Wichtigeres, als einen Fernseher.“, sagte sie beruhigend und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er empfand großen Stolz für sein Kind, das so reif und gefasst schien, aber gleichzeitig tat es ihm weh zu begreifen, dass sie schon so jung so viel Last getragen und ihre jugendliche Unbeschwertheit hinter sich gelassen hatte. „Du hast Recht. Morgen zeigst du mir alle offenen Rechnungen und Mahnbescheide, um die wir uns noch kümmern müssen. Dann kann ich nächste Woche ein paar Anrufe tätigen und vielleicht zu einem Schuldnerberater gehen…“ „Regt dich das nicht noch zu sehr auf? Ich will nicht, dass es dich runterzieht, wenn ich nicht da bin.“ Die Sorge in ihren großen Augen war ehrlich und trug die Angst in sich, dass das Aufatmen nur von kurzer Dauer sein könnte. „Die Ungewissheit ist viel schlimmer. Ich möchte gern wissen, wo wir stehen. Dann kann ich alles Schritt für Schritt angehen und nachts wieder ruhig schlafen. Außerdem brauche ich Ablenkung, wenn du nicht da bist.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und ein Augenzwinkern, dass sie verblüffender Weise unheimlich an Yosuke erinnerte. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. „Gibt es noch irgendetwas, mit dem ich euch helfen kann?“ Momoko zuckte erschrocken zusammen; sie hatte völlig ausgeblendet, dass Takuro ja auch noch im Raum war. Er hatte sich nur aus Höflichkeit während des Gesprächs zurückgehalten. Das war ihr auch ganz lieb so, denn nichts wäre ihr unangenehmer gewesen, als wenn ihr praktisch reicher Verlobter wieder einmal angeboten hätte, die fehlenden Habseligkeiten zu ersetzen. „Nein danke. Bleibst du noch zum Essen oder musst du schon nach Hause?“, fragte ihr Vater anstandshalber. „Ich würde gern bleiben, aber leider treiben mich noch ein paar Erledigungen dazu an, mich auf den Heimweg zu machen. Bevor wir am Montag fahren muss ich mich noch um einiges kümmern. Ich versäume nächste Woche schließlich auch ein paar Abende in der Uni-Vorbereitungsschule.“ „Verstehe, das ist schade.“ Takuro lächelte selbstzufrieden in Momokos Richtung. „Dank unserer Beziehung zu ihrer Tochter werden wir ganz sicher noch oft Gelegenheit haben, zusammen zu essen. Also dann, ich hole dich Montagmorgen ab?“ Die Rosahaarige nickte eifrig und begleitete ihn anständig nach draußen. Als sie ins Haus zurückkehrte war ihr Vater gerade in der Küche zu Gange. Sie hörte das vertraute Rauschen des Wasserkochers und das leise Klirren von Teetassen, die aus dem Schrank genommen wurden. „Ich hätte doch auch Tee gemacht!“, klagte Momoko halbherzig, während sie zu ihm in die Küche schlüpfte und sich ihre Schürze griff. „Heute nicht, heute mache ich Tee und Essen.“, erklärte Shôichirô euphorisch. „Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass das niemand anders übernehmen muss oder ich nicht bedient werde. Es fühlt sich gut an solche Dinge wieder klar, bewusst und selbstständig machen zu können.“ Momoko verstand das sehr gut und sah ihm lächelnd dabei zu, wie er die Teekanne mit einem Teesieb bestückte und heißes Wasser hineingoss, sodass es sich dunkel verfärbte und zu duften anfing. „Was hattest du als Mittagessen geplant? Dann kannst du mir helfen.“ „Eintopf mit Nudeln.“ Geübt holte sie sofort eifrig eine Pfanne hervor und legte eine Packung Nudeln, sowie Hackfleisch und einiges an Gemüse auf die Arbeitsfläche und teilte Messer zum Schneiden aus. „Und du bist wirklich gut mit dem Haus, deiner Schule und den anderen Verpflichtungen zurechtgekommen?“ Porree schnippelnd antwortete die Rosahaarige ohne ihren Blick von ihrem Schneidbrett zu heben. „Ja, das Thema hatten wir doch schon im Auto.“ „Ich weiß, aber du wirktest etwas still und kurz angebunden. Eigentlich haben Takuro und ich die meiste Zeit geredet.“ „Ach was, ihr müsst euch ja schließlich auch noch ein bisschen mehr kennenlernen.“, wand sie sich heraus und nahm schnell eine neue Lauchstange zur Hand. „Nun ja… das stimmt schon. Wie das mit euch zustande gekommen ist, habe ich ja schließlich leider verpasst.“ Momoko legte ihr Messer weg und sah eindringlich in die grünen Augen ihres Vaters. „Das war kein Vorwurf an dich, Papa.“ „So habe ich das auch nicht aufgefasst. Ich ärgere mich wenn dann über mich selbst. Ich stelle mir nur immer noch die Frage, wie Takuro es geschafft hat, dich mit seinem etwas steifen Charme so zu bezaubern, dass du ihn gleich heiraten willst.“ „Oh nein, nicht das Thema wieder!“, stöhnte die junge Frau augenrollend und wendete sich kopfschüttelnd wieder ihrem Gemüse zu. „Ich meine ja nur. Er muss ja ein echter Teufelskerl sein und ich bin gespannt, wann ich diese Seite an ihm mal zu sehen bekomme, die dich so glücklich macht.“ „Jaaa~, ich weiß, dass wir nicht so harmonisch wirken und eher wie ein ungleiches Paar, aber du hattest mir versprochen nicht mehr zu bohren und mir zu vertrauen. Ich dachte, du magst ihn?“ Shôichirô entgegnete nichts, stellte die Pfanne auf den Herd und begann das Fleisch anzubraten, während Momoko das geschnittene Gemüse im Waschbecken wusch. „Er hat sich offensichtlich hingebungsvoll um dich gekümmert, als ich es nicht konnte und er war dir in dieser Zeit ein enger Freund und Vertrauter. Ich kann sehr gut verstehen, dass das zusammenschweißt.“, lenkte ihr Vater nach einer endlos scheinenden Stille schließlich ein. „Ich werde mir kein Urteil mehr erlauben, ihr beide kennt eure Gefühle füreinander am besten.“ Momokos Wasch-Sieb entglitt ihr lautstark und fiel zurück ins Becken. Erschrocken fuhr Ihr Kochpartner zu ihr herum. „Alles in Ordnung, Schätzchen?!“ „J-ja, alles gut. Ich hab geträumt, da ist es mir aus der Hand gerutscht.“, antwortete sie mit zittriger, nervöser Stimme. Sie spürte sehr genau den prüfenden, väterlich strengen Blick auf sich ruhen, den er ihr zuwarf. „So? Oder habe ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein, keineswegs.“ „Keineswegs, aha…“ Die etwas verächtliche Art, mit der er sie wiederholte, gab Momoko zu verstehen, dass er fand, dass sie sich schon genauso förmlich anhörte wie ihr Zukünftiger. Sich räuspernd nahm sie ihr Sieb wieder auf und schüttelte das Schnittgut etwas trocken. Sie konnte ihm ja unmöglich erzählen, dass es ein anderer war, in dessen Armen sie in Wirklichkeit Trost gefunden hatte. „Erstaunlich, wie er neben seinen ganzen schulischen Verpflichtungen noch genug Zeit gefunden hat, um regelmäßig so viel Zeit mit dir zu verbringen.“ „Pa~pa~… du machst es schon wieder, du stichelst und bohrst!“ Er lachte ertappt. „Du hast mich erwischt, aber mal ehrlich: Ist dir das alles denn trotzdem nie zu viel geworden? Warst du nie einsam?“ Seine Tochter wurde still und er spürte gleich, wie sich ihre Aura veränderte; wie angreifbar sie auf einmal wirkte. Momoko warf Lauch und geschnittene Tomaten in die brutzelnde Pfanne zu dem Fleisch und wischte sich die feuchten Finger an der Schürze ab. Erst dann, als sie sich mit den Händen hinter ihrem Rücken an der Arbeitsfläche abstützte, sah sie zu ihrem Vater auf. Sie lächelte ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Es ging mir gut. Auch wenn Takuro nicht da war, war ich selten allein oder einsam.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schon wieder erinnerte sie seine Haltung und sein forschender Blick an den jungen Torwart, den sie seit einigen Minuten wieder nicht auf ihrem Kopf bekam. „So? Hattest du vorhin nicht noch erzählt, dass du und deine Freundinnen in letzter Zeit nicht wirklich viel zusammen machen konntet?“ „Äh, na ja. Schon, aber manchmal haben wir uns getroffen oder sie haben mich hier besucht.“ „Manchmal? So drei oder vier Mal vielleicht?“ Die Blauäugige verfinsterte ihre Miene. Selbst dieser bohrende Kreuzverhör-Unterton kam ihr schrecklich bekannt vor und das ärgerte sie sehr. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass Yosuke in mancher Hinsicht fast eine perfekte Kopie ihres im Moment fast gluckenhaften Vaters war. Bedeutete, dass sie sich in so einen Typ Mann verliebt hatte nun, dass sie einen Vaterkomplex hatte? „Ich habe nicht mitgezählt, aber so in etwa… vielleicht etwas öfter.“ „Und das in welchem Zeitraum? In acht Wochen oder länger?“ „Das Essen brennt an.“, wich sie aus, drehte sich um und rührte fahrig mit einem Kochlöffel in der Pfanne hin und her. „Und was ist mit deinen anderen Freunden?“ „Hm? Welche anderen Freunde?“ Shôichirô riss die Nudelpackung auf, goss Brühe in die Pfanne und ließ die Spagetti in den Sud gleiten, in dem sie langsam einsanken. „Na dieser Fuma-Junge und seine Freundin.“ Momoko versteifte sich vor Schreck eine Sekunde lang, rührte dann aber hektisch weiter. Mit heiß glühenden Ohren. „Ach die Beiden… hat dir Takuro von ihnen erzählt?“ Fragend schauend lehnte sich ihr Vater über die Pfanne zu ihr hin. „Kind, haben wir wirklich gemeinsam in demselben Auto gesessen? Du hast ja wirklich kein bisschen zugehört, als er und ich uns unterhalten haben. Er hat mir doch alles von eurem geplanten Kurzurlaub erzählt, also weiß ich natürlich bescheid, dass sie auch mitkommen.“ „Ach so, ach so… ja.“, murmelte sie beschämt vor sich hin. Ihr armes Herz polterte und stotterte aufgeregt in ihrer Brust und das Zittern übertrug sich bis auf ihre Finger, die sie deswegen fest um den Holzlöffel klammerte und noch schneller rührte. „Ich wusste gar nicht, dass das auch Freunde von dir sind. Kennt ihr euch auch aus der Schule?“, hakte ihr Vater weiter erbarmungslos nach. „Aus der Mittelschule, ja. Du bist furchtbar neugierig heute, ich kann mich kaum konzentrieren.“, log sie mosernd notgedrungen. „Ich interessiere mich eben für das Leben meiner Tochter. Ist das so falsch, nachdem ich so viel verpasst habe?“ Er sah sie mit einem gespielt betroffenen Hundeblick an, dem sie trotz des Theaters nicht widerstehen konnte. Die Mitleidskarte würde im Moment wahrscheinlich in jeder Beziehung ziehen. Momoko hatte nur Angst, dass sie zu viel erzählen könnte. „Nein, daran ist nichts falsch.“ „Das ist schön – also seid ihr Freunde, ja?“ „Ja-ein… Also schon, irgendwie. Mit Hiromi ist das alles ein bisschen kompliziert, aber wir sind auf dem besten Wege.“ Erstaunt zog ihr Gegenüber die buschigen Augenbrauen hoch. „Dann bist du also eigentlich eher mit diesem jungen Mann befreundet? Wie hieß er doch gleich...“ „Yosuke.“, half Momoko aus. Ihr Mund fühlte sich seltsam trocken an, weswegen sie sich räusperte. Shôichirôs Blick wurde wieder nachdenklich, dann prüfend. Er machte es seiner Tochter unmöglich ihn anzusehen, ohne dabei schuldbewusst zu erröten. Also mied sie den Augenkontakt und hoffte, dass das Essen noch lange brauchte um fertig zu werden, damit sie eine Ausrede hatte, ihn nicht in die Augen schauen zu müssen. „Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor…“, grübelte ihr Vater unterdessen. Sie sah nicht, wie er sich nachdenklich mit dem Finger gegen das Kinn tippte und auch nicht, wie sich seine Augen in der nächsten Sekunde erschrocken weiteten. Erst als er die Hand beschämt über seine Augen hielt, wand sie sich ihm verwundert zu. „Paps? Alles ok?“ „War das nicht der Junge, der an diesem einen Morgen hier war?“ Momoko überlegte fieberhaft; ihr fielen auf Anhieb einige Situationen ein, in denen Yosuke hier im Haus gewesen war und bei kaum einer davon schoss ihr nicht das Blut in die Wangen. Sie forschte tiefer, denn wenn ihr Vater sich daran erinnerte, musste er dabei gewesen sein. Und dann fiel der Groschen und auch sie wurde blass und sah sich schämend auf die Füße. „Du meinst, den Morgen…“ So viel war in der Zwischenzeit passiert, dass sie es fast vergessen und verdrängt hatte: Den Tag nach dem Klassentreffen, als Yosuke ihr die vergessene Fotokamera vorbeigebracht hatte und er und ihr Vater kurz aufeinander getroffen waren. Wie sehr hatte sie sich für seinen unmöglichen Auftritt ihrem Besuch gegenüber geschämt und wie schrecklich verlassen und hilflos hatte sie sich danach gefühlt… „Furchtbar, er muss das Schlimmste von mir gedacht haben.“ „Nein, Papa. Das hat er nicht. Er hat alles verstanden, was ich ihm erklärt habe.“, versuchte Momoko ihn zu beruhigen. Sich grämend vor Scharm sah er sie an und fand ein ehrliches Lächeln vor. „Was hast du ihm denn erzählt?“ Sie hob die Schultern und schnaufte darüber sinnierend, was sie am besten antworten sollte, ehe sie schließlich sagte: „Alles.“ Ein unausgesprochenes „Wow“ hob sich in der Miene ihres Vaters ab. Verstehend nickte er. „Alles, das ist viel. Du musst ihm ja ziemlich vertrauen.“ „Ja, das tue ich.“ Dem in die Jahre gekommenen, etwas weiser gewordenen Mann entging bei diesem kleinen Wortwechsel nicht, dass sich das Gesicht seiner Tochter aufgehellt hatte. Wieder rührte sie in dem inzwischen sämig gewordenem Pfanneneintopf herum und lächelte dabei so selig, als würde sie sich an eine gute Zeit erinnern. „Ich bin verblüfft, dass du in so kurzer Zeit neben Yuri und Hinagiku noch einen männlichen Freund gefunden hast, dem du so vertraust. Dieser Yosuke muss ein sehr sympathischer, verständnisvoller junger Mann sein.“ „Ja, das kann er sein, wenn er will.“, entgegnete Momoko mit neckendem Unterton und ein Funkeln trat in ihre Augen. „Und er sieht gut aus. Sportlich und bestimmt ist er auch einfühlsam und witzig.“ Momoko, die an dieser Stelle endlich das Spielchen durchschaute, das ihr Vater da mit ihr trieb, ließ den Kochlöffel auf den Pfannenrand fallen und schaute ihn entrüstet an. „Sag mal, willst du mich eigentlich veräppeln?? Bilde dir bloß nichts ein! Yosuke und ich sind nur Freunde und dafür kann er noch dankbar sein, so fies wie er damals in der Schule immer zu mir war!“ Der Dunkelhaarige lachte amüsiert über ihren Gesichtsausdruck und die wilden Gestikulationen, die sie machte, während sie die Pfanne mit hochrotem Kopf von der Herdplatte zog. „Ach ja, ist er dann nicht auch der Junge, über den du dich damals immer so viel beschwert hast?“ Er begann sie nachzuäffen: „Dieser blöde Yosuke hat mich heute wieder auf die Palme gebracht oder Dieser blöde Typ hat mich heute schon wieder mit seinem Fußball erwischt und Hach, Yosuke hängt dauernd mit Kazuya rum und…“ „PAPA!!!“, kreischte die Junge Frau flehend dazwischen. Wieder lachte er, diesmal laut schallend. Peinlich berührt wollte Momoko einfach in irgendein Loch versinken. Ihr Gesicht leuchtete wie eine Signalfackel. „Du bist ja so gemein.“, beschwerte sie sich eingeschnappt. „Schätzchen, du musst zugeben, dass du damals fast kein Abendessen ausgelassen hast, um wie ein Rohrspatz über ihn zu schimpfen. Ich dachte immer: Entweder hassen sie sich wirklich, oder sie stellt ihn mir eines Tages noch als ihren Freund vor.“ Shôichirô grinste immer noch breit und holte schon mal Teller aus dem Schrank, die er zusammen mit Besteck und der Teekanne zum Esstisch trug. „Schön, dass ihr eure Differenzen klären und euch anfreunden konntet.“ Wie angewurzelt, mit verschränkten Händen vor sich auf der Arbeitsplatte, versuchte Momoko sich zu fangen und zusammenzureißen, während ihr Vater außerhalb der Küche abgelenkt war. So hatte er das also wahrgenommen? Was sich liebt, das neckt sich? Waren das nicht sogar auch schon damals die Worte ihrer Freundinnen gewesen? Hatte es tatsächlich schon immer eine Verbindung oder zumindest eine gewisse Spannung zwischen Yosuke und ihr gegeben, in die man mehr hineininterpretieren konnte, als sie selbst sich bewusst gewesen waren? Das Schicksal hatte ein wirklich eigenartiges, morbides Spiel mit ihnen bis hier her getrieben. „Kommst du mit dem Essen?“ „Ja, na klar!“ Sie holte tief Luft und schluckte die Traurigkeit hinunter, die sich an die Oberfläche zu kämpfen versuchte. Der Reiz, sich an die Brust ihres Vaters zu werfen und ihm alles zu gestehen, wuchs mit jedem Wimpernschlag. Aber sie musste tapfer sein; für ihn, für sich, für Yosuke. Kapitel 58: Shôichirô --------------------- Bis spät in die Nacht hinein hatten er und Momoko sich noch unterhalten. Hauptsächlich über das Essen; wie es in der Klinik schmeckte und wie es war, wieder Zuhause zu essen. Seine Tochter hatte das Thema schnell darauf gelenkt und ging auch in den Stunden danach nicht weiter auf ihre Freundschaften oder den Kurztripp ein, zu dem sie aufbrechen wollte. Selbst dann nicht, wenn er konkrete Fragen dazu stellte, mehr als eine knappe Antwort, die nur das Nötigste enthielt, bekam er nicht. Er hatte das Gefühl, dass sie dieses Thema mit Absicht mied und nachdem er sie bereits genug genötigt und ausgequetscht hatte für einen Tag, erschien es ihm nur fair, ihr ihren Willen zu lassen. Abends waren sie noch zusammen durch ihr Viertel spaziert. Das Wetter war schön gewesen; angenehm warm, aber nicht zu schwül. Über das Fotografieren und mögliche Jobs hatten sie noch geredet und später sogar noch ein bisschen über frühere Zeiten. Es war nicht immer möglich gewesen, Momoko als Kind bei Nachbarn oder Freunden unterzubringen, wenn er zu einem Fototermin gerufen wurde. Vor allem an den Wochenenden, an denen es keine Kinderbetreuung gab, war er oftmals gezwungen gewesen seine kleine Tochter mitzunehmen. Vielleicht fing sie deswegen an sich für die Fotografie zu interessieren. Bald schon, als sie dann älter war, half sie ihm sogar; knipste auf Veranstaltungen gemeinsam mit ihm aus verschiedenen Blickwinkeln und half ihm mit dem Equipment und beim altmodischen Entwickeln der Fotos. Sie hatte so viel Spaß an dieser Arbeit und Talent außerdem. Es war ein Jammer, dass all ihre Ersparnisse für ihre berufliche Zukunft so gut wie aufgebraucht waren, weil sie das Haus durchbringen musste und ihr Nebenjob gerade mal für das Nötigste reichte… Shôichirô erinnerte sich daran, dass er Momoko zum Eintritt in die Mittelschule ihre eigene Kamera geschenkt hatte. Mit ihr fotografierte sie für die Schülerzeitung und blieb bis heute ihr wertvollster Besitz und Talisman. Aber er war sich sicher, wenn sie nicht für einen weiteren Nebenverdienst einsetzbar gewesen wäre, hätte seine Tochter auch dieses Stück für ein paar Yen versetzt, wenn es nötig gewesen wäre. Beim Abendessen war sie eher still geblieben. Das Strahlen ihrer Haut und das Leuchten in ihren Augen war bereits beim Mittagessen wieder verschwunden gewesen und wollte sich auch mit keiner noch so lustigen Anekdote aus ihrer Kindheit wieder hervorzaubern lassen. Obwohl sie lachte und lächelte schien sie etwas zu bedrücken. Sie wirkte zu erwachsen für ihr Alter. Inzwischen war es spät geworden und Momoko lag bereits im Bett. Er selbst war noch etwas ruhelos und saß ohne sinnvolle Beschäftigung auf der Couch und starrte den leeren Fernsehtisch an. Jetzt ein paar Nachrichten oder eine alte Sportaufzeichnung, die ihn etwas einlullen würden, das wäre gut. Er verspürte keinen Drang zu trinken und es war auch nichts im Haus, aber die Langeweile machte ihm Sorgen. Die Angst, den Drang möglicher Weise wieder verspüren und ihm am Ende nicht widerstehen zu können, saß in einer Ecke seines Bewusstseins und lauerte. Man hatte ihm beigebracht mit diesen Ängsten und den Zwangsgedanken umzugehen, trotzdem bedrückte ihn die Stille in dem einsamen Haus. Es fehlte ihm an Beschäftigung, denn nicht mal ein Radio oder Computer konnte er einschalten! Er stand auf und lief ein bisschen durch das Erdgeschoss. Dann stand er vor der Kellertür und ihm viel es wie Schuppen von den Augen, dass er dort ganz sicher etwas Ablenkung finden würde. Begeistert stieg er hinab und schaltete erst das rötliche Licht an, um zu prüfen, ob er auch keine frischen Aufnahmen ruinieren konnte. Erst danach das helle Flutlicht der Leuchtstoffröhren. Es roch vertraut nach Entwicklungschemikalien und dem leichten Muff eines kühlen Kellers. Die alten Wäscheleinen hingen immer noch an Ort und Stelle und an ihnen hingen unzählige Fotos, die schon vor Tagen oder länger entwickelt und zum Trocknen aufgehangen wurden. Shôichirô nahm sich eine leere Ablage und fing an die Bilder abzuhängen und sorgfältig zu stapeln. Auf allen war dasselbe Motiv zu sehen, nur immer zu einer leicht veränderten Zeit, aus einem anderen Winkel geschossen oder mit dem Fokus auf einem anderen Bildausschnitt. Er erkannte sie, seine Heimatstadt am Morgen, vor einem glühend orangefarbenen Sonnenaufgang. Gleißendes Rot auf den Spitzen der Hügel, Lila Wolken und sattgrüne Baumkronen, die ihren Farbton je nach Sonnenstand veränderten. Von wo sie geschossen wurden konnte er nur erahnen. Momoko musste an einem hoch gelegenen Ort gewesen sein. Außerhalb der Stadt, irgendwo auf einem Hügel, der bestimmt nicht zum Wandern gedacht war, denn sonst wäre er selbst in all den Jahren schon ein Mal dort gewesen, um ebensolche Fotos zu machen. Es war eine wunderschöne Bilderreihe und es war schwer zu sagen, welches Foto am gelungensten war. Nur eines beschäftigte ihn – wie war seine Tochter an diesen Ort gelangt? War sie von selbst auf diese Idee gekommen, so früh aufzustehen und einen unerschlossenen Hügel zu erklimmen, nur um solche Bilder zu machen? Ganz abgesehen davon, wie sie dorthin gelangt war… möglicher Weise war das ein Date mit ihrem Freund gewesen? Das war denkbar. Was gab es schließlich romantischeres, als sich gemeinsam einen Sonnenauf- oder untergang anzusehen? Solche Dinge hatte er einst mit seiner Frau auch getan. Shôichirô seufzte schwermütig bei dem Gedanken an seine Geliebte, deren Tochter fast genau ihr Abbild war. Fertig mit Einsammeln und Bestaunen der Bilder, fühlte er sich bereits deutlich ruhiger und ausgeglichener. Das war ein guter Zeitpunkt, um schlafen zu gehen, also löschte er das Licht, verließ den Keller und stieg die Treppen ins Obergeschoss hinauf. Momokos Zimmertür stand einen Spalt breit offen und er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zu ihr reinzuschlüpfen und zu prüfen, ob sie auch wirklich schon schlief. Obwohl sie längst volljährig war, fühlte es sich kein bisschen anders an als damals, als sie noch ein kleines Mädchen war und er sie nachts regelmäßig noch mal zudeckte. Ein Kind blieb ein Kind, egal wie alt und reif es schon war. Das änderte gar nichts an seinen Gefühlen für sie. Das graublaue Mondlicht fiel durch ihre Gardinen auf den Teppich neben ihr Bett. Auf leisen Zehen schlich er sich hinein. Ihr Zimmer war aufgeräumt, nur auf dem Schreibtisch herrschte ein kleines, kreatives Chaos, das er nur allzu gut von sich selbst kannte. Künstler eben, er schmunzelte. Das Bett und ihr Gesicht lagen im Schatten, aber bei genauerem Hinsehen war er sich sicher, dass Momoko tief und fest schlief. Ihre regelmäßigen Atemzüge und die gelegentlichen Seufzer bestätigten ihn darin. Vorsichtig zog er am oberen Ende ihrer Bettdecke, um sie noch etwas höher über ihre Schultern zu ziehen, als etwas vom Bett rutschte und vor seine Füße fiel. Wie zu Eis erstarrt rührte er sich keinen Zentimeter vom Fleck und verbot sich auch nur zu atmen. Momoko seufzte ein Mal lang, schmatzte genüsslich im Schlaf und regte sich ansonsten nicht weiter. Langsam atmete ihr nächtlicher Besucher aus und trat einen Schritt zurück. Möglicherweise war er doch langsam zu alt dafür, nachts noch mal nach seiner erwachsenen Tochter zu sehen. Würde sie ihn dabei erwischen, könnte sie das eventuell als Eingriff in ihre Privatsphäre auffassen. Wo er gerade dabei war, spähte er nach dem unbekannten Objekt, das ihn beinahe verraten hätte. Es war nur ein kleines Heft, ein Notizbuch vielleicht. Er bückte sich danach, um es aufzuheben und dabei flatterten zwei Seiten heraus. Gern hätte er genervt aufgestöhnt, aber das verbot er sich. Er griff nach den beiden Zetteln und wollte sie gerade wieder irgendwo zwischen den Seiten verschwinden lassen, in der Hoffnung, dass ihr nicht auffiel, dass sie nicht an der richtigen Stelle waren, als er verdutzt bemerkte, dass es sich hierbei um Fotos handelte. Vage erkannte er Schemen darauf, die ihn neugierig machten, also hielt er sie etwas mehr ins Mondlicht. Dann stutzte Shôichirô heftig, denn auf beiden Bildern war nicht viel anderes abgebildet, als ein und derselbe junge Mann. Ein Foto von ihrem Verlobten hätte ihn vielleicht verstört, aber nicht verwundert. Zwei Bilder von Yosuke Fuma jedoch machten ihn sprachlos und warfen eine Menge Fragen auf. Er legte das Notizbuch zurück und verließ das Zimmer genauso leise und fast so spurlos, wie er gekommen war. Nach einer Ablenkung hatte er gesucht, aber dass er ausgerechnet im Zimmer seiner Tochter eine finden würde, die ihn über die Maßen und auch noch die nächsten Tage und Nächte beschäftigen würde, hatte er nicht erwartet. ~*~ Der Sonntag kam und ging, die Zeit mit Momoko verging viel zu schnell. Vor allem weil Shôichirô in jedem Gespräch, das sie beide führten, immer darauf hoffte etwas aus seiner Tochter herauszubekommen, dass seinen Fund letzte Nacht erklären würde. Doch nicht mal, als er sie für die schönen Fotos im Keller lobte und beiläufig fragte, was sie denn in letzter Zeit sonst noch alles fotografiert hatte und ob sie auch noch Bilder von Schulsportlern machte, war etwas aus ihr herauszubekommen. Im Gegenteil, sie machte dicht und wirkte immer verschlossener, je mehr er über ihre Aufnahmen herausbekommen wollte. Und das obwohl sie ihm stolz Umschläge voller Abzüge zeigte, die sie von ihren kleineren Fotografenjobs doppelt angefertigt hatte. Es waren allesamt einwandfreie Bilder, aber auf keinem war der ominöse Hügel, ein Fußballspieler oder ihr Verlobter zu sehen. Nicht einmal ihre Freundinnen. Es gab nicht viele Erklärungen dafür, warum eine Frau Bilder von einem Mann an einem untypischen, fast schon geheimen Ort aufbewahrte. Zwar war er selbst ein gestandener Mann der solche Marotten nie gehabt hatte und auch nicht viel von der Pubertät des weiblichen Geschlechts verstand, aber dass das verdächtig war, hätte selbst ein Blinder erkannt. Die Vermutungen, die er anstellte, deckten sich gut mit Momokos Reaktionen, die sie am Vortag bei dem kurzen Gespräch über den jungen Torwart gezeigt hatte. Nur der Rest wollte so gar nicht passen. Nicht mal annähernd… Leider verließ ihn seine Tochter am Montagmorgen und ließ ihn genauso ratlos zurück, wie zuvor. Voller Vorfreude hatte sie ihren Freund begrüßt, das perfekte Lächeln aufgesetzt und sich überschwänglich von ihrem alten Herrn verabschiedet. Es gab augenscheinlich keinen Grund anzunehmen, dass etwas zwischen ihr und Takuro nicht in Ordnung war. Nur sein Bauchgefühl, das ihn nicht ruhen ließ, seit er von ihr und dem engagierten Japaner erfahren hatte. Womöglich interpretierte er zu viel in die zwei Fotos hinein? Bewarte Momoko sie vielleicht für einen bestimmten Zweck auf? Hatte sie damit nur etwas Spezielles vor? Waren sie am Ende gar nicht für sie selbst? Es kam so weit, da brauchte Shôichirô Ablenkung von der Ablenkung. Töchter zu haben, die erwachsen wurden, brachte ungeahnten Kummer mit sich. Den Spruch „Kleine Kinder, kleine Sorgen – Große Kinder, große Sorgen“, begann er langsam zu verstehen. Entschlossen setzte er sich gegen Mittag an den Esstisch, auf dem noch die ganzen Briefe und Papiere lagen, die er mit Momoko Tags zuvor bereits ein Mal grob durchgegangen war, und fing an sie zu sortieren. Daran saß er eine ganze Weile und tatsächlich half ihm die Tätigkeit auch über seine Sorgen zu Momokos Privatleben hinweg. Die Türklingel unterbrach ihn schließlich bei seiner Arbeit. Eigentlich hätte er gelassen darauf reagieren müssen, aber er erwartete keinen Besuch und rechnete auch nicht mit einem Paketboten. Und wenn Momoko, aus welchem Grund auch immer, unangekündigt zurückgekehrt wäre, dann hätte sie sicher ihren Schlüssel benutzt. Konnte das etwa ein Gerichtsvollzieher mit einem Vollstreckungsbeschluss sein?! Automatisch starrte er noch mal auf die Stapel sorgfältig sortierter Briefe. Keine der durchgesehenen Mahnungen war so akut gewesen, dass eine solche Maßnahme bereits nötig wäre! Mit einem mulmigen Gefühl und feuchten Händen machte er sich auf zur Haustür und ging dabei mehrere Szenarien durch, auf die er reagieren können würde. Doch als er die Tür öffnete und sah, wer ihm da einen unangekündigten Besuch abstattete, war klar, dass er sich darauf selbst im Traum nicht hätte vorbereiten können. Kapitel 59: Arrival ------------------- An der Ostküste Japans herrschte vor allem im allgemein als kurz bekannten Sommer ein heißes und schwüles Klima. Das wurde Yuri an diesem Mittag wieder bewusst, als die Sonne vom wolkenlosen Himmel auf sie herab brannte, sich ihre Haare aber trotzdem in der Luftfeuchtigkeit kräuselten. „Was für ein Wetter!“, stieß sie schnaufend aus. Ihrem Freund Kazuya, der hinter ihr einen großen Reisekoffer mit sich zog und gleichzeitig eine kaum kleinere, schwere Tasche schulterte, war dabei nicht ganz klar, ob sie das positiv meinte oder nicht. Vor Kurzem erst hatte der junge Mann in Tokyo seinen Führerschein gemacht, was ihm und Yuri ermöglichte gemeinsam bequem mit dem Auto zu reisen, statt mit Zügen oder Bussen. Da standen sie nun, inmitten idyllischer Wäldchen aus tropischen Laubbaumgewächsen, Dickblattsträuchern, Palmen, Farnen und jeder Menge Schwarzkiefern. Zwischen den grünen Hügeln, die sich zur Küste hin senkten, lagen ein paar wenige, kleine Hotels und der Parkplatz, auf dem sie Kazuyas geliehenen Wagen zurückgelassen hatten. „Hast du eine Ahnung, wo entlang wir müssen?“ Die Dunkelhaarige zog sich die große Sonnebrille mit den dunklen runden Gläsern, die sie auf ihrer feinen Nase trug, etwas herunter und schaute über sie hinweg auf ein auseinandergefaltetes Blatt Papier, mit einer aufgekritzelten Wegbeschreibung darauf. Die Brille war eigentlich ein unnötiges Accessoires, da die breite Krempe ihres weißen Sonnenhutes die Sonne mehr als genug von ihrem Gesicht abschirmte, aber sie liebte ihre stilvollen Auftritte nun mal, bei dem jedes Outfit rundum stimmig war. Stilvoll wie ein Filmstar schüttelte sie ihr welliges Haar auf. Sie trug Hut und Brille zu einem kurzen, ebenfalls weißen und trägerlosen Jumpsuit, filigranen Riemchensandalen und ergänzte das Ganze durch eine große grüne Stofftasche. Sie machte optisch ihrem Stand als Tochter einer Designerin alle Ehre. „Das Gekritzel, das Takuro uns per Fax geschickt hat, ist nicht besonders detailliert, aber ich glaube, wir müssen einfach durch das Wäldchen da vorne, neben dem kleinen Hotel, und dann geht es immer geradeaus Richtung Strand.“ Der Blonde spähte in die ausgewiesene Richtung und schluckte. „Sind das Stufen?“ Sie kamen näher und Kazuyas Befürchtung bewahrheitete sich. Zwischen den hohen Kiefern, durch deren lichte Kronen das Sonnenlicht in konzentrierten Strahlen auf den Boden fiel, in denen kleine Staubpartikel tanzten, führte eine alte und weitläufige Treppe nach unten. „Da runter müssen wir? Man kann den Strand noch nicht einmal sehen.“, hinterfragte er mit besorgtem Blick auf ihr üppiges Gepäck. Sportler hin oder her, bei dem Klima Gewichte jeder Art zu bewegen war kein Vergnügen. Yuri faltete ungerührt das Papier wieder zusammen, steckte es weg und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. „Wenn die Beschreibung stimmt, dann ist am Ende der Treppe unser Treffpunkt. Es geht doch bergab. Ich helfe dir auch mit der Tasche.“ „Um dem Weg nach unten mache ich mir kaum Sorgen, sondern um das wieder rauf auf unserem Rückweg.“ Seine hübsche Begleitung drehte sich in einer eleganten Drehung zu ihm herum und beglückte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Aber bis dahin sind es ja noch ein paar Tage, in denen wir uns ganz viel erholen und Spaß haben werden.“ Sie schritt auf ihn zu und legte verliebt ihre Arme um seine Taille. „Ich massiere dich auch heute Abend, in Ordnung?“ Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und nickte. Natürlich war das in Ordnung. „Ein angemessenes Trinkgeld für einen Packesel.“, witzelte er und küsste sie kurz auf die Nase, die sich ihm entgegen reckte. Yuri lachte schüchtern und griff nach einem der Träger der Reisetasche. Eine gefühlte Ewigkeit später unten angekommen, waren sie beide völlig außer Atem. Die Treppe war länger und steiler, als sie auf den ersten Blick ausgesehen hatte. „Herrje, ich bin ganz verschwitzt!“, klagte die junge Frau atemlos und fächerte sich ein paar Augenblicke lang verzweifelt mit ihrem Hut Luft zu. Kazuya hievte mit letzter Kraft den Koffer einige Meter über den Sand zu ihr herüber und ließ dann alles schnaufend fallen. „Schatz, du hast eindeutig zu viel Gepäck dabei! Was ist in dem Koffer alles drin? Wir sind doch nur ein paar Tage hier.“ „Nur das Nötigste! Klamotten für jeden möglichen Anlass; für jedes Wetter natürlich, dann passende Schuhe, ein paar Bikinis, Kosmetikartikel…“ „Schon gut, so genau wollte ich es gar nicht wissen.“, keuchte er abwinkend. Er kannte seine Freundin und war es schon von ihren seltenen Besuchen bei sich in Tokyo gewohnt, dass sie immer für jeden Fall ausgerüstet war. Yuri zückte ein Haarband aus ihrer Tasche und machte sich einen Seitenzopf, der über ihre Schulter nach vorne hing und ihrem feuchten Nacken Luft verschaffte, während sie sich am Strand nahe dem Wasser umsah. Das Meer war perfekt; türkis und klar. Der Übergang vom weißen Sand ins Wasser war seicht und hindernisfrei. Die Wellen schlugen ruhig auf den Strand und salzige, feuchtwarme Winde wehten zu ihnen heran. „Wunderschön, aber weit und breit keine Momoko und auch keine Bank zum Ausruhen.“, stellte sie fest. Rechts von ihnen lagen große Findlinge im Wasser und erstreckten sich in einer Reihe bis in den Wald hinter ihnen. Wie eine Grenze zwischen ihnen und dem, was auf der anderen Seite des Strandes lag. Links zog sich die Küste in einem sanften Bogen immer weiter nach innen, wie um eine Insel. Keine Menschenseele war zu sehen und auf den ersten Blick auch kein Haus. Nur Sand, Steine und Muscheln; außerdem in der Ferne eine kleine, verkokelte Feuerstelle mit Treibholz drum herum. „Es ist unglaublich verlassen hier.“, stellte sie fest. „Oben stand auf der Hälfte der Treppe ein Schild, dass das ein Privatstrand ist.“, bemerkte ihr immer noch überhitzter Gepäckträger. Ihre grünen Augen weiteten sich unbemerkt hinter den großen Gläsern, bei dieser Erkenntnis. Sie wollte gerade in ihrer Handtasche nach ihrem Telefon wühlen, als hinter ihr eine bekannte, schrille Stimme ertönte. „Hallo Leuteee~“, rief diese irgendwie übertrieben künstlich. Das bereits angekommene Paar drehte sich nach dem um, das gerade den Fuß der Treppe passierte. „Hiromi.“, stellte Yuri wortkarg und wenig begeistert fest, rang sich aber ein Lächeln ab. „Und Yosuke.“, ergänzte sie, als dieser hinter dem Rücken seiner Begleitung auftauchte. Er nickte ihnen freundlich zu und seine Lippen formten ein leises „Hi.“. Genau wie Kazuya zuvor schleppte er mit krummen Rücken, schwitzend und stöhnend das Gepäck über den unbefestigten Weg zu ihnen heran. Allerdings mühte er sich mit gleich zwei monströsen Koffern und einer zusätzlichen Reisetasche ab, die er irgendwie in einer umständlichen Figur noch unter seinen Arm geklemmt bekommen hatte. Die Dunkelhaarige lehnte sich kaum wahrnehmbar und mit verschränkten Armen zu ihrem Freund hinüber. „Und du sagst, ich habe zu viel Gepäck?“, flüsterte sie leise durch das Gemurmel der Wellen. Mit mitleidigem Blick auf seinen Freund antwortete er ihr ebenfalls murmelnd: „Ich nehme alles zurück.“, und ging ihm helfen. „Wahnsinn, wie schön das Meer ist!“, jubelte Hiromi, die quietschvergnügt als erstes bei Yuri ankam und ihren Freund - der so rot vor Anstrengung angelaufen war, dass man Angst haben konnte, dass er im nächsten Moment einfach ohnmächtig mit dem Gesicht voran in den Sand fiel - unbekümmert sich selbst überließ. „Schön auch dich wiederzusehen, Hiromi.“, grüßte die Dunkelhaarige spitz. „Ach ja, entschuldige bitte! Da vergesse ich doch glatt meine guten Manieren!“ »Nicht nur die«, dachte ihr Gegenüber bei einem kurzen Blick auf Yosuke, der sich dankbar für Kazuyas Hilfe nun völlig fertig auf einen der Koffer abstützte und nach Luft schnappte. Sein Kumpel reichte ihm aus seiner eigenen Reisetasche eine kleine Wasserflasche, die er in einem Zug zur Hälfte leerte. „Ich bin ganz erschöpft, in den Bussen war es sooo heiß! Keine Klimaanlage hat funktioniert!“, erzählte Hiromi ungerührt weiter und wedelte sich mit der Hand Luft zu. Yuri musterte die Lilahaarige kritisch von Kopf bis Fuß. Sie hatte zum ersten Mal keine albernen Schleifen im Haar, sondern trug ihre kurzen Schillerlocken offen unter einem ähnlichen Hut wie ihren. Ihr kleiner, blasser Körper versteckte sich unter einem weiten, knielangen Volantkleid in Kanariengelb, zu dem sie unbekümmert rote Flip Flops mit glitzernden Herzen auf der Zehenschnalle trug. Ihre Oberlippe kräuselte sich während sie sich in Gedanken eingestand, dass dieses Mädchen wusste, wie man sich nach außen hin als süß präsentierte. „Du hast ja gar keine Tasche dabei.“, bemerkte Yuri als Seitenhieb darauf, dass sie ihren Freund ohne Mitleid alles schleppen ließ und immer noch keines Blickes würdigte. „Das ist alles in den Koffern. Yosuke lässt nicht zu, dass ich in meinem Zustand etwas Schweres hebe.“ Sie klimperte verliebt mit ihren Augen in seine Richtung und winkte ihm zu, als er sein Gesicht kurz zu ihr hin drehte, weil er seinen Namen gehört hatte. Yuri hob kritisch eine Augenbraue. „Na sicher.“, entgegnete sie ungerührt. „Habt ihr Momoko und Takuro schon gesehen?“, fragte Kazuya und wechselte das Thema damit schnell. Yosuke akklimatisierte sich langsam wieder und strich sich das Haar aus der Stirn. Es war länger als gewöhnlich. Als Fußballspieler trug er es immer recht kurz, doch jetzt hing ihm ein ordentlicher Pony ins Gesicht, der dringend ein anständiges Styling nötig hatte. Auch an den Ohren und im Nacken lagen die Haare länger, was seiner Erscheinung eine unzähmbare Note verlieh und ihn älter machte. Yuri musste zugeben, dass aus ihm ein sehr gutaussehender Typ geworden war. „Nein, haben wir nicht. Habt ihr denn schon von ihnen gehört? Wir wollten uns doch mittags hier treffen?“ Er verschränkte seine Arme genau wie sie und lehnte sich lässig gegen einen der Koffer. Sein Blick musterte ernst und kritisch die Umgebung. Kazuya und seine Freundin wechselten einen vielsagenden Blick, ließen sich aber ihre Gedanken nicht anmerken. „Ganz schön einsam hier.“ „Privatstrand.“, erklärte Yuri Yosuke knapp. Als er genauso verblüfft dreinschaute, wie sie zuvor, nickte sie ihm wissend zu. Ja, es war gruselig zu wissen, dass das hier alles quasi zu Takuros Familienbesitz gehörte. „Wow! Warum wussten wir eigentlich früher nie davon, dass seine Familie so steinreich ist? Er hätte viel mehr Freunde gehabt, dann hätte sogar ich mehr mit ihm geredet.“, erklärte Hiromi staunend. „Weil er mal schüchtern und bescheiden war und genau mit solchen Leuten nichts zu tun haben wollte, die nur am Finanzstatus anderer messen, ob du cool bist oder nicht.“, antwortete ungefragt eine neue Stimme hinter ihnen. „Hinagiku!“, stellte Yuri freudig fest und lief ihr für eine Umarmung durch den feinen Sand entgegen. „WÄRGS, du klebst ja!“, meckerte sie halbherzig und schob die lachende Dunkelhaarige wieder ein Stück weit von sich weg. Die burschikose junge Frau kam mit nicht viel mehr als einem großen Reiserucksack auf dem Rücken daher. Ihr Teint war bereits golden wie von der Sonne geküsst und fast so braun wie Yosuke. Aktiv wie sie war, trainierte sie in ihrer Freizeit viel an der frischen Luft und scherte sich nicht um die vornehme, japanische Blässe. Ihr Outfit war für sie deswegen auch hier typisch sportlich und bequem ausgefallen: Ein unifarben rotes Trägertop und eine kurze, ausgefranste Jeans-Shorts zu hellen Turnschuhen. Auch ihre Haare waren etwas gewachsen, sodass sie im Nacken ein ganz kurzes Zöpfchen zusammenbekam, während die Haare über ihren Ohren immer noch herab hingen und ihr Gesicht einrahmten. Ein Basecap mit dem Logo ihrer Lieblingsmannschaft trug sie als Sonnenschutz auf dem Kopf. Mit lässig erhobener Hand grüßte sie ein Mal in die Runde. „Hi Jungs und Mädels.“ Ihr Gehabe wirkte etwas steif, als ihr Blick über Yosuke und Hiromi glitt, der nach Hinagikus Bemerkung das künstlich breite Grinsen wie eine Maske ins Gesicht gebrannt war. Es herrschte in diesem Moment nicht unbedingt die lockerste Stimmung zwischen ihnen allen. „So, dann sind wir ja fast vollzählig! Fehlen nur noch unsere Gastgeber!“, versuchte Kazuya wieder die immer spannungsgeladenere Stille zu durchbrechen. „Hat schon mal jemand versucht sie anzurufen?“, fragte die Kurzhaarige. Gemeinschaftliches Kopfschütteln war die Antwort. „Ich hatte es aber gerade vor, bevor ihr Drei hier nacheinander angekommen seid.“ Yuri wühlte daraufhin wieder in ihrer Tasche und zückte endlich das Handy, mit dem sie Momokos Nummer wählte. Yosuke, dem die Finger und Oberarme von dem Weg die Treppe herunter immer noch schmerzten, fühlte sich wie die anderen etwas unwohl in dieser Runde. Die Blicke aller Anwesenden wanderten immer wieder zwischen ihnen umher von einem zum anderen. Für ihn fühlte es sich ein wenig an wie ein Spießroutenlauf. So versuchte er in den hellen, graugrünen Augen seines besten Freundes eine Antwort darauf zu finden, ob zwischen ihnen alles ok war. Was dachte er gerade? Hielt er sich an sein Versprechen, nichts zu sagen und sich neutral zu verhalten? Er schaute danach zu Yuri und fragte sich bei ihrem Blick, ob Kazuya sie eingeweiht haben könnte oder ob sie noch an den Abend in dem Club dachte - und falls ja, wie viel Schlimmes er möglicherweise von ihr zu befürchten hatte. Doch beide sahen ihn nicht kritischer an als sonst. Vielleicht verschwendete niemand von beiden gerade einen Gedanken daran, was sie über ihn und Momoko wussten oder mit ihnen erlebt hatten? Nur Hinagiku schaute etwas grimmig in seine Richtung, aber da Hiromi direkt neben ihm stand, schob er ihre finstere Miene ihr zu. Seine Freundin lächelte weiterhin stoisch in jedes Gesicht, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie keineswegs vergessen hatte, wie wenig Anklang ihre Persönlichkeit unter den Mädchen hier fand. Wenigstens riss sie sich zusammen und machte keine bissigen Kommentare. Dieses Versprechen hatte er ihr bereits auf der Fahrt hierher abgenommen. Hoch und heilig hatte sie in ihrer Euphorie geschworen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Yosuke hoffte einfach, dass sie das auch halten würde. Alle schwiegen und warteten weiter darauf, dass Yuri endlich ihre Freundin ans Telefon bekam. Er verschränkte seine Finger im Schoß und betrachtete sie nachdenklich, ohne dabei wirklich hinzusehen. Ewigkeiten hatte er nichts mehr von Momoko gehört; bis auf eine kurze SMS am Vorabend, in der sie ihm geschrieben hatte, dass sie sich auf den Urlaub freue und wann sie sich mit ihnen treffen wollten. Auch er hatte sich gefreut, aber je länger sie keinen Kontakt zueinander gehabt hatten, desto mehr war die Anspannung gewachsen. Hier und jetzt war sie unerträglich – wie würde sie ihm gegenüber treten? War zwischen ihnen immer noch alles ok? Hatte sie ihn in den letzten Wochen so vermisst, wie er sie? Wäre sie in der Lage sich das nicht anmerken zu lassen? Kinderleicht hatte er sich einen gemeinsamen Urlaub mit allen vorgestellt und sich eine Zeit lang nichts sehnlicher gewünscht als das. Jetzt wo es real und greifbar geworden war, fühlte er sich etwas befangen und unsicher. Yosuke schloss die Augen und stellte sich vor, wie Momoko die Treppe zum Strand herabsteigen würde. Wie sie darauf achten würde in ihrer Tollpatschigkeit nicht auf den Stufen zu stolpern und wie sie ihn vielleicht anlächeln würde, wenn sie ihn vor sich sähe. Sein ohnehin nervöser Puls beschleunigte sich. Aber in seinem Unterbewusstsein schwelten leise Ängste, die sich dort in der kontaktfreien Zeit eingenistet hatten. Er hatte nicht vergessen, wie merkwürdig traurig und distanziert Momoko bei ihrer Verabschiedung in seiner Wohnung gewirkt hatte. Dieses Verhalten hatte sie auch später am Telefon gezeigt, als er ihr Hiromis Antwort zu dem Kurztrip übermittelt hatte - und auch in den Wochen danach, in denen er und seine Mitbewohnerin genau wie sie im Prüfungsstress versunken waren, hatte sie das nicht abgelegt. Darüber konnten ihn auch ihre großzügig gesetzten Emojis in den kurzen und seltenen Textnachrichten nicht hinwegtäuschen. Ihre Nachrichten fühlten sich kurz angebunden und erzwungen an. Erst beim Grübeln über all diese kleinen Dinge war seine jetzige Unsicherheit überhaupt entstanden. Oder bildete er sich das vor lauter Angst, dass es wirklich so sein könnte, nur ein? „Momoko, hi!“, sagte Yuri endlich erleichtert. „Wir sind schon alle unten am Strand, wo wir uns treffen wollten. Wo bleibt ihr denn?“ Sie hörte gespannt zu sah dabei niemand bestimmten an. „Ach, ihr seid schon auf der Treppe?“ Yosukes Herz rutschte plötzlich nach unten. „Na dann, bis gleich.“ Sie legte auf, steckte ihr Mobiltelefon wieder weg und drehte sich erwartungsvoll zum Waldstück um, was ihr alle anderen gleichtaten. Sogar Hiromi, die sich mit Momoko wahrscheinlich noch am wenigsten verstand, reihte sich ganz vorne im Empfangskomitee mit ein. Unschlüssig darüber, was weniger verdächtig war – ihr als Erster entgegenzurennen oder sie bis zum Schluss mit Gleichgültigkeit zu behandeln – tat er mit in die Hose gesteckten Händen so, als würde er seine Schuhspitze interessiert mustern. Währenddessen schlug ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals. „Da seid ihr ja endlich!“, rief Hinagiku schließlich als Erste. Reflexartig hob Yosuke seinen Kopf und schaute nun doch hinüber. Takuro und Momoko mühten sich gemeinsam mit je einem mittelgroßen Koffer ab und überwanden Stufe um Stufe mit hochkonzentriertem Blick. Von dem unkontrollierten Impuls, helfen zu wollen, getrieben, stand er auf, haderte aber dann doch noch eine Sekunde mit sich. Da liefen ihnen an seiner Stelle bereits Kazuya und Hinagiku entgegen. Die kräftige Cappyträgerin half Takuro und sein ehemaliger Mannschaftskapitän gab dafür vor Momoko ganz den Gentleman. Eine Sekunde lang ärgerte Yosuke sich darüber, dass er nicht an seiner Stelle sein konnte, aber dann kam die Ernüchterung, dass es so doch besser war. Erleichterung vertrieb die negativen Gefühle rasch wieder. Sie hatte sich kein Stück in den letzten drei Wochen verändert, wie auch? Was hatte er denn erwartet? Ganz ohne Kopfbedeckung, mit ihren zwei Haarbändern in den langen, offenen Haaren und in einer maritimen Bluse ohne Ärmel, stolperte sie in einer engen Dreivierteljeans und Halbschuhen durch den Sand. Bei jedem Schritt drohten ihre Schuhe darin stecken zu bleiben, bis die junge Frau sie nach einigen Metern entnervt auszog und mit ihnen in der Hand barfuß weiter lief. Ein verschmitztes, peinlich berührtes Lächeln dabei auf den Lippen, das zum Mitlachen einlud. „Tut uns leid, dass wir zu spät sind! Wir standen hoffnungslos im Stau.“, erklärte sie schließlich völlig außer Atmen. Yosuke konnte seinen Blick einfach nicht von ihr abwenden, aber er konnte auch nichts sagen. Ihr Abbild brannte sich in seinen Kopf, wie ein schönes Gemälde, das er schon lange nicht mehr angesehen hatte. Es war Momoko, die auf alle nacheinander mit einer Umarmung oder einer Handreichung zuging und letztendlich auch bei seiner Begleitung und ihm angekommen war. „Hi, Hiromi. Ich freue mich, dass du zugesagt hast und auch gekommen bist.“, begrüßte sie sie mit erschreckend glaubwürdiger Freundlichkeit. Flehend schaute er seiner Partnerin ins Gesicht, der ganz eindeutig eine schnippische Bemerkung auf den Lippen brannte, aber da wand sich Momoko auch schon geschickt von ihr ab und ihm zu. „Hi, Yosuke.“, sagte sie knapp. Im ersten Moment reagierte er so perplex wie sprachlos, aber als sich das Lächeln auf ihrem Mund ihm gegenüber veränderte und ein bekannter Glanz in ihre Augen trat, erwiderte sein Körper das von ganz alleine. „Hi, Tollpatsch.“, hörte er sich selber neckend antworten. Sie rollte halbherzig beleidigt mit den Augen und schnaubte amüsiert, die Schuhe an den Hacken auf ihren Fingerspitzen balancierend. Eine Sekunde lang musterte sie ihn und er ertappte sich dabei, wie er genau das Gleiche bei ihr tat. Es waren keine Worte nötig, um seine Welt in diesem Moment wieder gerade zu rücken. Auch wenn sie ihm, genau wie bei Hiromi, die Hand zum Gruß verweigerte und sich schon wieder viel zu schnell für seinen Geschmack ihren anderen Freunden zuwendete, wusste er jetzt, dass er sich geirrt hatte. Momoko war weder traurig noch distanziert; unter dem Schleier der Zurückhaltung verbarg sie dieselbe Freude über ihr Wiedersehen wie er. Der Knoten in seinem Bauch löste sich gemeinsam mit seinen vorherigen Befürchtungen und der Nervosität auf. Dafür flatterte es darin vor Vorfreude über die kommenden Tage. Momoko atmete auf; der erste Kontakt mit Yosuke war überstanden und es war gut verlaufen. Mit unzähligen Mantras hatte sie ihr aufgeregtes Herz in den letzten Stunden während der Autofahrt zu beruhigen versucht, aber ihre Panik war ganz umsonst gewesen. Die Gegenwart ihrer engsten Freunde wog sie in vertrauter Sicherheit und zu groß war ihre Freude, sie alle wiederzusehen und Zeit mit ihnen verbringen zu können, als dass da noch viel Raum für Ängste blieb. Schon auf den Stufen der Treppe hatte sie ihn in der Ferne erspäht und gesehen, wie er nervös hinter den anderen stand und auf den Boden gestarrt hatte. Gut sah er aus – sehr gut. Wie seine Haare neuerdings fielen mochte sie, weil sie dazu einluden hemmungslos in ihnen herumzuwühlen. Ein Gedanke, dem sie nur flüchtig nachhängen konnte, da sie alle noch begrüßen musste. Hiromi gegenüberzutreten war hart. Ihre Abneigung gegen sie konkurrierte fieberhaft mit ihrem schlechten Gewissen und ließ deswegen kein eindeutiges Gefühl zurück, mit dem sie etwas anfangen konnte. Momoko wollte sie nicht hier haben und sich immer wieder vorführen lassen, dass Yosuke ihr fester Freund war, aber eigentlich war sie ihr auf der anderen Seite zu egal, um sich über ihre Anwesenheit zu ärgern. Schließlich war sie mit ihren Freundinnen in der Überzahl, also machte sie die gute Miene zum bösen Spiel, die ihr besser als erhofft von der Hand ging. Yosukes taktisch freche Begrüßung, die fast schon wieder an die alten Zeiten anknüpfte, machte es für sie leicht, sich von ihm abzuwenden. Keiner der anderen konnte darin etwas Verdächtiges hineininterpretieren. Hinagiku sah sie aus dem Augenwinkel sogar mit dem Kopf schütteln, als wollte sie „Typisch!“ sagen. „Ich möchte euch alle auch noch mal begrüßen und mich herzlich dafür bedanken, dass ihr meiner Einladung hier her gefolgt seid. Das bedeutet Momoko und mir sehr viel.“ Takuro tupfte sich mit einem Stofftaschentuch Schweißperlen von der Stirn und nahm auch kurz seine Brille ab, um den brennenden Schweiß aus seinen Augen zu wischen. Er verzichtete gleich ganz auf Umarmungen oder Händeschütteln und nahm eine formelle Haltung ein. „Bevor ich euch zur Unterkunft führe und die Gegend erkläre, möchte ich noch ein paar Dinge sagen, die mir auf der Seele brennen. Den wenigsten von euch hier stehe ich auch nur annähernd irgendwie nahe, obwohl wir einst Schulkameraden waren. In der Vergangenheit gab es sogar Spannungen zwischen manchen hier und mir.“, leitete er mit kurzem Seitenblick auf Yosuke ein. „Aber ich möchte nicht nachtragend sein. Die Tage, die wir hier zusammen verbringen, möchte ich gerne dazu nutzen, um mit allen hier ins Reine zu kommen. Wir sind ja inzwischen erwachsen und etwas reifer, wahrscheinlich auch klüger geworden und sollten nicht zuletzt Momoko zuliebe über diesen Dingen stehen. Nicht wahr?“ Hinagiku, die während seiner Ansprache in einer Tour mit den Augen rollte und Grimassen schnitt, wann immer er nicht zu ihr hinsah, räusperte sich laut hinter vorgehaltener Hand. Yuri verbiss sich ein Grinsen, als sie hinter dem unnatürlichen Laut als einzige das Wort „Schleimer!“ heraushörte. „Gott, Takuro! Du klingst nicht nur reifer, du klingst überreif! Hast du die Rede irgendwo aus ’nem staubigen Buch abgeschrieben? Selbst mein Opa is’ nich’ so stocksteif wie du.“ Mit offenen Mündern starrten alle das unverfrorene Mädchen an, das ihrem alten Sandkasten-Spielkameraden mit einem breiten Grinsen entgegen trat. „Hinalein… reizend wie eh und je.“, entgegnete Takuro zurückhaltend. Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie perplex ihn Hinagikus Offenheit dastehen ließ. Sie knuffte ihn kumpelhaft gegen den Oberarm. „War ’ne klasse Idee hier raus zu fahren. Ist ’ne gute Chance für dich etwas lockerer zu werden.“ Takuro rieb sich angeschlagen den Arm und rückte etwas unbeholfen seine Brille zurecht. So aus der Fassung gebracht hatten sie ihn das letzte Mal in der Mittelschule erlebt. Seine gespielte Coolness war wie weggewischt. „Äh, ja… das war auch so in etwa das, was ich noch abschließend sagen wollte. Jedenfalls, wenn wir alle die Vergangenheit ruhen lassen können, dann wäre es ja nicht unmöglich, dass wir die Chance nutzen und untereinander Freundschaften schließen.“ Hinagiku schüttelte resignierend den Kopf. Ganz so leicht ließ sich diese steife Marotte wohl nicht aus ihm vertreiben. Takuro sah wieder zu Yosuke, der unter seinem taxierenden Blick etwas verwirrt nach rechts und links schaute, um sich zu vergewissern, dass er auch tatsächlich ihn anstarrte. Mit zwei Schritten war der Schwarzhaarige bei ihm und nun staunten auch die anderen wortlos über das Vorgehen. Sein Blick war ernst und entschlossen, als er dem Torwart die Hand zum Gruß ausstreckte. „Fuma, ich muss mich wohl für mein Verhalten in letzter Zeit dir Gegenüber entschuldigen.“ Yosuke starrte ihn mit großen erstaunten Augen an, aber nicht nur er, auch die anderen wechselten sprachlos miteinander Blicke. Momoko hinter Takuro schien auch nicht gewusst zu haben, dass er so einen Schritt wagen wollte. „Bitte, das ist mir etwas unangenehm. Schließen wir Frieden?“ Mit einem Kopfnicken deutete er noch mal auf seine Hand, die immer noch unbeachtet in der Luft hing. Seine Anspannung war dem Brillenträger deutlich anzusehen; es kostete ihn alle Überwindungskraft, die er hatte. In seinen rotbraunen Augen glomm immer noch der Funke der Verachtung und Feindseeligkeit oder was immer es auch war. Trotzdem gab Yosuke sich einen Ruck und schlug ein, sein Blick ebenfalls fest und unnachgiebig. Es war unklar ob es ein Abkommen nur zum Schein war, damit er bei Momoko punkten konnte oder ob er es ernst meinte, aber noch misstrauisch dem jungen Sportler gegenüber war. „Ich erinnere mich an keinen Krieg, aber klar – Frieden.“, erklärte er mit vorgerecktem Kinn einem schwachen Lächeln. „Wow, ich bin sprachlos… Na dann, wenn jetzt alles geklärt ist, wollen wir?“, schlug Yuri vor und unterbrach damit den bannenden Blickkontakt zwischen den beiden ungleichen Männern. Sie lösten ihren Handschlag und die Spannung verflog. „Natürlich, dann wollen wir mal!“, antwortete Takuro erfreut darüber, wieder in die Rolle des großzügigen Gastgebers schlüpfen zu dürfen. Sie teilten die Gepäckstücke untereinander neu auf, damit niemand auf dem sandigen Weg zum Feriendomizil unter den Gewichten in der Schwüle umkippte. Takuro legte beim Losgehen betont einen Arm um seine Verlobte und bemerkte nicht, dass sie sich kurz nach Yosuke umsah, der gerade einen Koffer und die Tasche hoch hievte und ebenfalls zu ihr schaute. „Alles ok?“, fragten ihre Augen und mit einem schlichten Kopfnicken antwortete er darauf, kurz bevor sich Hiromi trotz seiner Last noch bei ihm unterhakte. Dass sie nicht die Schwere des Gepäcks meinte, sondern Takuros überraschendes Angebot, war beiden klar. Es würde sich bald zeigen, wie es sich auf die folgenden Tage auswirken würde. Kapitel 60: Day 1.1 – A glorious mess! -------------------------------------- Momokos verwirrter, leicht verunsicherter Eindruck stimmte Takuro höchst zufrieden. Mit seinem überraschenden Friedensangebot, dem Torwart gegenüber, hatte wohl niemand gerechnet; am allerwenigsten Yosuke selbst. Wäre dieser Schachzug nicht von Anfang an Teil von Takuros Plan gewesen, hätte dieser allein den Gedanken daran für unmöglich gehalten! Jetzt, da alle Anwesenden erstaunt schwiegen und ihm sein großzügiges Einlenken hoffentlich hoch anrechneten, wollte er sich für seine Raffiniertheit am liebsten selber auf die Schulter klopfen. Noch bevor er und Momoko zu diesem Ausflug aufgebrochen waren, hatte er einen Entschluss gefasst: Er würde diesen Kurztrip nutzen, um sie endgültig für sich zu gewinnen! Sein Plan zum Ziel umfasste mehrere Schritte; einer davon war, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verblüffen. Nicht so, wie er es sonst immer wieder versucht hatte - auf meist materielle Weise - sondern so, dass es ihr Innerstes berührte. Auf emotionaler Ebene. Unlängst hatte er erkannt, dass er die Zuneigung seiner Verlobten nicht allein mit Einfluss oder einer Aussicht auf Vermögen gewinnen konnte. Das war ihm prinzipiell ganz recht, denn eine gierige Frau war schließlich das Letzte, dass er wollte. Gerade ihre schlichte, bescheidene Art und ihre Herzlichkeit waren Eigenschaften, die ihn besonders verzauberten. Das ließ ihm allerdings gleichzeitig nicht viel Raum für Kreativität. So etwas lag ihm nicht... Aber wenn es um die Menschen ging, die ihr etwas bedeuteten, war Momoko wirklich leidenschaftlich. Dann schmolz die unsichtbare Wand, die Takuro manchmal zwischen ihnen fühlte. Obwohl sie sich deutlich spürbar Mühe gab und ihm inzwischen sehr entgegen kam, blieb immer eine gewisse Distanz bestehen. Es war ihm einfach noch nicht gelungen, die Schwelle zu ihrem Herzen vollständig zu überwinden. Der anscheinend einzige Weg dorthin führte für ihn über ihren Vater und ihre Freunde. In ihrer Gegenwart waren Momokos Freude und ihr Lächeln echt und herzlich. Beides bekam er nur noch selten zu sehen, seit sie damals zu dem Klassentreffen gegangen war. Sie vermisste seither etwas; sie wünschte sich die alte Zeit zurück. Genau dort musste Takuro ansetzen, wenn er ebenfalls zum Kreis ihrer Liebsten gehören wollte. In Herzensdingen fühlte er sich manchmal unbeholfen, was er sich aber niemals anmerken ließ und mit künstlichem Selbstbewusstsein überspielte. Dass auch das nicht immer klappte, hatte der Abend auf Momokos Sofa gezeigt… Alles was er hatte, um andere zu beeindrucken, waren seine herausragenden Noten und eben das Glück, eine wohlhabende Verwandtschaft zu haben. Momoko aber war anders gestrickt – für sie zählten Taten und eben die Menschen, die ihr nahe standen, und mit denen sie sich um jeden Preis uneingeschränkt umgeben wollte, wenn ihr danach war. Er hatte lange genug vergeblich versucht, das zu ändern; sie zu ändern und sich selber umzukrempeln. Sie wünschte sich nach wie vor Eintracht zwischen ihren Freunden und ihm, obwohl er keinen Hehl daraus machte, dass er etwas dagegen hatte? Dann sollte es eben so sein… Zähneknirschend nahm er dabei hin, dass ausgerechnet Yosuke Fuma neuerdings auch zu ihrem Freundeskreis gehörte. Wenngleich er daraus noch nicht schlau wurde und diesen Zustand misstrauisch betrachtete, war er bereit gewesen, diesen Kompromiss Momoko zuliebe einzugehen. Eifersucht und Verbote hatten Takuro in seiner Beziehung zu ihr schließlich nicht unbedingt weitergebracht. Jetzt war es an der Zeit, den Spieß umzudrehen und sich ihren Schwachpunkt zu Nutze zu machen, anstatt dagegen anzukämpfen. Sie war bereits sehr weit gegangen, nur um ihn endlich dazu zu bringen, sich mit ihren Freunden auseinanderzusetzen und seine ablehnende Haltung ihnen gegenüber zu überdenken. Wenn es das war, was ihm ihre Liebe sichern würde, dann war es nur ein kleines Opfer gewesen, über seinen Schatten zu springen und seine Zweifel und Vorurteile, Yosuke und den anderen gegenüber, abzulegen. Oberflächlich natürlich. Takuro lachte stumm und selbstgefällig in sich hinein. Ein ernsthafter Friedenspakt mit dem aufgeblasenen Torwart? Er unterdrückte ein abschätziges Kopfschütteln. Zwar glaubte er in Fumas Blick berechtigte Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Worte gesehen zu haben, aber das sollte ihn nicht kümmern. Es spiele schließlich keine Rolle, was er dachte, sondern nur das, was alle anderen und vor allem Momoko wahrnahmen. Der Fußballspieler bekam jetzt seine Chance, sich zu bewähren. Entweder würde Yosuke sich in den nächsten Tagen bei ihm einschleimen und gute Miene zum bösen Spiel machen, oder er würde vor Momoko und den anderen als Idiot dastehen. Beides war Takuro mehr als recht, weswegen er bei der Vorstellung daran vergnügt sein Kinn vor reckte und wie ein eitler Graf über den Strand stolzierte. In seinem Rücken folgte ihm die kleine Karawane aus den anderen, die schon die ganze Zeit über die Weitläufigkeit des Grundbesitzes staunten. „Und dieser ganze Bereich hier gehört deiner Familie?“, fragte Yosukes kleine, schrille Freundin Hiromi, von der ihm Momoko erzählt hatte, sie wäre tatsächlich so dumm gewesen, sich schwängern zu lassen. Da sie faktisch die feste Partnerin dieses armen Trottels war, benahm er sich ihr gegenüber trotzdem sehr nett und höflich. Immerhin konnte er nur wegen ihr annehmen, dass Fuma seinen zweifelhaften Charme nicht bei seiner Verlobten spielen lassen konnte und auf Distanz blieb. Sein argloses Auftreten und Temperament waren Takuro ein Dorn im Auge, denn darum hatte er ihn schon in der Mittelschule still beneidet. Der Torwart hatte sich nie sonderlich anstrengen müssen, um die Aufmerksamkeit von anderen auf sich zu lenken; Freundschaften waren ihm einfach so zugeflogen. Takuro schob deswegen Verachtung für ihn vor, denn zugeben würde er das niemals! Und auch, wenn Momoko ihm immer wieder versichert hatte, dass Yosuke nicht mehr als ein Freund für sie war, war ihm weder das versteckte Foto im Keller aus dem Kopf gegangen, noch der Abend, an dem er sie vor dem Club mit ihm zusammen angetroffen hatte. Was auch immer da vor sich ging - solche Heimlichtuereien weckten das Tier in ihm! Ein Grund mehr, den dunkelhaarigen Sportler näher an sich heranzulassen. »Sei deinen Freunden nah, aber deinen Feinden noch näher.« Takuro warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter zu Yosuke hin, dem das vor lauter Gepäck, und unter dem nicht enden wollenden Redeschwall seiner Freundin, nicht auffiel. Hätte es zwischen ihm und Momoko während der Schulzeit nicht diese zweifelhafte Hassliebe gegeben, wäre Takuro heute auf den Torwart nicht eifersüchtiger als auf Kazuya, der direkt neben seinem Freund herlief. Da diesen wiederum Yuri als feste Partnerin begleitete, die unbestreitbar attraktiv, adrett und klug war, hatte der Schwarzhaarige ihm gegenüber nicht den kleinsten Zweifel, dass seine Absichten Momoko gegenüber rein freundschaftlich waren. Yanagiba war trotz seiner zahlreichen Vorzüge noch nie ein Frauenheld gewesen, obwohl er jede hätte haben können. Er hatte einen bescheidenen, zurückhaltenden Charakter, weswegen man ihm vorbehaltlos glaubte, dass er mit seiner Partnerwahl mehr als zufrieden war. Was jedoch seinen Kollegen anging – da war er sich nicht so sicher… Vielleicht lag es aber auch an Hiromi, deren oberflächliches Wesen schon beinahe einfältig war, sodass er sich kaum vorstellen konnte, dass ein Mann damit an seiner Seite 100% zufrieden und glücklich sein konnte, aber was wusste er schon von Yosukes Geschmack? „Ja, Hiromi-chan. Alles zwischen den Findlingen, die du vorhin gesehen hast, bis hoch zum Hotelbereich gehört zusammen. Das Grundstück ist schon Ewigkeiten in Familienbesitz, bebaut wurde es aber erst in den Händen meines Onkels und seiner Frau. Als ich jünger war hat meine Familie hier oft die Ferien verbracht.“, antwortete er gelassen. Das lilahaarige Mädchen pfiff anerkennend und betrachtete die hohen und dichten Fichten, an denen sie im Sand vorbeiliefen. Die anderen waren zu sehr mit dem Wuchten ihres Gepäcks beschäftigt, um Fragen zu stellen. Allerdings hinderte das Takuro nicht daran von sich aus noch etwas mehr anzugeben. „Bis zur Minka ist es nicht weit, sie liegt direkt zwischen den Bäumen hinter dem Ende der Kurve. Sie ist noch auf Stelzen gebaut, so wie es früher Tradition war. Ein großzügiger Bungalow-Schnitt, umgeben von einem wirklich schönen Garten. Alles ist ziemlich weitläufig, aber von den Schwarzfichten und dem Berg gut versteckt.“ „Weitläufig trifft’s.“, bestätigte Hinagiku schnaufend. „Müssen wir jetzt immer so weit laufen, wenn wir nach oben wollen?“ Die anderen stöhnten bei dem Gedanken unglücklich auf. „Aber nein!“, lachte er. „Der beschwerliche Weg führt nur hinauf zum Parkplatz. In der Nähe des Hauses gibt es noch einen direkten Pfad nach oben zum Hotel und noch ein paar kleinere quer durch den Wald, zum Wandern.“ „Zum Hotel? Warum sollten wir denn da so schnell wieder hoch wollen?“, fragte Yuri verwirrt. Takuro hob die Hand zu einer „Hoppla“-Geste, als hätte er vergessen ein unwichtiges Detail zu erwähnen. „Ach ja, das wisst ihr ja noch gar nicht. Der Leiter des Hotels ist ein alter Geschäftsfreund meines Onkels. Die Minka und das Hotel wurden damals auch etwa zur selben Zeit gebaut. Jedenfalls dürfen wir dort an den Mahlzeiten teilnehmen, zu den Veranstaltungen gehen und den Wellnessbereich nutzen, wenn uns danach ist.“ „Wow! Also kein Einkaufen und selber kochen? All inklusive?“, jubelte Hinagiku wie ein Kind im Spielzeugladen. „Das is’ wirklich sehr großzügig von dem Hotelbesitzer.“ Wieder machte er eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist doch nichts. Ihr seid schließlich meine Gäste.“ Hinter seinem Rücken wurden heimliche, etwas genervte Blicke getauscht. Hinagikus Staunen schmeichelte seinem Ego so sehr, dass ihm das entging. Wie angekündigt erreichten sie am Ende des Strandes, das wieder Felsen markierten, eine versteckte Lichtung, auf der ein großes, traditionell japanisches Haus stand. Die Augen aller weiteten sich bei der Idylle, die um ein vielfaches schöner war, als Takuro es mit Worten ausgeschmückt hatte. Ein kleiner Bach mündete ins Meer. Zurückzuführen war er auf das große Grundstück, welches wie in den Berg hineingearbeitet schien, ohne dabei die Landschaft zu zerstören. Der Wasserfluss wand sich durch kleinere, aufgeschüttete Hügel, auf denen Rasen und dekorative Gräser wuchsen sowie sauber beschnittene Sträucher standen. Es gab eine kleine, halbrunde Brücke und einen Teich; einen nierenförmigen, akkurat geharkten Zengarten mit einer kleinen Bank und lauter schmale, verschlungene Pfade, die sich zwischen weiteren Bäumen und Sträuchern um die Minka herum schlangen. Es war das Bild eines Anwesens, das es so unmöglich direkt an einem Strand geben konnte und doch war es da. Viele kleinere und größere sandgeschliffene Steine grenzten, als niedrige Böschung aufgeschüttet, das Grundstück optisch vom Strand ab. Dies erweckte den Eindruck, als wäre dahinter künstlich Erde aufgeschüttet worden. So war alles insgesamt etwas erhöht gebaut worden und nicht auf losem Sand, was zum einen die Fruchtbarkeit des Bodens erklärte und zum anderen die mühsam angelegte Pracht vor starken Verwehungen und weitreichenden Wellen bei Stürmen schützte. Der Bach, der als einziges ungehindert ins Meer mündete, musste aus einer kleinen Quelle herrühren, die irgendwo weit hinten aus den Felsen des Berges entsprang. Feiner weißer Sand lag in zarten Wellen verteilt auf den Natursteinplatten der vorderen Pfade. Der Seewind musste ihn dorthin geweht haben und wiederholte das sicher stetig. „Beeindruckendes Plätzchen, aber das alles pflegt sich doch sicher nicht von alleine?“ Takuro war überrascht, dass ausgerechnet Yosuke das Wort als erstes an ihn richtete. „Selbstverständlich nicht. Das übernehmen Angestellte des Hotels, die mein Onkel dafür extra bezahlt. Sie halten auch das Haus sauber und sorgen dafür, dass es gut gelüftet wird. Das Klima und die salzige Meeresluft bringen das Holz dazu, zu arbeiten – es muss immer jemand da sein, der alles in Stand hält.“ Einen verstörten Laut murmelnd nickte der Dunkelhaarige verstehend und fragte nicht weiter. Niemand fragte mehr etwas; alle starrten nur fassungslos in die Gegend. Die Familie Amano ließ sich offensichtlich in keinster Weise lumpen. Takuros Grinsen wurde breiter. Er drehte sich zu Momoko um, die ganz blass war und deren Augen ihm verrieten, dass sie mit vielem gerechnet hatte, aber mal wieder nicht damit. Es verdutzte ihn etwas, dass sie nach dem Haus, in dem er lebte und in dem sie schon oft zu Besuch gewesen war, immer noch von seinen Möglichkeiten überwältigt war. „Na, habe ich dir zu viel versprochen?“ Momoko räusperte sich, um die latente Trockenheit in ihrer Kehle zu vertreiben, und sah dann scheu zu ihrem Verlobten auf. „Hast du nicht. Das hier übertrifft es.“ Sie versuchte auszublenden, dass die Blicke und Ohren ihrer Freunde gerade auf sie gerichtet waren. Takuro lächelte selig. „Dann sei gespannt, was dich drinnen erwartet.“ Die Minka selbst war von innen gar nicht so beeindruckend, wie sie nach Takuros verheißungsvoller Ankündigung erwartet hätte. Um das Haus herum und auch darunter lag eine dicke Schicht aus hellem Kies; ein großer, abgeflachter Stein diente als typischer Aufstieg zum Engawa, von dessen dunklen Dielen an den Kanten bereits die Versiegelung abblätterte. Die Feriengäste schlüpften alle respektvoll aus ihren Schuhen, bevor sie ihn betraten. Die angrenzenden Shoji-Türen hingegen waren in einwandfreiem Zustand und glitten beinah lautlos zur Seite. Hinter ihnen lagen die typisch großen, mit Tatamis ausgelegten Zimmer. Sie waren hell, aber spartanisch und schlicht eingerichtet. Obwohl sie trotzdem sehr gepflegt waren, kam Momoko einfach nicht darauf, was Takuro gemeint haben könnte. In der Mitte des Hauses lag noch ein weiterer kleiner Zengarten, in dessen Mittelpunkt ein Berg aus Steinen stand, von dem ein künstlich angelegter Rinnsal in einen Fischteich plätscherte. Das war sehr hübsch anzusehen, aber nichts davon riss sie in irgendeiner Weise auch nur annähernd so aus den Socken, wie das Anwesen es von außen getan hatte. Dafür fühlte sie sich aber gerade in dieser einfachen Umgebung schon jetzt sehr viel wohler, als in Takuros protziger Villa am Stadtrand - oder ging es ihm etwa genau darum? „Ich bin überrascht. Irgendwie hatte ich bei dem Garten draußen etwas anderes hier drinnen erwartet.“, äußerte sich Hiromi hinter ihr kritisch und sprach damit ungefragt genau ihre Gedanken aus. „Hiromi!“, entfuhr es Yuri entrüstet. „Hast du kein Benehmen?!“ Die Lilahaarige zuckte unwirsch mit den Schultern und begann sich unter den verständnislosen Blicken der anderen zu schämen. Nur Takuro belächelte sie mild. „Ach, das macht doch nichts. So denken fast alle, wenn sie hierher zu Besuch kommen. Ich hoffe nur, ihr seid nicht allzu sehr enttäuscht. Meine Familie weiß eben auch die einfachen Dinge zu schätzen, deswegen ist diese Minka hier ganz traditionell, so wie man sie überall findet.“ Yosuke legte einen Arm um seine Freundin und drückte ihre Schulter mit sanftem Nachdruck. Momoko zog bei dieser Geste die Augenbrauen finster zusammen. „Ich bin mir sicher, Hiromi hat es nicht so gemeint. Oder?“ Sein unterschwelliger Ton ließ keinen Widerspruch zu, hektisch schüttelte sie ihren Lockenkopf. „Nein, habe ich nicht! Es ist eigentlich ein ganz schönes Haus.“ „Das ist es wirklich, Takuro. Deine Gastfreundschaft ist wirklich sehr großzügig.“, fügte Kazuya hinzu, der sich berufen fühlte, Hiromi und Yosuke etwas zur Seite zu stehen. Yuri und Hinagiku nickten zustimmend. „Vielleicht zeigst du uns jetzt einfach unsere Zimmer? Wir sind bestimmt alle ganz schön erschöpft, von dem Fußmarsch hierher.“ Momoko schob lächelnd ihre Hand in seine, damit ihm vor Freude darüber nicht auffiel, dass sie das Thema umlenkte. „Oh ja, natürlich!“, entgegnete er strahlend. Takuro führte sie zunächst zum Badezimmer des Hauses. Es war ein vergleichsweise kleiner Raum, der mit dunklem Holz verkleidet war und schmale, dafür breite Milchglasfenster knapp unter der Decke hatte. An einer Wandseite standen zwei kleine Schemel unter einer Dusche und auf der anderen Seite, in einer Ecke, war eine große, kreisrunde Badewanne. Wie ein Fass war sie in ein rechteckiges Podest aus Holz eingelassen worden und mit einem großen Holzdeckel abgedeckt. „Das Wasser zur Wanne kommt aus der Leitung, aber beheizt wird es ganz klassisch mit einem Feuer von außen. Das Warmwasser aus dem Boiler reicht nur zum Waschen und für den Abwasch.“, erwähnte Takuro beiläufig. Der nächste Raum, den er ihnen zeigte, war die große Küche. Diese war nicht ganz so traditionell – es gab keine kleine, versteckte Küche mit separatem Esszimmer, in dem sich alle auf Knien sitzend an einem riesigen, flachen Tisch einfinden würden. Dafür aber eine moderne Küchenzeile aus hellem und dunklem Holz, passend zu den Tatamis, mit einem großen Kühlschrank daneben. Außerdem stand eine U-förmige Kücheninsel mitten im Raum, in dessen Mitte eine große Teppanyaki-Platte eingefasst war. Um die Insel herum standen hölzerne Barhocker. Da sie aber laut Takuro sowieso nicht selbst einkaufen und kochen mussten, würden sie diesen Raum hier wahrscheinlich nur benutzen, wenn sie sich etwas zu Trinken holen wollten. Zuletzt kamen sie an dem großen Gesellschaftsraum vorbei, in denen simple Regale mit Büchern standen; ein kleiner Schreibtisch mit einem altmodischen Computer; ein flacher Tisch am Rande des Zimmers mit einem Go-Spiel darauf; und schließlich ein großer Heiztisch direkt in der Mitte, dem zu dieser Jahreszeit allerdings die wärmende Decke fehlte. Von diesem Raum aus hatte man die beste Sicht auf den innen liegenden Garten und gleichzeitig, wenn man auch auf der anderen Seite die Shojis öffnete, auf das Meer. Die Mädchen raunten ehrfürchtig, denn das war wirklich wunderschön! Momoko blickte auf das rauschende Meer hinaus und stellte sich vor, wie es wohl war, wenn man von hier aus morgens die Sonne aufgehen sah. Ihr Verlobter hielt ihre Finger mit seinen verschlungen und führte sie und ihre Freunde weiter zu den Schlafräumen. Mit einem breiten Lächeln schob er den ersten Shoji auf und präsentierte ein kleines, heimeliges Zimmer, das sich optisch kaum von den anderen abhob. Allerdings standen Vasen mit Orchideen darin herum und es duftete nach frisch angesteckten Räucherstäbchen. Die Gruppe steckte neugierig die Köpfe in das Zimmer und entdeckte auf dem Fußboden lediglich zwei zusammengeschobene Futons, mit dünnen Decken und schmalen Kissen darauf. „Das sind ja nur zwei?“, bemerkte Hinagiku verwirrt. Takuro grinste immer noch gewinnend. „Natürlich, wir haben insgesamt drei große Schlafzimmer. Für jedes Pärchen eines.“ Ein Ruck ging durch Yosuke und Momoko, doch es war Hinagiku, die sich an ihrer Stelle direkt echauffierte. „Wie jetzt, soll das so ein Pärchending werden?! Ich dachte, wir sind als Freunde hier – so wie früher!“ Hiromi warf sich, den Protest ignorierend, freudestrahlend an den verdatterten Yosuke, der immer noch ihre beiden Koffer in den Händen hielt. „Das ist ja supi! Das wird ja so mega romantisch! Nicht wahr, Yoyo-Maus?“, quietschte sie frohlockend, während sie wild an Yosukes Arm herumzerrte. Sie versuchte in diesem Moment vergeblich, ihm eine ebenso glückliche Reaktion abzuringen. Er war zu sehr bei der Vorstellung versteinert, wie Momoko und Takuro sich ein Zimmer teilen würden. Dazu tat das Grinsen des Brillenträgers sein Übriges. Yuri, deren Wangen bei der romantischen Idee etwas Farbe bekommen hatten, schaute zu ihrem blonden Freund auf, der ihren vielsagenden Blick erwiderte. „Nix da! Ich bin die einzige von euch, die als Single angereist is’ – wo soll ich denn schlafen?!“, wetterte Hinagiku weiter, ließ Takuros Koffer geräuschvoll auf die Dielen fallen und stemmte die Arme in die Hüften. Der Brillenträger blinzelte ein paar Mal perplex. Er hatte nicht mit solchem Gegenwind gerechnet. „Für dich habe ich extra eine kleine Kammer herrichten lassen, in der früher Wäsche zum Trocknen aufgehängt wurde. Sie hat sogar ein Fenster.“ Ihre braunen Augen weiteten sich ungläubig und sie fing an, wild mit den Händen zu gestikulieren. „Eine Kammer? Ich soll in ’ner Wäschekammer schlafen, während ihr euch hier in diesen schicken Liebesnestern aneinander kuschelt?“ „Hinagiku, ich verspreche dir, dass dein Zimmer nicht ansatzweise wie eine Wäschekammer aussieht…“, stammelte Takuro eingeschüchtert. Momoko trat mit erhobenen Händen zwischen sie. „Hey, wenn Hinagiku nicht so abgeschottet schlafen möchte, könnten wir sie doch mit in unser Zimmer nehmen? Platz genug hätten wir doch.“, schlug sie beschwichtigend vor. Aus der Fassung geraten starrte Takuro sie an und fauchte ein entschlossenes: „Nein!“ Die anderen wechselten Blicke, die deutlich machten, wie unangenehm diese Situation gerade wurde. Yosukes Augen waren streng zusammengekniffen und auf den schwarzhaarigen Japaner gerichtet. „Vielleicht kann sie ja auch bei jemand anderen von uns übernachten?“, schlug Yuri kompromissbereit vor. Hiromi schnaubte sofort widerspenstig und klammerte sich an Yosuke fest. „Also bei uns nicht!“, stellte sie klar. „Tse, als ob ich jemals freiwillig meinen Futon neben dir aufschlagen würde!“, konterte Hinagiku unbeeindruckt. Funken sprühende Blicke flogen zwischen ihnen durch die Luft. „Hört mal, das bringt doch so nichts.“, mischte sich jetzt auch Kazuya ein. „Takuro, wie du siehst war das anscheinend keine so gute Idee von dir, so zuvorkommend sie auch gemeint war. Es ist nicht fair einen von uns zu benachteiligen, nur weil wir inzwischen Pärchen bilden. Wir sind doch der Freundschaft wegen hergekommen, aber wenn wir uns schon wegen der Zimmeraufteilung streiten, wird das nichts.“ Takuro ballte die Hände zu Fäusten und sah seine ehemalige Sandkastenfreundin missbilligend an, doch sie hielt seinem unausgesprochenen Vorwurf stand. Er knurrte resignierend und wand sich dann dem Blonden zu. „Hast du eine bessere Idee?“ Kazuya lächelte sein charmantes, politisch neutrales Kapitänslächeln und nickte. „Wie wäre es, wenn wir es so halten, wie zu den Klassenfahrten früher? Die Mädchen bekommen einen Raum für sich und wir Männer nehmen einen anderen. Dann bleibt zwar ein Zimmer ungenutzt, aber das macht ja an sich nichts.“ Es begann in den Köpfen der Anwesenden zu rattern. Hiromi war die erste, der klar wurde, was das für sie bedeutete. Doch noch bevor aus ihrem weit aufgerissenen Mund ein Widerspruch kommen konnte, kam Yosuke ihr zuvor. „Warum nicht? Das klingt doch nach einem vernünftigen Vorschlag. Ich wäre dafür.“ Demonstrativ hob er die Hand zur Abstimmung und ignorierte dabei, wie seine Freundin ihn mit ihren Augen erdolchte. Yuri und Momoko hoben gleichzeitig ebenfalls ihre Hände - gerade langsam genug, dass es nicht verdächtig wirkte. Kazuya folgte ihrem Beispiel. Hinagiku enthielt sich, wohingegen klar war, dass Hiromi und Takuro gegen den Vorschlag waren. „Vier zu drei, es ist also entschieden.“, stellte der Blonde fest und fixierte seinen Gastgeber wohlwollend. Takuro stöhnte enttäuscht, aber winkte zustimmend ab. „Na meinetwegen. Dann müssen wir jetzt aber noch schnell umräumen.“ Sie ließen ihre Koffer und Taschen auf dem Engwa zurück, während sie zu sechst durch die nebeneinander liegenden Räume wirbelten. Hiromi hockte lieber beleidigt mit überschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf einem der Koffer und schmollte. Schon unmittelbar nach der Abstimmung hatte sie sich ein wütendes Aufstampfen nur mit Mühe verkniffen. Es passte ihr ganz und gar nicht, dass ihre Vorstellung von einem romantischen Urlaub mit ihrem Freund gerade wie eine Seifenblase geplatzt war. Der Rest der Gruppe beschloss das mittlere der drei Zimmer unbewohnt zu lassen, damit sich Jungs und Mädchen nicht gegenseitig durch die dünnen Papierwände stören konnten. In weniger als 15 Minuten waren alle Futons und das dazugehörige Bettzeug in die richtigen Zimmer verteilt und alles hergerichtet. Die bodennahen Betten lagen in einer ordentlichen Reihe mit je etwa einem halben Meter Abstand nebeneinander. Als letztes wuchteten die inzwischen gleichgeschlechtlichen Grüppchen ihre mitgebrachten Habseligkeiten in die Räume und ließen sie dort völlig erschöpft vor den Wandschränken stehen. Erst der beschwerliche Marsch, jetzt noch das Hin- und Herräumen in den Zimmern… Den jungen Leuten rann der Schweiß unaufhaltsam aus jeder Pore. Takuro, der zwischendurch kurz verschwunden war, kehrte beladen mit eisgekühlten Glasflaschen zurück, die er aus der Küche geholt haben musste. „Limonade~!“, seufzte Yuri dankbar und hielt ihre glühenden Wangen abwechselnd an das kalte Glas, von dem verlockend das Kondenswasser perlte. Die anderen stürzten sich das kühle Nass lieber direkt und ohne abzusetzen die Kehle hinunter. Sogar Hiromi, die eigentlich nichts zu den Anstrengungen beigetragen hatte, gab sich vor Takuro dankbar für diese zuvorkommende Geste. „Woah, ich hätte jetzt gut Lust auf eine Runde Schwimmen!“, ließ Hinagiku vorfreudig verlauten. „Später.“, bremste Takuro sie aus und sah auf seine Armanduhr. „Zuerst sollten wir Mittagessen gehen, wenn wir noch etwas haben wollen.“ Momokos Magen knurrte zustimmend laut. Alle kicherten leise. Ihr Gastgeber hatte nicht gelogen damit, dass es noch einen versteckten Pfad hinter der Minka gab, der sie nach oben zum Hotel führte. Zwar waren die Stufen steil und uneben, aber alles war besser, als noch mal den langen Weg außen rum über den Strand zu nehmen. Oben angekommen führte Takuro seine Gäste zielstrebig in das Foyer des Hotels, wo er für sie alle ein blaues Armbändchen besorgte, mit dem sie sich zukünftig Zutritt zum Hotelrestaurant, den Außenterrassen und zum Wellnessbereich verschaffen konnten. Das Restaurant war ein großer, Mensaartiger Saal mit Selbstbedienungsbuffet und vielen kleinen Tischen, die man zusammenschieben konnte. Von vielen tönte ein tiefer, laut brummiger Singsang, der sich schnell als umgangssprachliches Amerikanisch herausstellte. Da der Zulauf von ausländischen Touristen für ein Hotel am Meer nichts Ungewöhnliches war, störte sich die einheimische Reisegruppe nicht weiter daran und suchte sich ein eigenes Eckchen zum Speisen. „Geht doch nach dem Abräumen schon mal zum Haus zurück, ich muss noch etwas besorgen und würde dann nach kommen.“, kündigte Takuro an, nachdem sie alle so gut wie aufgegessen hatten. „Fehlt uns denn unten noch etwas?“, hakte Momoko neugierig nach. Er lächelte geheimniskrämerisch und legte einen Finger an die Lippen. „Nein, ich möchte nur etwas holen, um unsere Ankunft hier würdig zu feiern. Geht vor und packt die Badesachen aus, ich bin gleich wieder bei euch.“ Die Aussicht auf ein Bad im kühlen Meer reichte aus, um wildes, hocherfreutes Gemurmel am Tisch auszulösen. Ohne weitere Nachfragen machten sie sich auf, so schnell wie möglich zurück zur Minka zu kommen. Es herrschte trotz der Vorfreude eine gewisse Anspannung unter den vier jungen Frauen, als sie sich anschließend zum ersten Mal ohne ihre Begleiter in ihrem nunmehr gemeinsamen Zimmer einfanden. Momoko und ihre Freundinnen waren sich nah wie eh und je und alberten schon wieder beim Auspacken herum, aber Hiromi machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, während sie einen ihrer Koffer allein für sich aufklappte und darin nach einem Bikini wühlte. Ihre miese Laune entging den anderen natürlich nicht, doch durch stummes Kopfschütteln stellte Hinagiku schnell klar, dass sie mit Hiromi auf keinen Fall auf gut Freund machen würde. Sie nur mit im Zimmer zu haben fühlte sich für sie schon wie eine Strafe an. „Nach der Mittelschule hab’ ich gedacht, dass ich die Alte nie wieder ertragen muss! Also schaut nicht so!“, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand und räumte unbeirrt ihre Sachen in den Wandschrank. Yuri und Momoko schauten kurz besorgt über ihre Schultern, doch Hiromi hatte nichts gehört. „Ganz Unrecht hat sie ja nicht. Diese Person ist einfach furchtbar!“, murmelte die Dunkelhaarige. „Ich weiß, mir macht das auch keinen Spaß, aber jetzt ist sie nun mal hier. Und wenn wir nicht wollen, dass sie uns nachts im Schlaf ein Kissen aufs Gesicht drückt, sollten wir wenigstens versuchen mit ihr auszukommen.“ Hinagiku rollte mit den Augen und stöhnte entnervt. Das sollte wohl so viel heißen wie: „Nicht euer Ernst!“. Momoko erlaubte sich noch einen heimlichen Blick zu ihrer ungeliebten Zimmergenossin und kämpfte dabei wieder mit ihren Dämonen. Es fiel ihr schwer, ausgerechnet diese junge Frau als Yosukes feste Partnerin anzuerkennen. Für sie fühlte sich das irgendwie falsch und fremd an, trotzdem überwand sie sich und setzte ein freundliches Gesicht auf. „Hey Hiromi, brauchst du vielleicht Hilfe beim Auspacken? Wir haben noch ein paar freie Fächer im Schrank, die du benutzen könntest.“ Ihre beiden Freundinnen schauten sie ungläubig an. Die Angesprochene hob tatsächlich kurz überrascht ihren Kopf und schaute über das Chaos in ihrem Koffer zurück. Misstrauisch prüfte sie Momokos Miene einen Augenblick lang mit stechenden Augen, ehe sie ihr perfektes Puppenlächeln aufsetzte. „Ach, das ist aber nett von dir, Momolein.“, säuselte sie honigsüß, sodass es Momoko eiskalt den Rücken runter lief. Sie hielt der Blauäugigen einen riesigen, unsortierten Stapel Klamotten hin, den sie ihr auch brav abnahm und für sie in den Schrank räumte. Dieser Vorgang wiederholte sich noch ein paar Mal in derselben steifen Abfolge, die Hinagiku und Yuri sprachlos beobachteten. Momoko räusperte sich schließlich wieder geräuschvoll. „Ich hoffe es macht dir nichts aus, dass du das Zimmer mit uns teilst?“ Hiromis Augen wurden schmal, aber sie behielt ihr unverwüstliches Lächeln bei. „Oh, na ja. Nicht mehr, als es euch ausmacht, schätze ich. Natürlich wäre ich lieber bei meinem Schatz, aber so ein reines Mädchenzimmer ist bestimmt auch ganz lustig. Wir werden auf diese Weise sicher schnell gute Freundinnen.“ Ihr letzter Blick blieb bei dieser Aussage an Hinagiku hängen, die ihn mit trotzigem Gesicht erwiderte. „Ähm ja, bestimmt… Weißt du eigentlich schon, was du für einen Bikini anziehen wirst?“, lenkte Momoko sie schnell ab. Just in diesem Moment zückte ihre Gesprächspartnerin aus einer der kleineren Innentaschen des Koffers ein verknotetes Bündel aus kaminrotem Stoff. Ihre Augen funkelten vielversprechend. „Und ob ich das weiß.“, erklärte sie und schwenkte dabei das Knäul bedeutungsschwanger an einem Finger hin und her. „Versucht nachher deswegen bitte nicht allzu eifersüchtig zu sein, ok? Das macht nämlich hässliche Falten.“ Ihren Zimmergenossen klappte die Kinnlade herunter. „So, dann gehe ich mich mal umziehen. Wir sehen uns dann am Sta~hand!“ „Was? Ziehst du dich denn nicht hier bei uns um?“, hinterfragte Yuri perplex. Hiromi lachte schrill auf, als hätte sie einen Witz gehört. „Ich bitte dich!“, setzte sie mit einer ablehnenden Handbewegung an. „So nahe stehen wir uns noch nicht!“ Und schon scharwenzelte sie mit einer Kulturtasche und dem Bikini-Bündel aus dem Zimmer heraus. Sie konnten noch hören, wie sich die Schiebetür zum mittleren Zimmer öffnete und wieder schloss. Anscheinend wurde dieser Raum von ihr jetzt zu ihrer privaten Umkleide umfunktioniert. „Miststück.“, zischte Yuri ganz undamenhaft und erntete dafür zustimmendes Kopfnicken. Yosuke und Kazuya waren die ersten, die sich am Strand einfanden. Gemeinsam hatten sie alte Liegestühle und einen Sonnenschirm aus einem Abstellraum des Hauses geholt, den sie bei der Suche nach den Toiletten gefunden hatten. Wie echte Kavaliere hatten sie alles allein über den heißen Sand getragen und aufgestellt. Außerdem besorgten sie noch große Handtücher und eine Kühltasche, gefüllt mit Getränken aus dem Kühlschrank. Von Takuro war weit und breit noch keine Spur, aber das machte nichts, da sich die Damen des Hauses ebenfalls alle Zeit der Welt beim Umziehen ließen. „Wenn sie nicht gleich auftauchen, gehe ich einfach schon mal eine Runde ins Wasser!“, kündigte Yosuke an, der sich dabei mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte und sich auf einen der Stühle fallen ließ. Kazuya grinste. „Ich bin mir sicher, dass sie gleich kommen. Du weißt doch, wie Mädchen sind.“, scherzte er gutmütig und breitete das letzte Handtuch über einen der Liegestühle aus. „Ich werde nie verstehen, warum man sich für den Strand aufbrezeln muss. Nach dem ersten Tauchgang ist doch eh alles ruiniert.“. Darauf ging der Blonde nicht weiter ein, dafür wurde seine Miene ernst, als er sich Yosuke gegenüber setzte. „Und bei dir ist sonst alles ok? Ich meine, gibt es da vielleicht ein paar Dinge, über die du mit mir möglicherweise reden möchtest, solange wir beide unter uns sind?“ Der Dunkelhaarige hob erstaunt seinen Blick, um seinem besten Freund in das fragende Gesicht zu sehen. „Zum Beispiel?“, entgegnete er unwissend, obwohl in seinem Hinterkopf bereits eine Ahnung aufkeimte. „Yosuke, stell dich doch nicht dumm. Du erinnerst dich doch sicher daran, dass du mir seit zwei Wochen eine Erklärung schuldig bist. Ich sollte dich nach einer gewissen Kurznachricht zurückrufen, aber du warst nie zu erwischen.“ Die Augenbrauen des Torwarts zuckten ertappt. Er schluckte aufkommende Nervosität hinunter; vor dieser Konfrontation hatte er sich schon bei der Ankunft gescheut. „Tut mir leid, ich hatte nie genug Privatsphäre, um es dir am Telefon zu erklären…“ „Du musst mir nichts erklären, ich kann mir schon denken, warum du und Momoko hier seid.“ Schuldbewusst wand Yosuke sein Gesicht ab. „Es ist nicht so, wie du denkst.“, versuchte er sich kleinlaut zu rechtfertigen. „Dann läuft da also nichts zwischen euch?“, hakte Kazuya nach, was sein Gegenüber dazu veranlasste, hektisch zu überprüfen, ob sie auch niemand belauschte. Sein anschließendes Schweigen und sein sturer Blick zum Meer hinaus, war Antwort genug. Obwohl der hochgewachsene Blonde schwer seufzte, wirkte er kaum überrascht oder entsetzt. „Das ist Wahnsinn! Du kommst hier her, mit deiner schwangeren Freundin, Takuro und uns, damit wir bezeugen können, dass ihr nur Freunde seid?“ „Wir sind nur als Freunde hier!“ Kazuya stemmte seine Hände auf den Oberschenkeln ab und beugte sich beschwörend zu seinem Freund vor, der ihn trotzig taxierte. „Ich meine es als dein bester Freund nur gut, deswegen bin ich so ehrlich und sage dir, dass das nicht funktionieren wird. Die freundschaftliche Ebene habt ihr längst hinter euch gelassen und auch, wenn du dir das anscheinend nicht eingestehen willst, es ist so. Und wenn ihr mit dem Theater nicht schleunigst aufhört, werden viele Menschen früher oder später verletzt werden. Das passiert zwangsläufig so oder so, aber es liegt in deiner Hand, wen es trifft und wie hart.“ Yosuke ließ die schmerzhaften, aber leider nur allzu wahren Worte seines Freundes auf sich wirken. Er haderte sehr mit sich, bevor er zu einer Antwort ausholte. „Ich könnte Hiromi niemals die Wahrheit sagen...“ „Dann tu das Richtige: Beende das mit Momoko und kontaktiere sie nie wieder.“ „Das kann ich nicht!“, platzte es sofort aus dem Dunkelhaarigen heraus. „Dann sag ihr um Himmels Willen endlich, dass du sie liebst!“ Yosuke wich erschrocken auf dem Liegestuhl sitzend zurück, so als hätte er einen heftigen Schlag mitten ins Gesicht abbekommen. Mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund starrte er in die gelassene Miene seines Freundes. In Zeitlupentempo dämmerte ihm, dass er gerade vorgeführt worden war. „Das habe ich mir gedacht; du bist dir deiner Gefühle für Momoko gar nicht bewusst.“ Erstmals, seit dieses Gespräch begonnen hatte, trat so etwas wie ein milder, mitfühlender Ausdruck in Kazuyas Gesicht. Er legte eine Hand auf Yosukes linke Schulter und drückte sie freundschaftlich, während diesem immer noch die Worte fehlten. Dafür richtete er abermals das Wort an ihn. „Ich habe dir versprochen, dass ich mich nicht einmische und kein Wort über das zwischen dir und Momoko verlieren werde, aber du kannst nicht weiter so tun, als wäre da nichts. Du musst endlich die Augen aufmachen und handeln. So wie es jetzt ist, ist es einfach nur falsch und unglaublich unfair den anderen gegenüber.“ Gequält bettete Yosuke die Stirn in seine Hände und stöhnte verzweifelt auf. „Kaz, ich habe nicht geplant, dass das alles so kommt…“ „Natürlich nicht, wer plant so etwas schon? Das wäre auch gar nicht deine Art. Gefühle klopfen nun mal nicht an die Tür und fragen, ob es gerade passt.“ Gefühle – dieses Wort echote in Yosukes Kopf wider und wider. Er hatte diese Gedanken stets bekämpft und verdrängt. In seinem derzeitigen Leben war einfach kein Raum dafür, und trotzdem war sie überall… Stahl sich in jeder freien Minute mit ihren blauen Augen und dem unvergleichlichen Lächeln in seine Gedanken und beherrschte sie. Sein Herz schien nur wirklich zu schlagen, wenn sie da war. Konnte Kazuya Recht haben? War er etwa wirklich in sein Pfirsichtörtchen verliebt? Kapitel 61: Day 1.2 - Stress and Games -------------------------------------- Yosukes Welt stand plötzlich Kopf. Bis zu diesem Augenblick hätte er vor jedem abgestritten, dass seine Gefühle für Momoko mehr waren als das, für das er sie selbst hielt. Doch Kazuyas kleiner Trick hatte ihm eine Reaktion entlockt, die er nicht von sich erwartet hatte. Das kann ich nicht! war geradezu aus ihm herausgeplatzt; es war eine spontane Reaktion, die er in der Millisekunde zuvor nicht in seinem Kopf durchdacht hatte. Sein Herz hatte für ihn gesprochen – und das ziemlich eindeutig. Seine ständig brennende Sehnsucht nach Momoko hatte er bisher auf die sexuelle Anziehung zwischen ihnen geschoben und darauf, dass ihm die Gespräche und das Beisammensein mit ihr so gut taten. Natürlich wusste er, wenn er ehrlich zu sich war, dass es da im Zusammenhang mit ihr noch eine ganze Menge mehr gab, was ihn beschäftigte… aber war das schon Verliebtsein? Er hatte es in den letzten zwei Jahren nicht geschafft, ernsthaft romantische Gefühle für Hiromi zu entwickeln - wie und wann sollte es da passiert sein, dass er sich in nicht mal drei Monaten unbemerkt in Momoko verliebt hatte? Der Kopf schwirrte ihm; das war doch nicht möglich! „Huhu! Kazuya!“ Yosuke und sein Freund schreckten hoch, als Yuris Stimme über den Strand schallte. Sie kam daher geschwebt wie ein Model aus dem aktuellsten Sommerkatalog, mit ihrem großen Hut, der Sonnenbrille und dem dünnen, weißen, im Wind flatternden Bolero, den sie über ihren königsblauen Badeau-Bikini gezogen hatte. Um die nahezu perfekten Hüften bauschte sich ein fast durchsichtig weißes Strandtuch, mit blauem Blumenmuster darauf, im Wind auf, während ihre braunen Locken immer noch als Seitenzopf nach vorn drapiert über ihre Schulter hingen. Kazuyas Augen fingen sofort freudvoll an zu leuchten, als er sie auf sich zukommen sah. Ein warmes, ehrliches Strahlen breitete sich dabei in seinem Gesicht aus und auch der Rest seines Körpers reagierte auf das Auftauchen seiner Freundin. Glück und Liebe strahlte aus jeder seiner Zellen und Yuri war dieselbe, ganz natürlich wirkende Reaktion anzusehen. „Das sieht ja richtig einladend hier aus! War das nicht anstrengend, das alles alleine aufzubauen?“ „Ach was, für euch haben wir das doch gern gemacht.“ Euch - Yosuke, der emotional noch ganz durcheinander nach seinem abrupt beendeten Gedankengang war, bemerkte durch sein fasziniertes Beobachten, dieser hollywoodreifen Szene, erst jetzt, einige Sekunden später, dass Momoko ihrer Freundin mit etwas Verzögerung durch den Sand gefolgt war. Als ihr scheuer Blick ihn traf, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Reflexartig fuhr er herum, weg von ihr. »Shit!«, dachte er bei sich, denn dümmer hätte er nicht reagieren können. Dank seinem rasenden Puls schoss ihm zu allem übel auch noch zusätzlich das Blut in die Wangen. Er wollte sich nicht ausmalen, was Momoko jetzt wohl von ihm dachte. Wahrscheinlich wunderte sie sich über ihn oder fühlte sich sogar gekränkt, dabei hatte er nicht mal gesehen, ob sie ihn eigentlich angelächelt hatte, was für einen Bikini sie trug und ob sie gut darin aussah. Sein Gesicht brannte heiß und das lag nicht nur an der Sonne. Rot geworden, wie ein alberner Teenager, saß er unruhig auf seinem Stuhl, die verwunderten Blicke seiner Freunde und ihr auf sich spürend. Die Sekunden wurden unerträglich lang. „Mann, ist das heiß! Ich geh’ kurz ins Wasser!“ Yosuke war schon aufgesprungen und auf halben Weg zum Ufer, als er seinen hektischen Entschluss verkündete. Das Meer brach sich an seinen Beinen und spritzte in alle Richtungen, während er im ungebremsten Laufschritt so tief hineinrannte, dass es für einen sportlichen Kopfsprung ausreichte. Trotz der bereits hochsommerlichen Temperaturen war das Wasser der Pazifischen See noch ziemlich kalt, sodass sich der überhitzte Sportler ordentlich schüttelte, als er wieder auftauchte. Mit beiden Händen strich er sich das triefnasse Haar aus dem Gesicht und blinzelte gegen das brennende Salz in seinen Augen an. Yosuke vermied vorerst den Blick zurück zum Strand, denn was er jetzt brauchte waren ein paar Minuten allein im kalten Nass, um sich wieder zu sammeln. Momoko hätte einfach zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt auf der Bildfläche erscheinen können. Yuri starrte dem Dunkelhaarigen verwirrt hinterher, der sich so plötzlich, ohne sie oder Momoko zu begrüßen, aus dem Staub gemacht hatte. „Was ist denn mit Yosuke los?“, fragte sie an ihren Freund gewandt, der sie an ihrer Schulter in einer liebevollen Geste zu sich herangezogen hatte. „Hast du doch gehört, ihm war heiß.“, antwortete Kazuya unschuldig und zuckte leichthin mit den Schultern. Sein nachdenklicher Blick hinaus zu seinem schwimmenden Freund, verriet Yuri aber trotzdem, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Sie drehte sich zu Momoko um, die wie angewurzelt hinter ihr stand und irgendwie beschämt und unsicher wirkte. Die Rosahaarige trug ihr volles Haar komplett offen. Es wehte in geschmeidigen Bewegungen um ihren schlanken Oberkörper herum und verhüllte dabei zum Teil den hellen, türkisfarbenen Bügelbikini, der ihre Brust auf eine niveauvolle Art vorteilhaft betonte. Auf der rechten Seite des Oberteils war eine weiße Hibiskusblüte aufgestickt. Im Gegensatz dazu saß diese bei dem dazugehörigen Bikini-Slip links vorn und noch mal hinten. Das leuchtende Türkis passte hervorragend zu Momokos himmelblauen Augen und bildete einen harmonischen Kontrast zu ihrer Haarfarbe. Es war nicht verwunderlich, dass Yuri es gewesen war, die dieses Modell für sie aus der mitgebrachten Auswahl ausgesucht hatte. „Los, sag etwas Nettes zu ihr.“, flüsterte Yuri, Kazuyas Hand drückend. Der Blonde riss sich von seinen ernsten Gedanken los und begriff schnell, was seine Freundin von ihm wollte. „Wow, du siehst ja auch richtig umwerfend aus, Momoko!“ Die junge Frau schaute perplex zu ihm auf und errötete. „D-Danke.“, stammelte sie und schob sich nervös das Haar hinter die Ohren. „Yuri fand, dass mir die Farbe steht.“ Das kleine Ablenkungsmanöver funktionierte. „Und sie hat Recht damit. Aber du würdest sicher auch in jedem anderen Bikini eine gute Figur machen.“ Seine Freundin trat ihm unauffällig auf den Fuß. Ein kurzer, scharfer Blick über die Sonnenbrille verriet, dass er es ja nicht gleich mit seinen Komplimenten übertreiben brauchte. Kazuya lächelte entschuldigend. „Na, ich weiß ja nicht… Yuri kann doch niemand toppen.“, witzelte Momoko amüsiert. Auf die Neckerei anspringend setzte die Dunkelhaarige ihre Brille ab und grinste ihre Freundin aus funkelnd grünen Augen an. „Da könntest du vielleicht Recht haben.“, antwortete sie und glitt mit betont eleganten Bewegungen auf den Liegestuhl, auf dem zuvor noch Kazuya gesessen hatte. „Ich habe eben sehr gute Gene.“ Momoko schüttelte den Kopf, lachte leise und ging an ihr vorüber zu den Stühlen links von ihnen. Sie wollte sichergehen, dass sie so weit wie möglich von Yosuke und seiner Klette entfernt saß, wenn dieser sich entschließen sollte, wieder aus dem Wasser zu kommen. Die Sonne prickelte heiß auf ihrer Haut und blendete ihre empfindlichen Augen, wenn sie auf die bewegte Wasseroberfläche schaute, die das Licht wie ein Spiegel reflektierte. Sie versuchte nicht bewusst nach Yosuke Ausschau zu halten, tat es aber trotzdem. Mit fürchterlich nervösem Herzklopfen war sie mit Yuri zum Strand aufgebrochen und wie sehr hatte sich das noch verstärkt, nachdem sie ihn und Kazuya in der Ferne entdeckt hatten. Nachdem die erste Begrüßung in großer Runde gut und ohne peinliche Momente über die Bühne gegangen war, hatte sie inständig gehofft, dass auch das rein freundschaftliche Zusammensein am Strand für sie beide kein Problem werden würde. Und dann war Yosuke plötzlich, wie von etwas gebissen, aufgesprungen und geflüchtet, kaum dass er sie gesehen hatte. »Blödmann!«, dachte Momoko eingeschnappt. Was war denn da nur in ihn gefahren? Hätte sie nicht diejenige sein müssen, die durchdreht? Er war zwar schnell weg, aber sein wie immer gut durchtrainierter Oberkörper, die goldene Sonnenbräune seiner Haut und die strammen Fußballerbeine, die aus seiner dunkelgrünen Badeshorts ragten, waren ihr trotzdem nicht entgangen. Sie kannte diesen Anblick gut, aber das machte es ihr keineswegs einfacher. Damit so direkt konfrontiert zu werden, ohne rot anzulaufen, grenzte schon an eine Meisterleistung der Selbstbeherrschung. Yosukes Blick hatte sie so verschwindend kurz gestreift, dass es wohl kaum an ihr gelegen haben konnte, dass er sich auf ein Mal so komisch verhalten hatte. Oder doch? Wirkte sie in ihrem Bikini etwa pummelig? Fand er ihn unpassend? Zu peinlich? Zu knapp? Zu kitschig vielleicht? Sie gab das Grübeln seufzend auf. Momoko hatte nicht von ihm erwartet, dass er sie mit Blicken auszog oder mit Komplimenten überschütten würde, aber hätte er sie der Höflichkeit halber nicht wenigstens ein Mal kurz grüßen können? Jetzt fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut und außerdem ängstlich, denn die anderen würden auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wenn sie erstmal angekommen wären, konnte jedes seltsame Verhalten verdächtig wirken. Sie schaute zu Yuri und Kazuya, die es sich neben ihr fürs erste gemütlich gemacht hatten und mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Körpern in der Sonne brutzelten. Unschlüssig, was sie tun oder wie sie reagieren sollte, wenn Yosuke wieder aus dem Wasser kam, zog Momoko ihre Knie an und beobachtete weiter heimlich seinen Kopf, der immer wieder unter Wasser verschwand und andernorts wieder auftauchte. »Blödmann, Blödmann, Blödmann!« Mit grimmiger Entschlossenheit rutschte sie nach einigen Minuten von ihrem Liegestuhl und lief mit verschränkten Armen dem Ufer entgegen. Sie blieb erst stehen, als die Wellen ihre Füße umspülten und im Sand versinken ließen. Passend zu ihrer Stimmung riss der Wind wütend an ihren Haaren und peitschte sie um ihren Körper herum. »Sieh gefälligst her!«, rief sie Yosuke in Gedanken zu. Mit hypnotisierendem Blick fixierte sie den Schwimmenden und wartete darauf, dass er ihren Blick irgendwann erwidern würde, bevor ihre sonnenbadenden Freunde es merkwürdig fanden, dass sie unbewegt zum Meer hinausstarrte. Yosukes Puls hatte sich wieder normalisiert und sein Körper an das kühle Wasser gewöhnt. Die Bewegung half ihm den Kopf frei zu bekommen, ganz ähnlich wie Fußball es immer tat. Seine Gedanken und Gefühle hatten sich allmählich geordnet. Viel schlauer als vorher war er allerdings nicht. Er warf einen flüchtigen Blick zum Strand und sah dort Momoko stehen, die er erst jetzt, und in sicherer Entfernung, genauer betrachtete. Ihrer Haltung nach zu urteilen war sie entweder eingeschnappt oder beunruhigt, aber das änderte nichts daran, dass sie unvergleichlich gut aussah. Ihm gefiel, wie der Wind mit ihren langen Haaren spielte und wie ihre blauen Augen Funken in seine Richtung sprühten. Yosuke hatte kein Auge für Mode, aber er mochte außerdem die Farbe ihrer Schwimmsachen und was sie mit ihrem Teint anstellte. Und was der Bikini verhüllte und nicht verhüllte, war auch nicht zu verachten… Herrgott! Und wieder tauchte er ab. Wenn ihn schon Oberflächlichkeiten wie ihr Aussehen so durcheinander brachten, woher sollte er dann wissen, ob etwas dran war, dass er sich möglicher Weise in sie verliebt hatte? Er hatte Momoko fest versprochen, dass sie diesen Urlaub nur als Freunde bestreiten würden und nun musste er sich nicht nur mit der körperlichen Komponente zwischen ihnen herumschlagen, sondern auch noch mit der Analyse seiner Gefühle. So hatte er sich die nächsten drei Tage eigentlich nicht vorgestellt. Momoko schaute immer noch zu ihm herüber. Langsam wurde ihm klar, dass sie auf ihn wartete. Nicht direkt auf ihn, sondern auf ein Zeichen, ob alles ok war. Seine Reaktion vorhin musste sie ganz schön verwirrt haben und sie hatte hier keinerlei Möglichkeit, ihn offen nach dem Grund zu fragen. Gut so, denn den konnte er ihr ohnehin nicht verraten. Yosuke drängte Kazuyas Worte und sein Gefühlswirrwarr in die hinterste Ecke seines Bewusstseins; er wollte sich nicht davon in seinem Umgang mit der Rosahaarigen beeinflussen lassen. Dafür hatte er sich zu sehr auf diese Zeit mit ihr und seinen Freunden gefreut! Es standen ihm jetzt sowieso nur zwei Möglichkeiten zu Auswahl: Entweder blieb er grübelnd im Wasser, bis ihm Schwimmhäute wuchsen, oder er versuchte gelassener an die ganze Geschichte heranzugehen und überwand seine Hemmungen, Momoko unter die Augen zu treten. Antworten auf all die Fragen in seinem Kopf würden sich vielleicht noch von ganz allein ergeben, wenn er es einfach auf sich zukommen ließ. Tief durchatmend setzte er zum Kraulschwimmen in Richtung Ufer an. Als sie Yosuke auf sich zu schwimmen sah lockerte Momoko ihre Haltung. Er tauchte aus den Fluten auf und verzog keine Miene, während er sich lässig wieder auf die Füße stellte und sich die nassen Haare nach hinten strich. „Na, abgekühlt?“, provozierte sie ihn ein wenig angespannt. Ein Wimperschlag lang ruhte sein Blick ernst auf ihr, doch dann hoben sich seine Mundwinkel zu seinem üblich schelmischen Lächeln an. „Und wie! Komm doch auch rein.“, antwortete er ihr herausfordernd. Schnaubend legte sie ihre Stirn in tiefe Falten. Sah er ihr denn nicht an, dass sie gestresst war? Dass sie eine Erklärung für sein vorheriges Verhalten wollte oder wenigstens ein Zeichen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war und er sich wieder gefangen hatte? „Ich warte lieber auf den Rest unserer Gruppe. Hiromi und Takuro sollten ja jeden Moment kommen.“ Dieser Zaunpfahl konnte unmöglich unbemerkt an dem Dunkelhaarigen vorübergeflogen sein. Tatsächlich fixierten seine Augen sie daraufhin mit einem verstehenden Ausdruck, ehe sein Mund sich zu einem neuen, heimtückischen Lächeln verzog. „Du bist doch nicht etwa Wasserscheu?“ „Bitte?“ Die junge Frau hatte seinen plötzlichen Stimmungswechsel noch nicht ganz realisiert, da holte Yosuke schon blitzschnell mit seiner zur Schaufel geformten Hand aus, tauchte diese ins Wasser und ließ sie wieder hochschnellen. Momokos laut gellender Aufschrei hallte über den Strand und riss Kazuya und Yuri fast von ihren Stühlen. Mit aufgerissenen Augen beobachteten sie ihre Freundin, die sich wütend schüttelnd vor Yosuke aufbäumte, der lachend in Deckung ging. „Yosuke, du hinterhältiger Schuft!“, schrie sie ihn an und machte Anstalten, ihm nachzujagen. Der flinke Fußballspieler zog sich Schutz suchend zurück in tiefere Gewässer, während er eine Salve Salzwasser nach der anderen Momoko entgegenschmetterte, die sich kreischend und mit vorgehaltenen Händen davor zu schützen versuchte. „Na warte! Das bekommst du alles zurück!“, drohte sie japsend. „Versuch’s doch, Pfirsichtörtchen! Dazu müsstest du dich erstmal ins Wasser trauen und mich fangen!“ Weiter als bis zu den Knien hatte sich die Hobbyfotografin noch nicht ins kalte Nass vorangetraut, aber Yosuke hing schon in lässiger Rückenlage in den Wellen und ließ sich treiben. Weit weg von ihr und sicher, dass sie ihm nicht so schnell folgen würde. „Komm du doch her, wenn du dich traust! Wer von uns beiden ist hier wohl feige, hä?“ Yuri und ihr Freund beobachteten die beiden immer noch mit ungläubigen Gesichtern. Nach einer Weile warfen sie sich heimlich amüsierte Blicke zu. Es war erleichternd zu sehen, dass sich die seltsame Stimmung von vorhin ganz von selbst aufgelöst zu haben schien. Hinagiku war die nächste, die sich zu ihnen an den Strand gesellte. Mit Sonnencreme im Gepäck, starrte sie erstaunt über Kazuyas und Yuris Schultern hinweg auf die zwei vermeintlichen Raufbolde, die inzwischen wie spielende Äffchen miteinander verschlungen waren und versuchten, sich unter viel Zeter und Mordio gegenseitig unter Wasser zu tauchen. „Na bei denen geht’s ja ab.“ Yuri, die ihre grünhaarige Freundin erst jetzt bemerkte, drehte ihren Kopf zu ihr herum. „Ach, bist du auch schon da?“, zog sie Hinagiku auf. Unbeeindruckt hob diese die zwei mitgebrachten Flaschen Sonnenmilch in die Höhe. „Beschwer dich nich’, schließlich habe ich als einzige noch dran gedacht, dass wir unsere Luxushaut vor der Sonne schützen sollten.“ Sie warf Kazuya, der verstohlen grinste, ohne Vorwarnung eine Flasche in den Schoß. „Hier, damit kannst du deine Freundin einreiben, falls sie nett Bitte sagt.“, erklärte sie mit einem Augenzwinkern. „Haaallooo~! Huuu-huuu~!“, plärrte es schrill über ihre Köpfe hinweg. Mit nervös zuckendem Auge drehte sich Hinagiku um. Yuri und Kazuya richteten sich ebenfalls auf, um dem Ruf mit Blicken zu folgen, und auch Yosuke und Momoko sprangen im Wasser aufgeschreckt auseinander. Es war Hiromi, die wie wild mit einem Arm hoch in der Luft winkte und sich mit dem anderen freudestrahlend bei Takuro untergehakt hatte. Der schlaksige junge Mann hatte sichtlich Mühe, unter ihrem wilden Rumgehampel nicht ins Straucheln zu geraten. Verkrampft trug er dabei zwei große Wassermelonen vor sich her und eine zusammengerollte Plane über seine linke Schulter. In einer Armbeuge brachte er noch zwei lange Bambusstäbe mit. „Wir sind da-haaa~“, tönte die aufgedrehte Lilahaarige ein weiteres Mal. Mindestens zwei Frauen unterdrückten ein genervtes Stöhnen. Endlich ließ Hiromi von Takuro ab und hüpfte wie ein junges Reh durch den Sand auf sie alle zu. „Yoyo-Maus, warum hast du denn nicht auf mich gewartet?“ Ohne die anderen zu beachten, rannte sie an ihnen vorbei und schnurstracks auf ihren Freund zu, dem sie überrumpelnd an den Hals fiel. „Iiih! Du bist ja ganz kalt und nass!“, kreischte sie entsetzt und hechtete einen Satz zurück. Momoko rollte heimlich mit den Augen und zog sich auf ihren Liegestuhl zurück, wo sie sich erst einmal abtrocknete. Hiromi hatte es geschafft, mal wieder alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und einen unbeschwerten Moment zu stören. Wirklich alle Blicke hafteten jetzt auf dem sehr speziellen Persönchen, aber das lag nicht allein an ihrem lautstarken Auftritt. Der tiefrote Bikini, mit dem sie zuvor so verschwörerisch angegeben hatte, verhüllte nur mit Mühe die vorgesehenen Bereiche. Ihr Triangel-Top, das in ihrem Nacken und im Rücken zugeknotet war, war so knapp, dass ihre überraschend üppigen Brüste so stark gepusht wurden, dass die anderen mit vor Scharm geröteten Wangen befürchteten, sie könnten ihr bei der kleinsten Bewegung aus den dreieckigen Cups herausspringen. Aber trotz ihres Gezappels blieb alles an seinem Platz. Um ihre Hüften sah es allerdings kaum anständiger aus: Je zwei dünne Schnüre, die rechts und links an ihren Hüftknochen zu Schleifchen verknotet waren, hielten abermals dreieckig geformten Stoff, der dürftig einen Teil ihres Pos und zumindest den Scharmbereich abdeckte. Und als ob das noch nicht ausreichte, um sich jede Aufmerksamkeit zu sichern, wölbte sich knapp über dem Scharmbein ihr Bauch zu einer zarten, dennoch auffallenden Rundung. Wer Hiromi nicht kannte oder nicht über ihren Umstand Bescheid wusste, würde es wahrscheinlich gar nicht bemerken und nur als kleinen Rettungsring werten, doch alle Anwesenden wussten es besser. Über den Anblick der jungen Frau verlegen und schockiert zugleich, vergaßen sie glatt Takuro, der sich nun ächzend und verschwitzt bei ihnen einfand. „Entschuldigt bitte, dass ich erst jetzt komme, aber es war gar nicht so einfach, zwei gekühlte, unangeschnittene Melonen zu bekommen.“, erklärte er japsend. Hinagiku, die als einzige in seiner Nähe stand, streckte ihre Arme nach einer der Früchte aus. „Komm, ich nehm’ dir eine ab.“ Takuro drehte sich abrupt mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck weg. „Nein danke, ich komme schon zurrecht.“ Die junge Frau schnaubte beleidigt und stemmte die Hände in die Hüften. Stellte er sich jetzt etwa wirklich bockig, weil sie seinen Plan, mit Momoko ein Zimmer zu teilen, vereitelt hatte? Schnurstracks lief er an ihr vorbei, ohne sie einen weiteren Blickes zu würdigen, und legte die Melonen und die Plane schließlich in der Mitte vor ihren Liegestühlen im Sand ab. Nach Luft schnappend und auf die beiden Stäbe gestützt, baute er sich über seinen Mitbringseln auf und warf einen Blick in die aufmerksame Runde. „Ich habe mir gedacht, zu einem richtigen Strandurlaub mit Freunden gehört ein standesgemäßes Eröffnungsritual. Da die Meisten von uns zu jung sind, um mit Alkohol anzustoßen oder sich in anderen Umständen befinden, die das ausschließen…“ Er warf dabei einen Blick auf Hiromi und Yosuke, der ihn für diesen Seitenhieb finster anschaute. „…dachte ich an eine Runde Suikawari. Was gibt es bei diesem Wetter schließlich Besseres, als kalte Wassermelone?“ Alle Mädchen außer Hinagiku klatschten begeistert in die Hände. „Das ist eine fabelhafte Idee!“, lobte Yuri. Sie stand von ihrem Stuhl auf und gesellte sich zu ihm. Kazuya und Momoko folgten ihr, sodass sie nun alle um die beiden Melonen herumstanden. „Und wer von uns soll spielen?“, fragte Kazuya ehrlich interessiert. „Yosuke! Yosuke soll eine zerschlagen!“, schlug Hiromi überschwänglich vor, doch ihr Freund machte nicht unbedingt den Eindruck, als wäre er scharf auf dieses Kinderspiel. „Ich finde, Kazuya sollte das machen!“, widersprach Yuri energisch und zog ihren Freund zu sich heran, der sich jetzt ebenfalls etwas überfallen und genötigt fühlte. Takuro hob beide Hände und winkte energisch ab, bevor noch mehr Stimmen laut wurden. „Ich habe mir eigentlich gedacht, wir könnten ein kleines Match daraus machen. Jungs gegen Mädchen. Jede Gruppe wählt ihren Vertreter und die Mannschaft, die zuerst eine Melone zerschlägt, gewinnt.“ „Dann mach’ ich das! Ich trete für die Mädels an.“ Hinagiku drängte sich zwischen sie und funkelte Takuro wild entschlossen an. Er starrte widerspenstig zurück. Erst jetzt musterte er ihre Gestalt genauer. Sie war schlank wie eh und je und hatte einen festen, gut trainierten Köper. Obwohl sie ein bisschen größer als Momoko war und durch ihre sportliche Figur weniger zart erschien, tat das ihrer femininen Erscheinung keinen Abbruch. Selbstbewusst drückte sie ihr schmales Kreuz durch und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Weder das schwarze, sportlich angehauchte Neckholder-Oberteil, noch die dazu passende, kurze, an den Seiten eingeschnittene Schwimmshorts konnten ihre weiblichen Rundungen verstecken. Sie war in den letzten Jahren sehr erwachsen geworden. Takuros Ohren wurden für einen Moment lang heiß bei diesem Gedanken, denn wenn er Hinagiku genauer musterte, hatte sie von den anwesenden Mädchen wahrscheinlich sogar die beste Figur. Er räusperte sich und verfiel zurück in seine ablehnende Haltung. „Von mir aus, wenn die anderen Mädchen nichts dagegen haben?“, entgegnete er kühl. Hinagiku warf allen einen Blick zu, der keinen Einspruch duldete. Momoko und Yuri schüttelten daraufhin heftig mit den Köpfen. „Nicht doch, soll sie ruhig machen!“, erklärte Momoko hastig. „Sehr gut.“, sagte Hinagiku selbstzufrieden grinsend. „Und ich will, dass du mein Gegner bist, Takuro!“, fügte sie herausfordernd hinzu. Perplex zeigte er mit dem Finger auf sich selbst. „Ich?“ Aus seiner Stimme hörte man den Unglauben. Und die Furcht, sich zu blamieren. Hiromis Blick verfinsterte sich. „Hey, wer hat dir eigentlich das Kommando hier übertragen? Erst machst du so ein Theater wegen der Zimmer und jetzt spielst du dich hier schon wieder als Bestimmerin auf!“ Yosuke nahm ihre linke Hand und drückte sie mit ermahnendem Nachdruck, aber sie wich nicht zurück. Auch nicht, als er sie bittend ansah. „Hast du etwa ein Problem damit, Hiromi-chaaa~n?“, fragte Hinagiku herausfordernd und äffte dabei bewusst Hiromis peinlichen Tonfall nach, den sie immer benutzte, wenn sie etwas wollte oder sich einzuschleimen versuchte. „Na, na! Nicht schon wieder streiten, wir können wie beim letzten Mal doch einfach abstimmen.“ Hilfesuchend sah der Brillenträger zu den beiden Fußballspielern, die seinen Blick einverstanden erwiderten. „Also von mir aus darf sich Takuro gerne mit Hinagiku duellieren.“, erklärte Kazuya. Yosuke zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Von mir aus auch.“ Seine Freundin drückte ihm ihre Fingernägel in die Haut seiner Hand. „Gnah!“, knurrte sie wütend. „Nie setzt du dich für mich ein!“ Der Dunkelhaarige setzte eine versöhnliche Miene auf. „Soll ich etwa gegen ein Mädchen antreten? Die Chancen sollten schon gerecht verteilt sein, finde ich.“ Takuro verstand diese Spitze sehr genau und ballte seine Finger um die Stäbe in seinen Händen. „Außerdem ist Takuro unser Gastgeber. Deswegen sollte er das machen.“ Seine Freundin verlagerte ihr Gewicht unschlüssig von einem Bein aufs andere und schaute dabei abwechselnd in die abwartenden Gesichter. „Hach, na gut. Von mir aus…“, gab sie schließlich kleinbei. Zufrieden grinste Hinagiku vor sich hin. Takuro warf ihr mit grimmigem Gesichtsausdruck einen Stab zu, den sie gekonnt auffing und in ihrer Hand wie eine Waffe rotieren ließ. Momoko, Yuri, Kazuya und Yosuke nahmen je ein Ende der großen Kunststoffplane und breiteten sie genau in der Mitte zwischen dem Ufer und ihren Stühlen über dem Sand aus, den sie zuvor mit den Füßen notdürftig geebnet hatten. Hiromi hatte sich lieber auf den äußersten Liegestuhl rechts von Yuris niedergelassen, über dem extra nur für sie der Sonnenschirm aufgespannt war, und genehmigte sich eine Limonade aus der Kühltasche. Hinagiku schwang derweil, um sich warm zu machen und weil es ihr einfach Spaß machte, abwesend ihren Stab und wirbelte wie zum Angriff immer wieder mit ihm herum. „Du brauchst noch die Augenbinde.“ Sie drehte sich zu Takuro um, der aus der Hosentasche seiner knielangen, bunt karierten Badeshorts eine weiße Augenbinde zog und ihr reichte. Skeptisch nahm sie ihm das Stück Stoff ab, „Danke.“, sagte sie nur knapp. Die Stimmung zwischen ihnen beiden war immer noch angespannt. Kazuya und Yuri, die unweit entfernt standen, seufzten. „Erst Yosuke und Momoko, jetzt die beiden.“, flüsterte sie leise. Ihr Freund nickte unauffällig. „Ich dachte, sie kennen sich aus dem Sandkasten und wären Freunde?“ Die Dunkelhaarige wackelte mit dem Kopf, als wäre sie sich nicht sicher. „Eigentlich schon, aber ihr Verhältnis hat sich geändert, seit Takuro von seinem Auslandsjahr zurückgekommen und mit Momoko zusammen ist.“ „Bei wem liegt das Problem?“ „Bei ihm. Aber er ist auch mir gegenüber seither ziemlich reserviert.“ Kazuya legte nachdenklich eine Hand an sein Kinn und beobachtete, wie die beiden Blickkontakt miteinander mieden, während sie sich mental und körperlich auf das Spiel einstellten. „Na hoffentlich geht das gut. Hinagiku scheint ziemlich geladen zu sein.“, bemerkte er besorgt. Yuri lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schaute in dieselbe Richtung wie er. „Das wird schon. Was soll schließlich groß passieren?“ „Nun, ich bin mir sicher, dass ein Hieb mit diesen Bambusstöcken ziemlich weh tut.“ Seine Freundin begann bei der Vorstellung, wie Hinagiku den unsportlichen Takuro wie eine Furie über den Strand scheuchte, wild zu kichern. „Ich bin mir sicher, das wird lustig.“, entgegnete sie heiter. „Und was ist mit ihnen?“ Mit einem Kopfnicken deutete er auf Momoko und Yosuke, die weit auseinander standen und so taten, als prüften sie noch mal sie optimale Lage der Melonen auf der Plane. „Ich weiß nicht. Was hast du denn vorhin zu ihm gesagt, dass er deswegen vor Momoko und mir die Flucht ergriffen hat?“ „Ich habe ihn darauf angesprochen, dass er sich über seine Gefühle für sie endlich klar werden muss.“ Erstaunt schaute Yuri zu ihm auf. „Das hast du gemacht? Ich dachte, wir wollten uns nicht einmischen, sondern nur beobachten und aufpassen?“ Er lächelte ertappt und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich wollte ihm nur einen kleinen Schubs geben. Ich bin mir inzwischen sicher, dass er in sie verliebt ist, aber ich glaube, er würde es ohne einen Anstoß nie selbst herausfinden. Yosuke ist in dieser Hinsicht eher still und verschlossen. Er traut sich selber nicht, deswegen ist er ja auch mit Hiromi zusammengekommen.“ Yuri rümpfte geräuschvoll die Nase. „Ich dachte, dass das ein Unfall war. Dass Hiromi ihn betäubt und einer Gehirnwäsche unterzogen hat.“ Kazuya konnte sich ein lautes Auflachen nicht verkneifen. „Psssssssst!“, ermahnte ihn Yuri scharf, doch niemand guckte interessiert in ihre Richtung. „Entschuldige, aber das war ganz und gar kein Unfall. Hiromi war einfach sehr hartnäckig und Yosuke zu gutmütig. Ich glaube, dass er einfach irgendwann gar nicht mehr so genau wusste, warum er zu Hiromi eigentlich immer wieder nein sagte. Es gab nie ein Mädchen, das ihn wirklich interessierte, also woher sollte er sich sicher sein, dass Hiromi nicht vielleicht doch das Mädchen sein könnte? Immerhin war sie die einzige, die nicht locker ließ und sich ehrlich immer wieder um ihn bemüht hatte.“ „Gott, hör bloß auf mir das zu erzählen, sonst entwickle ich für sie noch so etwas wie Mitleid oder Sympathie.“, stöhnte die Dunkelhaarige und massierte ihre Schläfen mit den Fingern. Der Blonde schüttelte leise lachend den Kopf. „Hey, Kaz! Yuri, kommt ihr her? Wir wollen anfangen!“, rief Yosuke sie winkend zu sich. „Klar, wir kommen!“ „Okay, hier noch mal die Regeln: Ihr geht beide etwa zwanzig Schritte in die entgegengesetzte Richtung, setzt die Augenbinden auf, dreht euch zehn Sekunden über euren Stab gebeugt im Kreis und lauft dann los. Euer Team ruft euch die Richtung zu, in die ihr laufen müsst, um die Melone zu erreichen. Wer seine Melone zuerst anschlägt hat gewonnen.“, erklärte Kazuya fachmännisch. „Alles klar soweit?“ Er erntete zustimmendes Nicken und kampfbereite, vor Funken sprühende Blicke. „Möge der Bessere gewinnen.“, wünschte Takuro im Angesicht seiner Rivalin. „Oder die Bessere.“, ergänzte Hinagiku. Momoko schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Das sollte doch nur ein auflockerndes Freundschaftsspiel zum Spaß werden, warum kam es ihr dann so vor, als würden die beiden daraus eine Schlacht ihres privaten Kleinkrieges machen? Heimlich warf sie Yosuke einen Blick zu, doch er erwiderte ihn nicht. Stattdessen stellte er sich zusammen mit Kazuya auf Takuros Hälfte des unsichtbaren Spielfeldes, um ihn anzufeuern. Sie suchte Anschluss bei Yuri und Hiromi, die sich trotz ihrer schlechten Laune wieder aufgerafft hatte, um zuzusehen. Hinagiku und Takuro verbanden sich jetzt die Augen und legten ihre Stirn an das Ende ihres Stabes, das nicht im Sand steckte. Kazuya hob einen Arm in die Luft und erhob seine Stimme. „Auf die Plätze! Fertig! LOS!“ Wie die Wilden drehten sich die zwei Kontrahenten um die eigene Achse im Kreis, während ihre Freunde laut bis zehn zählten. Bei zehn rannten sie los, was wie der verzweifelte Angriffsversuchs eines angeschossenen, volltrunkenen Samurais aussah. Unter schallendem Gelächter riefen die Mannschaften ihren Vertretern die richtige Richtung zu, doch in den ersten Sekunden liefen Takuro und Hinagiku überall hin, nur nicht den angewiesenen Weg. Strauchelnd torkelten sie vorwärts und stolperten hilflos durch den Sand. Takuro war gleich zu Anfang der Länge nach in den ultrafeinen Kies gestürzt und prustete ihn von seinen Lippen, aber auch die sportliche junge Frau bewegte sich mehr wie ein unkontrollierter Box-Sandsack und knickte ein ums andere Mal um. Die Jungs riefen viel lauter und energischer mit ihren tiefen, Fußballplatz erprobten Stimmen als die Mädchen. Es fiel Hinagiku schwer, über deren Kommandos hinweg noch die Rufe ihrer Freundinnen zu verstehen, trotzdem kämpfte sie sich tapfer und entschlossen vor. „Du hast es gleich! Noch ein paar Schritte vorwärts!“, hörte sie Momoko rufen. „Etwas weiter links!“, schrie Yuri. Hinagiku hob den Stab über ihren Kopf, bereit, ihn jeden Moment hinabschnellen zu lassen. „Schneller, Takuro!“, brüllte Kazuya ermutigend. „Noch einen Schritt und zuschlagen!“ Das Herz der Kurzhaarigen begann zu rasen. „Vergiss es!“, stieß sie aus und sprang entschlossen vorwärts, irgendwo da musste ihre Melone liegen; sie sah sie vor ihrem inneren Auge. Sie kam nicht mehr dazu, ihren Stab zu schwingen, denn in der nächsten Sekunde prallte sie ungebremst in einen aufschreienden Körper. Und danach auf etwas Hartes, das mit einem Knacken unter ihr nachgab. Hinagiku hörte noch, wie die anderen erschrocken Luft holten. „Oh je, ist alles in Ordnung?!“ Es musste Momokos Stimme sein, die nun ganz nah an ihrem Ohr erklang. Mit fahrigen Bewegungen nahm sie die Augenbinde ab und blinzelte direkt in Takuros verkniffenes Gesicht. Er saß ihr gegenüber im Sand und hielt sich die linke Schulter. Sie selbst stellte unglücklich und etwas angeekelt fest, dass sie beim Rückstoß auf ihre Melone gefallen war, die sich unter ihrer Hüfte zum größten Teil in Matsch verwandelt hatte. Momoko und Yuri liefen besorgt auf sie beide zu, gefolgt von der schadenfroh grinsenden Hiromi. Yosuke und Kazuya standen schon hinter Takuro, bereit um zu helfen, falls nötig. „Was sollte das denn? Bist du verrückt geworden?!“, fuhr Takuro sie an, nachdem der erste Schock vorüber war. „Ey, das war doch keine Absicht! Ich war blind, genau wie du!“, verteidigte sie sich. „Niemand hat gesagt, dass du mich rammen sollst!“ „Jetzt heul mal nich’ rum, wenigstens liegst du nich’ im Obstsalat!“ Er schaute auf das Desaster unter ihrem Po und zog amüsiert einen Mundwinkel hoch. „Die Melone mit dem Hinterteil zu zerlegen ist gegen die Regeln. Das heißt dann wohl, dass ich gewonnen habe.“ Hinagikus Blick verfinsterte sich. Ohne sich von dem Matsch und Saft an ihrer Badehose beirren zu lassen, der ihren Oberschenkel hinab lief, stand sie auf. Den Bambusstab immer noch fest umschlossen in der linken Hand. „Die Melone ist kaputt, egal wie. Deine ist ja noch nicht mal angeschlagen!“, beharrte sie. „Aber die kann man ja so gar nicht mehr essen!“, beschwerte sich Hiromi, die dafür vernichtende Blicke von Hinagikus Freundinnen erntete. Dankbar nickte Takuro in ihre Richtung. „Da hörst du es. Die schöne Melone ist sogar unbrauchbar.“ Er zog sich gerade auf die Knie, da hörte er ein Zischen durch die Luft sausen. Ein Geräusch, das die Kombination aus einem Krachen und einem Platschen war, erfüllte die Umgebung, als grobe Fruchtfleischbrocken durch die Luft in alle Himmelsrichtungen spritzten. Entsetzt schrien die anderen auf und sprangen zur Seite, zu spät natürlich. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Takuro auf die Stelle, an der eben noch seine makellose Melone gelegen hatte und jetzt nur noch das Ende eines Bambusstabes war, umringt von einem Haufen fruchtig roter Brocken und schwarzen Kernen. Wie in Zeitlupe registrierte er die klebrigen Überreste auf seinem weißen Freizeithemd und auf seiner Brille. Er schaute auf und sah, wie das andere Ende des Stabes von Hinagikus beiden Händen umklammert wurde. „Guten Appetit wünsche ich dir dann, Sieger.“ „Warum… warum hast du das getan?“, stammelte Takuro, der sich noch nicht genug gefasst hatte, um einen Wutausbruch zu bekommen. Auch die anderen waren noch starr vor Schreck über diese abrupte Aktion. „Weil mir deine blöde Arroganz gewaltig auf den Sack geht!“ Sie warf den Stab genervt in den Sand und klopfte ihre Hände ab. „Ich bin nicht arrogant!“ „Bist du doch!“ „Bin ich nicht!“ „Doch! Und selbstverliebt!“ „Nein!“ „Doch!“ „Nein!“ Hinagiku reichte es ein weiteres Mal. Ohne groß darüber nachzudenken, griff sie in die Melonenmasse und schleuderte sie in Takuros Gesicht, sodass seine Brille danach nur noch auf halb neun saß. „Das hast du nicht wirklich gerade getan!“ „Oh doch, hat sie.“, korrigierte Yosuke ihn, der seinen ersten Schock überwunden hatte. Die Situation begann langsam amüsant zu werden, er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das machst du nicht noch mal!“, drohte Takuro seiner ehemaligen Sandkastenfreundin mit erhobenem Zeigefinger, doch da flog schon die nächste Portion auf ihn zu und riss ihm die Brille ganz von der Nase. Das war der Moment, in dem auch Momoko die Hände vor den Mund schlagen musste, um nicht laut loszuprusten. Vorwurfsvoll warf ihr Verlobter ihr dafür einen bedröppelten Blick zu, was unter der Melonenmasse in seinem Gesicht noch viel lustiger aussah, als die schiefe Brille allein. Hinagiku, die eben noch sauer war, konnte plötzlich nicht mehr an sich halten und lachte lauthals los. Momoko und Yosuke gaben ihren Widerstand auf stimmten angesteckt mit ein, während Yuri und Kazuya sich ansahen und noch nicht so recht wussten, was sie davon halten sollten. „Du siehst so genial aus!“, quietschte die Kurzhaarige zwischen zwei Lachattacken und hielt sich den Bauch. Lachtränen quollen aus ihren Augenwinkeln - sie konnte den erniedrigten Takuro nicht ansehen, ohne sofort wieder loszulachen. „Das büßt du mir!“, kündigte er schließlich an, als endlich wieder Bewegung in ihn kam und seine verschmierte Brille wieder da saß, wo sie hingehörte. Die Herausforderung annehmend, streckte er seine Hand nach einem Fruchtfleischbrocken aus und warf ihn in ihre Richtung. Allerdings war er nach wie vor nicht der Beste in Sport und Hinagiku hatte selbst lachend noch die Reflexe einer Katze. Also flog sein Wurfgeschoss an ihr vorbei und landete dafür direkt in Hiromis freizügigem Ausschnitt. Diese schrie auf vor Entsetzen und fuchtelte hysterisch mit den Händen, als hätte sie eine Riesenspinne auf ihren bebenden Brüsten sitzen. Yuris Körper bog und krümmte sich daraufhin zitternd. Mit verschlungenen Armen hielt sie sich selber fest und bemühte sich nach Leibeskräften, keine Schadenfreude zu zeigen, aber dann brach auch aus ihr ein ungehemmter Lachanfall heraus. „Du Idiot! Kannst du nicht zielen?!“, keifte Hiromi und schnappte sich ebenfalls eine Portion, die sie blindlings wie ein ungeschicktes Kind in die Gegend warf. Es traf Kazuya wie ein Möwenhaufen auf das blonde Haupthaar. Jetzt konnte keiner mehr von ihnen an sich halten; jeder musste lachen - selbst die zickige Hiromi und der verkrampfte Brillenträger. Dieser versuchte sein Glück gegen Hinagiku noch ein zweites Mal und traf sie am Bauch. Kampfeslustig grinsend schlug sie sofort zurück und es dauerte nicht lange, bis sich auch die anderen Fünf an der Essensschlacht beteiligten und so offene Rechnungen beglichen und Spannungen abbauten. So nahm die missglückte Runde Suikawari letztendlich doch noch das gewünschte Ende, mit viel Gelächter und guter Laune. Kapitel 62: Day 1.3 – Jealousy ------------------------------ Nachdem es keine Melone mehr zu verschießen gab und sich die klebrige Masse aus Frucht und Sand auf ihrer Haut und in den Haaren nicht mehr ignorieren ließ, verlagerte die Gruppe den Spaß ins Wasser. Es gab schon lange keine Regeln mehr, nach denen sie spielten - jeder spritzte gegen jeden und kämpfte darum, nicht selber unter Wasser getaucht zu werden. Nur auf Hiromi nahmen alle etwas Rücksicht, egal wie fies und hinterhältig ihre eigenen Attacken waren. Völlig geschafft, aber dafür wieder sauber und durchflutet von einer durchweg positiven Energie, kehrten sie letztendlich wieder zu ihren Liegestühlen zurück. Die Sonne war inzwischen ein gutes Stück weitergezogen, trotzdem waren ihre Strahlen noch stark genug, um ihre nassen Körper aufzuwärmen und zu trocknen. „Ist das nicht herrlich?“, schwärmte Hiromi genüsslich und streckte sich lasziv räkelnd auf ihrem Handtuch aus. Keiner antwortete ihr direkt, aber alle stimmten zu. Die warmen Sonnenstrahlen prickelten angenehm auf der Haut. Yuri hob die Hand über ihre Augen und sah sich zu beiden Seiten nach ihren Freunden um. Momoko und Hinagiku lagen mit geschlossenen Augen auf dem Bauch und auch alle anderen betrieben entspannt Augenpflege. „Sagt mal, habt ihr euch eigentlich alle schon eingecremt?“, fragte sie irgendwann in die einträchtige Stille hinein. Hinagiku auf dem Stuhl neben Kazuya öffnete ein Auge und hob ihren Kopf. „Nee. Ich glaube, das haben wir verschwitzt.“ Auch die Jungs und die anderen Mädchen horchten auf und warfen unbewusst einen Blick auf ihre ungeschützt, in der Sonne brutzelnden Haut. „Das ist nicht gut. Es ist schließlich erst unser erster Tag hier, da wollen wir uns doch nicht gleich einen fiesen Sonnenbrand holen, oder?“ Yuri schaute neben sich und suchte nach der Flasche Sonnenmilch, die Hinagiku vorhin Kazuya zugeworfen hatte. Sie fand sie unter dem Haufen nasser Klamotten, den sie nach der Melonenschlacht und dem Bad im Meer dort abgelegt hatte. Hinagiku zückte im selben Moment ihre eigene Sonnencreme und stand auf, damit sie sich besser damit einreiben konnte. „Leihst du uns danach vielleicht deine?“ Die Kurzhaarige drehte sich verdutzt zu Takuro neben sich um, der tatsächlich freundlich das Wort an sie gerichtet hatte. „Klar. Das hatte ich eh vor.“ „Wir haben auch nichts dabei.“, gestand Yosuke, allerdings an Yuri gerichtet. „Kein Problem, die ist sowieso für alle gedacht.“, erklärte sie mit einem Lächeln. „Kazuya, hilfst du mir bitte kurz mit meinem Rücken?“ Die Brünette setzte sich seitlich auf den Stuhl ihres Freundes und reichte ihm die Flasche mit der Lotion. „Aber sicher.“, antwortete er und ließ sich nicht lange bitten. Mit einer sanften Handbewegung strich er ihre feuchten Haare nach vorn über die Schulter und gab sich etwas von der Creme auf die Hand. Zärtlich, mit massierenden Bewegungen, rieb er sie langsam von den Schultern bis runter zum Bund ihres Slips ein. Hiromi, die das beobachtete, wurde ganz neidisch. Es war eine simple Geste, trotzdem lag so viel Intimität darin, dass sie sich auch danach sehnte. Takuro auf der anderen Seite der Sitzgruppe empfand ganz ähnlich, als sich Yuri im Gegenzug um Kazuyas ungeschützten Rücken kümmerte. Yosuke hatte Minuten später kaum die Flasche von Yuri entgegengenommen, da rutschte Hiromi schon mit dem Rücken zu ihm zwischen seine Beine. „Bitte, schmierst du mich auch ein, Yoyo-Maus?“, säuselte sie honigsüß und klimperte verführerisch mit den Wimpern. Wie sie sich anbiederte entging auch den anderen nicht. Verlegen sahen sie einen Moment lang zu, wie sich Yosuke nach anfänglicher Überrumpelung zögerlich ans Werk machte. Seine braungebrannten, starken Hände auf Hiromis weißer Haut fühlten sich für Momoko an wie ein Würgegriff um ihren Hals. Angewidert wendete sie den Blick ab und starrte auf ihre Füße. Sie wollte nicht mit ansehen, wie seine Finger über Hiromis schmalen Rücken wanderten und dort aufhörten, wo ihr anstößiger Bikini endete. Allein der Gedanke machte sie rasend; ihr Herzschlag beschleunigte sich verärgert in ihrer Brust und sie fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie hatte kein Recht auf diese Reaktion, aber das hielt ihren Körper nicht davon ab, trotzdem durchzudrehen. Zärtlichkeiten zwischen den beiden waren das Letzte, das sie mit ansehen wollte. „Momoko? Würdest du mir vielleicht auch helfen?“ Überrascht nahm sie die Sonnencreme wahr, die Takuro ihr direkt unter die Nase hielt. Mit großen Augen sah sie in sein hoffnungsvoll lächelndes Gesicht. „Äh… ja, natürlich.“, stammelte sie und wurde wieder rot, diesmal vor Scharm. Der Brillenträger stand auf und begann das Hemd aufzuknöpfen, das er, trotz das es nass vom Schwimmen war, bislang noch nicht ausgezogen hatte. Hinagiku musterte ihn beiläufig, als er es abstreifte, und geriet ungläubig ins Staunen. „Hey Takuro, hast du etwa trainiert?“, bemerkte sie laut. Jetzt sahen auch alle anderen in ihre Richtung. Der Schwarzhaarige drehte sich etwas schüchtern zu ihr um, kratzte sich im Nacken und nickte. „Sieht man das etwa? Ich versuche erst seit ca. vier Wochen, mich mit etwas Krafttraining in Form zu bringen.“ Die Veränderung war nicht weltbewegend, aber deutlich genug, um sie zu erkennen. Sein weicher, flacher Oberkörper und die Hühnerbrust wirkten sichtbar gestrafft. Seine Konturen waren definierter und ein Ansatz von Bauch- und Brustmuskeln war zu erkennen. „Das habe ich ja gar nicht gewusst.“, gestand Momoko ehrlich überrascht. „Ich weiß, ich wollte dich eigentlich erst etwas später damit überraschen.“, gab er peinlich berührt zu. Das erklärte zumindest, warum er sich bis eben nicht ohne Hemd zeigen wollte. Sie schluckte, als sie seine Figur musterte. Sie hatte noch gut seinen ursprünglichen Körper vor Augen. Bei der Erinnerung daran legte sich noch eine Nuance mehr Rot auf ihre ohnehin glühenden Wangen. „Ich hätte nie gedacht, dass du mal freiwillig trainieren würdest. Aber es steht dir gut, mach weiter so!“, lobte Hinagiku ihn motivierend. Yuri weiter hinter ihnen warf einen Blick über ihre Schulter zu Yosuke und Hiromi. Es entging ihr nicht, dass der Dunkelhaarige genau in diesem Moment seinen Blick wieder auf Hiromis Rücken richtete. Sie sah noch, wie seine dichten Brauen tief über den Augen zusammengezogen waren. Er presste seine Lippen zu einer schmalen, angespannten Linie aufeinander. Schnell drehte sich Yuri wieder zurück und beobachtete nun Momoko. „Danke dir. Aber ich glaube, eine Sportskanone wie du werde ich trotzdem nicht.“, scherzte Takuro derweil mit der Kurzhaarigen, ehe er sich zu seiner Verlobten auf den Liegestuhl setzte. Hinagiku lachte zustimmend und rollte sich zum Sonnen wieder auf den Bauch. Ihren Rücken hatte sie mit einigen akrobatischen Verrenkungen zuvor selbst versorgt, sodass nun ein unordentlicher, weißer Film ihre Haut dort bedeckte. Momoko schluckte abermals, als sie mit der Sonnenmilch in der Hand anfing, sich Takuros blassem Rücken zu widmen. Fahrig verschmierte sie die Lotion zwischen ihren Händen und verteilte sie mit zügigen Bewegungen auf seiner Haut. Sie hatte Glück, dass es sich nicht um eine von den Cremes handelte, die sich nur schwer verstreichen ließen. Takuro lachte leise. „Lass dir doch ruhig Zeit dabei, so schnell verbrenne ich nicht.“ „Lieber nicht, du hast so einen empfindlichen Hauttyp. Im Nacken bist du schon ganz rot.“, flunkerte sie. „Wirklich? Ich merke gar nichts.“ „Doch, doch! Glaub mir, das kommt noch. Aber jetzt bist du gleich fertig und geschützt.“ Mit Herzrasen vermied sie einen Blick in Yosukes Richtung. Unter den wachsamen Augen der anderen fühlte es sich furchtbar falsch an, Takuro so vertraut zu berühren. Obwohl es das nicht sollte, war es ihr schrecklich peinlich. „So, dann dreh dich mal um, damit wir deinen Rücken auch versorgen können.“ Da passierte es aus Reflex doch, dass sie an Takuro vorbei zu Yosuke schaute, dessen Blick ihren streng und mit Verärgerung darin streifte. Er wandte sich aber blitzschnell wieder ab, sodass Momoko blinzelnd zu Takuro zurück fand. „Warum cremst du nicht zuerst den Rest von dir fertig ein?“, hinterfragte sie unschuldig, um von sich abzulenken. „Das kann warten. Deine zarte Haut kann das nicht.“ Hinagiku äffte hinter seinem Rücken leise das Geräusch eines sich Erbrechenden nach. Momoko bemühte sich unter seinem glühenden Blick um ein höfliches Lächeln. Noch ein Mal spürte sie Yosukes Augen auf sich ruhen, ohne zu wissen, ob er sie wirklich beobachtete. „Ach weißt du…“, setzte sie an und gestattete sich dabei noch ein Mal, in die Gesichter ihrer Freunde zu sehen. „…ich glaube, ich gehe erst noch mal eine Runde ins Wasser! Mir ist schon wieder so heiß.“ Schon war sie aufgesprungen und flitzte auf die Wellen zu. „Schon wieder? Wir waren doch eben erst schwimmen!“, rief Takuro ihr noch mal hinterher, aber da war sie schon abgetaucht. Yuri und Kazuya sahen sich bedeutungsschwanger an; das war jetzt schon das zweite Mal an diesem Tag, dass jemand buchstäblich ins Meer flüchtete. Hinagiku lehnte sich, ähnlich verwundert wie Takuro, mit verschränkten Armen in ihren Stuhl zurück und sah ihrer Freundin misstrauisch hinterher. Yosuke gab sich alle Mühe nicht zu zeigen, dass es ihn erleichterte, dass Momoko vor ihrem Verlobten die Flucht ergriffen hatte. Ein alter, niederer Urinstinkt hatte sich in ihm geregt, als die junge Frau mit den strahlend himmelblauen Augen dazu aufgefordert wurde, Takuro einzuschmieren. Er fühlte sich ein bisschen wie damals, als er sich nicht vorstellen konnte, dass jemand wie dieser Streber ein Mädchen wie sie abbekam, was der Auslöser dafür gewesen war, dass er ihm Momoko missgönnt hatte. Das Bedürfnis, sie zu schützen und ganz allein für sich einzunehmen, kochte nach all der Zeit wieder in seinem Blut hoch. Es fühlte sich befremdlich an, so zu denken und zu empfinden, und andererseits dabei Hiromi den Rücken zu massieren. „Das machst du gut.“, schnurrte sie wie ein Kätzchen mit zurückgelegtem Kopf. „Lass deinen Kopf vorne, sonst hängen deine Haare in der Sonnenmilch.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und grinste verschlagen. „Das ist mir egal, solange du nur nicht aufhörst.“ Er hielt Inne, ihr Tonfall verursachte in seinem Magen ein unangenehmes Kribbeln. „Ich bin jetzt aber fertig. Du kannst nun den Rest von dir eincremen.“ Geschmeidig drehte sie sich in seinem Schoß zu ihm um. „Kannst du das nicht für mich machen?“ Sein Mund wurde trocken und Yuri neben ihm schlackerten die Ohren von dem, was sie da hörte und aus dem Augenwinkel sah. Yosuke fand seine Stimme wieder. „Wir sind hier doch nicht unter uns, Hiromi.“ Sie warf einen kritischen Blick zu den anderen Stühlen, doch bis auf Yuri, die sich längst wieder hinter ihrer Sonnenbrille versteckte, schien sie niemand zu beachten. „Seit wann bist du denn so schüchtern?“ Er verzog das Gesicht. „Ich bin nicht schüchtern, aber deswegen müssen wir hier noch lange keine Show abziehen.“ Seine harten Worte wischten Hiromi das Lächeln aus dem Gesicht. Eine Ohrfeige hätte weniger wehgetan und Yosuke bereute bereits, was er gesagt hatte, aber es war zu spät, um es zurück zu nehmen. Gekränkt und mit Tränen in den Augen stand sie auf und ließ sich auf ihren eigenen Stuhl fallen. „So habe ich mir das nicht vorgestellt. Du hast mir einen romantischen Urlaub versprochen, aber seit wir hier angekommen sind benimmst du dich mir gegenüber wie ein Ekel.“, presste sie zwischen ihren zusammengekniffenen Lippen hervor. Trotzig starrte sie geradeaus und hielt ihre Arme vor der Brust verschränkt. Sie sprach leise genug, dass ihr verletztes Wimmern nur von Yosuke gehört wurde. Dieser biss sich auf die Zunge, damit nicht noch mehr scharfe Worte seinen Mund verließen. Die einzige Person, die sich nicht an die Absprachen hielt, war doch wohl sie selbst und nicht er! Wer provozierte denn bei jeder sich bietenden Gelegenheit oder gab andauernd unangebrachte Kommentare von sich? Das einzige, wofür er sich schuldig bekennen würde war, dass er aktiv am Boykott der Doppelzimmer beteiligt war, obwohl er Hiromi etwas anderes in Aussicht gestellt hatte. Gut, er turtelte auch nicht unentwegt mit ihr oder suchte ihre Nähe, so wie es Kazuya und Yuri offen taten, aber das hatte er schon vor dem Trip nicht gemacht. „Das stimmt doch gar nicht. Ich meine es ja nicht böse.“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Hiromi machte einen herzzerreißenden Schmollmund. „Zu den anderen bist du viel netter, als zu mir.“, beharrte sie weinerlich. Am liebsten wollte Yosuke sich mit beiden Händen die Haare raufen und laut ächzen! Er hatte jetzt keinen Nerv für eine von Hiromis hormonbedingten Launen. Wie sollte er ihr schließlich erklären, dass er wegen einem anderen Mädchen gestresst war und deswegen überreagiert hatte? Viel lieber, als mit ihr hier im Flüsterton zu streiten, würde er Momoko ins Wasser folgen und seinen Gefühlen etwas mehr auf den Grund gehen. Wie sollte das gehen, wenn er sie nicht alleine und ohne Zuschauer zu fassen bekam? „Hey, hörst du mir überhaupt zu?!“, fauchte Hiromi ungläubig. Yosuke schreckte hoch, schon wieder hatte er sich von seinen Gedanken mitreißen lassen. „Ja, natürlich höre ich dir zu! Sag mir doch, was ich tun kann, damit es dir besser geht.“, schlug er eilig einlenkend vor. Sie prüfte eingehend seine Miene, ehe sie antwortete. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich etwas Hunger. Und ich müsste mal auf die Toilette.“ Er stutzte – machte sie es ihm da nicht etwas einfach? „Ist das alles? Na, soll ich dich zum Haus begleiten und nachschauen, ob wir etwas für dich zum Essen finden?“ Hiromis Gesichtsausdruck veränderte sich wieder zu einem Strahlen. „Au ja! Tust du das für mich?“ „Da ist doch nichts dabei, gern.“, antwortete er arglos mit einem Schulterzucken. „Das ist supi mega lieb von dir!“, quietschte sie glücklich und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Eigentlich war Momoko schon von ihrem ausgedehnten Spritzwettkampf mit den anderen völlig fix und fertig, und wollte sich am liebsten nur noch mit einer Limo und vielleicht einem kleinen Snack in die Sonne legen. Stattdessen wog sie ihren Körper müde in den Wellen hin und her und paddelte mal lustlos in die eine Richtung, dann in die andere. Allein im Wasser war es öde... außerdem brannten sich die Sonnenstrahlen inzwischen ziemlich unangenehm durch die Wassertropfen auf ihren Schultern. Ihre Hände und Füße, die noch von vorhin aufgeweicht waren, wurden langsam schrumpelig. Nachdem sie trotzdem tapfer weitere Minuten im Wasser zugebracht hatte, zwangen sie schließlich die Kälte und Schwäche dazu, wieder an Land zu gehen. Tatsächlich war ihr sogar etwas schwindelig, als sie sich wieder bei ihrem Stuhl einfand. Zuvorkommend reichte Takuro ihr eine geöffnete Limo und ihr Handtuch. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt. „Ja, danke. Aber ich könnte eine Kleinigkeit zu Essen vertragen, bis zum Abendbrot ist es ja bestimmt noch ein bisschen hin.“ „Lustig, dass du das sagst. Yosuke und Hiromi sind auch vor nich’ mal fünf Minuten deswegen reingegangen. Es sind zwar keine frischen Lebensmittel da, aber Takuro hat’n paar abgepackte Sandwiches im Kühlschrank gesehen.“, mischte sich Hinagiku ein. Momoko schaute nach links und entdeckte die verlassenen Liegestühle des vermeintlichen Pärchens. „Ist das so?“, murmelte sie skeptisch. „Momoko, möchtest du, dass ich dich auch ins Haus begleite?“ Um eventuelle Bedenken zu zerstreuen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, bedachte sie Takuro mit einem fröhlichen Lächeln. „Nein danke, das brauchst du nicht. Aber ich kann dir gerne etwas mitbringen, wenn du willst.“ Seine besorgte Miene hellte sich wieder auf. „Danke, aber ich brauche nichts. Komm einfach nur schnell wieder zurück.“ Sie zwinkerte ihm zu und fragte dann noch höflicher Weise ihre Freunde, ob sie ihnen vielleicht etwas mitbringen konnte, aber auch sie lehnten dankbar ab. Bis zur Minka waren es etwa 50 Meter, wenn nicht sogar mehr. Auf dem Weg dahin wrang Momoko noch mehrmals ihre dicken Haare aus und durchkämmte sie mit den Fingern. Es musste ja nicht sein, dass sie tropfend über die guten Holzböden im Inneren lief. Sie setzte sich außerdem auf den Rand des Engawa und klopfte mit den Händen den Sand von ihren nackten Füßen, bevor sie ihre Beine über die Dielen schwang und sich wieder aufsetzte. Leise durchschritt sie den schmalen, ungenutzten Raum am Seiteneingang, um auf die innere Veranda zu kommen. Zielgerichtet steuerte Momoko die Küche an und wappnete sich dafür, dort auf Yosuke und seine Freundin zu treffen, doch zu ihrer Überraschung war der Raum leer, als sie die Shoji-Tür öffnete. Sich wundernd blieb sie stehen, um zu lauschen, ob jemand in ihrer Nähe war. „Eigenartig.“, murmelte sie leise für sich. Vielleicht hatte sie die beiden gerade verpasst, als sie reingekommen war? Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden ging sie zum Kühlschrank, und machte sich über ein abgepacktes Sandwich mit Ei und Tunfisch her. Ihr Appetit war zu groß, um mit dem Essen zu warten, bis sie wieder am Strand war. Hungrig lehnte sich die junge Frau gegen die Küchenschränke und verspeiste den einfachen Snack mit gierigen Bissen. Gerade, als sie von der Küche aus direkt zurück auf den äußeren Ring des Hauses trat, und sich dabei die letzte Ecke Toast in den Mund stopfte, hörte sie ein albernes Glucksen rechts neben sich. Es drang direkt um die Ecke, hinter der sich einige Meter weiter eine der Toiletten des Hauses befand. Ohne nachzudenken warf Momoko einen Blick um die Kurve und schreckte sofort vor dem zurück, was sie sah. Sie hatte die beiden kaum im Augenwinkel wahrgenommen, da wollte sie eigentlich schon wieder direkt auf dem Hacken kehrtmachen. Doch ein kleiner, fieser und schier übermächtiger Funken Neugier in ihr siegte, und verleitete sie zu einem zweiten, genaueren Blick. Einen Atemzug später bereute sie das bereits. Hiromi stand mit dem Rücken zur Holzwand, ein Bein lasziv angewinkelt und einen Arm um Yosuke geschlungen, der ganz nah vor ihr stand. Ihre Hand ruhte fordernd in seinem Nacken und zog ihn zu einem innigen Kuss zu sich herunter. Der Mund blieb der Rosahaarigen offen stehen vor Entsetzen, denn das war noch nicht das Bizarrste für sie an dieser Szene. Eine Hand des Dunkelhaarigen lag auf einer der blassen, knapp bedeckten Brüste der skrupellosen Schwangeren, und das keineswegs zufällig. Hiromi selbst hatte ihre Hand auf seine gelegt und leitete seine Bewegungen mit genießerischer Miene an. Angeekelt gelang es Momoko endlich, den Blick von dem offensichtlich schwer turtelnden Pärchen abzuwenden. Das Herz in ihrer Brust schlug ihr bis zum Hals und ihre Glieder zitterten vor Aufregung, als sie Kopflos die Flucht ergriff. „Komm schon, Yoyo-Maus… sei doch nicht so schüchtern.“, lockte Hiromi verführerisch und zog ihn an der Hand mit sich. „Ich dachte, du hast Hunger. Willst du nicht einfach allein zur Toilette gehen und ich hole in der Zeit etwas zu Essen für dich?“ Sie kicherte belustigt über seine Naivität. „Dummerchen! Das war natürlich ein Vorwand, um eine Weile mit dir allein zu sein.“, erklärte sie verschwörerisch zwinkernd. Es durchzuckte ihn kalt, als er es begriff. Natürlich, warum hatte er das nicht kommen sehen, nachdem sie sich am Strand so eifersüchtig aufgeführt hatte? Innerlich stöhnend ließ er sich widerstandslos mitschleifen. Seine Freundin machte vor der Toilettentür Halt und drehte sich zu ihm um. Sie klimperte einladend mit ihren langen Wimpern und kaute anzüglich auf ihren Lippen herum. Yosuke schluckte schwer, als ihm klar wurde, was genau Hiromi unter ihrer Definition von Zeit verbringen vorschwebte. „Komm schon, komm.“, flüsterte sie nun schon beinahe verrucht. Das hungrige Funkeln in ihren katzenhaften Augen war nicht mehr zu übersehen. Sie lehnte sich an die Holzwand und zog ihn nah zu sich heran, sodass er ihren Atem auf seiner Brust und an seinem Hals spüren konnte. Nervös beschleunigte sich sein Puls, so nah war er Hiromi schon lange nicht mehr gewesen. „Es ist schon sooo~ lange her, dass du zärtlich zu mir warst… und diese Umgebung hier ist dabei so traumhaft! Ich ertrage es nicht, von Verliebten umgeben zu sein, während wir das einzige Paar sind, das so kühl miteinander umgeht.“ Sie schmollte ein bisschen, gleichzeitig klang es aber so, als würde sie versuchen ihn rumzukriegen. Ihre kühlen, schmalen Finger strichen über die Muskeln seiner Arme und Schultern; es war ein eigenartiges Gefühl. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Es war merkwürdig, dass ihm diese Berührungen von ihr einmal so vertraut waren und nun nichts weiter auslösten, als Anspannung. Hiromi legte ihre rechte Hand in seinen Nacken. „Küss mich…“, hauchte sie und schloss ihre Augen. Mit gespitzten Lippen reckte sie sich ihm entgegen. Es war noch nicht oft vorgekommen, dass sich Yosuke im Angesicht einer jungen, hübschen Frau überfordert oder wehrlos fühlte, aber das hier war so ein seltener Moment. Er konnte unmöglich kneifen und sie vor den Kopf stoßen, denn das würde ihre Laune während dieses Kurzurlaubes grundlegend beeinflussen. Trotzdem standen alle Zeichen seines Körpers auf Abwehr! Ein Schrillen in seinem Kopf übertönte das aufgeregte Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen und trotzdem wehrte er sich nicht gegen den Willen der Hand in seinem Nacken. Es war wohl einfach an der Zeit, seinen Teil für das Funktionieren dieser Beziehung dazu zu tun. Unwillig, aber mit so viel Überzeugung wie er aufbringen konnte, beugte er sich zu der lockenhaarigen Frau hinunter und küsste sie. Genau so, wie sie es erwartete. Entzückt seufzte Hiromi in den Kuss hinein und zog ihren Liebsten noch näher an sich heran. Mit angehaltenem Atem spürte Yosuke, wie sie seine linke Hand in ihre nahm und von ihrer Hüfte an aufwärts führte. Entschlossen und gezielt legte die Rotäugige sie auf ihrem angeschwollenen Busen ab und hielt sie dort mit ihrer eigenen Hand gefangen. »Oh Mann…«, schoss es ihm durch den Kopf, während sich alles in ihm verkrampfte. Noch nie hatte sich etwas so verkehrt angefühlt, wie das hier. Aber Flucht war keine Option. Da ließ sie beide das Geräusch knarrender Holzdielen plötzlich hochschrecken. Als Yosukes Kopf herumschnellte, sah er nur noch die Spitzen von im Wind verwehten, rosa Haar hinter der Ecke verschwinden. »Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt, verdammt!« Der Anblick der beiden hatte sich regelrecht auf ihre Netzhaut gebrannt. Aufgewühlt lief sie mit großen Schritten über die Steinplatten der verschlungenen Wege im Vorgarten. Statt zum Strand zurück, steuerte sie schnurstracks den Wald an, der dicht auf dem Hügel wuchs und die natürliche Grenze zwischen dem Strand und den Häusern, Clubs und Hotels weiter oben bildete. In ihrem Zustand konnte sie unmöglich zu den anderen zurück und so tun, als wäre nichts vorgefallen. Ihr ganzer Körper schlotterte vor Aufregung und es ließ sich nicht abstellen, egal wie sehr sie es versuchte. Rasend vor Wut hasste sie sich gleichzeitig dafür, dass sie diese Gefühle hatte. Das war schlimmer als Eifersucht; ihr Inneres fühlte sich an, als würde es auseinanderbrechen. Die Schmerzen ihres Herzens wurden regelrecht physisch und ließen sich einfach nicht abschütteln. Momokos Augen brannten, sie wollte am liebsten heulen und schreien, doch gleichzeitig schnürte ihr etwas die Kehle zu. Nein, Eifersucht war das nicht mehr… sie fühlte sich betrogen. Betrogen von einem Mann, der sie gar nicht betrügen konnte, weil er mit einer anderen zusammen war! Während sie lief lachte sie kurz traurig darüber, wie erbärmlich sie war. „Momoko!“ Ihr Herz rutschte ihr vor Schreck nach unten; irgendwo zwischen ihre Organe, die alle schmerzhaft aneinander rieben. Seine Hand fasste sie am Handgelenk und hielt sie auf, bevor sie sich zu ihm umdrehte. Yosuke atmete schwer und sah sich nach allen Seiten um, ob jemand sie beobachtete, aber sie waren allein, nur umringt von Fichten und wildem Farn. Wie aus einem Reflex heraus entriss sie ihm ihre Hand wieder, obwohl sie schon längst stehen geblieben war. „Was ist los, warum bist du weggelaufen?“, fragte er atemlos. „Das fragst du mich nicht ernsthaft?“, antwortete sie bissig. Er brauchte ihren Gesichtsausdruck gar nicht zu mustern, um zu erkennen, dass sie nicht an solchen Spielchen interessiert war. Allein ihre Haltung sprach Bände darüber, wie übelgelaunt sie war. „Du hättest nicht weglaufen müssen.“ „Danke, aber ich wollte bei eurem Treiben wirklich nicht stören.“, entgegnete Momoko schnippisch. Angesichts ihres zynischen Tonfalls wurde Yosukes Blick finster. „Ich wollte nicht, dass du das siehst.“ Unwillig, seinen Erklärungen zuzuhören, winkte sie ab. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Wer bin ich denn, dass ich mich darin einmischen würde, was du und Hiromi so in dunklen Ecken treibt? Das geht mich ja nun wirklich nichts an und es interessiert mich auch nicht! Es war mir nur peinlich, dass ich da so reingeplatzt bin, mehr nicht.“ Kaltschnäuzig sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus und es klang fast glaubhaft, wenn es ihr nur gelungen wäre, den Dunkelhaarigen dabei auch anzusehen. Aber das brachte sie nicht fertig. Das Zittern wurde schlimmer, je mehr sie sich in Rage redete. Tränen standen in ihren Augen und lauerten nur darauf, losgelassen zu werden. Momoko drehte sich weg von ihm und lief mit verschränkten Armen weiter durch die getrockneten Baumnadeln zu ihren Füßen. „Jetzt bleib doch stehen!“ Wieder schloss er zu ihr auf und lief jetzt neben ihr her. Sie fühlte seinen Blick auf sich ruhen, doch ihr offenes, wirres Haar schirmte sie von ihm ab. „Warum bist du dann so sauer, wenn es dich nicht interessiert?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und atmete tief ein, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Yosuke konnte ja nichts dafür, dass sie fühlte, wie sie eben fühlte. Sie war schließlich die Idiotin, die heimlich in ihn verliebt war und trotzdem einem Urlaub mit ihm und der inzwischen unübersehbaren Mutter seines ungeborenen Kindes zugestimmt hatte. „Ich bin nicht sauer, sondern genervt.“, log sie unnachgiebig. „Wenn ihr euch schon nicht beherrschen könnt, dann macht solche Dinge doch bitte in einem verschlossenen Zimmer und nicht vor dem Klo, wo euch jeder sehen kann!“ Lebhafte Bilder entstanden vor dem geistigen Auge der Hobbyfotografin bei dem Gedanken daran, was solche Dinge noch mit einschloss. Ihr wurde übel von der Vorstellung, was er und Hiromi vielleicht alles taten, wenn sie allein waren. Immerhin wohnten sie zusammen. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, doch spätestens jetzt wurde ihr klar, dass es naiv wäre anzunehmen, Yosuke hätte in den letzten Wochen, in denen sie sich nicht gesehen hatten, keinen Sex gehabt. Wie weh konnte Eifersucht tun, bevor sie einen auffraß und zerstörte? Yosuke war ratlos, was Momokos miese Stimmung betraf, aber er wusste, dass es ihn verletzte, was sie sagte und wie sie es sagte. „So wie du und Takuro es getan hättet, wenn wir nicht gegen die Doppelzimmer abgestimmt hätten?“ Mit entsetzt aufgerissenen Augen fuhr sie zu ihm herum und schnappte nach Luft. Er entdeckte den Tränenschleier über ihrer Iris und etwas versetzte seinem Herzen einen schmerzhaften Stich. Sofort ruderte er zurück. „Entschuldige, das hätte ich nicht sagen dürfen. Tut mir leid.“ Momoko schloss die Augen und schüttelte unwirsch mit dem Kopf. Yosuke bemerkte, wie sich ihre weiß gewordenen Finger zitternd um ihre Oberarme klammerten. Der Impuls, diese unnötige Diskussion einfach beizulegen und sie in seine Arme zu ziehen, flammte in ihm auf. Er spürte das Brennen in seinen Fingerspitzen, aber er konnte nicht – nicht hier, wo sie jeder Zeit von den anderen gesehen werden konnten. Warum er Momoko überhaupt nachgelaufen war, wusste er gar nicht. Es war einfach ein Gefühl oder viel mehr ein Instinkt gewesen, der seine Beine wie von selbst in Bewegung gesetzt hatte. Yosuke empfand Reue - ohne etwas falsch gemacht zu haben, fühlte er sich dennoch so. Ein Schlag tief in seinen Magen hatte ihn getroffen, als ihm bewusst geworden war, dass Momoko ihn und Hiromi in einer eindeutigen Situation erwischt hatte. Seine Freundin hatte die Flüchtige im Gegensatz zu ihm nicht entdeckt, sondern nur das knarzende Holz gehört. „War da jemand?“, hatte sie gefragt, nachdem er sekundenlang mit schreckgeweiteten Augen zu der Ecke des Hauses gestarrt hatte. „Ich weiß nicht, aber ich werde mal nachsehen gehen. Geh du solange auf Toilette und nimm dir etwas zu Essen. Warte nicht auf mich, falls ich länger brauche.“ Er wusste, dass er Hiromi ungläubig und neugierig zurückgelassen hatte, aber da sie ihm nicht gefolgt war, war ihr Hochgefühl von dem Kuss vielleicht groß genug gewesen, um ihre sonst so scharfsinnigen Antennen lahmzulegen. „Ich weiß gar nicht, warum wir streiten.“, sagte er, zurück im Hier und Jetzt, an Momoko gewandt. Sie schniefte leise. „Ich auch nicht.“, gab sie seufzend zu. „Ich war einfach nicht darauf vorbereitet, dich und sie so zu sehen.“ Nur allzu gern wollte Yosuke ihr davon erzählen, wie wenig ihm die Situation mit Hiromi bedeutet hatte. Es war nichts gewesen im Vergleich zu dem, was er empfand, wenn sie an ihrer Stelle war. Und da flutete plötzlich ein vertrautes Gefühl seinen Körper. Wieder einmal die Gewissheit, dass das so nicht sein dürfte. Diese Empfindungen brachte er keiner anderen Freundin entgegen – weil sie nicht freundschaftlich waren. Kazuyas Stimme hallte in seinem Hinterkopf wieder… Schon ein Mal hatte Yosuke sich in einer ganz ähnlichen Situation befunden. Damals hatte er sogar offen über das was er fühlte mit Momoko gesprochen: Es war der Abend gewesen, an dem sie beide beschlossen hatten, nicht aufeinander verzichten zu wollen und eine Affäre zu beginnen. Er hatte ihr in die blauen, sehr bewegten Augen gesehen und zugegeben, dass sie ihm wichtig war und sie brauchte. Dass er sie vermisste, wenn sie nicht da war; dass er ihr Lachen und ihre Gesellschaft schätzte und sie das einzige war, das etwas Licht und Lebendigkeit in sein derzeit verkorkstes Leben brachte. Es war eben mehr, als eine rein körperliche Anziehung… aber doch noch lange keine Liebe! War das, was er jetzt empfand, wirklich anders als das, was er damals gefühlt hatte? Yosuke sah Momoko an, die sich langsam wieder beruhigt hatte. Sie war nicht mehr Dieselbe, wie noch zu ihrem Klassentreffen. Genauso wie er – sie hatten sich gemeinsam miteinander verändert, und wenn er ihr nur tief genug in die Augen sah, begann es in seinem Bauch zu kribbeln. So war es doch schon lange… so lange, dass er vergessen hatte, wann es angefangen hatte, dass es ihm etwas ausmachte, wenn er dieses Gefühl nicht verspürte. „Yosuke? Stimmt etwas nicht? Habe ich etwas im Gesicht?“ Ihre verwunderten Worte weckten ihn aus seiner Starre. Automatisch zog sich sein grüblerischer Blick aus ihren Augen zurück und musterte ihre Miene. Tatsächlich entdeckte er an ihrem rechten Mundwinkel einen kleinen Krümel. Schmunzelnd stellte er sich vor, wie sie wahrscheinlich hektisch eine Kleinigkeit gegessen hatte, bevor sie auf ihn und Hiromi gestoßen war. „Du hast da wirklich etwas.“, antwortete er ihr und deutete auf die Stelle. Er war schneller als sie und strich den frechen Krümel selbst mit dem Daumen fort. Ihre Haut unter seinen Fingern war heiß und errötet und er glaubte Sehnsucht in Momokos Augen aufflackern zu sehen. Yosuke legte seine Hand ganz auf ihre Wange und gestatte sich noch ein Mal darüber nachzudenken, was es in ihm auslöste, wenn sie ihn so ansah. Sein Herz begann schneller zu klopfen. „Yosuke!!!“, schallte es in den Wald hinein. Wie schon im Wasser zuvor sprangen die beiden aufgescheucht auseinander, Momoko versteckte sich sogar direkt hinter dem nächst gelegenem Baum. Der Torwart drehte sich um. Zwar hörte er Hiromis Stimme, aber er sah sie nicht, was ihn darauf schließen ließ, dass sie noch ein ganzes Stück entfernt war. Vielleicht war sie sogar nur zurück am Strand und wunderte sich nun, wo er blieb. »Verdammt! Ausgerechnet jetzt!«, dachte er verärgert und wand sich noch mal Momoko zu, die sich mit dem Rücken gegen die Rinde der Fichte presste. Was würde er jetzt dafür geben, wenn er diesen Moment mit ihr einfach fortsetzen könnte? Er war nah dran gewesen, etwas Wichtiges über sich selbst herauszufinden, doch Hiromi riss ihn zurück in die Realität. Und die war bitter, denn gleichzeitig erinnerte sie ihn daran, dass er nicht frei war, um irgendwelche Gefühle für eine andere zu haben oder gar auszuleben. Selbst wenn: Ganz gleich was er vielleicht für Momoko empfand, an ihrem Finger funkelte immer noch ein fremder Ring, der ihr Herz in Ketten legte. Eifersucht kochte wieder in ihm hoch. Die Rosahaarige warf ihm derweil warnende Blicke zu, denn er hatte bereits weitere Rufe seiner Freundin überhört. „Ich bin hier! Warte, ich komme!“, rief er schließlich zurück. Yosuke wollte nicht gehen und wünschte sich insgeheim, Momoko würde ihn zurückhalten, doch sie hatte ihr Gesicht schon wieder abgewendet und wartete darauf, dass er endlich Hiromis Stimme folgte. Irgendwie enttäuscht darüber, dass wohl nur er den kurzen Augenblick zwischen ihnen als intensiv wahrgenommen hatte, drehte er sich um und joggte zurück. Kapitel 63: Day 1.4 – The scavenger hunt (Part 1) ------------------------------------------------- Momokos Herz raste noch einige Minuten weiter, nachdem Yosukes Schritte schon lange hinter ihr verhallt waren. Wie machte er das nur, dass sie in einem Moment noch todunglücklich war und im nächsten Augenblick – nur durch seine unschuldige Berührung und sein Lächeln – ihr Herz vor Glück überquellen wollte? Der Sturm ihrer Gefühle für Yosuke war mal wieder übermächtig über sie hereingebrochen, sodass sie wehrlos und ohne sich zu regen zugelassen hatte, dass er ihr Gesicht berührte. Sie legte ihre Finger in Erinnerung daran an jene warme Stelle, die immer noch angenehm prickelte, und lächelte. Das Herz wurde ihr schwer von dem bittersüßen Schmerz, mit dem es sich zu füllen begann. Fast hatte sie angenommen, dass der Dunkelhaarige sie küssen würde. Dieser bestimmte, geheimnisvoll dunkle Glanz hatte in seinen Augen gelegen, aber da hatte sie sich anscheinend geirrt. Vielleicht war das auch besser so, dachte sie bei sich, und hob das Gesicht zum Himmel, von wo aus das Sonnenlicht durch die dichten Baumkronen zu ihr hindurch brach. Es gab da ein paar Dinge - Änderungen in Takuros Zukunftsplänen - über die Yosuke noch nicht bescheid wusste und sie hatte Angst, wie er reagieren würde, wenn er davon erfuhr. Dieser Kurzurlaub wurde dadurch in vielerlei Hinsicht noch wichtiger für sie, egal wie sehr sie sich dabei quälte. »Erinnerungen schaffen.« Yosukes Worte geisterten ihr melancholisch durch den Kopf, bevor sie tiefe Traurigkeit befiel. Ein paar Minuten gestattete sie sich, die Dämme brechen zu lassen und nicht so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Alle, außer Yosuke und Hiromi, lieferten sich am Strand gerade ein kleines Match mit einem Frisbee, als Momoko zu ihnen zurückkehrte. Dass sie so lange gebraucht hatte, erklärte sie mit einer Ausrede darüber, dass sie ihre Fotokamera gesucht hatte, mit der sie ein paar wertvolle Momente einfangen wollte. Begeistert forderten ihre Freunde sie sogleich auf zu fotografieren, wie sie in Paaren aufgeteilt die fliegende Scheibe zwischen sich hin und zurück warfen, ihr nachhechteten und sie mal fingen, mal ins Leere griffen. Die Hobbyfotografin ignorierte Yosuke währenddessen mit voller Absicht, denn sie war noch nicht wieder bereit dafür, ihm frei heraus zuzulächeln. Nachdem Hinagiku und Yuri knapp vor Kazuya und Takuro gewonnen hatten, packten sie alle ihre Sachen, den Sonnenschirm und die Plane zusammen und gingen zurück zum Haus, um sich umzuziehen und für das Abendessen oben im Hotel fertig zu machen. Das Hotel hatte neben dem Restaurant mit offenem Buffet im Inneren noch ein zweites im Außenbereich, das eine große Terrasse hatte. Diese war eingezäunt von hohen, miteinander verbundenen Holzsäulen, an denen Seile befestigt waren, die sich kreuz und quer über die Fläche in ihrem Zentrum spannten und an denen runde Lampions über den Köpfen der Gäste hingen. Ihr Licht war warm und unaufdringlich; in unterschiedlichen Höhen aufgehängt, zauberten sie eine lockere, fast romantische Atmosphäre. Naturfarbene Tücher hingen wie Vorhänge an den Säulen herunter und bewegten sich im seichten Wind. Zwischen ihnen standen außerdem Pflanzkästen aus Terrakotta, aus denen sich dicht wachsender Bambus in die Höhe reckte. Am hinteren Ende der Terrasse gab es zudem eine Bühne, die dem Hotel sicher für Unterhaltungsprogramme diente. An diesem Abend spielte dort eine kleine Band leise Loungemusik, die die speisenden und sich angeregt unterhaltenden Gäste begleitete. Zahlreiche Holztische, mit einfachen Stühlen drum herum, standen an den Seiten dicht an die Holzsäulen und den Bambus gedrängt, damit in der Mitte genug Platz blieb, um sich dort zum Tanzen einzufinden. Kerzen flackerten in ovalen Gläsern, die sie vor dem Wind schützten. Sie waren dekoriert mit Sand und kleinen Muscheln. „Ist das hübsch!“, schwärmte Yuri, die sich bei Kazuya eingehakt hatte und zusammen mit ihm die Stufe zur Terrasse hinaufstieg. Es dämmerte am Himmel; das Meer hinter den Wipfeln der Bäume leuchtete in sattem Orange, so als ob es in Flammen stünde. Die Aussicht von hier aus war fantastisch. „Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es hier einen Ort mit so einer schönen Aussicht gibt!“, schloss Momoko sich ihrer brünetten Freundin an. Auch sie hing am Arm ihres Verlobten, der sich stillschweigend über ihre Faszination freute, und folgte dem Paar vor sich auf dem Fuße. Hinter ihnen wiederum liefen Yosuke und Hiromi, ebenfalls Arm in Arm. Seine Freundin, die ihre wilden Locken zu einem kleinen, hohen Pferdeschwanz gebändigt hatte, schmiegte sich beim Laufen dicht an ihn. „Ach Yosuke, das ist ja wie in einem Traum!“, schwärmte sie verliebt. „Na, wenn du das sagst.“, entgegnete er und versuchte dabei keine giftigen Blicke in Takuros Richtung zu werfen, der Momokos Hand an seinem Arm besitzergreifend tätschelte. „Eher ein Alptraum.“, nuschelte Hinagiku, die das Schlusslicht bildete, leise vor sich hin. Nicht, dass sie das schöne Ambiente der Außenterrasse nicht zu schätzen wusste oder keinen Gefallen an dem Sonnenuntergang fand, aber sie war allergisch gegen kitschige Phrasen, wenn sie aus den Mündern der falschen Personen kamen. Es war nicht viel Betrieb an den Tischen, da sich die meisten Hotelgäste drinnen am kostenlosen Buffet aufhielten, anstatt sich hier draußen im Bereich der Zulaufkundschaft bedienen zu lassen und dafür extra zu zahlen. „Und es ist wirklich in Ordnung, dass wir hier draußen essen und uns bedienen lassen, ohne dafür zu bezahlen?“, fragte Momoko unsicher nach, während Kazuya und Yosuke bereits dabei waren zwei Tische für ihre siebenköpfige Gruppe zusammenzuschieben. Wie immer belächelte Takuro ihre Gewissensbisse freigiebiger Großzügigkeit gegenüber nur milde. „Es wird ja dafür bezahlt, nur eben nicht von euch.“, antwortete er gelassen und rückte gentlemanlike einen Stuhl für seine Freundin zurück. Die Rosahaarige strich ihren kurzen Jeansrock glatt und achtete darauf, sich anständig mit geschlossenen Beinen hinzusetzen. „Möchtest du deine Strickjacke nicht ausziehen?“ Momoko zog ihr dünnes, weißes Jäckchen automatisch enger um ihre Schultern. „Nein, danke. Mir ist etwas kühl.“ Bei der Erwähnung des Wörtchens kühl, warfen sich die anderen ungläubige Blicke zu. Sonnenuntergang hin oder her, die hohen Temperaturen des Tages waren bisher kaum gesunken. Sie wussten nicht, dass die junge Frau unter dieser Jacke einen leichten Sonnenbrand versteckte, den das rote, ärmellose, weit geschnittene Shirt mit Rundhalsausschnitt, das sie trug, nicht vollständig abdeckte. „Du bist bestimmt müde vom Tag.“, schlussfolgerte Takuro und sie lächelte ihn dankbar an dafür, dass er ihr ungefragt die perfekte Erklärung lieferte. „Ich habe vielleicht einen Kohldampf! Wie läuft das hier, wenn man was zu Futtern will?“, unterbrach Hinagiku sie und rutschte auf ihrem Stuhl geräuschvoll quietschend an den Tisch heran. Ihre Freunde kicherten belustigt. Pasta, Fischgerichte und exotische Säfte versüßten den Hungrigen, gemeinsam mit ein paar Geschichten über Alltägliches, wie Schule und Beziehungskram, in der nächsten Stunde den Abend. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden, der sich von dort aus langsam blau über lila bis nachtschwarz färbte. Zwischen den Lampions über ihren Köpfen zeigten sich die ersten Sterne am Firmament. Fast fühlte sich alles ganz natürlich an, wären da nicht Yosuke und Momoko, die mit fast jedem unverkrampft plaudern konnten, außer miteinander. Zwar wechselten auch Takuro und der Torwart kaum ein Wort, aber wenn sie es doch taten, dann in einer Freundlichkeit, die auffällig war. Die Blauäugige versteckte sich schweigend hinter ihrem Eis-Dessert und ließ die meiste Zeit die anderen für sich reden. Ganz beiläufig warf sie manchmal einen Blick in Yosukes Richtung, der an diesem Abend zu ihrem Ärger mehr als vertraut mit dem Mädchen an seiner Seite umging. Und dabei sah er auch noch unverschämt gut aus – zu gut, um als Frau davon kalt gelassen zu werden. Sein dunkelbraunes Haar war zu einer ungezähmten Frisur geformt, von der man nicht wusste, ob sie aus Vorsatz oder Nachlässigkeit entstanden war. Ein paar widerspenstige Strähnen hingen ab und an von seiner Stirn in seine grünbraunen Augen, bis er sie wieder lässig mit den Fingern aus seinem Gesicht strich. Passend zu seinem legeren Auftreten trug er ein weißes, anliegendes Shirt mit Rundhals und darüber ein blassblaues, offenes Hemd, zu einer dunkelblauen Jeans und Turnschuhen. Jeder Blinde sah trotz des gedimmten Lichts, dass er ein gutaussehender Mann war! Es fuchste seine heimliche Beobachterin sehr, dass es ihr nicht gelang, dass sein Anblick sie einfach kalt ließ, damit sie ihm ungerührt die kalte Schulter zeigen konnte. Hiromi redete ohne Unterlass, lachte und scherzte albern und Yosuke reagierte entsprechend auf sie. Als Reaktion darauf kokettierte Momoko aus Trotz heraus mit Takuro auf dieselbe Weise; schließlich sollten er und der Torwart nicht das Gefühl bekommen, sie wäre in irgendeiner Form eifersüchtig. Beide waren so sehr darauf konzentriert, wie sie sich zueinander verhielten und auf ihre Partner wirkten, dass ihnen dabei komplett entging, wie Kazuya und Yuri sie immer wieder prüfend musterten. Hinagiku, die im Gegensatz zu ihnen genauso ahnungslos wie Takuro und Hiromi war, dass in den ungesagten Dingen die eigentliche Botschaft lag, kam dagegen aus dem Augenrollen gar nicht mehr heraus. Etwas mehr Aktion und weniger rosa Dunst, von all den vermeintlich Verliebten um sie herum, war das, wonach sie sich sehnte. Ihre Gebete wurden jäh erhört, denn die Musik verstummte und ein kleiner, rundlicher Mann mit einem Klemmbrett in der Hand trat in die Mitte der Bühne. Ihm folgte ein Hotelangestellter, der zwei große Beutel mitbrachte. Der erste Mann räusperte sich und begann laut zu reden. „Werte Gäste, wir hoffen sehr, dass Ihnen der Aufenthalt hier gefällt und unser Service zu Ihrer vollsten Zufriedenheit ist. Wie Sie sicher schon alle bemerkt haben, ist es dunkel geworden und einige von Ihnen werden sicherlich bald Ihre Unterkünfte aufsuchen. Für all jene unter Ihnen, für die es noch zu früh ist, um ins Bett zu gehen, bietet unser Hotel heute Abend noch eine kleine Aktivität an.“ Hinagiku wurde hellhörig und tippte eilig Yuri an, die neben ihr saß und eben noch in eine Diskussion mit Hiromi darüber verstrickt war, welcher Typ Mädchen bei den Jungs heutzutage besser ankam. Ganz zum Leidwesen der beiden Fußballkollegen, die zwischen ihnen saßen. „Jeder, der Lust hat, kann sich bei mir und meinem Kollegen eine Karte, einen Kompass und Taschenlampen abholen und damit zu einer nächtlichen Schnitzeljagd aufbrechen. Dem Siegerteam winkt am Ende natürlich ein kleiner Preis.“ „Hört ihr das? Eine Schnitzeljagd im Dunkeln! Das klingt doch nach Spaß, oder?“ „In meinen Schuhen klingt das eher nach Knochenbrüchen.“, erwiderte Yuri, die besorgt auf ihre schwarzen Schnürschuhe mit Absatz schaute, die sie zu ihrem violetten, kurzen Jumpsuit trug. „Also ich wäre dabei.“, kommentierte Kazuya begeistert und setzte ein Lächeln auf, dem sich seine Partnerin nicht widersetzen konnte. „Ich auch, das ist besser, als den ganzen Abend nur herumzusitzen.“, schloss sich Yosuke an. Hiromi schaute verwundert zu ihm auf. „Hattest du heute nicht schon genug Bewegung?“ Yosuke streckte sich und grinste breit wie ein kleiner Junge. „Ich bin Sportler, Bewegung ist mein zweiter Vorname.“ Er warf einen herausfordernden Blick in Takuros Richtung, der dieser Idee unschlüssig gegenüber stand. „Hättest du denn auch Lust, Momoko?“ „Sicher, das klingt doch ganz lustig.“, gab sie zurückhaltend zu. „Na, dann geht das doch klar!“, jubelte Hinagiku vergnügt in die Hände klatschend. Sie packte Yuri am Arm und zog sie mit sich, ihnen folgte der Rest der Gruppe nach vorne zur Bühne. „Wir möchten gerne teilnehmen.“, erklärte sie dem Veranstalter euphorisch und präsentierte ihr Team. Von ihrem selbstbewussten Auftreten ermutigt, kam in die Gäste eines naheliegenden Tisches ebenfalls Bewegung. Fünf jugendlich aussehende Leute mit eindeutig amerikanischem Aussehen meldeten ebenfalls Interesse an. Es war eine Gruppe aus drei Mädchen und zwei Jungs. Eine von ihnen stach besonders heraus, weil sie dickes, kräftig rotes Haar hatte und etwas mürrisch in die Gegend schaute. „Schön, schön! So viele junge Leute, die Lust auf ein Abenteuer haben!“, freute sich der Betreiber. „Allerdings sind Ihre Teams zu groß. Unsere Schnitzeljagd sieht vor, dass sich jeweils nicht mehr als drei Leute zusammenschließen, sonst ist es zu einfach, die gestellten Aufgaben zu bewältigen.“ Wildes Gemurmel brach los. „Oh je, wir müssen uns schon wieder in Teams aufteilen.“, bedauerte Yuri ehrlich. Takuro griff automatisch nach der Hand seiner Verlobten. „Die Wahl sollte uns doch nicht schwerfallen, schließlich ist so eine Herausforderung doch eine gute Prüfung für jedes junge Paar.“ Dabei bedachte er Momoko mit einem rührseligen Blick aus glänzenden Augen, den sie etwas verkrampft zu erwidern versuchte. „Entschuldigung? Ihre Unterhaltung war nicht zu überhören, tut mir leid. Ich denke, ich kann helfen.“ Der Hotelangestellte, der sie unterbrochen hatte, zählte sie fix durch und wühlte dann in einer der Taschen, die sein Kollege in den Händen hielt. Nachdem er gefunden hatte, was er suchte, wandte er sich ihnen wieder zu. Er hielt in seiner Faust sieben Holzstäbchen vor ihre verwirrten Gesichter. „Um allgemeinen Teamgeist zu fördern, entscheiden bei unserem Spiel immer Lose über die Zusammenstellung der Teams, wenn es zu viele Teilnehmer gibt.“ Erstaunt und sprachlos sahen sie einander an. Bedauernd und zum Teil auch ängstlich, dass sie in einer unglücklichen Konstellation landen könnten. Hinagiku stöhnte, denn mit Hiromi wollte sie auf keinen Fall ein Team bilden. Ihren Freundinnen ging ein ganz ähnlicher Gedanke durch den Kopf. Takuro und Yosuke warfen sich ebenfalls argwöhnische Blicke zu, während der Fußballspieler wiederum heimlich auf eine Gelegenheit hoffte, Zeit mit Momoko verbringen zu können, die ihn schon den ganzen Abend so distanziert behandelte. „Und? Möchten Sie nun ein Los ziehen?“ „Wenn ihr nicht wollt, mache ich eben den Anfang.“ Hiromi ergriff entschlossen die Gelegenheit und drängelte sich durch. Mit verbissener Miene ließ sie ihre Hand über dem Bündel Hölzer schweben, ehe sie sich blitzschnell für eines entschied und herauszog. Es hatte eine weiß eingefärbte Spitze. „Wunderbar, sie gehören ab jetzt Team Weiß an.“, erklärte ihr der freundliche Mann grinsend. „Wer möchte als nächstes sein Glück versuchen?“ Hinagiku schritt vor und zückte ein Stäbchen mit rotem Ende. Erleichtert ausatmend legte sie eine Hand auf ihre Brust. Kazuya und Takuro zeigten mit einer einladenden Handbewegung an, dass sie ihren Partnerinnen den Vortritt bei der Wahl ließen. Gleichzeitig zogen sie ganz langsam ihr Los aus der verschlossenen Hand ihres Gegenübers. Yuri hob sichtlich erfreut ein blaues Stäbchen in die Luft, während Momoko schon ihre Nase kraus gezogen hatte, weil ihr Ende weiß gefärbt auftauchte. „Oh nein!“, stöhnte Hiromi gereizt. Yosuke versuchte nicht allzu angespannt auszusehen. Diese Kombination versprach explosiv zu werden, das sahen auch die anderen so. Trotzdem bot keiner von ihnen einen Tausch an. „Dann versuche ich jetzt mein Glück.“, kündigte Takuro an. Noch bestand schließlich die Chance, dass er mit seiner Freundin trotzdem in ein Team kam. Irgendeines von ihnen musste schließlich aus drei Leuten bestehen, aber er zog Rot. Yuri lachte und klopfte Hinagiku auf die Schulter. „Sieht so aus, als könntet ihr beide heute noch beweisen, dass ihr mehr könnt, als nur gegeneinander zu spielen.“ Ihre kurzhaarige Freundin stemmte entrüstet ihre Hände in die Taille. „Was soll das denn bitte heißen?!“ Takuro griff sich nervös in den Nacken. „Das weckt Erinnerungen an früher, nicht wahr? Ich verspreche, ich versuche kein Klotz am Bein zu sein. Vielleicht bin ich mit meinem Wissen über Kartografie sogar recht nützlich.“, versprach er Augenzwinkernd. Hinagiku fing an sich zu schämen und schaute weg. Sie war nicht der Typ für Rührseligkeiten und hatte außerdem nicht vor, es ihrem ehemaligen Sandkastenfreund leicht zu machen und einfach an frühere Zeiten anzuknüpfen. Yosuke trat als nächstes vor die verbliebenen zwei Stäbchen. Momoko schickte mit geschlossenen Augen ein Stoßgebet gen Himmel, dass er bitte nicht mit Hiromi und ihr in ein Team kam. Der Lockenkopf reichte vollkommen, um ihre mentalen Kräfte bis an seine Grenzen zu strapazieren. Zu ihrem Glück zog der Dunkelhaarige ein blaues Los und landete somit mit Yuri in einem Team. Kazuyas Los würde also entscheiden, mit wem er ein Dreierteam bildete. Jedes der bereits gebildeten Paare wünschte sich seine Unterstützung, aber Momokos Erleichterung, nachdem die Spitze seines Stäbchens weiß war, hätte nicht größer sein können. „Großartig, ich gratuliere Ihnen und hoffe für Sie, dass Sie mit der Auswahl zufrieden sind.“ Die Reaktionen waren durchwachsen, letztendlich aber überwiegend positiv. Zufrieden ging der Veranstalter zu der amerikanischen Gruppe hinüber und ließ auch sie Lose ziehen. In der Zeit teilte sein Kollege an jedes Team das nötige Zubehör aus und erklärte die Regeln. „Jedes Team bestimmt bitte jemanden, der die Karte und den Kompass verwaltet. Jeder von Ihnen hat eine Taschenlampe, mit der Sie nicht nur den Weg vor sich bitte achtsam im Blick behalten, sondern auch die Umgebung nach den Hinweisen absuchen. Was Sie suchen sind farblich zu ihrer Teamfarbe passende Bänder, auf denen Silben stehen. Es sind drei an der Zahl, jeweils eins finden Sie an den auf der Karte verzeichneten Orten. Allerdings sind sie versteckt beziehungsweise nur durch kleine Aufgaben zu erreichen, die Teamwork erfordert. Damit Sie sie nicht übersehen, sind die Stellen mit Reflektoren gekennzeichnet. Alles verstanden?“ Alle nickten. „Gut. Wenn Sie alle Bänder haben müssen Sie so schnell wie möglich den letzten Ort auf der Karte finden. Dort erwartet Sie das finale Rätsel, das Sie mit Hilfe der Silben auf den Bändern lösen können. Dem Team, dem es gelingt das zuerst zu schaffen, winkt am Ende ein kleiner Preis. Natürlich konkurrieren Sie auch gegen die beiden Teams dort drüben.“, er deutete mit einem Kopfnicken zu den Amerikanern. „Schon klar, wann und wo geht’s los?“ Hinagikus Kampfgeist war geweckt. Die beiden Hotelangestellten verteilten die Teams an unterschiedlichen Ausgangspunkten rund um das Hotel, aber fast alle befanden sich dabei am Wald. Dort sollten sie auf das Signal einer Feuerwerksrakete warten, die den Start der Schnitzeljagd markierte. Als sie dann endlich zischend durch die Luft sauste und jeder den Knall und die bunten Funken bemerkte, gab es kein Halten mehr. Allerdings stellten sie alle schon bald fest, dass man mit Schnelligkeit nicht unbedingt erfolgreich war. Der abschüssige Hügel, der weiche Waldboden und all die Sträucher, Steine und Wurzeln, machten in der Dunkelheit aus dem Weg trotz Taschenlampen einen regelrechten Hürdenlauf. Und waren sie zu hektisch unterwegs, übersahen sie die etwas versteckt angebrachten Reflektoren und liefen minutenlang im Kreis. Kazuya, der von den beiden jungen Frauen in seinem Team einvernehmlich zum Anführer erklärt wurde, lief gemäßigt voraus. Immer ein Blick auf Karte und Kompass, die er in seiner linken Hand mit sich führte. In der anderen hielt er die Taschenlampe, mit der er sich selbst leuchtete, um überhaupt etwas lesen zu können. Momoko hinter ihm führte ihren Lichtstrahl so über den Boden, dass sie alle sahen, wohin sie gingen. Hiromi lief etwas lustlos neben ihr her und leuchtete ohne erkennbares System abwechselnd in alle Himmelrichtungen. „Du musst schon etwas langsamer machen und genauer hinsehen, wenn du einen Hinweis finden willst.“, kritisierte Momoko sie vorsichtig. Hiromi hielt ihr daraufhin mit voller Absicht die Taschenlampe ins Gesicht. „Hm, also hier ist schon mal nichts.“, kommentierte sie ihr Verhalten frech und machte danach unbeirrt weiter wie zuvor. „Hey, ich weiß, dass du mich nicht besonders gut leiden kannst, und das beruht übrigens auf Gegenseitigkeit, aber ich hätte gern wenigstens eine kleine Chance darauf, dass wir dieses Spiel hier gewinnen. Vielleicht versuchen wir zur Abwechslung mal einfach so zu tun, als würden wir uns verstehen?“ Momoko staunte selber über diese diplomatischen Worte aus ihrem Mund, aber es steckte etwas Wahres in ihnen. Sie wollte wirklich gern gewinnen oder das Spiel zumindest richtig genießen können. Immerhin machten sie den Urlaub auch, um sich zu amüsieren. „Wer sagt denn, dass ich dich nicht leiden kann?“, tat Hiromi unschuldig. „Äh, niemand… das spüre ich einfach. Auch wenn ich mir nicht erklären kann, wieso.“ Die Lilahaarige leuchtete ihr wieder kurz ins Gesicht, hielt den Lichtkegel dann aber niedriger, damit sie sich beide ansehen konnten. „Angenommen du hättest recht und ich könnte dich wirklich nicht leiden. Könntest du dir dann ehrlich nicht erklären, woran das liegt?“ Momoko sagte einen Moment lang nichts, sondern erwiderte nur stur Hiromis bohrenden Blick. „Nein, ich wüsste nicht, womit ich mir deinen Unmut zugezogen haben könnte. Nicht ich war Diejenige, die bei unserer letzten Begegnung der anderen mit voller Absicht heiße Schokolade über die Beine gekippt hat. Ich war immer freundlich zu dir, obwohl du mit deiner Art schon zu unserer gemeinsamen Schulzeit bei so ziemlich allen Mädchen angeeckt bist.“ Ihre Gesprächspartnerin lachte amüsiert. „Die waren damals doch alle nur neidisch, weil ich bei den Jungs besser angekommen bin als sie.“ Die Rosahaarige biss sich auf die Zunge, Hiromi war einfach unmöglich! Aber ganz Unrecht hatte sie nicht; ihr unschuldiges, hilfloses Getue hatte ihr früher tatsächlich die Aufmerksamkeit sämtlicher Mitschüler verschafft. Selbst jetzt noch flirtete sie bei jeder Gelegenheit mit den Jungs aus ihrer Gruppe. Nicht mal vor Takuro machte sie dabei Halt. An diesem Abend scharwenzelte sie in einem weißen, knielangen Kleid im maritimen Stil zwischen ihnen herum, das wie eine Tunika nur an der Brust figurbetont war. Es hatte einen typischen, blauen Matrosenkragen mit Schleife und an jedem Saum zwei farbliche passende, aufgenähte Streifen. Darin und in den dazu passend weißen Halbschuhen, wirkte sie wie immer süß und anziehend - auffallend genug, um das Interesse anderer junger Männer auf sich zu ziehen. Momoko dagegen war eher unauffällig gekleidet. „Stimmt, du hattest praktisch die Auswahl unter den Jungs unseres gesamten Jahrgangs. Warum hast du dich dann ausgerechnet auf Yosuke eingeschossen?“ Verflixt! Warum kam sie denn jetzt ausgerechnet auf ihn zu sprechen, wo gerade er doch am wenigsten Thema zwischen ihnen beiden sein sollte?! Bereuend biss sie sich auf die Unterlippe. Hiromis Augen wurden schmal und stechend. „Und du behauptest, du wüsstest nicht, warum ich nicht gut auf dich zu sprechen bin? Warum willst du das denn jetzt wissen?“ Momoko richtete ihren Blick wieder auf den Weg vor sich. „Will ich gar nicht.“, log sie knapp. „Ich habe nur versucht, ein halbwegs normales Gespräch mit dir zu führen.“ Eine Zeit lang war nur das Knirschen trockener Fichtennadeln unter ihren Schuhen zu hören. Kazuya blieb manchmal stehen, um die Umgebung mit der auf seiner Karte abzugleichen. „Wir sollten bald den ersten Hinweis finden. Also schaut euch bitte gut um, ob ihr etwas entdeckt.“ Mehr sagte er nicht. Offensichtlich hielt er sich mit Absicht aus dem Gespräch der beiden jungen Frauen heraus. Vielleicht war er aber auch nur Feuer und Flamme für das Spiel. „Du willst also wissen, warum ausgerechnet er?“ Die Blauäugige schielte aus dem Augenwinkel zu Hiromi rüber, die sich anscheinend einen Ruck gab und das Gespräch fortsetzen wollte. Gern hätte sie verneint, denn es interessierte sie nicht wirklich, was ihre ungeliebte Teamkollegin alles unternommen hatte, um Yosuke zu bezirzen. Andererseits reizte es sie durchaus zu erfahren, was sie an dem Torwart so anziehend gefunden hatte, das ihr selbst damals entgangen war. „Wenn du es mir erzählen willst…“, entgegnete sie so unbeteiligt klingend, wie möglich. Ihr wurde kurz darauf ganz flau im Magen, als sie sah, wie sich ein warmer, ehrlicher Ausdruck auf Hiromis Gesicht ausbreitete. Ihre Augen glänzten selbst in dem fahlen Licht noch hell und verträumt. „Es war sein Feuer: Die Energie, die er ausstrahlt. Ich habe ihn zum allerersten Mal bei einem Fußballspiel unserer Schulmannschaft gesehen und war sofort hin und weg von seinem Temperament und Einsatz.“ Momoko erinnerte sich lebhaft daran, denn als Mitglied der Schülerzeitung waren sie und ihre beiden Freundinnen bei jedem Spiel dabei gewesen. Was Hiromi allerdings als Temperament und Einsatz beschrieb, war ihr damals wie Selbstverliebtheit und Wichtigtuerei vorgekommen. Vielleicht war das dem Fußball geschuldet, den sie bei ihrer eigenen ersten Begegnung, mit dem Torwart, mitten ins Gesicht bekommen hatte. »Wie voreingenommen ich doch war…«, dachte sie bedauernd. Trotzdem. Wenn das alles war, was Hiromi fasziniert hatte, war diese sogar noch oberflächlicher, als Momoko dachte. „Und ich mochte seine Beharrlichkeit!“, führte sie schließlich weiter aus. „Er war nicht ansatzweise so leicht um den Finger zu wickeln, wie die anderen Jungs, die wie Hündchen nach meiner Pfeife tanzten. Er war zwar immer entschieden, wenn er mich mal wieder abblitzen ließ, aber auch irgendwie süß, denn er wurde niemals unhöflich. Er respektierte meine Gefühle, obwohl er sie anfangs nicht ernst nahm.“ Schwärmend und in Erinnerungen schwelgend, legte sie eine Hand an ihr glühendes Gesicht und verlor völlig den Blick für ihre Umgebung. Momokos Unwohlsein verstärkte sich. Hiromis Worte strahlten unerwartet viel Gefühl aus, mit dem sie nicht umzugehen wusste. „Yosuke war hinter seiner coolen Fassade einfach schüchtern. Je mehr er mich ablehnte, desto mehr wollte ich ihn! In allem was er tat legte er seine ganze Leidenschaft; er war ehrlich und witzig und wenn man ihn brauchte, konnte man auf ihn zählen. Das galt für alle, nicht nur für seine Freunde. Noch dazu sieht er einfach klasse aus, nicht wahr?“ Hiromi strahlte über das ganze Gesicht, ihre Wangen schimmerten rosa vor Verlegenheit. Die Taschenlampe ihrer Zuhörerin war inzwischen mutlos Richtung Boden gesunken. Momoko fühlte sich furchtbar – nicht, weil Hiromis Worte ihr übel aufstießen, sondern weil alles, was sie gesagt hatte, stimmte. Genau so war Yosuke auch heute noch. Denselben jungen Mann hatte sie vor gar nicht allzu langer Zeit auch endlich in ihm erkannt und kennengelernt. Hiromi sah ihn also gar nicht mit anderen, oberflächlichen Augen, wie sie immer geglaubt hatte. Sie liebte ihn wirklich. Mit trockenem Mund rang Momoko um Fassung. Auch sie war in diesen Jungen verliebt… in seinen Charme, in seine Verletzlichkeit, in seine Stärke, in seine Klugheit und Reife, in seine Aufopferungsbereitschaft, in seine Loyalität… „Dann ist das also etwas Ernstes zwischen euch?“ Ein schrilles Lachen zerriss die Stille des Waldes. Ungläubig schaute ihr die Lilahaarige in die Augen. „Machst du Witze? Wir sind seit über zwei Jahren zusammen, wir wohnen zusammen und bekommen ein Baby!“ Instinktiv strich sie dabei mit der linken Hand über den lockeren Stoff ihres Kleides und ließ sie unterhalb ihres kleinen Bäuchleins ruhen. Momoko schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Natürlich war ihre Frage mehr als überflüssig gewesen. „Entschuldige, das war blöd von mir.“ Verstohlen betrachtete sie die zarte Wölbung unter Hiromis Hand. Es war ihr unangenehm ihr auf den Bauch zu starren, aber es fühlte sich immer noch unbegreiflich an, dass dort drin ein kleiner Mensch heranwuchs. „Darf ich fragen, wie weit du bist?“ Der Lockenkopf stutzte über ihre interessierte Frage, zögerte aber mit der Antwort nicht. „Ich bin in der fünfzehnten Woche, falls du das meinst.“ „Ja… entschuldige, aber ich habe von so was keine Ahnung.“, gab die Rosahaarige beschämt zu. „Ach so!“, lachte ihre Gesprächspartnerin wissend. „Ich bin in der fünfzehnten Woche von vierzig. Ungefähr dann ist der Geburtstermin.“ Im Kopf rechnete Momoko schnell voraus und kam auf Anfang Dezember. „Und… spürst du schon etwas?“ Eigentlich wollte sie gar nicht so viel fragen. Schließlich war diese Schwangerschaft der einzige Grund, warum Yosuke nach eigenen Angaben überhaupt noch mit ihr zusammen war und auf seine eigenen Zukunftspläne verzichten musste. Aber irgendwie hatte Hiromis plötzliche Redseligkeit sie mitgerissen. Diese schüttelte verliebt lächelnd den Kopf und streichelte noch ein Mal über ihren Unterleib. „Nein, dafür ist es auch noch zu früh.“ Sie sah an sich herunter, so selig und glücklich, wie Momoko sie noch nie zuvor erlebt hatte. Etwas an ihrer Ausstrahlung war in diesem Moment anders als sonst; sie wirkte älter, reifer, wärmer… irgendwie… mütterlich? Die junge Frau riss ihren Blick von der Schwangeren los und drängte diese Gedanken mit aller Macht aus ihrem Kopf. Wenn sie jetzt zuließ, dass sie in Hiromi eine liebende Mutter und Partnerin sah, die sich für ihr Kind und ihren Partner vielleicht tatsächlich ändern konnte, würde ihr schlechtes Gewissen sie überrennen und unter sich begraben. Momoko durfte sich jetzt nicht wiederholt klarmachen, dass sie diese junge, sehr verliebte Frau zu dem Opfer eines schweren Betruges gemacht hatte. Dass sie ihr das Schlimmste angetan hatte, das man einer Schwangeren antun konnte, die blind vor Liebe naiv daran festhielt, dass ihre Beziehung eine zweite Chance bekommen hatte und Bestand haben würde. „Mädels? Wir müssten jetzt eigentlich an der ersten Markierung angekommen sein. Haltet bitte Ausschau nach dem Reflektor, in Ordnung?“ Kazuya dankbar für diese Ablenkung, machte sich Momoko ans Werk und suchte mit ihrem Lichtkegel das Unterholz und die Baumstämme ab. „Momoko?“, sprach Hiromi sie unerwartet im Flüsterton an „Ja?“ „Ich glaube, das war das erste halbwegs nette und ehrliche Gespräch, das wir je geführt haben.“ „So?“ Sie dachte über diese Aussage nach und kam zu dem Schluss, dass das tatsächlich stimmte. Nachdem sich Hiromi damals in der Schulzeit, als sie neu in die Klasse gekommen war, sofort durch ihr Verhalten den Unmut sämtlicher Mitschülerinnen zugezogen hatte, war es für Yuri, Hinagiku und sie überflüssig geworden, sich ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen. „Ja.“, bestätigte die Lilahaarige. „Wer weiß, vielleicht können wir irgendwann ja wirklich noch Freundinnen werden.“ Momoko nickte zustimmend und rang sich ein Lächeln ab. Dass sie das anders sah, musste schließlich niemand wissen. Kapitel 64: Day 1.5 – The scavenger hunt (Part 2) ------------------------------------------------- Zur selben Zeit hatten Yosuke und Yuri ihren ersten Hinweis bereits gefunden. Der Reflektor hing über ihren Köpfen am Stamm einer der unzähligen Rotfichten genagelt. Direkt daneben hing auch das blaue Band. „Sehr gut, aber wie kommen wir da jetzt ran?“, fragte sich Yuri. Yosuke suchte in der Zeit bereits nach einer Möglichkeit und entdeckte dabei eine Tafel am Fuße des Baumes. „Das Band erringt, wer Kraft aufbringt. Allein zu klein, um es zu fangen, muss sich zusammentun, um’s zu erlangen.“, las er vor. „Ein Rätsel in Reimen, natürlich…“ Die Brünette leuchtete zum Band über sich und schätzte die Entfernung bis dorthin. „Ich glaube, wir sollen eine Räuberleiter machen. Wenn ich dir hoch helfe solltest du da eigentlich ganz einfach rankommen können.“, mutmaßte Yosuke. „Schaffst du mich denn?“, scherzte Yuri. Er lächelte selbstsicher. „Ich mache mir eher Sorgen, dass du fällst.“ „Iwo, ich bin doch kein Tollpatsch, so wie Momoko.“ Sie merkte gleich, dass sich ihr Teampartner versteifte. „Wie kommst du denn jetzt auf sie?“, wollte er wissen, den Blick konzentriert nach oben gerichtet. „Nur so. Sie ist doch immer so ein Schussel.“ „Wohl wahr…“ Yuri gab sich unbehelligt, aber sie achtete sehr genau darauf, wie sich Yosuke verhielt. Allerdings war er ziemlich gut darin - das musste selbst sie als geübte Schnüfflerin zugeben - seine wahren Gedanken zu verbergen. Nur das Nötigste an Gefühlsregungen ließ er durch, was es ihr erschwerte, so richtig schlau aus ihm zu werden. Sie öffnete die Riemchen ihrer Schuhe, steckte ihre Taschenlampe so in den Boden, dass der Baum angestrahlt wurde und lehnte sich mit den Händen gegen dessen raue Rinde. „Alles klar, dann wollen wir mal. Ich bin bereit!“, kündigte sie an. Yosuke bückte sich mit ineinander verschränkten Fingern vor ihr und sie stieg mit ihrem rechten Fuß auf seine Räuberleiter. Mit einem kräftigen Ruck hob er Yuri hoch, die sich zusätzlich von ihm abdrückte und im Flug nach dem Band schnappte, das sie auch gleich beim ersten Versuch zu fassen bekam. „Ich hab es!“, jubelte sie auf dem Weg nach unten, wo sie der Dunkelhaarige ebenso euphorisch, aber trotzdem behutsam auffing und sicher wieder auf dem Boden absetzte. „Sehr gut! Dann gleich weiter zur nächsten Markierung!“, lobte er sie. Schnell zog sie ihre Schuhe wieder an, schnappte sich Karte, Kompass und Taschenlampe und analysierte dann akribisch, in welche Richtung sie mussten. „Wir sind ein gutes Team.“, bemerkte Yosuke auf ihrem Weg und gab damit den Anstoß zu einem auflockernden Gespräch. Sie hatten sich unterwegs bisher noch nicht wirklich viel unterhalten. Obwohl sie eigentlich sehr gut miteinander auskamen, mangelte es ihnen ein wenig an Themen. Es fiel ihnen leichter, wenn ihre anderen Freunde auch zugegen waren. Schweigen konnte aber gerade in dieser dunklen, etwas unheimlichen Umgebung schnell unangenehm werden. „Das sind wir. Wenn wir so weitermachen, dann schaffen wir es bestimmt, zuerst beim Schatz anzukommen.“, stimmte Yuri zu. „Dann hast du kein Problem damit, Kazuya eventuell auszustechen?“ Sie lächelte unschuldig. „Nein, wieso? Es ist doch nur ein Spiel. Hast du etwa ein Problem damit, Hiromi gegenüber?“ Er legte den Kopf schief und schaute ein wenig unsicher geradeaus. „Nicht direkt. Aber ich glaube, dass sie enttäuscht sein wird, falls ihr Team verliert.“ „Tja… in der Hinsicht ist sie wohl auch etwas eigen.“, kommentierte sie seine Aussage mit so viel gefälschter Freundlichkeit in der Stimme, wie es ihr möglich war. „Ein bisschen.“ Das war alles, was er dazu noch sagte. Danach liefen sie wieder still durch das Unterholz und pausierten nur, wenn sie den Kompass zu Rate zogen. Schließlich ergriff Yosuke doch noch mal das Wort. „Sag mal, Yuri… zwischen dir und Kazuya, das läuft doch gut, oder?“ Verwirrt sah sie ihn von der Seite an und wäre fast umgeknickt, hätten ihre tadellosen Reflexe sie nicht davor bewahrt. „Äh, ja? Selbstverständlich.“ „Dann habt ihr doch bestimmt schon mal über eure Zukunft gesprochen? Wie es weiter geht nach deinem Abschluss und wenn er mit der Uni fertig ist?“ „Ja, natürlich. Ich möchte mich jetzt an Universitäten in Tokio bewerben und wenn alles klappt, dann ziehe ich nach dem Highschool-Abschluss zu ihm. Dann kann er dort in Ruhe mit seinem Studium fertig werden, zum professionellen Fußballspieler avancieren und ich studiere in Ruhe Modedesign oder Journalismus.“ „Wirklich? Ihr habt das schon so klar durchgeplant?“ „Wundert dich das?“ Yosuke schwieg und ging einen Augenblick lang in sich. „Nein, aber ich beneide es.“, gab er schließlich zu. Seine Begleiterin seufzte. „Ich kann dich verstehen. Das mit Hiromi wirbelt alles ganz schön durcheinander, nicht wahr? Habt ihr denn schon eine Idee, wie es für euch nach diesem Schuljahr weitergehen wird?“ „Nichts Konkretes. Es ist noch nichts fest beschlossen.“ Er ließ unter den Tisch fallen, dass ihm seine Mutter angeboten hatte, dass sie mitsamt Baby zu ihr ziehen könnten, wenn sie wollten. Zwar wollte er diese Möglichkeit gerne wahrnehmen, aber auf der anderen Seite hielt ihn eine leise Stimme davon ab, sich darüber zu freuen oder sich offen vor Yuri darauf festzulegen. Es gab mindestens einen guten Grund in seiner kleinen Heimatstadt, der ihn daran hinderte, sich eine Zukunft woanders vorstellen zu können. Dieser Grund war mit ihnen hierher gereist - ein Teil davon lief irgendwo in diesem Wäldchen auf seinen zwei Beinen herum, der andere spukte in seinem Kopf und Herzen. „Noch etwas, Yuri.“, setzte er wieder an und blieb diesmal sogar stehen. Unruhig verlagerte er sein Gewicht von einen Fuß auf den anderen. „Ja?“ „Ihr vertraut euch doch voll und ganz, obwohl ihr eine Fernbeziehung führt. Was wäre, wenn Kazuya dir eines Tages gestehen würde, dass er sich in Tokio in eine andere Frau verliebt hat?“ Sprachlos vor Schreck klappte Yuri der Mund auf. Ihre großen, grünen Augen wuchsen zu Untertassen heran. „Nur rein hypothetisch!“, warf Yosuke ein, der bei ihrem Anblick befürchtete, ihr ein völlig falsches Signal geschickt zu haben. „Oh Gott, das mag ich mir gar nicht vorstellen… ich wäre am Boden zerstört! Meine ganze Welt würde zusammenbrechen! Allein der Gedanke fühlt sich an, als könnte ich danach nie wieder Glück empfinden…“ Ihre klaren, emotionsgewaltigen Worte rüttelten heftig an seinem Gemütszustand. Mutlos erlosch der Glanz in seinen Augen, resignierend senkte er den Blick und plötzlich dämmerte Yuri, warum er sie das gefragt haben könnte. „Aber…“, erzählte sie deswegen schnell weiter. „…ich würde weiterleben. Irgendwann wäre ich ganz bestimmt über ihn hinweg, auch wenn das Monate oder vielleicht Jahre dauern würde. Ich wäre nicht für den Rest meines Lebens unglücklich. Irgendwie geht es schließlich immer weiter.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war schwach – er war nicht überzeugt. „Ich glaube, viel schlimmer als ein sauberer Bruch wäre für mich, wenn er es mir nicht sagen würde. Wenn er bei mir bleiben, aber immer diese andere Frau lieben würde... Ich will etwas Echtes, so wie jeder von uns! Wenn er unglücklich wäre, würde ich es irgendwann bemerken und dann müsste er erkennen, dass er uns beiden in all der Zeit jeder Chance beraubt hat, vielleicht woanders mit einem anderen Menschen glücklich zu werden. Dann lieber so, als zu spät. Auch wenn es weh tut.“ Es kam wieder Leben in das Gesicht ihres Gegenübers. Sie konnte fast hören, wie sich sein Puls beschleunigte und sich die Gedanken hinter seiner Stirn überschlugen, während ihm ihre Worte hoffentlich die Augen öffneten. Doch dann verdüsterte ein bedrückter Ausdruck seine braungrüne Iris wieder. „Manchmal ist es leider nicht so einfach, wenn noch andere Umstände damit verknüpft sind…“, seufzte er schwermütig. „Wie ein Kind zum Beispiel?“ Yuri konnte selbst im diffusen Licht der Taschenlampe klar erkennen, wie Yosuke erbleichte und ihn Angst durchzuckte. Er starrte sie furchtsam an, sodass sie schnell den Lichtkegel ihrer Taschenlampe sinken ließ und zurück über den Waldboden führte. „Nur rein hypothetisch, natürlich.“, erklärte sie ruhig. Die Brünette sah sich beiläufig in der Umgebung um, damit sie Yosukes Blicken entgehen konnte und er Gelegenheit hatte, sich wieder zu fangen. Er schüttelte seine Schockstarre ab und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass Yuri einen Nerv getroffen hatte und er einen Augenblick lang davon ausgegangen war, dass sie bescheid wüsste. Ganz konnte er sich von seinem Misstrauen jedoch nicht befreien, immerhin war sie Kazuyas Freundin und nur er wusste von ihm und Momoko. Wie ein aufmerksamer Wolf, der seine Umgebung mit den Ohren abhorchte und witternd die Nase in den Wind hielt, stellte er sich wieder zu Yuri und verfolgte mit ihr zusammen die Route. „Sind Kinder für dich kein Grund, an einer Beziehung festzuhalten?“, fragte er vorsichtig und genau prüfend, wie sie sich verhielt. Die junge Frau schaute ungerührt geradeaus und gab sehr überzeugend vor, dass dieses Gespräch nicht mehr als bedeutungsloser Smalltalk war. „Hmm…“, seufzte sie langgezogen, so als würde sie angestrengt darüber grübeln. „Ich denke, dass Kinder auf jeden Fall ein Grund sind an einer Beziehung zu arbeiten und sein Bestes zu geben, anstatt einfach sofort aufzugeben. Aber wenn zum Beispiel Kazuya, wie du rein hypothetisch vorgeschlagen hast, nicht mehr glücklich mit mir wäre, weil er unter anderem in eine andere Frau verliebt ist… dann gibt es doch nichts mehr, an dem man arbeiten kann.“ „Du meinst, dann wäre es ok, sein Kind im Stich zu lassen?“, Entrüstung schwang in Yosukes Stimme mit. Sie schüttelte energisch ihren Kopf. „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Nur weil er mich nicht mehr liebt bedeutet das doch nicht gleichzeitig auch, dass er seine Kinder nicht liebt. Natürlich wäre es nicht in Ordnung, dass er mich hintergangen und sich in eine andere verliebt hat, aber manchmal spielt das Leben eben so… Trotzdem könnte und würde er sicher sein Bestes als Vater geben. Man kann auch eine Familie sein, ohne dass die Eltern zusammen sind.“ Der Dunkelhaarige schnaubte unzufrieden. „Stimmst du mir nicht zu?“ Er schüttelte kaum sichtbar den Kopf. „Doch, aber das ist es nicht... Du und Kazuya, ihr seid einfach nicht das richtige Beispiel. Ihr seid viel zu perfekt.“ Yuri musste schallend auflachen. „Perfekt sind wir sicher nicht. Wir harmonieren nur ganz gut und reden viel, weißt du.“, erklärte sie, immer noch amüsiert lächelnd. „Jetzt stell dir vor, einer der Elternteile ist nicht so vernünftig wie ihr. Er oder sie nimmt das Ganze sehr persönlich und lebt das auch vor dem Kind aus, versucht es vielleicht sogar negativ zu beeinflussen oder so gut es geht von dem anderen Elternteil fernzuhalten. Was dann?“ Er schaute ihr ernst ins Gesicht und sie erwiderte seinen Blick mit derselben Bedrücktheit. Darauf hatte die kluge Grünäugige keine pfiffige Antwort parat, sie musste lange schweigend darüber nachdenken. „Wenn es um meine Kinder ginge, dann würde ich alles daran setzten, dass es dazu nicht kommt. Zur Not nehme ich meine Rechte in die Hand und kämpfe auch gerichtlich dafür, denn aufgeben wäre keine Option.“ „Das sagt sich so einfach…“ „Ist es nicht, doch ich hoffe, dass der kämpfende Elternteil dann mindestens einen Menschen an seiner Seite hat, der mit ihm gemeinsam diesen Weg gehen würde. Zu zweit lässt sich einfach alles besser durchstehen.“ Sie lächelte überzeugt, darin lag keine Überheblichkeit. In ihrem Blick lag so viel Wärme, dass sich Yosuke dieser nicht entziehen konnte und sich seine Mundwinkel ebenfalls hoben. Irgendwie hatte es Yuri geschafft, die dunklen Gedanken und Sorgen zu zerstreuen, die ihn immer wieder plagten. »Vielleicht…«, dachte er zuversichtlicher als zuvor bei sich, »…ist doch nicht alles so verfahren.« Erleichterung machte sich in ihm breit, die Last in seinem Herzen wich der Euphorie und obwohl er wusste, dass seine Gedanken unerträglich unfair Hiromi gegenüber waren, konnte er in diesem Augenblick an nichts anderes denken, als an Momoko. ~*~ Takuro und Hinagiku hatten, anders als ihre Freunde, weniger Glück auf ihrer Schnitzeljagd. Auch eine halbe Stunde nach dem Startschuss irrten sie noch immer erfolglos und wenig orientiert durch das Unterholz. Es war Hinagikus übertriebenem Ehrgeiz geschuldet, dass sie viel zu schnell und ohne richtigen Plan losgezogen waren. Nun standen sie da, ohne wirklich zu wissen, wo genau auf ihrer Karte sie sich befanden oder ob sie nicht vielleicht sogar im Kreis liefen. „Ich könnte schwören, an dem Baum hier sind wir schon mal vorbeigekommen.“, beteuerte Takuro besorgt und leuchtete eine der unzähligen Fichten an. „Ach Quatsch, die Bäume sehen doch alle gleich aus!“, widersprach seine Partnerin energisch. „Vielleicht lässt du mich doch mal einen Blick auf den Plan und den Kompass werfen?“, schlug er nachsichtig seufzend vor. „Du glaubst wohl, ich kann das nich’, hä?“ Takuro ließ die Schultern sinken und beleuchtete einfach wieder den Weg vor ihnen, während sie mit ihrer Taschenlampe hochkonzentriert auf die Karte starrte und mit Blicken in die Umgebung auszumachen versuchte, wo sie waren und wohin sie mussten. Da er nicht das Gefühl hatte, irgendetwas auf diesem ziellosen Marsch zu sagen zu haben oder sich irgendwie nützlich machen zu können, musterte der gelangweilte Schwarzhaarige aus dem Augenwinkel ihre Erscheinung. Er hatte genug davon, nur graue Bäume und Sträucher zu betrachten. Hinagiku trug ein dünnes, strandgeeignetes Minikleid mit blumigen Mandala-Alloverdruck und einem legeren Tunnelzug auf Hüfthöhe. Der abgerundete Rocksaum war mit Häkelbordüre verziert und betonte vorteilhaft ihre schlanken, trainierten Beine, deren Füße ganz typisch für die sportbegeisterte junge Frau in leichten Turnschuhen steckten. Ihr Äußeres, mit den schulterlangen Haaren und ihrem trotzigen Blick dazu, spiegelte sehr gut ihr Wesen wider: sie war eine junge Frau und zeigte sich auch gerne als solche, aber ließ sich trotzdem nicht in diese Schublade stecken. Schon als Kind war sie, entgegen der gesellschaftlichen Norm, ein vorlauter und dickköpfiger Wirbelwind gewesen, der immer in Bewegung war und sich auch in Streitsituationen von anderen nichts hatte sagen lassen. Er lächelte unbewusst, weil er gerade in diesem Moment feststellte, dass sich Hinagiku, seit er sie kannte, im Prinzip kein Stück verändert hatte. Nur drei Dinge hatten sich geändert: Sie war nun kein kleines Mädchen mehr, sondern war zu einer toughen und ansehnlichen Frau herangewachsen. Auch er war kein Kind mehr und vor allem nicht mehr die schwächliche Heulsuse aus der Oberstufe, auf der alle herumhacken konnten, wenn ihnen danach war. Er war inzwischen deutlich stärker und selbstbewusster, auch wenn ihm noch oft Gelegenheit und Mut fehlten, dies zu beweisen. Zum 3. hatte sich seine Beziehung zu Hinagiku verändert… sie waren schon lange keine Sandkastenfreunde mehr. Während Takuro so darüber nachdachte wusste er nicht einmal mehr, ob sie überhaupt noch Freunde waren. Er selbst hatte versucht, sie aus seinem Leben zu streichen, doch jetzt, nachdem sie noch keinen halben Tag gemeinsam verbracht hatten, begann er sich bereits zu fragen, ob seine Gründe dafür nicht vielleicht doch irrsinnig und albern gewesen waren. Es stimmte – er hatte eigentlich keine Zeit, um Freundschaften ausgedehnt zu pflegen, dafür waren ihm seine Zukunftspläne und die damit verbundene Lernerei zu wichtig. Trotzdem hatte er sich an diesem Tag bereits mehrmals dabei erwischt, wie er die Zeit mit ihr genoss. Diese kurzen Momente, in denen sie beide ganz zufällig in frühere Verhaltensweisen zurückgefallen- und ausgelassen gewesen waren, hatten ihm etwas gegeben. Hinagiku bedeutete ihm immer noch sehr viel. „Ach, verflixt! Wir finden so nie einen Hinweis!“, fluchte sie just in dem Moment und riss entnervt die Arme hoch. Takuro zuckte erschrocken zusammen und warf ihr einen vorsichtigen Blick zu. Er war lieber auf der Hut; ihrem Temperament war zuzutrauen, dass sie den Kompass jeden Augenblick wütend in den Wald werfen- und anschließend sauer zurück zum Hotel stapfen würde. „Ich würde dir ja gern wiederholt meine Hilfe anbieten, aber…“, warf er behutsam ein. „Ja ja, ich weiß. Ich bekomme das ohne dein Streberwissen nich’ gebacken. Hier nimm.“, entgegnete sie unwirsch und drückte ihm direkt darauf auch schon die zwei wegweisenden Utensilien in die Hand. Nicht gerade glücklich darüber, die Zügel ausgerechnet an Takuro abgegeben zu haben, verschränkte sie die Arme vor der Brust und schmollte. Der Brillenträger machte eine entschuldigende Miene, aber lächelte. „Du bist eben mehr jemand für’s Grobe. Wenigstens kann ich dir so auch mal eine Hilfe sein.“ Und schon versenkte er seinen Blick in der Karte und richtete gekonnt den Kompass aus. Hinagiku prüfte seinen Gesichtsausdruck. Sie kannte diese Miene; so hatte er schon immer ausgesehen, wenn er ganz in einer Aufgabe versunken war. „Genau wie früher, nich’ wahr? Du bist und bleibst ein Theoretiker, während ich eher meine rohe, plumpe Ader raushängen lasse.“ Ihr leicht abschätziger Tonfall entging Takuro nicht, trotzdem blieb er gelassen und rechnete im Kopf aus, wie weit sie wohl laut Maßstab der Karte vom Strand entfernt waren, während er ohne aufzusehen antwortete. „Ich halte dich nicht für plump. Dich macht mehr aus, als deine körperliche Kraft und Geschicklichkeit.“ Stutzend lachte sie leise in sich hinein. Als ob ausgerechnet er, der sich in letzter Zeit so vor ihr zurückgezogen- und überheblich entwickelt hatte, wusste, wer sie war. „Und was wäre das bitteschön?“, hakte sie herausfordernd nach. Seine rotbraunen Augen streiften selbstsicher ihren störrischen Blick, was sie verunsicherte. „Du hast Freunde, oder nicht?“ Perplex fiel ihr darauf keine Antwort ein. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Takuro schmunzelte, als er wieder auf den Plan sah. „Du hast deine Offenheit und deine direkte, ungekünstelte Art. Du bist gesellig und auf deine eigene Weise hast du einen einmaligen Humor und schaffst es, in so gut wie jeder Situation, andere anzutreiben und mitzureißen. Und obwohl es Fremden so erscheinen mag, als wärst du manchmal etwas einfach gestrickt, kann man in jeder Lage auf dich als Freundin vertrauen.“ Hinagiku schluckte schwer und lief rot an. Ihre Ohren wurden ganz heiß bei all diesen Komplimenten aus seinem Mund. Überfordert von diesem ungewohnten Gefühl, begann sie zappelig auf der Stelle zu treten und sich wie ein Aal aus ihrer Verlegenheit zu winden. „Du redest mal wieder totalen Dünnsinn.“, lamentierte sie halbherzig. Takuro kicherte leise jungenhaft in sich hinein. „Das klang vielleicht etwas schwülstig…“ „Etwas?! Total!“ „..aber es ist die Wahrheit. Um diese Eigenschaften habe ich dich schon immer beneidet.“ Die junge Frau schüttelte sich vor Scharm und brachte Abstand zwischen sich und ihn. „Ich kann mir diesen rührseligen Quark keinen Augenblick mehr länger anhören!“, presste sie angewidert zwischen ihren Lippen hervor. Takuro schaute ihr verletzt hinterher. „Was ist los mit dir? Verträgst du keine Komplimente?“ „Genauer gesagt ertrage ich keine Komplimente von dir!“, antwortete sie aufgebracht. Ihre anfängliche Verlegenheit schlug plötzlich in Frustration um. „Ich verstehe dich nicht…“, sagte der Dunkelhaarige ratlos. „Du verstehst mich nich’? Aus dir wird doch keiner mehr schlau, woher weiß ich denn, ob du das ernst meinst, was du da sagst, oder ob das alles nur ’ne Show für dich is’?!“ Er ließ Karte und Kompass sinken und sah nun nur noch Hinagiku an, der er mit der Taschenlampe hinterher leuchtete. Seine Haltung und seine Miene verhärteten sich, aber er sagte nichts, was sie nur noch rasender machte. „Erst verschwindest du ohne ’nen Abschied für ein Jahr nach Amerika und tust so, als hättest du Zuhause niemanden mehr, der auf ein Lebenszeichen von dir wartet, und dann kommst du als total abgehobener Schnösel zurück und benimmst dich, als wär’n alle deine alten Freunde unter deinem Niveau! Und jetzt machst du plötzlich wieder einen auf nett – das raffe ich nicht!“ Takuro schnaubte verächtlich. „Welche alten Freunde denn? Es hat sich doch nie jemand wirklich für mich interessiert.“ „Mich hast du interessiert!“, fuhr sie ihm wütend über den Mund. „Und Yuri und Momoko haben auch immer hinter dir gestanden, selbst die Jungs hätten… ach was, vergiss es einfach. Ich wusste doch, dass man mit dir nicht mehr reden kann.“ Enttäuscht fuhr sie wieder herum und stapfte hinab weiter Richtung Strand. Ihr bebrillter Partner blieb wie versteinert zurück. Mit weit offenen Augen starrte er ins Nichts und rekapitulierte ihre Worte. Nun war es offensichtlich, dass ihre gemeinsamen Kindheitserinnerungen auch ihr noch etwas bedeuteten. Erst als sein Mund sich trocken anfühlte, fiel ihm auf, dass er ihm etwas einfältig wirkend offen stand. „Hinagiku, warte!“, rief er ihr schließlich nach und stolperte halsbrecherisch den Hang hinunter. Als er die Grünhaarige schnaufend eingeholt hatte, drehte sie sich mit genervtem Gesichtsausdruck zu ihm um. „’Ne Entschuldigung kannst du dir sparen.“, nahm sie direkt vorweg. „Und das blöde Spiel kannst du allein weiterspielen, ich hab kein Bock mehr!“ Unwillig, seine Reaktion abzuwarten, machte sie große Schritte abwärts durch unwegsames Gelände. „Wer sagt, dass ich mich entschuldigen wollte? Es sollte nur niemand von uns alleine und orientierungslos durch diesen Wald laufen, es gibt jede Menge steiler Passagen und Stolperfallen!“, konterte er unnachgiebig. „Du kannst dich ja mit deiner tollen Karte gerne sicher nach Hause lotsen, ich komme schon auf meine eigene Weise unten an. Ich brauche zum Strand schließlich nur bergab laufen.“, entgegnete sie schnippisch. Takuro, der noch gekränkt von ihrem vorherigen Ausbruch war und nicht wusste, welche Worte in dieser Situation die richtigen waren, grübelte angestrengt darüber nach, wie er dieses Gespräch fortführen konnte. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Sorge sah er sekundenlang dabei zu, wie sie zwar geschickt jede Hürde abwärts überwand, aber der weiche Boden dabei unter ihren Füßen bedrohlich ins Rutschen geriet. Eine weitere Warnung lag dem Schwarzhaarigen gerade auf den Lippen, als sich Hinagikus Fuß in einer Wurzel verfing und ihr spitzer Schrei die Nacht durchschnitt. Mit einem heikel aussenden Sturz vorwärts, rollte sie meterweit bergab, ehe sie inmitten von Baumnadeln und Erde auf dem Hang wieder Halt fand. Fluchend blieb sie an Ort und Stelle liegen. Ohne zu zögern warf Takuro alles außer der Taschenlampe weg und lief seitwärts den Hang bis zu ihr hinab. „Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“ Zerknirscht versuchte Hinagiku sich mit schmutzigen Händen ihr zerzaustes Haar aus dem Gesicht zu streichen. „Geht schon.“, murmelte sie fadenscheinig und begann sich mit zittrigen Fingern den Waldboden von ihren Armen und der Kleidung zu klopfen. Natürlich glaubte er nur, was er auch selbst sah, also überprüfte er mit dem Lichtkegel seiner Lampe sorgfältig jedes ihrer Gliedmaßen. „Du blutest am Knöchel.“ Stellte er schnell fest. Hinagiku, die noch etwas unter Schock stand, blickte an ihrem linken Bein hinab, das Takuro mit besorgtem Blick anleuchtete. „Ach, das ist nichts.“, behauptete sie leichthin. Er kniff die rotbraunen Augen zusammen und schob seine Brille wieder das Nasenbein hinauf. Mit der freien Hand drückte er vorsichtig den Knochen um die blutende Stelle herum, woraufhin die verunglückte vor Schmerz stöhnend den Kopf in den Nacken warf. „Shit! Nimm doch deine Flossen da weg!“, schnauzte sie ihn an. „Ich glaube, die Schürfwunde ist nicht weiter schlimm, aber dein Knöchel könnte verstaucht oder sogar angebrochen sein.“ „Erzähl doch so was nich’! Ich hab ihn mir nur vertreten.“ Demonstrativ hievte sich Hinagiku hoch, bis sie auf ihrem rechten Fuß sicheren Stand hatte. Takuro sah ihr ungern dabei zu und blieb skeptisch. „Siehst du? Nichts passiert.“ Halbherzig lächelnd humpelte sie einen kleinen Schritt vorwärts. „Falscher Stolz ist an dieser Stelle unangebracht. Ich bin mir sicher, dass es dir höllisch weh tut.“ „Ich bin doch kein Weichei! Schau, ich kann ganz prima laufen.“ Ihr nächster Schritt wurde von einem weiteren, lauten Klagelaut begleitet, unter dem sich die junge Frau wieder auf den Boden sinken ließ. Mit beiden Händen umklammerte sie ihr pochendes Bein, als ob das den Schmerz lindern würde. Ihr Begleiter ging seufzend neben ihr in die Hocke. „Und es tut doch weh, richtig?“ Hinagiku biss sich trotzig auf die Unterlippe und starrte auf ihren blutenden Knöchel. Die Schmerztränen in ihren Augen, die sie mit aller Macht zurückdrängte, waren Antwort genug für den Schwarzhaarigen. Er kramte in seiner Hosentasche und zog ein sorgfältig gefaltetes Taschentuch heraus. „Als erstes sorgen wir mal dafür, dass es aufhört zu bluten.“ „Oh, wie edel.“, setzte sie spöttisch beim Anblick des offensichtlich gebügelten Stoffes an. „Ein Stofftaschentuch. Fehlen ja nur noch die etepetete aufgestickten Initialen.“ Über Takuros Gesicht huschte ein Anflug von Unsicherheit. Ertappt lächelnd schüttelte er das Tuch an einer Ecke festhaltend auf und hielt es ihr unter die Nase. Ihr Blick fiel sofort auf zwei in schönster Schnörkelschrift aufgestickte Großbuchstaben: T.A. Hinagiku konnte sich ein schelmisches Lächeln nicht verkneifen, aber selbst er amüsierte sich über die Situation. „Jedem Gentleman sein besticktes Stofftaschentuch.“, witzelte Takuro. Im nächsten Moment nahm er den weißen Baumwollstoff zwischen die Zähne und zog unter ihren staunenden, braunen Augen so kräftig daran, dass sich ein Streifen löste. Das wiederholte er so oft, bis sich die Überbleibsel des Tuches wie ein Verband um ihren verletzten Knöchel wickeln ließen. „So, bis zum Haus hält das.“, verkündete er nach Knüpfen des Knotens stolz. „Wie, gehen wir nich’ zum Hotel zurück?“ „Nein.“, sagte er bestimmt und schaute hinter sich zurück ins Dunkel der Nacht. „Der Weg nach oben wäre für dich zu beschwerlich, außerdem ist die Minka nicht mehr weit von hier.“ Schluckend betrachtete die Grünhaarige ihren Verband; sie zweifelte daran, dass es überhaupt einen Weg gab, der für sie keine furchtbaren Schmerzen bedeuten würde. „Und wenn du einfach Hilfe holst?“ „Und dich hier alleine im Dunkeln zurücklassen? Kommt nicht in Frage. Ich mag dir berechnend und schnöselig erscheinen, aber ich bin kein Stein. Ich trage dich nach Hause.“ Blut schoss ihr in die Wangen. „Was?! Tragen?! Du mich?!“ Gekränkt verschränkte er die Arme vor der Brust. „Du glaubst wohl, ich schaffe das nicht? Weil ich in Sport immer eine Niete war?“ Sie schluckte verlegen und suchte nach einer Antwort, die nicht irgendwie verletzend ausgelegt werden konnte, aber es fiel ihr keine ein, also schwieg sie schulterzuckend. „Du würdest dich wundern, was du an mir alles neu entdecken könntest. Die Zeiten ändern sich; mein Auftreten ist nicht alles, was sich bei mir geändert hat.“ Mit diesem Satz ging er vor ihr in die Hocke und wartete darauf, dass sie auf seinen Rücken kletterte. Mit mulmigen Gefühl gab sie seiner stummen Aufforderung nach und schlang ihre Arme um seinen Hals. Auffallend behutsam legte er seinen Arm unter ihr lädiertes Bein und stemmte sich dann vom Boden ab. „Ich bin dir doch bestimmt zu schwer. Was ist, wenn du wegen mir auch fällst?“ „Bis zum Haus werde ich dich wohl schaffen und wenn du mir den Weg leuchtest, werde ich auch nicht so schnell fallen. Ich laufe seitwärts zum Hang, das ist sicherer.“ Hinagiku tat wie ihr geheißen und beleuchtete zuverlässig den Weg zu Takuros Füßen. Er ließ es sich nicht anmerken und klagte auch nicht ein Mal über ihr Gewicht, aber es fiel ihr trotzdem auf, dass er nach einer Weile Mühe hatte, ihr gemeinsames Gewicht sicher über den nachgiebigen Waldboden zu balancieren. Es war nicht abzustreiten, dass das für Takuro Amano eine körperliche Glanzleistung war, die er da tapfer vollbrachte und das ließ sie neben Verlegenheit auch ein kleines bisschen Stolz empfinden. Nicht ein Wort wechselten die beiden während ihrem Marsch durch den Wald. Hinagiku war das alles zunehmend peinlich – eben noch hatte sie ihn angegriffen und im nächsten Moment, ohne dass sie sich ausgesprochen hatten – half er ihr ohne Zögern aus einer Notlage. Noch dazu auf eine überaus heldenhafte Art und Weise, die ihr Gesicht immer wieder zum Glühen brachte. Früher, als Kinder und selbst noch als Jugendliche, war es genau anders herum gewesen, da war immer sie diejenige gewesen, die ihm geholfen hatte. „Wir sind da. Meinst du, du kannst den Rest auf mich gestützt gehen?“ Vor ihnen lagen die gepflasterten Wege hinüber zur Minka, in der noch kleinere Lichter brannten. „Ja.“, antwortete sie dankbar und rutschte von seinem Rücken runter auf ihren gesunden Fuß. Takuros Stirn glänzte unter seinem Pony und er atmete schwer, trotzdem versuchte er sich in einem ermutigenden Lächeln, als er ihren rechten Arm über seine Schultern legte, um sie zu stützen. Am Engawa hob der schmale junge Mann Hinagiku noch mal in seine Arme und trug sie unter leisem Protest ins Haus bis in die Küche, wo er sie auf einem der hohen Hocker absetzte, um den Verbandskasten zu holen. Das verschaffte ihr wertvolle Minuten, in denen sie ihren Puls wieder entschleunigen- und ihre Gedanken wieder ordnen konnte. Mit Verbandskasten und gezücktem Handy kehrte Takuro zurück in die Küche. „Ich habe den anderen eben geschrieben, dass wir nicht mehr am Spiel teilnehmen und Zuhause sind, weil du dich verletzt hast.“ „Oh nein, jetzt kommen sie doch bestimmt gleich alle überbesorgt nach Hause…“ „Nein, nein. Ich habe sie auch wissen lassen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, weil ich alles im Griff habe.“ Diese Aussage ließ Hinagiku ausnahmsweise ohne Murren oder einen spitzen Kommentar so stehen, immerhin hatte er nicht ganz unrecht. Mit ziemlich viel Geschick reinigte er ihre Schürfwunde mit Jod, nachdem er ihr zuvor die Turnschuhe ausgezogen- und den provisorischen Verband entfernt hatte. Obwohl es höllisch brannte, verzog sie keine Miene, damit sie sich nicht noch mehr die Blöße gab. Sie schämte sich ohnehin schon unendlich. „Wehe du erzählst auch nur einem von ihnen, dass du mich tragen und verarzten musstest, sonst brech’ ich dir irgendwas!“, zeterte sie besorgt um ihren Ruf. Ihre Aussage ignorierte er mit einem kurzen Lächeln. „Hältst du mich wirklich für arrogant und selbstverliebt?“, fragte er sie stattdessen aus heiterem Himmel, während er ihr ohne aufzusehen einen neuen Verband anlegte. Vor Überrumpelung fiel Hinagiku dazu keine Antwort ein. „So hast du mich heute beim Suikawari bezeichnet, weißt du noch? Und vorhin nanntest du mich einen Schnösel.“, ergänzte er und sah zu ihr auf, sein ernster Blick machte sie ganz nervös. „Sehen du und die anderen mich wirklich so?“ „Na ja…“, setzte sie unschlüssig an und machte eine entschuldigende Miene, die ihm schon Antwort genug war. Seufzend richtete er sich auf und ging zum Kühlschrank, aus dem er eine Wasserflasche und einen Gel-Kühlakku holte, den er danach in eine Kompressionsbandage aus dem Verbandskasten steckte. „Schon gut, mir war schon fast klar, dass es so sein muss.“ Wortlos legte er Hinagiku die wohltuende Bandage an und löste eine Schmerztablette aus dem Blister, die er ihr zusammen mit dem Wasser reichte. „Und das is’ alles, was dir dazu einfällt? Bist du etwa stolz darauf, dass es so is’?“ „Ich bin stolz darauf, was ich bisher erreicht habe und was ich noch erreichen werde. Ist es verkehrt, meine Persönlichkeit ein wenig meinem Lebensstandard anzupassen?“ „Ähm… ja? Wenn es aus dir einen unnahbaren und berechnenden Menschen macht, der sich anderen gegenüber herablassend verhält, nur weil sie nicht in seine neue, exklusive Welt passen, dann schon. Du kannst nämlich ein echter Kotzbrocken sein.“ „Kotzbrocken?“, wiederholte Takuro verwirrt. „Ja! Was auch immer du jetzt darstellen willst, dafür respektiert oder bewundert dich keiner ernsthaft. Dein Verhalten geht den Leuten höchstens auf den Keks. Glaubst du, dass du mit dieser Nummer Momoko beeindruckst?“ Takuro reagierte schmallippig. Wenn es um seine Verlobte ging, war er empfindlich. „Ich muss unsere Beziehung nicht vor dir rechtfertigen.“, sagte er hart. „Stimmt, aber für dein Verhalten musst du dich rechtfertigen.“ Eine Weile sagten sie nichts, sondern sahen nur dem jeweils anderen in die störrischen Augen. „Ich hab dich durchschaut: Du bist so abweisend den anderen und mir gegenüber, weil wir Momokos Freunde sind und Einfluss auf sie haben. Du bist so darum besorgt, wie sie von dir denkt, dass du uns am liebsten aus eurem Leben streichen würdest, damit wir ihr nich’ einreden können, dass eure Verlobung vielleicht ein Fehler war.“ Atemlos ließ sich Takuro auf dem Hocker neben ihr sinken. Plötzlich bloßgestellt fühlte er sich nackt und angreifbar. Hinagiku hingegen wirkte traurig. „So wie es früher war, war doch alles gut…“ „An meinem früheren Ich war nichts gut. Momoko hätte sich für mich nie interessiert, wenn ich mich nicht verändert hätte.“ „Wieso sagst du das? Woher willst du das denn wissen? Du warst der klügste Junge den ich kannte, wusstest immer auf alles eine Antwort und hast niemanden je etwas getan! Wir hatten früher viel Spaß miteinander – was war schlecht an deinem alten Ich?“ „Mo-…“ „Sag nicht wieder, dass Momoko dich sonst nie wahrgenommen hätte.“, fiel sie ihm genervt ins Wort. „Selbst wenn Momoko nicht deine Freundin geworden wäre, hätte sich bestimmt ein anderes Mädel gefunden, dass dich genau so gemocht hätte, wie du warst.“ „Ach ja? Welches denn?“ Hinagiku errötete und rang wild gestikulierend nach Worten. „Ist doch egal! Es wäre sicher so gewesen, basta!“ Wieder schwiegen sie sich an, diesmal schauten sie allerdings aneinander vorbei. Die junge Frau aus Verlegenheit und Takuro, weil er über ihre Worte nachdachte. Die Versuchung nachsichtig mit seiner alten Sandkastenfreundin zu sein und sich auf sie und ihre Worte einzulassen war groß, aber sein falscher Stolz machte ihn widerspenstig. Er hatte zu viele Jahre damit verbracht sich dafür zu schämen, dass er ein Streber und in den Augen vieler anderer ansonsten ein Versager war. Momoko hatte ihn in der Mittelschule nicht als Jungen beachtet und dass sie sich ihm jetzt zugewandt hatte, lag in ihrem privaten Unglück und einem Zufall begründet. Er hatte so viel versucht, um ihre Gefühle für sich einzunehmen und verbuchte nun erste Erfolge – warum sollte er also an sich und seinem Vorgehen zweifeln? „Ich habe alles was ich mir wünschen könnte. Eine gesicherte Zukunft und das Mädchen meiner Träume an meiner Seite. Wieso sollte ich da wieder mein altes Ich zurück wollen?“ Die Grünhaarige seufzte schwer. „Ich sage ja nich’, dass du alles wieder aufgeben sollst… ich meinte ja nur, das du allen so wie früher vielleicht etwas lieber wärst. Mir auf jeden Fall.“ Bedeutungsschwanger warf sie ihm einen langen Blick aus ihren braunen Augen zu, die von rosa gefärbten Wangen betont wurden. Takuro, dem einen Moment lang das Herz höher schlug, räusperte sich mit vorgehaltener Hand. „Es tut mir leid, dass ich dich selbstverliebt, arrogant und schnöselig genannt habe.“, wechselte Hinagiku das Thema. Verdutzt schaute er ihr ins Gesicht, doch sie hatte den Blick gesenkt, weil ihr diese entschuldigenden Worte nicht leicht über die Lippen kamen. „Ich hätte nur gerne meinen alten Freund zurück, das ist alles.“, ergänzte sie wehmütig. Sie wollte sich für ihre Rührseligkeit am liebsten ohrfeigen, denn das passte so gar nicht zu ihrer sonst so coolen Art, aber sie hatte das Gefühl, wenn sie es Takuro jetzt nicht sagen konnte, dann würde sich dafür vielleicht nie wieder eine Gelegenheit ergeben. Der Dunkelhaarige betrachtete sie staunend, ihm fehlten die Worte. Hinagiku hatte nun schon mehrfach an diesem Abend angedeutet, dass ihr noch etwas Echtes an ihm lag, aber es jetzt so deutlich zu hören verwirrte etwas tief in seinem Inneren. Eben noch hatte er ihr stumm recht gegeben, als sie erwähnt hatte, dass er sie und alle anderen Freunde von Momoko am liebsten aus Angst, um seine Beziehung zu ihr, aus seinem Leben streichen wollte. Doch seine Gefühle jetzt in diesem Augenblick spielten ihm einen Streich und zerrten an jeder seiner Fasern, damit über seine Lippen kam, dass auch er sie nicht als Freundin verlieren wollte. Bis eben hatte es nur Momoko gegeben, der er eine Priorität in seinem Leben zugestand, aber es war, als hätten Hinagikus Worte einen Vorhang gelüftet und sein Blickfeld erweitert – es gab tatsächlich noch mindestens einen Menschen neben ihr, dem er nicht egal war und den es tangierte, wie er sich verhielt. „Tut mir leid.“, antwortete er ihr schlicht. Es blieb unklar, wie er seine Worte meinte; ob bedauernd, weil er sie enttäuschen musste, oder weil es ihm leid tat, dass er bis eben nicht hatte sehen wollen, wie sie sich fühlte. Kapitel 65: 65. Day 2.1 – Plans for the day ------------------------------------------- Nach diesem Gespräch gingen sich beide aus dem Weg. Hinagiku unter dem Vorwand, sich vor dem Eintreffen ihrer Freunde noch waschen und umziehen zu wollen. Nachdem die Schmerztablette ihre Wirkung entfaltet hatte und die kühlende Kompresse an ihrem Knöchel ihr Übriges dazu beitrug, fiel es der tapferen jungen Frau leichter, sich ohne Hilfe durch das Haus zu bewegen. Im Badezimmer, während sie sich mit einem Schwamm einseifte und darauf achtete, ihren Verband dabei nicht zu durchnässen, dachte sie noch mal über den misslungenen Abschluss des Abends nach. Immer noch ärgerte sie sich darüber, dass sie Takuro gegenüber so leicht missverständliche Worte verwendet hatte. Konversation, gerade über sensible Themen, waren eher Yuris Spezialgebiet, nicht ihres. Sie kam sich albern und verletzlich vor. „So ein Trottel.“, knurrte sie leise für sich. Warum, das wusste sie gar nicht so genau, sie war einfach frustriert. Takuro lief draußen auf dem Engawa der Minka auf und ab und wartete darauf, dass Momoko und die anderen von der Schnitzeljagd heimkehrten. Eigentlich war ihm das Spiel egal, aber er wollte nicht im Haus herumlaufen und das Risiko eingehen, Hinagiku noch mal allein zu begegnen, was seinem Gefühl nach in einer furchtbar peinlichen Situation mit bedrückendem Schweigen enden würde. Er versuchte sich zusammenzureißen und seine gewohnte Gelassenheit auszustrahlen, aber das Gefühl ließ sich nicht abschütteln. Das wurmte ihn umso mehr! Dass es ihm etwas ausmachte, was Hinagiku dachte und von ihm hielt, passte nicht in seine ursprünglichen Pläne. Diesen Kurzurlaub veranstalte er nur Momoko zuliebe, damit sie sah, dass er sich für sie bemühte. Es war aber nicht Teil des Plans, dass er alte Freundschaften wirklich aufleben ließ oder gar neue knüpfte. Alles was ihn und seine Verlobte emotional an Japan fesselte, war ein Hindernis für ihre neuen Zukunftspläne. Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als er aus der Ferne Lachen und ausgelassenes Geplapper hörte. Die Taschenlampen der fünf Heimkehrer flammten im Dunkeln auf und leuchteten am Strand wild durcheinander. Kazuya und Yosuke rangelten offensichtlich freundschaftlich miteinander, während eines der Mädchen schadenfroh dabei lachte. Als sie näher kamen war klar, dass es Yuri war, die sich anscheinend diebisch darüber freute, dass sie und Yosuke vor ihren Freunden das Ziel erreicht hatten. Momoko, die vorne weg etwas abseits lief, löste sich von dem Grüppchen und lief Takuro entgegen, als sie ihn ihm sanften Licht der Papierlampen erspähte. „Takuro, hi! Wie geht es Hinagiku?“, fragte sie ihn sofort besorgt, als sie barfuß auf die Holzdielen kletterte. „Ihr geht es gut, es ist alles halb so schlimm. Sie ist drinnen und wollte sich umziehen.“, antwortete er müde von dem Thema. „Hast du etwas dagegen, wenn ich gleich reingehe und nach ihr sehe?“ Er rang sich ein sanftmütiges Lächeln ab, denn diese Fürsorge passte zu seiner Momoko. „Natürlich nicht. Geh nur.“ Sie erwiderte sein Lächeln und schob den Shoji auf. Kaum war sie drinnen, erreichten auch die letzten die Minka. Hiromi stand mit verschränkten Armen da und machte ein finsteres Gesicht. Sie warf ihrem Freund und seiner Teampartnerin dabei bittere Blicke zu. „Na ihr? Ihr wart wohl erfolgreich?“, richtete Takuro höflich das Wort an Yuri, ohne Yosuke dabei zu beachten. „Wir sind immerhin Zweite geworden!“, jubelte Yuri fröhlich und hielt eine prall gefüllte Tüte voller Süßigkeiten in die Höhe. „Es gab Bonbons als Trostpreis.“ „Gewonnen hat eines der amerikanischen Teams.“, ergänzte Yosuke, der den Schwarzhaarigen so dazu nötigte, auch ihn anzusehen. Unbeeindruckt nickte Takuro ihm zu und wand sich dann an Hiromi. „Warum so ein geknicktes Gesicht, Hiromi-chan?“ „Als ersten Preis hätte es eine Küstenrundfahrt auf einer Yacht gegeben! Hätte mir das mal jemand vorher gesagt, hätte ich mir mehr Mühe gegeben!“, quengelte sie. „Du hättest dich auch einfach so etwas mehr anstrengen können, dann wären wir vielleicht nicht als Letzte am Ziel gewesen und hätten auch noch einen Trostpreis bekommen.“ Kazuya versuchte nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen, aber ihm war anzusehen, dass der Marsch mit Hiromi und Momoko kein Spaziergang gewesen war. Takuro konnte nur erahnen, welche Schwierigkeiten ihnen der zimperliche Lockenkopf bei den Teamaufgaben bereitet hatte. „Süßigkeiten machen nur dick – Bonbons sind doch nichts im Vergleich zu einer Bootsfahrt!“, lamentierte Hiromi trotzig weiter. Ihr schrilles Zetern brachte Takuro außer Kopfschmerzen auch auf eine Idee, die ihn von den Zwiegesprächen der anderen für einige Augenblicke ablenkte. „Lasst uns doch später weiter darüber plaudern, gehen wir jetzt einfach rein, es ist ja schon spät. Morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder ganz anders aus, Hiromi-chan. Ich bin mir sicher, dass dein Ärger dann verflogen sein wird.“, unterbrach er das Geschnatter schließlich. Skeptisch zog Hiromi eine Augenbraue hoch. Auch die anderen setzten fragende Mienen auf, aber sie wussten inzwischen aus Erfahrung, dass Takuro gerne in Rätseln sprach, wenn er etwas ausheckte. ~*~ Momoko rollte sich leise zu Hinagikus Futon herum, nachdem sie sich sicher war, dass alle im Zimmer - oder wenigstens Hiromi - tief und fest schliefen. Sofort schlug die Kurzhaarige ihre großen, rehbraunen Augen auf und sah sie erwartungsvoll an. „Kannst du nich’ schlafen?“, flüsterte sie. Ihre Freundin schüttelte verneinend den Kopf. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass Takuro dich den ganzen Weg nach Hause getragen hat.“ Hinagiku lief rot an und zog die Augenbrauen düster auf der Stirn zusammen. „Und ich kann nich’ fassen, dass ich dir das tatsächlich erzählt habe…“, entgegnete sie mürrisch. „Habt ihr euch denn wenigstens wieder vertragen?“, hakte Momoko nach. Da schlug ihr Gegenüber betrübt die Oberlider nieder. „Nich’ so richtig, glaube ich.“ „Was soll das denn heißen?“, fragte die Rosahaarige und rückte mit ihrem Kissen näher zu ihrer Freundin heran, damit sie auch ja jedes Wort klar verstehen konnte. „Keine Ahnung. Ich weiß einfach nich’, ob Takuro noch ehrlich etwas an unserer früheren Freundschaft liegt oder nich’.“ Jetzt war es Momoko, die bedrückt wirkte. „Ach so…“, sagte sie seufzend. „Dann gib nicht auf, es herauszufinden.“ Hinagiku dachte kurz über ihre Worte nach, wechselte dann aber das Thema. „Du?“ „Ja?“ „Magst du Takuro inzwischen mehr, als zu Anfang?“ Ihre blauen Augen schauten sie erstaunt zurück. „Er tut das alles nämlich nur für dich, weißt du… Er ist wegen dir so ein schräger Typ geworden, weil er Angst hat, dass er dich verlieren könnte, wenn er sich anders präsentiert.“ Momoko presste die Lippen zusammen und krallte angespannt die Finger in das Bettlaken. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich mit einem lauten Gongschlag zurück. Hinagikus ernster Blick schnürte ihr zusätzlich die Luft ab. „Ja.“, hauchte sie bemüht. Inständig hoffte sie, dass das genügte, um ihrer Freundin damit die unausgesprochene Sorge zu nehmen. Ihr Herz verkrampfte sich, denn eine ihrer besten Freundinnen zu belügen fiel ihr noch schwerer, als Takuro etwas vorzumachen. Aber Hinagiku lächelte zum Glück beruhigt. „Das freut mich. Vielleicht hab ich das mit der arrangierten Hochzeit damals doch etwas zu eng gesehen… Weißt du, auch wenn Takuro mich vielleicht nich’ mehr als seine Freundin sieht, is’ es mir trotzdem nich’ egal, was aus ihm wird. Ich wünsche ihm alles Glück und dir natürlich auch! Ihr habt’s beide verdient, glücklich zu werden.“ Die Rosahaarige schluckte einen riesigen Kloß aus ihrem Hals hinunter. „Boah, dass ich mal so was Schnulziges sagen würde… ehrlich gesagt finde ich immer noch, dass ihr gar nich’ zusammenpasst!“, sagte sie leise lachend. „Aber das is’ ja nich’ meine Lovestory.“ Hinagiku gähnte, schloss die Augen unter einem gemurmelten „Gute Nacht“ und rollte sich schmatzend in das dünne Laken ein, das ihr bei der schwülwarmen Luft als Zudecke diente. Momoko drehte sich auf den Rücken zurück und starrte die Decke über ihrem Kopf an. »Das ist keine Lovestory.«, dachte sie zynisch. »Das ist eine verdammte Seifenoper!« Nun unglücklich darüber, dass sie Hinagiku noch mal auf Takuro angesprochen hatte, lag sie jetzt wach und dachte über ihre Fehler nach. Über all ihre egoistischen Sehnsüchte und die damit verbundenen Lügen, die inzwischen fester Bestandteil ihres Lebens waren. Sie dachte auch an den Moment mit Yosuke im Wald, der nur Stunden zurück lag, ihr aber eine Ewigkeit weit weg vorkam. Und sie dachte an die Zukunft und den Abschied, der sich nicht mehr solange aufschieben ließ, wie sie noch vor wenigen Wochen gedacht hatte... Momoko hob ihre linke Hand über ihr Gesicht und betrachtete den Rubin, der im Mondlicht fahl und grau glänzte. »Ich muss endlich entscheiden, wie ich weitermachen möchte… Ich kann nicht beide haben.« Sie schloss die Augen und faltete die Hände über ihrer Brust zusammen. Eine schwere Last drückte auf ihr Herz. ~*~ Am nächsten Morgen polterte Takuro mit erhobener Stimme und laut klatschend von Zimmer zu Zimmer durch das Haus. „Aufstehen! Ich habe eine Überraschung für euch! Raus aus den Federn, die Sonne lacht bereits!“ Erschrocken von dieser Weckaktion, die schon fast etwas Militärisches an sich hatte, schnellten alle Bewohner hoch in die aufrechte Position, rieben sich müde die Augen oder fuhren sich durch die zerzausten Haare, während sie unfreundliche Dinge brabbelten. Yosuke und Kazuya warfen einander, noch in ihren Betten sitzend, zerknirschte Blicke zu. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten, die von einer kurzen Nacht herrührten. „Bist du wahnsinnig?“, fragte der Torwart seinen Gastgeber nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr. „Warum wirfst du uns schon sieben Uhr morgens aus dem Bett? Frühstück gibt es im Hotel doch bis zehn?“ Er rieb verkatert seine Schläfen. Takuro kam immer noch klatschend zurück in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Spöttisch belächelte er die beiden Sportler. Er selbst stand bereits fertig angezogen, in einer beigefarbenen Badeshorts und einem himmelblauen Hemd mit kurzen Ärmeln, im Türrahmen. Auf seine Brille war ein Aufsatz mit dunklen Gläsern gesteckt, den er lässig nach oben klappte. „Ich sagte doch schon: Ich habe eine Überraschung für euch alle.“ Schlecht gelaunt trat Hinagiku, behutsam einen Schritt vor den anderen setzend, aus dem Zimmer der Mädchen und warf Takuro beim ersten Sichtkontakt ihre Kissenrolle an den Kopf. „Deswegen musst du doch hier nich’ so ’nen Aufstand machen! Uns ist bei deinem Appell eben fast das Herz stehen geblieben!“ Der Schwarzhaarige, dem die Brille nun schief auf der Nase hing, hielt das Kissen fest und warf ihr und ihren Freundinnen, die im selben Moment schlaftrunken in den Korridor traten, ein unbeirrtes Lächeln zu. „Wenn ihr erstmal wisst, weswegen ich hier so einen Aufstand mache, wird sich eure Laune bestimmt wieder heben und ihr werdet mir danken, dass ich euch so früh aus dem Bett geholt habe.“, erklärte er selbstgefällig und warf das Kissen zu Hinagiku zurück, die es geschickt mit einer Hand auffing. Sie wechselten eine Sekunde lang einen prüfenden Blick, bevor sie sich schließlich wieder voneinander abwandten. „Jetzt spann uns doch bitte nicht länger auf die Folter. Sag schon, was du geplant hast.“, forderte Yuri ihn mit vorwurfsvoller Miene auf, während sie hinter vorgehaltener Hand gähnte. „Gut, ich verrate es ja schon: Wir frühstücken heute auf dem Meer! Ich wollte euch für die verlorene und verpatzte Schnitzeljagd entschädigen, also habe ich den Hotelinhaber gestern Nacht noch gefragt, ob es möglich wäre, dass er uns auch ein Boot zur Verfügung stellen würde. Und er hat Ja gesagt.“ In einer gönnerhaften Pose breitete Takuro die Arme aus, so als erwartete er nun Applaus von den Anwesenden. Es war Hiromi, die sich als erstes aus der Erstarrung löste und sich an den anderen vorbei drängelte, um freudestrahlend auf ihn zuzustürmen. „Oh, Takuro!!! Das hast du doch bestimmt für mich getan! Das ist so nett von dir! Du hast gesehen, wie traurig ich gestern war, weil wir nicht gewonnen haben!“ Sie zog ihn in eine feste Umarmung und hüpfte an ihm auf und ab, wie ein albernes Schulmädchen. Dass ihm fast das Blut aus der Nase schoss, weil sie ein unanständig kurzes Negligé trug und er vor Unbeholfenheit gar nicht wusste, wohin er seinen Blick wenden sollte, kümmerte sie nicht. Die anderen beiden Jungs zeigten Anstand und sahen nicht genauer hin, Yuri und Hinagiku rollten dafür angewidert mit den Augen. Sie merkten gar nicht, dass sich Momoko, die sich bis eben komplett zurückgehalten hatte, an Hiromi heranschlich und ihr nun etwas ungeduldig auf die Schulter tippte. „Es ist ja schön, dass du dich so sehr freust, Hiromi, aber ich glaube, dass Takuro das für uns alle arrangiert hat und nicht allein für dich.“ Sie suchte dabei den Blick ihres Verlobten, der daraufhin hektisch nickte, während er mit hochrotem Kopf versuchte, nicht auf den üppigen Busen zu starren, der sich an seine Brust drückte. „Und zieh dir doch wenigstens einen Morgenmantel über. Deine… Vorzüge sollte, so präsentiert, niemand außer dein Freund zu sehen bekommen. Findest du nicht auch?“ Obwohl ihre Stimme ruhig und zuckersüß klang, waren ihre Augen schmal und ihre Lippen fest aufeinander gepresst. Man hätte ihre Reaktion als Eifersucht deuten können, doch es war nichts als Ärger über dieses ungebührliche, fast flittchenhafte Verhalten. Aufgeschreckt wie ein Reh sprang Hiromi einen Schritt zurück und bedeckte mit den Händen ihren Vorbau, der sich anschaulich in dem luftigen Stück Stoff darbot. „Oh nein, wie peinlich!“, gab sie gekünstelt verlegen von sich. „Da habe ich vor lauter Freude doch glatt vergessen, dass ich kein gescheites Nachthemd eingepackt habe!“ „D-Das macht doch n-nichts.“, stammelte Takuro, der auffällig akribisch seine Brille mit dem Saum seines Hemdes putzte. „Es war keine böse Absicht, Momolein. Nicht das du denkst, ich würde deinen Verlobten anbaggern oder so. Meine eingepackte Garderobe war nur fälschlicher Weise darauf ausgelegt, dass ich das Zimmer mit meinem Freund teilen würde.“ Ihre roten Augen blitzten stichelnd, aber ihr Engelslächeln verriet nichts von ihrem Ärger darüber. Es war offensichtlich, dass sie sich mit ihren Reizen den anderen Mädchen gegenüber überlegen und erwachsen fühlte und sich in Wahrheit kein bisschen für ihr hemmungsloses Verhalten schämte. Momoko wand sich einfach ab und fing dabei einen Blick von Yosuke auf, der blass und versteinert neben Kazuya stand und am liebsten einfach nur im Boden versinken wollte. Bevor das Wortgefecht doch noch hitzig werden konnte, senkte sich ein kurzer Yukata von hinten über Hiromis Schultern. Yuri hatte ihn ihr übergeworfen - sie musste ihn in weiser Vorrausicht aus ihrem Zimmer geholt haben. „Hier, ich borge dir meinen.“ Die Brünette lächelte so offen und überzeugend, dass niemand an ihrer unerwarteten Hilfsbereitschaft zweifelte. „Jetzt geh und zieh dir doch was Hübsches an, in dem wir dich alle gerne anschauen, ohne rot zu werden.“, ergänzte sie engelsgleich. Hiromi schnaubte schnippisch und verzog sich mit aufreizend wackelnden Hüften in ihr Zimmer. „Erinnere mich daran, dass ich diesen Yukata nach dem Urlaub verbrenne.“, flüsterte Yuri. Momoko unterdrückte ein Kichern. Ganz wie von Takuro gewünscht, warfen sich alle in ihre Badesachen und begaben sich danach nach draußen, um gemeinsam zum Strand aufzubrechen. Genau wie ihr Gastgeber, hatten auch die beiden anderen jungen Männer helle, einfarbige Hemden zu ihren Badeshorts angezogen. Yuri trug über ihrem blauen Bikini einen zitrusgelben Bolero; einen passenden, bis an den Knöchel reichenden Strandrock und natürlich den Sonnenhut mit ihrer Sonnenbrille dazu. Hinagiku hatte eine khakifarbene Bluse zu ihrer schwarzen Schwimmkombination angezogen und beließ es als Sonnenschutz bei ihrem Basecap, durch das sie am Hinterkopf ihren kurzen Zopf durchgefädelt hatte. Momoko trug an diesem Morgen wieder ihre gelben Haarbänder im offenen Haar und ein großes, weißes, grob gewebtes Dreiecks-Häkeltuch um die Schultern. Sie versuchte darunter einen Sonnenbrand zu verstecken, den sie sich am Vortag, Dank ihrer Flucht vor Takuro und der Sonnencreme, zugezogen hatte. Um ihre Hüften hatte sie ein passendes, fast transparentes Wickeltuch gebunden, dessen leichter Stoff im Meereswind wild flatterte. „Ist Hiromi schon wieder die Letzte?“, fragte Yuri ungeduldig. „Sie kommt bestimmt gleich.“, beruhigte Yosuke sie, der kurz zuvor als Vorletzter aus der Minka gekommen war. „Sie wollte sich nur noch mal umziehen.“ „Noch mal?“, wiederholte Hinagiku betont. Der Dunkelhaarige verschränkte die Arme und tat so, als wäre nichts Besonderes dabei. „Nach reichlicher Überlegung war sie doch der Meinung, dass ihr heute ein anderes Outfit besser stehen würde.“ Alle erinnerten sich an den anrüchigen Hauch von Nichts, der am Tag zuvor Hiromis Blöße verzweifelt zu verstecken versucht hatte. Während die Jungs peinlich berührt bei dem Gedanken waren, schüttelten ihre Begleiterinnen angewidert einen aufkommenden Schauer ab. „Sie hat es sich anders überlegt?“, fragte noch mal Hinagiku, mit offensichtlichem Zweifel an seiner Version der Geschichte. Yosuke warf ihr einen strengen Blick zu, musste dann angesichts ihrer skeptisch hochgezogenen Augenbraue jedoch grinsen und verriet sich damit. Momoko hatte Mühe, sich ihre Freude darüber, dass Hiromi anscheinend von ihm zurechtgewiesen worden war, nicht anmerken zu lassen. Schlussendlich fand diese ihren Weg nach draußen und wirkte tatsächlich alles andere als glücklich mit ihrer neuen Kleiderwahl. Dabei stand ihr der leuchtend rote Badeanzug ziemlich gut, wie die anderen Mädchen neidvoll zugeben mussten. Er hatte einen hohen Beinausschnitt mit niedlichem Schleifenbesatz, war im Brustbereich herzförmig ausgeschnitten und hatte nur ganz feine, transparente Träger. Sie hatte dazu einen dünnen, strandtauglichen Strickmantel in naturfarbend angezogen, der ihr bis in die Kniekehlen reichte und vorne zum Zubinden gedacht war, von ihr aber offen getragen wurde. „Meine Güte, das steht dir sehr gut, Hiromi-chan.“ Ihre grimmige Miene hellte sich bei Takuros ehrlichem Kompliment sofort auf. „Ach, findest du?“, fiepste sie etwas unsicher und begann zu posieren, um sich selbst noch mal neu zu beurteilen. „Glaub ihm ruhig, das steht dir sehr viel besser, als der Fummel von gestern.“, bestätigte ihr Yosuke, der sie im selben Moment unauffällig an den Schultern zu sich heran zog, damit sie mit dem albernen Rumgehampel aufhörte. Halbherzig gab sie ihm einen Klaps auf den Arm und grinste verschlagen. „Ach, du Schuft… gib doch zu, dass ich dir gestern auch sehr gut gefallen habe.“ Er schluckte nervös und fühlte sogleich Momokos Blick auf sich brennen. Warum zum Kuckuck machte es ihm so viel aus, was sie in diesem Moment vielleicht von ihm dachte? Jedes noch so kleine Gespräch in der Gruppe fühlte sich an wie ein Eiertanz: Einerseits mussten sie beide überzeugend vorgeben, dass sie nichts als Freunde waren, doch auf der anderen Seite fühlte sich jedes nette Wort, an ihre Partner gerichtet, wie Verrat an. Sollte es nicht genau anders herum sein? „Ich gebe zu, dass du mir heute noch besser gefällst.“, säuselte er geschauspielert zurück und unterstrich das mit einem schelmischen Augenzwinkern. „Nehmt euch ein Zimmer!“, neckte ihn Hinagiku angeekelt über die Köpfe der anderen hinweg. Sie hakte sich unvermittelt bei Takuro unter, der sie deswegen überrascht anstarrte. „Mein Fuß, weißt du noch? Du hilfst mir doch bestimmt, sicher über den Strand zu kommen, oder?“ Er musterte genau die Art und Weise, mit der sie ihn ansah und stellte erleichtert fest, dass es sich überhaupt nicht steif oder gekünstelt anfühlte, wie sie ihn um Hilfe bat. Sie wollte anscheinend genauso wenig wie er, dass es zwischen ihnen wegen dem Gespräch am Vorabend zu einer peinlichen Atmosphäre kam. Also tätschelte Takuro ihren Arm, der sich unter seinen gehakt hatte, freundschaftlich und ebnete ihr einen sicheren Weg über den Strand. „Na, wirst du da nicht auch eifersüchtig, Momoko? Wenn es dich schon aufregt, wenn ich ihn nur zum Dank umarme.“ Die Angesprochene drehte sich zu Hiromi um, die, mit Yosuke an der Hand, ihrem Verlobten und Hinagiku gerade folgen wollte. „Nicht im geringsten.“, antwortete sie selbstbewusst. „Warum sollte ich ausflippen, nur weil mein Freund seiner besten Freundin hilft? Daran ist schließlich nichts Unangemessenes. Ich hätte wohl ein ganz schön niedriges Selbstwertgefühl, wenn ich darauf eifersüchtig wäre.“ Mit diesem Seitenhieb ließ sie das ungleiche Pärchen hinter sich zurück und folgte, in Gesellschaft von Yuri und Kazuya, ihren vorangegangenen Freunden. Hiromi war wie versteinert und schmollte, versuchte dennoch sich nicht zu sehr über das, was Momoko gesagt hatte, zu ärgern. Obwohl sie gestern Nacht erst ein fast freundschaftliches Gespräch mit ihr geführt hatte, war es heute nun schon zum zweiten Schlagabtausch zwischen ihnen gekommen. Sie fragte sich, ob es vielleicht wirklich an ihrem Selbstwertgefühl lag, dass sie mit anderen Mädchen so schlecht zurecht kam. Yosuke ignorierte die Situation und führte sie ohne jeglichen Kommentar mit sich, aber sie sah seinem Gesichtsausdruck an, dass er nicht erfreut darüber war, was da gerade schon wieder vorgefallen war. Eine Stimme in ihrem Unterbewusstsein machte sich bemerkbar und redete ihr ein ungutes Gefühl ein, das sich nicht länger verdrängen ließ. Schon seit Beginn dieser Kurzreise spürte Hiromi, dass sich ihr Freund über sie ärgerte. „Bist du enttäuscht von mir, Yoyo-Maus?“, fragte sie ihn gerade heraus. „Bitte, was?“, entgegnete er überrumpelt. „Na, bist du vielleicht böse auf mich? Du tust immer so nett, aber ich habe das Gefühl, dass du eigentlich etwas zurück hältst.“ So viel Ernsthaftigkeit von ihrer Seite aus war eine ganz neue Erfahrung für Yosuke und so war er sich nicht sicher, wie er ihr darauf antworten sollte. Wollte sie wirklich seine ehrliche Meinung hören, oder war das nur wieder ein verquerer Versuch von ihr, ihn um den Finger zu wickeln. „Sag schon!“, forderte sie quengelnd, sodass er einen angestrengten Seufzer ausstieß. „Um ehrlich zu sein… es ärgert mich schon ein wenig, dass du jede Möglichkeit nutzt, um hier auf dich aufmerksam zu machen oder um die anderen zu provozieren.“ Hiromi schnaubte entrüstet. „Tue ich doch gar nicht! Ich bin eben einfach ein polarisierender Typ.“ Yosuke staunte, dass sie das Wort polarisierend und dessen Bedeutung überhaupt kannte. Wieder seufzte er. „Warum fragst du, wenn du es eigentlich nicht hören willst?“ Sie biss sich verkniffen auf die Unterlippe, weil sie wusste, dass er recht hatte. „Entschuldige bitte. Erzähl ruhig weiter...“ Unsicher, ob sie das jetzt ernst meinte, zögerte er zunächst, doch dann gab er sich einen Ruck. „Weißt du noch, warum ich dich damals gebeten habe, mit mir auf diese Reise zu kommen?“ Hiromi ging in sich und rief sich das länger zurückliegende Gespräch im Bahnhofscafé wieder in Erinnerung. Ja, sie wusste es noch – sie sollte sich mit Momoko und den anderen anfreunden, weil das ihr selbst und auch ihrer angespannten Beziehung gut tun würde. Yosuke wollte, dass sie ihm wieder vertraute und mit der Vergangenheit abschloss. Das war allerdings leichter gesagt als getan, denn auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, war nicht ein Tag vergangen, an dem sie sich nicht deswegen grämte, dass ihr Freund etwas mit einer anderen hatte. Ihn mit anderen Frauen zu sehen, verwandelte sie innerlich jedes Mal aufs Neue in eine Furie. Es kostete sie viel Willenskraft, ihnen nicht bei jedem Lächeln ins Gesicht zu springen und ihnen die Augen auszukratzen! Genauso fiel es ihr schwer, Yosuke immer wieder neu zu umgarnen und ihn mit allem was sie hatte zu bezirzen, damit er sie überhaupt beachtete und ihr etwas Zärtlichkeit schenkte. Er kam nie von sich aus auf sie zu und das machte es ihr sehr schwer, an seine Liebe zu ihr zu glauben… Ja, sie war zurzeit ein Ekel – vielleicht auch mehr als sonst - aber war sie das nicht zu recht? Konnte er sich denn nicht in sie hineinversetzen? Gut, er hatte sich eigentlich trennen wollen und hatte ihrer Beziehung nur wegen dem Baby noch eine Chance gegeben, aber konnte er nicht trotzdem verstehen, dass sie unter der Angst litt, dass vielleicht das hübsche Gesicht einer anderen ausreichen würde, um ihn ihr ganz zu entreißen? „Du sagst ja gar nichts mehr, hast du es etwa wirklich vergessen?“ „Nein, ich habe es nicht vergessen.“, sagte sie bitter klingend. „Aber wieso kannst du meine Eifersüchteleien nicht verstehen?“ Gekränkt sah sie ihn aus ihren großen, traurigen Augen an. „Ich kann sie verstehen. Wirklich.“, sagte er nachdrücklich, allerdings ließ er ihre Hand nun los und wand den Blick von ihr ab. „Aber wenn du dich jetzt immer so verhältst, dass du die Menschen ärgerst, die mir etwas bedeuten und mit ihnen Streit anfängst; also jedes Mädchen provozierst, das mich nur ansieht oder dich bei jeder Gelegenheit anbiederst und dich in den Mittelpunkt rückst, sodass ich mich für dein Auftreten schämen muss, dann weiß ich nicht, ob es etwas gebracht hat, dass wir an unserer Beziehung arbeiten wollten.“ „Yosuke!“, keuchte Hiromi entsetzt und fast den Tränen nahe. „Ich weiß, wie herzlos das klingt! Aber ich glaube inzwischen nicht mehr, dass es ausreicht, wenn nur ich dir zeige, dass ich mir wirklich Mühe für uns gebe.“ In seiner Brust löste sich ein Knoten und er wusste, dass es die Wahrheit war, was er gesagt hatte. Es tat unheimlich gut, sich seinem Frust mal Luft zu machen. Obwohl er es wirklich mit Hiromi versuchte, kam er nicht umhin zuzugeben, dass seine Empfindungen für sie trotzdem in letzter Zeit immer weniger geworden waren… ihr anstrengendes Verhalten machte das nicht besser. „Weißt du, es fällt mir nur so schwer, dir zu vertrauen…“ Er winkte diese Aussage missbilligend ab. „Deine zänkische Art hat doch nichts damit zu tun, wie sehr du mir vertraust! Dafür bist du ganz allein verantwortlich. Ich bewege mich doch schon kaum aus deinem Radius heraus, rede nur das Nötigste mit den Mädels und trotzdem machst du andauernd etwas, für das ich mich dann schämen muss! Dabei sind das meine Freunde – so hatte ich mir diese Reise nicht vorgestellt.“ „Aber…“ „Da gibt es kein Aber. Was sollte denn zum Beispiel eben die spitze Bemerkung Momoko gegenüber? Sie hat dir doch gar nichts getan. Und das gestern mit dem Bikini war auch völlig übertrieben! Mach dir bitte endlich bewusst: Wenn ich ein Mädchen liebe, dann kann es meinetwegen auch in einem Müllsack herumlaufen. Das ändert nichts an meinen Gefühlen für sie.“ „Für sie? Du meinst, für dich.“, verbesserte Hiromi ihn grimmig. „Ja.“, schloss er, nachdem er sich selbst beim Zögern ertappte. Diesmal war sie es, die langgezogen ausatmete. Emotional nach Halt suchend, verschränkte sie ihre Finger wieder mit seinen und er ließ es zu. Er hatte keine Ahnung, wie sehr seine klaren Worte sie aufwühlten. Verletzt und verunsichert hing sie noch lange schweigend ihren Gedanken nach. Zu ihrem eigenen Unmut kam sie letztendlich zu dem Schluss, dass Momoko, mit ihrer Bemerkung über das Selbstwertgefühl, recht hatte und sie dringend an ihrem arbeiten musste. Wenn Yosuke seine Worte ernst meinte, dann gab es keinen Grund für sie, sich immer wieder in den Vordergrund zu rücken. Sie musste ihm einfach vertrauen und sich seinen Gefühlen für sie sicher sein. Anders war sie dabei ihn zu vergraulen und das war das Letzte, das sie erreichen wollte! Kapitel 66: Day 2.2 – Fatal boat trip ------------------------------------- Sie hatten mit einem einfachen Boot oder einem kleinen Schiff extra für Rundfahrten gerechnet, aber etwas entfernt vom Strand hatte sie eine schnittige Yacht erwartet! Sie war so groß, dass die Gruppe extra mit einem kleinen Beiboot zu ihr gebracht werden musste, da sie in flacheren Gewässern nicht vor Anker gehen konnte. Sie hatte ein flaches Heck mit noch flacherem Aufstieg, von dem man bequem ohne Leiter ins Wasser und zurück klettern konnte. Eine sehr ausladende Sitzlandschaft, in U-Form und aus hellem Stoff, bot dort mehr als genug Platz für sie und noch mehr Leute. Direkt dahinter ging es zur Treppe nach unten in den Schiffsbauch oder zu dem höher liegenden Kapitänshaus, das zum Bug hinaus zeigte. Direkt vor den Fenstern, aus denen der in eine weiße Uniform gekleidete Kapitän spähte, war eine großzügige Liegefläche in den Boden eingelassen, auf der sich bequem vier Menschen gleichzeitig sonnen konnten. Oder man hielt sich an der Reling fest und ließ sich den Wind ins Gesicht wehen, ganz wie in Titanic. Im Schiffsbauch gab es neben dem Zugang zum Motorraum noch ein kleines Badezimmer, eine versteckte Kombüse und einen Wohnraum mit Bar und Esstisch. Aber weil das Wetter einfach fabelhaft war, saßen sie draußen auf der Sitzlandschaft und ließen sich von einem Matrosen bedienen. „Ich fühle mich total underdressed!“, witzelte Yuri, als ihr direkt von einem Tablett eisgekühlter Multivitaminsaft in einer Sektflöte serviert wurde. „Wem sagst du das!“, stimmte Hinagiku zu. „Das ist echt pikfein hier.“ „Schön, dass ihr es genießt.“ „Und wie, Takuro! Und wie!“, schwärmte Hiromi mit halbvollem Mund. Genüsslich seufzend schob sie sich gerade ein Brötchen mit feiner Marmelade in den Mund. Yosuke neben ihr hielt sich mit Begeisterungsstürmen lieber zurück, obwohl er insgeheim nicht leugnen konnte, dass es schon ziemlich cool war, so den Tag zu beginnen. Es fuchste ihn doch sehr, dass der Brillenträger immer wieder neue Dinge aus dem Hut zauberte, mit denen er angeben konnte. Er gab sich Mühe, wie die anderen einfach Spaß daran zu haben und es zu genießen, aber das wollte ihm nicht so recht gelingen. Immerzu hatte er das Gefühl, Takuros hämischen Blick auf sich zu spüren. Dass er ihnen allen nicht einfach nur gerne eine Freude machte, sondern beweisen wollte, was für ein toller Typ er im Gegensatz zu ihm und Kazuya war: einflussreich, wohlhabend, großzügig – doch das kaufte Yosuke ihm nicht ab. Durch Momoko wusste er, dass das alles ohnehin nur Fassade war, denn für diesen oberflächlichen Luxus hatte der Streber bislang noch nichts selbst leisten müssen. Trotzdem konnte er den Neid nicht ganz abschütteln, denn so etwas würde er Momoko niemals bieten können… »Moment, warum Momoko?«, schoss es ihm verwirrt durch den Kopf. „Darling, willst du auch mal probieren?“ Aus dem Tagtraum aufgeschreckt, blinzelte er in Hiromis erwartungsvolle Augen. Sie hielt ihm einen Löffel mit limettengrüner Götterspeise entgegen. „Äh, klar.“, antwortete er hastig und verschlang den Happs, ohne wirklich auf den Geschmack zu achten. Als er sich bewusst wurde, dass er sich von Hiromi in Anwesenheit seiner Freunde hatte füttern lassen, wurde er etwas verlegen und wischte sich mit der Hand fahrig über den Mund. Yuri und Kazuya sparten sich anstandshalber komische Blicke oder gar einen neckenden Kommentar und Hinagiku war zum Glück gerade selber mit Schlemmen beschäftigt. Yosukes Augen hoben sich hinüber zu Momoko, die als Einzige keinen großen Appetit gehabt hatte und an der Reling am Heck stand. Er war erleichtert, dass sie ihn und Hiromi nicht beobachtet hatte. Gedankenversunken schien sie zu beobachteten, wie die Schiffsschraube unter der Yacht einen Sog ins Wasser schnitt und eine Schneise aus weiß aufschäumenden Wellen hinter sich her zog. Ihre offenen Haare flatterten die ganze Zeit um ihr Gesicht herum, aber sie genoss trotzdem ungestört den Moment und die Aussicht. Er bekam große Lust ihr Gesellschaft zu leisten. Wie gern Yosuke jetzt einfach aufstehen wollte, um sich mit ihr über das Geländer zu beugen und das Wetter und den salzigen Wind zu genießen… „Ich gehe mal kurz rüber zu Momoko, ok?“, hörte er sich sagen. Kurzentschlossen schnappte er sich ein frisches Glas Saft und ging damit hinüber zu ihr, ohne auf die Reaktionen seiner Freunde zu achten. Was war schließlich schon dabei? »Wir sind nur Freunde.«, rechtfertigte er sich in Gedanken. Der Motor und das tosende Wasser übertönten seine Schritte, nicht aber sein Herzklopfen, das in seinen Ohren widerhallte. Je näher er kam, desto mulmiger fühlte es sich in seiner Magengegend an. „Hi.“, grüßte er die Rosahaarige verhalten lächelnd. Überrascht wand sie sich ihm zu. Gegen den Rückenwind ankämpfend versuchte sie vergeblich ihre losen Haarsträhnen hinter die Ohren zu schieben. „Durst?“, fragte Yosuke fast schüchtern und hielt ihr das beschlagene Glas hin. Mit einem genauso zurückhaltenden Lächeln nahm sie es ihm ab und hob es wie zu einem Trinkspruch an. „Fürchterlich übertrieben, oder? Saft in einem Sektglas?“, scherzte sie augenrollend, ehe sie einen Schluck nahm. Zustimmend nickte er, froh darüber, dass sie den Moment auflockerte. „Wem sagst du das.“ Momoko lehnte sich wieder mit beiden Armen über die Reling und sah in die Ferne. Da es nicht so aussah, als würde sie das Gespräch fortführten, stützte er sich mit überkreuzten Armen ebenfalls ab und ergriff erneut Initiative. „Wir haben schon länger nicht mehr miteinander geplaudert.“ „Stimmt. Seit gestern nicht.“ Sie brauchte nicht zu erwähnen, seit wann genau. Yosuke wusste noch sehr gut, wann und wie sie auseinander gegangen waren. „Alles ok zwischen uns? Sind wir noch Freunde?“ Wieder richteten sich ihre klaren Augen auf ihn. Ernst, aber ohne Vorwurf oder Zorn in ihnen. „Natürlich. Du hast doch nichts falsch gemacht! Ich weiß auch nicht, was mich da gestern geritten hat, dass ich mich so albern aufgeführt habe.“ „Du brauchst dich nicht rechtfertigen. Ich wäre wohl auch ganz schön schockiert, wenn ich dich und Takuro beim Rummachen auf der Terrasse erwischen würde.“ Was scherzhaft klang, verpasste Momoko offensichtlich einen heftigen Stich. Schlagartig verfinsterte sich ihr Blick, den sie grimmig wieder auf das Meer richtete. „So etwas wirst du niemals erleben! Niemals würde ich mich irgendeinem Mann so aufdrängen.“ „Oh je, da bin ich ja gerade in ein ganz schönes Fettnäpfchen getreten, nicht wahr?“, sagte der Dunkelhaarige bedauernd. „Tut mir leid. Ich habe nur versucht, die Stimmung aufzulockern, damit wir nicht so verkrampft miteinander umgehen. Wir vermeiden ja sogar, uns gegenseitig anzusehen und genau so sollte das nicht zwischen uns laufen. Wir wollten hier doch Spaß zusammen haben…“ Er fuhr sich in seine lang gewordenen Haare und strich sie nach hinten. Umsonst zwar, aber Momoko erkannte an dieser Verunsicherung ausstrahlenden Geste und seiner Miene, dass er es ehrlich versucht hatte und einfach nicht anders wusste, wie er es angehen sollte. Er strahlte dieselbe Unbeholfenheit aus, die sie empfand. Ihre Gesichtszüge wurden wieder weicher. Sanft stieß sie ihn in einer freundschaftlichen Geste mit ihrer Schulter am Arm an. „Du brauchst doch gar nichts Spezielles tun, damit wieder alles ok ist. Es reicht völlig, wenn du mir zulächelst.“ Schüchtern, was so gar nicht zu dem sonst so toughen Yosuke passte, lachte er kurz tonlos in sich hinein und schüttelte dabei den Kopf. „Das Simpelste kann manchmal so schwer sein.“ Doch dann nahm er den Blickkontakt wieder auf und überwand sich zu dem Lächeln, das ihm aus unerfindlichen Gründen so schwer fiel. Er horchte in sich hinein: Sein Herz klopfte immer noch unaufhörlich schneller und das hatte rein gar nichts damit zu tun, dass sie umwerfend aussah oder weil er befürchtet hatte, dass sie böse auf ihn wäre. Es war allein ihre Gegenwart, die ihn so aufwühlte. Der pulsierende Muskel in seiner Brust beschleunigte sein Tempo noch mal, als sich Momokos Wangen plötzlich rot färbten und sie sein Lächeln inbrünstig erwiderte. Es war diese Art Lächeln, bei der ihre blauen Augen lebhaft funkelten, so wie Saphire im Sonnenlicht. „Geht doch“, sagte sie neckend und ließ den Wind wieder mit ihrem Vorhang aus Haaren spielen, der ihr Gesicht vor Yosukes Blick verhüllte. »Himmel!«, dachte er wie sooft schon und wollte sich am liebsten ans Herz fassen, das einen Satz nach dem anderen machte. Ein Blick von ihr, ein Lächeln… und er wusste nicht mehr, was er denken oder fühlen sollte. Er hatte immer angenommen, genau über seine Gefühle bescheid zu wissen und alles zu kontrollieren, was er tat und dachte. Doch bei Momoko verlor er diese Kontrolle und bestand nur noch aus dem Moment und einem reißenden Fluss aus Emotionen und Impulsen, dem er sich nicht widersetzen konnte. Das hatten die vielen Momente nur bewiesen, in denen sie beide sich nahe gekommen und viel zu weit gegangen waren. Yosuke fühlte, wie sich jede Zelle seines Körpers in einen Magneten zu verwandeln schien, der von ihr angezogen wurde. Seine Haut stand unter einer Art elektrischen Spannung und lauerte hungrig auf jede noch so kleine Berührung von ihr. Er musste mit aller Macht dagegen ankämpfen, ihr nicht das Haar wieder aus dem Gesicht zu streichen oder ihre Hand zu nehmen. Nicht tun zu dürfen, wonach es ihn verlangte, bereitete ihm tatsächlich körperlichen Schmerz. Er fühlte ihn tief in sich drin und fand den Ursprung in seinem Herzen. Mit geschlossenen Augen versuchte Yosuke hinzuhören – war es das, worauf Kazuya ihn aufmerksam machen wollte? Diese Gefühle? Er würde noch verrückt werden, wenn er nicht bald eine Gelegenheit bekam, um mit Momoko wirklich allein zu sein und allem auf den Grund zu gehen. „Na, ihr zwei? Klasse Gefühl hier zu stehen, oder?“ Kazuya schob sich ganz beiläufig zwischen sie und hatte zu allem Überfluss auch noch Hiromi im Schlepptau, die sich, strahlend vor Bewunderung für die Aussicht, ebenfalls an das Geländer vordrängte, an dem es langsam eng wurde. „Die Yacht gleitet geradezu durch die Wellen, man merkt ja kaum etwas davon!“, staunte sie, während sie mit beiden Händen versuchte, ihre Locken zu zähmen, die vom Fahrtwind ebenfalls erfasst wurden. „Darf ich euch Yosuke kurz entführen?“, fragte der Blonde mitten in ihr Staunen hinein. „Ich würde mir mit ihm gerne mal das Innere des Boots ansehen. Das wäre euch sicherlich zu langweilig.“ Fragend wechselten der Torwart und die Hobbyfotografin Blicke, doch sie widersprachen nicht. „Sicher, dann kann ich hier ein bisschen mit Momolein schwatzen.“, zwitscherte Hiromi erfreut und rückte auch sogleich ein Stück auf. Nicht sicher, was sie davon halten sollte, warf Momoko einen Blick nach hinten, wo Yosuke und sein Freund gerade im Schiffsbauch verschwanden und sich Takuro und Hinagiku auf der Sitzlandschaft bei einem Saft unterhielten. „Na, worüber habt ihr so geplaudert?“, fragte die Lilahaarige mit erstaunlich normal klingender Stimme. „Willst du dich jetzt wirklich mit mir unterhalten?“, hinterfragte Momoko skeptisch. Hiromi stemmte die Hände in die Hüfte und machte ein ertapptes Gesicht. „Du bist bestimmt noch sauer wegen vorhin. Ich muss wohl zugeben, dass ich heute nicht mit dem richtigen Fuß aufgestanden bin. Ich wollte eigentlich gar nicht streiten, nachdem wir uns doch gestern Abend noch so gut unterhalten haben.“ „Hm, schon gut. Ich hatte fast erwartet, dass das gestern mehr ein Versehen von dir war. Nett und ernsthaft sind zwei Eigenschaften, die man von dir nicht unbedingt gewohnt ist.“, antwortete Momoko etwas gleichgültig. Sie wollte nicht an das Gespräch vom Vorabend denken. Es erinnerte sie zu sehr daran, dass Hiromi durchaus eine Frau war, die verletzlich und zu ernsthaften Gefühlen in der Lage war. „Hey, sei doch nicht so fies zu mir!“, meckerte sie schmollend. „Ich dachte, wir seien inzwischen so was wie Freundinnen geworden.“ Die Rosahaarige schnaubte verächtlich, aber gab dem Ganzen eine Chance. „Ich weiß ja nicht… aber wenn du dich für vorhin entschuldigen möchtest…“ „Das tue ich!“, fiel sie ihr ins Wort. Perplex machte Momoko große Augen. Hiromis Miene wirkte ernst und entschlossen. Als diese dann auch noch ihre linke Hand in ihre schloss, war sie gänzlich sprachlos. „Kein Zank mehr, ab jetzt werde ich mir Mühe geben, dir als Freundin gerecht zu werden.“ Die Blauäugige klappte ihren Mund immer wieder auf und zu, in dem vergeblichen Versuch, etwas Passendes zu erwidern. Doch ihr fehlten die Worte. Was Hiromi da sagte klang löblich, doch in Momokos Ohren hallte es anders wider. Sie wollte sich doch gar nicht mit dieser Person anfreunden! Sich mit ihr anzufreunden würde bedeuten, sie auch auf emotionaler Ebene an sich heranzulassen und das war nun wirklich das Letzte, das sie wollte! Eine Freundschaft mit der schwangeren Lebensgefährtin des Jungen, in den sie heimlich verliebt war? Um Himmels Willen – sie hatte wirklich schon genug Punkte auf ihrer Liste, die sie nachts nicht gut schlafen ließen. „Kein Zank mehr, danach sehen wir weiter. Wie klingt das?“ Bot sie ihr entgegenkommend an. Mehr durfte wirklich niemand von ihr verlangen und sie hoffte sehr, dass sich Hiromi damit zufrieden geben würde. Es konnte schließlich nicht schaden, wenn sie ihre zänkische Ader wenigstens hier während des Urlaubes ablegen würde. „Das klingt nach einem Anfang, Momolein.“, entgegnete der Lockenkopf einverstanden, der anschließend sogleich ein typisches Alltagsgespräch anstieß. Kazuya schliff Yosuke ohne ein Wort zu sagen unter Deck, bis in dessen hinterste Ecke, was nichts Gutes bedeuten konnte. „Das war aber eine kurze Führung.“, witzelte er unsicher. „Ich bin nicht wegen der schicken Ausstattung mit dir hier runter gekommen.“, setzte der Blonde ernst an. „Ja, das habe ich schon befürchtet.“ „Gut, kannst du mir dann vielleicht verraten, was das da eben war?“ Der ausgestreckte Zeigefinger seines Freundes zeigte symbolisch Richtung Heck. „Ich habe mich nur ein bisschen mit Momoko unterhalten.“, antwortete Yosuke schlicht. Er war sich nicht bewusst, etwas Falsches getan zu haben. „Das hat man gesehen.“, bestätigte Kazuya mit ironischem Unterton und verschränkten Armen. „Man hat zwar kein Wort verstanden, aber für mich sah es eher nach heftigem Anschmachten aus.“ „Wie bitte?“, entfuhr es Yosuke entrüstet. „Wir haben uns nicht angeschmachtet!“ „Sie dich vielleicht nicht, aber du sie.“ Er überlegte kurz, ob etwas an diesem Vorwurf dran war, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mal an eine einzige Geste erinnern, die so etwas rübergebracht haben könnte. Kazuya analysierte jede Regung in seinem Gesicht, während er nachdachte. „Du streitest es nicht ab?“ Der Dunkelhaarige griff sich mit beiden Händen in den Nacken und starrte entnervt an die niedrige Decke. „Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass ich sie angeschmachtet habe. Wir haben wirklich nur geredet.“ Er klang ehrlich und das musste auch Kazuya einsehen. „Das mag dir so vorgekommen sein, aber man hätte schon blind sein müssen, um zu übersehen, wie du sie angestarrt hast. Du kannst von Glück reden, dass die anderen in dem Moment abgelenkt waren.“ Ein schiefes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ist das so? Wie habe ich sie denn angeblich angestarrt?“, fragte Yosuke herausfordernd, ohne das Lächeln zu erwidern. „Hm… schwer zu beschreiben…“ Sein Freund ließ sich einen Moment Zeit, die richtigen Worte zu finden. „So als würdest du das erste Mal einen Sonnenaufgang sehen.“ »Wie passend.«, dachte Yosuke. Er schloss die Augen und war sofort wieder an seinem geheimen Ort auf dem Hügel. Dort, wo die Vögel jeden neuen Tag begrüßten und von wo aus man sehen konnte, wie das erste, tief orangefarbene Tageslicht die Hügelspitzen küsste und sich dann ins Tal vorarbeitete. Als in seiner Erinnerung auch noch Momoko auftauchte, wie sie neben ihm auf dem Baumstamm saß, Fotos schoss und dabei über das ganze Gesicht strahlte, begann sein Herz von neuem zu Flattern. Sein Freund schnipste, um seinen hypnotischen Zustand aufzulösen. „Hey, Yosuke! Was ist denn los mit dir?“ Dieser wand sich ihm mit funkelndem Blick zu. „Das weiß ich nicht! Und das ist deine Schuld!“ „Meine Schuld?“, reagierte der Blonde verdutzt. „Du hast gestern mit diesem Gerede angefangen, dass ich in sie verliebt wäre und endlich klare Verhältnisse schaffen müsse! Seitdem geht mir nichts anderes mehr im Kopf herum, denn ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich sie liebe! Jetzt versuche ich jeden Augenblick, jede Geste, sogar jedes Wort darauf zu analysieren, was es mir bedeutet oder ausmacht. Deswegen kann ich kaum noch klar denken!“ Kazuya packte seinen verwirrten Freund, der sich wortwörtlich die Haare raufte, bei den Schultern. „Sei nicht dumm, du weißt es doch längst…“ Da war er wieder, dieser ruhige, eindringliche Ton, mit dem er ihn und die anderen Spieler schon zu Kapitänszeiten in der Fußballmannschaft beschworen und wieder auf Kurs gebracht hatte. Trotzig schüttelte Yosuke seinen braunhaarigen Schopf. „Ich weiß eigentlich gar nichts! In meinem Kopf herrscht nur noch Chaos.“ Sein Gegenüber boxte ihn ohne viel Kraft gegen die Brust und ließ seine Faust dort ruhen. „Deine Antwort findest du nicht in deinem Kopf, sondern hier.“ Einen unendlich gedehnten Augenblick sahen sie sich für ein stummes Gefecht in die Augen. Letztendlich war es der Jüngere von ihnen, der einknickte. „Woher soll ich es wissen? Wie wusstest du es?“ „Darauf kann ich dir keine Patentantwort geben, das musst du schon selbst herausfinden.“ Yosuke ließ enttäuscht die Schultern hängen. „Großartig. Du schleppst mich für eine Standpauke hier her und trotzdem bin ich danach kein Stückchen schlauer.“ „Dann starr Momoko für den Anfang einfach nicht mehr so seltsam vor unseren Freunden an und schließ den Mund, wenn sie dich anlacht.“ Der Torwart bekam heiße Ohren vor Verlegenheit. „Danke, für deine Hilfe.“, konterte er ironisch, während Kazuya sich ins Fäustchen lachte. „Jederzeit.“, witzelte er zurück. „Einen Rat habe ich vielleicht doch noch für dich: Denk nicht so viel darüber nach, was dir alles an ihr gefällt, wie viel Spaß ihr zusammen habt oder was dir eure gemeinsamen Momente bedeuten. Geh lieber mal in dich und versuche herauszufinden, welche Dinge für dich ohne sie nicht mehr funktionieren würden.“ Sein Freund nickte dankbar, obwohl ihm in diesem Augenblick noch nicht ganz klar war, wie er das verstehen sollte. ~*~ Die Yacht hatte einige Kreise vor der schönen Küste gezogen, ehe sie ihre Fahrt für eine Pause einstellte und vor Anker ging. Der Kapitän teilte ihnen über Takuro mit, dass sie an einer günstigen Stelle zum Schwimmen und Tauchen ankerten. Eine willkommene Abwechslung, denn so langsam war das Frühstück verdaut und die Gesprächsthemen aufgebraucht. An Deck in der Hitze der immer höher steigenden Sonne zu schwitzen, verlor allmählich seinen Reiz. Momoko drapierte das Tuch wieder ordentlich um ihre Schultern und verzog das Gesicht dabei. Die Sonne hatte sich bei dem ausgedehnten Plausch mit Hiromi heimlich weiter durch die groben Maschen in ihre Haut gebrannt. Sie schmerzte, wenn der Stoff über die roten Stellen schupperte. „Alles ok?“, fragte Hinagiku sie gerade, als sie dabei war sich alles auszuziehen, was nicht zu ihren Badesachen gehörte. „Ja ja, meine Haut ist nur etwas gereizt… Willst du etwa so ins Wasser springen?“ Erfolgreich vom Thema abgelenkt, zeigte sie auf die kleine Schiene, die immer noch den Knöchel ihrer Freundin stützte. „Ach, das is’ doch nichts! Das hält mich doch nich’ vom Schwimmen ab.“ „Deine Tapferkeit ist vorbildlich, aber die hier wirst du trotzdem tragen müssen.“, mischte sich Takuro ein und reichte ihr an Momoko vorbei eine orangefarbene Schwimmweste. Hinagiku glotzte das klobige Ding verständnislos an. „Die trag ich nich’! Ich bin doch keine invalide Oma!“ „Das nicht, aber du bist verletzt. Also müssen wir Sicherheitsvorkehrungen treffen.“ „Ich bin nich’ verletzt, ich habe nur einen verknacksten Knöchel!“ „Und wie willst du mit diesem Knöchel im Wasser paddeln, ohne unterzugehen? Tut mir leid, Hinalein, aber entweder du trägst diese Weste, oder du bleibst im Trockenen.“, erklärte Takuro ungewohnt durchsetzungsfähig. Bockig und uneinsichtig wie ein Kind, stemmte die Kurzhaarige die Hände in die Hüfte und blickte sich zu dem Matrosen um, der ganz in ihrer Nähe stand und den Anker kontrollierte. „Haben sie das gehört? Darf er mir solche Vorschriften machen?“ Sie erhoffte sich Unterstützung von ihm, das verriet der sture Unterton in ihrer Stimme. Der Matrose aber grinste nur amüsiert und nickte. „Er nicht, aber der Kapitän darf das und es ist seine Anordnung, Fräulein.“ Momoko kicherte leise, Hinagiku hingegen verschränkte die Arme und schnaubte unzufrieden. Sie schnappte sich die unförmige Weste und zog sie widerwillig über. „Wehe du machst Fotos von mir in diesem Teil!“ „Das kann ich dir leider nicht versprechen.“ Frech streckte sie ihrer Freundin die Zunge heraus und brachte sich anschließend schnell hinter Takuro in Sicherheit, damit Hinagiku sie nicht zu fassen bekam. „Dann hast du deine Fotokamera also wieder mit dabei?“ Die Rosahaarige drehte sich nach Yosukes Stimme um. Zusammen mit Kazuya musste er gerade wieder an Deck gekommen sein. Es fühlte sich seltsam an, wenn er vor den anderen so selbstverständlich mit ihr umging. Irgendwie komisch, weil sie nicht nur den Freund in ihm sah, der er sein sollte. Aber er lachte ihr ganz unbekümmert entgegen, als wäre es nie anders gewesen. Als würden sie keine dunklen Geheimnisse miteinander teilen. Momoko schluckte dieses störende Gefühl herunter, das sie daran hemmte einfach ausgelassen zu sein und gab sich locker. „Was denkst du denn? Irgendjemand muss doch dokumentieren, was wir hier erleben.“, antwortete sie schmunzelnd, was Yosuke mit einem wissenden Blick erwiderte. „Wir gehen also eine Runde im Meer schwimmen?“, mischte sich Kazuya ein. „Das Wasser hier soll wenig Strömung haben und deswegen sicher und sehr klar sein. Ideal für eine kleine Abkühlung.“, erklärte Takuro zufrieden. „Schwimmen klingt toll, aber ist es nicht tief hier?“, fragte Yuri, die sich frisch entblättert zu ihnen gesellte. „Sicher, unter uns sind schon zwanzig Meter oder etwas mehr bis zum Grund.“ Hiromi, die ebenfalls dem Gespräch lauschte, schnappte ängstlich nach Luft. „So tief?! Oh je! Da traue ich mich nicht rein! Das ist doch bestimmt auch furchtbar kalt!“ Ohne es genau zu wissen, fröstelte die Schwangere schon und rieb sich die eingebildete Gänsehaut von den Oberarmen. „Sei doch keine Memme, Hiromi! So kalt wird es schon nicht sein!“, zog Hinagiku sie auf. „Ich bin keine Memme, sondern schwanger und empfindlich!“ „Mädels, kein Stress! Jeder hält mal seinen Fuß ins Wasser und entscheidet dann, ob er reingehen will oder nicht.“, griff Kazuya schlichtend ein. „Ich gehe dann mal besser die Kamera holen.“ Mit einem heimlichen Augenrollen ging Momoko los und ließ die anderen einen Moment lang hinter sich. Sie hatte ihre Kamera gerade in der Hand, als sie Takuros Aufschrei hörte, gefolgt von einem Platschen und einem gurgelnd gerufenem „Hinagiku!“. Was passiert war, konnte Momoko sich schnell zusammenreimen. Eilig war sie zur Stelle, um den Moment und das Gelächter drumherum mit ihrem Objektiv einzufangen. Japsend hielt sich Takuro mit hektischen Bewegungen an der Oberfläche. Sein langes Haar klebte ihm schwarz wie Pech kreuz und quer im Gesicht. An Deck lachten die anderen aus vollem Leib über Hinagikus Streich. „Hast du ihn also reingeschubst, ja?“, erkundigte Momoko sich amüsiert. „Na, was denkst du denn?“, antwortete diese zwischen zwei Lachanfällen. „Das ist dafür, dass ich diese dämliche Schwimmweste tragen muss! Jetzt sind wir quitt!“, rief sie den um Fassung ringenden Takuro zu. Die Kurzhaarige stand mit beiden Füßen auf der Kante des Aufstieges und kurz überlegte Momoko, ob sie es wagen sollte, sie ebenfalls zu schubsen. Wegen ihres Knöchels konnte sie sich allerdings nicht dazu überwinden. Hiromi hatte da weniger Hemmungen – wie aus dem Nichts war sie plötzlich da und stieß Hinagiku von hinten mit beiden Händen gegen die Schultern, sodass diese nicht mal mehr Zeit hatte, um zu schreien, bevor sie ins Wasser fiel. „Du Miststück!“, fauchte ihr Opfer Gift und Galle spuckend, als es wieder auftauchte, doch Hiromi machte sich gar nichts daraus und feixte nur kess. „Jetzt kannst du mir ja sagen, ob das Wasser warm genug ist.“, setzte sie provozierend nach. Aus anfänglicher Wut wurde Anerkennung, Hinagiku versuchte es mit Humor zu sehen. „Ganz schön schlagfertig, nicht schlecht. Aber sei froh, dass du momentan Narrenfreiheit hast, sonst würde ich jetzt zu dir hoch kommen und dich jagen, bis du freiwillig von Bord hüpfst!“ Hiromi lachte, aber es war kein hämisches Lachen, sondern ein ehrlich gemeintes. Sie lachte tatsächlich aus Spaß! Wie bei allen Menschen machte sie das gleich noch viel hübscher, als sie sowieso schon war. Momoko wand sich ab und versteckte sich wieder hinter ihrer Kamera, damit sich dieser Anblick nicht bei ihr einbrennen und ihr schlechtes Gewissen wecken konnte. „Okay, jetzt will ich auch mal probieren, wie kalt es wirklich ist!“ Yuri stieg vorsichtig auf den Aufstieg, auf den hin und wieder eine kleine Welle schwappte und erschauderte, als das Wasser ihre Füße umspülte. „Hui! Das ist kalt!“, stellte sie fest und hüpfte sofort wieder aufs Deck zurück. „Na, dann ist das nichts für mich. Ich bleibe lieber auf dem Boot und kühle höchstens meine Füße.“, entschied Hiromi sogleich. „So schlimm ist es eigentlich gar nicht, wenn man erstmal drin ist!“, rief ihr Takuro ermunternd zu, der inzwischen ein paar kleine Bahnen zog. „Komm, Yuri. Lass uns zusammen reinspringen.“, schlug Kazuya seiner Freundin vor, die er liebevoll lächelnd an die Hand nahm. Die grünen Augen der Brünetten leuchteten verliebt und sie errötete unter seinem ebenso intensiven Blick. Eine Berührung, ein Augenaufschlag und die Welt stand kurz still. Das war der Karies verursachende, rosa Zuckerguss einer jeden kitschigen Liebesromanze, die Momoko aus Filmen und Büchern kannte. Trotzdem empfand sie für den Bruchteil einer Sekunde heftigen Neid auf ihre beiden Freunde. Diese Magie des Augenblicks war ihr nicht unbekannt, aber es würde wohl immer ein Traum bleiben, diesem Gefühl offen Ausdruck zu verleihen. „Ich weiß nicht, Kazuya. Vielleicht sollten wir uns erst langsam an die Temperatur gewöhnen?“ „Du brichst dir schon keinen Nagel ab! Los, rein mit euch! No Risk, no Fun!“, rief wieder mal Hinagiku herausfordernd. „Ganz Unrecht hat sie nicht.“, sagte der Blonde grinsend. Schnell schob er seinen Arm unter Yuris Beine und hob sie hoch. „NEIN!“, schrie sie schrill und krallte sich dabei an seinem Hals fest, doch da war ihr sportlicher Freund auch schon abgesprungen und riss sie mit sich in die Wellen schlagenden Fluten. Ein ordentlicher Schwall Wasser spritzte hinauf zu Momoko, die lachend und kreischend mit hochgerissener Kamera zur Seite sprang. Yuri ließ, kaum mit dem Kopf über der Oberfläche, einen ganzen Hagel wütender Worte auf ihren Freund nieder, aber dieser lachte nur und spritzte mit Wasser nach ihr. Dies entwickelte sich schnell zu einem Wettbewerb, nachdem Hinagiku ihrer brünetten Freundin heimtückisch in den Rücken gefallen war und sie an den Schultern untergestukt hatte. Die vier Schwimmenden machten zusammen so viel Aktion, dass Momoko aus dem Knipsen gar nicht mehr heraus kam. Etwa eine viertel Stunde lang beobachtete Yosuke das Treiben und die fleißige Fotografin stumm, bis er sich in Bewegung setzte. Die Rosahaarige zuckte zusammen, als sich seine Hand auf ihre brennende Schulter legte. „Hoppla, ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Hast du gar nicht. Es ist nur… ach, nichts weiter.“, wich sie aus und setzte ihr Auge wieder an den Sucher. Yosuke griff vorsichtig nach der Kamera und nahm sie ihr unter einem verwirrten Blick aus der Hand. „Du wirst nie auf irgendeinem Urlaubsbild zu sehen sein, wenn immer nur du die Fotos schießt. Willst du nicht auch eine Runde schwimmen?“ Hiromi stellte sich zu den beiden dazu, ganz unschuldig lächelte sie Momoko entgegen. „Genau, geh dich doch auch ein bisschen amüsieren. Yojo-Maus und ich halten für dich die Stellung hier.“ Es dauerte kaum einen Wimpernschlag, in der beide einander ansahen, dass sie Dasselbe über Hiromis Vorschlag dachten. Zumindest fast. Ohne ihr dabei ins Gesicht zu sehen, reichte Yosuke seiner Partnerin die Kamera. „Würdest du bitte kurz darauf aufpassen?“ Sie und Momoko sahen kurz gleichermaßen perplex drein, aber der Dunkelhaarige ließ beiden keine Zeit, um das Wort zu ergreifen. Kurzerhand schlüpfte er aus seinem hellgrünen Hemd, was fast einen Beinahe-Herzstillstand bei den zwei jungen Frauen verursachte, und schob Momoko dann am Kreuz Richtung Meer. „Oh, nein, nein, nein, nein, nein!“, winselte Momoko, als sie ahnte, was ihr blühte. „Tu das nicht!“ Doch der Torwart grinste schon und war mehr als bereit. „Warte, was ist mit mir?“, legte Hiromi verwirrt Einspruch ein. „Mach doch Fotos oder lass einfach die Seele baumeln.“, rief er ihr beschäftigt zu. Momoko hatte jedoch nicht vor, dieser Person ihre kostbare Kamera zu überlassen oder sich von Yosuke ins Wasser schubsen zu lassen, weswegen sie ihn mit aller Macht bekämpfte. „Vergiss es!“, schimpfte sie ganz außer Atem, weil sich das Stemmen gegen seinen gestählten Fußballerkörper zum wahren Kraftakt entwickelte. Lachend zog er sie zu sich heran und drehte ihr die Arme auf den Rücken, als wäre sie nur ein schwächliches Kind, das sich mit ihm angelegt hatte. „Wirf sie endlich rein!“, brüllte Kazuya und sogar Takuro jubelte ihm anfeuernd zu. Er setzte ein verschlagenes Grinsen auf. „Wenn du mit mir ringen willst, sind Ort und Art falsch gewählt.“, flüsterte er Momoko unauffällig ins Ohr. Über die Zweideutigkeit seiner Worte schockiert, vernachlässigte sie eine Sekunde lang ihre Deckung. Yosuke ließ sich kein zweites Mal bitten - flink und mühelos, als wäre sein wehrloses Opfer nichts weiter, als eine federleichte Puppe - hob er Momoko auf und warf sie mit Schwung in die Luft. Ihr spitzer Schrei durchschnitt den Wind und endete erst, als das kalte Wasser über ihrem Kopf zusammenschlug und ihr unerbittlich salzig in Mund, Nase und Augen schoss. „SCHUFT!“, gurgelte sie protestierend, während sie an die Oberfläche paddelte und sich vergeblich die Haare aus den Augen rieb. Auch bei ihr waren das Gelächter und der Jubel ihrer Freunde groß. Gerade, als sie wieder halbwegs gegen die Sonne und das Salzwasser in ihren Augen anblinzeln konnte, hörte sie das vertraute Klicken ihres Fotoapparates. Ganz verwundert sah sie, dass Hiromi sich tatsächlich dazu herabgelassen hatte, ihren Job als Fotografin zu übernehmen. Das freute sie einerseits irgendwie, wenngleich sie auf der anderen Seite den eingelegten Film betrauerte, da sie dem Lockenkopf kein sonderlich großes Talent an der Kamera zutraute. „Sah gut aus, dein Abgang.“, lobte Hinagiku sie provozierend. Grinsend kam sie auf sie zu geschwommen. „Ich wusste gar nicht, dass du so schreien kannst.“, kommentierte Takuro lachend, der ebenfalls um sie herum schwamm. Die junge Frau wurde rot vor Scham, musste aber inzwischen selber darüber lächeln. Mit einem herausfordernden Blick suchte sie nach ihrem Peiniger, der immer noch an Deck stand, mit verschränkten Armen und zufrieden grinsend. „Du willst also schon wieder eine Abreibung, ja? Hat dir das gestern noch nicht gereicht?“ Laut lachte Yosuke auf. „Falls du unser kleines Gefecht am Strand meinst – da habe ja wohl eindeutig ich dir eine Lektion erteilt.“ „Ach so… denkst du das? Nun, heute scheinst du der Feigling zu sein, der sich nicht ins Wasser traut.“ Seine braungrünen Augen blitzten provoziert auf. „Feige nennst du mich? Würde ich dann das machen?“ Alles im Wasser schrie auf und paddelte auseinander, als der Torwart zu einem sportlichen Anlauf ansetzte, für den er im selben Moment vom Matrosen einen verbalen Rüffel bekam, und dann mit einem eleganten Köpper zwischen sie in die Fluten sprang. Im Wasser tauchte er in einem sanften Bogen unter die anderen, bis er direkt unter Momoko war und sie an den Füßen zu sich runter zog. Natürlich wehrte sie sich erschrocken, unzählige Blasen schwirrten um sie beide herum, bis Yosuke sie an der Hüfte in seine Tiefe gezogen hatte und ihr amüsiert zulächelte. Er hatte gewonnen und teilte ihr das mit seiner einzigartig ausdrucksstarken Mimik mit. Momokos Umgebung war außer mit Meeresrauschen noch von Herzklopfen erfüllt. Wieder an der Luft trieben sie sofort in einem Reflex auseinander. So wie Magnete, die sich eben noch angezogen hatten und sich jetzt voneinander abstießen, weil man ihre Polarität vertauscht hatte. Ganz außer Atem tauschten beide noch einen kurzen, intensiven Blick, bevor sie sich wieder vor den Augen der anderen in beste Freunde verwandelten. „Momoko!“, rief Yuri besorgt. Kurz rutschte ihr deswegen das Herz in die Hose. „Hattest du nicht eben noch dein weißes Tuch um?“ Einen Moment lang war sie erleichtert, dass es nicht darum ging, dass sie sich irgendwie auffällig verhalten hatte, doch dann kam die Sorge. Obwohl sie schon spürte, dass ihr Stricktuch nicht mehr um ihre Schultern lag, fasste sie trotzdem noch mal dorthin. Etwas fahrig drehte sie sich um die eigene Achse, aber sie konnte nichts auf den schillernden Wellen erkennen, dass nach ihrem Tuch aussah. „Oh nein, ich hatte es noch, bevor ich ins Wasser gefallen bin…“ Sofort versammelten sich ihre Freunde um sie, Yosuke mit einem betroffenen Gesichtsausdruck. „Tut mir leid, dass ist meine Schuld. Ich hätte dich nicht einfach reinwerfen dürfen.“ Die Rosahaarige reagierte nicht auf seine Entschuldigung, da sie fieberhaft versuchte, etwas in dem Wasser um sich herum zu erkennen. Allerdings erhielt er von Takuro einen mahnenden Blick. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du es noch hattest, als du wieder aufgetaucht bist. Du musst es schon verloren haben, bevor Yosuke reingesprungen ist. Wahrscheinlich hat die Strömung es schon weggetragen.“, rekapitulierte Kazuya bedauernd. „Und zum Tauchen ist es hier zu tief.“, ergänzte ihr Verlobter untröstlich klingend. „Ich kaufe dir hier in der Nähe in einem Geschäft gerne ein neues Tuch. Sei nicht traurig.“ Momoko resignierte und hob den Blick endlich wieder zu all den Schwimmenden um sich herum, die ihr mitleidige Blicke zuwarfen. Es war nichts Besonderes daran, aber da sie nicht viel besaß und sich aus eigener Kraft zurzeit nichts Neues leisten können würde, war es trotzdem ärgerlich. Es wäre einfach, Takuros Angebot anzunehmen, aber nach wie vor war es ihr unangenehm, wenn er sie verwöhnte. „Nicht so schlimm.“, sagte sie schließlich. „Es war eh ein ganz altes Teil. Schwamm drüber.“ Ihr optimistisches Lachen erleichterte ihre Freunde, aber Yosuke sah, dass das Lächeln ihre Augen nicht erreichte. Die Stimmung hellte sich schnell wieder auf, als Hiromi ihnen zum Trost einen vom Matrosen frisch aufgeblasenen Wasserball zuwarf, den sie sich alle sogar im Wechsel mit ihr, die noch auf dem Boot stand, zuspielten. Hinagiku war trotz ihrer Schwimmweste und dem etwas lädierten Fuß äußerst flink unterwegs und konkurrierte wieder stark mit ihren männlichen Mitspielern. Nach einer ganzen Weile meldete sich Takuro, der bis dahin tapfer durchgehalten hatte, deswegen für eine Pause ab und stieg fix und fertig wieder an Bord. Kaum war er unter Deck verschwunden, wohin ihm die durstige Hiromi gefolgt war, brauchte auch Momoko eine Verschnaufpause. Allerdings reichte es ihr, sich an dem flachen Aufstieg festzuhalten und für ein paar Momente den Kopf zwischen die Schultern sinken zu lassen und durchzuatmen. Schwimmen war sehr entkräftend, obwohl es auch unheimlich viel Spaß machte, darin rumzutoben. Der Auftrieb des Salzwassers machte einem das Halten über der Oberfläche zusätzlich leicht, aber trotzdem war sie völlig erschöpft. So langsam hatte die Mittagssonne ihren Zenith erreicht, Momoko fühlte ihre Strahlen abermals auf ihrer ohnehin wunden Haut brennen. Die Wasserperlen auf ihren Schultern verstärkten den Effekt noch. Genervt seufzend tauchte sie unter in das kühle Nass, um den unangenehmen Schmerz zu lindern. An das Salzwasser hatten sich ihre Augen während des Spiels schon gewöhnt und so kam es, dass sie sie öffnete, um sich den Bauch der Yacht und die Schiffsschraube anzusehen. Ihr Blick folgte dabei auch der Ankerkette nach unten in trübere Gewässer. Sie tauchte wieder auf, um neu Luft zu holen, und danach sofort wieder unter, denn sie hatte etwas Eigenartiges entdeckt und wollte nachsehen, ob es sich dabei vielleicht um eine Qualle handelte. Als Momoko erkannte, dass es ihr verloren geglaubtes Stricktuch war, was sich um die Eisenkette des Ankers verfangen hatte und dort wie ein lebendiges Wesen in der Strömung hin und her wallte, freute sie sich sofort! Dem Impuls folgend, es sich wieder zurück zu holen, holte sie noch ein letztes Mal tief Luft und stieß sich dann nach unten ab, während ihre Freunde sich weiterhin an der Oberfläche zum Spaß kappelten. Nach einigen Tauchzügen spürte sie, wie sich bereits der Wasserdruck auf ihre Ohren erhöhte. Das war kein schönes Gefühl, aber es war nicht mehr allzu weit - sie hatte ihr Tuch ja fast erreicht. »Nur noch ein kleines Stück!«, dachte sie bei sich und gerade, als der Druck schon unangenehm und auch ihr Sauerstoffvorrat langsam knapp wurde, bekam sie den Stoff an einem Zipfel zu fassen. Stolz und glücklich, über ihren Erfolg, wollte Momoko wieder auftauchen und zog kräftig an dem Tuch, doch das gab sich unerwartet widerspenstig. Nur die schwere Eisenkette schwang im Wasser leicht hin und her. Das Tuch hing fest, der grobmaschige Stoff musste sich in einem der Kettenelemente verfangen haben. Leicht hektisch zog sich die junge Frau daran herunter und wühlte in dem sich in der Strömung wiegenden Tuch nach dem verursachenden Problem. Doch in der Eile konnte sie nichts erkennen. Resignierend ließ sie von ihrem Versuch ab und schwamm aufwärts, um ihre Lungen wieder mit frischer Luft zu füllen. Ein Ruck durchfuhr sie, als sie bei dem Versuch plötzlich an ihrer linken Hand hängen blieb. Vor Schreck hatte Momoko einiges an Luft aus ihren Lungen gestoßen, was nun in einem Strom aus Blasen nach oben trieb. Fahrig fummelte sie an dem Stoff herum, der sich irgendwie an ihrem Ringfinger verfangen hatte, doch er ließ sich nicht lösen! Das Wasser nahm ihr die nötige Kraft, denn bei jeder Bewegung gab auch die Ankerkette nach. Der Stoff selbst war einfach zu fest, um ihn mit bloßer Hand zu zerreißen. Auch ihr Ring war wie um ihren Finger geschmiedet und rührte sich kein Stück… Sie brauchte Luft! Panik ergriff Besitz von ihr, Momokos Bewegungen wurden hektischer, unkoordinierter, ängstlicher – verzweifelt schrie sie in der Stille des Meeres um Hilfe, doch ihre Freunde, die über ihr schwammen und vergnügt spielten, hörten sie nicht, noch nahmen sie die aufsteigenden Luftblasen wahr. Kazuya und Hinagiku lieferten sich nach der beendeten Partie Wasserball gerade einen freundschaftlichen Ringkampf im Wasser. Berührungsängste kannte die burschikose Hochschülerin nicht. Angefeuert und durch unfaire Spritzattacken unterstützt, wurden sie dabei von Yuri und Yosuke, die sie unerlässlich wie Haie im Kreis umschwammen. Hiromi saß lässig auf dem Bootsaufstieg und ließ ihre Füße im Wasser baumeln, während sie den vier Wassergladiatoren zujubelte. Takuro hatte sich grob die Haare trocken gerieben und trug noch das Handtuch um die Schultern gelegt, als er mit zwei Getränken in den Händen wieder aus dem Bauch des Bootes nach oben kam. Eines davon reichte er zuvorkommend der Schwangeren. Zusammen beobachten sie das Schauspiel, das sich gerade dem Ende zuneigte. So geschickt und kräftig Hinagiku auch war, gegen Kazuya hatte sie keine Chance. Erschöpft schwammen beide letztendlich zum Boot, um sich daran festzuhalten und sich eine kleine Atempause zu gönnen. Yuri folgte ihnen gerade und Yosuke ebenfalls. Das war der Moment in dem ihnen allen gleichzeitig auffiel, dass Momoko fehlte. „Wann ist Momoko denn aus dem Wasser gegangen? War ihr kalt?“, fragte Yuri verwundert, weil ihre Freundin auch nicht bei ihrem Verlobten auf dem Deck zu sehen war. Hiromi nuckelte an ihrem Strohhalm und zuckte unwissend mit den Schultern. „Also, ich habe sie hier nicht gesehen und kann mich auch nicht erinnern, dass sie an mir vorbei aus dem Wasser gestiegen ist.“ „Drinnen habe ich sie auch nicht gesehen.“, sagte Takuro ratlos und mit einem Anflug von Unsicherheit. Verunsicherte Blicke wurden schweigend ausgetauscht. Yosuke verkrampfte sich jedoch augenblicklich und begann sich nach allen Richtungen umzusehen. Während die anderen noch relativ unbekümmert überlegten, wo ihre Freundin wohl steckte, machte sich bei ihm aus dem Nichts heraus eine Panik breit. „Sie versteckt sich bestimmt auf der anderen Seite vom Boot, um uns zu erschrecken. Los, komm schon raus, Momoko! Wir fallen auf diesen doofen Trick nicht rein!“, rief Hinagiku und ließ sich halbherzig um das Heck treiben, um nach der Rosahaarigen Ausschau zu halten. Ganz so, als würde sie gleich um die Ecke schauen und ihr frech die Zunge rausstrecken. Kazuya hingegen nahm die Sorge und den Schock seines Freundes im Augenwinkel wahr und beurteilte die Situation sofort ernster. „Das ist kein Spaß – wer hat sie wann zuletzt gesehen?“ Die nun getauschten Blicke waren deutlich unentspannter als zuvor. Jeder von ihnen wusste in diesem Moment mit Bestimmtheit, dass Momoko beim Wasserball mitgespielt hatte, aber nicht mehr bei allem danach. „Suchen wir sie.“, ergänzte der Blonde bestimmt ohne Zögern und begann um das Boot zu schwimmen. Sofort kam auch an Deck Bewegung; Takuro wollte die Reling entlanglaufen, um von dort aus Ausschau zu halten und Hiromi wollte noch mal drinnen nach der Vermissten suchen. Yosuke hatte das alles jedoch nicht mehr abgewartet, sondern war sofort abgetaucht, nachdem Kazuya dieselbe Sorge in seine Worte gelegt hatte, die er empfand. Obwohl das nicht ansatzweise das beschrieb, was wirklich in ihm vorging: Da war ganz plötzlich eine tiefschwarze Eiseskälte, die sich in seinem Magen ausbreitete und ihn förmlich lähmte. Steif und schwerfällig durchschnitten seine Glieder das Wasser. Das Salzwasser brannte höllisch in seinen Augen, doch er zwang sich trotzdem, sie weit offen zu lassen. Sein Herz hämmerte so wild vor lauter Angst in seiner Brust, dass seinem gut konditionierten Körper die Luft schneller ausging, als gewöhnlich. Der Gedanke, nicht mit Sicherheit zu wissen, wann er Momoko zuletzt bei sich und den anderen im Wasser gesehen hatte, fraß ihn regelrecht auf... Das konnte nichts Gutes bedeuten. Doch noch bevor er in seinem Kopf die möglichen Horrorszenarien durchspielen konnte, tat sich eine seiner schlimmsten Befürchtungen direkt vor ihm auf, als er Momokos rosa Haar viele Meter unter dem Boot treiben sah. Ohne nachzudenken tauchte er tiefer zu ihr hinab, plötzlich schnell und wendig wie ein Fisch, der um sein Leben schwamm. Die Lähmung von eben war weggewischt und wich einem neuen, viel schlimmeren, geradezu unaussprechlichem Gefühl… Wie eine brennende Kerze schwebte Momoko in aufrechter Haltung im Wasser, ihr Haar wallte geheimnisvoll um ihr Gesicht und den fast reglosen Körper. Trotzdem hob sie genau in diesem Moment den Blick zur Oberfläche, erschöpft und irgendwie kapitulierend. Ein Mal noch kam Leben in sie, als sie Yosuke erkannte. Ihre ozeanblauen Augen weiteten sich erstaunt und sie streckte die rechte Hand nach ihm aus, als wäre es das Letzte, zu dem sie imstande war. Da erkannte Yosuke, dass sie mit der anderen Hand an etwas Weißem festhing, das sich wiederum in der Ankerkette verfangen hatte. Es war das Tuch, das sie verloren hatte, nachdem er sie zuvor ins Wasser geworfen hatte. Ihre bläulich angelaufenen Lippen formten stumm seinen Namen, als er ihre Fingerspitzen endlich mit seinen berührte und sich zu ihr runter zog. Sofort begann er an dem Stoff zu zerren und zu reißen und ihr den Ring vom Finger ziehen zu wollen, doch genau wie sie war er unter den gegebenen Bedingungen erfolglos. Wütend stieß er einen ungehörten Fluch aus und versuchte es wieder und wieder, ohne Rücksicht darauf, dass seine Luft bereits so knapp geworden war, dass er eigentlich auftauchen musste. Aber Momoko in dieser ausweglosen Situation zurückzulassen kam für ihn nicht in Frage. Während er sie zu befreien versuchte, mobilisierte sie noch mal alles was sie hatte und wehrte sich gegen das Ertrinken, aber ihre Kräfte hatten sie längst verlassen. Sie wollte in Ohnmacht fallen, doch Yosuke nahm ihr grauenhaft blasses Gesicht in seine Hände und flehte sie mit eindringlichen Blicken an, bei ihm zu bleiben. In seiner Verzweiflung drückte er seinen Mund auf ihren und versuchte so, ihr seinen eigenen Atem in die Lungen zu pressen. Doch mehr, als dass sie sich vor Husten fürchterlich wand, geschah nicht. Momoko hatte bereits zu viel Wasser eingeatmet. Es half nichts, er würde auftauchen und Hilfe holen müssen, obwohl es ihm bei dem Gedanken, sie mit ihrer Panik allein zu lassen, das Herz zerriss. Ein Schatten über ihm verwarf diesen Plan, denn es war Kazuya, der genau jetzt zu ihnen abtauchte. Sein Gesicht bei Momokos Anblick spiegelte ansatzweise wider, was Yosuke zuvor empfunden hatte. Diesen ereilte in dieser Sekunde ein Geistesblitz, woraufhin er hektisch die Eisenkette hin und her riss und mit der anderen Hand nach oben zeigte. Damit signalisierte er seinem Freund, dass der Anker unverzüglich gehoben werden musste. Kazuya nickte und zeigte ihm das OK-Zeichen, ehe er blitzschnell auftauchte. Yosuke, fast erleichtert, wand sich wieder Momoko zu, der er ein ermunterndes Lächeln schenken wollte, doch zu seinem Schrecken war sie nicht mehr bei Bewusstsein. Auch ein Rütteln an ihren Schultern konnte sie nicht dazu bewegen, die Augen wieder zu öffnen. Eine unsichtbare Klinge, bohrte sich scharf schneidend in sein Herz – der Gedanke, er könnte das Blau in ihnen nie wieder strahlen sehen, brachte ihn um den Verstand. Es gab keinen Raum in seinem Innern für dieses unsagbar schreckliche Gefühl! Ihr Körper in seinen Armen, leblos und schwindend, war nichts, das er ertragen konnte! Der Anker bewegte sich endlich und die Kette wurde nach oben gezogen, der Dunkelhaarige hielt sich mit einer Hand an ihr fest, mit der anderen hielt er Momokos schlaffen Körper an sich gepresst. Als sein Kopf die Oberfläche endlich durchbrach bemerkte er erst körperlich, wie sehr seine Lungen nach Sauerstoff gegiert hatten. Wie musste es da erst Momoko ergehen? Die Spule, die den Anker aufrollte, stoppte, aber ihr Kopf hing weiterhin leblos auf seiner Schulter. „Sie atmet nicht!“, schrie Yosuke krächzend, weil er noch niemanden von den anderen sehen konnte. Wieder war Kazuya sofort bei ihm und diesmal hatte er einen Rettungsring und ein Messer dabei, mit dem er das Tuch kurzerhand zerschnitt. Danach legten sie Momoko gemeinsam über den Ring, der an einem Seil zum Heck der Yacht gezogen wurde. „Oh mein Gott!“, rief Yuri und schlug die Hände vor den Mund, als der Kapitän und Takuro gleichzeitig ihre Freundin aus dem Wasser zogen und flach auf den Rücken auf das Deck legten. Es passierte alles so schnell, trotzdem kam es Yosuke wie eine Ewigkeit vor, seit er Momoko entdeckt hatte, bis zu ihrer Rettung. In seiner Wahrnehmung bewegten sich alle viel zu langsam – warum unternahm niemand etwas? Wieso standen sie alle nur um sie herum? Wieso half ihr niemand? Der Kapitän reagierte ruhig und souverän. Er legte seine Hände überkreuzt auf ihre Brust und presste sie in einer schnellen Stoßbewegung so stark nach unten, dass sich Momokos Körper aufbäumte und ein großer Schwall Wasser aus ihrem Mund schoss. Sofort hustete und würgte sie, als wäre sie nie bewusstlos gewesen. Gurgelnd krümmte sie sich auf dem Boden und schnappte mit allen Leibeskräften nach Luft. „Gott sei Dank!“, stieß Takuro erleichtert aus und schloss ihren immer noch bebenden Körper in seine Arme. Hinagiku, die genau wie Hiromi ganz blass war und hinter Momoko stand, legte ihr mit zitternden Händen eine Decke um die Schultern, die sie geistesgegenwärtig geholt hatte. Yuri lag daneben in Kazuyas Armen, der sie tröstend streichelte, und versuchte nicht zu weinen. Nur Yosuke hing noch zur Hälfte im Wasser. Für ihn war es, als hätte sein Herz erst wieder angefangen zu schlagen, nachdem Momoko den erlösenden Atemzug getan hatte. Auf einmal fühlte er sich fürchterlich erschöpft, irgendwie matt und kraftlos. Seine Muskeln taten weh, seine Lunge brannte höllisch und auch er wollte am liebsten losheulen. Denn obwohl er sich körperlich plötzlich so elend fühlte, war die Erleichterung so groß und befreiend, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte. „Fräulein Hanasaki, wissen Sie, wo Sie sind? Wissen Sie, was passiert ist?“ Die junge Frau nickte knapp und versuchte sich mit den Augen zu orientieren. „Sie haben Glück im Unglück gehabt, da Sie anscheinend nicht allzu lange unter Wasser und nur kurz ohnmächtig gewesen waren. Das hätte ohne die Hilfe in letzter Minute übel für Sie enden können!“ Momoko hustete immer noch Wasser hoch und atmete rasselnd. Sie hörte, was der Kapitän sagte, war aber zu einer angemessenen Reaktion noch nicht in der Lage. „Wir sollten zurückfahren und sie zu einem Arzt bringen, vorsichtshalber.“, schlug Takuro ernst vor, während er seine Freundin fest in die Decke einwickelte und vom Boden hoch hievte. Ihre Beine waren wie Gummi und standen nur sehr unsicher und zittrig von selbst. Wie ein hilfloses Äffchen klammerte sie sich deswegen an Takuro fest, der ihr nur allzu gerne half. „Komm schon raus, Kumpel.“, sagte Kazuya, der anscheinend als einziger Notiz von dessen Zustand genommen hatte, zu Yosuke. Der Dunkelhaarige nahm die ihm gereichte Hand dankbar an und ließ sich auf das Boot ziehen. Nur verstohlen traute er sich, in Momokos Richtung zu schauen. Was passiert war, fühlte sich vollkommen surreal an. Es ging ihr nicht gut, aber sie lebte und war nicht fort. Sie in den Armen eines anderen liegen zu sehen war in diesem Moment der schönste und schrecklichste Anblick zugleich. Da sah er auf einmal Takuro mit einem weiteren Handtuch auf sich zukommen. Automatisch wappnete sich der Torwart für eine anrollende Gefahr, schließlich war er der Grund dafür, dass das schicksalhafte Tuch verloren gegangen war. Allerdings hatte der Brillenträger keine Vorwürfe im Sinn. „Hier, für dich.“, sagte er und drückte ihm das Handtuch in die Hände. „Ich kann gerade gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich dir bin, dass du für sie da warst.“ Yosuke stutzte und suchte nach irgendeiner Spur von Falschheit in Takuros Miene oder in seinem Tonfall, aber die Dankbarkeit war echt. Das erkannte er an dem verletzlichen Flackern in seinen rotbraunen Augen. „Mir fehlen im Augenblick die Worte… du hast sie gerettet, das vergesse ich dir nie. Du hast etwas gut bei mir.“ Diese Worte mussten ihm schwer fallen, aber sie kamen voller Inbrunst über seine schmalen Lippen. Das machte für Yosuke alles aus einem unerfindlichen Grund nur noch schwerer. „Lass mich bitte wissen, wenn ich etwas für dich tun kann.“ Erneut huschte Yosukes Blick zu Momoko hinüber, die er dabei ertappte, wie sie genau in diesem Moment weg sah. Endlich fand er seine Stimme wieder. „Lass mal stecken, Takuro. Das, was ich will, kannst du mir eh nicht geben.“ Mit einer Spur Traurigkeit in der Stimme beendete er damit das kurze Gespräch und warf sich das Handtuch über die Schulter, um damit unter Deck zu verschwinden. Kapitel 67: 67. Day 2.3 – His true feelings… -------------------------------------------- Sie konnte gar nicht aufhören zu husten, ihre Atemwege brannten fürchterlich! Rau und scheuernd füllte die Meerluft ihre Lunge, die so sehr nach Sauerstoff gierte, dass sie auf den Schmerz keine Rücksicht nahm. Immer wieder würgte Momoko verschlucktes Salzwasser hoch und das Brennen begann von neuem. Aber sie war nicht ertrunken! Die endlos langen Sekunden und Minuten, in denen sie unter Wasser gewesen und mit dem Leben beinah abgeschlossen hatte, waren ausgestanden. Yosuke hatte sie gerettet. Sie warf einen vorsichtigen Blick zwischen zwei Hustenanfällen zu ihm hinüber; er sah blass und versteinert aus. Abgekämpft und irgendwie fertig… so, als stünde er nervlich völlig neben sich. Seine Augen schweiften in ihre Richtung ab, sodass sie ihren Blick schnell wieder abwendete. Takuro redete mit ihm. Wahrscheinlich bedankte er sich für ihre Rettung, aber im Augenblick fiel ihr neben Atmen auch das Nachdenken schwer. Ihr Körper konzentrierte sich vorerst auf das Wesentliche. Einatmen – Ausatmen - nicht zu viel an Yosuke denken. ~*~ Momokos Beine waren immer noch schwer wie Blei, als sie von Board gingen. Wie Wackelpudding gaben sie bei jedem Schritt nach, sodass sie gezwungen war, sich mit zitternden Händen an ihren Verlobten zu klammern, der ihr überfürsorglich keinen Zentimeter von der Seite wich. Gott, ihr war so kalt! Die Sonne prallte auf den Strand, aber die Wärme durchdrang ihre Haut nicht. Und Hunger plagte sie, obwohl ihre gereizte Kehle allein bei dem Gedanken daran, etwas zu schlucken, aufbegehrte. Ihre Freundinnen redeten immer wieder beruhigend auf sie ein, aber viel mehr als ein schwaches Nicken oder Kopfschütteln war ihr nicht möglich. Auf ihren Ohren spürte sie immer noch den enormen Wasserdruck. Es war wie ein Phantomschmerz, der sich nicht abschütteln ließ. Die Worte um sie herum waren kaum viel mehr als ein dumpfes Dröhnen hinter Meeresrauschen. „Wir fahren direkt in die nächste Klinik.“, hörte sie Takuro sagen. „Sie sollte vorher wenigstens etwas überziehen.“, sagte Yuri voller mütterlicher Fürsorge. „Ich hole schnell etwas aus ihrer Tasche.“, bot Hinagiku an und eilte trotz ihres Fußes fast so flink wie eine Gazelle über den sandigen Boden bis zur Minka. Hiromi lamentierte auch irgendetwas Mitleidiges im bestürzten und bekümmerten Tonfall. Wenigstens besaß sie so viel Anstand und zeigte Anteilnahme, anstatt aus Momokos Unfall einen Vorteil für sich zu ziehen. Vielleicht versuchte sie ja wirklich, sich zu bessern. Kazuya schob sich unter ihren freien Arm, um Takuro beim Stützen zu helfen. Sie versuchten gar nicht erst sie zur Minka zu bringen, sondern schleppten sie zu der nahe gelegenen Bank in dem ausladenden Vorgarten, die von hohem und dicht wachsendem Bambus umwuchert war. „Ruh dich hier kurz aus bis Hinagiku mit etwas zum Anziehen für dich kommt.“ Wieder nickte die junge Frau nur matt. »Fühlt es sich so an, unter Schock zu stehen?«, fragte sie sich selbst mit leerem Blick auf das Meer, das so schön anzusehen war und sie trotzdem beinahe das Leben gekostet hätte. Sie rüffelte sich selbst für diesen Gedanken, denn es war nicht das Meer gewesen, sondern ihre eigene Dummheit! Warum war sie auch im Alleingang und ohne jemanden etwas zu sagen hinabgetaucht, nur um ihr albernes Schultertuch zu retten? Wenn Yosuke nicht gekommen wäre… ein eisiger Schauer lief Momoko den Rücken hinunter. Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken! Zu klar war noch die Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hatte, all dieses Wasser einzuatmen. Und wie es gewesen war, als die Dunkelheit ihren Rücken mit gespenstiger Eiseskälte hinauf gekrochen war, bis die Ohnmacht sie schließlich eingeholt hatte. Niemals würde sie Yosukes Augen vergessen, die sich in glühender Verzweiflung in ihre gebohrt hatten, damit sie nur weiter kämpfte. Er hatte sich wie ein Löwe für sie eingesetzt. Ein warmes Gefühl hüllte ihr Herz ein; die erste wirklich spürbare Wärme, seit sie wieder auf dem Boot zu sich gekommen war. In diesem einen Augenblick hatte sich ihr Geist kurz darauf eingelassen zu glauben, dass Yosuke nur deswegen für sie da war und so verbissen um ihr Leben kämpfte, weil er vielleicht auch etwas wie Liebe für sie empfand. Es war so leicht gewesen, dies zu glauben… Es spielte keine Rolle, ob es wahr war oder nicht - er war für Momoko in ihrem schlimmsten Augenblick da und das war alles, was für sie zählte. Wenn sie dort unten hätte sterben müssen, dann wenigstens mit dem Gefühl, von ihm geliebt worden zu sein. Jetzt, wo ihr Verstand langsam wieder zurückkehrte, veränderte sich der Moment im Rückblick. Yosuke hätte dasselbe für jeden seiner Freunde getan, so wie sie auch. Daran war nichts Romantisches... „Hier, zieh das einfach über.“ Momoko sah zu Hinagiku auf, die ihr das schlichte, hellgraue Baumwollkleid mit den vielen schwarzen Punkten darauf brachte, das sie selbst in ihrem Koffer mitgebracht hatte. Es war für einen schöneren Anlass gedacht gewesen, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie hob die Arme und ließ sich den leichten Stoff, der viele weiche Falten schlug, überstreifen. Das taillierte Kleid reichte Momoko bis knapp über die Knie, dort säumte ein schlichtes Rosenmuster aus Schwarz und Mittelblau den Rock. Ihre noch nassen Haare fielen über ihren nackten Rücken und die freien Schultern, denn Träger hatte das Kleid nicht, dafür aber einen kurzen Volant rundherum. Nur die Bikiniträger schnitten ihr in die feuerrote, von der Sonne endgültig verbrannte Haut. „Ich habe auch deine Sandalen mitgebracht.“ Die Rosahaarige fühlte sich wie ein kleines Kind, als ihr auch noch die Schuhe von ihrer Freundin angezogen wurden. Sie sah sich um und fing die Blicke der anderen auf, doch Yosuke fehlte. Momoko wusste, dass sie nicht nach ihm fragen durfte. Nicht jetzt, nicht vor Takuro und Hiromi. Sie alle kümmerten sich um sie – ihre ersten Worte nach diesem Zwischenfall durften nicht ausgerechnet die Frage nach seinem Verbleib formulieren. Also krächzte sie stattdessen ein bemühtes Dankeschön und beließ es dabei. Yosuke war sofort zur Minka gegangen, ohne seinen Freunden Bescheid zu geben. Zielstrebig hatte er das Badezimmer mit der Dusche darin aufgesucht und stellte sich nun in den brennend heißen Strom aus Süßwasser. Er befreite sich von seiner Schwimmkleidung und rieb sich mit mehr Duschgel ein, als nötig. Überall verteilte er den Schaum und rieb sich kräftig die Haut, die unter der Hitze des herabprasselnden Wassers heftig kribbelte. Yosuke versuchte eifrig etwas abzuwaschen, das gar nicht an seiner Haut haftete, sondern an seiner Seele. Ein Gefühl, das sich in seinem Inneren unaufhörlich ausbreitete. Eine intensive, schmerzhafte Emotion, die so furchtbar und schön zugleich war, dass er keine Worte dafür fand, um sie zu benennen… diese Hilflosigkeit und Wut, gleichzeitig diese brennende Sehnsucht… Seine Brust schwoll an von diesem Gefühl, so als sei es in seinem Herzen gefangen gewesen und nun mit aller Macht herausgebrochen. Es machte ihm Angst, obwohl es sich nicht ausschließlich furchterregend anfühlte. Da war auch ganz viel Wärme, die sich bis in seine Fingerspitzen erstreckte und dieses Herzflattern, das ihn an auffliegende Tauben erinnerte. Es war nicht wie das zarte, heitere Schlagen von Schmetterlingsflügeln. Es war viel mächtiger! So sehr Yosuke es auch versuchte, er konnte Momoko nicht abschütteln. Er konnte nicht vergessen, was sie eben erlebt hatten und nicht verdrängen, was das mit ihm gemacht hatte. Es gab keine Fragen mehr, auf die er eine Antwort brauchte. Auf einmal war alles einfach klar und simpel; nichts vernebelte mehr seine Sinne. Als hätte jemand ein Fenster in seinem Geist aufgestoßen. »Du weißt es doch schon längst…« „Verdammt!“, fluchte er und schlug mit den Handflächen gegen die Granitfliesen. Das Wasser rann ihm über das gesenkte Gesicht. Nie wieder würde er ihr unbefangen in die Augen schauen können – wie sollte es ihm da gelingen, sich vor den anderen zu verstellen?! Dort im Meer hatte es nichts mehr gegeben außer Momoko und seine Angst, sie zu verlieren. Endlich, endlich brach der Damm und seine ganze Anspannung fiel von ihm ab. Tränen mischten sich zu dem Duschwasser, das am Boden in einem Abfluss versickerte. Es hatte nicht eine Sekunde gegeben, in der er an Hiromi und das Ungeborene gedacht hatte. Nicht einen Moment, in dem sein Leben eine größere Rolle gespielt hätte, als Momokos. Wenn das keine Liebe war, was dann? Es klopfte an der Tür. Yosuke stellte das Wasser ab und schnappte sich ein Handtuch, welches er sich schnell um die Hüfte wickelte. „Yosuke? Kann ich reinkommen?“ Erleichtert, dass es nur Kazuya war, der ihn in diesem emotionalen Moment störte, wischte er sich das Gesicht trocken und bat ihn herein. „Alles in Ordnung? Hiromi und die anderen machen sich Sorgen, weil du einfach verschwunden bist.“ Sich darüber im Klaren, dass er sich merkwürdig verhalten hatte, blickte er an seinem Freund vorbei. Es fiel ihm schwer zu erklären, was mit ihm los gewesen war. Sein Kamerad sah sich nach dem Flur hinter sich um und schloss dann die Tür zum Badezimmer zu. „Stehst du unter Schock? Brauchst du etwas Bestimmtes?“ „Nein, danke.“, antwortete er matt. Kazuya musterte die gequälte Miene und die roten Augenränder seines Freundes. „Du siehst echt fertig aus.“, stellte er fest. „So fühle ich mich auch.“, gestand Yosuke und überwand sich, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen. Der Blonde kam auf Yosuke zu und klopfte ihm brüderlich auf die klatschnasse Schulter. „Ich weiß, es war schrecklich. Ich kann verstehen, dass du mit den Nerven runter und geschockt bist. Immerhin warst du es, der Momoko gefunden hat.“ Dieser biss sich auf die Unterlippe und schüttelte energisch den Kopf. „Das ist es nicht. Nicht allein.“, setzte er an und ballte dabei die Hände zu Fäusten. Gespannt lauschte Kazuya seinen Worten. „Ich hatte das Gefühl es nicht zu überleben, wenn sie die Augen nicht wieder aufgemacht hätte.“, setzte er an und sah dabei mit großen, aufgewühlten Augen in das ernste Gesicht seines besten Freundes. „Etwas von mir ist zerbrochen, als ich sie dort sah. Ich kann gar nicht genau beschreiben, wie es war… Es fühlte sich einfach furchtbar an! Und dann durfte ich nicht mal für sie da sein, als sie wieder zu sich gekommen ist. Jeder von euch konnte ihr die Hand halten, sie stützen oder ihr etwas reichen – ich stand nur wie gelähmt in einer Ecke herum und habe mich kaum getraut, sie anzusehen. Dabei habe ich es fast nicht ertragen, mich zurückzuhalten!“ Seine Stimme klang gequält. Yosuke kniff anschließend die Augen zusammen und kämpfte gegen eine Welle aus Kummer an, die ihn im selben Moment schüttelte. Sein ehemaliger Mannschaftskapitän nickte mitfühlend und setzte sich auf den Rand der Badewanne, wo er mit der flachen Hand auf den Platz neben sich aufmerksam machte. „So ist das wohl, wenn man wahnsinnig in jemanden verliebt ist und es nicht zeigen darf.“ Yosuke zuckte bei diesen Worten wie vom Donner gerührt zusammen, aber widersprach nicht. Es war zwecklos etwas zu leugnen, das selbst er eingesehen hatte und inzwischen so offensichtlich war. „Ohne dir einen Vorwurf machen zu wollen, aber das ist einer der Nachteile, wenn man unehrlich zu sich selbst ist und mit den Menschen um sich herum ein falsches Spiel spielt.“, fuhr sein Freund fort. Ächzend legte Yosuke sein Gesicht in seine Hände. „Das weiß ich nun auch.“, murmelte er gequält zwischen seine Finger hindurch. Diesmal klopfte Kazuya auf seinen Rücken und versuchte es, nach seinem etwas ermahnenden Tonfall, nun mit einem etwas erbaulicheren. „Schon gut, manche Menschen werden sich ihrer wahren Gefühle eben erst in einer Ausnahmesituation bewusst. Bei dir ist es jetzt so, nicht wahr?“ Seufzend hob der Dunkelhaarige wieder seinen Kopf. „Ich weiß nur noch, dass ich noch nie so große Angst hatte, wie in dem Augenblick, als ich sie dort unten habe treiben sehen. Und dass es mich fast zerreißt, dass ich sie nicht in den Arm nehmen konnte, um ihr zu sagen… wie…“ Seine Stimme brach ab, wütend darüber presste Yosuke sich die rechte Faust an die Stirn und kämpfte gegen den unmännlichen Anflug von Tränen an. „Mein Gott, es hat dich wirklich schwer erwischt! Wie kann es da sein, dass erst so etwas passieren musste, damit du es endlich begreifst?“ „Frag mich etwas Leichteres… Vielleicht habe ich es verdrängt, weil es nicht sein durfte. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann denke ich, dass ich es insgeheim schon viel länger weiß. Weil mir aber klar war, dass dann nichts mehr so sein würde, wie es war, habe ich diesem Gefühl nie einen Namen geben wollen. „Du meinst, Liebe?“ Yosuke wurde rot. Kazuya lächelte amüsiert. „Weißt du, so ging es mir damals mit Yuri auch.“, setzte er sinnierend an. „Ich kannte so viele Mädchen in der Schule. Alle lieb, nett, hübsch und klug… jede einzigartig auf ihre Art und Weise. Trotzdem habe ich irgendwann aufgehört, die ganzen Liebensbriefe zu zählen, die ich tagtäglich in mein Fach gelegt bekam und maß ihnen keine höhere Bedeutung bei. Ich fühlte mich zwar geschmeichelt, aber es war doch immer irgendwie dasselbe und berührte mich nicht weiter. Alle Mädchen klangen nett und ehrlich, aber zu mir vorgedrungen ist letztendlich nur die Eine. Und dazu war gar kein Brief nötig.“ „Yuri.“, schlussfolgerte Yosuke logisch. „Genau, Yuri.“, stimmte der Blonde mit einem sehr verliebten Gesichtsausdruck zu. Einen Moment lang starrten beide Löcher in die Luft, weil sie sich in Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit verloren, doch dann setzte der Ältere neu an. „Was ich sagen wollte ist, dass solche Gefühle ganz unerwartet kommen. Das kann niemand vorhersehen, aber wenn es so weit ist, dann haut es dich um. Und dagegen wehren kann man sich nicht, egal was einem im Weg steht oder ob man Angst vor Veränderungen hat.“ „Ich weiß schon, was du meinst… Du kannst unzähligen Menschen begegnen und keiner berührt dich, doch dann kommt diese eine Person und verändert dein ganzes Leben.“ Jetzt lachte Kazuya auf, sodass Yosukes Verlegenheit sich noch steigerte. „Und ich dachte, ich wäre manchmal etwas schwülstig.“, witzelte er, doch dann wurde sein Tonfall wieder ruhiger. „Aber du hast Recht, genauso ist es.“ In Yosukes braungrüne Augen trat ein warmer Glanz und sein Mund verzog sich zu einem zaghaften Lächeln. Sein bester Freund konnte sich gut denken, wessen Bild er da gerade vor seinem inneren Auge wach rief. „Ich bin ganz schön blöd gewesen. Die ganze Zeit über, dabei war es so klar! Immer wenn ich mit Momoko Zeit verbracht habe, gab es für diesen Moment keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre. Ich frage mich nur, wann die Grenze zur Freundschaft verwischt wurde. So gut kennen wir uns eigentlich noch gar nicht - es gibt bestimmt unzählige Dinge, die wir über einander noch nicht wissen.“ Kazuya war fest entschlossen, auch den letzten Funken Zweifel in Yosukes Gedanken auszutreiben. „Um sich zu verlieben braucht es nicht viel. Ich bin mir sicher, dass du genug über sie weißt, um dein Herz an sie zu verlieren. Sonst wäre das zwischen euch nicht so etwas Ernstes geworden.“ Der Braunhaarige dachte darüber nach und zählte in Gedanken auf, was er alles über Momoko wusste. Und da wurde ihm klar, dass er sie tatsächlich viel besser kannte, als manche seiner Freunde! Er wusste, wie es klang und aussah, wenn sie lachte oder weinte; was sie glücklich machte und was traurig; was sie gerne tat oder as; welche Musik sie mochte, was ihre Hobbys waren; was sie auf die Palme brachte und was zum Lachen; welche Menschen ihr wichtig waren und wie viel sie bereit war zu tun, um für diese Menschen einzustehen; wie es manchmal in ihrer Seele aussah und… wie schön sie war, wenn er sie berührte. Bestätigend klopfte sein Herz in einem wilden, sehnsuchtsvollen Rhythmus. „Und was soll ich jetzt machen?“ Kazuya zuckte mit den Schultern. „Was willst du denn tun?“ „Ich habe keine Ahnung…“ Sie schwiegen sich an. Darüber grübelnd, was nun der nächste vernünftige Schritt sein müsste. „Wirst du es ihr sagen?“ „Wem?“ „Wenn du mich so fragst: beiden. Hiromi und Momoko.“ Yosuke starrte konzentriert und mit in Falten gelegter Stirn auf seine ineinander verschränkten Hände. Als würde dort irgendwo in seinen Handflächen eine Lösung geschrieben stehen. „Ich bin mir nicht sicher… Natürlich muss ich irgendwann mit Hiromi reden, so oder so, aber in meinem Kopf herrscht noch zu viel Chaos. Es gibt so viele Dinge, über die ich jetzt nachdenken muss. Ich kann nicht einfach aufstehen, mit Hiromi Schluss machen und dann zu Momoko gehen und auch noch ihr Leben durcheinander wirbeln.“ Sein Gesprächspartner machte große Augen. „Denkst du etwa, ihre Gefühle für dich könnten anders sein, als deine für sie?“ „Du sagst das so, als wäre es vollkommen abwegig. Du weißt doch, was für eine Beziehung Momoko und ich eigentlich bisher geführt haben.“ Der Blonde hob eine Augenbraue und warf ihm einen schiefen Blick von der Seite zu. „Daran musst du mich nicht erinnern. Ich bekomme es bis heute nicht in meinen Kopf, dass ausgerechnet ihr beide…“ „Ja – ok! Lassen wir das.“, unterbrach Yosuke ihn feuerrot. „Jedenfalls müsstest du verstehen, warum mir eine wage Hoffnung darauf nicht genügt. Wir hatten eigentlich beide einen festen Kurs für unsere Zukunft eingeschlagen und genaue Absprachen, was unser… Miteinander betrifft. Ich kann nicht einfach in das eingreifen, was Momoko sich vorgenommen hat und ihr Leben damit vielleicht ruinieren.“ Kazuya durchbohrte ihn mit einem fragenden Blick. Er verbot sich selbst, seine Meinung über die offensichtlichen Empfindungen der Rosahaarigen für seinen Freund laut auszusprechen. Darauf musste Yosuke schon selber kommen. „Und wenn es nicht so sein sollte… Wenn du ihr deine Gefühle gestehst und sie dir sagt, dass sie anders empfindet und ihr Leben nicht ändern will. Was dann? Sagst du Hiromi dann nicht die Wahrheit?“ Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und strich sich die feuchten Haare von der Stirn. „Du fragst mich zu viel, ich habe mir über all diese Dinge noch gar keine Gedanken gemacht! Natürlich muss ich mit Hiromi reden, aber im Moment werde ich besser nichts tun, was diesen Urlaub ruinieren könnte. Erst will ich über alles nachdenken und herausfinden, wohin mein Weg mich und vielleicht auch Momoko führen könnte. Unsere Situationen sind nicht grundlos so verzwickt.“ „Aber du würdest Hiromi für Momoko verlassen?“ Sie tauschten einen ernsten Blick, bis Yosuke schmunzeln musste. „Schon komisch. Vor kurzem hätte ich das noch völlig verneint, aber dann hat ausgerechnet Yuri etwas Bestimmtes zu mir gesagt und jetzt bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher.“ „Meine Yuri?“, hinterfragte Kazuya ungläubig. „Seit wann redet ihr denn über dieses Thema?“ Sein Freund winkte ab. „Ach, ihr war das gar nicht so bewusst, denke ich.“, antwortete er mit einem prüfenden Blick. Immerhin konnte sie seines Wissens nach nicht eingeweiht sein, wenn Kazuya dicht gehalten hatte. „Aber sie hat mir trotzdem in gewisser Hinsicht irgendwie die Augen geöffnet.“ Zu seinem eigenen Schutz ließ Kazuya Yosukes letzte Worte unkommentiert. Es war wohl klüger nicht ausgerechnet jetzt zuzugeben, dass er Yuri, entgegen seines Versprechens, alles erzählt hatte. Er begleitete seinen Kameraden nach dem Abtrocknen in ihr gemeinsames Zimmer zurück, in dem sie sich erstmal umzogen. Grübelnd über Yosukes neuste Erkenntnisse, traf der Blonde die Wahl seiner Kleidung mehr beiläufig als bewusst. Er zog auch diesmal wieder eine sportliche Stoffhose und ein bequemes T-Shirt einem unnötig chicen Outfit vor, während sich sein Freund stilbewusst für eine leichte Jeans, ein weißes Feinripphemd und dazu für ein rotes Hemd mit kurzen Ärmeln entschied, das er offen darüber trug. Viel zu warm, wie Kazuya fand, aber vielleicht spielte im Moment nicht nur Yosukes Herz verrückt, sondern auch sein Körper. Als sie beide fertig waren, liefen sie vor ihrer Tür direkt Hiromi in die Arme. „Da bist du ja endlich wieder, Yoyo-Maus! Warum bist du denn so plötzlich abgehauen? Ich war schon total in Sorge um dich!“ Mit einem Schmollmund packte der zierliche Lockenkopf den Sportler an den Knopfleisten seines Hemdes und zerrte ihn daran auf herrische Art und Weise zu sich auf Augenhöhe herunter. Kazuya empfand Mitleid für den Dunkelhaarigen und ergriff deswegen ungefragt Partei für ihn. „Das habe ich ihm auch gesagt, aber unser Yosuke hier brauchte nach dem Vorfall vorhin einen Moment für sich, um runter zu kommen.“ Beide, Hiromi und ihr Freund, warfen ihm einen undefinierbaren Blick zu. Die Lilahaarige inspizierte daraufhin die erschöpfte Miene und die noch leicht feuchten Haare ihres Partners, woraufhin sie ihren Griff lockerte. „Du warst also duschen? Um dich zu beruhigen?“ „Ja… das heiße Wasser hat mir geholfen, meinen Kopf wieder frei zu kriegen...“, antwortete er matt. Nachsichtig ließ seine Freundin ihn los. Reumütig strich sie sein Hemd über der Brust wieder glatt. „Tut mir leid, Darling. Ich wollte dich nicht anschnauzen… geht es dir denn jetzt besser?“ Ihre roten Augen blinzelten ihn hoffnungsvoll an, doch Yosuke wich ihren Blicken aus. Etwas quälte ihn, das wusste Kazuya nur zu gut. Es schien so, als brachte er es nicht über sich, auf Hiromis Annäherungsversuche einzugehen. Unauffällig wand er sich aus der Reichweite ihrer nach Berührung gierenden Finger und lief noch mal ins Zimmer zurück, in das sie und sein Freund ihn irritiert begleiteten. „Ehrlich gesagt hätte ich gerne noch ein bisschen Zeit für mich. Wäre das in Ordnung für euch?“ Noch während er das sagte, kramte er in seinen Sachen nach einer Gürteltasche und füllte diese mit seiner Geldbörse und dem Mobiltelefon, das er hier während ihres Aufenthaltes so gut wie noch gar nicht benutzt hatte. „Was meinst du mit: Zeit für dich? Was hast du denn vor?“ Kazuya hörte ganz deutlich heraus, wie wenig Hiromi von Yosukes Verhalten begeistert war. Der Dunkelhaarige blickte daraufhin mit gerunzelter Stirn in ihre Richtung. Seine Miene wirkte verkniffen, fast ein bisschen gereizt. „Keine Ahnung. Ich gehe wahrscheinlich spazieren oder vielleicht treibe ich mich auch ein bisschen in der Promenade hier in der Nähe herum. Ich kann und möchte jetzt nicht einfach stundenlang hier herumsitzen und darauf warten, dass Takuro zurückkommt. Wer weiß, wann das überhaupt ist…“ Schmerz glomm in seinen Augen auf. Nur Kazuya nahm Notiz davon und dieser konnte wenigstens annähernd verstehen, was gerade in ihm vorging. „Aha… dann lass mich dich begleiten! Das klingt doch nett, wir könnten ein bisschen shoppen gehen oder ein Eis essen…“ Yosukes Augenbrauen zogen sich finster zusammen, sodass Hiromi schon zu Eis erstarrte, noch bevor er etwas zu ihr sagte. „Ich möchte allein sein.“ Eingeschüchtert von seinem frostigen Tonfall, sagte sie gar nichts mehr. Mit geöffneten Lippen, stumm und verwirrt, sah sie dabei zu, wie ihr Freund sich fertig machte und fast zu eilig ohne sie das Haus verlies. Er dachte gar nicht daran, sich nach ihr noch mal umzusehen. „Yosuke!“, hielt ihn Kazuya noch ein letztes Mal zurück. „Du kommst doch klar, oder?“ Ihm schenkte er ein mildes Lächeln über seine Schulter hinweg. Er hielt dabei einen Daumen zuversichtlich in die Höhe gestreckt. „Na klar. Ich muss mir einfach etwas die Beine vertreten.“ »Und in Ruhe über einiges nachdenken.«, fügte Kazuya in Gedanken seine unausgesprochenen Worte zwischen den Zeilen hinzu. Er sah seinem besten Freund, der so plötzlich von so vielen Gefühlen gleichzeitig eingeholt und überrollt worden war, nachdenklich hinterher. Inständig hoffte er, dass Yosuke diese Flucht aus der Situation heraus etwas bringen würde. Abstand, wenn auch nur für ein paar Stunden, konnte durchaus sinnvoll sein, wenn man sich über einiges klar werden wollte. Welche Entscheidungen würde er wohl treffen? Kazuya tippte sich ans Kinn und fragte sich weiterhin, ob es richtig von Yuri und ihm gewesen war, dass sie sich passiv offensiv einmischten. Just in diesem Moment erschien seine Freundin neben ihm und schob ihre Hand in seine. „Huch, wo geht denn Yosuke hin?“ „Spazieren.“, antwortete er ihr schlicht, während sein Daumen ihre Fingerknöchel streichelte. „Ich… ich verstehe das nicht…“, jammerte Hiromi hinter ihnen weinerlich los. Sie drehten sich zu ihr um und sahen in ein völlig am Boden zerstörtes Gesicht. „Na, na. Wer wird denn da weinen?“, versuchte der hoch gewachsene, junge Sportler der kurz vor einem Tränenausbruch stehenden Schwangeren Einhalt zu gebieten. „Er hat mich total ignoriert und mir die kalte Schulter gezeigt! So hat er mich noch nie behandelt!“, winselte sie entrüstet. „Na hör mal!“, intervenierte ausgerechnet Hinagiku, die jetzt hinter ihr, ebenfalls frisch umgezogen, auf dem Engawa auftauchte. „Dein Yosuke hat gerade unsere beste Freundin aus dem Wasser gefischt. Wie wärst du denn drauf, wenn du so was Schlimmes erlebt hättest? So was geht an keinem spurlos vorbei - der Junge is’ durch den Wind, is’ doch verständlich! Lass ihn doch ’ne Runde drehen, wenn’s ihm dabei hilft, das zu verarbeiten.“ „Hinagiku hat Recht. Yosuke steht wahrscheinlich noch etwas unter Schock. Er meint es ganz sicher nicht böse, er braucht nur gerade etwas Freiraum.“ Yuri lauschte den Worten ihres Freundes interessiert und beobachtete dabei von der Seite seine Mimik. Hiromi schniefte theatralisch. „Meint ihr wirklich?“ Die Brünette nickte schnell, da sie glaubte zu verstehen, warum Kazuya den Lockenkopf zu beschwichtigen versuchte. „Ehrlich gesagt stehe ich auch noch etwas neben mir. Ich weiß gar nicht, was ich denken oder fühlen soll… Es war schlimm, Momoko so zu sehen. Als sie da auf dem Schiffsdeck lag, so blass und ohnmächtig.“ Hinagiku und Kazuya raunten etwas Zustimmendes. „Und jetzt stell dir vor, du wärst es gewesen, die sie gefunden hat.“ Kazuya sah Yuri mit seinen graublauen Augen durchdringend ins Gesicht, sie erblasste sofort um eine Nuance. Sie war einfach die geborene Schauspielerin. „Himmel, das will ich mir gar nicht vorstellen!“ Zufrieden mit Yuris drastischer Darstellung, klatschte Hinagiku mit der flachen Hand auf Hiromis nackte Schulter. „Siehst’e? Wenn’s uns schon so durcheinander bringt, dann versetz dich mal in Yosukes Lage.“, setzte sie noch nach. Eben noch kaltschnäuzig, wurde Hiromi nun von Sekunde zu Sekunde kleinlauter. Beschämt tippte sie ihre Fingerspitzen in einem nervösen Takt aneinander und mied die Blicke der anderen. „Ich wollte nicht wie ein Ekel klingen…“, murmelte sie schuldbewusst. „Ich fühle mich nur so ausgeschlossen.“ Der Blonde seufzte langgezogen und drückte die Hand seiner Partnerin etwas fester, um sie auf das Kommende vorzubereiten und um ohne Worte ihre bedingungslose Unterstützung darin zu erbitten. Er konnte einfach nicht aus seiner Haut; er war nicht der Typ, dem es egal war, wenn ein Mädchen niedergeschlagen war. Nicht mal dann, wenn es sich dabei um Hiromi handelte, die ihm noch am Vorabend fast den letzten Nerv geraubt hatte. „Ich habe eine Idee. Warum gehen wir vier jetzt nicht einfach Mittag essen und danach etwas einkaufen? Wir könnten doch heute Abend alle zusammen etwas kochen und vielleicht ein paar Gesellschaftsspiele spielen? Wer weiß, ob und wann Takuro und Momoko heute wieder nach Hause kommen. Sie und Yosuke würden sich bestimmt über ein Essen freuen. Und wir zerstreuen damit auch ein bisschen unsere eigenen, finsteren Gedanken.“ Sprachlos klappte Yuri der Mund auf, während Hinagiku und Hiromi sofort unisono Feuer und Flamme waren. Und das hatte echten Seltenheitswert. ~*~ Yosuke spürte den Hunger nicht, der sich immer wieder laut grummelnd in seiner Magengegend bemerkbar machte. Versunken in seinen Gedanken flanierte er einen breiten, gepflasterten Weg entlang, vorbei an den Schwarzfichten, die ihn säumten und von dem Strand trennten. Seine Hände steckten leger in seinen Hosentaschen, während das Kabel seiner In-Ear Kopfhörer vor seiner Brust bei jedem Schritt hin und her wippte. Yosuke hatte sie zufällig in seiner Gürteltasche gefunden, als er wie von Geisterhand geführt auf seinem Handy nachschauen wollte, ob sich irrsinniger Weise eine neue Nachricht von Momoko darauf befand. »Sie hat es wahrscheinlich gar nicht dabei.«, schlussfolgerte er und wusste zeitgleich, dass es stimmte. »Und selbst wenn…«, sinnierte er weiter »…dann wäre ich sicherlich der Letzte, dem sie jetzt schreiben würde.« Er dachte an all die anderen Menschen, denen sie wohl eher schreiben würde: ihrem Vater oder ihren Freundinnen – wahrscheinlich sogar Takuro, wenn dieser sie nicht sowieso gerade begleiten würde. Und noch während er sein Handy wegstecken wollte, waren ihm die Kopfhörer in die Hände gefallen. Ein willkommener Zufall, denn das Rauschen des Windes in den Bäumen oder das leise, stetige Flüstern der Wellen, die sich am Strand brachen, war ihm längst zu viel geworden. Diese Geräusche erinnerten ihn zu sehr an den schlimmen Zwischenfall, der noch tief in seinen Knochen steckte und ihm Magenschmerzen bereitete. Er stöpselte die Kopfhörer in sein Mobiltelefon und versuchte eine Verbindung zu einem lokalen Radiosender herzustellen. In letzter Zeit, eigentlich seit Wochen schon, war Musik, vor allem englischsprachige, ein gutes Mittel für ihn geworden, um sich aus der Realität auszuklinken und Kraft zu schöpfen. Es war lange her, dass er sich mit Liedern beschäftigt hatte, aber seit Momoko wieder in sein Leben getreten war, entdeckte er nach und nach seine Leidenschaft dafür wieder. Musik und die Klänge, die sie ausmachten, sowie die Texte und Akkorde; jede einzelne Note und der Gesang – das alles war Dank ihr wieder mit Farben behaftet. Belebende, bunte Farben oder sanfte, gedeckte… je nach Stimmung. Sie machte seine Welt wieder bunter. Yosuke hörte einfach wieder gern Musik. Sie rief Erinnerungen an die schönen Momente in seinem Leben wach - nicht zuletzt jene, die er mit Momoko teilte - oder verleitete ihn zum Träumen. Und nicht nur das: Seitdem er seine alte Gitarre vom Schrank geholt hatte, war sie dort oben auch nicht mehr verstaut worden. Musik hatte ihre eigene Sprache und er genoss es, manchmal darin abzutauchen, nur für den Moment zu leben und jede einzelne Strophe und Botschaft aus den Songs in sich aufzunehmen. Die Saiten der Gitarre selbst anzureißen bot ihm außerdem einen neuen Weg, sich ohne Worte auszudrücken. Das war von Zeit zu Zeit sein Ventil, wenn ihm Zuhause die Decke auf den Kopf fiel oder ihm Hiromi oder die Schule zu viel wurden. Ähnlich wie Fußball für ihn funktionierte, nur dass ihn das Gitarrenspiel seelisch auslastete, statt körperlich. Die Erinnerung an die Zeit ohne sie – ohne die Musik und vor allem ohne Momoko – fühlte sich seltsam leer und grau an. Irgendwie bedeutungslos, als hätte Yosuke damals gar nicht wirklich gelebt. Endlich fand er einen Sender, der ihm zusagte und mit geschmeidigen Gitarrenklängen und sattem Bass die Welt um ihn herum verblassen ließ. Die Promenade füllte sich mehr und mehr mit Menschen, je weiter er lief. Irgendwann kam Yosuke nicht mehr drum herum, den Blick von seinen Füßen zu heben und sich umzusehen, bevor er noch jemanden anrempelte. Die Gegend war voll von Touristen, die von den kleinen Läden angezogen wurden, die sich auf der Seite gegenüber vom Strand aufreihten. Typische Kramläden mit allerhand Tinnef und Utensilien für den Strand und das Meer. Sonnenhüte, Badelatschen, Schwimmreifen, Strandspiele, Sonnencremes und vieles andere lag in den Auslagen, die von auffälligen Schildern beworben wurden. Das Sortiment unterschied sich von Laden zu Laden kaum, bis auf das mancher noch Bademode, simple Romane zum anspruchslosen Zeitvertreib oder wertlosen Schmuck anbot. Yosuke haderte mit sich, ob er nicht wenigstens einen der zahlreichen Obststände ansteuern sollte, die mit herrlich roter Wassermelone und frischen Kokosnüssen lockten. So ganz ignorieren ließ sich sein Hungergefühl nämlich nicht und er war weiß Gott wie lange bereits ziellos unterwegs gewesen… Tatsächlich fühlte er sich sehr viel besser, nachdem er etwas im Magen hatte. Der Hunger hatte einen großen Teil seiner Bauchschmerzen ausgemacht. Nicht alles war also dem Gefühlschaos geschuldet, das sich unaufhörlich in seinem Inneren abspielte. Yosuke wiederholte alles im Geiste wieder und wieder, drehte und wendete die Tatsachen, um sie von allen Standpunkten zu beleuchten, kam am Ende aber immer zu demselben Schluss. Nämlich, dass er genau 3 Dinge sicher wusste: 1. - Er war unumstößlich in Momoko verliebt. Aber es war nicht diese naive, frische Verliebtheit oder Schwärmerei, wie sie Teenager empfanden. Es ging viel tiefer – sie beide verband so vieles, das andere vielleicht nicht verstehen würden. Und dann gab es da noch diese Magie zwischen ihnen; diese knisternde Spannung, die manchmal fast greifbar wurde. Nicht zuletzt diese glühende Leidenschaft, die in jeder Faser seines Körpers brannte, wenn er nur die Augen schloss und an Momoko dachte. Ja, er war wie ein hoffnungsloser Trottel in sie verliebt und hatte es bis heute nicht mal gemerkt – das war immerhin schon die 2. Sache, die er mit Sicherheit wusste. Er war ein Idiot. Und zwar auch deswegen, weil er so dumm gewesen war und sich von Hiromi an dem Abend hatte einwickeln lassen, als sie ihm gestanden hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Sein Pflichtgefühl ihr gegenüber war so irrational groß gewesen, nicht zuletzt wegen seinem Bestreben, sich nicht wie sein eigener Vater zu verhalten, dass er alles ausgeblendet hatte, was er bereits damals schon für Momoko empfunden hatte. Nach allem, was da bereits zwischen ihnen passiert war… ja, er war eindeutig ein Vollidiot! Vielleicht wäre es ihm geglückt, vielleicht hätte er sie vergessen können. Alles an ihr, was ihn so in ihren Bann gezogen hatte: ihre großen blauen Augen, in denen er sich immer wieder verlor; Ihr schüchternes Lächeln oder ihre verletzliche Miene, die ihn neugierig auf die Geschichte dahinter gemacht hatte; ihr offenes Lachen, von dem er jedes Mal Herzklopfen bekam; ihre Aufopferungsbereitschaft, die ihn in Staunen und Bewunderung versetzt hatte... Vielleicht wäre es ihm gelungen, wenn er es geschafft hätte, sie nie wieder zu treffen. Aber was für ein Leben hätte er dann gelebt? »Ein Leben ohne Farben.« Die Musik auf seinen Ohren wurde wieder lauter, als sie sich in sein Bewusstsein zurück stahl und Yosuke ließ sie in sein Herz hinein. Er hatte durch Momoko viel über sich und das Leben gelernt. Sie hatte Sehnsüchte in ihm erweckt, derer er sich vorher gar nicht bewusst war. Sie hatte ihm unbewusst seine Lebenslust zurückgegeben und war zu der einen, besonderen Person geworden, die ihn so nahm, wie er wirklich war. Die ihn und seine Abgründe kannte und trotzdem nicht verurteilte. Die ihn verstand, ihm Mut zusprach und die ihm die Nähe, Geborgenheit und Zärtlichkeit schenken konnte, nach der er sich in Wahrheit sehnte. Ihr Lächeln allein bedeutete ihm schon alles. Das brachte ihn zu Punkt Nummer 3 auf seiner Liste der Dinge, derer er sich sicher war: Hiromi und er hatten keine Zukunft als Paar. Sie würde niemals auch nur ansatzweise das für ihn sein können, was Momoko für ihn war. Und dabei spielte es keine Rolle, ob die Hobbyfotografin seine Gefühle überhaupt erwiderte oder nicht – Yosuke fühlte sich nicht mehr imstande, irgendetwas zu erzwingen, dass er für Hiromi einfach nicht empfinden konnte. Alles was er tat war geschauspielert. Das war das einzige, was er ihr und dem Kind im Zweifelsfall würde bieten können: eine Lüge. Was 4. und 5. betraf, darüber zerbrach er sich noch den Kopf. Dreh und Angelpunkt war die Antwort auf die Frage, ob Momoko auch so empfand wie er. Fühlte sie sich innerlich auch so zerrissen, zwischen dem, was ihr Herz ihr zuflüsterte und dem, was ihr Pflichtgefühl ihr sagte? Yosukes Herz raste wie verrückt bei dem Gedanken, dass sie seine Gefühle möglicherweise erwiderte und er nicht nur der Freund oder die Affäre für sie war, wie sie es sich einst ausgedacht hatten. Rückblickend kam es ihm albern vor, dass er sich das selbst so lange eingeredet hatte. Es mochte so angefangen haben, aber das war für ihn nichts weiter als ein verblassendes, unwichtiges Detail ihrer gemeinsamen Geschichte. Es half nichts, er musste es herausfinden! Yosuke musste um jeden Preis wissen, welchen Platz er in Momokos Herz wirklich einnahm. Erst dann würde er sich überlegen können, wie es für ihn, Hiromi, das Baby und alles andere weitergehen sollte. Noch völlig in Gedanken versunken lief der Dunkelhaarige im nächsten Augenblick fast in einen aufgestellten Kleiderständer, der mitten im Weg stand. Hastig und peinlich berührt darüber, dass ihn andere Passanten bei seinem Malheu beobachtet hatten und nun hinter vorgehaltener Hand kicherten und tuschelten, brachte Yosuke die auf Bügel hängenden Stoffe wieder in Ordnung, die er aus Versehen durcheinander gebracht hatte. Eine kleine, pummelige Verkäuferin, die ziemlich wahrscheinlich zu dem Lädchen gehörte, vor dem die ganzen Kleiderständer aufgestellt waren, kam ihm netter Weise zu Hilfe. „Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst.“, erklärte er umgehend Die Frau mittleren Alters lächelte verschmitzt und zeigte auf ihre Ohren. „Zu laute Musik, nicht wahr?“ Yosuke erwiderte das Lächeln schüchtern wie ein kleiner Junge und stöpselte hastig seine Kopfhörer aus. „Eher zu laute Gedanken.“, gab er verlegen zu. „Ahh… verstehe.“, raunte sie und kontrollierte noch mal die Bügel. „Machst du Urlaub hier?“, hakte sie nach, ungeniert vertraulich für eine Fremde. „Mit Freunden.“, antwortete er trotzdem höflich. Sie musterte ihn daraufhin von oben bis unten und wieder zurück, wo sie an seinem Gesicht auffällig lange hängen blieb. Solange, bis Yosuke seinen Blick abwendete. „Ahh…“, raunte sie wieder vielsagend. Ihr Gehabe machte auf den Torwart ein wenig den Eindruck, als wäre sie einer von den Menschen, die auf alles eine Antwort wussten und diese auch gerne kund taten, ohne vorher nach der Frage dazu gefragt zu haben. Wie, um seinen Eindruck bestätigen zu wollen, räusperte sie sich, um wieder seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Zu laute Gedanken.“, wiederholte sie bedeutsam betont und zeichnete dabei nachdenklich mit dem Zeigefinger einen Strudel in die Luft. „Es ging darin um ein Mädchen.“ Yosuke fragte sich, ob letzteres eine Frage oder eine Feststellung war. Jedenfalls fiel ihm darauf keine gescheite Antwort ein, dafür war er zu perplex. Die Verkäuferin setzte ein breites, wissendes Lächeln auf, das ihr zahlreiche Lachfältchen um die Augen herum zauberte. „Ich habe also richtig getippt. Brauchst du also vielleicht etwas hiervon?“, fragte sie ihn und fuhr mit den Fingern spontan unter einen der vielen Bügel und präsentierte ihm einen fein gewebten Stoff in blendenden Farben. „Nein! Ich wollte gar nichts kaufen.“ Er winkte ab, völlig überfordert mit der Zudringlichkeit, mit der ihn die Dame anscheinend zu einem Einkauf bei sich überreden wollte. Doch dann warf er einen flüchtigen Blick über die anderen Waren und das Schild, das über ihrem Geschäft hing. Vielleicht war er doch durch einen Wink des Schicksals hier gelandet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)