~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 57: secret Loyality - to much Questions - even more Lies ---------------------------------------------------------------- Mit Sorge sah Kazuya zu, wie sich Yuris Gesichtsfarbe im Sekundentakt veränderte. Sie war nach seiner Warnung gewappnet gewesen, aber ganz sicher nicht gefasst genug, für die schier unglaublichen Enthüllungen, die er nach und nach vor ihr ausbreitete. Schweigsam und geduldig hatte sie seinen Berichten über Momoko und Yosuke zugehört. Kein Ton war aus ihrem Mund gekommen, dabei war Yuri mehr als nur ein Mal die Kinnlade heruntergeklappt. Ihr Gesicht war zuerst aschfahl, dann glühend purpurn und schließlich wieder blass geworden. Mit ihrer Gesichtsfarbe wechselte auch der Ausdruck in ihren Augen: Verblüffung, Schockiertheit, Sorge, Verlegenheit und Unglaube wechselten sich immer wieder in ihrem Mienenspiel miteinander ab. Kazuya hielt die Hände seiner sehr anständig und konservativ erzogenen Freundin mit seinen umschlossen und sah sie lange einfach nur abwartend an, bis sie ihren Tunnelblick endlich ablegte. „Diese Zwei…“, hauchte sie flüsternd über ihre Lippen. Blinzelnd kehrte ihr Bewusstsein in die Gegenwart zurück; zu Ende war ihr Kopfkino und abgeschlossen ihre Analyse der inzwischen offengelegten Fakten. „Yuri, es tut mir leid. Ich hätte dir alles viel eher erzählen müssen.“ Immer noch in Sorge um seine Freundin, die im Augenblick erblasst blieb, fühlte er sich schuldig. Doch Yuris grüne Augen fanden seine ohne einen Vorwurf darin. Vielmehr lag Verständnis in ihnen und ein Funkeln, das man bei Menschen sah, denen gerade ein Licht aufgegangen war. „Jetzt macht alles einen Sinn. Wir haben so viel in ihr seltsames Verhalten hineininterpretiert, uns so viele Möglichkeiten ausgedacht und wilde Zusammenhänge gesponnen, aber darauf wären wir nicht mal im Traum gekommen.“ Der Blonde wusste, dass sie mit wir Hinagiku und sich selbst meinte. Sie wirkte erstaunlich gefasst, auch wenn ihr Blick immer noch hin und wieder abdriftete, weil sie grübelte und vergangene Situationen rekapitulierte. Yuris Wangen färbten sich schamhaft rot. „Ein Verhältnis.“ Sie weigerte sich schüttelnd es eine “Affäre“ zu nennen. „Das hätte ich Momoko niemals zugetraut. Ich dachte immer, dass das Stoff für schwülstige Romane und Filme ist und im wahren Leben nur bei Leuten in der Midlifecrisis vorkommt.“ Kazuya konnte ein schiefes Lächeln nicht unterdrücken. „Willst du damit sagen, dass unsere Freunde zu jung für solche Ausschweifungen sind?“ Er meinte es witzig, aber die Dunkelhaarige warf ihm einen entrüsteten Blick zu. „Selbstverständlich! Wenn das ihre Eltern wüssten oder die Schule – wenn das ihre Partner wüssten!“ Und schon wurde ihr Gesicht wieder kreidebleich. Das Grauen zeichnete sich darauf ab, fassungslos legte sie ihre Hände an die Wangen und schüttelte den Kopf. „Mein Gott! Mir war klar, dass Yosuke für Momoko mehr als nur ein Freund ist und ich hätte ihr zugetraut, dass sie sich trotz all des Abstreitens in ihn verliebt hat… aber das… Ihre Empfindlichkeit auf seinen Namen; die Tränen; der Streit; die Distanz, die ihr so zu schaffen gemacht hat; ihre ständigen Stimmungsschwankungen… Das ist das fehlende Puzzlestück, das alles zu einem stimmigen Bild zusammenfügt.“ Sie raufte sich die Haare und warf die Locken anschließend grob zurück über ihren Rücken. Ihr Freund griff erneut beruhigend nach ihrer Hand. „Und was wirst du nun tun?“ Nachdenklich betrachtete sie ihre ineinander verschränkten Finger. „Ich weiß es nicht… Hinagiku darf es nicht erfahren, zumindest jetzt noch nicht! Sie würde es sicher nicht verstehen; Takuro bedeutet ihr wegen ihrer einstigen Sandkastenfreundschaft vielleicht mehr, als sie uns gegenüber zugibt. Ich müsste erst mit Momoko reden, aber wenn ich sie darauf anspreche macht das womöglich alles nur schlimmer. Dann weiß sie von Yosuke und dir, und er erfährt, dass du es mir erzählt hast. Ich möchte mich so wenig wie möglich einmischen, aber gleichzeitig bin ich so wütend, dass sie mich ausgeschlossen hat - am liebsten würde ich sie schütteln und fragen, wie sie dazu kommt so was anzufangen!“, sie seufzte. „Trotzdem wäre ich gerne für sie da.“ „Es ist ein Dilemma.“, stellte Kazuya fest. „Ja, das ist es.“, erwiderte Yuri mit einem schwachen Lächeln. Er zog sie in seine kräftigen Arme und küsste sie beruhigend auf den Scheitel. „Glaubst du, dass sie sich lieben?“ „Ich weiß es. Nur die Liebe kann jemanden wie Momoko dazu bringen, solche Dummheiten zu machen. Niemals würde sie mit irgendeinem Jungen ins Bett gehen, obwohl sie mit einem anderen verlobt ist. Und da es sich hierbei um Yosuke Fuma handelt, müssen erst recht Gefühle im Spiel sein… Oder jede Menge Drogen und Alkohol.“, schloss sie trocken. Kazuya lachte kehlig auf. „Ich denke genauso – also was den Gefühlsteil angeht. Allerdings muss ich davon ausgehen, dass es die Beiden entweder selber noch nicht wissen oder sich nicht eingestehen wollen.“ „Oder sie wissen es, geben es aber voreinander nicht zu, weil sie genau wissen, was auf dem Spiel steht.“, ergänzte die junge Frau traurig und schmiegte sich enger an die Brust ihres Freundes. „Darum auch dieser irrwitzige Urlaub. Wenn wir zusagen sind wir ihr Alibi, damit sie noch mal gemeinsam Zeit miteinander verbringen können, bevor die Umstände sie für immer trennen.“ Seine Worte trieben Yuri Tränen in die Augen. Fest umklammerte sie ihren Liebsten, während sie sich vorstellte, dass sie an der Stelle ihrer Freundin wäre. Die Aussicht, einen Mann aus Pflichtgefühl zu heiraten, den sie nicht liebte, und sich dafür für immer von Kazuya zu trennen, der sie aus eigenen Gründen nicht würde abhalten können – das zerriss ihr das Herz. Sie schloss die Augen zu einem zittrigen Seufzer, bei dem ihr die Tränen stumm über die Wangen rollten und erinnerte sich an die gemeinsame Schulzeit mit ihren Freundinnen. Momoko war schon immer die hoffnungslos Romantischste von ihnen gewesen. Immer optimistisch, stets gut gelaunt und jeder Zeit bereit für ihre Gefühle einzutreten und zu kämpfen. „Kaz, erinnerst du dich noch, als wir damals zusammengekommen sind?“ „Als wäre es gestern gewesen.“, antwortete er verliebt. „Du warst einer der beliebtesten Jungs an der ganzen Schule, so ziemlich jede war hinter dir her. Du hast immer so getan, als würdest du das nicht bemerken, dabei haben sogar Hinagiku und Momoko unverhohlen für dich geschwärmt, als wir noch für die Schülerzeitung gearbeitet haben.“ Der junge Mann sagte dazu nichts, aber er streichelte ihren Rücken und lauschte gespannt, wohin der plötzliche Themenwechsel noch führen würde. „Als wir beide dann zusammengekommen sind, da war ich mir erst nicht sicher, wie die Zwei das aufnehmen würden, aber Momoko hat sich sofort für mich gefreut. Einfach so, ohne Wenn und Aber. Sie hat es gar nicht in Frage gestellt, sondern meine Hand genommen und sich ausgelassen für mich gefreut und mir weiß gemacht, dass sie schon immer fand, dass wir ein tolles Paar abgeben würden.“ Glücklich dachte sie an diesen Moment zurück, wohingegen sich Kazuya nicht sicher war, auf was sie eigentlich hinaus wollte. „Was ich sagen will ist, sie hat Dasselbe auch verdient. Wenn sie Yosuke liebt, dann werde ich ihre Beziehung zu ihm nicht hinterfragen. Ich möchte, dass sie glücklich wird!“ Yuri löste sich aus der Umarmung und blickte ihrem Liebsten mit noch feuchten Wangen fest in die Augen. „Also los; verschaffen wir den Beiden ein Alibi und sehen wir zu, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht, damit sie am Ende nicht den größten Fehler ihres Lebens begehen.“ ~*~ Momoko schlief in der Nacht von Freitag auf Samstag so gut wie schon lange nicht mehr. Die Prüfungen des ersten Schultrimesters waren endlich vorüber. Wochenlanges Lernen, der damit einhergehende Schlafentzug und die Entsagung sämtlicher sozialer Kontakte waren ausgestanden und hatten sich bezahlbar gemacht. Mit einem sehr zufriedenen Gefühl hatte sie ihre letzte Prüfung geschrieben und war danach ein letztes Mal zu ihrer Arbeit im Café erschienen. Die Ferien hatten nun offiziell begonnen und Momoko hatte in der nächsten Woche frei, denn der lange geplante Kurzurlaub stand vor der Tür. Das Beste aber - und deswegen schlief sie am ruhigsten - war die Tatsache, dass sie am nächsten Tag ihren Vater wieder in die Arme schließen können würde. Nicht nur zu einem Besuch sondern er würde endlich zu ihr nach Hause zurückkehren. So träumte sie in dieser Nacht von all den schönen und glücklichen Dingen, die ihr im Kopf herumschwirrten und die sie sich ausmalte. Zuletzt von einem blauen Meer und der warmen Sonne, unter der sie vereint mit ihren Liebsten und ohne Sorgen einen herrlichen Tag verbrachte. Ein Strandpicknick am türkisblauen Wasser im weißen Sand, bei dem sie unter dem fürsorglichen Blick ihres Vaters mit ihren Freundinnen herumalberte. Es war eine Traumwelt, in der sie sich nicht mit Schule oder Geldsorgen beschäftigen musste und in der ihr Vater kein Alkoholproblem hatte. Er lag mit entspannter Miene in einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm. Und noch etwas war anders, denn es gab auch keinen schweren Verlobungsring an ihrem Finger. Anstelle von Takuro saß ein anderer junger Mann neben ihr und hielt ihre Hand, als wäre es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Es war ihr Traum, in dem sie es sich erlauben durfte, Yosuke anzusehen und zu berühren, wie ihr Herz danach verlangte. Seine braungrünen, warmherzigen Augen waren ganz real und der Blick aus ihnen verheißungsvoll. Sie fühlte zum ersten Mal das sachte, angenehme Kribbeln von Schmetterlingsflügeln in ihrem Bauch. Es waren keine Tauben, die nur kurz wild umher flogen und sie am Ende mit Wehmut zurückließen; das hier war beständiger. Es tat nicht weh, denn hier in dieser Traumwelt erwiderte er ihre Gefühle. Alles war perfekt, sie war glücklich. Im Traum, noch während die Welt um sie herum in Ordnung war und sie sich verliebt in Yosukes Augen verlor, schlich sich der Klang eines Liedes ein. You got me sippin' on something I can't compare to nothing I've ever known, I'm hoping That after this fever I'll survive I know I'm acting a bit crazy Strung out, a little bit hazy Hand over heart, I'm praying That I'm gonna make it out alive Zuerst fühlte sich das normal an; wie ein Radio, das jemand neben ihnen aufgestellt hatte. So wie ein Song, der in Liebesfilmen eingespielt wurde, doch dann bröckelte die Fassade des Traumes und Momoko begann sich umzusehen und sich zu fragen, von wo die Musik kam, die immer lauter wurde und die Stimmung um sie herum zu verändern begann. The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants Und dann wusste Momoko plötzlich, dass sie träumte. Mit dieser Erkenntnis zerfiel das Traumbild um sie herum und sie schlug die Augen auf. You got me scattered in pieces Shining like stars and screaming Lighting me up like Venus But then you disappear and make me wait And every second's like torture Hell over trip, no more so Finding a way to let go Baby, baby, no I can't escape The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants This is a modern fairy tale No happy endings No wind in our sails But I can't imagine a life without Breathless moments Breaking me down, down, down, down The bed's getting cold and you're not here The future that we hold is so unclear But I'm not alive until you call And I'll bet the odds against it all Save your advice 'cause I won't hear You might be right but I don't care There's a million reasons why I should give you up But the heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants The heart wants what it wants, baby It wants what it wants, baby It wants what it wants It wants what it wants Seufzend rollte Momoko zu ihrem Radiowecker herum und schaltete ihn ab. Sie warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Hätte ich dich nur nicht reaktiviert.“, grummelte sie in ihre Bettdecke hinein, die sie wie ein Stofftier umklammert hielt. Der Text des Liedes hallte als lästiger Ohrwurm in ihrem Kopf wider. War das ein Zufall, dass sie immer dann Songs mit treffenden Texten zu verfolgen schienen, wenn sie mit Yosuke zusammen war oder an ihn dachte? Oder achtete sie einfach viel mehr als früher auf den Inhalt von Musik, anstatt nur auf deren Melodie? Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln und sich nicht wieder von ihrem Liebeskummer runterziehen zu lassen. Die Prüfungszeit hatte ihr sehr gut über den Abstand von dem Torwart und ihrer komplizierten Beziehung hinweg geholfen. Sie hatte gar keine Zeit und Kraft gehabt, sich mit diesem Dilemma auseinanderzusetzen, und das sollte sich jetzt auch nicht gleich wieder ändern, nur weil ein Traum und ein dummes Lied sie dazu verleiteten. „Nicht heute.“, sagte sie zu sich selbst, atmete tief durch und dachte an ihren Vater. Sofort lächelte sie glücklich und sprang aus dem Bett. Momoko konnte es kaum erwarten, ihn endlich abzuholen. Es war noch nicht ganz Mittag, als das Auto mit ihr und Takuro darin auf das Klinikgelände fuhr und sie ungeduldig über den Parkplatz tänzelte, weil sie es nicht abwarten konnte, ihren Vater in die Arme zu schließen. Zwei Monate war es jetzt her, dass Momoko in ihrer Verzweiflung den Schritt gegangen war, ihn in die Entzugsklinik einweisen zu lassen. Shôichirô war damals nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen, aber diese Erinnerung hatte nichts mehr gemein mit dem strahlenden Mann, der in der Lobby mit offenen Armen auf sie wartete. An seine Brust gedrückt, wo sie sich immer noch wie ein junges Mädchen fühlte, schienen die Ereignisse von damals nicht mehr real zu sein. Als wären sie nicht ihr widerfahren, sondern jemand anderem. „Ich hab dich so unendlich vermisst!“, nuschelte sie in sein Hemd hinein. Seine Arme umschlangen sie wieder fest und stark wie früher, väterlicher konnte sich eine Umarmung nicht anfühlen. „Ich dich auch, Momoko.“ Sie schnupperte an dem Stoff und sog den Duft von Kindheit und Geborgenheit tief ein, mit dem sie seit sie denken konnte alles verknüpfte, was ihr Sicherheit und das Gefühl von Zuhause vermittelte. Ihre schönsten Kindheitserinnerungen dufteten genau wie er jetzt und hier, wo sie in seinen Armen lag. Dieses Gefühl wollte sie sich tief ins Gedächtnis brennen. „Ich hab dich lieb, Papa. Endlich kommst du nach Hause.“ Shôichirô tätschelte ihren Kopf und wischte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel, die sich heimlich darin gesammelt hatte. „Na na, wir werden diesen Moment doch nicht mit Tränen ruinieren?“, zog er sie auf. Momoko lächelte und schüttelte dabei einverstanden den Kopf. Ihr Vater blickte über sie hinweg zu Takuro und schenkte ihm ein dankbares Nicken. „Ich danke dir, dass du dich in all der Zeit so gut um meine Tochter gekümmert hast.“ Er streckte seinen Arm nach dem zurückhaltenden Japaner aus und legte ihm anerkennend eine Hand auf die Schulter. „Das war doch eine Selbstverständlichkeit, Shôichirô-san.“ Mit einem Augenrollen kommentierte er stumm die Höflichkeitsfloskel, die er seinem zukünftigen Schwiegersohn trotz der Besuche zwischendurch immer noch nicht ausgetrieben hatte. „Ich hoffe, Momoko hat sich gut benommen?“ Sie strafte ihm mit einem anklagenden Blick – als ob sie sich jemals daneben benehmen würde! Aber wenn er wüsste, was Takuro hingegen schon auf ihrer unschuldigen Wohnzimmercouch bei ihr versucht hatte… An dieser Stelle stoppte ihr Gehirn ihre Erinnerungen, nachdem ihr Gesicht bereits verräterisch zu glühen begann. »Naaa gut.«, dachte sie reumütig. »Ich war und bin wohl doch kein Unschuldslamm.« Räuspernd wendete sie sich Takuro zu und wartete seine Antwort ab. Mit durchgedrücktem Kreuz und hinter dem Rücken verschränkten Händen strahlte er sie und ihren Vater an. „Ich habe jedenfalls nichts Negatives zu vermelden. Sie ist brav zur Schule gegangen und nachmittags vorbildlich ihrem Aushilfsjob nachgekommen. Wann immer ich konnte habe ich sie gefahren und sicher nach Hause gebracht.“ Der große, dunkelhaarige Mann lachte amüsiert über die steifen Formulierungen. „So so, meine Momoko und vorbildlich… aus dir wird am Ende noch eine sittsame und fleißige Hausfrau. Hast du dich denn auch hin und wieder mit deinen anderen Freunden getroffen?“ Mit Mühe erhielt sie ihr Lächeln aufrecht. „Manchmal.“, sagte sie unbestimmt. „Nur manchmal? Ich habe das Gefühl so viel verpasst zu haben… Es ist doch alles gut, zwischen euch?“ Momoko schob sich nervös eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr und schaute kurz zu Takuro hinüber, dem trotz der Frage, die ihr etwas unangenehm war, keine Veränderung in der Mimik anzusehen war. „Na ja, es waren ja nun Prüfungen in der Schule. Da hatten wir alle keine richtige Zeit, um uns zu treffen oder etwas zu unternehmen.“ „Stimmt auch wieder. Wie liefen denn die Prüfungen für euch? Ach, was rede ich hier – lasst uns nach Hause fahren, wir können uns dann immer noch unterhalten.“ Die Autofahrt über redeten sie über fast nichts anderes als die Schule, die Prüfungen und darüber, welche Universitäten für Takuro in Frage kamen und wie hart er arbeiten musste, um die schweren Aufnahmeverfahren zu bestehen. Dabei schwärmte er auch von den Studienmöglichkeiten im Ausland, die ihm offen stünden, wenn er es nur in Erwägung ziehen würde, viel früher nach Übersee zu gehen als geplant. Welche Vorteile das für seine berufliche Zukunft und Momoko doch bedeuten würde, im Gegensatz dazu in Japan zu studieren und danach erst auszuwandern. Momoko klinkte sich bei der hitzigen Pro & Kontra Debatte zwischen ihrem Vater und Takuro aus und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Ihr Traum war es mal gewesen Fotografie zu studieren, aber diese Akte hatte sie bereits abgeheftet und weggeschlossen. Es war klar, dass es im Sinne ihrer Beziehung mit Takuro war, wenn sie als seine Frau traditioneller Weise entweder gar nicht arbeiten ginge oder ihr Arbeitsleben wenn dann um seine Karriere herum passend gestaltete. Deswegen hatte sie schon früh aufgehört, nach einer passenden Universität für sich zu suchen, denn nirgendwo wo ihr Verlobter studieren wollte, wurde auch Fotografie als Studienfach angeboten. Da konnte sie auch gleich freiberuflich als Amateurin weitermachen. Und wo sie das letztendlich tat, ob hier oder in Amerika, war ihr gleich. „Freust du dich schon?“ Herausgerissen aus ihren eigenen Gedanken, schaute sie fragend in das erwartungsvolle Gesicht ihres Vaters. „Hm? Worauf?“ „Dummerchen, auf unseren Kurzurlaub natürlich!“, neckte Takuro sie. »Dummerchen?!«, dachte Momoko und schauderte irritiert. Wann waren sie beziehungstechnisch auf der Stufe angelangt, an denen sie sich mit solchen Spitznamen neckten? „Er hat mir die ganze Zeit davon erzählt, dass ihr vorhabt gemeinsam mit euren Freunden noch mal wegzufahren, bevor das Schuljahr vorbei ist und ihr dann wahrscheinlich nicht mehr so schnell die Gelegenheit habt, euch regelmäßig zu sehen. Hast du etwa nicht zugehört?“ Momokos erster Impuls war höhnisch die Augenbrauchen hochzuziehen, als sie eure Freunde hörte, aber dem konnte sie zum Glück widerstehen, „Oh, nein. Entschuldigung. Ich war grad in Gedanken.“ Einen kurzen Moment lang huschte ein ernster, sorgenvoller Blick über Shôichirôs Gesicht, der aber so schnell wieder seinem väterlichen Lächeln wich, dass Momoko sich nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt wirklich gesehen hatte. „Du bist sicher müde von dem ganzen Stress in letzter Zeit.“ Seine Hilfestellung nahm seine Tochter dankbar an. „Ja, das bin ich.“ „Dann hast du dir diesen Urlaub auch verdient.“ „Ach Papa… ich hätte dir schon viel eher davon erzählen sollen. Das kommt jetzt so kurzfristig, wo du doch gerade erst entlassen worden bist.“ Doch er winkte beschwichtigend ab. „Mach dir mal um mich keine Sorgen, ich komme schon zurecht. Es bleibt mir ja noch knapp ein Wochenende mit dir, um mich wieder einzugewöhnen. Danach werde ich wohl ein paar Tage ohne dich auskommen können. Du hast wirklich mehr als genug für mich getan.“ Die junge Frau kämpfte gegen aufsteigende Tränen. Eine Last fiel endlich von ihren Schultern und Erleichterung kämpfte sich an die Oberfläche. Auch wenn er noch ein bisschen dünner war als früher, und ein paar Falten mehr sein freundliches Gesicht zierten, ihr Vater würde ab jetzt wieder für sie da sein. Sie konnte all die Verantwortung und die Sorgen wieder mit ihm teilen und war nicht mehr allein. Den Rest der Strecke über plauderten sie über den weiteren Therapieplan, der für Shôchirô vorgesehen war. Ambulante Psychotherapie ein Mal die Woche, sowie beliebige Treffen bei den anonymen Alkoholikern, wenn er sie benötigte. Und damit er abgelenkt war und ihm Zuhause nicht die Decke auf den Kopf fiel, war ihm sogar dazu geraten worden so bald wie möglich schon wieder eine leichte Arbeit anzunehmen. Das ließ Momoko alles vergessen, was hinter oder vor ihr lag und ein Mal mehr war sie Takuro für seinen Einsatz dankbar, ohne den diese Wendung niemals möglich gewesen wäre. Das Glück, das sie im Moment empfand, reichte aus, um im Gesicht des jungen, schlaksigen Mannes etwas Liebenswürdiges zu sehen, das sie dort sonst vergeblich suchte. Ob ihre Sympathie für ihn reichen würde, um ein ganzes Leben zu füllen, das fragte sie sich nicht. Dafür war kein Platz, sie wollte sich einfach nur am Hier und Jetzt erfreuen. Zuhause angekommen betrachtete Shôichirô lange sein Haus, während die jungen Leute seine Koffer aus dem Auto bugsierten. „Es ist merkwürdig, wieder Zuhause zu sein.“ „Willkommen, Papa.“, bejubelte Momoko symbolisierend seinen ersten Schritt über die Grundstücksgrenze. Er schritt aufrecht durch die Tür in den Flur, wo er seine Schuhe tauschte und dann weiter ins Wohnzimmer lief. Dem Anschein nach immer auf der Suche nach einer Veränderung, die in seiner Abwesenheit, die psychisch schon weit vor dem Klinikaufenthalt stattgefunden hatte, vielleicht vorgenommen wurde. Doch bis auf den fehlenden Fernseher und die Musikanlage, sowie ein paar anderen Dingen, die einfach weg waren und leere Plätze hinterließen, war alles genau so, wie er es kannte. Seine Tochter hatte ihr gemeinsames Zuhause gehegt und gepflegt. „Die Sachen…“, er deutete dabei auf den leerstehenden TV-Tisch. „…Die sind…?“ „In der Pfandleihe.“, erklärte Momoko schnell. Sie schob die beiden Koffer an den Fuß der Treppe und gesellte sich dann zu ihm dazu, genau wie er auf den leeren Platz starrend. „Ich befürchte aber, dass wir einige der Sachen nicht mehr auslösen können. Viele der Fristen sind schon verstrichen…“ Er legte einen Arm um sie und streichelte ihre Schulter. „Das macht nichts. Ich kaufe uns einen neuen sobald ich kann.“ Momoko legte eine Hand auf seine, die an ihrem Arm ruhte. „Es gibt so viel Wichtigeres, als einen Fernseher.“, sagte sie beruhigend und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er empfand großen Stolz für sein Kind, das so reif und gefasst schien, aber gleichzeitig tat es ihm weh zu begreifen, dass sie schon so jung so viel Last getragen und ihre jugendliche Unbeschwertheit hinter sich gelassen hatte. „Du hast Recht. Morgen zeigst du mir alle offenen Rechnungen und Mahnbescheide, um die wir uns noch kümmern müssen. Dann kann ich nächste Woche ein paar Anrufe tätigen und vielleicht zu einem Schuldnerberater gehen…“ „Regt dich das nicht noch zu sehr auf? Ich will nicht, dass es dich runterzieht, wenn ich nicht da bin.“ Die Sorge in ihren großen Augen war ehrlich und trug die Angst in sich, dass das Aufatmen nur von kurzer Dauer sein könnte. „Die Ungewissheit ist viel schlimmer. Ich möchte gern wissen, wo wir stehen. Dann kann ich alles Schritt für Schritt angehen und nachts wieder ruhig schlafen. Außerdem brauche ich Ablenkung, wenn du nicht da bist.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und ein Augenzwinkern, dass sie verblüffender Weise unheimlich an Yosuke erinnerte. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. „Gibt es noch irgendetwas, mit dem ich euch helfen kann?“ Momoko zuckte erschrocken zusammen; sie hatte völlig ausgeblendet, dass Takuro ja auch noch im Raum war. Er hatte sich nur aus Höflichkeit während des Gesprächs zurückgehalten. Das war ihr auch ganz lieb so, denn nichts wäre ihr unangenehmer gewesen, als wenn ihr praktisch reicher Verlobter wieder einmal angeboten hätte, die fehlenden Habseligkeiten zu ersetzen. „Nein danke. Bleibst du noch zum Essen oder musst du schon nach Hause?“, fragte ihr Vater anstandshalber. „Ich würde gern bleiben, aber leider treiben mich noch ein paar Erledigungen dazu an, mich auf den Heimweg zu machen. Bevor wir am Montag fahren muss ich mich noch um einiges kümmern. Ich versäume nächste Woche schließlich auch ein paar Abende in der Uni-Vorbereitungsschule.“ „Verstehe, das ist schade.“ Takuro lächelte selbstzufrieden in Momokos Richtung. „Dank unserer Beziehung zu ihrer Tochter werden wir ganz sicher noch oft Gelegenheit haben, zusammen zu essen. Also dann, ich hole dich Montagmorgen ab?“ Die Rosahaarige nickte eifrig und begleitete ihn anständig nach draußen. Als sie ins Haus zurückkehrte war ihr Vater gerade in der Küche zu Gange. Sie hörte das vertraute Rauschen des Wasserkochers und das leise Klirren von Teetassen, die aus dem Schrank genommen wurden. „Ich hätte doch auch Tee gemacht!“, klagte Momoko halbherzig, während sie zu ihm in die Küche schlüpfte und sich ihre Schürze griff. „Heute nicht, heute mache ich Tee und Essen.“, erklärte Shôichirô euphorisch. „Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass das niemand anders übernehmen muss oder ich nicht bedient werde. Es fühlt sich gut an solche Dinge wieder klar, bewusst und selbstständig machen zu können.“ Momoko verstand das sehr gut und sah ihm lächelnd dabei zu, wie er die Teekanne mit einem Teesieb bestückte und heißes Wasser hineingoss, sodass es sich dunkel verfärbte und zu duften anfing. „Was hattest du als Mittagessen geplant? Dann kannst du mir helfen.“ „Eintopf mit Nudeln.“ Geübt holte sie sofort eifrig eine Pfanne hervor und legte eine Packung Nudeln, sowie Hackfleisch und einiges an Gemüse auf die Arbeitsfläche und teilte Messer zum Schneiden aus. „Und du bist wirklich gut mit dem Haus, deiner Schule und den anderen Verpflichtungen zurechtgekommen?“ Porree schnippelnd antwortete die Rosahaarige ohne ihren Blick von ihrem Schneidbrett zu heben. „Ja, das Thema hatten wir doch schon im Auto.“ „Ich weiß, aber du wirktest etwas still und kurz angebunden. Eigentlich haben Takuro und ich die meiste Zeit geredet.“ „Ach was, ihr müsst euch ja schließlich auch noch ein bisschen mehr kennenlernen.“, wand sie sich heraus und nahm schnell eine neue Lauchstange zur Hand. „Nun ja… das stimmt schon. Wie das mit euch zustande gekommen ist, habe ich ja schließlich leider verpasst.“ Momoko legte ihr Messer weg und sah eindringlich in die grünen Augen ihres Vaters. „Das war kein Vorwurf an dich, Papa.“ „So habe ich das auch nicht aufgefasst. Ich ärgere mich wenn dann über mich selbst. Ich stelle mir nur immer noch die Frage, wie Takuro es geschafft hat, dich mit seinem etwas steifen Charme so zu bezaubern, dass du ihn gleich heiraten willst.“ „Oh nein, nicht das Thema wieder!“, stöhnte die junge Frau augenrollend und wendete sich kopfschüttelnd wieder ihrem Gemüse zu. „Ich meine ja nur. Er muss ja ein echter Teufelskerl sein und ich bin gespannt, wann ich diese Seite an ihm mal zu sehen bekomme, die dich so glücklich macht.“ „Jaaa~, ich weiß, dass wir nicht so harmonisch wirken und eher wie ein ungleiches Paar, aber du hattest mir versprochen nicht mehr zu bohren und mir zu vertrauen. Ich dachte, du magst ihn?“ Shôichirô entgegnete nichts, stellte die Pfanne auf den Herd und begann das Fleisch anzubraten, während Momoko das geschnittene Gemüse im Waschbecken wusch. „Er hat sich offensichtlich hingebungsvoll um dich gekümmert, als ich es nicht konnte und er war dir in dieser Zeit ein enger Freund und Vertrauter. Ich kann sehr gut verstehen, dass das zusammenschweißt.“, lenkte ihr Vater nach einer endlos scheinenden Stille schließlich ein. „Ich werde mir kein Urteil mehr erlauben, ihr beide kennt eure Gefühle füreinander am besten.“ Momokos Wasch-Sieb entglitt ihr lautstark und fiel zurück ins Becken. Erschrocken fuhr Ihr Kochpartner zu ihr herum. „Alles in Ordnung, Schätzchen?!“ „J-ja, alles gut. Ich hab geträumt, da ist es mir aus der Hand gerutscht.“, antwortete sie mit zittriger, nervöser Stimme. Sie spürte sehr genau den prüfenden, väterlich strengen Blick auf sich ruhen, den er ihr zuwarf. „So? Oder habe ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein, keineswegs.“ „Keineswegs, aha…“ Die etwas verächtliche Art, mit der er sie wiederholte, gab Momoko zu verstehen, dass er fand, dass sie sich schon genauso förmlich anhörte wie ihr Zukünftiger. Sich räuspernd nahm sie ihr Sieb wieder auf und schüttelte das Schnittgut etwas trocken. Sie konnte ihm ja unmöglich erzählen, dass es ein anderer war, in dessen Armen sie in Wirklichkeit Trost gefunden hatte. „Erstaunlich, wie er neben seinen ganzen schulischen Verpflichtungen noch genug Zeit gefunden hat, um regelmäßig so viel Zeit mit dir zu verbringen.“ „Pa~pa~… du machst es schon wieder, du stichelst und bohrst!“ Er lachte ertappt. „Du hast mich erwischt, aber mal ehrlich: Ist dir das alles denn trotzdem nie zu viel geworden? Warst du nie einsam?“ Seine Tochter wurde still und er spürte gleich, wie sich ihre Aura veränderte; wie angreifbar sie auf einmal wirkte. Momoko warf Lauch und geschnittene Tomaten in die brutzelnde Pfanne zu dem Fleisch und wischte sich die feuchten Finger an der Schürze ab. Erst dann, als sie sich mit den Händen hinter ihrem Rücken an der Arbeitsfläche abstützte, sah sie zu ihrem Vater auf. Sie lächelte ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Es ging mir gut. Auch wenn Takuro nicht da war, war ich selten allein oder einsam.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schon wieder erinnerte sie seine Haltung und sein forschender Blick an den jungen Torwart, den sie seit einigen Minuten wieder nicht auf ihrem Kopf bekam. „So? Hattest du vorhin nicht noch erzählt, dass du und deine Freundinnen in letzter Zeit nicht wirklich viel zusammen machen konntet?“ „Äh, na ja. Schon, aber manchmal haben wir uns getroffen oder sie haben mich hier besucht.“ „Manchmal? So drei oder vier Mal vielleicht?“ Die Blauäugige verfinsterte ihre Miene. Selbst dieser bohrende Kreuzverhör-Unterton kam ihr schrecklich bekannt vor und das ärgerte sie sehr. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass Yosuke in mancher Hinsicht fast eine perfekte Kopie ihres im Moment fast gluckenhaften Vaters war. Bedeutete, dass sie sich in so einen Typ Mann verliebt hatte nun, dass sie einen Vaterkomplex hatte? „Ich habe nicht mitgezählt, aber so in etwa… vielleicht etwas öfter.“ „Und das in welchem Zeitraum? In acht Wochen oder länger?“ „Das Essen brennt an.“, wich sie aus, drehte sich um und rührte fahrig mit einem Kochlöffel in der Pfanne hin und her. „Und was ist mit deinen anderen Freunden?“ „Hm? Welche anderen Freunde?“ Shôichirô riss die Nudelpackung auf, goss Brühe in die Pfanne und ließ die Spagetti in den Sud gleiten, in dem sie langsam einsanken. „Na dieser Fuma-Junge und seine Freundin.“ Momoko versteifte sich vor Schreck eine Sekunde lang, rührte dann aber hektisch weiter. Mit heiß glühenden Ohren. „Ach die Beiden… hat dir Takuro von ihnen erzählt?“ Fragend schauend lehnte sich ihr Vater über die Pfanne zu ihr hin. „Kind, haben wir wirklich gemeinsam in demselben Auto gesessen? Du hast ja wirklich kein bisschen zugehört, als er und ich uns unterhalten haben. Er hat mir doch alles von eurem geplanten Kurzurlaub erzählt, also weiß ich natürlich bescheid, dass sie auch mitkommen.“ „Ach so, ach so… ja.“, murmelte sie beschämt vor sich hin. Ihr armes Herz polterte und stotterte aufgeregt in ihrer Brust und das Zittern übertrug sich bis auf ihre Finger, die sie deswegen fest um den Holzlöffel klammerte und noch schneller rührte. „Ich wusste gar nicht, dass das auch Freunde von dir sind. Kennt ihr euch auch aus der Schule?“, hakte ihr Vater weiter erbarmungslos nach. „Aus der Mittelschule, ja. Du bist furchtbar neugierig heute, ich kann mich kaum konzentrieren.“, log sie mosernd notgedrungen. „Ich interessiere mich eben für das Leben meiner Tochter. Ist das so falsch, nachdem ich so viel verpasst habe?“ Er sah sie mit einem gespielt betroffenen Hundeblick an, dem sie trotz des Theaters nicht widerstehen konnte. Die Mitleidskarte würde im Moment wahrscheinlich in jeder Beziehung ziehen. Momoko hatte nur Angst, dass sie zu viel erzählen könnte. „Nein, daran ist nichts falsch.“ „Das ist schön – also seid ihr Freunde, ja?“ „Ja-ein… Also schon, irgendwie. Mit Hiromi ist das alles ein bisschen kompliziert, aber wir sind auf dem besten Wege.“ Erstaunt zog ihr Gegenüber die buschigen Augenbrauen hoch. „Dann bist du also eigentlich eher mit diesem jungen Mann befreundet? Wie hieß er doch gleich...“ „Yosuke.“, half Momoko aus. Ihr Mund fühlte sich seltsam trocken an, weswegen sie sich räusperte. Shôichirôs Blick wurde wieder nachdenklich, dann prüfend. Er machte es seiner Tochter unmöglich ihn anzusehen, ohne dabei schuldbewusst zu erröten. Also mied sie den Augenkontakt und hoffte, dass das Essen noch lange brauchte um fertig zu werden, damit sie eine Ausrede hatte, ihn nicht in die Augen schauen zu müssen. „Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor…“, grübelte ihr Vater unterdessen. Sie sah nicht, wie er sich nachdenklich mit dem Finger gegen das Kinn tippte und auch nicht, wie sich seine Augen in der nächsten Sekunde erschrocken weiteten. Erst als er die Hand beschämt über seine Augen hielt, wand sie sich ihm verwundert zu. „Paps? Alles ok?“ „War das nicht der Junge, der an diesem einen Morgen hier war?“ Momoko überlegte fieberhaft; ihr fielen auf Anhieb einige Situationen ein, in denen Yosuke hier im Haus gewesen war und bei kaum einer davon schoss ihr nicht das Blut in die Wangen. Sie forschte tiefer, denn wenn ihr Vater sich daran erinnerte, musste er dabei gewesen sein. Und dann fiel der Groschen und auch sie wurde blass und sah sich schämend auf die Füße. „Du meinst, den Morgen…“ So viel war in der Zwischenzeit passiert, dass sie es fast vergessen und verdrängt hatte: Den Tag nach dem Klassentreffen, als Yosuke ihr die vergessene Fotokamera vorbeigebracht hatte und er und ihr Vater kurz aufeinander getroffen waren. Wie sehr hatte sie sich für seinen unmöglichen Auftritt ihrem Besuch gegenüber geschämt und wie schrecklich verlassen und hilflos hatte sie sich danach gefühlt… „Furchtbar, er muss das Schlimmste von mir gedacht haben.“ „Nein, Papa. Das hat er nicht. Er hat alles verstanden, was ich ihm erklärt habe.“, versuchte Momoko ihn zu beruhigen. Sich grämend vor Scharm sah er sie an und fand ein ehrliches Lächeln vor. „Was hast du ihm denn erzählt?“ Sie hob die Schultern und schnaufte darüber sinnierend, was sie am besten antworten sollte, ehe sie schließlich sagte: „Alles.“ Ein unausgesprochenes „Wow“ hob sich in der Miene ihres Vaters ab. Verstehend nickte er. „Alles, das ist viel. Du musst ihm ja ziemlich vertrauen.“ „Ja, das tue ich.“ Dem in die Jahre gekommenen, etwas weiser gewordenen Mann entging bei diesem kleinen Wortwechsel nicht, dass sich das Gesicht seiner Tochter aufgehellt hatte. Wieder rührte sie in dem inzwischen sämig gewordenem Pfanneneintopf herum und lächelte dabei so selig, als würde sie sich an eine gute Zeit erinnern. „Ich bin verblüfft, dass du in so kurzer Zeit neben Yuri und Hinagiku noch einen männlichen Freund gefunden hast, dem du so vertraust. Dieser Yosuke muss ein sehr sympathischer, verständnisvoller junger Mann sein.“ „Ja, das kann er sein, wenn er will.“, entgegnete Momoko mit neckendem Unterton und ein Funkeln trat in ihre Augen. „Und er sieht gut aus. Sportlich und bestimmt ist er auch einfühlsam und witzig.“ Momoko, die an dieser Stelle endlich das Spielchen durchschaute, das ihr Vater da mit ihr trieb, ließ den Kochlöffel auf den Pfannenrand fallen und schaute ihn entrüstet an. „Sag mal, willst du mich eigentlich veräppeln?? Bilde dir bloß nichts ein! Yosuke und ich sind nur Freunde und dafür kann er noch dankbar sein, so fies wie er damals in der Schule immer zu mir war!“ Der Dunkelhaarige lachte amüsiert über ihren Gesichtsausdruck und die wilden Gestikulationen, die sie machte, während sie die Pfanne mit hochrotem Kopf von der Herdplatte zog. „Ach ja, ist er dann nicht auch der Junge, über den du dich damals immer so viel beschwert hast?“ Er begann sie nachzuäffen: „Dieser blöde Yosuke hat mich heute wieder auf die Palme gebracht oder Dieser blöde Typ hat mich heute schon wieder mit seinem Fußball erwischt und Hach, Yosuke hängt dauernd mit Kazuya rum und…“ „PAPA!!!“, kreischte die Junge Frau flehend dazwischen. Wieder lachte er, diesmal laut schallend. Peinlich berührt wollte Momoko einfach in irgendein Loch versinken. Ihr Gesicht leuchtete wie eine Signalfackel. „Du bist ja so gemein.“, beschwerte sie sich eingeschnappt. „Schätzchen, du musst zugeben, dass du damals fast kein Abendessen ausgelassen hast, um wie ein Rohrspatz über ihn zu schimpfen. Ich dachte immer: Entweder hassen sie sich wirklich, oder sie stellt ihn mir eines Tages noch als ihren Freund vor.“ Shôichirô grinste immer noch breit und holte schon mal Teller aus dem Schrank, die er zusammen mit Besteck und der Teekanne zum Esstisch trug. „Schön, dass ihr eure Differenzen klären und euch anfreunden konntet.“ Wie angewurzelt, mit verschränkten Händen vor sich auf der Arbeitsplatte, versuchte Momoko sich zu fangen und zusammenzureißen, während ihr Vater außerhalb der Küche abgelenkt war. So hatte er das also wahrgenommen? Was sich liebt, das neckt sich? Waren das nicht sogar auch schon damals die Worte ihrer Freundinnen gewesen? Hatte es tatsächlich schon immer eine Verbindung oder zumindest eine gewisse Spannung zwischen Yosuke und ihr gegeben, in die man mehr hineininterpretieren konnte, als sie selbst sich bewusst gewesen waren? Das Schicksal hatte ein wirklich eigenartiges, morbides Spiel mit ihnen bis hier her getrieben. „Kommst du mit dem Essen?“ „Ja, na klar!“ Sie holte tief Luft und schluckte die Traurigkeit hinunter, die sich an die Oberfläche zu kämpfen versuchte. Der Reiz, sich an die Brust ihres Vaters zu werfen und ihm alles zu gestehen, wuchs mit jedem Wimpernschlag. Aber sie musste tapfer sein; für ihn, für sich, für Yosuke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)