~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 54: An unexpected visitor --------------------------------- Nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, hatten sie sich verlegen angelächelt, ihre Umarmung gelöst und fertig geduscht, als wäre nichts gewesen. Der Duft von Yosukes Limonen-Duschgel erfüllte den schwülen Raum, während sie sich mit Handtüchern trocken rubbelten. In der Luft zwischen ihnen lag immer noch das Knistern und eine gewisse Hitze, die ganz sicher nichts mit den sommerlichen Außentemperaturen zu tun hatte. Momoko fühlte sich zum ersten Mal etwas unbehaglich und vor allem unbeholfen in ihrer Haut. Sie war um jedes Wort verlegen, wich peinlich berührt Yosukes Blicken aus und wusste auch sonst nicht so recht, wie sie sich verhalten oder was sie sagen sollte. Ihr Körper hatte sehr heftig auf das Vergnügen in der Dusche reagiert – ungewohnt heftig. Weil sie wusste, dass er es gemerkt hatte und sie deswegen immer wieder mit undefinierbaren Blicken taxierte, war es ihr unangenehm. Es war absurd und trotzdem befürchtete sie, dass er ihr vielleicht an den Augen ablesen konnte, wieso sie sich so ungezügelt hingegeben hatte. Yosukes dunkle, braungrüne Augen hatten die Angewohnheit, sie am Grund ihrer Seele zu erschüttern, wenn er es nur darauf anlegte. Momoko wollte kein offenes Buch für ihn sein und mit ihren Geheimnissen den Augenblick oder gar mehr zerstören. Diese Gefühle gehörten nur ihr allein. „Du hast mich ganz schön überrascht.“, sprach er das sensible Thema schließlich doch an. Mit abgewandtem Gesicht rollte die junge Frau ihren letzten Kniestrumpf hoch. „Ach wirklich?“, gab sie unbeeindruckt zurück, so als wüsste sie nicht worauf er anspielte. Ein kleiner, kesser Klapps auf ihren Po ließ sie aufschrecken. Entrüstet rieb sie ihr Gesäß und starrte den Übeltäter aus blitzenden Augen an. Er lachte ein unschuldiges Jungenlachen; wie das eines Kindes, das sich über einen erfolgreichen Streich amüsierte. Nur sein Blick war anzüglicher. „Ja, wirklich. Ich meine, wir waren ja beide ziemlich angeturnt, aber das, was du da drinnen mit mir gemacht hast und wie dein Körper reagiert hat…“, er führte den Satz nicht zu Ende, aber machte eine Handbewegung, als hätte er sich an etwas Heißem verbrannt und stieß einen anerkennenden Pfiff dazu aus. Es war als Kompliment gemeint, da war Momoko sich sicher, aber sie schämte sich unendlich dafür, obwohl sie nichts bereute und jede Kleinigkeit genossen hatte. Jederzeit wieder würde sie all diese kleinen Sünden mit ihm wiederholen, wenn sie nur die Gelegenheit dazu bekäme. Doch etwas fehlte; etwas daran fühlte sich diesmal unvollkommen an. „Das wird mir in den nächsten Wochen sehr fehlen.“, witzelte Yosuke, während er sein Haar mit zwei Handgriffen vor dem Spiegel in Form brachte. Die Rosahaarige seufzte unhörbar. Er ließ ihr keinen Zweifel daran, dass er ganz anders zu der Sache stand als sie. Ihr Stelldichein war vorbei und sie beide bereits wieder voll bekleidet, doch noch immer strömte das Blut in Momokos Venen, heiß und rauschend. Ihr Herz pumpte es heftig schlagend vorwärts durch ihren Körper, was es gleichzeitig unmöglich machte die verräterische Röte, auf ihren Wangen, loszuwerden. Der Dunkelhaarige grinste sie deswegen verschlagen an - er verstand ihre Körpersprache ganz falsch. Für ihn war es nur reines Verlangen gewesen; ein Vergnügen, eine Zerstreuung. Das konnte sie ihm nicht übelnehmen, denn genauso war es ja gedacht gewesen, als sie beide diese Affäre angefangen hatten. Es war nicht seine Schuld, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Gedankenversunken und darauf konzentriert, ihren Puls wieder auf Normalfrequenz zu senken, fuhr Momoko sich immer wieder mit den Fingern kämmend durch ihr handtuchtrockenes Haar. Sie hatte es plötzlich sehr eilig, wieder von hier weg zu kommen. So nah war sie ihm gekommen... nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal im vollen Bewusstsein ihrer Gefühle für ihn. Als er sie angefasst, geküsst und schließlich Sex mit ihr gehabt hatte, war etwas in ihr explodiert. Was sie dabei empfunden hatte ließ sich nicht mit Worten beschreiben. Es gab einen deutlichen Unterschied zwischen bedeutungslosen Sex und welchem aus Liebe, das wusste sie nun. Zwar war es für sie mit Yosuke nie wirklich bedeutungslos gewesen, aber das eben... Momoko konnte den Gedanken nicht beenden; ein wohliger Schauer schüttelte sie und die Tauben in ihrem Bauch waren wieder da. Mit ihnen drängte sich ein stumpfer Schmerz in ihre Brust. Ein Gefühl von Wehmut... Es war an der Zeit zu gehen und das für einen längeren Zeitraum. Das nächste Wiedersehen oder gar die nächste Zweisamkeit, war noch nicht abzusehen. Aber das Schlimmste daran war - und das versuchte sie vehement zu verdrängen – Yosukes Herz würde ihr nicht folgen; es gehörte nicht ihr. Und das würde es auch nie. „Hast du vielleicht einen Fön?“, fragte sie hektisch. Sein Gast wollte nur noch nach Hause, weg aus dieser Wohnung und weg von ihm. „Alles in Ordnung?“, fragte Yosuke, verwundert über ihr Verhalten und das Gesicht, das sie machte. Wortlos reichte er ihr aus einem Wandschrank einen Föhn, den sie sofort anschloss und machte ihr Platz vor dem Waschbecken, wo sie sich eine Weile schweigend den heißen Wind ums Gesicht blasen ließ. „Ich will schnell heim, bevor Hiromi hier auftaucht!“, rief sie dem Dunkelhaarigen über das ohrenbetäubende Getöse hinweg zu. Über ihre Schulter sah sie ihn im Spiegel lächeln. Verständnisvoll, wenn auch kopfschüttelnd. Das war einer der Gründe, wieso sie die Flucht vor ihm ergreifen musste; sein Lächeln, sein Charme, seine Nähe. In der Dusche, nachdem sie... fertig waren, hatte ein Teil von ihr nach mehr verlangt. Momoko wollte sich am liebsten ewig an ihn schmiegen, seine Arme um sich spüren, seine Wärme und seinen Geruch in sich aufnehmen und ihn küssen. Alles auf eine verliebte Weise, die ihr nicht vergönnt war. Sie hatte Worte für ihn, die niemals an sein Ohr dringen durften, stumm hinuntergeschluckt. Körperlich war sie befriedigt, aber seelisch klaffte ein Loch in ihrer Mitte auf; eine Wunde, mit der die junge Frau nicht gerechnet hatte. Obwohl sie mit Yosuke zusammen war und es nicht inniger hätte sein können, fühlte sie sich einsamer als zuvor. „Ich glaube nicht, dass sie schon so bald wieder Zuhause sein wird. Sie meldet sich zuverlässig nach jedem Termin bei mir.“, versuchte er sie zu beruhigen, um vielleicht noch etwas gemeinsame Zeit mir ihr herauszuschlagen. „Nichts für ungut, aber wir hatten schon ein Mal das Vergnügen, fast erwischt zu werden. Ich möchte unser Glück lieber nicht überstrapazieren.“ Momoko überwand sich zu einem verschmitzten Lächeln und ordnete noch mit letzten Handgriffen ihre fluffige Mähne. „Schade, dass wir uns jetzt so lange nicht mehr sehen werden.“, erinnerte Yosuke sie wieder. Ehrliches Bedauern stand in sein Gesicht geschrieben, als sie im Korridor nach ihrer Schultasche griff und auch schon in ihre schwarzen Halbschuhe schlüpfte. Er machte ihr die Flucht, weg von ihm, die ihr auch ohne seine Wehmut schon schwer genug fiel, nur noch unerträglicher. Was hatte sie sich da nur selbst angetan? „Das werden wir schon überleben.“, witzelte sie. Ihre Antwort hatte sie bewusst sarkastisch und leichtfertig dahingesagt. Sie spürte Yosukes zerknirschten Blick in ihrem Rücken kribbeln. Er musste gar nichts erwidern damit sie wusste, dass er mit dieser Aussage nicht zufrieden war. „Also dann.“, setzte sein Gast schließlich an, als sie bereit zum Gehen war. „Bis dann.“ Beide sahen sich zum Abschied noch einen Augenblick lang an. Jeder von ihnen schien darauf zu warten, dass der andere noch irgendwas Abschließendes sagte oder tat, aber dazu kam es nicht. Sie schauten einander einfach nur an. Ihre Blicke füreinander waren voller Gefühle und Gedanken, die einfach nicht den richtigen Kanal nach draußen finden wollten. In Momokos Brust zog sich bei dem traurigen Glimmen in Yosukes Augen, dem im Kontrast dazu sein Lächeln gegenüberstand, etwas unangenehm zusammen. Es raubte ihr die Luft zum atmen und weckte den Wunsch, wenigstens irgendwas zu ihm zu sagen, das sie erleichterte. Plötzlich regte sich hinter ihr etwas; ein Schlüssel klimperte auf der anderen Seite der Wohnungstür im Schloss und entriegelte sie. Es erwischte die Beiden eiskalt, schlagartig wich ihnen alles Blut aus den Gesichtern. „Hallo? Jemand Zuhause?“ Eine feine Frauenstimme verschaffte sich Gehör, während die schwere Tür erfolgreich aufschwang. Ein Rollkoffer passierte zuerst die Türschwelle, hinter der Yosuke und Momoko versteinert und leichenblass verharrten. Braungrüne Augen – dieselben wie Yosukes – schauten nun direkt und ziemlich verblüfft in Momokos entgeistertes Gesicht. „Nanu?“ Der erstaunte Blick der Frau, die offensichtlich nicht Hiromi war, wanderte von der Rosahaarigen hinüber zu dem vermeintlichen Hausherrn, dieser Wohnung. „Mutter?!“, formten seine angespannten Lippen. Mit offenem Mund starrte sein weiblicher Besuch, der im wahrsten Sinne des Wortes zwischen ihnen stand, von einem zum anderen hin und her. »Seine Mutter?«, ging es Momoko wie ein Echo durch den Kopf. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen: Yosuke hatte dieselben warmen und wachsamen Augen und die gleiche kleine, skeptische Falte zwischen den Augenbrauen. Die Frau mittleren Alters, ähnlich wie ihr eigener Vater, trug die hellbraunen Haare knabenhaft kurz geschnitten. Brav umrahmten sie ihr schmales Gesicht, was ihre ohnehin kleine Gestalt, in dem förmlichen Hosenanzug, noch zierlicher wirken ließ. „Ich freue mich auch dich zu sehen, mein Sohn.“, durchbrach ihre Stimme erneut die peinliche Stille. Yosuke blinzelte seine Verwirrung fort und lockerte seine verkrampfte Haltung. „Mutter, was machst du denn hier?!“ Sie schnaubte verächtlich, noch immer im Türrahmen stehend. „Entschuldige mal, das hier ist auch meine Wohnung. Tut mir leid, wenn ich ungelegen und ohne Anmeldung hier aufgetaucht bin.“ Prüfend huschte ihr Blick zu Momoko zurück, die unwillkürlich schluckte. Ihre vertrauten Augen zogen sich kurz nachdenklich zusammen, aber sie vergas in keiner Sekunde trotzdem nett zu lächeln. „Kennen wir uns?“, fragte sie die Rosahaarige, die unbehaglich von einem Fuß auf den anderen tänzelte. „Wie, was?“, stammelte sie überrumpelt. „N-nein! Nicht das ich wüsste! Entschuldigung, dass ich hier so herumstehe!“ Hastig straffte sie ihre Haltung und verbeugte sich höflich, was sie als gut erzogene, japanische Schülerin längst getan hätte, wenn sie nicht vor Schreck so erstarrt gewesen wäre. „Mutter entschuldige bitte, das ist eine ehemalige Mitschülerin von mir. Momoko Hanasaki.“, unterstützte Yosuke sie hastig. Auch seine Stimme klang noch belegt und trocken von dem Schock. „Hanasaki?“, wiederholte die gepflegte Frau mit einem seltsam überraschten Klang in der Stimme. Noch mit gesenktem Kopf bestätigte die Angesprochene die Rückfrage nickend. „Ich war gerade dabei zu gehen, ich möchte ihr Wiedersehen nur ungern stören!“ Momoko verbeugte sich ein weiters Mal und das so tief, dass ihr die ungebändigten Haare ins Gesicht fielen. In dieser demütigen Haltung machte sie Yosukes Mutter Platz, damit sie eintreten konnte und drängte sich kurz darauf auch schon selbst hinaus. „Du kannst ruhig noch bleiben.“, wollte die Kurzhaarige sie beruhigen, aber Momoko schüttelte vehement den Kopf. „Nein danke, vielleicht ein anderes Mal. Ich habe es ziemlich eilig.“ Ein Mal noch schauten ihre blauen Augen nervös zu Yosuke hinüber, dem ebenfalls noch immer die Anspannung ins Gesicht geschrieben stand. Dann ging sie ohne ein weiters Wort; das war kein schöner Abschied, doch vielleicht war im Moment alles besser, als sich lange bedeutungsvoll, aber ohne etwas zu sagen anzustarren. Nur auf den entsetzlichen Schrecken, als sie beide eine Sekunde lang dachten, dass sie nun tatsächlich auffliegen würden, hätte sie gut und gerne verzichten können. Akiko Fuma schloss nach einem Moment des Innehaltens die Tür hinter sich. Die nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn war noch da, als sie sich ihrem Sohn zuwendete, dessen Fäuste sich nervös immer wieder abwechselnd öffneten und schlossen. Ihre gutmütigen Augen musterten den jungen Mann eingehend, der offensichtlich immer noch ganz entgeistert wegen ihres spontanen Besuches war. „Meine Güte… wie erwachsen du geworden bist.“ Staunen und mütterlicher Stolz schwang in ihrer Stimme mit. Sie ließ ihren Koffer stehen und streckte die Hände nach dem jungen Mann aus, den sie Sohn nannte. Akiko strich an seinen Oberarmen auf und ab und lächelte ihn beinahe schüchtern an. „Wir haben uns Monate nicht gesehen, möchtest du deine alte Mutter nicht begrüßen?“ Yosuke lächelte verschmitzt und schlang endlich die Arme um sie. Sie war fast so klein wie Momoko, aber auf eine andere Art zierlich und zerbrechlich. Ihre Haut war blass, weil sie in ihrem anstrengenden Bürojob keine Sonne abbekam und sie roch nach einem dezent blumigen Parfum, das sie schon benutzte, als er noch klein gewesen war. „Tut mir leid, dass ich so überrumpelt war. Willkommen Zuhause.“ Liebevoll tätschelte die Heimgekehrte seinen Rücken, bis sie wieder voneinander abrückten, damit sie sich ihrer Schuhe und des Blazers entledigen konnte. „Meine Güte, ist das heute vielleicht heiß draußen!“, beklagte sie sich dabei. „Ist Hiromi gar nicht da?“ Yosuke versteifte sich augenblicklich und riss die Augen weit auf. Seine Mutter sah ihn ruhig an, doch hinter der gelassenen Miene lag etwas Ernstes verborgen. Als sie in sein erblasstes Gesicht sah hob sie die Augenbrauen an und stemmte die Hände in die Taille. „Jetzt schau nicht so, als ob du einen Geist gesehen hättest! Was glaubt du wohl, wieso ich hier bin?“ Der Dunkelhaarige schluckte. „Du weißt es?“ Akiko schnaubte wieder und reckte das schmale Kinn vor. „Allerdings. Und ich hätte mir gewünscht solche Nachrichten direkt von meinem Sohn zu bekommen, anstatt per Textnachricht von seiner Freundin.“ Schuldbewusst und innerlich wütend darüber, dass Hiromi das ohne nachzufragen vorweg genommen hatte, senkte Yosuke den Blick. „Yosuke…“, begann sie noch mal beschwörend. „Wie konnte das passieren? Warum hast du mir nichts erzählt? Ich meine, wie weit ist Hiromi? Sie ist im dritten Monat oder? Wann dachtest du, dass du es mir sagen willst?“ Er sah sie an und fand keinen Vorwurf in ihren Augen, nur Sorge und die Enttäuschung darüber, dass ihr eigener Sohn ihr anscheinend nicht genug vertraute. „Stell dir vor, wenn die Schule sich bei mir gemeldet hätte… vielleicht sogar direkt in meinem Büro…“ „Ich wollte noch warten!“, fiel ihr Sohn ihr ins Wort – sein Gesichtsausdruck war gequält. „Warten? Worauf?“, flüsterte Akiko verwirrt. „Die Ärzte sagen, dass die ersten zwölf Wochen nicht sicher sind…“ Wieder senkte Yosuke den Blick. Mehr wollte er dazu nicht sagen. Er wollte nicht erklären müssen, dass ein Teil von ihm – auch wenn er sehr klein war und leise und heimlich in ihm schlummerte – darauf wartete, ob Hiromi das Kind innerhalb dieser Frist vielleicht doch noch verlor. Niemals würde er ihr das wünschen oder es gar provozieren, aber dieser dunkle Gedanke war manchmal trotzdem da. Und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst sein wollte, dann musste er sich eingestehen, dass dieser Gedanke lauter wurde, je mehr Zeit er mit Momoko verbrachte. „Ich verstehe.“ Das war alles, was seine Mutter sagte und dabei wirkte sie keinesfalls unzufrieden. „Tut mir leid, dass ich uns in diese Situation gebracht habe. Die lebenserfahrene Frau schüttelte den Kopf und legte ihrem Sohn eine Hand auf die Wange. „Das muss es nicht. Ein Kind entsteht nie aus der Schuld eines Einzelnen, daran sind immer zwei Personen beteiligt. Ich wünschte nur, ihr wäret älter.“ Sie seufzte schwer. „Komm, wir müssen nicht hier zwischen Tür und Angel reden. Lass den Koffer stehen, wir gehen ins Wohnzimmer.“ Zum ersten Mal empfand Yosuke so was wie Erleichterung darüber, dass er inzwischen wieder das Bett mit Hiromi teilte. Sein zusammengelegtes Bettzeug auf dem Sofa hätte bei seiner Mutter ganz sicher einige Fragen aufgeworfen. Er holte den Eistee aus der Küche, den er eigentlich für sich und Momoko kalt gestellt hatte und setzte sich dann an den kleinen Esstisch. „Hiromi ist dann wohl beim Arzt?“ „Ja, aber sie kommt sicher bald heim. Wusste sie, dass du kommst?“ „Nein, aber ich denke schon, dass sie darauf spekuliert hat.“ Yosuke sparte sich die Frage, wie sie zu dieser Annahme kam. Der Blick seiner Mutter verriet es ihm auch so. Bestimmt hatte Hiromi sehr freimütig von ihrem besonderen Umstand berichtet und den ein oder anderen Wink mit dem Zaunpfahl ausgeteilt. Akiko trank ihr Glas in einem Zug aus. „Zwischen euch kriselt es etwas?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen begegnete ihr Sohn ihrem Blick. „Hat sie das gesagt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie hat zwar erwähnt, dass ihr anfangs einen Streit hattet, aber das ist es nicht. Es ist mehr deine Körpersprache, die es mir verrät.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, so als ob das etwas daran ändern würde, dass seine Mutter ihn durchschaute. „Die Art wie du schaust, wie du ihren Namen aussprichst oder wie du dich beim Klang ihres Namens versteifst – das verrät es mir. Seit ich durch die Tür gekommen bin hast du dich noch nicht ein Mal so richtig locker oder liebevoll gezeigt. Außer zu mir natürlich.“ „Das Babythema belastet mich.“, versuchte Yosuke sich zu rechtfertigen. Wieder schüttelte sie ihr kurzhaariges Haupt. „Auch wenn ich dir das glaube, so denke ich nicht, dass das alles ist.“ Diesmal seufzte Yosuke. „Es ist kompliziert, aber ich möchte darüber nicht reden.“ Sein Gegenüber goss sich Eistee nach und zog eine Augenbraue hoch. „Dieses Mädchen da vorhin, hat sie etwas damit zu tun?“ „Nein!“, schoss es sofort aus Yosuke heraus. Erschrocken über sich selbst, blieb ihm der Mund offen stehen. Verdutzt verschüttete seine Mutter beinahe ihr Getränk. „Ist ja schon gut, kein Grund laut zu werden.“, ermahnte sie ihn vorwurfsvoll. „So war das nicht gemeint, aber dann erzähl doch nicht solchen Unsinn.“ Er fühlte sich sichtlich unwohl. Fahrig fuhr er sich durch sein Haar und starrte an ihr vorbei Löcher in die Luft. Akiko kniff die Augen zusammen. „Was wollte sie denn hier? Hanasaki war ihr Name oder?“ „Sie ging in der Mittelschule in eine Parallelklasse von mir, wir kennen uns noch von damals.“ „Seit ihr Freunde?“ „Ich denke schon, ja.“ „Du denkst?“ „Ja – wir sind Freunde.“ Seine Mutter lachte ein leises, jugendliches Lachen. Ihr Sohn hingegen grummelte. „Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du damals mit einem Mädchen befreundet warst.“ „Damals war das auch anders zwischen uns.“ „Ach so?“ Er redete schon wieder zu viel. Im Kreuzverhör seiner Mutter würde er sich über kurz oder lang um Kopf und Kragen reden, wenn er nicht aufpasste. Er sammelte sich und holte tief Luft, eher er erneut sprach. „Wir haben uns auf einem Klassentreffen vor einigen Wochen eigentlich erst so richtig angefreundet, nachdem wir ein paar Sachen von früher aus der Welt geschafft haben. Seitdem treffen wir uns manchmal und reden miteinander. Einfach nur so.“ Jetzt hob die erwachsene Frau auch die andere Augenbraue skeptisch. „Das klingt ein bisschen ungewöhnlich. Und Hiromi?“ Yosukes Finger umklammerten das Glas in seiner rechten Hand so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sein Blick wurde finster und unnachgiebig. „Sie hat etwas gegen Momoko, deswegen weiß sie nicht, dass wir Kontakt zueinander haben und es wäre schön, wenn das so bleibt.“ Ein undefinierbarer Ausdruck funkelte in den Augen seiner Mutter. „Wenn du sie beim Vornamen nennst muss sie eine sehr gute Freundin sein. Aber solche Geheimnisse vor deiner Partnerin?“ „Mutter, bitte… Hiromi ist sehr eigen. Sie reagiert eifersüchtig auf jedes Mädchen, das mich auch nur ansieht.“ Ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Kein Wunder, du bist mir ja auch sehr gut gelungen.“ Mit hängenden Schultern resignierte Yosuke, atmete entnervt aus und trank sein Glas leer. „Tu mir einfach den Gefallen und erwähne sie bitte nicht vor Hiromi. Es ist auch ohne solche Dinge ein Drahtseilakt, mit ihr momentan auszukommen.“ „Das sind bestimmt die Hormone.“ Diesmal lachte ihr Sohn sarkastisch. „Ja, das rede ich mir dann auch immer wieder ein.“ Akiko erwiderte das mit einem Schmunzeln. „Hiromi war ja schon immer ein bisschen… speziell.“ Die Wahl seiner Freundin hatte seine Mutter von Anfang an überrascht. Sie hatte es für eine vorübergehende Laune gehalten oder für den halbherzigen Versuch, erste Erfahrungen mit einem Mädchen zu sammeln. Das ausgerechnet aus ihnen beiden ein ernstes Paar werden würde, obwohl Yosuke durchaus andere, stilvollere Mädchen mit mehr Herz, vor allem aber mit mehr Verstand, hätte haben können – damit hatte sie nicht gerechnet. Doch die Wochen und Monate glitten dahin und ein Ende war nie in Sicht gewesen. Ob das nun der anerzogenen Loyalität ihres Sohnes oder der Hartnäckigkeit Hiromis zu verdanken war, blieb ihr bis zum heutigen Tag ein Rätsel. Jedenfalls hatte sie es sich nie angemaßt über diese Beziehung zu urteilen oder sie gar in Frage zu stellen. Selbst, als sie arbeitsbedingt aus- und Hiromi dafür bei Yosuke eingezogen war, hatte sie das trotz des Alters der Beiden und ihres Gesellschaftsstandes nicht kritisiert. „Speziell trifft es ziemlich gut.“, scherzte ihr Gegenüber amüsiert. „Es ist schön, dich lächeln zu sehen.“, bemerkte Akiko glücklich, doch etwas ging ihr nicht aus dem Kopf. „Noch mal wegen diesem Mädchen, Momoko. Sie kam mir so bekannt vor… dabei bin ich mir sicher, dass ich sie noch nie gesehen habe. Weißt du, wie ihre Eltern heißen? Hanasaki sagt mir irgendwas… ich komme nur nicht drauf.“ Sofort misstrauisch und skeptisch, überlegte Yosuke sich seine Worte sehr gut. „Hm… Ihre Mutter kenne ich nicht, aber ihr Vater heißt Shôichirô Hanasaki, soweit ich weiß.“ In ihr Gesicht trat derselbe überraschte Ausdruck, den sie schon gehabt hatte, als Momoko vor ihr gestanden- und sich vorgestellt hatte. „Wirklich?“, fragte sie mit viel zu hoher Stimme. Es klang so betont eher wie ein Tatsächlich? und weniger wie eine Frage, sondern mehr wie eine überraschte Feststellung. Nachdenklich tippte sie mit dem Zeigefinger auf ihre Lippen; den Blick abgeschweift in ihre Gedankenwelt. „Die Haare, die Augenfarbe…“, murmelte sie leise und unverständlich vor sich hin, Yosuke hatte sie völlig ausgeblendet. „Mutter?“, hinterfragte er und räusperte sich dazu lautstark. „Oh, entschuldige! Ich habe geträumt. Mir fiel ein, dass sie jemanden ähnelt, den ich früher kannte… Aber jetzt bin ich wieder voll da!“ „Schön zu hören.“, erwiderte der Dunkelhaarige etwas verwundert. Etwas zerstreut und verträumt war seine Mutter ja schon immer gewesen. „Wie lange wirst du denn eigentlich hierbleiben?“ „Willst du mich etwa schon wieder los werden?!“, moserte seine jung gebliebene Mutter künstlich beleidigt, sodass er lachte. „Nein, nein. Wir haben uns lange nicht gesehen und uns bestimmt viel zu erzählen. Ich möchte nur wissen, wie viel Zeit wir haben, unsere Geschichten auszutauschen.“, versicherte Yosuke ihr mit einem Augenzwinkern. „Ich habe mir nur heute, morgen und das Wochenende freischaufeln können. Ich bin ziemlich Hals über Kopf aus der Stadt hierher gekommen. Die Nachricht von Hiromis Schwangerschaft kam so überraschend, dass ich alle Kollegen so lange verrückt gemacht habe, bis sie für mich diese zwei Tage einsprangen. Ich musste einfach sofort herkommen und mich vergewissern, dass es dir gut geht und ihr Zwei das hinbekommt. Wir werden wirklich viel zu bereden haben.“ Bei den letzten zwei Sätzen hatte seine Mutter sich zu ihm über den Tisch gelehnt und ihre Hand nach seiner ausgestreckt. Er löste seine verschränkten Arme auf und legte seine Hand in ihre. „Du kannst mit mir über alles reden; wir zwei müssen uns wie immer aufeinander verlassen können, nicht wahr?“ Die Zuversicht in den Augen der Frau, die ihn ganz allein und ohne Hilfe großgezogen hatte, musste einfach auf ihn abfärben. Er würde weder sie enttäuschen, noch Hiromi. Das war sein oberstes Ziel, auch wenn ihm eine leise Stimme kummervoll immer wieder einen anderen Namen zuflüsterte. Sanft drückte er die Finger seiner Mutter. „Ja.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)