~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 24: Helter-Skelter -------------------------- Nervös und mit mulmigem Gefühl, tätigte Momoko die letzten Handgriffe an ihrem Outfit. Das rote Kleid passte ihr tatsachlich fantastisch und der Rock formte wie erwartet einen richtigen Teller, wenn sie sich schnell um die eigene Achse drehte. Passend zu der großen Schleife auf ihrer Hüfte, hatte sie sich ein schwarzes Haarband in die offenen Haare gebunden und auf der rechten Seite ebenfalls zu einer Schleife verknotet. Weil sie außerdem nicht der Typ für High-Heels war, hatte die Rosahaarige auf farblich passende Ballerinas zurückgegriffen. Erst im Spiegel fiel Momoko auf, dass das Rot des Stoffes perfekt mit dem roten Stein ihres Verlobungsringes harmonierte. Sie streckte ihre rechte Hand in die Luft und betrachtete ihn verträumt. »In nicht mal einem Jahr bin ich also eine Amano…«, dachte sie und zog dabei die Stirn in Falten. Die Vorstellung war irgendwie absurd und unwirklich, aber der Beweis dafür prangte schimmernd an ihrem Ringfinger. Heute zeugte davon auch das Kleid auf ihrer Haut, ja selbst die Rosen, in der Vase auf dem Esstisch, erinnerten sie daran. Oft hing Momoko diesen Gedanken nach, aber sie hatte nicht das Gefühl, als hätte sie es inzwischen wirklich verinnerlicht. Es läutete; das musste Takuro sein! Noch einmal warf die Blauäugige ihr volles Haar ordentlich nach hinten und zupfte alles gerade, ehe sie zur Tür eilte und sie öffnete. „Guten Abend, schöne Frau.“, begrüßte sie ein verschmitzt grinsender, junger Mann, der sich vornehm vor ihr verbeugte und ihr dabei zuzwinkerte. Takuro sah sehr, sehr fein aus in seinem schwarzen Nadelstreifenanzug und dem bordeauxroten Hemd darunter. Sein längeres Haar war wie immer in einem strengen Zopf in seinem Nacken gebändigt. „Wow, du siehst gut aus in diesen Klamotten!“, lobte Momoko ihn anerkennend. „Ach, ich bin doch nichts im Vergleich zu dir! Schau dich an, du bist wie die Rosen, die ich dir geschickt habe.“, schmeichelte er ihr. Sie konnte nicht anders als zu erröten. „Danke…“, hauchte sie verlegen. „Hat dir meine kleine Aufmerksamkeit von gestern also gefallen?“, hinterfragte er hoffnungsvoll. „Ja, das Kleid und die Blumen sind wundervoll, aber das war doch bestimmt teuer…“ Er winkte ab, als wäre das nichts, worüber sie sich Gedanken machen musste. „Wenn ich meiner Verlobten eine Freude machen will, dann tue ich das. Sag, wie geht es dir? Fühlst du dich heute wohler?“ Momoko nickte eifrig. Bereits in der Nacht zuvor hatten die Nebenwirkungen der Pille danach endlich angefangen nachzulassen. Sie fühlte sich an diesem Abend bereits wieder wie die Alte. „Ja, danke. Alles in Ordnung.“ Takuro schien erleichtert und hielt ihr seine Hand hin, um sie zu dem Wagen zu führen, der auf sie beide wartete. Sie schnappte sich noch eben ihre vorbereitete, kleine, schwarze Lacktasche vom Kleiderhaken und nahm dann seine Geleit anbietende Hand an. „Wohin fahren wir?“, fragte sie neugierig, als sie sich wieder auf der feinen Lederrückbank nieder ließ. „Lass dich überraschen, ich habe etwas sehr Schönes für uns beide geplant.“ Die Autofahrt dauerte eine Weile und führte immer tiefer in die Stadt hinein, wo die Gebäude höher und imposanter wurden. Moderne Türme aus Unmengen Glas, Stahl und Beton reihten sich aneinander. Alles sah sehr steif, geschäftlich und teuer aus. Fuhr Takuro mit ihr in ein Business-Viertel? Wenn ja, warum? Ihre unausgesprochene Frage beantwortete sich von selbst, als sie schließlich vor einem riesigen Hotel anhielten. Noch durch die dunkle Fensterscheibe spähte Momoko nach oben und versuchte, wenigstens ansatzweise, einzuschätzen, wie viele Stockwerke es wohl hatte. „Beeindruckend, nicht wahr?“ Ertappt drehte sich die junge Frau zu ihrem Verlobten um, der sie zufrieden anlächelte. „Es ist riesig! Gehen wir jetzt wirklich da rein?“ Der Schwarzhaarige nickte verschwörerisch. Etwas unbehaglich rutschte sie daraufhin auf ihrem Sitz hin und her. Natürlich konnte man in einem Hotel so einiges mehr machen, als nur dort zu übernachten, aber die Ungewissheit darüber, was sich Takuro wirklich dabei gedacht hatte, bereitete ihr Bauchschmerzen. Er stieg aus und öffnete ihr ganz Gentlemanlike die Autotür. So elegant wie möglich stieg Momoko aus; sie war heilfroh, sich für flache Schuhe entschieden zu haben. Unter ihren Füßen, bis zum Eingang des Hotels, erstreckte sich ein roter Teppich, auf den sie konzentriert ihren Blick richtete, während Takuro und sie am Concierge vorbei gingen und eintraten. Eingeschüchtert von dem Prunk und Protz um sie herum, zog die Rosahaarige ihren Kopf ein und sah sich eher zaghaft um. Ein heller, teuer aussehender Steinboden unter ihren Füßen; dunkle Holzvertäfelungen an den Wänden; verschnörkelte Tapeten; erdrückend viel Stuck und schwere Deckenleuchter aus goldenem Metall und Kristallglas. All das empfing sie allein schon in der Eingangshalle! Was um Himmels Willen hatte ihr Begleiter nur mit ihr vor? Angst und bange wurde ihr, als er sich an der Rezeption eine Schlüsselkarte abholte. Momoko hatte gehofft, sie würden vielleicht hier unten in der Lounge irgendetwas machen oder das Hotelrestaurant aufsuchen, aber was wollte er mit dieser Karte? »Doch nicht etwa…?!« Scharf einatmend ermahnte sie sich selbst zur Ruhe. Takuro würde niemals dreist und forsch genug sein, um mit ihr zielstrebig auf eines der Zimmer gehen! Hoffentlich. „Aufgeregt?“, fragte er sie, als er sie so versteift zum Aufzug führte. „Ein wenig.“, gestand die Blauäugige. Mit einem Pling öffneten sich die Fahrstuhltüren. Drinnen kam die Karte in Takuros Händen zum Einsatz. Gekonnt zog er sie durch einen Schlitz und drückte dann die Knöpfe zu der allerobersten Etage. Mit Herzrasen zählte Momoko jedes einzelne Stockwerk mit. Die Fahrt wurde zu einer Zerreißprobe für ihre Nerven. „Du musst nicht nervös sein, es wird dir gefallen.“, erklärte Takuro ruhig und gelassen. Seine Worte waren jedoch alles andere als beruhigend! Um sich ihre zitternden Finger nicht anmerken zu lassen, schloss sie sie fest um den Schultergurt ihrer kleinen Umhängetasche. Es machte wieder Pling. Momoko kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. »Bitte lass es keine Suite mit Kingsizebett sein!« Kaum war ihr stummes Stoßgebet gen Himmel gesandt, überwand sie sich und öffnete wieder ihre Augen. Takuro und sie standen in einem unspektakulären Hausflur, in dem eine Treppe nach unten und eine andere nach oben führte. „Wir müssen das letzte Stück leider laufen, aber dann sind wir da.“ Zuversichtlich strahlte der Dunkelhaarige sie an und reichte ihr seine Hand, die sie annahm, um ihm anschließend die letzten Stufen nach oben zu folgen. „Gehen wir auf das Dach?“, hinterfragte Momoko unsicher. „Erraten.“, antwortete Takuro und drückte die schwere Eisentür nach außen hin auf. In der Abenddämmerung lag vor ihnen eine großzügige Dachterrasse, auf dem ein großes, rundes Gestell mit einem Baldachin stand. Darunter standen auf der rechten Seite ein kleiner, ovaler Tisch und zwei Stühle. Zur Skyline hin war der Stoff des Baldachins hoch gebunden, damit man ungehindert die Aussicht genießen konnte. Sprachlos staunte die junge Frau über das ungewöhnliche Ambiente. „Bei der Aussicht fehlen einem die Worte, nicht wahr?“ Ihr Begleiter zog sie sanft mit sich weiter auf das Dach und direkt unter das Zelt. Jetzt sah sie auch, warum auf der linken Seite so viel Platz war, denn am Rand stand eine Musikanlage. »Oh je, er will doch nicht etwa tanzen?!« Eine Horrorvorstellung für Momoko, denn für klassischen Paartanz war sie überhaupt nicht geschaffen! Sie war schon froh, wenn sie sich im normalen Alltag nicht schon durch ihre Tollpatschigkeit die Knochen brach. „Ich hoffe, du hast Hunger?“, riss sie Takuros Stimme aus ihrer Schockstarre. „Oh, äh, ja!“, stotterte sie und musterte den bereits gedeckten Tisch. Eine einfache Kerze stand in der Mitte und auf jeder Seite verdeckte eine silberne Cloche ihre wahrscheinlich bereits fertigen Speisen. Ihr Blick schweifte über die Skyline, als sie sich setzte. Sie waren wirklich hoch, das Hotel musste eines der größten Gebäude der Stadt sein, denn in der Ferne konnte man sogar noch die Hügel erkennen, auf denen die Kirschbäume blühten. „Stimmt etwas nicht? Du bist so still?“ Takuro, der sich inzwischen ihr gegenüber gesetzt hatte, musterte sie fragend. Momoko schüttelte den Kopf und setzte ein Lächeln auf. „Nein, alles in Ordnung! Ich bin nur… überwältigt. Das ist alles so fein und schick. Ich bin so was Nobles nicht gewöhnt.“ Er grinste erleichtert. „Nur das Beste für dich, das weißt du doch.“ Natürlich. Er wollte sie standesgemäß beeindrucken und ihr zeigen, was bald schon ihre Welt sein würde. Es war aber so merkwürdig tagsüber wie ein ganz normales Durchschnittsmädchen in die Schule zu gehen, nebenbei zu jobben und einen Haushalt zu führen und sich dann plötzlich wieder in einer luxuriösen Umgebung wiederzufinden. Es war ein bisschen wie bei Aschenputtel, allerdings hatte Momoko das Gefühl, dass ihr der gläserne Schuh nicht passte. Takuro gab mit seiner Hand ein verwirrendes Zeichen, dem wie aus dem Nichts plötzlich ein Kellner folgte. Irritiert blinzelnd sah sie dabei zu, wie dieser die Kerze anzündete, ihnen ein prickelndes Getränk einschenkte und die Speiseglocken entfernte. Zu Tage kam je ein kleines Häufchen Salat mit einem kunstvollen Schwenk Soße und drei abgezählten Garnelen darauf. Die Portion wirkte auf dem großen Teller beinahe verschwindend klein. Unglücklich knurrte Momokos Magen auf, weswegen sie sofort hochrot anlief. Ihr Gegenüber lachte amüsiert. „Keine Bange, das ist nur die Vorspeise.“, beruhigte Takuro sie, der anscheinend ihre Gedanken lesen konnte. Er nickte dem Kellner zu, der, bevor er sich entfernte, noch eben die Musikanlage in Betrieb nahm; klassische Musik drang leise an ihr Ohr. »Oh, oh… ausgerechnet Klassik!« Davon verstand die Blauäugige nichts, auch wenn die Töne der Klaviere und Violinen durchaus schön anzuhören waren. „Entspann dich und lass uns den Abend genießen. Auf uns!“ Ihr Verlobter hob sein schmales Glas zum Prost. Schnell griff auch sie nach ihrem und stieß mit ihm an. Die sprudelnde Brause schmeckte bitter und irgendwie säuerlich. Mit gerümpfter Nase nahm Momoko ihr Glas von den Lippen und hielt es gegen das Licht. „Ist das Alkohol?“, fragte sie ungläubig. „Das ist Sekt.“, erklärte Takuro stolz. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Sekt? Aber wir sind doch noch keine 20!“ Er zuckte nur leichthin mit den Schultern und nahm genießerisch noch einen weiteren, großen Schluck. „Ich dachte, heute Abend könnten wir ja mal eine Ausnahme von dieser Regel machen. Viele trinken trotzdem Alkohol noch bevor sie 20 sind, man darf sich nur nicht erwischen lassen.“ Mit in Falten gelegter Stirn und skeptischem Blick, stellte die Rosahaarige ihr Glas wieder ab und schob es gleich noch etwas außer Reichweite. Auch wenn es nur ein Glas Sekt war, sie brauchte es nicht um den Abend zu genießen, wenn die Gesellschaft stimmte. „Möchtest du lieber etwas anderes?“ Auf einmal etwas nervös, ihrer Reaktion wegen, stellte er sein Glas ebenfalls ab und lehnte sich zu ihr nach vorn. „Ja. Wenn es keine Umstände macht, hätte ich einfach gerne ein Glas Saft oder Wasser.“ Momoko war es etwas unangenehm, als der Kellner, der keine Miene verzog, ihr fast unangerührtes Glas abräumte und kurze Zeit später gegen einen Apfelsaft tauschte. Währenddessen stocherte sie schon mal vorsichtig an ihrem Salatblatt herum. Der Teller wäre leer, wenn sie alles auf einmal auf ihre Gabel laden würde. „Schön, dass es dir jetzt wieder besser geht.“, versuchte Takuro erneut ein Gespräch in gang zu bringen. „Ja, danke. Es war sicher nur eine kleine Magenverstimmung.“ Seiner Gesprächspartnerin fiel es sichtlich schwer sich fallen zu lassen und den Abend zu genießen. Steif und angespannt saß sie kerzengerade auf ihrem Stuhl und schob sich mit konzentrierter Miene eine Gabel nach der anderen in den Mund. Er seufzte schwer. „Ach Momoko… ich hatte gehofft, die Atmosphäre würde dir gefallen…“, setzte er bedauernd an. Sie sah von ihrem leeren Teller auf, noch hungriger als zuvor und schaute in seine bedrückte Miene. Es war nicht ihre Absicht Takuro zu kränken, doch sie fühlte sich fehl am Platz, seit sie das Gebäude betreten hatten. „Es tut mir leid. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Das alles hier ist so viel… ich sagte doch schon, dass das furchtbar ungewohnt für mich ist. Ein einfaches Essen in einem Lokal hätte es auch getan.“ „Aber wieso? So sind wir endlich mal unter uns und ganz ungestört… „ Vielleicht war das der Knackpunkt. Abgesehen von dem ganzen, pikfeinen Schnickschnack war die Tatsache, dass sie allein waren, unterbewusst wohl ihr größtes Problem. „Du hast Recht… wahrscheinlich bin ich zu schüchtern.“ Ihr Verlobter grinste breit über diese Aussage. Die unschuldige, zurückhaltende und schüchternde Momoko war ihm die Liebste. „Kann ich dich aufheitern wenn ich dir verrate, dass sich dein Vater gut macht in der Klinik?“ Augenblicklich horchte sie auf und widmete ihm jedes bisschen Aufmerksamkeit, das sie aufbringen konnte. „Mein Papa? Wie geht es ihm?“ „Die ersten Tage hat er sich sehr schwer damit getan in einer Klinik zu sein, sich an die strengen Regeln zu halten und auf den Alkohol zu verzichten… aber Dank Medikamenten und Psychologen, fällt ihm das nun immer leichter. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“ Momokos Augen leuchteten bei dieser Nachricht. „Kann ich ihn mal sehen? Oder wenigstens sprechen?“ „Gib ihm noch eine Woche, dann werde ich seine Ärzte fragen wie sie dazu stehen, dass du ihn mal besuchen möchtest. Ich denke aber, das dürfte kein Problem sein.“ Überglücklich faltete sie ihre Hände und legte sie in dankbarer Haltung an ihre Lippen. Ihrem Vater ging es besser und sie durfte ihn bald sehen; das war die beste Nachricht seit langem! „Das ist großartig! Ich freue mich so – vielen Dank!“ „Ich wünschte, du würdest mich immer so offen anstrahlen. Dein Lächeln ist wunderschön.“ Das unerwartete Kompliment ließ sie erröten und ihren Blick abwenden. Der Kellner kam wieder aus dem Nichts und brachte einen Servierwagen mit. Er tauschte die leeren Teller gegen die mit der Hauptspeise; zu Momokos Verzücken ein Nudelgericht! Takuro lachte leise. „Das entspricht schon eher deinem Geschmack, oder?“ Sie nickte verlegen und inhalierte den herrlichen Duft der Soße. Sie war hell, durchzogen von Kräutern und lauter kleinen, verschiedenen Pilzstückchen. Darüber war frischer Parmesan gerieben und ein Röschen Petersilie thronte darauf. Die junge Frau konnte es kaum erwarten ihre Gabel darin zu drehen. Satt und zufrieden lehnte Momoko sich zurück, als zum Dessert warmer Apfelstrudel mit einer Kugel Vanilleeis serviert wurde. „Das Essen war köstlich. Jetzt bin ich wenigstens satt!“, scherzte sie vergnügt und tauchte ihren Löffel in das Eis, welches ebenfalls ein Hochgenuss war. „Das freut mich sehr. Sieh nur, Momoko. Die Sonne geht unter.“ Sie folgte seinem Blick hinüber zu der Aussicht, an deren Horizont die Sonne hinter die Gebäude und Hügel abtauchte und den Himmel in viele warme Orange- und Gelbtöne färbte. Der Anblick war fantastisch! Schweigend genossen sie ihn für eine Weile. Ihr Gegenüber erhob sich irgendwann von seinem Stuhl, richtete sein Jackett und trat an ihre Seite. Verwundert sah sie mit ihren blauen Augen zu ihm hoch. „Magst du deinen Nachtisch nicht?“, fragte sie ihn irritiert. „Doch, aber jetzt habe ich Lust auf etwas anderes.“ Er reichte ihr abermals an diesem Abend seine Hand, die sie zögerlich ergriff. Mit Wehmut warf sie ihrem halb aufgegessenem Dessert noch einen Blick zu, als der Schwarzhaarige sie vom Stuhl zog und mit sich weiter unter den Baldachin führte. „Takuro, ich kann nicht tanzen!“, jammerte sie ängstlich, als ihr klar wurde, was er vor hatte. Unbeeindruckt von ihrer Warnung, zog er sie leicht an sich und nahm eine führende Haltung ein. „Ach was. Lass mich dich einfach führen. Es ist ganz einfach.“ „Ich werde dir auf die Füße treten!“, warnte sie ihn nochmals. Selbstsicher reckte er sein Kinn und wartete darauf, dass das nächste Lied begann. Momoko schluckte und fühlte ihre Handflächen feucht werden. Die ersten Klänge eines ruhigen, durchaus romantischen Liedes ertönten und er zog sie achtsam mit sich. Doch es war wie die Rosahaarige gesagt hatte; sie taten erst ein paar wenige Schritte, als sie ihm das erste Mal auf einen seiner Schuhe stieg. „Tut mir leid, tut mir leid!“, beteuerte Momoko peinlich berührt und starrte angespannt nach unten. Ihr Tanzpartner ließ sich nichts anmerken und gab sich amüsiert, doch es passierte ihr immer wieder. Die fast erdrückend kitschige Atmosphäre mit dem Sonnenuntergang im Hintergrund, der Tanzfläche unter einem Zelt nur für sie beide, dem seichten Wind, der durch den Baldachin wehte, wurde durch ihre Patzer regelrecht zerstört. Nach dem vierten Mal wand sich die unbegabte Tänzerin aus seinen Armen. „Ich kann das nicht, lassen wir es doch einfach, ok? Ich möchte dir nicht weiter auf deine guten Schuhe treten.“ Es war ihr so unangenehm, aber sie war nun mal keine höhere Tochter wie zum Beispiel ihre Freundin Yuri. Diese hätte diesen einfachen Tanz wahrscheinlich auch solo und noch mit 40°C Fieber mit Bravur geschafft. Takuro trat auf sie zu, hob ihr Kinn an und sah ihr tief in die Augen. „Es macht nichts, dass du nicht perfekt bist. Man kann alles lernen und… für mich bist du trotzdem die wundervollste Frau, die ich kenne.“, säuselte er. Momokos Herz begann laut und aufgeregt zu schlagen. Seine Augen glühten vor Zuneigung für sie und seine Worte schmeichelten ihr ungemein. Seine Finger streichelten über die Linie ihres Kinns bis zu ihrer Wange und sein Gesicht nahm einen ihr bekannten Ausdruck an. Tief in sich drin spürte sie, dass der Moment gekommen war. Sie schloss ihre Augen und fühlte seinen Atem auf ihrer Haut. Als er zaghaft ihren Mund mit seinen Lippen bedeckte, erwartete Momoko sehnsüchtig das alles ausfüllende Prickeln oder Kribbeln; das Gefühl alles geben zu können und alles nehmen zu wollen. Doch nichts geschah; es war nur ein Kuss. Kurz und ohne Nachhall. Sie öffnete verwirrt ihre Augen und er tat es ihr gleich. Anders als bei ihr, schien die kurze, ausgetauschte Intimität bei ihm ein absolutes Hochgefühl ausgelöst zu haben. Sein verlegendes Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen und seine rotbraunen Augen funkelten verliebt. „Ich danke dir für diesen Tanz.“, flüsterte er ihr zu, führte sie an einer Hand in eine letzte Drehung, um die eigene Achse, weiter durch die verebbenden Klänge des Liedes, ehe er sie zurück an seine Brust zog. Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, während sie sich an seinen Oberkörper lehnte und er seine Arme um sie schlang, wo sie sich im Takt wiegend hin und her bewegten. Was war nur los? Warum hatte sie nichts gespürt, als er sie geküsst hatte? War der Moment zu kurz gewesen? Hatte sie etwas falsch gemacht? „Nirgendwo wäre ich jetzt lieber als hier mit dir…“, raunte Takuro und strich mit den Fingern seiner rechten Hand durch ihr offenes Haar. Momoko wusste, dass sie endlich auch etwas erwidern musste, egal was! Sonst würde er misstrauische Fragen stellen. „Das ist schön. Ich bin auch gerne bei dir.“, flüsterte sie leise zurück. Die Worte auf ihrer Zunge fühlten sich taub und falsch an; wie eine Lüge. Einfach alles fühlte sich plötzlich verkehrt an, obwohl das bis eben noch ganz anders war. Ja, sie fühlte sich fehl am Platz mit all dem Luxus, aber hier, in seiner Umarmung, sträubte sich noch etwas anderes tief in Momokos Inneren, das vorher noch nie dagewesen war! Takuro sah ihr erneut in die Augen, offensichtlich motiviert sie ein weiteres Mal zu küssen. Sie ließ es zu und hoffte inständig auf mehr Reaktionen ihres Körpers, doch obwohl sich ihr Verlobter diesmal mehr Zeit für diese Zärtlichkeit nahm, passierte einfach nichts. Sie fühlte sich schrecklich! Wie eine Puppe, die es einfach über sich ergehen ließ. Außer Stande den Kuss mit der nötigen Leidenschaft zu erwidern, beendete sie ihn, bevor Takuro noch auf die Idee kam ihn zu vertiefen. Schmerzhaft hämmerte ihr Herz gegen ihre Brust und sie zitterte vor Aufregung. »Das ist falsch, es fühlt sich nicht richtig an!«, jagte es durch ihren Kopf. Mehr noch, Momoko verspürte den Drang sich aus seiner Umarmung zu lösen und sich abzuwenden. Der dunkelhaarige Brillenträger bedachte sie derweil mit sehnsuchtsvollen Blicken, unter denen sie sich nackt und hilflos fühlte. »Ich kann das nicht, ich will das nicht!« Ein Angstschauer schüttelte sie. „Frierst du? Jetzt, wo die Sonne untergegangen ist, frischt es etwas auf. Möchtest du, dass ich dir eine Decke bringen lasse?“ „N- nein… ist schon gut.“, lehnte Momoko ab und strich sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. Er ließ sie endlich los, befreit lief sie zur Brüstung der Dachterrasse, wo sie ihre Arme verschränkte und in die Ferne blickte. Die Kirschbäume auf den Hügeln waren dabei abzublühen. Natürlich konnte sie das aus der Entfernung nicht sehen, aber sie wusste es. Momokos Blick hing an der Stelle, wo die Dunkelheit die Hänge verschluckte. Dort hatte Yosuke sie zum ersten Mal geküsst und es war ganz anders gewesen, als jetzt hier mit Takuro. Sie zuckte zusammen, als sich Stoff auf ihre Schultern legte. „Nicht erschrecken, ich bin’s nur.“, sagte ihr lächelnder Gastgeber und schob ihr sein Jackett auf die Schultern. „Danke. Das ist schon das zweite Mal, ich habe noch eins von dir zuhause.“, bemerkte sie und blinzelte die ernsten Gedanken hinfort. Er grinste vielsagend. „Dann habe ich ja Anlass dich bald mal zu besuchen, um es abzuholen.“ Wieder legte er einen Arm um sie. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und schloss die Augen, um ihren Fluchtreflex zu unterdrücken. „Ja, tu das.“ „Hm… ich befürchte, unser Dessert ist jetzt nicht mehr ganz frisch. Möchtest du dich wieder setzen? Dann bestelle ich uns noch etwas anderes.“ Momoko folgte seinem Blick über die Schulter zu dem Tisch mit dem Apfelstrudel, der im geschmolzenen Eis allmählich aufquoll. „Nein danke, ich habe keinen Hunger mehr.“, lehnte sie dankend ab und rang sich zu einem Lächeln durch. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Verwunderung ab. „Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan? Du bist auf einmal so verspannt.“ Die junge Frau verneinte kopfschüttelnd. „Wirklich nicht? Ist es, weil ich dich…“ „Nein, nein!“, unterbrach sie ihn verlegen. „Ich… mir ist nur doch langsam etwas kalt.“, log sie schnell. „Dann war es dir nicht unangenehm?“, hinterfragte er neugierig. Verwundert runzelte sie die Stirn. „Nein?“, antwortete sie zögerlich. Unangenehm nicht, aber irgendwie beängstigend. Takuro nahm ihre rechte Hand in seine und küsste ihren Verlobungsring. „Ich kann es kaum erwarten, dass du meine Frau wirst.“ Ihr Magen zog sich krampfartig zusammen und ihr Mund wurde ganz trocken. Momoko dachte an ihren Vater und ihre momentane Situation. Sie konnte ihren Verlobten nicht enttäuschen, egal was sie empfand oder nicht. „Ich auch nicht.“, zwang sie sich zu sagen und dabei möglichst gelassen zu wirken. Ein dunkles Aufblitzen in Takuros Augen ließ ihre Nackenhaare aufstellen. „Wenn dir kalt ist, dann können wir auch woanders hingehen. Wäre dir das recht?“ Unsicher, was ihm da wohl vorschwebte, nickte sie. „Das ist schön!“, entgegnete er freudestrahlend und führte sie an der Hand wieder mit sich. Momoko ging fest davon aus, als sie sich wieder im Fahrstuhl befanden, dass er vielleicht an eine Bar oder den Loungebereich des Hotels dachte. Umso verblüffter war sie, als sie auf der Hälfte der Strecke nach unten einen Zwischenstopp machten und ausstiegen. Nun standen sie auf einem langen Flur mit rotem Teppich und vielen Türen. „Was wollen wir denn hier?“, fragte sie nervös und sah sich zu beiden Seiten um. Takuro drehte sich mit vielsagendem Blick zu ihr um, ebenfalls etwas nervös, aber anscheinend sehr entschlossen. „Nun… weil ich dachte, dass es vielleicht spät werden könnte, habe ich für heute Nacht ein Zimmer hier angemietet.“ Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus vor Schreck. „Was?!“, fragte sie mit leicht schriller Stimme. Er grinste verschlagen. „Keine Sorge, es wird dir gefallen!“ »Oh Gott!« Hatte er überhaupt eine Ahnung davon, wie das klang, was er da sagte?! Ohne ihren Schock zu bemerken, trat Takuro zu einer Tür gleich in der Nähe des Lifts und führte auch dort die Schlüsselkarte ein. „Kommst du?“, rief er ihr zu. Noch ganz versteinert stand Momoko an Ort und Stelle und klammerte sich an den Riemen ihrer Tasche. Sah er ihr nicht an, wie erschrocken sie war? Ihre Augen mussten doch Untertassengroß sein! Doch sein Blick sprühte nur so vor verliebten Funken, vielleicht deutete er ihr Verhalten als sittsame Zurückhaltung oder es ließ ihn annehmen, sie wollte erobert werden? „Weißt du, eigentlich war es auf dem Dach ganz schön…“, stammelte sie und sah sich hilfesuchend zum Fahrstuhl um. „Ach, jetzt sind wir hier. Von dem Zimmer aus haben wir immer noch eine traumhafte Aussicht und es gibt sogar eine kleine Minibar. Na komm schon, der Abend hat doch erst angefangen.“ Momoko nahm allen Mut zusammen und folgte ihm in das Hotelzimmer. »Er meint es nicht so, wie er es sagt. Bestimmt nicht! Takuro würde mich nie abfüllen und verführen wollen!«, versuchte sie sich einzureden und mahnte ihr Herz zur Ruhe. Takuro verschwand im dunklen Zimmer und die Blauäugige folgte ihm. Als er das Licht einschaltete, flutete ein gedimmtes, warmes und unaufdringliches Licht den Raum. Das Zimmer war stilvoll und modern eingerichtet. Die gegenüberliegende Wand bestand ausschließlich aus dickem Fensterglas; die Höhe, in der sie waren, war geradezu schwindelerregend. Links war eine Minibar und es stand eine verschnörkelte Couch mit Samtbezug dort, sowie eine weitere Musikanlage. Auf der anderen Seite des Zimmers stand ein riesiges Doppelbett. Momoko schnappte erschrocken nach Luft, als sie es sah und drehte sich weg. »Nein, nein, nein, nein, nein!!!«, fluchte sie innerlich und warf ihrem Verlobten einen prüfenden Blick zu. Statt sie zu beachten, machte er sich an den Drinks in der kleinen Bar zu schaffen und mischte einen rötlichen, lecker aussehenden Cocktail, in breitschaligen Gläsern, mit dünnen Stielen zusammen. Tatsächlich war ihr ausnahmsweise nach etwas Alkohol zumute, wenn man sich damit wirklich Mut antrinken konnte. „Ta-kun… ich will ja nicht hysterisch klingen, aber es gibt hier ja nur ein Bett… war das so gewollt?“ Er drehte sich mit geweiteten Augen zu ihr um und verkippte fast die hochprozentige Flüssigkeit aus einem der beiden Gläser. Sein Gesichtsausdruck verriet seine Verlegenheit. „Ich ähm, nun ja, ich… Ich hatte gehofft, es stört dich nicht?“, stammelte er und zuppelte nervös an seiner Krawatte herum. Wo war das Loch, in das sie einfach hineinfallen konnte? »Atme Momoko, atme…« Sie wusste nicht, ob sie erröten oder erblassen sollte. Die Welt vor ihren Augen drehte sich, das ging ihr eindeutig zu schnell! Zum Glück waren es nur wenige Schritte bis zu der Couch, auf die sie sich wenig damenhaft fallen ließ, bevor ihre Knie einfach so nachgaben. Endlich begriff Takuro, wie entsetzt Momoko über seine Worte war. Hektisch stellte er das Glas auf den Tresen und eilte herbei, setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. „Was hast du? Ich dachte, das wäre in Ordnung für dich, nachdem du mir vorhin auf dem Dach endlich deine Zuneigung gezeigt hast.“ »Habe ich das? Er hat doch mich geküsst!« „Mir ist etwas unwohl…“, flüsterte sie. In der Tat hatte sie innerhalb der letzten Minuten das Gefühl bekommen, furchtbar krank zu werden. Ihr war übel und schwindelig; sie zitterte wie Espenlaub, aber hatte Angst das zu zeigen. Er drückte ihre rechte Schulter durch das Jackett liebevoll und drehte mit seiner linken Hand ihr Gesicht zu seinem. Ein warmer Ausdruck lag in seinem Blick, doch das Herzflattern in ihrer Brust, das sie dabei hatte, fühlte sich alles andere als schön an. „Ich bin ja da. Es ist alles gut.“, erwiderte er und küsste sie auf die Wange. Momoko wusste nicht mehr was sie denken sollte. Verstand sie die Situation wirklich so dermaßen falsch? Oder legte Takuro es wirklich auf das Eine an? Der Dunkelhaarige stand auf und ging zu den Drinks zurück, von denen er ihr einen reichte. „Auf uns und unseren Abend!“, prostete er ihr zu. Bei ihm schien die Mut machende Wirkung des Alkohols bereits nach dem Sekt vorhin angeschlagen zu haben, selten gab er sich so ausgelassen und selbstsicher. Oder war er einfach liebestrunken? Dass sie seine Euphorie nicht mal im Ansatz teilte oder nachvollziehen konnte, machte Momoko fertig. Er gab sich so viel Mühe; war nett zu ihr, machte ihr Komplimente und den Hof, doch nichts davon berührte ihr Herz. Es war einfach nicht genug. Trotzdem hob sie ihr Glas zum Anstoß und versuchte dabei zu lächeln. „Ich liebe Dich, Momoko.“ Der erste Schluck blieb ihr wortwörtlich im Halse stecken. Erstickt würgte sie die verschluckte Flüssigkeit wieder hoch; gurgelnd und hustend krümmte sie sich auf dem Sofa. „Momoko!“, rief Takuro panisch aus und begann ihr auf den Rücken zu klopfen. Tränen schossen ihr in die Augen, doch allmählich drang wieder Luft in ihre Lungen. Sie wusste es längst, er hatte nie einen Hehl aus seinen Gefühlen für sie gemacht und trotzdem fühlte sie sich mit dem Liebesgeständnis überfallen. Sie konnte ihm darauf unmöglich antworten – es ging alles zu schnell, viel zu schnell! „Warte, ich hole dir ein Glas Wasser!“, bot er ihr an. War das etwa das Einzige, was die Minibar nicht zu bieten hatte? Aufgescheucht schnappte er sich ein Glas und steuerte das Badezimmer an. Die Situation, in der sie sich befand, war brenzlig. Noch nie war ihr so klar wie jetzt in diesem Augenblick, dass sie das so nicht durchziehen konnte! Es war einfach falsch, sie war dafür keines Falls bereit! Kaum hörte sie das Klicken der Badezimmertür, sprang die junge Frau auf, warf das Jackett ab und stürmte Hals über Kopf nach draußen. Es war ihr egal, dass sie die Tür hinter sich nicht verschlossen hatte, denn sie hatte nur Augen für den Fahrstuhl vor ihr. Hektisch hämmerte sie mit dem Daumen auf den Rufknopf und sprang von einem Bein auf das andere vor Anspannung. Immer wieder sah sie sich um und hoffte inständig, dass Takuro ihre Flucht nicht mehr rechtzeitig bemerken würde. Endlich gingen die erlösenden Fahrstuhltüren auf und sie sprang hinein. Abwärts musste es doch auch ohne eine Schlüsselkarte gehen und tatsächlich, die Türen wollten sich gerade wieder schließen. „Momoko?!“, hörte sie Takuros fassungslose Stimme rufen. Sie sah ihn noch auf den Fahrstuhl zulaufen; seine Augen verständnislos auf sie gerichtet. „Tut mir leid! Ich kann das nicht!“, rief sie ihm, selbst bestürzt über diese dramatische Entwicklung der Dinge, durch den letzten Spalt zu. Dann verschlossen sich die Türen und der Lift setzte sich in Bewegung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)