Amnesia Memories von Kyo_aka_Ne-chan (Geliebter Zwiespalt) ================================================================================ Prolog: Zu spät --------------- Beißender Rauch ließ meine Augen tränen, aber trotzdem wusste ich genau, wo sich mein Ziel befand. Ich konnte ihre hektischen, fast panischen Schritte genau hören und ich ließ mir Zeit, denn ich wusste, dass sie nicht weit kommen würde. Mein Mund verzog sich zu einem breiten, bösen Lächeln und ich ließ das Messer in meinen Händen auf die Holzstangen des Treppengeländers treffen, so dass es hallte und das Knistern des Feuers unter uns übertönte. Die Flammen schlugen höher und die Hitze nahm zu, doch es machte mir nichts aus. Ich hatte schon wesentlich schlimmere Dinge erlebt, da war bei lebendigem Leibe verbrennen noch ein sanfter Tod. Ihre Schritte waren nicht mehr zu hören, dafür hörte ich, wie sie versuchte, die Tür im obersten Stockwerk zu öffnen. Ich wusste, dass sie es vergeblich machte, schließlich hatte ich die Schlüssel. Ein triumphierendes, kaltes Lachen befreite sich aus meinem Inneren, als auch ich in jenem Stockwerk ankam, wo sie in der Falle saß. Ich ließ es mir nicht nehmen, das Schlüsselbund in meiner Hand zu schwenken und klappern zu lassen. „Suchst du das hier?“, fragte ich scheinheilig und konnte ihre Angst vor mir förmlich schmecken. Sie antwortete mir nicht und wich zurück, presste sich gegen den einzigen Ausweg, der so nah war und doch so fern. Ich ließ die Klinge meines Messers aufblitzen und sah wieder die Panik in ihren Augen. „Nun... ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute Nachricht ist, dass du dir aussuchen kannst, ob du durch mein Messer oder durch das Feuer unter uns sterben möchtest. Die schlechte Nachricht ist, dass es nicht angenehm wird“, sagte ich und fand die gesamte Situation äußerst amüsant. Endlich war ich am längeren Hebel! Endlich würde sie durch meine Hände sterben und ich würde frei sein! „Ukyo...!“, rief sie, doch ich ignorierte es und rannte plötzlich auf sie zu. Sie war viel zu langsam und meine linke Hand packte ihren Kragen. Ich holte aus und ließ mein Messer niedersausen, doch irgendwie schaffte sie es, mir zu entwischen. Sie entglitt meinen Fingern und landete auf dem Boden, während mein Messer genau dort in der Wand stecken blieb, wo sie eben noch gestanden hatte. „Wehr dich nicht dagegen... es ist zwecklos“, prophezeite ich ihr und zog die Klinge wieder aus der Wand. „Ukyo“, sagte sie und ich sah ihr an, dass sie endlich verstand. Sie würde sterben und das durch meine Hand. Endlich... Wieder befreite sich ein kaltes Lachen aus meiner Kehle und ich fühlte Euphorie in meinem Inneren. Ich würde frei sein, frei von ihr und frei von dieser Welt, die versucht hatte, uns beide zu töten. Heute würde es enden, denn die magische Kraft, die ich immer dann spürte, wenn der 25. August begann, war nicht zu spüren. Die Kraft war aufgebraucht und dies hier war meine letzte Chance, meine Freiheit zu bekommen. Sie musste sterben... „Versuch es gar nicht erst, mich umzustimmen. Heute beende ich diesen Kreislauf und nicht ich werde sterben. Ich hole mir mein Leben zurück!“, rief ich und rannte erneut mit gezückter Klinge auf sie zu. In diesem Moment stand sie auf, blickte mich entschlossen an und breitete die Arme aus. Das verwirrte mich, aber dann nahm ich es hin. Es gab keinen Ausweg für sie, also war es völlig richtig von ihr, einfach aufzugeben. Ich spürte, wie der andere Ukyo in mir an die Oberfläche wollte. Er wollte sie retten, dieser Idiot, aber dieses Mal würde ich es nicht zulassen. Mit einem wütenden Schrei fand meine Klinge ihr Ziel und durchdrang weiches Fleisch. Ich zog das Messer kurz darauf wieder aus ihr heraus, während rotes Blut auf meine Hände und den Boden klatschte. Sie brach zusammen und ich ging mit ihr in die Knie, wahrscheinlich, weil der andere Ukyo mich dazu zwang. Ihr Blick war unfokussiert, aber doch fixierte sie mich. Ihre ganze Kraft ging dafür drauf, dass sie etwas sagen wollte. Es hätte mir unwichtig sein sollen, aber da es das letzte Mal sein würde, dass sie etwas zu mir sagen würde, blieb ich dort bei ihr knien. Sie sammelte sich... und plötzlich lächelte sie mich traurig an. „Ich verzeihe dir, Ukyo... werde bitte glücklich...“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein leiser Hauch, dann wurde ihr Blick plötzlich leer und tot. Im Normalfall hätte ich es genossen, doch ihre Worte schmälerten mein Vergnügen. Ich hätte es lieber gehabt, hätte sie mich verflucht. In diesem Moment schrie der andere Ukyo in mir auf und ich ließ zu, dass er sein Selbst wieder übernahm. Denn jetzt war es sowieso egal, ich hatte mein Ziel erreicht... „Zu spät...“, lachte ich, dann verschwand ich in der Dunkelheit... Kapitel 1: Eine ausgestreckte Hand ---------------------------------- Ukyo schreckte mit einem Aufschrei hoch in eine sitzende Position und das so schnell, dass sein schwarzer Hut mit einem leisen Wispern ins Gras fiel. Ukyos Herz pochte wie wild in seiner Brust und er brauchte ein paar Momente, um ins Hier und Jetzt zurück zu finden. „Schon wieder...“, flüsterte er leise und gepeinigt, während er versuchte, seinen Traum zu verarbeiten. Nur leider war es kein Traum, sondern die Realität. Ukyos Blick fiel auf seine Hände und ihm war immer noch so zumute, als ob Blut daran kleben würde. Das Blut von ihr... Ein erstickter Laut drang über die Lippen des jungen Mannes und seine Atmung beschleunigte sich. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen, schloss die Augen und versuchte, kontrolliert ein und auszuatmen, um die aufkommende Panik zu unterdrücken. Es dauerte länger als sonst... Endlich beruhigte sich Ukyo aber wieder und er ließ sich einen Moment danach zurück ins grüne Gras sinken. Seine Gedanken schweiften wie von allein wieder zu den Erlebnissen der letzten Tage zurück und er setzte sich wieder einmal damit auseinander. Er konnte nicht anders, als immer wieder über alles nachzudenken und darüber zu grübeln, was er jetzt tun sollte. Nachdem sein anderes Ich sie getötet hatte und Ukyo schließlich viel zu spät die Kontrolle zurückerlangt hatte, war alles ganz schnell gegangen. Er hatte versucht, noch etwas zu tun, um sie zu retten, doch sie hatte sich vor seinen Augen aufgelöst. Ihr Körper war zu Unmengen kleiner Lichter geworden und sie waren davon geflogen. Ukyo hatte schnell die Tür aufgeschlossen und war nach draußen in den Sturm gelaufen, nur um zu sehen, dass die leuchtenden Punkte in die dunklen Gewitterwolken geflogen waren. An jener Stelle war die Wolkendecke aufgerissen und hatte das Unwetter verschwinden lassen. Weiterhin war das Feuer an der Universität so plötzlich erloschen, wie es ausgebrochen war und Ukyo stand auf dem Glockenturm, während er zusehen musste, wie alles normal wurde. Er wusste nicht, wie oft er durch die Zeit gereist war, er wusste nicht mehr, wie oft er dabei getötet worden war und er wusste auch nicht, ob es nun wirklich das Ende seiner Reise durch die Welten war... aber er konnte gewisse Zeichen nicht ignorieren. Eines davon war, dass sein zweites Ich verschwunden war. Außerdem war er an all jenen Orten gewesen, an denen er in den Welten davor seinen Tod gefunden hatte. Nichts war passiert. Ukyo seufzte leise und öffnete die Augen, um in den klaren Sommerhimmel zu schauen. Ja, er lebte und es war der 27. August. Das war das Zeichen, dass der Zauber gebrochen war und er nicht mehr in den Welten nach ihr suchen konnte. Es gab nur noch diese eine Welt ohne sie... „Was soll das für eine Welt sein...?“, fragte sich Ukyo leise und der Schmerz nahm ihm die Luft zum Atmen. Er hatte sich noch nie so allein gefühlt wie in dieser Welt, wo es sie nicht mehr gab. All die Dinge, die vorher noch Sinn ergeben hatte, ergaben nun keinen Sinn mehr. Ukyo hatte die Lust an der Fotografie verloren und auch an den strahlend blauen Sommerhimmeln. Alles war einfach nur noch Grau in Grau und er fragte sich, ob dies irgendwann besser werden würde. Bisher bezweifelte er das und die Träume von seinen Gräueltaten waren der beste Beweis. //Genauso gut kann ich hier liegen bleiben, bis ich sterbe...//, dachte er düster, doch einen Moment später wusste er schon, dass er das nicht durchhalten würde. Sie hatte sein Leben gerettet und hatte mit ihrem letzten Atemzug von ihm verlangt, dass er glücklich wurde. Das hieß, dass er dieses Leben nicht verschwenden durfte, denn ansonsten trat er ihr Andenken mit Füßen. Ukyo erhob sich abermals seufzend in eine sitzende Position, schwang die Beine über den Randstein, der die Grünfläche umgab und stand auf. Er hob seinen Hut auf und setzte ihn auf seinen Kopf. Unschlüssig verharrte er und dachte erneut darüber nach, was er jetzt tun sollte. Vielleicht würde ein Spaziergang ihn aufheitern oder ihn zumindest so erschöpfen, dass er diese Nacht wieder tief und fest schlafen konnte. Sein zweites Ich war weg, also musste er keine Angst mehr davor haben, andere Menschen zu gefährden und ein großer Teil von ihm war dankbar dafür. Doch ein kleiner Teil war auch traurig darüber, denn ohne den anderen war er nun wirklich völlig allein. Der junge Mann begann zu laufen. Er wählte willkürlich eine Richtung aus und spazierte hier und dort entlang, nur damit die Zeit verging. Er kam recht bald im Park an, wo er immer gerne im Gras gelegen und sich den Himmel angesehen hatte, doch das reizte ihn heute nicht mehr. Also wandte Ukyo sich ab und ging weiter. Einem Impuls folgend betrat er den Wald, der still und dunkel vor sich hin existierte. Der Boden war uneben und schlammig, ein kleines Zeugnis der Regenfälle, die vor drei Tagen noch gewütet hatten. Trotzdem ging Ukyo weiter in den Wald hinein, bis er den kleinen Schrein und den Brunnen erreichte. Unbehagen überfiel ihn, als er an die vielen Male dachte, die er hier sein Ende gefunden hatte. Er erinnerte sich vor allem nicht gerne daran, wie er in den Brunnen gestoßen worden war. Der Grund des Brunnens hatte aus modrigem Schlamm bestanden und wenn man einmal feststeckte, dann kam man nicht mehr heraus. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er hektisch nach dem Ausweg, den es nicht gab, gesucht hatte und dabei immer mehr versunken war wie in Treibsand. Letztendlich war er erstickt... Ein kalter Schauer überlief Ukyos Rücken und er rannte einem Impuls folgend davon. Es war nicht gut, hier zu sein. So schnell er konnte, rannte er aus den Wald hinaus und rannte und rannte und rannte, so weit ihn seine Beine noch tragen wollten. Irgendwann musste er stehenbleiben, weil er schlimmes Seitenstechen bekam und er stützte die Hände auf seine Oberschenkel. Er beugte sich etwas nach unten und rang nach Luft, wobei seine Lungen brannten. Gierig sog er die Luft ein und nahm sich vor, nicht mehr in die Nähe des Waldes zu gehen. Zwar konnte ihm nun nichts mehr passieren, doch er wollte sich nicht allein auf dieses „Glück“ verlassen. Die Sonne war im Begriff unterzugehen, als Ukyo aufblickte und erkannte, dass er vor dem Gebäudekomplex stand, in dem sie einmal gewohnt hatte. Seines Wissens nach lebte in jener Wohnung niemand, denn er hatte keine Vorhänge an den Fenstern gesehen und es stand auch kein Name auf dem Klingelschild. Er war auch im Meido no Hitsuji gewesen, war aber gegangen, als er festgestellt hatte, dass sie dort zur gewohnten Zeit nicht auftauchte. Er hatte da seine letzte Hoffnung begraben, dass er in einer weiteren Welt gelandet war und dass es wieder von vorn losgehen würde. Aber es würde kein weiteres Mal geben, darauf wiesen alle Zeichen hin. Niedergeschlagen kehrte Ukyo zu der kleinen Grünfläche mitten in der Stadt zurück. Er legte sich wieder hin und schloss die Augen. Mehr blieb nicht zu tun... „Ikki, nun komm schon, Waka macht uns sonst noch die Hölle heiß!“, rief Shin ungeduldig, denn er war nicht scharf darauf, sich mit dem Chef des Meido no Hitsuji anzulegen. Er legte seinen Arbeitsweg immer mit den anderen zur gleichen Zeit am frühen Morgen zurück und es lief immer gleich ab, wenn sie Ikki von seiner Wohnung aus abholen wollten. „Gleich!“, rief Ikki zurück, nur um sich dann bei den Frauen zu entschuldigen, die vor seiner Wohnung auf ihn gewartet und ihn bis jetzt umringt hatten. „Entschuldigt, Ladys. Wir treffen uns heute Abend“, sagte er und zwinkerte den fünf Mädchen zu. Amüsiert gewahrte er, wie sie rot wurden und er lief hinter seinen Freunden her, um diese einzuholen. Shin hatte ja Recht, sie durften nicht zu spät kommen, sonst würde Waka Amok laufen und sie das ganze Lokal auf Hochglanz polieren lassen. „Ich verstehe nicht, warum du nicht schon längst die Polizei gerufen hast. Irgendwann brechen sie in deine Wohnung ein“, meinte Toma, während er, Shin, Ikki und Kent ihren Arbeitsweg einschlugen. „Ich bin nichts ohne meine Fans, wieso sollte ich sie verhaften oder sie von mir fernhalten wollen?“, lächelte Ikki, was bei den anderen für verstärktes Kopfschütteln sorgte. „Ich wusste zu 99%, dass du das sagen würdest“, seufzte Kent und schob mit einer fast schon automatischen Handbewegung seine Brille über den Nasenrücken. „Irgendwann geht das schief, Ikki“, warnte Shin, doch Ikki nahm das gar nicht ernst. „Dann kannst du es mir unter die Nase reiben. Aber bis dahin kümmere dich bitte um deinen eigenen Kram und lerne, die Gäste anzulächeln.“ Shin knurrte und war im Begriff auf Ikki loszugehen, doch Toma legte ihm eine Hand auf die Schulter und Shin beruhigte sich sofort wieder. Er wusste, dass Ikki es nicht böse meinte und dass dieser seine eigene Auffassung von Frauen hatte. Shin wusste das nicht erst seit gestern, aber manchmal ging ihm dieses Gehabe ganz schön auf die Nerven. „Hey, ist das dort drüben nicht Ukyo?“, fragte Ikki plötzlich und deutete auf einen schwarzen Fleck im Gras einer Grünfläche. Alle sahen genauer hin und bestätigten den Silberhaarigen. „Ich habe mich schon gefragt, was mit ihm ist. Er war schon lange nicht mehr bei uns“, überlegte Shin. „Vielleicht schmeckt es ihm bei uns nicht mehr“, meinte Shin, doch Kent schüttelte den Kopf und schob erneut seine Brille nach oben. „Das halte ich für unwahrscheinlich.“ Toma schaute nachdenklich zu dem Grünhaarigen hinüber und fasste einen Entschluss. „Geht schon mal vor. Ich frage ihn einfach mal. Sagt dem Chef, ich mache eine Kundenbefragung“, grinste der Blonde und machte sich schon auf den Weg zur Grünfläche. Die anderen beobachteten kurz das Schauspiel und erinnerten sich dann daran, dass sie ja auf Arbeit mussten. Schnellen Schrittes ging es weiter, während Toma seine eigenen Pläne hatte. Er blieb unmittelbar vor der Grünfläche stehen und betrachtete das Profil des jungen Mannes, während dieser schlief. //Er sieht erschöpft aus... vielleicht war er krank?//, dachte Toma, ehe er den anderen leicht anstupste. „Ukyo?“, fragte er sanft nach und einen Moment später schauten ihn schläfrige, grüne Augen an. „Oh... Toma. Was machst du hier?“, fragte der junge Fotograf nach und er richtete sich auf. „Das ist mein Arbeitsweg. Ich habe dich gesehen und dachte, ich erkundige mich, wann du mal wieder im Meido vorbeischaust. Der Chef vermisst die Gespräche mit dir“, lächelte Toma und registrierte Ukyos verspannte Haltung. Ob der andere häufig im Freien übernachtete? //Nun ja, es geht mich nichts an...//, dachte Toma, aber neugierig war er schon. „Nun, ich... vielleicht sollte ich mal wieder vorbeischauen, nicht wahr?“, antwortete Ukyo jetzt schwach lächelnd. „Weißt du was? Komm doch gleich mit? Ein Kaffee würde dich munterer machen“, schlug Toma vor und ganz selbstverständlich hielt er Ukyo eine Hand hin, um ihm beim Aufstehen helfen zu können. Ukyo schaute verdutzt auf die Hand und dann in Tomas Gesicht. Sah er etwa so schwach aus, dass er nicht mehr selbst aufstehen durfte? //Er meint es nicht so...//, rief Ukyo sich selbst zur Ordnung und musste zugeben, dass es vielleicht das Zeichen war, auf dass er gewartet hatte. Vielleicht war diese ausgestreckte Hand das Zeichen dafür, dass er diese Chance ergreifen und neue Erinnerungen an den Orten schaffen sollte, die mit ihr überlagert waren. So würde er unter Leute kommen und vielleicht würde er irgendwann in der Lage sein, zu vergessen. „Also?“, fragte Toma nach und hielt Ukyo weiter die Hand hin. Dieser ergriff die Hilfe zaghaft, aber doch mit festem Griff und Toma zog ihn mit einem Ruck auf die Füße. „Ich komme mit dir. Ein Kaffee klingt nicht übel...“, gab Ukyo leise zu und Toma freute sich, dass er den anderen hatte überreden können. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er den Morgen mit einer guten Tat begonnen hatte... Kapitel 2: Das richtige Zuhause ------------------------------- „Irgendwie habe ich das Gefühl, es gibt heute mehr zu tun als sonst“, stöhnte Shin geschafft, als er das letzte Glas abgespült hatte und sich um den Geschirrnachschub kümmerte. „Das liegt daran, dass der Chef nicht mithilft, wie sonst“, murrte Ikki und gab einem Eisbecher den letzten Schliff. „Er ist ganz vertieft in seine Gespräche. Er scheint Ukyo dahingehend sehr vermisst zu haben“, bemerkte Toma, der gerade ebenfalls letzte Hand an ein paar Törtchen legte, damit Sawa und Mie sich nur um die hereinkommenden Gäste und die Bestellungsentgegennahme kümmern mussten. Kent schwirrte währenddessen in und aus der Küche heraus, um die Bestellungen an Ort und Stelle zu verteilen, daher hatte er nicht viel zu reden. Automatisch sahen die drei zu dem Tisch, an welchen Ukyo schon seit die denken konnten immer Platz genommen hatte. Waka hatte sich zu ihm gesetzt und sie gingen einen Bilderband durch, der Fotos von ihrer Heimat zeigte. Bestellt hatte Ukyo nichts bis auf die Tasse Kaffee, die Toma ihm schmackhaft gemacht hatte und der Chef hatte sich lediglich ein Glas Wasser geholt, um keine Extrakosten zu verursachen. Angeregt unterhielten sie sich über jedes einzelne Bild, aber etwas war merkwürdig an dieser ganzen Szenerie. „Sagt mal, kommt es mir nur so vor, oder...?“, begann Toma, doch auch die anderen hatten gerade einen ähnlichen Gedanken gehabt. „Ja, er scheint gar keine Freude an den Bildern zu haben“, meinte auch Ikki verwundert. „Er lächelt zwar, aber...“, erkannte Shin, doch er konnte nicht genau benennen, was ihn an Ukyos Reaktionen störte. „... es kommt nicht in seinen Augen an“, beendete Toma und begann, sich Sorgen zu machen. Sonst war es so gewesen, dass Ukyo beim Thema Fotografie oder Kameras förmlich gestrahlt hatte. Wenn er einmal dazu gefragt wurde, hatte er nicht mehr aufhören können zu reden und der Enthusiasmus in seiner Stimme hatte jeden Zuhörer so lange gefesselt, bis er seine Ausführungen beendet hatte. Doch heute war er einsilbig, lächelte hier und da, doch wie sie alle schon gemerkt hatten, kam dieses Lächeln nicht bei seinen Augen an. „Hey... Ukyo sieht traurig aus“, sagte Kent, der eben ein Tablett voll schmutzigem Geschirr eingesammelt hatte und dies nun ins Spülbecken stellte. „Warum nur?“, fragte Toma grüblerisch und wie vorhin meldete sich seine Neugier. Wenn er recht darüber nachdachte, hatte er Ukyo noch nie traurig erlebt und er fragte sich, wer oder was dafür wohl verantwortlich war. „Vielleicht sollten wir ihn aufheiten“, meinte er schließlich, aber Shin reagierte skeptisch darauf. „Also... wenn nicht mal der Chef es schafft, in ihm Begeisterung zu wecken, was können wir dann schon tun?“ „Vielleicht ist es an der Zeit für einen Ikki-Spezial“, schlug Ikki vor und griff schon nach einem Glas, doch Toma hielt ihn auf. „Moment, wir wissen doch gar nicht, ob Ukyo sowas mag. Wir können ihm nicht einfach einen übergroßen Eisbecher hinstellen, ohne zu wissen, ob er das auch will.“ „Du hast Recht... aber es hat so lange keiner mehr den Ikki-Spezial bestellt, ich komme noch aus der Übung“, seufzte Ikki niedergeschlagen. „Bitte doch deinen Fanclub darum“, provozierte Shin den Silberhaarigen und dieses Mal blieb der andere um eine Antwort verlegen. „Wenn ich so darüber nachdenke... weiß überhaupt jemand etwas über Ukyo? Ich weiß nur, dass er Fotograf ist und gerne schwarzen Kaffee trinkt“, überlegte Toma jetzt und die anderen sahen ihn verwundert an. Doch dann dämmerte es auch ihnen. Eigentlich wussten sie fast gar nichts über den jungen Mann mit der dunklen Kleidung und den grünen Haaren, außer jenen offensichtlichen Dingen, die ihnen durch die Arbeit einfach auffallen mussten. „Außerdem schläft er gerne im Freien“, bemerkte Shin noch, aber es war eher ein dünner Versuch, dass sie sich alle besser fühlten. „Jetzt, wo du es sagst... ich habe ihn gestern Abend schon zu dieser Grünfläche gehen sehen als ich mit den Mädels unterwegs war“, meinte Ikki darauf. „Heißt das etwa, dass er dort übernachtet hat, wo wir ihn heute früh gesehen haben?“, fragte Shin entsetzt nach. „Also ist er obdachlos“, machte sich Kent bemerkbar und es klang wie eine Feststellung. „Kent, sag doch sowas nicht“, wies Ikki ihn zurecht, doch sie alle fragten sich in diesem Moment das Gleiche. War das wirklich wahr? War Ukyo wirklich obdachlos? „Jungs, was ist denn hier los? Die Gäste warten!“, rief Sawa jetzt, als sie in die Küche kam und schnell gingen alle wieder an die Arbeit. Ukyo hatte Mühe, sich auf die Bilder zu konzentrieren, die Waka ihm zeigte und Kopfschmerzen kündigten sich an. Im Normalfall hätte er sich gerne mit dem Chef des Meido über die wunderschönen Aufnahmen unterhalten, aber im Normalfall hätte er noch Interesse an solchen Dingen gehabt. Doch das hier war nicht mehr normal, er hatte das Gefühl, in einer leibhaftigen Lüge zu leben. Waka schien irgendwann ebenfalls zu durchschauen, dass Ukyos Lächeln nicht echt war, aber er war viel zu höflich, um nachzufragen. Vielmehr täuschte er jetzt einen Termin vor, den er unbedingt noch wahrnehmen musste und entschuldigte sich in aller Form. Ukyo war froh darüber und er atmete hörbar aus, nachdem Waka in den hinteren Bereich des Cafés verschwunden war. Ukyo beschloss, aufzustehen und zu gehen, doch da ihm die Idee fehlte, was sein Ziel sein würde, blieb er doch noch sitzen und starrte auf seine leere Kaffeetasse. Der Inhalt rumorte schon längst in seinem Bauch und er bereute, dass er nichts gegessen hatte. Er überlegte, ob er sich gleich hier im Meido etwas bestellen sollte, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Dazu hätte er mit Mine oder Sawa reden müssen, die das gleiche rote Maidkostüm trugen, wie sie. Und wenn er an sie dachte, dann verging ihm der Hunger sowieso schon vor Schuld. Der junge Fotograf seufzte abermals und stellte fest, dass er wieder einmal in einer Sackgasse festsaß. Alles in dieser Welt erinnerte an sie, aber niemand erinnerte sich an sie, sie war aus dieser Welt getilgt worden und Ukyo war Schuld daran. Er war damit gestraft, hier zu leben, sich zu erinnern und sich über nichts mehr freuen zu können. Alles, was er zuvor geliebt hatte, tat jetzt einfach nur noch weh. Er hatte sogar auf seiner Digitalkamera und seinem Handy nach Bildern gesucht, die bewiesen, dass sie existiert hatte, doch vergeblich. Jedes Foto von ihr war leer gewesen, lediglich ein schöner Hintergrund war übrig geblieben, mehr aber auch nicht. Ukyo kam es vor wie die Hölle... „Ukyo, möchtest du noch etwas?“ Der Grünhaarige sah hinauf in Sawas Gesicht. Sie war die beste Freundin von ihr gewesen und er war versucht zu fragen, ob sie sich an sie erinnerte... aber er wusste von vorneherein, dass das verschwendete Zeit war. Niemand erinnerte sich an sie, außer er selbst. „...Nein... oder... doch. Ich hätte gern noch einen schwarzen Kaffee“, sagte Ukyo geistesabwesend und ließ den Kopf wieder sinken, um auf die bunt bedruckte Tischdecke zu blicken. „Kommt sofort.“ Sawas Stimme klang mitleidig und Ukyo hasste es, dass er in anderen Menschen so eine Reaktion hervorrief. Aber er hatte keine Kraft dazu, etwas vorzuspielen, was nicht stimmte und er wollte es auch nicht. Wenig später wurde eine weiße Porzellantasse vor ihm abgestellt und jemand ließ sich neben ihn sinken. Ukyo schaute zur Seite und erkannte, dass Ikki neben ihm saß. Dieser fuhr sich durch die silbernen Haarsträhnen und streckte erst einmal die Beine von sich. „Uff, endlich eine Pause“, seufzte er und lächelte Ukyo an. „Es stört dich hoffentlich nicht, dass ich mich zu dir setze, oder? Du sahst einsam aus und da dachte ich, ich leiste dir Gesellschaft. Die anderen haben auch gleich Pause, wenn der Laden zur Mittagsstunde schließt. Du kannst selbstverständlich bleiben, du gehörst ja quasi zu uns“, informierte Ikki den Grünhaarigen. Ukyo nickte bloß und konzentrierte sich auf den schwarzen Inhalt in der weißen Porzellantasse, als ob das sein wichtigster Lebensinhalt wäre. Er und dazu gehören? Das wäre ihm neu... Nach und nach trudelten auch Shin, Kent und Toma am Tisch ein und setzten sich zu Ukyo und Ikki. Sie kramten ihr eigenes Essen hervor und unterhielten sich über dies und jenes. Ukyo saß lediglich dabei, ohne wirklich zuzuhören. „Ukyo, ich habe mal eine Frage“, hörte er plötzlich Tomas Stimme und er Angesprochene sah hinauf in Tomas offenes und freundliches Gesicht. „Ja?“ „Hör mal, wir haben uns gefragt... brauchst du vielleicht Hilfe?“ Die Frage war so trivial einfach. Jeder Blinde sah, dass Ukyo Hilfe brauchte, doch niemand hatte das, was ihm hätte helfen können. „Was meinst du mit Hilfe?“, fragte Ukyo und hielt sich an seiner filigranen Tassen fest, als ob sie sein letzter Anker wäre. „Ikki hat dich gestern gesehen, wie du zu dieser Grünfläche gingst, wo ich dich heute Morgen angesprochen habe. Wir haben uns gefragt, ob du vielleicht obdachlos bist und wir dir helfen können“, wagte sich Toma vor und er konnte förmlich hören, wie die anderen die Luft anhielten. „Wenn du mit obdachlos meinst, dass ich keine Wohnung habe, dann muss ich dir zustimmen. Aber das ist eher eine persönliche Entscheidung. Ich habe genug Geld, aber ich sehe keinen Sinn in einem Ort, der mir die Sicht versperrt. Ich bin sowieso Tag und Nacht unterwegs, von daher dachte ich, dass es eine gute Lösung ist“, erklärte sich Ukyo. „Aber wo hast du denn deine Sachen?“, platzte es aus Ikki heraus. Ukyo lächelte und begann seine Taschen zu lehren. Er beförderte seine Digitalkamera zutage, sein Handy und einen Geldbeutel. „Ist das alles?“, fragte Shin ungläubig, während Kent interessiert seine Brille über den Nasenrücken nach oben schob, so dass die Gläser kurz das Licht reflektierten. „Theoretisch ist es möglich, damit über die Runden zu kommen“, nickte er. „Aber was machst du denn, wenn es regnet?“, fragte Ikki und runzelte verwirrt die Stirn. „Ich stelle mich unter“, sagte Ukyo und Toma lachte auf, weil er die Antwort lustig fand. „Aber ist das nicht einsam? Vermisst du nicht manchmal das Gefühl, irgendwo anzukommen?“, fragte Shin jetzt grüblerisch. „Ja schon... aber ich glaube nicht, dass mir eine Wohnung dieses Gefühl vermitteln kann“, sagte Ukyo zweifelnd und das brachte alle zum Schweigen, außer Toma. „Lass uns eine Wette abschließen. Ich wette, dass einer von uns hier eine Wohnung hat, die dir gefallen könnte“, behauptete er und Ukyo schaute ihn einen Moment verwundert an. Er glaubte nicht, dass er diese Wette verlieren konnte, schließlich gab es wohl keinen Ort, an dem er hingehörte. Die einzig passende Unterkunft, die er für sich vorsah, war ein Gefängnis oder der einsame Waldschrein und das hatte wahrscheinlich keiner der hier Anwesenden als Behausung. „Gut. Die Wette gilt“, stimmte Ukyo also zu und Toma lächelte breit, als wäre der andere ihm in die Falle gegangen. „Ok, dann brauche ich jetzt deine Kamera und von den anderen die Wohnungsschlüssel“, bestimmte er. Widerspruchslos fügten sich alle, selbst Ukyo, auch, wenn er seine Kamera sonst nie jemanden ausgehändigt hätte. Doch da er seine Liebe zur Fotografie verloren hatte, empfand er es als nicht schlimm, sein Werkzeug aus der Hand zu geben. „Ok, ich bin bald wieder da“, rief Toma siegessicher und rannte aus dem Café. „Na, ob er sich da mal nicht verrennt“, kommentierte dies Shin kopfschüttelnd und auch Ikki war skeptisch. „Seine Erfolgsquote liegt bei 50 Prozent“, äußerte sich Kent diplomatisch und auch Ukyo hoffte, dass der andere ihn vielleicht überraschen konnte. Das wäre zumindest etwas Besonderes in seiner sonst so eintönigen, grauen Welt gewesen... Etwa eine Stunde später betrat Toma das Café erneut und ließ sich wieder an Ukyos kleinem Tisch nieder. Er war den gesamten Rückweg hierher gerannt, nur um seine Ergebnisse zu präsentieren und musste nun erst mal nach Atem ringen. Nebenbei warf er jedoch schon einen kleinen Umschlag auf den Tisch und übergab den anderen die Schlüssel und Ukyo seine Kamera zurück. Der Grünhaarige ergriff zudem noch den Umschlag und entnahm vier Fotos aus dessen Inneren, die er sorgsam geordnet vor sich hinlegte. „Das sind die Wohnungen von uns vier. Ich wette, es ist eine dabei, die dir gefällt“, sagte Toma siegessicher und lächelte Ukyo an. Dieser zweifelte immer noch daran, tat dem anderen aber den Gefallen und spielte mit. Er ließ seinen Blick über die vier Fotos gleiten, dann konzentrierte er sich auf das erste Bild. Sofort stand für ihn fest, dass diese Wohnung ihm nicht zusagte, denn sie war voller Bücher, der Raum war zu groß und zu lichtdurchflutet... „Das hier ist es nicht...“, wertete er und schob das Foto weg, ehe er sich das zweite Bild vornahm. Die Wohnung lag zwar in einer etwas sonnengeschützten Gegend, doch die Einrichtung war sehr hell und fast feminin, dass Ukyo sich abgeschreckt fühlte, als wäre er ein lichtscheues Wesen. Vermutlich war dem auch so, schließlich hatte er all die Zeit in den Schatten der Nacht verbracht und fühlte sich damit verbunden. „Das hier auch nicht...“, meinte Ukyo also und schob auch das zweite Bild weg. „Deine Chancen schwinden, Toma“, grinste Ikki und stieß den Blonden mit den Ellenbogen in die Seite. Ukyo ließ sich davon nicht ablenken und wandte sich dem dritten Bild zu. Es war spärlich eingerichtet. Das Bild hatte ein paar Musikinstrumente eingefangen und Ukyo konnte sehen, dass der Besitzer dieser Wohnung auch sonst viel für Musik übrig hatte. Ukyo schüttelte den Kopf... er konnte sich das nicht vorstellen, die ganze Zeit von Musik umgeben zu sein, da er die Stille bevorzugte. Auch dieses Bild wanderte zu den übrigen aussortierten Fotos und übrig blieb nur noch eines. Die Wohnung auf dem Foto war noch spärlicher eingerichtet als die Wohnung auf dem Foto zuvor. Alles in allem gab es nur funktionale Dinge zu sehen. Die Lichtverhältnisse waren unaufdringlich, an manchen Ecken schön dunkel. Doch was wirklich Ukyos Aufmerksamkeit fesselte, war eine Tür, die verschlossen war. Automatisch drängte sich ihm die Frage auf, was wohl dahinter verborgen war. Gleichermaßen fragte er sich, wer der Besitzer dieser Wohnung war und ob er wie Ukyo wohl zwei Seiten hatte, einmal die offensichtliche Seite und zum anderen die verborgene Seite, die besser niemand zu Gesicht bekam. Genau deshalb faszinierte Ukyo dieses Bild und er schaute in Tomas Gesicht, als er es diesem zeigte. „Dieses Bild...“ „Ja?“, fragte Toma und drückte die Daumen, dass er die Wette vielleicht doch noch gewann. „Das... die Wohnung würde mir gefallen“, gab Ukyo zu und Toma lachte erfreut. „Super, ich habe die Wette gewonnen“, freute er sich und schnappte sich das Bild, ehe er einen kleinen Siegestanz aufführte. Ukyo ließ sich davon anstecken und lächelte darüber. „Ich habe es ja gesagt“, sagte Kent und Ikki versetzte dieses Mal ihm einen Stoß in die Rippen mit Hilfe seines Ellenbogens. „Du gingst von einer 50/50 Chance aus“, erinnerte er seinen braunhaarigen Freund, doch Kent hüllte sich wie immer in Schweigen. „Halt mal, ihr hattet gar keinen Wetteinsatz“, fiel Shin auf. „Stimmt, aber ich habe da schon eine Idee“, lächelte Toma und wandte sich Ukyo zu. „Da meine Wohnung dir gefällt, wirst du bei mir übernachten. So hast du zumindest einen Schlafplatz, wenn du ihn brauchst, okay?“, schlug er vor und Ukyo sah Toma staunend an. Das war Tomas Wohnung? //Von ihm hätte ich das am wenigsten gedacht//, schoss es ihm durch den Kopf und seine Neugierde wurde entfacht. Allein um dieses Rätsel zu lösen, würde er Tomas Angebot annehmen, so viel stand fest. „Einverstanden...“ Kapitel 3: Das Geheimnis hinter verschlossener Tür -------------------------------------------------- Ukyo stand vor dem Wohnungskomplex, in welchem Toma lebte und war sich nicht sicher, ob er es heute wagen sollte. Die Wette war nun schon vier Tage her und bisher hatte er sich nicht getraut, das Angebot des anderen anzunehmen. Jedes Mal hatte ihn sein eigenes Unbehagen aufgehalten und dass er sich immer wieder davon überzeugt hatte, dass es ihn eigentlich nichts anging, was der andere versteckte. Aber dieses verdammte Zimmer, dessen Tür geschlossen war, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und er wollte unbedingt wissen, was sich dahinter verbarg. Nach jenen vier Tagen war seine Neugier so unsagbar groß, dass es Ukyo halb verrückt machte und er hatte beschlossen, dass er es einfach hinter sich bringen würde. Er würde zu Toma gehen, bei ihm übernachten, einen Blick hinter die Tür in das Zimmer werfen und am nächsten Morgen wieder verschwinden. //Bestimmt ist es so etwas Banales wie eine Hentai-Sammlung//, versuchte Ukyo sich davon abzubringen, etwas allzu Geheimnisvolles zu erwarten, denn hohe Erwartungen konnten nur zu Enttäuschungen führen. Ukyo fragte sich einmal mehr, warum ihm das Ganze so wichtig war und nach reiflicher Überlegung kam er zu dem Schluss, dass er wohl einfach nach einer gleichgesinnten Seele suchte, die genauso zerrissen war, wie die seine. Der junge Mann ging entschlossenen Schrittes zur Tür und klingelte bei Toma. Die Gegensprechanlage sprang sofort an und die heitere Stimme des anderen empfing Ukyo. „Ja?“ Ukyo zögerte. Wenn er jetzt antwortete, gab es kein Zurück. Ein letztes Mal überprüfte er, ob seine Neugierde auch wirklich so groß war, dass er sich bereitwillig mit jemandem auseinander setzen wollte und kam zu dem Schluss, dass dem wirklich so war. „Hier ist Ukyo.“ Toma freute sich, dass Ukyo sein Angebot angenommen hatte. Außerdem war er froh, den Abend nicht allein verbringen zu müssen. Er öffnete die Tür seiner Wohnung und beobachtete, wie der Grünhaarige die Treppenstufen erklomm und auf ihn zukam. „Freut mich, dass du mein Angebot angenommen hast. Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt, muss ich zugeben“, lächelte Toma und Ukyo lächelte zaghaft zurück. Wenn der andere wüsste, warum er wirklich hier war, dann hätte er sich nicht so gefreut, aber das musste er Toma ja nicht auf die Nase binden. Er beugte sich zu seinen Schuhen herab, um diese auszuziehen, erst dann betrat er in seinen Socken die Wohnung. Toma schloss die Tür hinter ihm, während Ukyo mit den Blicken die Wohnung erkundete. Er konnte genau ausmachen, aus welchem Winkel und von wo das Bild aufgenommen worden war, welches ihm diese Situation hier eingebrockt hatte. „Und? Gefällt dir meine bescheidene Wohnung in der Realität genauso gut wie auf dem Foto?“, erkundigte sich Toma neugierig und Ukyo brauchte nicht lange, um zu nicken. „Ja.“ //Sogar noch besser...//, erkannte der Fotograf und verspürte ein warmes, wohliges Gefühl in seiner Brust. Fühlte sich das so an, wenn man nach Hause kam? Natürlich war das hier nicht sein Zuhause, aber wenn er eine Wohnung gehabt hätte, dann hätte sie wohl genauso ausgesehen, wie diese hier. Ukyo wandte sich Toma zu, welcher immer noch im Eingangsbereich stand und ihn beobachtete. Er fragte sich, ob Toma ihm wirklich so ähnlich sein konnte, kam aber zu dem Schluss, dass er das erst herausfinden würde, wenn er alle Fakten kannte, inklusive derer, die Toma hinter jener Tür versteckte. Also legte Ukyo dieses Thema vorerst ad acta und verlegte sich auf Small Talk. „Wie lange wohnst du schon hier?“, fragte er und ließ seinen Blick nochmals über die spärliche Einrichtung schweifen. „Seit zwei Jahren etwa. Zuhause wurde es mir zu eng und ich brauchte meine eigenen vier Wände“, erklärte Toma und kam näher, um sich neben Ukyo zu stellen, damit er mit seinen Augen sehen konnte, was der andere sah. Anders als seine Freunde konnte Toma Ukyo nicht durchschauen. Das war ihm erst vor vier Tagen wieder aufgefallen, als er darüber nachgedacht hatte, was der andere wohl noch mögen konnte außer Fotografie und schwarzem Kaffee. Es wurmte ihn ein wenig, dass er so wenig wusste und so war er fest entschlossen, daran etwas zu ändern. „Ich wollte gerade etwas zum Essen machen. Hast du Hunger?“, fragte Toma jetzt und Ukyos Magen gab die Antwort. „Das heißt dann wohl ja“, meinte Toma dazu und schüttelte sich vor Lachen, während Ukyos Gesicht rot wurde. Das war ihm auch noch nicht passiert. „Entschuldige...“ Toma lachte noch mehr. „Deshalb musst du dich doch nicht entschuldigen. Du bist lustig, Ukyo.“ Ukyo schaute Toma ungläubig an. Er und lustig? Das ging ja meilenweit an der Realität vorbei, aber er würde den Teufel tun und das zugeben. Wenig später saßen die beiden im Küchenbereich an einem kleinen Tisch, der kaum genug Platz für sie beide bot, geschweige denn für die langen Beine beider. Toma hatte so viele Dinge auf den Tisch platziert, dass es Ukyo wunderte, dass der kleine Tisch nicht sofort zusammengebrochen war. „Ich nehme mir immer einige Reste aus dem Cafe mit, da muss ich nicht so oft einkaufen gehen. Das schont den Geldbeutel“, lächelte Toma und griff ordentlich zu. Ukyo wusste nicht, wo er beginnen sollte und schaute demnach unschlüssig auf die kleinen Teller und Schüsseln. So ein Überangebot sah man selten und er war ein wenig überfordert, zumal er viele Dinge nicht kannte. Es rächte sich also doch, wenn man immer nur das Gleiche zu sich nahm. Er wollte gerade nach Auskunft fragen, als... „Mhmmm, das ist so lecker! Hier, probier doch mal“, rief Toma da und ehe Ukyo sich versah, hatte Toma ihm etwas in den Mund gestopft. Ukyo verschluckte sich halb an etwas, das so ausgesehen hatte wie eine grüne Teigrolle. Zuerst schmeckte es einfach nur nach Alge, danach setzte plötzlich eine Süße ein, die man diesem unscheinbaren Gericht nicht zugetraut hätte. „Was ist das?“, fragte Ukyo verwundert. „Ich habe keine Ahnung. Aber es ist lecker“, grinste Toma übermütig und Ukyo musste darüber lachen. Toma sah ihn überrascht an. Er hatte Ukyo noch nie so lachen gesehen und es gefiel ihm. Er hoffte, dass er den anderen noch häufig so zum Lachen bringen konnte. //Moment mal...//, schoss es durch Tomas Kopf. Was dachte er denn da auf einmal? Er kannte Ukyo doch kaum und wusste nicht einmal, ob der andere ihn überhaupt leiden konnte. Also wieso wollte er den anderen häufiger zum Lachen bringen, was voraussetzte, dass sie sich häufiger sahen? Toma schüttelte diese Gedanken ab und widmete sich wieder den zahlreichen verschiedenen Leckereien vor sich. Er hatte die letzten Tage häufiger größere Portionen der Reste mitgenommen und immer wieder gehofft, dass der Fotograf vorbeikam. Heute war dieser Fall eingetreten und Toma fragte sich einmal mehr, warum er nicht schon öfter mit Ukyo um die Häuser gezogen war oder ähnliches. Der andere machte durchaus einen sympathischen Eindruck, auch, wenn er ein wenig zurückhaltender war als Tomas andere Freunde. //Wahrscheinlich so ein Künstlerding//, überlegte Toma und wandte sich dann wieder der Tätigkeit zu, Ukyo leckere Sachen aufzuschwatzen. Nachdem sie alles vertilgt hatten, räumte Toma schnell die Sachen in den Abwasch und setzte sich wieder zu Ukyo. Der Aufwasch konnte bis morgen warten, denn er wollte viel mehr über den Fotografen wissen. Er bemerkte nach einer Weile, dass Ukyo sich dabei unwohl fühlte, also drehte Toma den Spieß um und redete einfach über sich selbst. Er wollte den Grünhaarigen zu nichts drängen und so lenkte er ihn mit allerlei lustigen Begebenheiten aus dem Café ab und ehe sie sich versahen war es schon kurz vor Mitternacht. „Oh je, ich muss ins Bett, ich habe morgen die Frühschicht“, fiel es Toma ein und Ukyo bedauerte es ein wenig, dass der ereignisreiche Abend ein Ende fand. „Schon okay, ich bin auch etwas müde“, sagte er, wobei das gelogen war. Er hatte über den amüsanten Abend sein eigentliches Ziel vollkommen aus den Augen verloren, aber nun fiel es ihm wieder ein. Zum Glück sah Toma schon recht müde aus, also würde es nicht allzu lange dauern, bis der andere in den Schlaf gefunden hatte. Ukyo hingegen war es gewohnt, lange aufzubleiben, so dass er nur den rechten Augenblick abwarten musste. Von neuem Tatendrang erfüllt, wartete er, dass Toma sich bettfertig machte. Doch dieser blieb unschlüssig vor ihm sitzen und schien etwas sagen zu wollen. „Ich... ich habe dir eine Sache noch nicht gesagt“, meinte der Blonde jetzt zerknirscht und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Und... das wäre?“, fragte Ukyo verdutzt. „Nun...“ Toma lachte verlegen und Ukyo vermutete schon etwas Schlimmes. „Was hast du mir denn nicht gesagt, Toma?“, fragte er erneut, weil Toma einfach keine Anstalten dazu machte, weiter zu sprechen. „Ich... habe nur ein Bett“, gab Toma zu und wies auf das Bett, welches sich in einer größeren Ecke befand, genau neben der Tür, die den Grünhaarigen so interessierte. Ukyo bemerkte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. War das etwa Tomas Ernst? Erwartete der andere jetzt wirklich, dass er neben ihm schlief? Ukyo sprang auf und war im Begriff, von hier zu verschwinden, doch dann hielt er inne. Wenn er das jetzt nicht machte, würde er sich ewig fragen, was Tomas verdammtes Geheimnis war, also musste er es wohl oder übel durchziehen. Wieder flammte Ukyos Gesicht auf, als er daran dachte, mit einem anderen Mann das Bett teilen zu müssen, aber er zwang sich ruhig zu bleiben. Er schätzte Toma nicht so ein, dass dieser an anderen Männern interessiert war, als würde es so sein, als würden Freunde nebeneinander schlafen. Zwar hatte Ukyo auch auf dieser Ebene keinerlei Erfahrungen, schließlich war er die ganzen Jahre immer allein gewesen, war mit seinen Eltern ständig umgezogen und hatte demnach nie wirkliche Freundschaften entwickelt, aber es gab ja für alles ein erstes Mal. „Ich denke, das stellt kein Problem dar“, sagte Ukyo also und er hörte Toma erleichtert aufseufzen. „Ich wusste, du würdest das locker nehmen. Wenn du magst, kannst du zuerst ins Bad, du dürftest dort alles finden, was du brauchst“, meinte Toma und wies Ukyo die Richtung. Dieser war froh, für ein paar Minuten verschwinden zu können und ging zielstrebig ins Bad. Er fand eine zweite Zahnbürste und auch Sachen, die er zur Übernachtung anziehen konnte. In einer seiner Hosentaschen fand er noch einen Haargummi, so dass er seine langen Haare zu einem dicken Zopf bändigen konnte. Er nutzte die Zeit, in der er Zähne putzte, sich wusch und sich umzog, dazu, dass er völlig ruhig wurde. Ein Vorteil war, dass sein zweites Ich nicht mehr da war, denn sonst wäre er niemals das Risiko eingegangen und hätte bei Toma übernachtet, außer, der andere kettete ihn irgendwo in einem separaten Raum an. Ein beklemmendes Gefühl erfasste Ukyo kurz, doch er schüttelte es ab. Er musste nach vorne schauen und durfte nicht mehr an die Zeit vorher denken. Ukyo kehrte zurück zu Toma und dieser wies auf das Bett. „Du kannst dir die Seite gerne aussuchen. Und keine Sorge, ich komme auch nicht kuscheln“, grinste der Blonde und verschwand seinerseits im Bad, während Ukyo schon wieder diese vermaledeite Hitze in seinem Gesicht spürte. Warum konnte der andere nicht einmal ernst bleiben? Seufzend wählte Ukyo die rechte Seite des Bettes, weil diese näher an der geschlossenen Tür lag und schlüpfte unter eine äußerst bequeme Bettdecke. Abermals seufzte er auf, weil das Gefühl, in einem richtigen Bett zu liegen, doch etwas für sich hatte. Er vergrub sein Gesicht in dem ebenso weichen Kissen und atmete den frischen Duft ein und in ihm machte sich Dankbarkeit bemerkbar. Das hier war wirklich ein großartiges Geschenk des Schicksals... „Ich sehe, es gefällt dir. Das freut mich“, meinte plötzlich Tomas Stimme und Ukyo wurde schon wieder rot. //Das wird langsam zur Gewohnheit//, schoss es ihm durch den Kopf und schaute Toma an, der jetzt auf die linke Seite des Bettes zusteuerte und sich ebenfalls hinlegte. „Also dann, gute Nacht, Ukyo. Ich hoffe, du schläfst gut und hast schöne Träume“, sagte Toma, nachdem er auf seiner Seite das Licht im Raum ausgemacht hatte. Ukyo konnte das breite Lächeln des anderen dabei förmlich sehen, obwohl es stockdunkel war und wieder einmal wurde er tiefrot. Dieser Toma war wirklich unglaublich... Schnell drehte sich der Grünhaarige weg von dem anderen, man wusste ja nicht, wie gut der andere in der Dunkelheit sehen konnte. Er hörte ein leises Lachen, dann ein Gähnen und binnen weniger Minuten hörte er Tomas ruhige Atemzüge. //Das ging ja schnell...//, wunderte er sich und wandte sich vorsichtig nochmals um. Er konnte Toma schemenhaft sehen. Der andere lag ihm zugewandt auf der Seite und ruhte auf einem Arm. Der andere Arm lag ausgestreckt über Ukyos Kissen und der Grünhaarige spürte die gleichmäßigen Atemzüge, die nun direkt in sein Gesicht gepustet wurden. Er wollte sicher gehen, dass der andere auch wirklich schlief und strich mehrmals mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über eins der geschlossenen Augenlider Tomas. Der andere rührte sich nicht und verharrte in seinem komaartigen Schlaf, so dass Ukyo beschloss, es jetzt zu wagen. Langsam und vorsichtig schlug der Grünhaarige die Bettdecke zurück und stand leise auf. Er tastete sich vorwärts und schlich zur Tür, die das Geheimnis barg. Er legte die Hände auf die Klinke und atmete tief durch. Es tat ihm leid, Tomas Gastfreundlichkeit derart auszunutzen, aber sein Inneres beharrte auf Antworten. Er wusste auch nicht warum ihm das so wichtig war, aber vielleicht brauchte er dieses Wissen, dass es auch normale Leute geben konnte, die ein schwarzes Geheimnis bargen. Leute, die Ukyo ähnlich waren, die vielleicht nicht getötet hatten, aber die ähnlich verdorben waren. Damit hätte Ukyo seine insgeheime Hoffnung bestätigt, dass er auf dieser Welt nicht gänzlich allein war, denn das war momentan seine Hauptangst. Bestärkt von seinen Gedanken drückte er die Klinke vorsichtig nieder, bis die Tür nachgab und er in das Zimmer schauen konnte. Er betrat den Raum ein Stück weit und konnte einen Moment lang nicht glauben, was er da vor sich sah. Mondlicht schien durch die beiden großen Fenster und beleuchtete den Raum. Zudem beschien es den einzigen Gegenstand im Raum und Ukyo schluckte schwer, als sein Gehirn die optischen Reize langsam verarbeitet hatte. Das Licht erleuchtete stellenweise graues Metall und das kastenförmige Äußere und Ukyo konnte sich vorstellen, wie kalt es sich anfühlen musste. Im Mondlicht wirkte das Objekt bedrohlich wie ein schwarz-grauen Monster, welches nur auf sein nächstes Opfer wartete. Fast grotesk war der Kontrast der weich gepolsterten Unterlage und den Kissen, die in dem Ungetüm auf den nächsten Besucher warteten. Ukyos Gedanken rasten durch seinen Kopf und er wünschte sich die Hentai-Sammlung förmlich her, die so seltsam banal im Gegensatz zu dem Käfig vor ihm anmutete. Sein Herz klopfte ängstlich in seiner Brust und er konnte trotzdem nicht den Blick abwenden oder wieder aus dem Raum verschwinden. //Das hast du davon, dass du dir so sehr einen anderen verdrehten Charakter gewünscht hast//, warf er sich selbst vor und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er hatte seiner Neugierde nachgegeben und etwas Verbotenes gesehen, welches ihn davon überzeugte, dass Toma nicht der war, für den er ihn gehalten hatte. Er wusste noch nicht ganz, wie er diese Informationen einordnen sollte, denn dieser kalte, große Käfig passte nun so gar nicht zum freundlichen, offenen Auftreten des anderen. Und noch während Ukyo versuchte, beides in Einklang zu bringen, ging plötzlich das Licht in dem kleinen Zimmer an und blendete den Grünhaarigen. „Suchst du etwas, Ukyo?“ Kapitel 4: Offene Fragen ------------------------ Ukyos Augen gewöhnten sich langsam an die neuen Lichtverhältnisse und er drehte sich vorsichtig zu Toma um. Er schaute vorsichtig in das Gesicht des anderen, entdeckte dort aber nur Müdigkeit und eine Spur Erleichterung. //Das ist... nicht das, was ich erwartet habe//, dachte Ukyo verwundert. Er hatte einen Wutanfall erwartet, einen Schlag ins Gesicht... aber gewiss nicht Erleichterung im Gesicht des anderen. „Kommst du jetzt raus hier?“, fragte Toma abwartend und legte eine Hand an den Lichtschalter, um den Raum wieder in die mondbeschienene Dunkelheit zu hüllen. Ukyo setzte sich in Bewegung und sie beide kehrten dem Käfig und diesem Raum den Rücken. Ukyo schloss die Tür des Raumes hinter sich und Toma setzte sich auf die Seite des Bettes, auf der der Grünhaarige vorhin noch gelegen hatte. Der Blonde beugte sich nach vorn, stützte die Arme auf seine Oberschenkel, ließ den Kopf auf seine Hände sinken und gab einen abgrundtiefen Seufzer von sich. Anschließend ließ er die Arme wieder sinken und lächelte Ukyo erleichtert an. „Ich bin froh, dass es herausgekommen ist“, sagte er und der Grünhaarige verstand nun endgültig die Welt nicht mehr. „Was?“ „Ich sagte, ich bin froh, dass es herausgekommen ist. Endlich kann ich mit jemanden darüber reden, dass dieses Ding in meiner Wohnung steht und ich keine Ahnung habe, warum“, sagte Toma und trotz seines müden Zustandes ließ er auch Freude durchblicken. Ukyo beschloss, erneut nachzuhaken. „Wie bitte? Du hast einen Käfig in deiner Wohnung stehen, der so groß ist, dass ein Mensch darin Platz findet und du hast keine Ahnung, wo dieser herkommt?“ Toma lächelte ihn an. „Ganz genau.“ Ukyo schüttelte den Kopf und er setzte sich neben den Blonden. Wenn man logisch darüber nachdachte, musste der andere totalen Blödsinn erzählen... aber wenn Ukyo von seiner Warte ausging, konnte es durchaus sein, dass Toma ein Opfer unter vielen war. Es konnte möglich sein, dass durch den Tod von ihr das Raum-Zeit-Gefüge derart durcheinander geraten war, dass bestimmte Dinge jetzt einfach keinen Sinn mehr ergaben. Oder war es vielleicht ein Zeichen? Ein Signal, dass sie ihm geben wollte, um ihn wissen zu lassen, dass sie noch irgendwo hier existierte? Das Herz des Fotografen begann heftiger in seiner Brust zu schlagen, als er über diese Möglichkeit nachdachte. Nichts sehnlicher wünschte er sich, sie noch einmal zu sehen und sie um Verzeihung zu bitten. Sie hatte ihm zwar schon verziehen, aber es hatte sich damals in seinem Schmerz noch nicht richtig angefühlt. Sie hatte ihm einfach so verziehen, obwohl er nicht darum gebeten hatte und das kam ihm noch mehr wie verkehrte Welt vor. „Glaubst du mir?“, wollte Toma jetzt wissen und das erste Mal seit sie sich kannten, entdeckte Ukyo Unsicherheit im Gesicht des anderen. Er brauchte nicht lange darüber nachdenken und nickte unmittelbar nachdem Toma die Frage gestellt hatte. „Ja, ich glaube dir. Aber erzähl mir erst einmal alles, was du über dieses Ding weißt“, verlangte der Grünhaarige, denn er brauchte Fakten. „Ich bin eines Tages aufgewacht und das Folterinstrument stand neben meinem Bett. Ich habe mich so erschrocken, dass ich im ersten Moment die Polizei rufen wollte, aber natürlich wäre das unglaubwürdig gewesen, wenn ich gesagt hätte, jemand hätte bei mir einen Käfig abgestellt. Also habe ich es nicht gemacht und habe das Monstrum in den Nebenraum geschoben. Seitdem steht es dort.“ Anspannung erfasste Ukyo. Konnte es sein...? „An welchem Tag war das?“, fragte er und sein Hals fühlte sich mit einem Mal trocken an, dass seine Stimme sich etwas kratzig anhörte. „Es ist eigentlich noch nicht lange her. Es muss in der Nacht vom 25. zum 26. August gewesen sein“, meinte Toma nachdenklich. „Bist du dir ganz sicher?“, hakte Ukyo nach und Toma dachte nochmals darüber nach, dann nickte er bestätigend. „Ja, ich bin mir jetzt ganz sicher. Es war hundertprozentig vom 25. zum 26. August“, sagte er dann und Ukyo hatte plötzlich das Gefühl zu ersticken. Natürlich... welches andere Datum hätte mehr Gewicht gehabt als dieses? „Ich glaube sonst nicht an Magie oder so etwas, aber wie sonst soll dieses Ding hier gelandet sein? Ich meine, ich habe diesen Käfig nie zuvor gesehen und habe ihn gewiss nicht gekauft. Ich wüsste auch nicht, dass ich schlafwandeln würde. Auch an einen Einbrecher glaube ich nicht. Welcher Einbrecher würde Sachen dalassen, anstatt welche mitzunehmen? Außerdem schließe ich meine Wohnungstür immer zu und lasse den Schlüssel stecken. Es ist einfach so eine verrückte Geschichte, dass es einfach nur magischer Natur sein kann. Oder was meinst du?“ Ukyo konnte Toma da nur zustimmen, wobei er sich bemühte, sich nicht zu verraten. Wenn Toma diesen Käfig schon verrückt fand, wie würde er wohl auf Zeitreisen und eine zweite Persönlichkeit reagieren, die unschuldige Menschen umbrachte? „In der Tat klingt das unglaublich... aber ich glaube dir, Toma.“ Toma wirkte einmal mehr erleichtert, doch einen Moment später zuckte wieder so etwas wie Unsicherheit über sein Gesicht. „Willst du... jetzt überhaupt noch mit mir befreundet sein?“, fragte er und Ukyo schaute den anderen überrascht an. Toma hatte sich nicht falsch verhalten, vielmehr war er die ganze Zeit zuvorkommend und großherzig zu ihm gewesen. Wenn sich hier jemand falsch verhielt, dann war es Ukyo selbst, schließlich verschwieg er Toma die ganze Wahrheit und hatte seine Nase in Sachen gesteckt, die ihn nicht das Geringste angingen. „Das müsste ich dich fragen, Toma. Schließlich habe ich hier herumgeschnüffelt und dränge mich dir auf“, sprach Ukyo es aus, doch der Blonde bestritt dies. „Du drängst dich doch nicht auf! Ich habe das mit dem Schlafplatz angeleiert und ich wäre wohl auch neugierig gewesen, was sich hinter dieser Tür verbirgt. Ich bin wahrscheinlich über das Ziel hinausgeschossen, aber... ich wollte dich unbedingt näher kennenlernen.“ „Warum?“ Ukyo verstand es nicht. Was brachte es dem anderen, der so viele Leute mit seinem Temperament, Offenheit und Hilfsbereitschaft begeisterte, sich mit einem Eigenbrötler wie ihm einzulassen? „Ich habe letztens festgestellt, dass ich fast nichts über dich weiß. Ich komme sonst mit jedem aus, schließe mit jedem Freundschaft und weiß, was der andere mag und was nicht. Nur du bist mir ein Rätsel, ich weiß fast nichts über dich und dabei bist du Stammgast bei uns. Und du... du sahst letztens so traurig aus, da habe ich mir Sorgen gemacht.“ Tomas ehrliches Geständnis verursachte in Ukyo mehr als er verkraften konnte. Er fühlte sich schuldig, weil er Toma nicht alles über sich sagen konnte. Er fühlte Dankbarkeit, weil der andere Interesse an ihm zeigte und ihn nicht als selbstverständlich hinnahm wie den alltäglichen Bürgersteig, den er wohl jeden Tag entlang ging. Außerdem schämte sich der Grünhaarige, weil er dem anderen solchen Kummer bereitete. „Ich... bin nicht gut darin, Freundschaften zu schließen. Ich habe Angst, dass... dass gewisse Dinge über mich andere überfordern könnten. Daher habe ich die Einsamkeit bisher vorgezogen und habe mich wohl gehen lassen. Es tut mir leid, dass du dir meinetwegen Sorgen machen musstest“, sagte Ukyo jetzt und kam der Wahrheit damit näher als er es je zu jemanden gesagt hatte. Er beugte leicht den Kopf als Geste der Entschuldigung und hoffte, dass Toma seine Entschuldigung annahm, doch er machte sich umsonst Sorgen. Der Blonde griff nach Ukyos Gesicht und hob es mit beiden Händen an, damit er in die hellen, grünen Augen Ukyos sehen konnte. „Mach dir keine Sorgen, Ukyo. Ich halte das aus, egal, was für Geheimnisse du auch mit dir herumträgst. In Zukunft musst du sie nicht mehr allein tragen, okay? Lass uns Freunde sein“, beschwichtigte er den Fotografen und lächelte strahlend. Wärme breitete sich in Ukyo aus und konzentrierte sich in seiner Brust, während er Toma ins Angesicht sah. Der andere wusste gar nicht, was er ihm da gerade für ein besonderes Geschenk machte und er nahm es mit Freuden an. „In Ordnung. Es wäre mir eine Ehre, Toma.“ Toma lachte erfreut und umarmte Ukyo gleich mal, weil er seine Freude einfach ausdrücken musste. Ukyo gab einen erschrockenen Laut von sich als der andere ihn derart an sich riss und ihn drückte. Er spürte Tomas Stärke und die Wärme des anderen, dass es ihn ganz verwirrt machte. Noch nie hatte ihn jemand so kräftig umarmt... „Umarmst du jeden so?“, fragte Ukyo zaghaft und gleichermaßen verunsichert. Toma ließ den Grünhaarigen sogleich los und entschuldigte sich schnell. „Entschuldige, manchmal reißen mich meine Gefühle geradezu mit. Aber du wirst dich schon noch daran gewöhnen“, grinste er dann und lachte erheitert. Ukyo spürte, dass er ganz rote Ohren bekam. Er befürchtete, dass er sich an diesen Aspekt von Tomas Freundschaft noch gewöhnen musste. Plötzlich riss ein herzhaftes Gähnen und das Geräusch entfernt klingender Kirchenglocken ihn aus seinen Gedanken. Sein Blick fiel auf den Funkuhr auf dem Nachttisch auf Tomas Bettseite und er erschrak. „Toma, es ist schon zwei Uhr morgens, du musst schlafen!“, rief er und schob den anderen auf das Bett. „Stimmt... ich mach ja...“, sagte der Blonde noch, doch als sein Kopf sein Kopfkissen berührte, glitt er automatisch in den Schlaf. Ukyo verkniff sich ein belustigtes Lachen, denn er hatte noch nie jemanden kennengelernt, der einen derart schnellen Einschlafrhythmus hatte. Er schaltete das Licht aus und glitt ebenfalls unter die Bettdecke. Einen Moment lang musste er wieder die Tür anstarren und dachte an den Käfig, welcher dahinter lauerte. Wahrscheinlich hatte das eine Bedeutung, dass dieses Ding aufgetaucht war und Ukyo fragte sich, ob bei den anderen, mit denen sie zu tun gehabt hatte, ebenfalls solche Dinge aufgetaucht waren. //Ich muss wissen, was das zu bedeuten hat...//, schoss es ihm noch durch den Kopf, dann fielen ihm die Augen zu und er glitt in tiefen Schlaf. „Ukyo? Hey, wach auf.“ Eine sanfte Stimme ertönte und eine Berührung an Ukyos Schulter erfolgte. Der Angesprochene versank noch ein wenig mehr in dem weichen, bequemen Bett und er wollte eigentlich nie wieder aufstehen. Noch einmal forderte die Stimme ihn auf, aufzustehen und dieses Mal gab Ukyo ein leises Knurren von sich. Die Stimme verfiel in ein amüsiertes Lachen und gleichzeitig drang der intensive Geruch von Kaffee an seine Geruchsnerven. Ukyo öffnete die Augen nun doch und richtete sich halbwegs auf. Sein Blick wanderte von einer auffälligen gelb-schwarz gemusterten Tasse zu langfingrigen, großen Händen und weiter zu kräftigen Armen, die in schwarz-orangenen Ärmeln steckten. Irgendwann kam sein Blick bei Tomas breitem Lächeln an und er fühlte sich einen Moment lang davon geblendet als würde er direkt in die Sonne schauen. „Tut mir leid, dass ich dich so unsanft wecken muss, aber ich muss auf Arbeit und würde gern mit dir zusammen gehen. Oder bist du noch zu müde?“, fragte Toma und sah auf einmal schuldbewusst aus. Er hätte Ukyo auch schlafen lassen können, doch er wollte nicht, dass der andere erneut allein war. Er hoffte, dass der andere seine Idee befürworten und mit ihm zum Meido gehen würde. Dann konnte er noch ein wenig Zeit mit dem Fotografen verbringen und mehr über seinen neuen Freund erfahren. „Nein... ist in Ordnung“, murmelte der Grünhaarige jetzt und richtete sich gänzlich auf. Er ergriff die Tasse und nahm einen vorsichtigen Schluck von dem dampfenden Getränk. Als wenig später die Wirkung des Kaffees einsetzte, stand Ukyo auf. Er gab Toma die Tasse zurück und begab sich als Erstes ins Bad. Flugs wusch er sich, putzte Zähne und zog sich um. Erst ganz zum Schluss öffnete er seinen dicken Zopf und lieh sich Tomas Kamm, um sich die Haare zu kämmen. Anschließend setzte er seinen schwarzen Hut mit dem weiß-schwarz gemusterten Band auf und kehrte schnell zu Toma und seinem Kaffee zurück. Der Blonde packte gerade seine Sachen für die Arbeit zusammen und gab Ukyo damit genug Zeit, dass dieser die Tasse leeren konnte. Anschließend verließen sie zusammen die Wohnung, vor der schon Shin und Kent warteten. „Guten Morgen“, grüßte Toma als Erstes und blendete mit seinem strahlenden Lächeln auch seine anderen beiden Freunde. Shin knurrte einen ähnlichen Gruß, während Kent einen etwas förmlicheren Gruß wählte. Ukyo wünschte ebenfalls einen guten Morgen und zu viert setzten sie ihren Weg Richtung Meido fort. „Wie ich sehe, hast du das Angebot von Toma angenommen“, sagte Kent und Ukyo sah sich mit der Neugier des anderen konfrontiert. Er nickte zögerlich und wartete, dass der andere vielleicht noch eine Frage stellte, doch da kam nichts weiter. „Sah es wirklich so aufgeräumt wie auf dem Foto aus?“, mischte sich Shin ein und er bezweifelte es nach wie vor. „Hast du vielleicht einen Blick in seine Schränke werfen können? Kam dir die Hälfte seiner Sachen entgegen?“ Selbst wenn Ukyo gewollt hätte, er hätte Shin nicht antworten können, da dieser immer weiter Fragen stellte. Er war peinlich berührt, schließlich wollte er Toma nicht in Verruf bringen und daher schaute er hilfesuchend zu dem Blonden. „Shin, lass Ukyo doch erst einmal wach werden. Wir waren lange auf und ich glaube, er hat seinen Kaffee noch nicht einmal verdaut. Und dann kommst auch noch du und stellst unnötige Fragen“, mischte sich also Toma ein, um seinen Freund zu schützen. „Aha, ihr wart also lange auf?“, fragte eine interessierte Stimme hinter ihnen und Ikki stieß nun auch zur Gruppe. „Nanu? Du hier? Ist dein Fanclub heute nicht aufgetaucht?“, fragte Shin sogleich und so fand ein Themawechsel statt, über den Ukyo recht froh war. „So früh schon so kratzbürstig, Shin? Pass auf, der Grünstich des Neides in deinem Gesicht könnte bleibend sein“, lächelte Ikki breit und machte sich nichts daraus, dass Shin ihn schon am frühen Morgen auf dem Kieker hatte. Ukyo musterte das ganze Schauspiel besorgt. Mochten sich die beiden denn nicht? Abermals schaute er zu Toma, doch dieser lächelte nur und schüttelte mit dem Kopf. Es war als Zeichen dafür gemeint, dass sich der Grünhaarige keine Sorgen machen brauchte, schließlich war das fast wie ein morgendliches Ritual, dass Shin und Ikki sich miteinander stritten. Ukyo atmete erleichtert auf und stellte sogar fest, dass sich der Tag freundlicher anfühlte als die bisherigen. Ob es wohl daran lag, dass er jetzt einen Freund gewonnen hatte? Ukyo war sich nicht sicher, ob eine Person so eine Wirkung haben konnte, aber er wollte es gerne glauben. Vielleicht würde jetzt alles doch noch gut und er konnte langsam wieder nach vorne schauen? //Nein... bevor ich das kann muss ich noch etwas herausfinden//, fiel es ihm plötzlich ein und sein Blick fiel nacheinander auf Ikki, Shin und Kent. Er musste herausfinden, ob diese drei ebenfalls Gegenstände in ihrem Besitz hatten, die nicht hierher passten. Wenn er sie alle fand, dann ergab sich vielleicht ein Muster oder eine Botschaft, die sie ihm schicken wollte. Die einzige Schwierigkeit dabei war, dass er dafür zu den anderen jungen Männern nach Hause musste und ob diese sich ähnlich verständnisvoll wie Toma zeigten, wagte Ukyo zu bezweifeln. Er würde nicht drumherum kommen, Toma um Hilfe zu bitten und dazu musste er dem anderen wohl irgendwann bald die Wahrheit über sich selbst. Ukyo erschauderte, als hätte ihn ein eisiger Windhauch gestreift. Er befürchtete, dass Toma dann nicht mehr mit ihm befreundet sein wollte, wenn er erfuhr, dass er jemanden getötet hatte. Natürlich war es Ukyos zweites Ich gewesen, doch Ukyo selbst machte da keinen Unterschied. Es waren dennoch seine Hände gewesen, durch die sie ihr Ende gefunden hatte und da der andere Ukyo zum Teil auch seinen wahren Gedanken entsprungen war, machte es den richtigen Ukyo ebenso schuldig. Der Fotograf versank erneut in Unbehagen und Schuldgefühlen, doch ehe er sich zu tief darin verstricken konnte, stieß Toma ihn von der Seite her an. Ukyo sah zu dem Blonden und der andere lächelte ihn aufmunternd an, als könne er sein Dilemma erahnen. „Du hast bestimmt Hunger oder?“, erkundigte sich Toma und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Hast du ihm etwa kein Frühstück gemacht? Was bist du für ein mieser Gastgeber?“, schüttelte Ikki mit dem Kopf. „Wir sind zu spät aufgewacht und da war es schon Zeit für die Arbeit“, verteidigte sich Toma, doch das brachte Ikki nur noch mehr zum Kopfschütteln. „Ich glaube, wir sollten das Waka erzählen, dass sein liebster Kunde bei Toma am langen Arm verhungert“, grinste Shin und selbst Kent gab einen Spruch zum besten, den Ukyo ihm nicht zugetraut hätte. „Ich lade dich dann zum Frühstück ein, okay?“, murmelte Toma an Ukyo gewandt und der Grünhaarige errötete sofort. „N-nein, das musst du nicht“, rief er, wollte er dem Blonden doch nicht zur Last fallen. „Doch, muss ich. Wie du hörst, ist das eine Sache der Ehre“, sagte Toma seufzend, lachte einen Moment später jedoch wieder. „Du musst das wirklich nicht“, versuchte es Ukyo ein weiteres Mal und mit nun hochrotem Kopf, der nun einer Tomate glich. „Ich möchte das aber. Du bist jetzt einer meiner Freunde, Ukyo und als mein guter Freund muss ich sichergehen, dass es dir immer gut geht. Das nehme ich überaus ernst“, sagte Toma und sah auf einmal wirklich ernst dabei aus. Ukyo schwieg, aber bei diesem Blick wurde ihm ganz komisch in seinem Inneren. Allerdings konnte das auch am Hungergefühl liegen. „So, so, dein guter Freund? Wo hat denn dein guter Freund eigentlich geschlafen? Soweit ich weiß, hast du nur ein Bett“, grinste Shin jetzt und sorgte dafür, dass Ukyo noch einmal tiefer errötete. Irgendwie gingen manche Gespräche in eine Richtung, die ihm nicht behagten. „Gute Freunde teilen sich auch mal ein Bett“, winkte Toma ab, doch das brachte selbst Kent dazu, dass seine Mundwinkel belustigt zuckten. „Gute Freunde geben sich auch ein Küsschen“, feixte Ikki und bevor Toma ihm dafür die Leviten lesen konnte, rannte der Silberhaarige ein Stück vor, um ein paar Mädchen seines Fanclubs zu begrüßen, die er genau in diesem Moment erspäht hatte. //...Küss...chen?//, wiederholte Ukyo gedanklich und er erlebte im Geist die Umarmung mit Toma noch einmal. Wie es sich wohl angefühlt hätte, wenn der andere ihn... „Ukyo?“ Ukyo schrak auf und schaute in Tomas besorgtes Gesicht. „Ist alles okay mit dir? Tut mir leid, sie nehmen absolut keine Rücksicht auf dich“, meinte Toma schuldbewusst, doch Ukyo winkte ab. „Nein, es ist doch okay. Ihr seid gut befreundet, das merkt man... sie haben eben gern an deinem Leben teil“, meinte der Grünhaarige und verbot sich jeglichen Gedanken ans Küssen. Er verstand sowieso nicht, warum dieser Gedanke gerade so eine Wirkung auf ihn gehabt hatte. Er hatte nie viel von solchen Bekundungen gehalten und ging äußerst sparsam damit um. Eigentlich hatte er lediglich theoretische Erfahrung, was das anbelangte, daher hatte er gestern auf diese Umarmung so stark reagiert. Trotzdem maß Ukyo dem Ganzen keine übermäßige Bedeutung zu, schließlich hatte sein Herz bisher der Fotografie gehört. Seitdem diese Liebe abgestorben war, kamen eben komische Gedanken in ihm hoch... ja, das musste es sein. „Ich hoffe, Ikki wird bald fertig mit der Flirterei, wir kommen sonst wieder zu spät“, merkte Shin jetzt an und die Truppe setzte ihren Weg fort. Ukyo warf den Mädchen einen Blick zu und er erschauderte wieder, denn die Gesichter kamen ihm bekannt vor. Er unterdrückte die Panik, die in ihm hochsteigen wollte und versuchte, normal an ihnen vorbei zu gehen. Die Bilder in seinen Kopf waren unglaublich präsent und er sah wieder und wieder, wie diese Mädchen ihn geschubst und ihn in den Brunnen gedrängt hatten. Seine Kehle wurde eng, als ob er wieder in diesem muffigen Morast des Brunnens stecken würde, aber er drängte hartnäckig jegliche Erinnerung zurück. Seine Hände verkrampften sich in den Stoff seiner Jacke, deren Ärmel zum Glück etwas länger waren. Bald darauf war die Angstattacke vorbei und Ukyo konnte wieder normal durchatmen. „Ist alles okay?“, fragte Toma wispernd neben ihm und Ukyo sah alarmiert zu ihm. Hatte der andere etwa alles mitbekommen? Ein Blick in Tomas besorgtes Gesicht sagte dem Grünhaarigen alles. „Ja... es war nur eine ungute Erinnerung“, sagte Ukyo und fühlte sich in diesem Moment sehr schwach. Sein zweites Ich hätte diese Ängste in Bösartigkeit umgewandelt und diesen Mädchen irgendetwas Schlimmes angetan. Es hätte ihnen sämtliches Leiden dreifach zurückgezahlt und es aus tiefster Seele genossen. Aber dieses Ich gab es nicht mehr und Ukyo war mit all seinen Ängsten auf sich gestellt. Das war nun sein neues Ich und er würde es irgendwie lernen, mit all dem Horror seiner bisherigen Taten und Erlebnisse klar zu kommen. „Du bist nicht allein. Ich hatte gesagt, dass ich für dich da bin, weißt du noch? Das war nicht nur so daher gesagt, Ukyo“, wisperte Toma eindringlich und er lief nun dicht neben dem Grünhaarigen, damit er dessen Hand kurz ergreifen und drücken konnte. Ukyo atmete tief durch und ließ diese Worte in sich wirken. Die restlichen Schatten von Angst wichen dem hellen Strahlen von Tomas Freundschaft, zumindest kam Ukyo das so vor, wenn er es hätte in Worte fassen müssen. Er nahm sich vor, in Zukunft auf den anderen zu vertrauen, so wie der andere ihm vertraute. Vielleicht war es ja sogar möglich, dass der andere ihm seine Taten irgendwie nachsah und trotzdem noch sein Freund sein würde. Ukyo lächelte Toma kurz zu, dann fasste er einen Entschluss. Er würde Toma vertrauen und eine schöne Zeit mit ihm verbringen. Und wenn es endete, dann endete es eben, aber Ukyo wollte sich zu jenem Zeitpunkt nicht vorwerfen, dass er nicht alles versucht hatte. „Danke Toma...“ Ukyos geflüsterte Worte erreichten Toma und er war froh, dass er hier zum ersten Mal hatte beweisen können, dass er für Ukyo da sein konnte. Es war nach wie vor schwierig, den anderen zu durchschauen, aber er glaubte, dass der andere gerade einen Schritt auf ihn zu gemacht hatte. Es freute ihn mehr als alles bisherige... „Hey ihr Turteltauben, verträumt nicht den ganzen Tag“, lachte Ikki und überholte sie. „Selber, du Weberheld!“, rief Toma und nahm die Verfolgung des Silberhaarigen auf. Ukyo blieb etwas zurück und ein Lachen befreite sich aus seinem Mund, welches völlig das seinige war und nicht das einer anderen Persönlichkeit. Es war lange nicht gebraucht worden, das hörte man, aber dennoch war es das bislang Schönste, was Toma von Ukyo gehört hatte. Er nahm sich vor, den anderen noch häufiger zum Lachen zu bringen und dem anderen der beste Freund zu sein, den man sich wünschen konnte. Kapitel 5: Der Ikki-Spezial --------------------------- „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid“, entschuldigte sich Toma und verbeugte sich tief vor Ukyo, der jetzt schon drei Stunden auf sein Frühstück wartete. „Nicht schlimm. Ich sehe doch, was hier los ist“, lächelte Ukyo verständnisvoll und wies auf das Treiben der Gäste. Aufgrund einer Werbeaktion, die Waka gestern Nacht online gestellt hatte, wurde das Meido förmlich von Kunden überschwemmt. Alle Mitarbeiter des Meido no Hitsuji liefen im emsigen Zick-Zack umher. Sie liefen von der Tür zu den Tischen, von den Tischen zur Küche, von der Küche wieder zu den Tischen und immer wieder ging es von vorne los. „Und du willst wirklich nichts essen?“, erkundigte sich der Blonde. Ukyo schüttelte den Kopf. „Nein, ich warte auf dich und die anderen. Ich bin es gewöhnt, spät zu essen“, meinte der Fotograf und hoffte, dass Toma sich nicht überarbeitete. Er bemerkte, dass Toma etwas blass war und ihm kam eine Idee. „Sag mal... kann ich vielleicht helfen?“ „Du meinst, hier und heute? Bist du sicher?“, wollte der Blonde wissen und wies auf das augenscheinliche Chaos vor Ort. „Wenn ich euch dadurch entlasten kann“, meinte Ukyo und fühlte sich dem gewachsen. „Dann mache ich wenigstens diesen Tisch frei und sitze nicht nur herum. Außerdem ist es bestimmt nicht in Wakas Sinne, wenn ich hier sitze und nichts bestelle. Also kann ich mich auch nützlich machen, oder?“, sagte Ukyo und stand auf. „Und du bist wirklich sicher?“, fragte Toma, denn selbst er musste heute einsehen, dass das Meido der Vorhölle glich. Nein, Ukyo war sich überhaupt nicht sicher, aber er wollte dem Laden, welcher für ihn einem Zuhause am nächsten kam, unter die Arme greifen. „Sonst würde ich es nicht sagen“, meinte der Fotograf mit einem Schulterzucken. Toma grinste breit. „Oh, das wirst du bereuen“, lachte er, ergriff Ukyo an der Hand und zog ihn sicher durch das Gedränge bis in die Küche. Auch hier herrschte Chaos. Kent wusch gerade das Geschirr im Eiltempo ab, Shin trocknete ab, Ikki rauschte an den beiden vorbei, um zwei volle Tabletts unter die Mengen zu bringen und auch Waka, Sawa und Mine rotierten. „Nie wieder, Boss... mach das bitte nie wieder!“, rief Sawa gerade und rauschte aus der Küche, wobei sie gegen Ukyo stieß. „O- oh... Ukyo?“, sagte sie und auch die anderen sahen kurz von ihren Tätigkeiten auf. „Ukyo-san? Was kann ich für Sie tun?“, fragte Waka sogleich und schien sich zu freuen, den Fotografen zu sehen. „Ich wollte meine Hilfe anbieten... also, wenn es nicht stört“, sagte Ukyo und wurde unter den ganzen Blicken ganz nervös. „Das wäre super“, stöhnte Ikki und sah so aus, als würde er bald umkippen. „Ja, du könntest dich um die Gäste kümmern und Bestellungen aufnehmen“, meinte Sawa begeistert und auch Toma nickte. „Wenn es Ihnen keine Umstände macht?“, fragte Waka und auch ihm war die Erleichterung über Ukyos Angebot anzusehen. //Wahrscheinlich bereut er diese Werbeaktion selbst//, dachte Toma und musste sich ein Lächeln verkneifen. Anschließend schnappte er sich Ukyo und wies ihn kurz in die Tischbelegung und die Pflichten ein, die es im Meido no Hitsuji gab. Der Fotograf hörte genau zu, prägte sich alles genau ein und allzu bald war er mitten im Gedränge. Er begrüßte Gäste, führte sie zu einem freien Tisch und nahm ihre Wünsche entgegen, dann lief er im Eilschritt hinüber, um in der Küche bei den Vorbereitungen der Bestellungen zu helfen. Die Stunden vergingen wie im Flug und letztendlich stand Ukyo vor einem Problem. Er kam leicht überfordert in die Küche und näherte sich Ikki. „Hey, ich bräuchte deine Hilfe... denke ich“, meinte der Grünhaarige. Ikki sah ihn an. „Was ist? Überfordern dich die ganzen Ladys auf einmal?“, grinste er und zwinkerte Ukyo zu, ein Zeichen, dass er es nicht böse meinte. „Nein, das ist in Ordnung. Aber jemand orderte einen „Ikki-Spezial“ und da das so heißt, wie du, dachte ich...“ Ikkis Augen begannen zu leuchten und er ergriff Ukyos Hände. „Wirklich?“, hauchte er fragend und betrachtete die Worte des Grünhaarigen als ein Geschenk. „Was ist denn hier los?“, wollte Shin verwirrt wissen, welcher gerade hereinkam und bei dem Anblick, den die beiden Männer boten, fast seine Tabletts fallen ließ. „Ikki-Spezial“, hauchte Ikki erneut ehrfürchtig und Ukyo zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Nanu?“, fragte nun auch Toma, aber er erfasste blitzschnell die Situation. Sein Lachen erfüllte den kleinen Raum und er stieß Shin neben sich an. „Gleich geht es los“, grinste er und Ukyo wollte gerade wissen, was das bedeuten sollte, als Ikki aufstand und nur so vor Erregung sprühte. „Ich mache einen Ikki-Spezial. Und DU wirst mir helfen“, sagte er und ehe Ukyo sich versah, wurde er von Ikki zu einem Tisch geführt, auf welchem verschiedenste Gläser, Kühlbehälter und Toppings standen. Er bemerkte, dass Shin und Toma sich wieder um ihre Aufgaben kümmerten und ehe er sich versah, wurde er von Ikki in die Geheimnisse des Ikki-Spezial eingewiesen. Fasziniert beobachtete Ukyo die verschiedenen Handgriffe und er kam sich vor, als wäre er mitten in einer Zaubershow gelandet. Er konnte fast sehen, wie es um ihn herum flimmerte und glänzte, als wäre er in einem Manga gelandet. Aber er empfand es nicht als unangenehm, eher fühlte er sich als Teil von etwas ganz Besonderem. „Ist das so richtig?“, wollte Ukyo wissen und Ikki stellte sich hinter ihn, um das Werk seines Schülers zu begutachten. „Das ist schon fast perfekt. Nur noch die Kirsche platzieren, das ist etwas knifflig. Ich helfe dir dabei“, meinte der Silberhaarige und er ergriff erneut Ukyos Hände und gemeinsam brachten sie die Kreation zum Abschluss. „Merkwürdig...“, sagte Ikki plötzlich und hielt Ukyo weiter an den Händen. „Was ist?“, erkundigte sich der Grünhaarige verwirrt, denn er war sich sicher, dass er keinen Fehler begangen hatte. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich das schon einmal gemacht...“ „Natürlich, es ist doch dein...“ „Nein, das ist es nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich das schon einmal jemanden beigebracht habe... aber das ist unmöglich. Ich mache das immer allein, du bist der Erste...“ Ukyo erfasste Schwindel. Konnte das möglich sein? Hatte Ikki hier an genau dieser Stelle mit ihr gestanden und das Gleiche getan wie Ukyo? War dies eine weitere Nachricht und Botschaft von ihr? Ikki ließ den Grünhaarigen los und schnappte sich einen der großen Eisbecher, um ihn zu dem Tisch zu bringen. Ukyo blieb zurück und versuchte, ruhig zu atmen. Sein Herz klopfte heftig, sein Mund wurde trocken und ein stechendes Gefühl erfüllte seine Brust. Er tastete nach dem Ikki-Spezial vor sich und versuchte, Beruhigung durch das kalte Glas zu finden, doch es half nichts. Der Raum begann sich zu drehen, seine Beine kribbelten und wurden danach taub. Ukyo ging auf die Knie, Panik erfasste ihn. Was würde jetzt mit ihm passieren? War das nur ein Traum und er würde aufwachen, wieder beim 1. August beginnend? „N- nein-!“ Ukyo krallte sich in die Tischplatte, im gleichen Moment kontaktierten seine Knie den Boden. Sein gesamter Körper erzitterte und er empfand einfach nur nackte Angst. //Hilfe...//, dachte er, während sich dieses eiskalte Gefühl in ihm ausbreitete. Ukyo wurde blind und taub für alles, sein Herz klopfte ihm jetzt bis zum Hals und es half alles nichts mehr. Sein Atem ging stoßweise und alles in ihm krampfte sich zusammen. Plötzlich war jemand bei ihm, doch Ukyo war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Er wurde an einem warmen Körper gepresst und Ukyo krallte sich nun an die neue Konstante. Nicht mehr Kälte hielt ihn hier, sondern eine unglaubliche Wärme und der Grünhaarige versuchte, sich darauf zu fokussieren. Arme umfassten ihn, drückten ihn sanft, aber auch bestimmt, während sanfte Worte letztendlich doch an seine Ohren drangen. „Ukyo... es ist alles gut, ich bin bei dir.“ Immer wieder füllten diese Worte und ihre Bedeutung sein Inneres und die Angst und die Panik verschwanden langsam und stetig. Ukyo klammerte sich weiterhin an die Wärmequelle, suchte Schutz, bis er sicher war, dass er wieder ruhig atmen und auch wieder aufstehen konnte. Langsam begann er, sich zu regen und die Umarmung um ihn löste sich ebenso sachte, immer wieder bereit, zurückzukehren. „Ukyo...“ Der Angesprochene zuckte leicht zusammen, als er nun endlich Toma erkannte. Der andere zog ihn wieder auf die Füße und bedachte ihn wieder mit diesem besorgten, wachsamen Blick. Wieso war er immer da, wenn Ukyo ihn am Nötigsten brauchte? Der Grünhaarige verstand es nicht, aber er war froh, dass sein Freund da war. „Danke...“, wisperte er und hob seinen Hut auf, der ihm irgendwann vom Kopf gefallen war. „Nichts zu danken... aber, was ist denn eben passiert?“, wollte Toma wissen und zwang Ukyo dazu, dass dieser sich hinsetzte. Dann holte er eine kleine Wasserflasche, öffnete diese und gab sie dem Grünhaarigen. „Vielleicht hatte ich doch mehr Hunger als ich dachte“, log Ukyo und lächelte zittrig. Es war eine lahme Ausrede und Toma wusste das sicher auch, aber er konnte dem anderen noch nicht sagen, was los war. Es war alles noch zu neu und frisch... „Du bist bestimmt auch dehydriert. Du hast ja nur Kaffee im Bauch“, tadelte Toma und war selbst plötzlich ganz konfus. Ukyo auf dem Boden vorzufinden, hatte ihm einen riesigen Schrecken eingejagt und irgendetwas sagte ihm, dass es dafür einen wichtigen Grund gab. Aber er sah auch ein, dass der andere noch seine Geheimnisse haben wollte. Die Freundschaft zwischen ihnen war noch neu und brüchig, von daher mahnte Toma sich zur Besonnenheit. Um den anderen nicht weiter zu bedrängen, ging er auf die offensichtliche Lüge ein. „Dann bleibst du erst einmal hier und ich mache dir eben etwas zu essen. Die Lage beruhigt sich gerade wieder, es ist sowieso bald Zeit, um den Laden zu schließen“, meinte Toma und schon war er emsig damit beschäftigt, Ukyo ein Mahl zu bereiten. „Danke Toma...“ Tomas Lächeln hüllte ihn von Kopf bis Fuß ein und Ukyo fühlte sich mit einem Mal seltsam entrückt. Sein Herz pochte wieder etwas heftiger, aber es war nicht aus Angst, denn dieses Mal war es ein sehr positives Gefühl, welches er lange nicht empfunden hatte. Er hatte vergessen, wie dieses Gefühl hieß, aber das war jetzt auch nicht weiter wichtig. Meine Augen fühlten sich bleischwer an und ich hielt sie geschlossen. Ich wusste, dass ich sowieso nichts sehen würde, schließlich war ich tief drinnen versteckt. Ein kleiner Impuls hatte mich geweckt. Es hatte sich angefühlt, wie ein einzelner Herzschlag oder wie das zaghafte Flattern eines eben geschlüpften Schmetterlings. Wie abartig... Die Dunkelheit erdrückte mich von allen Seiten, spielte mein Gefängnis. Zumindest vorerst... Aber ich wusste, der Tag würde kommen, an welchem ich wieder die Kontrolle übernehmen würde. Erneut würde ich frei sein, dessen war ich mir voll bewusst. Und nur weil ich dies wusste, ließ ich es zu, dass die bleierne Schwere wieder einsetzte und an meinen Gliedern zerrte. Ich musste schlafen... noch so lange... schlafen... Kapitel 6: Der Schmerz trägt heute Badekleidung ----------------------------------------------- „Ukyo-san, ist auch wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?“, erkundigte sich Waka und er war immer noch nicht gänzlich davon überzeugt, dass es dem Fotografen wieder gut ging. „Alles in Ordnung, wirklich. Toma hat sich schon genug um mich gekümmert“, winkte Ukyo peinlich berührt ab und deutete auf den prall gefüllten Teller und die Flasche Wasser vor sich. „Du hast uns einen ordentlichen Schrecken eingejagt, daher ist es verständlich, dass man sich um dich kümmert“, sagte Toma tadelnd, aber er meinte es natürlich nicht böse. „Es tut mir leid, ich hätte besser auf mich aufpassen sollen“, entschuldigte sich Ukyo kleinlaut, obwohl er streng genommen nichts dafür konnte. „Sicher war es Überanstrengung“, meinte Ikki und Shin bestätigte dies. „Eine umfassende Untersuchung durch einen Arzt wäre anzuraten“, meinte Kent überlegend, doch Ukyo wollte davon nichts hören. „Ich brauche keinen Arzt, es ist alles wieder gut“, sagte er, doch keiner der Anwesenden war überzeugt. „Du hast deinen Teller noch nicht leer gegessen“, erinnerte Toma überflüssigerweise. Ukyo schnappte sich ein Sandwich, biss herzhaft hinein und verdrehte anschließend die Augen in Tomas Richtung, welcher daraufhin in sich hineingrinste. Erst nachdem sich alle überzeugt hatten, dass es Ukyo auch wirklich besser ging, gingen alle an die Aufräumarbeiten. Die Massen von Gästen hatten sichtliche Spuren hinterlassen und es musste überall gekehrt, geputzt und gewischt werden. Ukyo getraute sich, wenigstens abzuwaschen, auch, wenn Toma immer wieder besorgt nach ihm sah. Ein wenig ging das dem Grünhaarigen auf die Nerven und beim etwa dritten Mal riss ihm der Geduldsfaden. „Toma, es ist alles gut!“ Der Blonde entschuldigte sich und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Entschuldige, aber... ich mache mir einfach Sorgen um dich. Du bist immer noch etwas blass“, meinte er und Ukyos Ärger verflüchtigte sich etwas. „Ich weiß, du meinst es gut... aber bitte, packe mich nicht in Watte. Das ist... das ist mir peinlich und unangenehm.“ „Okay... entschuldige. Ich hole dich dann später ab.“ Toma sagte dies leise und überließ Ukyo anschließend sich selbst, denn es wartete auch auf ihn noch eine Menge Arbeit. Ukyo atmete tief durch. Ein Moment der Ruhe war ihm sehr willkommen, da er nachdenken musste. Noch immer steckte ihm der Schreck tief in den Knochen, auch, wenn Toma dies vorhin vorübergehend gelindert hatte. Trotzdem hatte Ukyo immer noch nicht ganz verarbeitet, was ihm da geschehen war. Seine Kehle wurde wieder etwas eng, als er daran dachte, aber er bemühte sich hartnäckig, das Gefühl wieder zu vertreiben. Er atmete abermals tief durch und versuchte die Kälte zu vertreiben, die sich wieder in ihm ausbreiten wollte. //Was hat das nur zu bedeuten...?//, fragte er sich wieder und wieder und starrte in das Spülwasser, als ob dieses ihm eine Antwort geben könnte. Es war klar, dass er diese Botschaften suchen musste, sie waren auf alle Fälle mit ihr verknüpft. Da Ukyo der augenscheinlich Einzige war, der noch wusste, dass sie je existiert hatte, war es wohl seine Aufgabe, alle übrigen Nachrichten zu suchen. Es blieben nur noch Shin und Kent übrig, die so etwas für ihn bereit hielten. Natürlich auch Toma, wobei Ukyo ja schon wusste, welcher Gegenstand da wohl eine Rolle spielte. Ukyo runzelte die Stirn. Es war eigentlich nicht kompliziert, diese Dinge ausfindig zu machen, aber ehrlich gesagt kam ihm das viel zu einfach vor. Es musste einen Haken geben und Ukyo graute es vor jenem Moment, wenn er alle Botschaften erhalten hatte. Was würde dann passieren? Wenn er nach seiner Reaktion vorhin auf das Ende schloss, dann befürchtete er, dass es keine gute Nachricht war, die ihn da erwartete. //Aber selbst, wenn ich es wollte... ich darf nicht aufhören//, dachte der Grünhaarige bedrückt, weil er mal wieder seinem Schicksal nicht entrinnen konnte. Es war alles in normalen Bahnen verlaufen, bis er sich verliebt hatte und sich etwas gewünscht hatte, was weitreichende Folgen auf andere Personen und sogar Welten hatte. Einmal mehr kam Ukyo sich wie ein Fremdkörper in dieser Welt vor, wieder war er ein Störfaktor, der noch mehr Störfaktoren auslöste. Auch, als sein zweites Ich verschwunden war, war der Wahnsinn noch nicht vorbei. Ukyo spürte, dass er langsam aber sich am Ende war. Es fehlte nur noch eine Sache, die schief ging und es würde sein Inneres völlig zerschmettern. Er wusste, er würde nicht mehr durchhalten können, auch, wenn er es versprochen hatte. Es gab eine natürliche Grenze, wie viel ein einzelner Mensch aushalten konnte und Ukyo hatte schon längst sein Limit überschritten... Toma war vollkommen erschöpft, dass er es kaum schaffte, sich umzuziehen. Jeder Muskel war verspannt, jede Stelle seines Körpers tat weh und er wollte einfach nur noch nach Hause. Ohne Frage war er auch stolz auf sich, schließlich hatte er diesen Tag überlebt. Trotzdem war er nicht böse darüber, dass morgen ein arbeitsfreier Tag anstand. Toma streckte sich ausgiebig, während er nach Ukyo suchte. Er hoffte, dass der andere es nicht übertrieben hatte. Er freute sich wenig später, dass der Grünhaarige an einem kleinen Tisch saß und gerade die letzten Krümel des Mahls verputzte, welches Toma vorhin für ihn bereitet hatte. Den Blonden überfiel in diesem Moment ein derart großes Glücksgefühl, dass es sein Herz zum wilden Klopfen verleitete. Er hatte keine Ahnung, warum, aber das war auch einerlei, solange es Ukyo wieder gut ging. „Ukyo? Bist du soweit? Wir könnten dann gehen“, machte sich Toma bald darauf bemerkbar und der Fotograf sah auf. Das Gefühl, sich dem anderen anzuvertrauen war plötzlich übermächtig, aber er wollte nicht, dass der andere ihn für verrückt erklärte. Also schwieg er, spülte noch schnell den Teller ab, trocknete sich die Hände ab und gesellte sich dann zu Toma. „Was für ein Tag“, seufzte dieser und Ukyo konnte ihm da nur zustimmen. Shin, Kent und Ikki hatten schon den Heimweg angetreten, so dass Toma und Ukyo für sich blieben. Ohne die Gespräche der anderen herrschte Schweigen zwischen ihnen, welches keiner so wirklich aufheben wollte. Plötzlich einsetzender Regen sorgte dafür, dass sie schneller liefen und Tomas Wohnung erreichten. Ukyo blieb unschlüssig stehen, während Toma seine Schlüssel herauskramte und die Tür aufsperrte. Der Blonde schaute auf, weil der Fotograf nicht nachkam und sprach nun doch mit ihm. „Es regnet, Ukyo. Das ist bestimmt nicht dein Ernst, dass du draußen übernachten willst“, sagte Toma und schaute Ukyo an, als hätte dieser nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Ich... du hast Recht“, lenkte der Grünhaarige verlegen lächeln ein und machte damit schleunigst, dass er ins Trockene kam. Toma atmete innerlich erleichtert auf. Er wollte sich heute nicht noch mehr Sorgen um den anderen machen müssen und war froh, dass der andere auch einsah, dass eine Nacht im Regen wahrscheinlich nicht klug war, wenn man vorher schon umgekippt war. „Mann, bin ich erledigt...“, seufzte Toma, als sie das Wohnungsinnere erreichten und Ukyo konnte ihm da nur zustimmen. Kurz überlegte Toma, noch eine Abendbeschäftigung anzubieten, aber er war viel zu erledigt dazu und er sah Ukyo an, dass dieser eine Mütze Schlaf bevorzugte anstatt des abendlichen Entertainmentprogramms. „Lass uns morgen etwas unternehmen, Ukyo“, meinte Toma dennoch und der Fotograf musterte ihn verwundert. „Wieso?“ Toma lachte über diese unbedarfte Frage herzlich und klopfte Ukyo kumpelhaft auf die Schulter. „Wir sind doch jetzt Freunde. Das heißt, wir unternehmen auch Dinge miteinander, um noch bessere Freunde zu werden“, erklärte er und beobachtete, wie Ukyo heiße Röte ins Gesicht schoss. //Süß...//, schoss es dem Blonden durch den Kopf, maß dem Gedanken aber keine tiefere Bedeutung zu. „Okay, dann... unternehmen wir morgen etwas zusammen. Darf ich erfahren, was genau?“, fragte Ukyo ungelenk und fühlte sich etwas unwohl. Es war für ihn neu, einen Freund zu haben, der auch noch etwas mit ihm unternehmen wollte. Man konnte schon sagen, dass ihn das ein wenig überforderte, aber er beschloss, an dieser neuen Herausforderung zu wachsen. „Ich dachte an schwimmen“, grinste Toma und Ukyo fiel erneut aus allen Wolken. Warum ausgerechnet Schwimmen? „Ich war schon ewig nicht mehr schwimmen und dabei haben wir ein tolles Schwimmbad in der Nähe. Das wird dir bestimmt gefallen, glaub mir“, sagte Toma begeistert und Ukyo ließ sich ein wenig davon anstecken. „Ok“, bestätigte er also und beschloss dann, ins Bad zu gehen, um sich bettfertig zu machen. Kurz stützte er sich mit den Händen am Waschbeckenrand ab und schaute in den Spiegel, der sich über jenem Waschbecken befand. Sein Gesicht war blasser als sonst, aber er fühlte sich allgemein ganz gut. „Schwimmen also...“, sagte er leise zu sich selbst und verscheuchte das kleine ungute Gefühl dabei, welches in ihm hochsteigen wollte. Das Wasser in einem Schwimmbad konnte man nicht mit dem im alten Brunnen vergleichen, also waren seine Ängste unbegründet. Ukyo atmete trotzdem tief durch, denn das Wort „Wasser“ allgemein reichte schon aus, um ihn an den schlammigen Tümpel zu erinnern. Hartnäckig kämpfte er das panikartige Gefühl nieder und sagte sich selbst, dass alles gut werden würde. Schließlich hatte er Toma dabei und dieser hatte heute einmal mehr bewiesen, dass man sich auf ihn verlassen konnte. Ukyo zog sich um und richtete seine Haare wieder zum Zopf, der ihm lang und schwer auf den Rücken fiel, dann kehrte er zu Toma zurück. Dieser schlug ebenfalls den Weg zum Bad ein und wirkte dabei beschwingt, als ob er sich sehr über den morgigen Ausflug freuen würde. Ukyo setzte sich auf die Seite des Bettes, die er gestern schon in Beschlag genommen hatte und bedeckte seine Beine mit der weichen Bettdecke. Es war ein warmes, sicheres Gefühl und davon gestärkt schaute er zu der geschlossenen Tür hinüber, hinter der das Käfigmonster lauerte. Ein unangenehmes Gefühl kletterte an seiner Wirbelsäule hinauf, aber Ukyo weigerte sich, erneut in Panik auszubrechen. Er würde sich auf morgen, Toma und den Ausflug konzentrieren und anschließend konnte er sich immer noch mit der Botschaft auseinander setzen, die hinter dieser Tür lauerte. //Für heute reicht es mir...//, dachte der junge Mann bei sich und ließ sich gänzlich ins Bett sinken. Es dauerte nicht lange und er schlief ein, wobei er nicht bemerkte, wie Toma wieder zu ihm zurückkehrte. Der Blonde registrierte belustigt, dass Ukyo schon vor sich hin träumte und er legte sich vorsichtig zu dem Grünhaarigen, ehe er das Licht ausschaltete. Er freute sich wirklich sehr darauf, mit dem anderen den morgigen Tag verbringen zu dürfen und er hoffte, dass Ukyo es ebenso empfand. Toma wunderte sich nur wenig darüber, dass der andere ihm bereits so sehr ans Herz gewachsen war. In seiner Gedankenwelt gab es nur ganz oder gar nicht und er hatte sich schon so auf Ukyo eingelassen, dass er sich am liebsten den ganzen Tag mit dem anderen abgegeben hätte. So erging es ihm auch bei seinen anderen Freunden, aber Ukyo weckte zusätzlich noch seinen Beschützerinstinkt. Der andere musste viel durchgemacht haben, dass er vor ein paar Tagen so traurig gewirkt hatte und Toma sah es als seine freundschaftliche Pflicht, etwas dagegen zu unternehmen. Mit diesem Gedanken fand auch er in den Schlaf... Am nächsten Morgen hatte Ukyo Mühe mit den beschwingten Schritten Tomas mitzuhalten. Der andere sprühte geradezu vor Tatendrang und Glück und Ukyo bemerkte an seinem dauerhaften Lächeln, dass der Blonde ihn damit angesteckt hatte. Die Schrecken des gestrigen Tag waren verschwunden und Ukyo hatte vor, diesen Tag zu nutzen, um die Freundschaft zu Toma weiter auszubauen. Er wollte heute nicht an seine unheilvolle Aufgabe denken, das gehörte nicht zu diesem sonnigen Tag. „Da sind wir“, sagte Toma mit einem Mal und Ukyo wäre beinahe in ihn hineingelaufen. Er spähte an dem Blonden vorbei auf ein freundliches, weißes Gebäude, auf dessen Mauern blaue Wellen gemalt worden waren. Der Fotograf war noch nicht hier gewesen und ihm wurde ein wenig unwohl dabei, als er sah, wie viele Leute durch die breite Doppeltür ein und aus gingen. Aber er wollte natürlich keinen Rückzieher machen. „Gehen wir“, meinte der Grünhaarige also und ging weiter, so dass Toma nun ihm folgen musste. „Na da freut sich aber jemand“, kommentierte der Blonde dies. Ukyo wurde rot, blieb stehen und wandte sich zu Toma um. War sein Verhalten etwa schlimm? „Keine Sorge, ich will dich nicht ärgern. Ich freue mich, wenn du unsere Unternehmung schätzt.“ Tomas Lächeln nahm Ukyo die Sorge und verdrängte diese in die hinterletzte Ecke seines Bewusstseins. Er ärgerte sich ein wenig über sich selbst, dass er sich wieder einmal so leicht aus dem Konzept hatte bringen lassen, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. „Ich weiß nicht, wie lange ich nicht schwimmen war. Es ist wohl einfach die Vorfreude.“ „Dann versprich mir etwas, Ukyo.“ „Was denn?“ „Lass uns einen schönen Tag haben, ja?“ Ukyo lächelte. Dieses Versprechen gab er nur zu gerne. „Versprochen.“ Es war viel los, aber mit Toma in der Nähe fühlte Ukyo sich in diesen Hallen sicher. Nachdem sie sich die Tickets geholt hatten, suchten sie als Erstes den Shop des Schwimmbades auf, denn Ukyo fehlte noch das Wichtigste. Ziellos ging er durch die Reihen von Badebekleidung und wusste nicht, was er nehmen sollte. Eigentlich war es ja egal, schließlich ging es hier nicht um einen Schönheitswettbewerb, aber trotzdem waren ihm die verschiedenen Farben, Modelle und Muster zu viel. „Heftige Auswahl“, lachte Toma neben ihm und Ukyo stimmte ihm zu. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine Frauenstimme und plötzlich tauchte neben den beiden Männern eine junge Frau auf, die ihnen wohlbekannt war. „Mine“, sagte Toma überrascht und auch die junge Frau blinzelte erstaunt. „Was macht ihr denn hier?“ „Wir wollten schwimmen gehen“, antwortete Ukyo nach wie vor etwas überfordert. „Aber vorher müssen wir meine Kleiderfrage dahingehend lösen.“ Mine klatschte in die Hände und zeigte sich erfreut. „Da habt ihr ja Glück, dass ihr bei mir gelandet seid. Wie ihr wisst, ist mein Modegeschmack sehr ausgeprägt und es wäre doch gelacht, wenn ich nicht das Richtige für dich finde.“ Sie hatte kaum ausgesprochen, da kam sie näher an Ukyo heran. Sie schaute ihn von oben bis unten an, ging eine Runde um ihn herum und dann noch einmal. Dabei zogen sich ihre Augenbrauen konzentriert zusammen und ihr Blick machte nur kurze Zwischenstopps, um Ukyos Stil einzuordnen. Dann schwirrte sie geschäftig davon und ließ die beiden Männer stehen. „Das war...“, sagte Ukyo, doch er fand nicht das richtige Wort dafür. „...gruselig“, meinte Toma, aber er grinste, denn es war nicht das erste Mal, dass er die Modepolizei Mine in Aktion erlebte. Die junge Frau kehrte mit drei Modellen zurück zu den beiden Männern und hielt sie Ukyo probeweise vor die Hüftgegend. Ukyo versuchte, sich nicht zu rühren, obwohl es ihm äußerst unangenehm war und er getraute sich kaum, Toma anzuschauen. Dieser grinste in sich hinein und zwinkerte dem Fotografen zu, wobei ihn hier das Gefühl ereilte, als ob er so eine ähnliche Situation schon einmal erlebt hatte. „Das hier. Es hat bereits die richtige Größe, du musst also nicht weiter nach etwas suchen“, bestimmte Mine schließlich und hielt Ukyo ein schlichtes Modell hin, welches das gleiche Muster wie das Band seines Hutes aufwies. Statt schwarz-weiß war es in dunkelgrün und schwarz und Toma musste zugeben, dass es wirklich eine gute Wahl war. Er war schon selbst neugierig, wie es Ukyo wohl stehen würde, aber natürlich musste der Fotograf zuerst sein Ok geben. „Und? Was sagst du?“ Ukyo zögerte zuerst und besah sich das Kleidungsstück von allen Seiten. Wenn Mine es für gut befand, dann war dem wohl so. Er griff also nach dem Kleidungsstück und nickte zaghaft. „In Ordnung, ich nehme die Wahl meiner weisen Ratgeberin“, sagte er und lächelte Mine zu, welche daraufhin zart errötete. „Es war mir eine Freude, wenn ich dir helfen konnte, Ukyo-san“, sagte sie, schnappte sich das Kleidungsstück zurück und lief zur Kasse. Toma schaute überrascht hinter der jungen Frau hinterher. Stand diese nicht auf Ikki? Irgendwie störte es ihn, dass Mine Interesse an dem Grünhaarigen zu bekunden schien, denn schließlich war der andere doch sein... //Moment. Mein was?//, bremste Toma sich selbst und verwundert nahm er ein Stechen in seiner Herzgegend war. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Nachdem die Kleiderfrage endlich geklärt worden war, konnte es endlich weitergehen. Die beiden Männer suchten die Umkleideräume auf und begannen, sich umzuziehen. Toma war schnell fertig, weil die Vorfreude einfach so groß war. Vergessen war sein ungutes Gefühl bezüglich Mine und er freute sich einfach nur noch darauf, bald in kühles Nass zu tauchen. Er drehte sich zu Ukyo um... und hielt wie vom Blitz getroffen inne. Sein Blick wanderte über Ukyos nackten Rücken, während der andere gerade versuchte, seine Haare wieder zu dem altbekannten Zopf zu bändigen. Sein Körper war schmal, aber nicht so, dass es zerbrechlich gewirkt hätte. Natürlich hätten dem anderen hier und da ein paar Gramm mehr gut getan und Toma beschloss, dem anderen ein paar süße Mahlzeiten mehr unterzujubeln. Die Haut des anderen war weiß, ohne dabei kränklich zu wirken und in Toma kam der aberwitzige Gedanke auf, dass er den anderen gerne berührt hätte. „Toma?“ Der Angesprochene brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln. „Äh... ja?“ „Kannst du mir mit meinen Haaren helfen?“, fragte Ukyo und reichte Toma einen weiteren Haargummi nach hinten, während er mit der anderen Hand den fast fertigen Zopf festhielt, damit dieser sich nicht wieder lösen konnte. Toma nahm das dicke Ende des Zopfes in seine Hände und atmete tief durch. Er musste wieder zur Besinnung kommen und er tat sein Bestes. Er schlang den Haargummi um die dicken, grünen Haarsträhnen und handelte schnell und präzise. Als er fertig war, schnippte er den Zopf über die Schulter des anderen nach vorn. „Fertig! Und nun lass uns schwimmen gehen!“, rief er dann übermütiger als normal und lief eilig voraus. Der Chlorgeruch war schon hier zu riechen gewesen, doch in den Duschen wurde es noch intensiver. Ukyo duschte kalt, damit er sogleich vorbereitet war, dann folgte er Toma weiter zum Schwimmbecken. Viele Leute tummelten sich am Rand und auch im Becken selbst, dass er kurz Sorge hatte, gar nicht mit hineinzupassen, aber Toma schien das nicht aufzuhalten. Er stieg die Stufen hinab und watete ins Wasser hinein, so dass Ukyo keine andere Wahl blieb, als ihm abermals zu folgen. Das Wasser war angenehm warm und der Grünhaarige gab ein genießendes Seufzen von sich, weil die Temperatur und auch das Gefühl des Wassers auf seiner Haut einfach unglaublich schön war. Immer weiter ging Toma und auch Ukyo ging weiter, bis ihm das Wasser bis zum Schlüsselbein reichte. Dann ließ er sich treiben und zu seiner Überraschung erinnerte sich sein Körper daran, wie man schwamm. Es sah bestimmt zuerst ein wenig holprig aus, doch dann gewann Ukyo an Sicherheit und er schwamm, als ob er nie etwas anderes getan hätte. „Super, du hast es nicht verlernt“, lobte Toma ihn und sie lieferten sich wenig später ein kleines Wettschwimmen. Ukyo fühlte sich gelöst und Freude durchströmte ihn, weil das hier endlich einmal etwas Normales war, etwas, dass andere normale Menschen auch taten. So hatte er sich schon ewig nicht mehr gefühlt und er hatte in diesem Moment eine bewegende Empfindung, die man nur mit „Glück“ beschreiben konnte. Er fühlte sich beinahe frei, während sein Körper sich durch das Wasser bewegte und er ließ Toma recht bald hinter sich. Einen Augenblick später schlug er mit einer Hand an den Beckenrand und drehte sich triumphierend zu dem blonden Mann um, der erst ein paar Momente später dieses improvisierte Ziel erreichte. „Du warst ja schnell wie ein Pfeil. Ich verlange unbedingt Revanche“, forderte Toma lächelnd, der dies nicht auf sich sitzen lassen wollte. „Kannst du haben“, grinste Ukyo und ehe Toma sich versah, schwamm der Fotograf schnell wieder los. „Hey, das ist unfair“, rief Toma ihm nach, aber er war nicht böse darüber, vielmehr freute er sich, dass Ukyo so einen Spaß hatte. Er nahm die Verfolgung auf, Ukyo immer im Blick behaltend. Er hatte natürlich keine Chance gegen den anderen, aber er würde sich das nicht anmerken lassen, denn Toma liebte die Herausforderung. Ukyo war so vertieft in sein Schwimmen und auf die Aussicht, wieder zu gewinnen, dass er die andere schwimmende Person in seiner Bahn nicht kommen sah. Aber er spürte diese einen Moment später, als er gegen den anderen Mann stieß und das holte ihn in die Realität zurück. „Es tut mir leid!“, rief Ukyo entschuldigend, ehe er den anderen ansah. „Nicht schlimm, Ukyo-san. Ich habe auch nicht aufgepasst“, meinte der andere und erst jetzt erkannte Ukyo, dass er Kent vor sich hatte. Kent und Schwimmen? Man lernte doch nie aus. „Kent?“, fragte der Fotograf trotzdem, nur, um ganz sicher zu gehen. „Ja“, bestätigte der andere und seine Mundwinkel hoben sich kaum merklich zu einem kleinen Lächeln. „Was für eine Überraschung. Ich wusste gar nicht, dass du gerne schwimmst“, wunderte sich Ukyo und schwamm dabei auf der Stelle, schließlich befand er sich im tiefen Wasser. „Nun, ich mache das auch eher aus Forschungsgründen“, meinte Kent und darin erkannte Ukyo schon eher den Kent, der ihm vertraut war. „Darf man fragen, was du erforschst?“ Kent runzelte die Stirn und wirkte für einen Moment woanders mit seinen Gedanken. In Ukyo läutete eine noch unscheinbar wirkende Alarmglocke. Wenn Kent so durcheinander wirkte, musste es etwas Beunruhigendes sein, aber Ukyo wollte sich nicht unnötig sorgen, wenn er keinen unmittelbaren Anlass dafür sah. „Das weiß ich selbst nicht so genau.“ Kents Antwort sorgte nun doch dafür, dass der Fotograf sich sorgte. „Wie meinst du das?“ „Ich glaube, man nennt es, „einem Gefühl nachgehen“. Zumindest erinnere ich mich, das in einem Buch gelesen zu haben.“ Ukyo überkam ein merkwürdiges Gefühl, aber dennoch beschloss er, weiter nachzuforschen. „Welchem Gefühl gehst du nach?“ Seine Stimme war ruhig, aber sein Inneres wurde nun durch unangenehme Schwingungen erschüttert. „Als ich das erste Mal hier war, hatte ich ein... nun, ein Gefühl, denke ich. Kennst du das, wenn du etwas vergessen hast und du brauchst einen Anstoß, um dich wieder zu erinnern? Genau das stellt dieses Schwimmbad für mich dar. Eine Erinnerungshilfe“, sagte Kent und Ukyo wusste seltsamerweise genau, was der andere meinte. „Nur glaube ich, dass ich damals, als ich das erste Mal hier war, nicht wirklich zum ersten Mal hier war. Es klingt unlogisch, ich weiß... aber ich werde dieses Gefühl einfach nicht los und deshalb komme ich wieder und wieder hierher.“ //Er redet von ihr... er war mit ihr hier//, schoss es Ukyo durch den Kopf und er bekam mit einem Mal schlecht Luft. //Nicht jetzt... nicht hier//, schoss es Ukyo durch den Kopf und er beschloss, so schnell wie möglich an den Beckenrand zu schwimmen. Nicht auszudenken, wenn er hier und jetzt das Bewusstsein verlor. „Ich sollte dann mal weiter, ich liefere mir mit Toma ein Wettschwimmen und ich habe vor zu gewinnen“, sagte Ukyo und wollte an Kent vorbei zu schwimmen. Doch dieser runzelte plötzlich die Stirn und hielt Ukyo am rechten Oberarm auf. „Ukyo, verzeih mein merkwürdiges Verhalten, aber... ich glaube, du kannst mir helfen“, sagte der Braunhaarige und seine Hand an Ukyos Arm sorgte dafür, dass der Fotograf ein ungutes Gefühl bekam. Schwindel ergriff ihn und ihm wurde flau im Magen. Er musste schnellstens weg von hier. „Ukyo? Warst du mit mir hier?“, stellte Kent die Frage und etwas in Ukyo sagte leise wispernd Ja. Es war ihre Stimme, doch so schnell wie sie gekommen war, verschwand sie wieder und zurück blieb ein dumpfer Schmerz, der Ukyo plötzlich erfasste. Ein Schmerzenslaut glitt über seine Lippen und er erstarrte. Kent ließ ihn los, aber das Gefühl blieb, während der Schmerz seinen Kopf zu spalten schien. „Ukyo-san? Ist alles in Ordnung?“ Kents Stimme erreichte Ukyo nur verschwommen und Tomas Stimme durchdrang wenig später kaum den Nebel, der seine Sinne erfasste. Ukyo keuchte auf, sein gesamter Körper befand sich in einer Art Schockstarre. Zuletzt erfasste ihn ein pulsierender Schmerz... und plötzlich wurde alles einfach nur schwarz. Ein starker Impuls jagte durch mein Inneres und ich schlug die Augen auf. Ich sah nichts, aber ich konnte es... nein, SIE erahnen. Sie war immer noch da?! „NEIN!“, schrie ich außer mir. Ich hatte sie doch erwischt, ich hatte ihr eigenhändig das Leben genommen und sie sterben sehen! Das durfte nicht sein... Sie hatte mir... uns... schon genug angetan. Was also tat sie hier? Wieso ließ sie uns nicht endlich in Ruhe? Warum ließ sie mir nicht meinen Frieden und meine Freiheit? Ich spürte Unruhe in mir und wusste, dass ich schnellstens zurück musste. Ich musste wieder zurück und musste uns beide beschützen, bevor sie wieder Schaden anrichtete. Das Problem war nur, dass mir die Verbindung fehlte. Noch immer sah ich nur Schwärze um mich herum, die auf mich eindrückte. Es reichte noch nicht... noch nicht... Kapitel 7: Die geliehene Stimme ------------------------------- „Erzähl mir nochmal, was passiert ist“, verlangte Toma von Kent, während er den bewusstlosen Ukyo durch die Flure trug. Er wusste nicht mehr, wie er es geschafft hatte, Ukyo aus dem Wasser zu kriegen, aber mit Kents Hilfe hatte er es geschafft, ohne selbst dabei unterzugehen. Der Grünhaarige fühlte sich leicht an und nochmals nahm Toma sich vor, dem anderen zukünftig mehr Essen unterzuschieben. „Du warst doch dabei, Toma. Ich verstehe nicht, was eine erneute Darlegung der Ereignisse bringen soll“, meinte Kent dazu und versuchte mit Toma Schritt zu halten. Der Braunhaarige hatte seinen Freund noch nie so außer sich erlebt, aber es gab wohl für alles ein erstes Mal. „Ich will nur verstehen, was passiert ist“, regte Toma sich auf, während er immer wieder vor sich sah, wie Ukyo diesen gepeinigten Laut von sich gegeben und das Bewusstsein verloren hatte. Er machte sich Sorgen um den anderen und musste sichergehen, ob er alles richtig gemacht hatte. „Ich habe mich mit ihm unterhalten und plötzlich wurde er ganz komisch. Dann ist er umgekippt... sofern man das im Wasser so nennen kann“, fasste Kent die Geschehnisse kurz zusammen. Noch immer blieb ihm der Sinn der Wiederholung dessen verborgen, aber er wollte Toma den Gefallen tun. „Worüber habt ihr euch unterhalten?“, fragte Toma jetzt und Kent beantwortete ihm auch das. Der Blonde runzelte die Stirn über die Ernsthaftigkeit des Themas und konnte den Sinn, weshalb Ukyo ausgerechnet wegen so etwas umkippte, nicht verstehen. Irgendetwas war hier im Busch und er wollte unbedingt dahinter kommen, was es war. Doch zuerst musste er sich um den Grünhaarigen kümmern und dafür sorgen, dass dieser wieder aufwachte. Toma bog in den Gang mit den Umkleideräumen ein und konnte sich sogar noch daran erinnern, welchen er und Ukyo vorhin eingenommen hatten. Der Raum war gerade leer und Toma war froh darüber, denn er brauchte nicht auch noch Zuschauer oder störende Zwischenfragen. „Kannst du mein Badetuch auf die Bank legen?“, fragte er an Kent gewandt und der andere kam seiner Bitte schnellstens nach. Toma legte den Fotografen schließlich auf die Bank und legte das Badetuch um ihn herum, ehe er ihn ein wenig abtrocknete. Nach dieser Ohnmacht brauchte der andere bestimmt nicht auch noch eine Erkältung. Besorgt musterte er Ukyos blasses Gesicht, die blassen Lippen und den erschöpften Ausdruck, der das sonst so sanfte Angesicht zierte. „Und jetzt?“, fragte Kent und Toma fühlte sich so überfordert, wie der andere sich anhörte. „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollten wir doch lieber den Arzt informieren“, überlegte Toma und nachdem er darüber nachgedacht hatte, hielt er das für die bessere Idee, als hier zu sitzen und darauf zu warten, dass es Ukyo von allein wieder besser ging. „Ich gehe den Arzt holen und du holst ihm etwas Wasser. Wenn er aufwacht, wird er bestimmt durstig sein nach der ganzen Aufregung“, sagte Toma und ehe Kent noch etwas erwidern konnte, war der Blonde losgerannt. Kent seufzte, da er sich allein mit dem bewusstlosen Mann wiederfand. Dabei hatte er Toma noch fragen wollen, wo man hier etwas zu trinken bekam. Er kam zwar oft hierher, aber die Dienstleistungen, die über das Schwimmen hinaus gingen, hatte er noch nicht ausprobiert. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig als auf die Suche zu gehen. „Halte durch, Ukyo-san“, meinte er an den Bewusstlosen gewandt und machte sich dann schnellen Schrittes auf den Weg. Ukyo kämpfte sich durch den Nebel, der ihn nach wie vor gefangen hielt. Er fühlte sich wie in der Schwebe, ein Zustand, den er nicht beeinflussen konnte und das machte ihm Angst. Er konnte Stimmen hören, allerdings waren sie viel zu weit entfernt, als dass er die Bedeutung ihrer Worte hätte verstehen können. Einmal glaubte er, Toma laut und deutlich zu hören, aber er konnte ihm nicht antworten, weil kein Ton über seine Lippen kam. Von allen Seiten drückte eine graue Masse auf ihn ein und Ukyo kämpfte darum, wieder aufzuwachen. Doch die Schwere zog an seinem Körper, hielt ihn gefangen und flüsterte ihm zu, dass er wieder in die Ohnmacht zurücksinken sollte, dorthin, wo ihm nichts mehr passieren würde. Ukyo war versucht, der Schwere nachzugeben, doch er musste in diesem Moment daran denken, dass Toma und Kent sich sicher Sorgen um ihn machten. Er wollte den beiden keine Umstände machen und da war es das Mindeste, wenn er jetzt endlich wieder aufwachte. //Ich darf ihnen nicht zur Last fallen//, dachte Ukyo und er klammerte sich an diesen Gedanken, kämpfte sich weiter. Letztendlich ließ die Schwere nach, seine Umgebung begann, wieder Konturen anzunehmen und der Grünhaarige erkannte die Umkleideräume wieder. Der Geruch von Chlor stieg wieder in seine Nase, ebenso wie ein schwacher Geruch, den er Toma zuordnete. Ukyo richtete sich langsam auf, weil er seinem Körper noch nicht völlig vertraute, wobei das um ihn drappierte Badetuch nach unten in seinen Schoß rutschte. Sein Blick fiel darauf und nun wusste er auch, warum er Toma in seiner Umgebung gerochen hatte, obwohl dieser nicht einmal anwesend war. Ukyos Zunge klebte an seinem völlig trockenen Gaumen und er spürte brennenden Durst. Er räusperte sich mehrfach und stand auf, als er seinen wackeligen Beinen wieder vertrauen konnte. Er machte vorsichtige Schritte in die Richtung seines Spinds, öffnete diesen mit dem kleinen Schlüssel, der zum Glück immer noch an seinem Handgelenk befestigt war. Er entnahm dem dunklen Inneren des kleinen Schranks seine Sachen und begann, sich umzuziehen. Mehrfach überkam ihn dabei ein Schwächegefühl, aber Ukyo ließ sich nicht abbringen. Nachdem er seine Kleidung wieder angelegt hatte, fühlte er sich ein wenig sicherer und er ließ sich nochmals auf die Bank nieder, um sich zu sammeln. Fest stand, dass dieser Anfall schlimmer als der Vorherige gewesen war. Es war die zweite Nachricht, die er erhalten hatte. Er wusste jetzt, dass sie noch irgendwo hier auf dieser Welt war und mit jeder Nachricht würde sie klarer sprechen und ihm Antworten geben können. Ukyo konnte sich ausmalen, dass die nächsten beiden Nachrichten ihm all seine Kraft entziehen würden und er beschloss, dass er das nur allein machen konnte. //Ich darf Toma nicht weiter zur Last fallen. Das ist meine Aufgabe und ich muss sie erfüllen, wenn es je wieder alles wie vorher sein soll//, schoss es ihm durch den Kopf und er fasste neue Entschlusskraft. Die Freundschaft zu Toma war schön gewesen, aber sie war gleichermaßen eine Ablenkung. Doch wenn dieser Wahnsinn je aufhören sollte, dann musste Ukyo seine Aufgabe erfüllen. Das hieß, er musste Shin aufsuchen und danach Toma, um die Erinnerungen an sie auszulösen und sich dem Ergebnis zu stellen. Das konnte er nur, wenn er sich nicht weiter ablenken ließ, so schön es auch war, wenn man einen Freund hatte. Ukyo sammelte all seine Kraftreserven und verließ den Raum. Er musste weg hier... Wenig später kehrte Toma mit einem Arzt zu den Umkleideräumen zurück, doch dort erwartete ihn nur Leere. Er erfasste den geöffneten, leeren Spind, das Badehandtuch auf der Bank und die zurückgelassene Badekleidung. „Nun? Wo ist denn dieser Mann, den ich mir ansehen soll?“, fragte der Arzt neben ihm ein wenig ungeduldig, aber Toma hörte ihn kaum, als die Erkenntnis durch ihn hindurch sickerte. Ukyo war weg. „Toma? Nanu, wo ist Ukyo?“, fragte nun auch Kent, der soeben eintrat, doch auch ihn ignorierte Toma. „Er ist weg...“, informierte der Blonde niedergeschlagen. Er hatte die düstere Ahnung, dass er den anderen wohl nicht mehr wiedersehen würde, aber er wollte sich das nicht eingestehen. Sein Inneres zog sich bei dieser Empfindung des Verlusts zusammen und sein Herz schmerzte, als hätte jemand direkt hinein geboxt. „Toma?“, fragte Kent, doch noch immer achtete der Blonde nicht darauf. Seine Gedanken drehten sich nur um Ukyo und zum ersten Mal erahnte er, was der andere ihm wirklich bedeutete. //Es tut weh, wenn er weg ist... das ist keine normale Freundschaft//, dachte er und seine Hand verkrampfte sich wie von selbst dort, wo sein Herz schlug. Toma war sich nicht vollkommen sicher, ob es das war, was er vermutete, aber vielleicht half ihm der Schock dabei, es herauszufinden. „Es gibt hier also nichts zu tun, dann würde ich mich jetzt verabschieden und wieder an meine Arbeit gehen, wenn es nichts ausmacht“, meckerte der Arzt hinter ihm, aber Toma maß der Aussage kaum Wert zu, schließlich waren seine eigenen Gedanken gerade viel wichtiger. Es stand fest, dass er Ukyo mochte. Er hatte sich und ihn für Freunde gehalten und er hatte festgestellt, dass er gerne mit dem anderen zusammen war. Er hatte die Zeit mit dem anderen genossen, es hatte sich immer richtig angefühlt, wenn der andere in seiner Nähe, in seiner Wohnung und sogar bei ihm auf Arbeit gewesen war. Er hatte sich mit ihm verbunden gefühlt und deshalb tat es jetzt so unglaublich weh, als er festgestellt hatte, dass Ukyo weg war. //Ist das etwa...?//, fragte sich Toma und kurz taumelte er, so dass er sich schnell hinsetzen musste, bevor es ihm bei dieser plötzlichen Erkenntnis die Füße wegzog. Seit Toma die ersten Paare um sich herum wahrgenommen hatte, hatte er sich immer wieder vorgestellt, wie es sein musste, wenn man eine Beziehung führte. Er hatte sich immer die Gefühle vorgestellt, die man jemandem entgegen bringen musste, um diesen überaus wichtigen Schritt zu gehen. Der Blonde hatte sich immer vorgestellt, dass es immer ein gutes Gefühl war, mit jemanden auf dieser Wellenlänge zu sein. Andererseits hatte er auch oft beobachtet, wie Beziehungen in die Brüche gingen und dass die Beteiligten mehr litten als andere Menschen. Er hatte von Liebeskummer gelesen und hatte in Filmen gesehen, wie sich Verliebte ansahen, doch nie hatte es in seinem Leben dazu gereicht. Niemals hatte er diesen Punkt erreicht, an dem jemand in ihm mehr auslöste als bloße Freundschaft. Bis jetzt. „Verdammt!“, fluchte Toma angesichts seiner eigenen Ignoranz und sprang auf, womit er Kent halb zu Tode erschreckte. Schnell begann der Blonde, sich anzuziehen und seine Sachen zusammen zu suchen. Er musste schleunigst hinter Ukyo her. Der andere konnte noch nicht weit gekommen, also wenn er sich beeilte, konnte er den anderen noch einholen. Diese Chance, das eigene Glück endlich in Händen zu halten, durfte er sich einfach nicht entgehen lassen und er musste wissen, was Ukyo dazu sagte. Ukyo war noch nicht weit gekommen, er war viel zu erschöpft. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und es war kühler geworden, so dass es Ukyo ein wenig fröstelte. Er bog an einer grünen Hecke ab und beschloss, irgendwo eine kleine Pause einzulegen. Das grüne Buschwerk hörte urplötzlich auf und gab den Blick frei auf einen Spielplatz. Es war nur ein kleiner Sandkasten mit einer Wippe und zwei Schaukeln, aber scheinbar reichte dies schon aus, um einen Reiz auszuüben, denn Ukyo war nicht allein hier. Gegenüber des Sandkastens standen mehrere Bänke und auf einer saß eine dunkelhaarige Gestalt in rot-schwarzer Kleidung. //Shin//, erkannte Ukyo den anderen und er blieb wie vom Donner gerührt stehen. Kurz haderte er mit sich selbst, schließlich war das Erlebnis mit Kent noch nicht lange her, aber dann fasste er sich ein Herz. Vielleicht ergab sich so eine Gelegenheit nicht wieder, also musste er seine Chance nutzen. Je eher er sich seiner Aufgabe stellte, umso schneller wusste er, was sie ihm sagen wollte. Ukyo beobachtete Shin eine Weile, um festzustellen, dass der andere eine Gitarre auf einer zweiten Bank ablegte. Er strich versonnen mit den Fingern über das glatte Holz und die Saiten, doch anschließend machte er Anstalten dazu, aufzustehen und zu gehen. Ukyo verstand das nicht. Liebte Shin nicht Musik? Warum ließ er dann eine Gitarre hier auf einem Spielplatz, die ihm alles bedeuten musste? „Schöne Gitarre“, meldete sich Ukyo also zu Wort und trat aus den Schatten der Hecke, um Shin auf sich aufmerksam zu machen. Wie es der Art des anderen entsprach, zuckte dieser nicht einmal zusammen. Er schaute unbewegt zu Ukyo, als ob er schon geahnt hätte, dass der andere gleich vor ihm auftauchen würde. „Ja, das ist sie...“, sagte er lediglich und wollte seinen Weg fortsetzen, doch Ukyo stellte sich ihm in den Weg. „Wieso lässt du sie zurück? Ist sie kaputt?“, wollte der Grünhaarige wissen und schaute forschend in Shins verschlossenes Gesicht. „Nicht sie ist kaputt... sondern ich. Deshalb lasse ich sie hier, damit sie vielleicht in bessere Hände kommt“, sagte der Dunkelhaarige, doch er sah alles andere als glücklich darüber aus. „Wieso bist du kaputt?“, wollte Ukyo wissen, doch Shin vertiefte sich in sein Schweigen. Anscheinend wollte der Musiker nicht darüber reden, aber Ukyo wusste, dass er den anderen nicht so einfach davon kommen lassen durfte. „Darf ich sie mal ausprobieren?“ Ukyos Frage ließ Shin zusammenzucken und der Fotograf erkannte, dass der andere wohl noch nicht ganz mit diesem überaus wichtigem Gegenstand abgeschlossen hatte. „Tu, was dir gefällt.“ Selbst Shins Antwort wirkte erzwungen, aber Ukyo beschloss, darauf einzugehen. Er ging zu der Bank, hob die Gitarre vorsichtig an und ließ sich auf das kühle Holz der Bank sinken. Die Gitarre fühlte sich gut in seinen Händen an und instinktiv wusste er, wie er sie halten musste, obwohl er noch nie ein derartiges Instrument gehalten hatte. Er strich sanft über jede einzelne Saite und aus den Augenwinkeln sah er, dass Shin noch nicht gegangen war. Der andere hing sehr an dieser Gitarre und beide Männer wussten, dass es ein großer Fehler war, dieses Instrument derartig zurück zu lassen. „Spielst du in einer Band?“, erkundigte sich Ukyo und spielte nochmals jede Saite einzeln. „Nicht mehr.“ „Schade... ich hätte dich gern spielen gehört. Bestimmt bist du sehr talentiert.“ Shin schwieg darauf, aber er wandte sich zu Ukyo, kam zu ihm und ließ sich auf die Bank direkt neben dem Fotografen sinken. Er harrte kurz so aus, rieb die Hände an seiner Hose ab und seufzte schließlich überfordert auf. „Du liebst doch die Fotografie, nicht?“, fragte Shin schließlich. „Nicht mehr.“ Shins fragender Blick überforderte Ukyo ein wenig, aber er wollte auch nicht über sich reden, sondern über den anderen. „Ich... ich liebe Musik und ich liebe diese Gitarre. Aber seit einiger Zeit... es ist nicht das Gleiche wie noch vor ein paar Tagen“, meinte der Dunkelhaarige und daraufhin setzte dieses Kribbeln in Ukyos Nackengegend ein. „Was hat sich geändert?“, fragte der Fotograf sanft, doch Shin machte wieder dicht. „Zuerst musst du mir sagen, warum du beim Anblick von Fotografien plötzlich so traurig wirst“, verlangte der Jüngere eindringlich und da es ihm sehr wichtig zu sein schien, wollte Ukyo ihm dies gerne beantworten. „Mein Lieblingsmotiv war ein Mädchen, dass ich einst kannte. Aber... sie ist tot und seitdem kann mich nichts mehr reizen. Es gibt kein Bild, was ich gern machen würde, weil ohne sie alles seinen Sinn und seine Farbe verloren hat. Es ist alles grau und trist für mich und solche Bilder möchte ich nicht machen“, gab Ukyo also zu und Shin nickte daraufhin verständnisvoll. „Und was ist dein Grund, Shin?“ Shin zögerte und er rang mit seinen Händen. Darauf war auch sein Blick konzentriert, aber Ukyo wartete einfach ab, bis der andere so weit war. Der Dunkelhaarige ergriff schließlich die Gitarre in Ukyos Händen und begann plötzlich zu spielen. Eine Melodie erfüllte die Luft, traurig und sehnend und sie berührte Ukyos Herz sogleich. Plötzlich unterbrach Shin jedoch sein Spiel und er musste tief und zitternd Luft holen. „Diese Melodie... ich spiele sie wieder und wieder und ich weiß nicht warum. Es macht mich traurig, diese Melodie zu spielen, aber ich kann nicht aufhören. Ich kann an keine anderen Lieder denken, als ob diese Gitarre dazu gemacht ist, nur dieses eine Lied zu spielen... aber es macht mich so verdammt traurig, ich halte es kaum aus“, gab der Dunkelhaarige zu und er zitterte am ganzen Körper. Ukyo nickte verstehend und schaute Shin an. „Shin, ich glaube, du musst das Lied zu Ende spielen...“ „Was?“ „Wenn du es komplett spielst, kann dein Herz damit abschließen. Daran glaube ich“, sagte Ukyo und der Widerhall ihrer Stimme in seinem Inneren gab ihm da vollkommen Recht. „Ich kann nicht...“, zweifelte Shin, aber seine Finger umklammerten immer noch das Instrument, als gehörte diese Gitarre an keinen anderen Ort dieser Welt. „Ich denke schon, dass du das kannst. Du kannst nicht ohne Musik leben und ich kann es nicht ohne die Fotografie. Wir müssen uns diesem Schmerz stellen, entweder jetzt oder eben irgendwann, aber fest steht, wir müssen uns damit befassen, ehe es uns vollkommen blockiert. Ich glaube daran, dass du es kannst, Shin. Du kannst das. Mach du den Anfang... spiel´ das Lied noch einmal“, sagte Ukyo sanft und nachdem Shin nochmals tief und zittrig Luft geholt hatte, spielte er die Melodie erneut. Ukyo schloss die Augen und ließ sich auf das Lied ein. Sein Inneres reagierte auf die sanften Klänge, als ob sie irgendetwas in ihm wachrüttelten und plötzlich öffneten sich wie von selbst seine Lippen und er begann zu singen. Er wusste instinktiv, dass sie es war, die ihn leitete und ihm die richtigen Worte zuflüsterte. Ukyo ließ sich nicht beirren, auch nicht, als Shin kurz in seinem Spiel stockte. Doch der anderen blieb dabei, die Melodie zu spielen und Ukyo sang weiter. Er und Shin bildeten eine Einheit durch das, was zwischen ihnen geschah und die Klänge von Stimme und Gitarre leiteten sie weiter. Ukyo bekam nur am Rande mit, wovon sie in seinem Inneren sang. Es ging um die Liebe, den Schmerz und die verpassten Gelegenheiten und es ergriff ihn so sehr, dass sein eigenes Herz schmerzte. Die Tränen kamen automatisch, aber Ukyo hielt durch. Es ging hier darum, Shin zu helfen und die Botschaft von ihr zu empfangen. Die letzte Zeile war bald darauf gesungen und auch Shins Gitarrenspiel verklang. Zurück blieben zwei aufgewühlte Männer, die sich tief in ihre eigenen Gedanken verstrickten. Ukyo dachte urplötzlich an Toma und sein Herz zog sich erneut schmerzhaft zusammen. Er war noch nicht lange von ihm getrennt, aber es kam ihm wie Jahre vor, die sie voneinander trennten. Ukyo verspürte den Wunsch, von dem anderen umarmt zu werden und damit dessen tröstliche Wärme zu empfangen. „Ukyo...“ Shins leise Stimme ließ Ukyo aufhorchen und er sah sich mit dem intensivem Blick des anderen konfrontiert. Der andere sah so aus, wie er selbst sich fühlte: Gequält, sehnsüchtig und hoffnungsvoll... und plötzlich beugte sich Shin nach vorn, zog Ukyo an dessen Krawatte zu sich und küsste ihn auf den Mund. Kapitel 8: Unsere beiden Ichs ----------------------------- Toma rannte durch die Umgebung, sich keine Pause gönnend. Er musste Ukyo schnellstens finden! Nicht auszudenken, was dem anderen in seinem angeschlagenen Zustand zustoßen konnte... „Verdammt“, fluchte der Blonde. Er durfte nicht daran denken, was passieren könnte, aber unweigerlich malte er sich die schlimmsten Dinge aus. Er rannte weiter, obwohl seine Lunge bereits brannte und sein Blick glitt ruhelos umher. Aber so sehr er sich auch umschaute, er konnte keine Spur von Ukyo entdecken. Doch plötzlich vernahm Toma einen lauten Aufschrei und dem Blondne lief es eiskalt den Rücken hinunter, während er abrupt stehenblieb. //Ukyo!// Das war eindeutig Ukyo gewesen! Toma wandte sich in die Richtung, woher der Schrei gekommen war und verfiel abermals in sein schnellstes Lauftempo. Gleichzeitig drängte er die Panik in sich nieder. Der Schrei hatte aus purem Schmerz und quälender Angst bestanden und noch immer plagte der Nachhall davon Toma. Sein ungutes Gefühl wuchs und als er wenig später um eine grüne Hecke bog und auf einen Spielplatz gelangte, den er meistens nur am Rande wahrgenommen hatte, sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Ukyo saß zwar auf einer Bank, allerdings war er nach vorne gekippt und Shin konnte ihn nur gerade so aufrecht erhalten. „Ukyo!“, rief Toma und war mit vier großen Schritten bei ihm, um ihn zu untersuchen. Der andere war bleich, sogar seine Lippen waren blass, während sein Gesicht vom Schmerz gezeichnet war. Er sah aus, als würde er selbst in der Ohnmacht, in der er sich ohne Zweifel befand, Höllenqualen erleiden und Toma wünschte sich nichts mehr, als dem sensiblen Mann all diese Pein abnehmen zu können. Am meisten erschreckte es den Blonden allerdings, wie kalt sich die Haut seines Freundes anfühlte. „Oh Gott...“ „Was ist mit ihm?“ Shins Frage machte Toma darauf aufmerksam, dass sein anderer Freund ja auch noch da war und er wandte sich an ihn. Der Dunkelhaarige war ebenfalls blass und sah so panisch aus, wie Toma sich innerlich fühlte. Aber er musste für Ukyo da sein und da hieß es Ruhe bewahren. „Erzähl mir, was passiert ist“, forderte Toma daher und forderte damit Shins Aufmerksamkeit ein. Der andere wurde damit von Ukyo abgelenkt, da er sich nun darauf konzentrieren musste, die Ereignisse der vergangenen Minuten darzulegen. „Wir haben geredet... er hat mir Mut gemacht, weil ich die Musik aufgeben wollte. Und dann habe ich gespielt und er sang plötzlich. Es war, als ob er mir meine Blockade einfach so genommen hat und ich konnte wieder frei atmen. Aber...“ Shin stockte und sah plötzlich benommen aus. „Was ist?Was aber?“ Shin sah Toma etwas unbehaglich an und strich sich verwirrt ein paar Haarsträhnen aus den Augen, ehe er seine Stimme wiederfand. „Ich habe ihn geküsst... ich weiß nicht, warum. Es ist einfach so passiert, weil ich so ein starkes Gefühl hatte, das mir sagte, ich müsse es tun.“ Shin befühlte seine Lippen, als ob er selbst nicht fassen konnte, dass das passiert war und Toma spürte ein starkes Brennen in seinem Inneren. Am liebsten hätte er Shin gepackt und auf ihn eingeschlagen, um dieses Brennen zu besänftigen. Aber da er Ukyo eben im Arm hielt, schluckte er dieses Gefühl hinunter und drückte den Grünhaarigen lieber noch etwas mehr an sich. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass er Shin anfuhr. „Du küsst ihn und weißt nicht einmal, warum? Hast du denn überhaupt Gefühle für ihn? Verdammt nochmal, Shin, was hast du dir dabei gedacht?!“ „Ich weiß es nicht, Toma, ich weiß es wirklich nicht!“ Shins Reaktion war ebenso heftig und die beiden Freunde funkelten sich gegenseitig böse an, als ob der jeweils andere für diese Situation etwas könnte. „Er hat dieses Lied gesungen und das hat etwas in mir berührt, dass es einfach so passiert ist. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, aber es ist passiert“, sagte Shin noch einmal und Toma bemühte sich, seine wieder aufkommende Wut wieder hinunter zu schlucken. Er presste seine Zähne zusammen, was seinen Kiefer fast krampfen ließ, aber das musste sein, damit er seine Wut, die wie ein Sturm in ihm tobte, nicht an seinem Freund ausließ. Er schaute auf Ukyo hinab, welcher einen leisen Schmerzenslaut von sich gab und beschloss, sich auf den Fotografen zu konzentrieren. Das war jetzt das einzig Wichtige... Toma hob seinen bewusstlosen Freund hoch und wandte sich dabei nochmals an Shin. „Ich nehme ihn mit zu mir nach Hause. Kannst du mich morgen im Café´ vertreten? Ich habe die Frühschicht, aber ich würde mich gern um ihn kümmern, wenn er aufwacht.“ Shin nickte hilflos und willigte ohne zu Zögern in diesen Vorschlag ein. „Natürlich.“ „Gut.“ Toma wandte sich mit Ukyo auf seinen Atmen zum Gehen, während Shin sich hinkniete, um Ukyos Hut aufzuheben, der vorhin heruntergefallen war. Er setzte ihn vorsichtig auf Ukyos Kopf und Toma musste sehr an sich halten, kein feindseliges Knurren von sich zu geben. Shin war Ukyo viel zu nahe gekommen und Toma platzte förmlich vor Eifersucht. Er kannte dieses Gefühl nicht, aber er wusste, dass es damit zusammenhing, dass er Ukyo sehr mochte. Er wolle den Grünhaarigen ganz allein für sich und dass Shin ihm hier zuvor gekommen und dem anderen einen Kuss geraubt hatte, passte nicht in seine eigenen Pläne. „Sag ihm, wenn er aufwacht, dass es mir leid tut. Ich wollte das gar nicht... ich wollte ihn nicht verwirren oder ihm wehtun“, drang Shins leise Stimme an seine Ohren und kurz bekam Toma Mitleid. Er sah, wie sehr Shin litt und dass der andere sich die Schuld an der Situation gab, obwohl er nichts dafür konnte. Das sagte der einfühlsame Teil in Toma... aber der andere Teil, der dem anderen noch nicht verzeihen und sich der Eifersucht und Wut hingeben wollte, war einfach stärker. „Das werde ich“, sagte Toma daher nur knapp und verließ den Schauplatz. Es tat ihm gerade gut, Shin ein wenig dafür leiden zu lassen, dass dieser etwas gehabt hatte, wovon Toma nur träumen konnte. Ein Sog erfasste mich plötzlich und ruckartig. Er trug mich weit, weit empor und ich öffnete die Augen, um zu sehen, was los war. Das Schwarz um mich herum verschwand, die Dunkelheit entließ mich in die Freiheit und ich spürte die Verbindung zum schwachen Ukyo. Ich konnte nicht verstehen, was passiert war und was es ausgelöst hatte, dass ich wieder zurück war, aber ich war dankbar dafür. Ich beschloss dennoch, jetzt nicht unvorsichtig zu werden und verbarg mich vor Ukyo, damit er mich nicht erspüren konnte. Wir teilten uns wieder ein Bewusstsein und ich würde dies dann nutzen, sobald es für mich von Belang sein würde. Doch zuerst brauchte ich Informationen... Ich konzentrierte mich auf Ukyos Erinnerungen der letzten Tage und ließ sie durch mich hindurch fließen. In diesem Zustand konnte ich sie wie Bilder sehen, sie nach Belieben anhalten oder vorspulen, um das zu erfahren, was ich wollte. Ich war schnell wieder auf dem neuesten Stand und gewann einen recht guten Eindruck davon, was los war. Mein Plan war aufgegangen, ich hatte sie von dieser Welt getilgt. Zumindest war kein körperliches Anzeichen dafür vorhanden, dass sie noch existierte. Natürlich gab es da noch diese Botschaften, die der schwache Ukyo suchte. Mir kamen sie wie fehlerhafte Daten in einer Datei vor und auch ich war gespannt, was sie zu bedeuten hatten. Das Lustige war, dass ich immer stärker geworden war, je mehr Hinweise der andere Ukyo fand, als ob sie mir in die Hände spielte. Eine andere Sache, die mir allerdings mehr Sorgen bereitete, war die Rolle dieses Tomas in Ukyos Nähe. Er tauchte oft in Ukyos Erinnerungen auf und sein breites Lächeln ging mir auf die Nerven. Diese Erinnerungen waren meist heller und eindrucksvoller als die anderen und blendeten mich derart, dass ich ein Knurren nicht unterdrücken konnte. Wer war diese Person, die Ukyo langsam viel zu wichtig wurde? Ein wenig neugierig war ich schon, aber ich hatte die Schrecken vom letzten Mal nicht vergessen. Ich würde es verhindern, wenn der schwache Ukyo sich erneut an ein anderes Dasein band und dieses Mal würde ich es eher verhindern. Aber vorerst würde ich mich in Geduld üben und würde auf den richtigen Zeitpunkt warten, ehe ich die Hoffnungen des schwachen Ukyos endgültig zerschlug. Ich würde mich erst dann bemerkbar machen, wenn er es am wenigsten erwartete und würde ihn von dieser Krankheit namens Liebe heilen... Ukyo wachte nach und nach auf. Er fühlte noch immer jenes Schwindelgefühl und eine Weile drehte sich alles um ihn herum. Die Schmerzen waren zum Glück verschwunden und nur noch die Schwäche hielt ihn noch in liegender Position. „Hey...“, sprach ihn jemand an und einen Augenblick später tauchte Tomas Kopf über ihm auf. „Hey...“, erwiderte Ukyo und sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Toma war hier... ein Glück. Alle Sorgen fielen ein wenig von ihm ab und er war froh, dass der andere hier bei ihm war. „Was...“, wollte er fragen, doch sein Hals war so trocken, dass er wieder abbrach. Toma zog ihn langsam und sanft nach oben, half ihm, sich aufzusetzen. Das Schwindelgefühl nahm wieder stark zu und Ukyo kippte gegen Tomas Schulter. Dem anderen schien es nichts auszumachen, daher blieb Ukyo in dieser Position, weil er sich noch nicht sicher genug fühlte. Der zweite Versuch, sich allein aufzurichten, musste noch warten... „Tut mir leid“, sagte er mit kratziger Stimme, aber Toma ließ es unkommentiert und hielt Ukyo lieber ein Glas Wasser an die Lippen. Vorsichtig half er ihm und sah dabei zu, wie Ukyo das Glas in langen, hastigen Zügen leerte. Ukyos Hals fühlte sich danach immer noch trocken wie Wüstensand an und Toma goss aus einer geöffneten Flasche nochmals Wasser in das Glas. Auch dieses trank Ukyo hastig und endlich fühlte er sich halbwegs wieder wie ein Mensch. „Besser?“ Ukyo nickte und ließ sich mit Tomas Hilfe zurück ins Bett sinken. Zu gerne hätte er sich noch weiter an Toma gelehnt, aber er wusste nicht, ob dem anderen das eventuell unangenehm gewesen wäre, als ließ er es lieber. Überhaupt hatte er dem anderen heute schon genug Unannehmlichkeiten bereitet, indem er im Schwimmbad ohnmächtig geworden und schließlich auch noch noch weggelaufen war. Ukyos Blick wanderte abermals zu Toma, welcher an seiner Seite des Bettes saß und er fragte sich, ob der andere wohl böse auf ihn war. Bestimmt hatte er ihm heute eine Menge Sorgen bereitet... „Es tut mir leid, Toma“, sagte Ukyo daher leise und er hoffte, dass der Angesprochene Nachsicht mit ihm üben würde. Toma schüttelte lächelnd den Kopf. „Wofür entschuldigst du dich denn?“ „Das fragst du ernsthaft?“ „Man kann nicht behaupten, dass es langweilig mit dir war“, grinste Toma belustigt, was den Grünhaarigen erröten ließ. „Ich weiß nicht, was für mich heute der eigentliche Höhepunkt war“, überlegte er danach scheinbar, obwohl er die Antwort darauf schon hatte. „Was meinst du...?“, fragte Ukyo, doch Toma redete schon weiter. „Aber ich glaube, es waren vor allem die Momente, in denen du mir richtige Schrecken eingejagt hast. Erst ertrinkst du fast während einer Ohnmacht, dann läufst du weg und dann finde ich dich wieder ohnmächtig in den Armen von Shin, nachdem ihr euch geküsst habt“, führte Toma weiter aus und der Ärger kehrte zurück. Ukyo erinnerte sich angesprochen auf die Ereignisse auch wieder an alles und er wurde von den Haarwurzeln bis zum Hals knallrot. Er wusste nicht, was er sagen sollte und hilflos sah er zu Toma, welcher jetzt seufzte und ihn dabei schief anlächelte. „Eigentlich... ich dachte, ich könnte dich allein für mich haben, aber heute lief das leider nicht so, wie ich das wollte“, gab der Blonde danach zu und Ukyo fiel anhand der Zweideutigkeit seiner Worte erneut aus allen Wolken. „T-Toma-?!“ „Keine Sorge, ich halte das aus. Aber dass du an einem Tag mehrmals in Ohnmacht fällst... bis du sicher, dass wir nicht ins Krankenhaus gehen und dich durchchecken lassen sollten?“, fragte Toma jetzt und unter seinem besorgten, ernsten Blick wurde Ukyo völlig anders zumute. „Es ist alles okay“, winkte er ab, aber Toma nahm ihm das keinen Augenblick lang ab. „Ukyo, im Ernst! Gestern bist du schon im Café umgekippt, heute wärst du bei einem weiteren Anfall beinahe ertrunken und wenn Shin nicht bei dir gewesen wäre...!“, brauste Toma auf und in seinen Augen braute sich ein orangener Sturm zusammen. Ukyo war davon wie gefangen und er konnte Toma einfach nur anstarren, während dieser völlig gefangen von seiner Wut war. Toma hatte heute ein Wechselbad der Gefühle mitgemacht und vor allem die Angst hatte ihn fest im Griff gehabt. Wenn er Ukyo verloren hätte... nein, er wollte nicht einmal daran denken! Toma schüttelte die Angst ab, doch seinen anderen Gefühlen konnte er sich nicht erwehren. Seine Eifersucht brodelte noch immer in ihm und wenn er Ukyo hier schutzlos auf seinem Bett vor sich hatte, wurde das Gefühl, ihm ebenfalls einen Kuss zu rauben, schier übermächtig. Toma lehnte sich über den anderen, seine Hände trafen wie von selbst auf das Bett und kreisten Ukyos Kopf ein. Er fixierte Ukyo mit seinem Blick und betrachtete das schöne Gesicht und vor allem die nun wieder gut durchbluteten, schmalen Lippen. Toma war im Begriff, gerade seinem inneren Tier zu gehorchen und sich einfach zu nehmen, was er wollte... doch er hielt sich zurück. Er wollte Ukyo nicht verschrecken und er wollte ihm nicht etwas nehmen, was der andere ihm nicht freiwillig gab. Das konnte er weder mit der Freundschaft, die sie verband, vereinbaren, noch mit seinem Gewissen. Frustriert seufzte Toma über Ukyo und löste seinen Blick von dessen Lippen, konzentrierte sich lieber auf die vor Schreck geweiteten Augen. „Ich sollte dich wirklich einsperren...“, murmelte der Blonde und Ukyo stockte bei diesen Worten der Atem. //Was...?// Tomas Nähe hatte sein Herz schon längst durchdrehen lassen und schlug ihm bis zum Hals. Das Atmen fiel ihm schwer und der Blick des anderen ging ihm bis unter die Haut. Ukyo hätte zu gern gewusst, ob der andere die eben gesprochenen Worte ernst meinte... „Entschuldige... das war unpassend“, hörte er plötzlich Tomas Worte und Ukyo beobachtete mit leichtem Bedauern, dass der andere sich wieder zurückzog. Verlegen rieb sich Toma den Nacken, aber Ukyo sah immer noch die Unruhe und die Wildheit im Blick des anderen. Verwirrt schloss der Fotograf die Augen, um alles auszublenden und damit er sich nicht mehr mit der merkwürdigen Stimmung zwischen ihnen befassen musste. Es half dabei auch nicht wirklich, dass er den Käfig im Kopf hatte, nachdem Toma vom Einsperren gesprochen hatte. Ihm wurde gerade alles zu viel... „Du solltest dich ausruhen, Ukyo. Oder hast du Hunger?“, fragte Toma und bemühte sich, wieder normal wie immer zu sein, um Ukyo keine Angst zu machen. Dieser schüttelte nun mit dem Kopf. „Nein, danke. Du hast Recht.... ich sollte schlafen“, meinte Ukyo und fühlte sich plötzlich erschöpft und ausgelaugt. Er hörte nicht mehr, was Toma zu ihm sagte, sondern schloss die Augen und driftete wieder zurück in die Sicherheit des Schlafs. Toma betrachtete Ukyos schlafendes Gesicht und fragte sich, was zur Hölle er sich eben nur gedacht hatte. //Ich sollte dich wirklich wegsperren... bin ich eigentlich noch zu retten?!// Toma konnte nicht fassen, dass er sich derart hatte gehen lassen und er hätte am liebsten die Zeit zurückgedreht, um das Gesagte zurück zu nehem. Nicht auszudenken, wenn die sorgsam aufgebaute Freundschaft durch seine Worte Schaden genommen hatte. „Ich bin so ein Idiot“, schimpfte Toma auf sich selbst und er stand vom Bett auf, um in die Küche zu gehen. Es war bereits kurz nach 23 Uhr und es hatte wenig Sinn, jetzt noch aufzubleiben. Toma fühlte sich selbst wie erschlagen und er wusste, dass er Schlaf brauchte... aber irgendwie sagte ihm sein Gefühl, das er diesen heute nur schwer finden würde. Kurz nach zwei Uhr morgens erwachte Ukyo schlagartig und er richtete sich ruckartig im Bett auf. Immer noch machte ihm das Schwindelgefühl zu schaffen, aber dennoch stand er auf. Sein Blick fiel auf Toma, der ruhig neben ihm lag und sein Herz zog sich kurz und heftig beim Anblick des anderen zusammen. Wieder erinnerte er sich an die Nähe und die Worte des anderen. Abermals konnte er dabei nicht verhindern, dass sein Herz verrückt spielte und sein Puls sich beschleunigte. Gleichermaßen setzte ein kribbeliges Gefühl in seiner Bauchgegend ein, welches sich in all seine Körperregionen fortsetzte und ihn von innen erwärmte. Ukyo presste die Hand auf sein Herz, welches nun förmlich aus seiner Brust springen wollte. So etwas hatte er nur einmal gespürt, als er sich in sie verliebt hatte und die Konsequenzen daraus verfolgten ihn noch jetzt. //Ich kann das nicht noch einmal durchmachen//, schoss es Ukyo durch den Kopf und er zwang sich, seinen Blick von Toma loszureißen. Er wollte dem anderen nicht damit zur Last fallen und er wollte ihm auch keine weiteren Sorgen bereiten. Es war am besten, wenn Ukyo seine Aufgabe erfüllte und vielleicht sogar selbst aus dieser Welt verschwand, wie er es mit ihr getan hatte. Das Bedürfnis, seine Aufgabe zu erfüllen, wurde übermächtig und er wandte seine Aufmerksamkeit der Tür des kleinen Nebenraumes zu. Dahinter befand sich die letzte Botschaft von ihr und anschließend würde er wissen, was ihn erwartete. Ukyo atmete tief durch und ergriff die Türklinke danach, um sie nach unten zu drücken. Er betrat das Zimmer und wieder erwartete ihn ein in Mondlicht getauchtes Stahlungetüm. Der Grünhaarige trat näher, er hatte keine Lust mehr im Ungewissen zu bleiben und weiter der Angst zu verfallen. Er musste sich den Konsequenzen seines bisherigen Handelns stellen, also trat Ukyo vor und steckte die Hand nach dem Stahlmonster aus. Seine Finger hatte kaum die glatte, kalte Oberfläche berührt, als ihm schwummrig wurde. Er ging in die Knie und hielt sich mit beiden Händen an den Gitterstäben des Käfigs fest, während fremde Erinnerungen durch ihn hindurch rauschten. Sie schickte sie ihm, dessen war er sich vollkommen bewusst... er konnte ihre Erinnerungen sehen und er lächelte glücklich, dass er sie wirklich noch einmal sehen konnte. Er sah ihre Erinnerungen mit Ikki, Kent, Shin und Toma und endlich ergaben die übrigen Botschaften einen Sinn und auch die Gegenstände und Aktionen, die wiederum zu Ukyos Anfällen geführt hatten. Er konnte sie sehen, wie wie mit Ikki den Ikki-Spezial zubereitete und wie sie mit ihm unter den Sternen gesessen hatte. Er konnte sie mit Kent sehen, wie sie ihn mit ihrer Art verzauberte und ihn mit ins Schwimmbad zerrte. Anschließend konnte er sie sehen, wie Shin sie küsste und wie sie gemeinsam Musik gemacht hatten. Zu guter Letzt sah er, wie Toma mit ihr einkaufen gegangen war... und wie er sie in ebenjenen Käfig sperrte, den Ukyo nun vor sich hatte. //Er hat sie eingesperrt... wieso?//, fragte sich Ukyo verwirrt und auch die Situation von vorhin kam ihm wieder in den Kopf. Toma wollte auch ihn einsperren, ebenso wie er es mit ihr getan hatte. Hieß das, dass er Ukyo die gleichen Gefühle wie ihr entgegen brachte? Er wusste es nicht, aber er beschloss, den anderen danach zu fragen. Das Schwindelgefühl ließ nach, doch dafür spürte Ukyo, wie er gerufen wurde. Er konnte ihre Stimme hören und er hielt den Atem an. Was würde ihn jetzt erwarten? Er schloss die Augen und er fühlte seinen Geist empor getragen und als er sie wieder öffnete, sah er sie vor sich. „Du...!“, rief er und er lächelte vor Glück. „Ich habe deine Botschaften erhalten... was soll ich für dich tun?“, rief Ukyo, während er ihre Erscheinung musterte. Sie sah immer noch so aus wie damals. Auf ihren braunen Haaren thronte der kleine schwarze Hut mit den Rosen daran. Ihr grün-blaues Kleid wehte dahin, obwohl kein Wind wehte, ebenso ihre schwarze Jacke. Sie lächelte ihm warm zu und begann dann zu reden. „Ukyo... deine wahre Aufgabe erwartet dich noch, das hier ist noch nicht das Ende“, sagte sie und Ukyo reagierte verwirrt. Es war noch nicht zu Ende? „Was meinst du damit?“, wollte er wissen und neue Verzweiflung ergriff ihn. Hieß das, er würde Toma noch mehr Unannehmlichkeiten bereiten? „Ich habe mithilfe der verbliebenen Erinnerungen dein anderes Ich geweckt. Er ist nun wieder im Vollbesitz seiner Kräfte“, sagte sie und Ukyo glaubte, nicht richtig zu hören. „Was? Warum hast du das getan? Willst du etwa, dass es noch mehr Menschen so ergeht wie dir?“, fragte er entsetzt und Grauen ergriff ihn, wenn er daran dachte, was sein anderes Ich getan hatte. „Du musst dich mit ihm arrangieren. Ihr beide müsst glücklich werden, sonst werdet ihr immer den gleichen Weg gehen, der Zerstörung und Unglück bringt. Ihr beide müsst einen gemeinsamen Weg finden“, sagte sie und Ukyo glaubte in einem Alptraum zu sein. „Das kann nicht dein Ernst sein“, sagte Ukyo und schüttelte vehement den Kopf. „Ich muss gehen... bitte pass auf dich auf und werde glücklich“, sagte sie und plötzlich verschwand sie in jenen Lichtern, die sie schon einmal aus seiner Welt gerissen hatten. „Nein, warte!“ Doch es half nichts, Ukyo blieb allein zurück und er erwachte wieder in seiner Welt. //Das darf nicht sein...//, dachte er, ehe seine Gedanken plötzlich abrupt stoppten und sich ihm plötzlich etwas aufdrängte. Es begann lese, doch dann hörte er plötzlich die Stimme des anderen Ukyos. Anscheinend muss ich ihr danken~ Ukyo versuchte noch, den anderen zurück zu drängen, doch es war bereits zu spät, egal, wie sehr Ukyo versuchte, dagegen aufzubegehren. Er befand sich im anderen Bewusstsein und seine böse Persönlichkeit übernahm seinen Körper. „Wehr dich nicht dagegen, Ukyo. Ich muss ihn mir ansehen“, hörte Ukyo ihn mit einer Stimme sprechen, die er nie aus seinem Körper entlassen hätte. Doch das war nicht mehr nur sein Körper... //Toma...//, war Ukyos letzter Gedanke, dann befand er sich eingeschlossen in seinem Inneren und musste zusehen. Ein missbilligendes Geräusch drang über meine Lippen, während ich mich langsam aufrichtete. „Ach Ukyo, es wird langsam zur Gewohnheit, dass du irgendwelchem Ungeziefer verfällst. Sag mir, was ist dieses Mal das Besondere an diesem einen, der dich so beschäftigt?“, fragte ich, doch ich erhielt keine Antwort vom schwachen Ukyo. Ich schüttelte amüsiert den Kopf und strich über die kalten Streben des Käfigs, der sich ebenso kühl zeigte wie das Lächeln, dass sich jetzt auf meinem Mund ausbreitete. Endlich hatte ich wieder die Kontrolle, gerade rechtzeitig, um diesen dummen Jungen erneut vor sich selbst zu schützen. Ich verließ das Zimmer durch die offen stehende einzige Tür mit langsamen Schritten und kam in den nächstgrößeren Raum. Dort stand ein Bett, in dem dieser Toma schlief. Ich blieb stehen und genoss die Panik des schwachen Ukyo, der sich vor Sorge um seinen neuen Freund förmlich überschlug. So machte mir die Jagd am meisten Spaß... Ich ignorierte den schwachen Ukyo und kam um das Bett herum, ehe ich mich auf den neuen Störenfried konzentrierte. Ich setzte mich auf die Bettkante und schaute mir den Blonden an, der dort seelenruhig schlief und nicht ahnte, was sich geändert hatte. „Du bist also Toma...“, sagte ich und ließ die Erinnerungen Ukyos noch einmal Revue passieren. Sie waren sehr aufschlussreich, zumal der liebe Toma wohl einen Narren an Ukyo gefressen hatte. Das ergab überaus Potenzial. Ich beschloss, meinen neuen Gegner zu wecken und tippte ihn mehrfach unsanft gegen die Schultern. Allerdings tat sich nichts, nicht einmal, als ich ihn etwas lauter ansprach. Etwas entnervt musste ich einsehen, dass der andere lieber im Reich der Träume verweilte, als sich mit mir abzugeben. „Schade... dann muss ich dich doch töten, ohne vorher mit dir geredet zu haben“, sagte ich gespielt bedauernd und schloss meine Hände um Tomas Hals. „Ich könnte auch ein Kissen nehmen, aber ich will, das Ukyo keinen Moment von deinem Ableben verpasst“, lächelte ich und drückte mit aller Kraft zu. Ukyo wehrte sich ebenfalls mit aller Kraft gegen den Klammergriff seines anderen Bewusstseins, doch dieser ließ nicht nach. „Toma, wach auf! Lass das nicht zu, dass er dich umbringt, ich bitte dich!“, rief er, auch, wenn der andere ihn wohl nicht hören konnte. Er ließ den Kopf sinken, weil zwecklos war. Seine böse Persönlichkeit war stärker als je zuvor und wenn nicht bald ein Wunder passierte, dann würde er erneut jemanden töten, der Ukyo unsagbar wichtig war. „Was-?!“, hörte er plötzlich Toma japsen und Ukyo schaute nun wieder hin. Toma war aufgewacht und wurde sich recht schnell seiner Situation bewusst. //Er wird kämpfen, er wird ihn nicht gewinnen lassen//, dachte Ukyo und er sah mit Erleichterung, dass er Recht behielt. Toma wehrte sich und letztendlich schaffte er es, Ukyo von sich herunter zu befördern und sich über ihn zu rollen. „Ukyo, was soll denn das?!“, rief er und rang nach Luft. Sein Hals schmerzte und er meinte immer noch die Hände des anderen an seinen Hals zu spüren. Der andere Ukyo lachte plötzlich und nicht nur Toma lief es dabei eiskalt den Rücken hinab. „Ich weiß nicht, wie das sein kann, aber... du bist nicht der Ukyo, den ich kenne“, sagte er und die böse Persönlichkeit lächelte nun selbstgefällig. „Wie schlau du doch bist. Wenn ich das doch nur von Ukyo selbst behaupten könnte.“ Toma gab ein Knurren von sich und er packte den Grünhaarigen am Kragen, um ihn nach oben zu ziehen. „Sprich nicht so über ihn!“ Der andere Ukyo lachte nur noch mehr. „Oh, du willst also seine Ehre verteidigen? Dabei bist du doch hier die größere Bedrohung von uns beiden, Toma.“ Toma hielt inne und sah verwirrt aus. „Ja, ich weiß es. Du liebst Ukyo und willst ihn für dich beanspruchen. Es hat dich rasend gemacht, als Shin dir zuvor gekommen ist und noch immer könntest du vor Wut platzen. Du willst ihn besitzen und ihn am liebsten nicht teilen. Am liebsten würdest du ihn in den Käfig dort hinten einsperren, nicht wahr?“, sagte der andere Ukyo und ließ sich nicht im Geringsten von Toma einschüchtern. Dieser war jedoch verunsichert. Wieso konnte dieser andere in ihn hineinblicken? //Toma, lass dich nicht darauf ein, er will dich nur verunsichern!//, dachte Ukyo alarmiert, doch da hatte sein anderes Bewusstsein Toma bereits herumgeworfen. Dieses Mal lag Toma abermals unter Ukyo und er erkannte schwarze Ringe unter Ukyos Augen und einen fast wahnsinnigen Ausdruck darin. Das war nicht sein Ukyo, das war etwas Bösartiges... „Du bist mir im Weg, Toma“, sagte die andere Persönlichkeit und abermals wollte es seine Hände um Tomas Hals schlingen, doch Toma hielt sie an den Handgelenken auf und drängte ihn zurück. „Ich würde Ukyo niemals wehtun. Er ist mein Freund und ich beschütze meine Freunde. Entschuldige, dass ich keine Rücksicht darauf nehmen kann, ob ich dir im Weg bin oder nicht“, sagte er entschlossen und der andere Ukyo lachte. „Ihm nicht wehtun? Du tust es schon, falls du es noch nicht bemerkt hast. Und du wirst ihm noch weiter wehtun, noch mehr, als sie es schon getan hat!“, wies der andere Ukyo Toma zurecht und riss seine Hände los. „Wenn ich dich jetzt nicht töte, dann wirst du ihm mehr Schmerz zufügen, als er verkraften kann.“ Toma begehrte auf. „Niemals! Niemals werde ich Ukyo wehtun! Ich-“ „Du willst sagen, dass du ihn liebst, nicht wahr? Und genau das ist das, was ihn am meisten verletzen wird.“ Toma schwieg darauf, denn ihm fiel keine passende Erwiderung darauf ein. Es stimmte, er hatte sagen wollen, dass er Ukyo liebte und er wusste selbst, dass Liebe eine schöne, aber auch gefährliche Sache war. Ihm war das Risiko bewusst, aber unmöglich konnte er sich noch von Ukyo fernhalten. Dazu war es schon viel zu spät... „Aber ich gebe dir eine Chance, Toma. Beweise mir, dass du Ukyo nicht wehtun wirst und du kannst leben...“, hörte er plötzlich die spöttische Stimme des anderen Ukyos und er sah ihn überrascht an. Und mit einem Mal war diese bösartige Persönlichkeit weg, die schwarzen Ringe unter den Augen des Grünhaarigen verschwanden und der wahre Ukyo zeigte sich. „Oh mein Gott... Toma, Toma ist alles okay?“, hörte Toma den anderen sagen und er musste Ukyo einfach an sich ziehen und ihn umarmen. Der andere entschuldigte sich immer wieder bei ihm, aber Toma gab lediglich beruhigende Laute von sich, damit Ukyo ebenfalls wieder ruhig wurde. Letztendlich schlief der Fotograf erschöpft an seiner Brust ein und Toma strich trotzdem noch weiter beruhigend über die Haare und den Rücken des anderen. //Ich werde ihm nicht wehtun... niemals!//, dachte er entschlossen und nahm sich vor, es dieser dunklen Bedrohung zu zeigen. Kapitel 9: Andere Perspektiven ------------------------------ Müde und im tropfnassen Zustand schleppte sich Toma in die Küche des Meido no Hitsuji und versuchte, die verwunderten Blicke seiner Freunde und Kollegen zu ignorieren. Er ging weiter zu den Umkleideräumen und suchte sich aus seinem Spind neue Arbeitskleidung heraus, ehe er sich das nasse Oberteil auszog. Damit rieb er notdürftig sein Gesicht und seinen Hals ab, ehe er es in einen nahegelegenen Wäschekorb schmiss. Toma hatte nach den jüngsten Ereignissen kein Auge mehr zugetan, während er Ukyo im Arm gehalten hatte. Dieser hatte so tief geschlafen, dass Toma ihn sogar hatte wecken müssen, damit er aufstehen und sich für die Arbeit fertig machen konnte. Nachdem es Ukyo wieder besser ging, hatte er nun doch Erbarmen mit Shin gehabt und ihm mitgeteilt, dass er seine eigentliche Schicht doch übernehmen würde. Doch der Blonde hatte nicht mit dem Spießrutenlauf gerechnet, der ihn danach erwartet hatte. Er hatte schon gestern gemerkt, dass der andere Ukyo – den er der Einfachheit halber den „bösen Ukyo“ nannte – hinterlistig war und zu plötzlichen Aktionen neigte. Seine Hoffnung war gewesen, dass der andere es sich zweimal überlegen würde, bevor er in der Öffentlichkeit irgendwelche Aktionen startete, die ihn verraten würden. Von Sicherheit war in Tomas Wohnung ja leider nicht auszugehen, da sich hier keine Zuschauer befanden. Doch Toma hatte falsch gedacht, denn als er Ukyo ein Glas Wasser vorbeigebracht hatte, hatte es zwar der „gute Ukyo“ in Empfang genommen, doch der „böse Ukyo“ hatte schlagartig übernommen und den Inhalt in Tomas Gesicht verteilt, womit er auch den Großteil der Kellneruniform erwischt hatte. Es hatte ihm wenig ausgemacht, dass alle Leute dies gesehen hatten, schließlich konnte der „böse Ukyo“ sich ja schnellstens hinter dem „guten Ukyo“ verstecken, welcher sich wortreich und peinlich berührt entschuldigt hatte. Toma hatte lediglich tief durchgeatmet, schließlich konnte sein Freund nichts für die Bösartigkeit der anderen Persönlichkeit und es brachte wenig, den „bösen Ukyo“ zu provozieren. Toma war zumindest froh, dass er nur Wasser und keinen heißen Kaffee abbekommen hatte... „Ist alles okay?“, fragte Ikki, als Toma wieder in der Küche ankam und der Blonde nickte. „Habt ihr euch gestritten oder wieso hast du diese Dusche verdient?“ „Er ist nur abgerutscht...“, sagte Toma, doch er wusste selbst, wie idiotisch sich das anhörte. Fakt war, dass der „böse Ukyo“ versuchte, ihn zu reizen und das schaffte er sehr gut, schließlich musste der Blonde immer auf der Hut sein. In Gedanken war er jedoch eher beim „guten Ukyo“, welcher dieses Drama mitmachen musste. Es musste ein ohnmächtiges Gefühl sein, wenn man derartig die Kontrolle über den eigenen Körper verlor. Toma fühlte sich ähnlich hilflos, denn er konnte ebenso gar nichts tun, außer zusehen... Ukyo war sich der vielen Blicke äußerst bewusst und er rutschte noch etwas mehr in sich zusammen. Immer wieder schimpfte er mit sich selbst, weil er den anderen Ukyo nicht aufgehalten und seinen Körper nicht genug unter Kontrolle hatte, während sein Widersacher in ihm lachte und sich einen Spaß daraus machte, als er vorhin das Wasser in Tomas Gesicht befördert hatte. Sein Gesicht war doch zum Brüllen komisch, fandest du nicht, Ukyo? Ukyo schwieg. Er wollte keine Antwort geben und sich damit auf eine Konversation einlassen, die er ebenso wenig kontrollieren konnte, wie die böse Persönlichkeit tief in sich. Oh... bist du böse, weil ich deinen kleinen Freund geärgert habe?Das tut mir leid. Ukyo gab ein leises Schnauben von sich, denn dass dem anderen etwas leid tat, nahm er dem „bösen Ukyo“ einfach nicht ab. Keine Sorge... ich werde später vielleicht ein wenig lieb zu ihm sein. Aber zuvor~ Ukyo spürte den Wechsel viel zu spät und er musste zusehen, wie der andere Ukyo ein Bein ausstreckte, so dass Toma, der eben mit zwei Tabletts voller dreckigem Geschirr vorbeikam, darüber fiel. Der Blonde strauchelte und fiel zu Boden, während ihm die beiden Tabletts entglitten und die Teller und Gläser auf dem Parkett zerbrachen. Toma blieb einen Moment lang benommen liegen und er spürte einen messerscharfen Schmerz in seinem rechten Handgelenk. „Toma!“ Ukyo war sofort bei ihm und Tomas Schmerz in seiner Hand war nichts im Gegensatz zu dem Anblick von Ukyos Hilflosigkeit in den grünen Augen. Was hätte er darum gegeben, dem anderen diese Last zu nehmen... „Toma, kannst du aufstehen?“, erkundigte sich Kent, der das Ganze mit angesehen hatte und er warf Ukyo einen verwirrten Blick zu, ehe er entschied, dass Tomas Wohl gerade wichtiger war. Der Angesprochene versuchte es und stellte erleichtert fest, dass ansonsten alles in Ordnung war. Mie kam mit einem Besen herbei geeilt und begann, das angerichtete Chaos zu beseitigen, während Ukyo und Kent Toma in den Umkleideraum begleiteten. Kent holte sofort den Notfallkasten herbei, während Ukyo Tomas Handgelenk untersuchte. Der Grünhaarige war den Tränen nahe und Toma versuchte, ihn zu beschwichtigen. „Es ist alles okay, Ukyo. Mach dir keinen Kopf, es war nicht deine Schuld.“ Der Grünhaarige gab einen verzweifelten Laut von sich und er biss sich auf die Unterlippe, um die Fassung zu behalten. Toma schaute zu Kent, der den Notfallkasten auf die Bank abstellte, auf der er saß und wandte sich an ihn. „Kent, kannst du uns kurz allein lassen?“ Der Student schien unschlüssig zu sein, was er tun sollte, schließlich hatte er gesehen, dass Ukyo für Tomas Unfall verantwortlich gewesen war. Wieso nahm Toma ihn in Schutz? Kent kam zu dem Schluss, dass es hier um etwas gehen musste, was er nicht verstehen konnte und beschloss, seiner Arbeit nachzugehen. Diese war wenigstens nicht so kompliziert wie diese Situation. Toma atmete erleichtert aus, als er mit Ukyo allein war und er ergriff mit der gesunden Hand Ukyos Kinn, damit dieser ihn einfach ansehen musste. „Du warst nicht Schuld, Ukyo. Ich weiß es und du weißt es auch. Also gib dir nicht die Schuld daran, das hilft keinem von uns beiden.“ „Aber... du bist verletzt. Ich hätte ihn besser in Schach halten müssen, aber... ich bin viel zu schwach.“ Ukyo war unglücklich und Toma empfand Wut, weil der „böse Ukyo“ für das Leid in den Augen des anderen gesorgt hatte. Zu gerne hätte er den anderen zurecht gewiesen oder ihn geschlagen, doch das hieß auch, dass er seinem Freund zugleich wehtat und das konnte er auf keinen Fall. „Es ist nur ein verstauchtes Handgelenk, Ukyo. Ich mache mir viel mehr Sorgen um dich... ich kann mir nicht einmal vorstellen, was du durchmachen musst. Ich wünschte, ich könnte dir einen Teil deiner Last nehmen... wenn hier jemand viel zu schwach ist, dann bin ich das. Ich kann dich nicht einmal beschützen“, sagte Toma und er ballte die gesunde Hand zu einer Faust, während sich sein Gesicht verfinsterte. Ukyos Hände legten sich sanft auf Tomas Faust und öffneten sie wieder zu einer Hand, dann strichen die Finger über Tomas Handinnenfläche. Toma schaute überrascht zu dem Fotografen, doch dieser hatte gerade den Blick gesenkt und konzentrierte sich auf die Streicheleinheit. Ein prickelndes Gefühl entstand an den Stellen, die Ukyos Finger berührten und es war eine so angenehme Empfindung, dass Toma seine Wut nach und nach wieder vergaß. „Ukyo?“ Der Grünhaarige reagierte nicht, sondern nahm nun Tomas verletzte Hand und untersuchte sie erneut. Toma biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, keinen Schmerzenslaut von sich zu geben, um den anderen nicht zu beunruhigen. Es war nicht leicht, denn es tat weh, als der andere die einzelnen Finger prüfte und das Handgelenk drehte und wendete. „Du hast Recht... es ist nur verstaucht. Zu schade aber auch...“ Ukyos Worte brauchten einen Moment, um Toma zu erreichen, doch dann fluchte er und wollte zurückweichen, denn er hatte definitiv den „bösen Ukyo“ vor sich. Doch dieser war schneller, drückte Toma auf die Bank und hielt ihn mithilfe seines eigenen Körpers fest. „Eigentlich hättest du dir das Genick brechen sollen, aber nun ja... ich schätze, du hast Glück gehabt.“ „Ukyo-san!“, knurrte Toma und der andere Ukyo hob belustigt die grünen Brauen. „Warum denn so förmlich, Toma? Wo wir uns doch so gut kennen?“, sagte er und sein Mund verzog sich zu diesem Lächeln, welches Ukyos sonst so schönes Gesicht geradezu entstellte. Toma wehrte sich, doch der andere schien Kräfte zu besitzen, die nicht von dieser Welt stammen konnten. Er schalt sich selbst einen Idioten, weil er seine Deckung nur einen Moment vernachlässigt und dem „bösen Ukyo“ gestattet hatte, ihn zu überrumpeln. „Was hast du vor?“, wollte Toma wissen und er gab trotzdem nicht auf. „Du verwirrst ihn... du tust es, obwohl ich dir sagte, dass du ihn verletzen wirst, wenn du so weiter machst. Du sagst ihm romantische Dinge, die er dir einfach so abkauft und er sieht nicht, dass er ins offene Messer läuft. Wieso? Was hast du an dir, dass er dir nicht widerstehen kann, Toma?“, fragte Ukyo-san nachdenklich. Er richtete sich auf, doch da sein Hauptschwerpunkt auf Tomas Hüften war, kam der andere immer noch nicht frei. Er langte nach hinten, um an den Notfallkasten zu kommen, öffnete diesen und entnahm eine Schere. Beim Anblick des metallischen Gegenstands leuchteten Ukyo-sans Augen geradezu wahnsinnig auf und Toma kämpfte gegen sein wachsenden Unbehagen. „Wenn ich wüsste, dass Ukyo auf Äußerlichkeiten steht, würde es reichen, wenn ich dir dein hübsches Gesicht zerkratze... aber leider ist es nicht so einfach“, sagte der „böse Ukyo“ und spielte noch ein wenig mit der spitzen Schere herum, als wäre es ein Spielzeug. Dann schnappte er sich eine Bandage aus dem Kasten und packte Tomas verletzte Hand mit eisernem Griff. Toma konnte sich einen lauten Schmerzensschrei nicht verkneifen und im gleichen Augenblick hörte er Ukyos boshaftes Lachen. Toma unterdrückte einen Fluch, den er dem anderen gerade gerne an den Kopf geworfen hätte und konzentrierte sich lieber darauf, den Schmerz auszublenden. Doch Ukyo drückte erneut zu und dieses Mal tanzten schwarze Punkte vor Tomas Augen. „Mir persönlich gefällt dieser Gesichtsausdruck an dir... Schmerz und Leid a la Toma~“ Wieder war Ukyos gemeines Lachen zu hören und es war das Letzte, was der Blonde mitbekam, ehe er in die Bewusstlosigkeit abtauchte. Langweilig. Einfach nur langweilig. Ich stieg von Tomas Körper herab, da er sich nicht mehr wehrte. Menschliche Körper waren so schwach und hielten nicht viel aus, das hatte ich innerhalb meines kleinen Spiels völlig vergessen. Ich seufzte und begann, Tomas verletzte Hand mit der Bandage zu umwickeln, damit sie besser heilen konnte. Ich hatte ihm heute viel zugemutet und gesehen, was er für Ukyo empfand. Es war rührend, aber es war auch so furchtbar falsch. Ukyo beging den gleichen Fehler noch einmal und ich musste es verhindern, das hatte ich mir fest vorgenommen. Mein Inneres rebellierte, Ukyo machte es mir heute nicht so leicht. Wann immer es um seinen geliebten Toma ging, vergaß er jegliche Zurückhaltung und es gelang ihm immer wieder, die Kontrolle zurück zu erlangen. Er war stark genug, um mich zu überrumpeln und doch hielt er sich für so schwach. Was für ein Idiot. Ich klebte ein Pflaster auf das Ende der Bandage und befestigte sie so, ehe ich mich zu Toma setzte und mir noch einmal sein bewusstloses Gesicht anschaute. Selbst jetzt konnte man ihm den Schmerz ansehen und ich lächelte befriedigt. Vorsorglich steckte ich die Schere ein, die immer noch in meiner Hand verweilte, denn man wusste ja nie, wann man derartige Dinge brauchte. Anschließend zog ich mich freiwillig zurück und überließ Ukyo das Ruder. Ukyo spürte, wie er die Kontrolle zurückbekam und augenblicklich versuchte er, Toma wach zu machen. „Toma! Toma, wach auf!“ Der andere gab keinen Mucks von sich und Ukyo schaute sich hektisch um. Er erblickte eine Wasserflasche und er holte sie. Er öffnete den Verschluss und kippte kurzentschlossen den gesamten Inhalt über Tomas Gesicht. Der Blonde schreckte sofort hoch und Ukyo war noch nie im Leben so froh gewesen, den anderen so lebendig zu sehen. Er hatte die ganze Zeit nicht sehen können, was der andere Ukyo mit Toma getan hatte, deshalb war seine Angst gerechtfertigt. „Ukyo... was...? Bist du wieder du? Und warum bin ich schon wieder nass?“, wollte Toma verwirrt wissen und der Grünhaarige umarmte ihn erleichtert. Es störte ihn wenig, dass er dadurch auch ein wenig nass wurde. Es war alles egal, solange es Toma gut ging. „Störe ich gerade?“ Ein Hüsteln ließ beide aufschrecken und sie wurden auf Waka aufmerksam, der sich nach Tomas Gesundheitszustand hatte erkundigen wollen. „E-es ist nur verstaucht“, beeilte sich Toma zu sagen und deutete auf die bandagierte Hand. Waka nickte, während er Tomas nassen Zustand analysierte. „Mir scheint, dass du eine Pause brauchst... um die Angelegenheiten mit Ukyo zu klären. Kent sagte mir, dass Ukyo gewissermaßen Schuld an deinem Zustand ist, auch, wenn ich das nicht so recht glauben möchte. Jedenfalls, es geht mich nichts an, was ihr für Probleme habt, aber wenn diese Probleme die Arbeit beeinträchtigen, dann geht es mich was an. Also... bitte klärt das und kommt erst dann wieder hierher. Verstanden?“, sagte der Chef und Toma und Ukyo senkten beschämt die Köpfe. „Verstanden...“, murmelten beide schuldbewusst und Waka nickte befriedigt, dann ging er wieder an die Arbeit. Toma seufzte und Ukyo schaute unsicher zu ihm. „Und was jetzt?“ Der Blonde lächelte. „Da ich jetzt sozusagen einen freien Tag habe, lass uns doch zum Park gehen.“ Ukyo nickte und war froh, dass Toma wieder ganz der Alte zu sein schien. Zwar plagten ihn nach wie vor Gewissensbisse, aber er beschloss genauso, nach vorne zu blicken und die Zeit mit seinem Freund zu genießen, als ob es jene böse Persönlichkeit in ihm nicht gäbe. Er hatte trotz allem noch nicht aufgegeben, an ein völlig normales Leben zu glauben und er wollte sich diese Hoffnung auch nicht kaputt machen lassen. „Okay. Lass uns gehen.“ „Zuerst sollte ich mich vielleicht umziehen“, gab Toma zu Bedenken und Ukyo unterdrückte die Bemerkung, dass Toma auch im tropfnassen Zustand bleiben könnte, es würde ihm nichts ausmachen. Manche Dinge blieben besser unausgesprochen... Toma kehrte zu dem Baum zurück, bei welchem er Ukyo zurückgelassen hatte. Der Regen hatte vorhin angefangen, während sie im Park spazieren gegangen waren und hatte ihnen damit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zum Glück gab es mobile Geschäfte, die einem allerlei Krimskrams verkaufen konnten, unter anderem auch Regenschirme und heißen Tee. Absichtlich hatte Toma nur einen Regenschirm gekauft, damit er sich mit seinem Freund einen teilen konnte. Er wusste selbst, was für eine billige Anmache das vielleicht war, aber unter Anbetracht der Umstände wollte er Ukyo so nahe sein, wie es nur ging. Was der andere Ukyo gesagt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und nun hegte er die dumme Hoffnung, dass der andere vielleicht ebenso empfinden könnte, wie er selbst. „Sie hatten nur noch den einen Schirm... aber dafür habe ich Tee mitgebracht“, log Toma also und stellte sich dicht zu Ukyo, damit dieser mit unter den dunkelgrünen Schirm passte. „Nicht schlimm“, lächelte der Grünhaarige und nahm Toma eine der heißen Getränkedosen ab. Obwohl er die ganze Zeit unter dem Baum gestanden hatte, war er nass geworden, aber er beschwerte sich nicht. Es war sogar ein recht angenehmes Gefühl, wie der Regen ihn abkühlte, während in ihm diese durchgängige Wärme herrschte. Tomas Nähe machte ihm dies nochmals deutlich bewusst, als sie Schulter an Schulter unter dem Regenschirm verweilten und dem Regen lauschten. „Das hat fast etwas von einem Date“, scherzte Toma jetzt und Ukyo verschluckte sich daraufhin an seinem Tee. Er hustete und Toma beeilte sich, um ihm auf den Rücken zu klopfen. Ukyo hob schließlich den hochroten Kopf und bedankte sich, ehe er sich wieder seinem Tee widmete. Seine Gedanken fuhren nebenbei Achterbahn... //Wie kommt er denn jetzt darauf?//, dachte er und wieder regte sich diese dumme Hoffnung in ihm, dass Toma doch mehr in ihm sah als nur einen Freund. „Ich weiß nicht, ob das das richtige Wetter für ein Date wäre“, sagte er, als er sich ein wenig im Griff hatte und schaute aus den Augenwinkeln zu Toma. „Ich glaube, das Wetter ist ziemlich egal, wenn man ein Date mit der richtigen Person hat“, sagte Toma leise und Ukyo sah zu ihm. Auch Toma hatte sich zu Ukyo gedreht und nun begegneten sich ihre Blicke. Beiden verschlug es den Atem und durch das Regengeräusch konnte man ebenso den Klang ihrer nun wild schlagenden Herzen hören. „Und an wen hast du dabei gedacht...?“, fragte Ukyo nervös, während sie sich instinktiv einander zuwandten. Tomas Blick wurde intensiver und Ukyo schluckte schwer, als der andere noch näher an ihn herantrat. Er musste nur noch einen Schritt näher kommen und er würde Tomas Körper an seinem fühlen, aber er wusste nicht, ob er das überleben würde. „Ich habe dabei an dich gedacht, Ukyo...“ Tomas Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern und das Drängen in Ukyo wurde stärker. Nein, er konnte sich nicht zurückhalten, er musste Toma jetzt einfach fühlen. Er trat einen Schritt näher und wirklich, er spürte Tomas Körper an seinem. Ihre Blicke blieben ineinander verhakt und nur noch Millimeter trennten ihre Lippen voneinander. Nicht die geringste Reaktion blieb ihnen verborgen, während sie so dastanden und diesen Sog spürten, der sie unaufhaltsam aufeinander zutrieb. „Toma...“ Ukyos Stimme bebte, als er den Namen des anderen flüsterte und schon fast den Geschmack des anderen auf seinen Lippen schmecken konnte. Nun war es unausweichlich und sie beide hatten die Antwort auf jene Frage, die sie sich gestellt hatten, seit sie einander nun näher kannten. Es war, als hätten sie all die letzten Tage und Stunden auf genau diesen Augenblick hingearbeitet. Toma beschloss, den letzten Schritt auf Ukyo zuzumachen, um ihn endlich zu küssen, als der andere ihn plötzlich von sich schob. „Ukyo?“, fragte Toma verwirrt. Hatte er sich doch geirrt und hatte die Zeichen falsch verstanden? „Was tust du da?“, fragte Ukyo plötzlich und Toma verstand, als er die verzerrte Stimme hörte. Ukyo war nun nicht mehr er selbst, sondern seine andere Persönlichkeit hatte erneut das Ruder übernommen. „Ukyo-san...?“ Der „böse Ukyo“ hob den Kopf und seine Augen waren wie giftgrüne Flammen, die Toma verschlingen wollten. Er zitterte am ganzen Körper, die Hände zu Fäusten geballt und den Körper angespannt, als wäre er eine Mauer. „WAS TUST DU DA?!“, schrie er Toma hasserfüllt an und entgegen seiner sonstigen Gelassenheit bestand er plötzlich aus Wut und Schmerz. Toma stutzte, als er das Leid in Ukyo-sans Augen sah und er zögerte. Was hatte das zu bedeuten? „Ich hatte dich gewarnt... aber du tust es trotzdem. Du tust ihm weh, weckst Hoffnungen in ihm und zerstörst ihn damit irgendwann unweigerlich“, sagte Ukyo-san und plötzlich griff er in die Innentasche seiner Jacke und hielt die Schere in der Hand. Toma fühlte sich an heute Morgen erinnert und nahm eine Abwehrhaltung ein, denn er hatte es nicht vergessen. Doch zu seiner Bestürzung setzte Ukyo-san die Scherenspitze an seinen eigenen Hals. „Ukyo-kun hat schon genug wegen der Liebe gelitten. Bevor du ihn damit zerstörst, bringe ich uns lieber beide um...“ Kapitel 10: Das Verbünden mit der anderen Seite? ------------------------------------------------ Toma konnte kaum verarbeiten, was hier geschah, aber er wusste, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn er jetzt nichts unternahm. „Ukyo-san, was sagst du da?“, fragte er und versuchte, sich zu nähern, doch daraufhin wich der Angesprochene zurück und warf dem Blonden einen warnenden Blick zu. „Versuch gar nicht erst, mich aufzuhalten. Du hast schon genug angerichtet.“ Der Ton des anderen war kalt, doch auch diese tiefe Verzweiflung war noch an Ort und Stelle. Toma erkannte, dass Ukyo-san nicht nur der Böse in der Geschichte war, sondern ein eigenständiges Wesen, welches gehört werden wollte. Die Hand des Grünhaarigen zitterte und die Schere kontaktierte die Haut am Hals des Fotografen. Toma dachte verbissen nach, suchte händeringend nach einem Ausweg, welcher beide Ukyos aus dieser Misere befreien konnte. Er musste Ukyo-san das geben, was dieser verlangte, aber es musste gleichzeitig etwas sein, dass den anderen nicht irgendwann wieder auf den Plan rief. „Ukyo-san... ich werde mich von Ukyo-kun fernhalten, wenn du meinst, dass das besser ist...“, sagte Toma also. Ukyo-san schaute ihn misstrauisch an, er glaubte ihm nicht und Toma konnte das gut verstehen. Gerade hatte er noch versucht, Ukyo-kun zu küssen und er hatte von Dates geredet und jetzt schwenkte er plötzlich um, wie eine Fahne im Wind. Es war nur eine logische Konsequenz, dass da Misstrauen aufkam. „Warum dieser plötzliche Sinneswandel?“ Toma registrierte, dass Ukyo die Schere ein wenig lockerer ließ, aber er wusste, dass es damit noch nicht ausgestanden war, also blieb er weiter auf der Hut. „Ich muss das tun, was du willst, wenn ich Ukyo-kun beschützen will. Aber du kennst ihn besser, also muss ich wohl oder übel auf dich hören. Und wenn du sagst, dass es ihn verletzen wird, dann kann ich das auch nicht zulassen. Wir stehen quasi auf der gleichen Seite, Ukyo-san“, sagte Toma also und ein Stück weit meinte er das auch so. Dass er in Wahrheit nur noch mehr an Ukyo-kuns Seite sein wollte, ließ er unausgesprochen. „Dann wirst du dich also von Ukyo fernhalten, ja?“, vergewisserte sich Ukyo-san und wieder entspannte er den Griff um die Schere, hob sie sogar ein Stück weit von seinem Hals weg, während seine Selbstsicherheit etwas zurückkehrte. „Ja, das werde ich“, bestätigte Toma und machte unmerklich einen Schritt nach vorn und noch einen, als Ukyo-san gerade nicht hinsah. Er musste den perfekten Moment abpassen, damit Ukyo-san sich nicht doch etwas antat, doch dazu musste er noch näher heran und sehr schnell sein. Er musste ihn noch etwas mehr ablenken und dazu fiel ihm nur ein Mittel ein: Er musste ihn provozieren. „Aber meinst du nicht, dass Ukyo-kun genau das am meisten verletzten wird?“ Ukyo-sans Gesicht gefror. „Wieso sagst du das? Was meinst du damit?“ Toma wagte sich weiter vor. „Du sagst, du willst nicht, dass er weiter verletzt wird. Woher willst du wissen, ob nicht noch jemand kommt, der ihn haben will und der ihn dann wirklich verletzt. Du kannst ihn nicht vor allem beschützen und jedes Mal, wenn du dann jemanden wegen ihm verletzt, wird er noch einsamer werden. Willst du das?“ Ukyo-sans Hände begannen zu zittern, sein Blick wurde hektisch. „Hör auf“, wisperte er, doch Toma war noch lange nicht fertig. „Du bist der Grund, warum er so leidet, Ukyo-san. Solange du ihn von allem fernhältst, machst du es noch schlimmer und er wird niemals glücklich sein. Und du wirst niemals frei sein...“ Die Schere fiel zu Boden und blieb mit der Spitze im weichen Erdboden stecken, während Ukyo-san sein Gesicht mit den Händen bedeckte. Er gab unartikulierte Laute von sich wie ein Tier und war völlig außer sich, dass Toma Mitleid mit ihm bekam. Aus einem Impuls heraus näherte er sich das letzte Stück und zog Ukyo-san an sich. Dieser erstarrte völlig zu Stein und statt seiner unfertigen Silben entkam eine Frage seinen Lippen. „Wieso...?“ Toma hielt ihn weiter fest und strich tröstend über den Rücken des Grünhaarigen. „Ich schätze, ich kann euch nun beide nicht mehr leiden sehen...“ Ein Zittern ging durch Ukyo-san Körper und seine Hände umfassten krampfhaft Tomas Oberarme. Dieses Mal entglitt dem Grünhaarigen ein Laut, der sich anhörte, als käme er von einem verwundeten Tier und wahrscheinlich war Ukyo-san nichts anderes. Ein verletztes Tier, welches um sich schnappte, aber dennoch auf Hilfe hoffte... Der Regen hatte zugenommen und prasselte erbarmungslos auf sie beide nieder, doch weder Ukyo noch Toma interessierte es. Was war schon ein bisschen Wasser, wenn es so viel Wichtigeres in diesem Moment gab? „To... Toma?“ Anhand der Stimmlage erkannte der Blonde, dass es sich nun um Ukyo-kun handelte, aber dennoch hielt er den anderen fest, denn Ukyo-kun klang genauso verletzt und durcheinander wie Ukyo-san vor wenigen Momenten auch. Er verstärkte seine Umarmung und litt im stummen Einvernehmen mit dem Grünhaarigen, welcher ebenfalls zitterte und jetzt sogar weinte. //Was ist bloß mit den beiden geschehen... wieso leiden sie beide so sehr?//, fragte sich Toma und zum ersten Mal bezog er auch Ukyo-san in seine Überlegungen mit ein. Einmal gestellt, ließ ihn diese Frage nicht mehr los... Toma lag hellwach in der Nacht in seinem Bett, während Ukyo-kun neben ihm tief und fest schlief. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie beide zu ihm nach Hause gekommen waren. Der Regen hielt immer noch an und erinnerte Toma immer wieder an die Ereignisse im Park, so dass er einfach keine Ruhe fand. Er hatte so viele Fragen, auf die er die Antwort nicht kannte und solange er nicht über das ganze Ausmaß Bescheid wusste, würde er wohl heute und auch nie wieder schlafen können. „Ukyo-san? Bist du da?“, fragte der Blonde also leise ins Halbdunkel, schimpfte sich einen Moment später aber einen Idioten. //Wieso sollte er mit mir reden? Außerdem schläft er bestimmt auch, wenn Ukyo-kun schläft//, überlegte er, doch eine Bewegung neben ihm bewies ihm das Gegenteil. „Was willst du...?“ Ukyo-san setzte sich in eine aufrechte Position und warf Toma einen Blick zu. Er ahnte, dass der Blonde wohl Gesprächsbedarf hatte. Er würde ihm die Antworten geben, aber dazu mussten die richtigen Fragen gestellt werden. „Es tut mir leid, was ich vorhin alles zu dir gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen...“, begann Toma und setzte sich ebenfalls hin. „Das hast du nicht... mir hat nur noch niemand je die Wahrheit ins Gesicht gesagt. Du hast übrigens völlig Recht... Ukyo-kun kann nicht glücklich sein, solange ich existiere.“ Toma schwieg betroffen. Sah Ukyo-san sich wirklich so? //Auch er muss einsam sein...//, schloss er daraus und er schimpfte mit sich selbst, weil er in Ukyo-san immer den „bösen Ukyo“ und somit den Bösewicht in dieser Geschichte gesehen hatte. „Wie kommt es, dass du existierst?“ Da der Grünhaarige lange keine Antwort gab, dachte Toma, dass er diese Frage nicht beantwortet bekommen würde, doch der andere belehrte ihn eines Besseren. „Ich bin eine Art Schutzmechanismus...“ „Schutzmechanismus?“ „Ja. Ich existiere, damit Ukyo-kun nicht an seinem eigenen Schmerz zerbricht.“ Toma wollte gerade fragen, welcher Schmerz damit wohl gemeint war, da redete Ukyo-san schon weiter. „Er hat sich verliebt, weißt du? Er und sie waren auch ein ganz nettes Paar, aber das Schicksal war wohl nicht auf ihrer Seite. Sie starb bei einem Brand und Ukyo-kun macht sich immer noch Vorwürfe, dass er sie nicht retten konnte. Er war dabei, als sie bei lebendigem Leib verbrannt ist... er flehte das Schicksal an, dass sie überleben sollte. Sein Wunsch wurde erfüllt, die Götter hörten ihn. Ukyo-kun bekam die Kraft, durch die Welten zu reisen und nach ihr zu suchen.“ Toma lauschte mit angehaltenem Atem. Bisher hörte es sich wie eine fantastische Liebesgeschichte an, aber wenn es zwei Persönlichkeiten in einem Körper gab, dann konnte man schwer bestreiten, dass nicht auch so etwas möglich war. „Er fand sie, doch dieses Mal hatte sie ihr Herz schon einem anderen geschenkt. Er hielt sich im Hintergrund, schwor, ihr Schutzengel zu sein... doch wieder starb sie. Ukyo nutzte erneut die Kraft, suchte wieder nach ihr, doch kurz nachdem sie ihr Glück wieder mit einem anderen Mann gefunden hatte, starb sie erneut. Und so ging es immer weiter und immer weiter... jedes Mal reiste er in eine Welt, er sah sie, war glücklich, sie lebendig zu sehen... und jedes Mal zum 25. August starb sie...“ Kaltes Grauen erfasste Toma und er konnte sich nicht vorstellen, wie Ukyo gelitten haben musste. Es war kein Wunder, dass der andere nur schwer Vertrauen gefasst hatte. „Weißt du, was passiert, wenn man so oft einen Menschen verliert? Wenn man immer wieder zusehen muss, wie ein Mensch getötet wird, der einem wichtig ist und man nichts dagegen tun kann?“, fragte Ukyo-san völlig ruhig, doch er erwartete keine Antwort von dem Blonden. „Man wird verrückt, Toma, man wird einfach nur verrückt vor Schmerz, Leid und Angst. Aus diesen Gefühlen heraus bin ich geboren und ich schützte Ukyo-kun davor, noch verrückter zu werden. Ich störte den Kreislauf und wenn die Welt um sie herum sie nicht tötete, dann habe ich sie getötet, um Ukyo-kun zu schützen.“ Ukyo-sans Eiseskälte jagte Toma zwar Angst ein, aber gleichzeitig verstand er, wie weit der andere bereit war zu gehen, um Ukyo-kun zu schützen. „Aber wo ist sie?“ „Sie existiert nicht mehr. Die Kraft der Götter dauert nicht ewig an... die Kraft erlosch und ich tötete sie ein letztes Mal. Am Tag darauf war der 26. August und seitdem leben wir in dieser Welt ohne sie. Eigentlich war ich verschwunden, aber doch hat sie es geschafft... sie hat mich irgendwie zurückgeholt... sie meinte, wir beiden müssten glücklich werden“, erklärte Ukyo-san und Toma wurde schwindelig im Angesicht dieser zahlreichen übernatürlichen Phänomene, die er da hörte. Ein humorloses Lachen glitt über Ukyo-sans Lippen. „Als ob es eine Welt geben könnte, in der Ukyo und ich glücklich werden könnten... so etwas gibt es nicht.“ „Bist du sicher?“, fragte Toma da. „Ukyo-kun hasst mich, weil ich seine schlechten Seiten repräsentiere. Ich bin all das, was er fürchtet und was er an sich nicht wahrhaben will. Er verleugnet mich, gibt mir die Schuld daran, was passiert ist... dabei bin ich auch er. Er war es, der mich gerufen hat und der mich gebraucht hat...“ Ukyo-sans Worte stimmten Toma nachdenklich. Vielleicht war es ja seine Aufgabe, zwischen den beiden Persönlichkeiten zu vermitteln...? „Das heißt, Ukyo-kun müsste dich als eine Seite von sich akzeptieren... und dann könnte er glücklich werden und du wärst frei?“, fragte er und Ukyo lachte leise. „Aus deinem Mund klingt das so einfach. Aber anscheinend hast du keine Ahnung, wie stur Ukyo-kun sein kann.“ „Ich werde ihn davon überzeugen“, sagte Toma entschlossen. Ukyo-san musterte den Blonden überrascht, doch er fing sich schnell wieder. Es war eine utopische Idee, dass dieser Schönling vor ihm das schaffen konnte... aber merkwürdigerweise wollte Ukyo-san an Toma glauben. Vielleicht war dieser Mann die einzige Chance, die er und Ukyo-kun hatten, wenn es je einen Ausweg geben sollte. Der Grünhaarige zog Toma an sich und hauchte ihm einen federleichten Kuss mitten auf den Mund. Der Blonde erstarrte augenblicklich zu Eis und schaute danach errötend auf Ukyo-san, als dieser sich wieder von ihm löste. Ukyo-san lächelte noch etwas mehr und Toma fragte sich, wie dieser Mund, der vorher noch harte Worte gesprochen hatte, sich so verdammt weich anfühlen konnte. „Ich glaube, ich vertraue auf dich, Toma“, sagte der Grünhaarige, dann ließ er den völlig konfusen Toma los und legte sich wieder hin, um sein Bewusstsein wieder mit Ukyo-kun zu tauschen. Toma befühlte noch einen Moment seine eben geküssten Lippen, starrte auf Ukyos Körper neben sich und fragte sich, was zum Teufel hier eigentlich los war. An Schlaf würde wohl nie wieder so einfach zu denken sein, wenn er jeden Tag von einem Gefühlschaos ins nächste stürzte. Ich glaube, ich vertraue auf dich, Toma. //Wie kann er so etwas nur sagen?//, ging es dem Blonden durch den Kopf und fühlte sich einerseits geehrt, aber auch unter Druck gesetzt. Aber er hatte seine Aussage, dass er Ukyo-kun überzeugen würde, nicht leichtfertig getroffen. Wenn es dazu diente, dass beide Ukyos glücklich sein konnten, dann würde er es versuchen. Kapitel 11: Ungehört -------------------- Ukyo gab einen brummigen Laut von sich, während er den Kopf allerdings nicht anhob. Er saß mit Toma am Frühstückstisch und hatte das Gesicht auf seinen Armen ruhen, weil er einfach keine Kraft hatte, sich der Wahrheit zu stellen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Toma unsicher, doch er erhielt nur einen weiteren knurrigen Laut. Seit Ukyo aufgestanden war, befand er sich in diesem Zustand und dem Blonden war es bisher noch nicht gelungen, ihn aus seiner Lethargie zu reißen. „Hast du schlecht geschlafen?“, versuchte er dennoch sein Glück. „Hm...“ „Ist das ein Ja?“ „Hm...“ Toma seufzte und beendete sein Frühstück. Ukyo hatte seines nicht einmal angerührt und dem Blonden missfiel das natürlich. „Hat es dir nicht geschmeckt oder hast du einfach keinen Hunger?“ „Hm...“ „Ukyo, was ist los mit dir?“ Stille. Toma stand auf und begann, den Tisch abzuräumen, weil er keine Antwort erwartete. Doch Ukyo überraschte ihn, denn der Fotograf hob plötzlich den Kopf und meldete sich endlich zu Wort. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich etwas Wichtiges verpasst... aber es will mir einfach nicht einfallen. Vielleicht habe ich auch einfach nur geträumt, aber... nein, ich bin mir sicher, dass ich nicht geträumt habe. Also heißt das...“ Toma schaute schuldbewusst zu Boden und Ukyo gab einen knurrigen Laut von sich. „Er war es, habe ich Recht? Was hat er getan?“ Die Feindseligkeit, die Ukyo-kun seinem anderen Ich entgegenbrachte, war deutlich zu spüren und Toma wurde unbehaglich zumute. Es fühlte sich seit gestern Nacht so an, als würde er zwischen den Stühlen sitzen. Zwar sah er sich einerseits in der Verantwortung, zwischen den beiden Ukyos zu vermitteln, aber andererseits bekam er nun zum ersten Mal zu spüren, wie schwierig diese Aufgabe tatsächlich werden würde. „Nichts weiter... ich konnte nicht schlafen und da haben wir geredet“, gab Toma zu, wobei er den erhaltenen Kuss lieber unter den Tisch fallen ließ. „Geredet?“, fragte Ukyo-kun verwirrt und glaubte, sich verhört zu haben. „Du redest mit ihm, obwohl er dich schon mehrmals verletzt hat?“ Toma dachte mit Unbehagen daran, aber gleichermaßen sorgte das neu entwickelte Verständnis für Ukyo-san dafür, dass er dem anderen nicht mehr böse sein konnte. Er konnte ihm nicht ärgerlich gesinnt sein, wenn der andere ebenso die Sicherheit seines Freundes im Sinn hatte. „Er... er wollte dich nur beschützen“, hakte Toma zögernd ein, doch einen Augenblick später bereute er es. Ukyo-kuns Gesicht war nun blasser als sonst und seine vorher fragende Miene wurde von Entsetzen durchzogen. „Entwickelst du jetzt etwa Verständnis für ihn...?“ Toma rieb sich mit einer Hand über seinen Nacken und gab ein hilflosen Schulterzucken von sich. Er wollte Ukyo nicht verärgern, aber irgendwie musste er dem anderen doch begreiflich machen können, dass Ukyo-san auch gute Absichten hatte. „Er hat mir alles gesagt, Ukyo.“ Der Grünhaarige sprang auf. „Das glaube ich nicht! Er hat die Wahrheit verdreht und manipuliert dich, merkst du das denn nicht?“ Unverständnis glomm in dem Fotografen auf und er befürchtete, seinen Freund zu verlieren. Ob das Ukyo-sans nächstes Ziel war? Toma drehte sich seufzend zu Ukyo um und fühlte sich noch unwohler in seiner Haut. „Ich sage ja nicht, dass ich alles gutheiße, was er getan hat... aber er hat es für dich getan. Er wollte dich immer nur beschützen... und ich kann niemanden ernsthaft böse sein, der dein Bestes will, verstehst du?“, wagte er sich noch weiter vor, doch er konnte in Ukyo-kuns Miene erkennen, dass dieser seine Meinung nicht teilte. „Ukyo, bitte... denk wenigstens mal darüber nach“, versuchte Toma es nochmals, doch Ukyo schüttelte vehement den Kopf. „Nein, lass mich damit in Ruhe!“, rief der Grünhaarige und wollte an Toma vorbei, doch dieser hielt ihn am rechten Oberarm fest. „Wie kann ich dich überzeugen?“ „Gar nicht!“ Ukyos Verzweiflung nahm immer mehr zu, aus Angst, Toma an die manipulative Seite seines Unterbewusstseins zu verlieren. Er riss sich aus dem Griff des anderen los und hatte das dringende Bedürfnis, aus der Wohnung zu rennen. Die Wände schienen näher zu kommen, ihn zu erdrücken und ein panisches Gefühl ergriff ihn, weil er nun schlechter Luft bekam. Das Ganze war einfach zu viel... //Noch einmal ertrage ich das nicht//, schoss es ihm durch den Kopf. „Ukyo...“ Der Angesprochene fuhr herum. „Was?! Was noch? Ich sollte wirklich gehen, ich kann mir das nicht anhören. Du hast dich total in etwas verrannt und denkst auch noch, dass du Recht hast. Was für ein Witz...“ Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen und einmal mehr verfluchte er sein Los. „Ich wollte dir nie wehtun, Ukyo“, sagte Toma und er klang ebenso verzweifelt, wie der Fotograf sich fühlte. „Ich dir auch nicht... aber anscheinend habe ich keine Kontrolle über mich selbst. Ich hätte mich von dir fernhalten sollen. Es war ein Fehler.“ Toma erblasste und obwohl es nicht physisch passiert war, fühlte er sich, als hätte Ukyo ihn geschlagen. „Das ist nicht dein Ernst...“, sagte er erschüttert. Ukyo meinte es wirklich nicht so, aber er war nun entschlossen, das zu tun, was am besten für Toma und ihn war. Das hieß, er musste Toma wehtun, um sich wieder in seine Einsamkeit zurückziehen zu können. „Doch. Das ist mein voller Ernst. Mein Problem hätte niemals deines sein sollen“, sagte Ukyo und wandte sich zur Tür. Tomas Gedanken rasten. Nein, er konnte Ukyo doch jetzt nicht gehen lassen... aber er konnte ihn auch nicht festhalten... oder doch? Ukyo kam der Tür immer näher, entschwand immer mehr seiner Sicht. Wenn er jetzt nicht handelte, dann würde der andere vielleicht für immer verschwinden. Tomas Körper war schneller als seine Gedanken und er rannte hinter Ukyo her. Dieser öffnete die Tür und Toma warf sich dagegen, so dass er den Weg versperrte. Schwer atmend stand er vor Ukyo, sah ihn bittend an. „Ukyo, bitte bleib“, bat er, der Schmerz kam direkt aus seinem Herzen und er konnte kaum atmen, so sehr engte es ihm die Kehle ein. „Damit du dich noch weiter mit ihm verbünden kannst?“, fragte Ukyo bissig und Toma musste einsehen, dass das nicht einfach werden würde. „Ich verbünde mich mit niemanden. Aber er gehört zu dir, er ist ein Teil von dir, also ist er auch mein Freund.“ Ukyo wurde blass, seine Augen wurden groß und er schaute Toma ungläubig an. Verglich der andere ihn etwa mit diesem Monster in ihm? „Ich bin nicht er und er ist nicht ich“, sagte er tonlos. „Belüg dich doch nicht selbst, Ukyo. Er ist du und er ist da, weil du es so wolltest.“ „Was weißt du schon?!“ Ukyos Stimme hallte wie ein Peitschenknall durch den Raum, doch Toma zuckte nicht einmal zusammen. „Ich weiß genug, um zu verstehen, dass man zwei Gesichter haben kann“, sagte er leise und damit ergriff er Ukyos Arm und zog ihn mit sich. „Toma, was hast du vor?“ Doch Toma gab keine Antwort, sondern zog ihn weiter. Sie passierten den Wohn- und Schlafbereich, dann öffnete Toma die Tür und schob Ukyo in das kleine Zimmer. Der Käfig wartete wie immer wie eine schlafende, stahlgraue Bestie und Ukyo überkam ein ungutes Gefühl, noch ehe Toma ihn gegen das kalte Metal drückte, so dass der Grünhaarige halb darauf lag. „Ich will dich nicht einsperren, Ukyo... aber ich habe es schon einmal getan, auch, wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Ich werde auch dich einsperren, weil ich mir gerade einfach nicht anders zu helfen weiß, damit ich dich bei mir behalten kann.“ Es waren nicht die Worte, die Ukyo daran hinderten, selbst etwas zu der aktuellen Situation zu sagen, sondern allein Tomas gequälter Gesichtsausdruck. Dieser Anblick nahm Ukyo den Atem und er konnte nicht anders, als einfach nur in Tomas Augen zu schauen und sich zu wünschen, dass er niemals dieses Leid in dem Blonden hervorgerufen hätte. „Bitte... geh nicht“, wisperte Toma und die Qual in seinen Augen nahm nochmals zu, hielt Ukyo gefangen. Noch immer konnte er keine Antwort geben, so sehr es auch wollte. Er erinnerte sich, was Toma über den Käfig gesagt hätte und er musste zugeben, dass er es unterschätzt hatte. Toma war wie er, auch er schleppte zwei Persönlichkeiten mit sich herum, genau deshalb war er damals ja hier in dessen Wohnung gelandet, weil er sich ihm verbunden fühlte. Toma hatte einmal diese liebe, witzige und offene Art an sich und zum anderen war da das sensible, intensive Innere, dass aus purem Egoimus bestand. Es waren zwei Seiten einer Medaille und trotzdem gehörten sie zusammen. Genau deshalb wusste Toma genau, was in Ukyo vorgehen musste, nur dass der Blonde sich damit arrangiert hatte, während Ukyo sein anderes Ich ausschließlich bekämpfte. „Toma...“, sagte der Fotograf leise. Toma nahm etwas Abstand, damit der andere sich aufrichten konnte und von jeder Faser seines Körpers ging Reue aus. „Entschuldige... aber ich weiß nicht, wie ich dich anders bei mir behalten kann. Ich... ich liebe dich und ich kann dich einfach nicht gehen lassen.“ Ukyo keuchte, weil die Verzweiflung Tomas ihn durchdrang und in seinem Herzen schmerzte. Der andere brauchte ihn, so wie er auch ihn brauchte, das wurde ihm in diesem Moment so sehr bewusst. Ohne ein weiteres Wort schlang er die Arme um Toma, drückte ihn an sich und versuchte, mit dieser Umarmung ein wenig Wiedergutmachung zu leisten. Ein Zittern durchlief Tomas Körper und er barg sein Gesicht an Ukyos Hals, um Zuflucht in der tröstlichen Wärme zu suchen. Seine Hände verkrampften sich in der dunklen Kleidung und besitzergreifend schlangen sich Tomas Arme wenig später um Ukyos Körper, pressten ihn an den eigenen. Ukyo wurde kurz die Luft aus den Lungen gepresst, doch er wollte um nichts auf der Welt Zurückhaltung, zumindest nicht von Tomas Seite. Er umarmte Toma ebenfalls fester und gemeinsam gingen die rückwärts aus diesem Raum, ließen das Stahlungeheuer allein in seiner kleinen Behausung und schlossen die Tür. Sie sanken auf das Bett zurück, dass sie sich nun schon so oft miteinander geteilt hatten und auch jetzt nutzten sie es beide. Sie ließen sich nur kurz los, um aus beengenden Kleidungsstücken herauszuschlüpfen und damit Ukyo seine Haare zu einem weniger hinderlicheren Zopf zusammenfassen konnte, dann fanden sie sich erneut in einer Umarmung wieder. Toma lag auf den Rücken, er trug am Oberkörper nichts mehr und Ukyo genoss die Wärme, die ser andere ausstrahlte, also bettete er sich genau auf Tomas Brust. Er selbst hatte nur Jacke und Krawatte abgelegt, sowie die obersten Knöpfe seines Hemdes gelöst, um Bewegungsfreiheit zu haben. „Wirst du bei mir bleiben?“, fragte Toma irgendwann zaghaft, denn obwohl er es vorhin „angedroht“ hatte, Ukyo einzusperren, so lag ihm nichts ferner als das. „Ich weiß es nicht, Toma... ich habe Angst, dass ich dir eines Tages wehtue und dass ich es nicht verhindern kann“, sagte Ukyo ehrlich und Toma nickte. „Das verstehe ich... aber ich habe Angst, dass ich dich verlieren könnte und dass du für immer einsam bist. Das kann ich nicht ertragen, verstehst du?“ Ukyo schluckte schwer. Tomas Freundschaft bedeutete ihm alles und dass der andere sich so um ihn sorgte war Balsam für seine geschundene Seele. Nichts mehr wünschte er sich, als einfach alles auszublenden, was geschehen war und einfach hier zu bleiben, in dieser kleinen persönlichen Seifenblase. Doch ihm war bewusst, dass besonders Seifenblasen sehr zerbrechlich waren... Ein Gewicht auf seinem Körper weckte Toma spät in der Nacht. Er blinzelte ins Dunkel, sah aber nur eine schwarze Gestalt über sich mit grünen, leuchtenden Augen. Ein Feuerzeug wurde angezündet und erhellte Ukyo-sans nachdenkliche Gesichtszüge. Toma richtete sich auf und kam dem Grünhaarigen dadurch sehr nahe. Er errötete, aber zwang sich, so zu bleiben, während er wartete, dass Ukyo-san etwas sagte. „Er wird gehen... du hättest ihn einsperren sollen“, meinte dieser nun endlich und Toma schaute traurig zur Seite. „Du hast es sicher schon gewusst, hm?“ Toma nickte. „Es ist in Ordnung... ich hätte es sowieso nicht getan. Dafür liebe- ich... äh... ich meine, ich schätze ihn sehr als Freund“, sagte Toma und lenkte mittendrin um. Vorsichtig sah er Ukyo-san an, doch dieser grinste nur. „Du musst dich nicht verstellen. Ich weiß schon, dass du ihn liebst und ich werde mich nicht mehr gegen euch stellen. Du hast gute Absichten, Toma, das weiß ich jetzt“, bemerkte die andere Persönlichkeit und wieder wurde sein Blick nachdenklich. „Ich freue mich, dass du es ernst mit ihm meinst. Aber es wird nicht helfen, dass er mich als einen Teil von sich sieht, wie du ja bemerkt hast. Aber du hast es versucht und das ist mehr, als ich von dir verlangen kann“, sprach er weiter. „Bring ihn dazu, hier zu bleiben, dann kann ich ihn bestimmt bald überzeugen“, versuchte es Toma, doch Ukyo schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bin ich der Letzte, der etwas dagegen tun kann. Weißt du, in Wahrheit ist er der Stärkere von uns beiden“, lächelte Ukyo-san und Toma lächelte ebenfalls. Ja, das hatte er auch schon bemerkt, dass da eine verborgene Stärke in Ukyo existierte. Er hoffte sehr, dass der andere imstande war, sie irgendwann zu erwecken, doch jetzt schien es noch unmöglich. „Ich wollte mich verabschieden. Wir werden uns wohl eine Weile nicht sehen... und ich wollte mich bedanken.“ Toma schaute den anderen verdutzt an. Ausgerechnet der, welcher Menschenleben auf dem Gewissen hatte, bedankte sich nun bei ihm? Ukyo-san lachte leise und unheilvoll, wie es nun mal seine Art war. „Da ich in Ukyo existiere, weiß ich auch, was er sich ganz tief drin in sich wünscht. Und vorhin, als ihr euch in den Armen lagt, war da ein Wunsch dabei, den ich interessant fand und den ich dir zutragen möchte. Sozusagen als Dankeschön“, meinte er und ehe Toma fragen konnte, worum es sich dabei wohl handelte, beugte Ukyo-san sich plötzlich zu ihm herab und küsste ihn mitten auf die Lippen. Toma zuckte überrascht zusammen und wollte den anderen erst von sich schieben, doch die Leidenschaft des anderen ließ seine Gegenwehr schmelzen wie Eis in der Sonne. Ukyo-san packte seine Handgelenke, hielt sie gefangen und seine Lippen nahmen sich ungestüm, was sie wollten. Toma hatte es sich schon oft vorgestellt, Ukyo zu küssen, doch es war in seinen Vorstellungen nie von dem anderen ausgegangen. Ukyos Zunge schnellte hervor, leckte einen feucht-warmen Pfad über Tomas Unterlippe und vor Überraschung öffnete Toma den Mund. Ukyo nutzte die Chance, glitt mit seiner Zunge hinein und stahl sich so einen Kuss der anderen Art von Toma. Amüsiert nahm er wahr, wie schnell Tomas Atmung ging und gerne hätte er das Spiel noch etwas weiter gespielt, doch das war gegen die Abmachung, die er und Ukyo-kun getroffen hatten. Also entließ Ukyo-san Toma aus dem Kuss und ließ den anderen aus der Traumwelt zurückkehren. Er registrierte Tomas verhangenen Blick, die vom Kuss noch feuchten Lippen und wie der andere versuchte, seine Atmung ruhiger werden zu lassen. Er zog ihn in eine Umarmung und drückte ihn zum Abschied eng an sich. „Ukyo lässt ausrichten, dass es ihm leid tue. Versuche nicht, uns zu finden“, wisperte er, dann holte er mit der Handkante aus und mit einem gezielten Schlag ins Genick des Blonden beförderte er ihn direkt in eine Ohnmacht. Toma kippte gegen ihn und Ukyo-san genoss es noch einen Augenblick lang, dann tauschte er sein Bewusstsein mit Ukyo-kun, damit dieser nicht länger in ihm rebellierte. „Das war nicht so abgemacht, du solltest ihm nicht gleich die Zunge in den Hals rammen, du Idiot“, rief Ukyo-kun und wurde augenblicklich rot, während er sich mit dem Hemdsärmel über die Lippen wischte. Doch das heiße Gefühl, dass ihn ergriff, war so nicht wegzubekommen und so ließ er es bleiben. Er sah in Tomas bewusstloses Gesicht, strich ihm noch einmal über die Wange und küsste ihn kurz auf die Mundwinkel. „Leb wohl, Toma...“ Damit stand Ukyo auf, zog seine Jacke über, setzte seinen Hut auf und warf keinen Blick mehr zurück. Kapitel 12: Du kannst nicht vor allem davonlaufen ------------------------------------------------- Ukyo stoppte erst, als er bei dem verlassenen Schrein im Wald ankam und erst dort verschnaufte er. Seine Lunge brannte, dennoch ließ er die Pause nicht allzu lange werden, weil er noch nicht gänzlich in Sicherheit war. Toma würde ihn sicher überall suchen, soweit kannte er den anderen. Aber Ukyo hatte nicht vor, gefunden zu werden. //Du bist wirklich dumm. Warum versteckst du dich vor ihm, wenn du ihn in Wahrheit liebst?//, höhnte Ukyo-san in seinem Inneren und nicht zum ersten Mal wünschte sich Ukyo, er könnte den anderen zum Schweigen bringen. Verbissen umrundete er den kleinen Schrein, um zur Vorderseite zu gelangen, wo sich auch der Brunnen befand. Wenn er diese Zeit richtig interpretierte, würde sein Tod hier endgültig sein, so wie es auch ihr Tod gewesen war. Ein Schaudern überlief Ukyos Körper, je näher er dem alten Brunnen kam. Sehr oft hatte er den Tod gefunden, doch der schlimmste Tod hatte ihn hier ereilt. Er erinnerte sich noch gut, wie er im Schlamm ganz unten am Boden gelandet war. Zuerst hatte er sich gefreut, weil er sich bei dem Sturz hinab nichts getan hatte, doch dieses Gefühl war danach schnell verschwunden. Immer tiefer war er eingesunken, hatte versucht, sich an den glitschigen Steinen festzuhalten, wobei er seine Hände zerschunden hatte. Doch der Schmerz war nichts gegen seine Panik gewesen, als er immer schneller versunken war. Letztendlich erinnerte er sich nur noch, wie der Schlamm von allen Seiten auf ihn eingedrungen war und ihm die Luft zum Atmen genommen hatte. Auch jetzt fühlte Ukyo die gleiche Panik in sich und seine Hände verkrampften sich um den bröckeligen Rand. Ein paar kleinere Steine lösten sich und fielen hinab, zeigten ihm sein eigenes Schicksal, wenn er sich entschloss, diesen Weg zu gehen. Ukyo atmete zitternd ein und gab sich selbst einen Ruck. Er durfte Toma nicht weiter gefährden und er selbst musste endlich Stellung beziehen zu dem, was er verbrochen hatte. Ukyo schluckte die Angst hinunter und setzte einen Fuß auf den Rand des Brunnens. Doch plötzlich wechselte sein Bewusstsein und Ukyo-san übernahm. „Du denkst doch nicht wirklich, ich vergeude diese Chance? Außerdem ist es zur Zeit sehr interessant mit Toma. Ich denke, das will ich noch ein bisschen beobachten“, lächelte das andere Ich und Ukyo-kun musste zusehen, wie er den Fuß wieder auf den Erdboden stellte. Zudem bewegte er sich weg und egal wie sehr Ukyo-kun auch wütete, der andere ließ ihn einfach nicht mehr an die Oberfläche. //Verdammt nochmal, lass mich! Ich muss dem ein Ende bereiten, sonst-// „Sonst was? Hast du Angst, dass du glücklich sein könntest?“, fragte sein dunkles Ich spöttisch und Ukyo-kun stockte. Glücklich sein? Das würde ihm nicht vergönnt sein, nach dem, was er alles getan hatte. Aber in seinem Innersten... ja, da war Hoffnung, dass er doch glücklich sein durfte, egal wie. „Sieh es ein, Ukyo. Du kannst nicht sterben... nicht, wenn auch nur ein Funke Hoffnung in dir ist. Ich werde nicht zulassen, dass du weiter davonläufst. Ich bin müde... ich will nicht mehr weglaufen wie ein Feigling. Ich werde es verhindern, dass du den feigen Weg wählst, nachdem wir derart gelitten haben“, sagte Ukyo-san dunkel und Ukyo-kun in seinem Inneren spürte echtes Entsetzen in sich hochsteigen. //Was hast du vor? Wenn du Toma oder den anderen was tust, dann-!// „Dann was?“, fragte Ukyo-san gelangweilt und ließ sich nicht unweit des Parks ins Gras nieder, ehe er Ukyo-kun ein weiteres Mal antwortete. „Keine Sorge, ich tue ihnen nichts. Aber wenn du noch einmal daran denken solltest, dieses Leben und diese Chance wegzuwerfen, garantiere ich für nichts. Und der Erste wird Toma sein...“ Ukyo-kun schwieg betroffen und alles in ihm wollte nichts davon hören. Er wollte nicht, dass Toma etwas geschah, denn noch einmal würde er es nicht überstehen, einen geliebten Menschen zu töten. „Ich sehe, wir sind uns einig. Brav, Ukyo, brav“, spottete Ukyo-san. //W-warte...//, entgegnete Ukyo zittrig und sein anderes Ich wurde hellhörig. „Was ist noch? Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt“, meinte Ukyo-san. //Gib mir bitte Zeit. So wie ich jetzt bin, kann ich Toma nie glücklich machen... bitte... gib mir die Möglichkeit, dass ich klar werden kann. Ich muss aus der Stadt weg...//, sagte Ukyo verzweifelt. Lange Zeit schwieg Ukyo-san einfach nur, dann stimmte er zu Ukyos Überraschung zu. „Gut... du hast deine Zeit. Aber strapaziere meine Nerven nicht weiter“, meinte sein Alter Ego noch und auf einmal war Ukyo wieder Herr seiner Sinne. Verwirrt wollte er Ukyo-san nach der Ursache fragen, doch der andere gab keine Antwort mehr. Anscheinend war sein Redebedürfnis für heute erschöpft und Ukyo beließ es dabei. Vielleicht war es ja auch besser so... Im Winter darauf, 1 Jahr später... „Toma, aufwachen!“, zischte Ikki dem Blonden zu, denn er sah Waka nahen. Wenn der Chef den anderen beim Tagträumen erwischte, dann würde er einen Kopf kürzer gemacht werden. „Hm?“, gab Toma von sich und der wandte sich Ikki zu, welcher ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass Gefahr nahte. Der Blonde verstand nichts, ehe Waka ihm hart auf die Schulter klopfte. „Toma, ich brauche hundert Prozent von dir, sonst nützt du mir nichts“, knurrte der Chef und Toma glaubte, die Augen bösartig funkeln zu sehen. Er erschauderte nicht wie sonst, ihm fehlte einfach die Kraft dazu. Seit Ukyos Verschwinden hatte er für überhaupt nichts mehr Kraft. Auch, dass er heute auf Arbeit war, hatte er nur aus reinem Automatismus getan und weil ihm seine eigene Wohnung wie ein Gefängnis vorkam. „Was immer mit dir los ist, krieg´ es in den Griff. So verscheuchst du uns die Gäste. Und wo ist überhaupt Shin?!“, schimpfte Waka. In diesem Moment ging die Tür auf und der Dunkelhaarige in der rot-schwarzen Kleidung kam durch den Haupteingang herein. „Morgen“, grüßte er einsilbig und verschwand nach hinten zu den Umkleiden. Während Waka auch deshalb tobte, zog Ikki Toma ebenfalls zu den Umkleiden, um ihn ins Gebet zu nehmen. „Ich weiß, Ukyo fehlt dir, aber du kannst dich nicht so hängen lassen. Du bist ja nur noch ein Schatten deiner Selbst“, sagte Ikki besorgt und Toma nickte lahm. Was sollte er auch dazu vorbringen? Es stimmte ja, er war nicht mehr er selbst, seit er diesen Zettel in seinem Briefkasten gefunden hatte, der ihm über die Abwesenheit Ukyos informierte. Noch jetzt hatte Toma den genauen Wortlaut im Kopf und jedes Mal schmerzte es ihn so heftig, dass er kaum atmen konnte. Toma, ich muss gehen. Bitte such mich nicht und versprich mir, dass du diese Stadt nicht verlassen wirst. Es ist zu deinem eigenen Besten. Ukyo. Mehr hatte nicht auf dem kleinen Stück Papier gestanden und Toma wusste nicht, was mehr wehtat. Diese knappe Botschaft oder das tatsächliche Abtauchen von Ukyo. Manchmal zeigte Waka ihm neue Bilder des Fotografen, die in irgendwelchen Magazinen erschienen und so konnte Toma manchmal nachvollziehen, wo der andere wohl gerade war, aber das machte es eigentlich nur noch schlimmer. „Wie wäre es, wenn du einfach nach Hause gehst. Ich sage Waka, dass es dir nicht gut geht und du kannst dich mal richtig entspannen. Na, wie klingt das?“ „Negativ“, mischte sich Kent ein und rückte seine Brille gerade. „Heute werden wir so viele Gäste wie nie haben und wir brauchen jede einzelne Hand. Wenn Toma ausfällt, fehlen uns dreißig Prozent unserer sonstigen Leistung und er ist neben Ikki der Beliebteste hier. Zudem fehlen uns die Mädchen wegen den Prüfungen, was uns schon genug schwächt.“ Toma lächelte halbherzig. Er bemerkte selbst, dass er nicht auf der Höhe war und er konnte selbst nicht fassen, dass seine Liebe zu Ukyo ungebrochen war, obwohl dieser ihn eindeutig hatte sitzen lassen. Es war ein nettes Angebot von Ikki, dass er nach Hause gehen könnte, doch dort würde ihm die Decke auf den Kopf fallen und die Arbeit lenkte wenigstens etwas ab. „Danke Ikki... aber ich bleibe“, konstatierte er und stürzte sich dann auf die Arbeit. Er bemühte sich um ein aufrichtiges Lächeln und ließ sich völlig auf seine Rolle als Butler ein, um den Kopf freizubekommen. Doch er konnte nicht verhindern, dass er jedes Mal hoffnungsvoll zur Tür, wenn die Glocke daran fröhlich vor sich hin klingelte, in der Hoffnung, dass Ukyo auftauchen würde. Es war bereits ein Jahr her und dennoch saßen seine Wunden tief. Toma bezweifelte, dass er sich je davon erholen würde und so langsam fand er sich damit ab, auf ewig in dieser Stadt zu bleiben und auf den Fotografen zu warten, der ihm in doppelter Hinsicht das Herz gestohlen hatte. Bald darauf war der Laden brechend voll und Toma blieb nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken... und er war sehr froh darüber. Es war bereits spätabends, als Toma mit Kent, Ikki und Shin das Cafe verließ. Es schneite heftig, sehr viele Zentimeter Schnee lagen bereits, so dass alle mindestens knöcheltief in der weißen Masse verschwanden. „Ich will den Sommer zurück“, bibberte Ikki und Toma konnte ihm da nur Recht geben. „Ja, verflucht kalt dieses Jahr. Aber weiße Weihnachten wäre trotzdem nicht schlecht“, meinte Shin, bückte sich, formte einen Schneeball und warf ihn auf Toma. „Hey!“ Die anderen lachten und bald darauf war eine fröhliche Schneeballschlacht im Gange. Alle gingen mehr oder weniger erfolgreich in Deckung, während sie weitere eisige Bälle formten und diese als Waffen gegen ihre Freunde richteten. Kent hatte mit seiner Größe die schlechtesten Karten, während Shin oft recht ungeschoren davon kam. Ikki und Toma verbündeten sich gegen die beiden und bald darauf lagen sie alle im Schnee und balgten sich wie die Schulkinder im weißen Kleid des Winters. Durchgefroren und immer noch lachend machten sie sich schließlich eine Stunde später auf den Heimweg, doch immer wieder fand noch ein Schneeball seinen Weg zu einem von ihnen und das reichte schon aus, um sie wieder zu Heiterkeitsausbrüchen zu verleiten. Als sie sich schließlich an einer Kreuzung trennten, war Toma so gelöst wie schon lange nicht mehr. Er war so dankbar dafür, dass es seine Freunde gab und er wusste, er würde es vielleicht irgendwann überwinden können, dieses innere Gefühl der Leere und Einsamkeit. Vielleicht schon nächstes oder übernächstes Jahr... wer wusste das schon? Toma ging weiter und stapfte durch den Schnee. Er bibberte bereits vor Kälte und er war total müde von der Arbeit. Er würde wohl kein Bad mehr nehmen, sondern sich einfach gleich in sein Bett fallen lassen. Er freute sich auf die dicke, warme Bettwäsche, die er sich extra für diesen Teil des Jahres besorgt hatte und bisher hatte sich diese Investition eindeutig gelohnt. Es war bereits stockdunkel und Toma versank hier und da in einer unbeleuchteten Schneewehe, aus die er sich dann jedes Mal wieder herauskämpfen musste. Der Schneefall nahm immer mehr zu und Toma konnte bald darauf kaum die Hand vor den Augen sehen. Zum Glück kannte er seinen Heimweg auswendig und befand sich bald darauf auf den letzten Metern. Autos waren kaum unterwegs, so dass er auf der schneebedeckten Straße laufen konnte, die immer schwerer zu sehen war. Plötzlich blieb Toma im Schnee an etwas hängen und fiel der Länge nach in den Schnee, wo er einen schönen Abdruck von sich selbst hinterließ. Noch mehr zitternd kämpfte er sich hoch und sah nach, woran er hängengeblieben war. Er erstarrte und sah einen schlaffen Arm, der aus der Schneedecke herausschaute. Toma erkannte das Muster am Ärmel sofort wieder und hektisch machte er sich daran, den Arm und auch den Rest eines Körpers freizulegen, bis er einen ohnmächtigen Ukyo vor sich hatte. „Ukyo!“, rief Toma und rüttelte an dem anderen, doch der Fotograf rührte sich keinen Zentimeter aus eigenem Antrieb. Toma befühlte die Haut des anderen, der wie immer die gleiche Kleidung trug und spürte, wie kalt der andere schon war. Er atmete zwar noch, aber die Kälte hatte ihn schon vollkommen eingenommen, als würde er schon länger hier im Schnee verharren. „Ukyo!“, versuchte es Toma nochmal, doch es hatte keinen Zweck. „Verdammt!“ Toma nahm Ukyo auf seinen Rücken, dann sprintete er los. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zu seiner Wohnung, doch das zusätzliche Gewicht bremste Toma ziemlich aus. Es schien ewig zu dauern, bis er endlich bei sich Zuhause war und auch da durfte er keine Zeit verlieren, das war ihm bewusst. Er legte Ukyo auf dem weichen Teppich ab, der den Flur mittlerweile säumte und begann, den Grünhaarigen aus seiner Kleidung zu schälen, die bereits völlig nasskalt war. Als er das geschafft hatte, wollte er eigentlich das Bad ansteuern, doch stoppte er unschlüssig. Erstens musste er erst den Raum richtig heizen, dann würde ein Bad in heißem Wasser vielleicht einen Schock auslösen und noch dazu würde wichtige Zeit verloren gehen. Also wandte sich Toma dem Wohn- und Schlafbereich zu und verfrachtete den nackten, bewusstlosen Ukyo in sein Bett. Er deckte ihn von oben bis unten zu und befreite sich dann erst einmal selbst von seiner eigenen nassen Kleidung. Er zog sich schnellstens um und hing die nassen Sachen im Bad auf, ehe er zu Ukyo zurückkehrte. „Ukyo?“, fragte der Blonde, doch er erhielt keine Reaktion. Er trat zum Bett, berührte Ukyos Haut und runzelte sorgenvoll die Stirn. Ukyo war immer noch eiskalt und das konnte auf Dauer nicht gut sein. Da der Grünhaarige bewusstlos war und somit ein heißer Tee auch ausfiel, fiel Toma eigentlich nur eine Methode ein, wie er den anderen noch wärmen konnte. Er zog sich seinen Pullover doch wieder aus, glitt unter die Decken und zog Ukyos kalten Körper zu sich heran. Toma zuckte kurz zusammen, als er Ukyos kühle Haut an seiner eigenen Haut spürte und es waren wirklich Welten, die zwischen ihnen lagen, was das betraf. Etwas unbeholfen strich Toma über Ukyos Körper, um durch die Reibung Wärme zu erzeugen, doch peinlich berührt ließ er das dann lieber wieder sein. Er hielt Ukyo also nur noch an sich gedrückt, während er sich fragte, warum der andere wohl ausgerechnet jetzt wieder aufgetaucht war und was er bewusstlos im Schnee suchte. Toma umarmte Ukyo ganz eng, so dass es kaum einen Zentimeter gab, der nicht von seiner Eigenwärme profitieren konnte und hoffte, dass es ausreichte, um Ukyo wieder zurück aus der Bewusstlosigkeit zu holen. Er hoffte es, denn er hatte sehr viele Fragen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)