Amnesia Memories von Kyo_aka_Ne-chan (Geliebter Zwiespalt) ================================================================================ Kapitel 2: Das richtige Zuhause ------------------------------- „Irgendwie habe ich das Gefühl, es gibt heute mehr zu tun als sonst“, stöhnte Shin geschafft, als er das letzte Glas abgespült hatte und sich um den Geschirrnachschub kümmerte. „Das liegt daran, dass der Chef nicht mithilft, wie sonst“, murrte Ikki und gab einem Eisbecher den letzten Schliff. „Er ist ganz vertieft in seine Gespräche. Er scheint Ukyo dahingehend sehr vermisst zu haben“, bemerkte Toma, der gerade ebenfalls letzte Hand an ein paar Törtchen legte, damit Sawa und Mie sich nur um die hereinkommenden Gäste und die Bestellungsentgegennahme kümmern mussten. Kent schwirrte währenddessen in und aus der Küche heraus, um die Bestellungen an Ort und Stelle zu verteilen, daher hatte er nicht viel zu reden. Automatisch sahen die drei zu dem Tisch, an welchen Ukyo schon seit die denken konnten immer Platz genommen hatte. Waka hatte sich zu ihm gesetzt und sie gingen einen Bilderband durch, der Fotos von ihrer Heimat zeigte. Bestellt hatte Ukyo nichts bis auf die Tasse Kaffee, die Toma ihm schmackhaft gemacht hatte und der Chef hatte sich lediglich ein Glas Wasser geholt, um keine Extrakosten zu verursachen. Angeregt unterhielten sie sich über jedes einzelne Bild, aber etwas war merkwürdig an dieser ganzen Szenerie. „Sagt mal, kommt es mir nur so vor, oder...?“, begann Toma, doch auch die anderen hatten gerade einen ähnlichen Gedanken gehabt. „Ja, er scheint gar keine Freude an den Bildern zu haben“, meinte auch Ikki verwundert. „Er lächelt zwar, aber...“, erkannte Shin, doch er konnte nicht genau benennen, was ihn an Ukyos Reaktionen störte. „... es kommt nicht in seinen Augen an“, beendete Toma und begann, sich Sorgen zu machen. Sonst war es so gewesen, dass Ukyo beim Thema Fotografie oder Kameras förmlich gestrahlt hatte. Wenn er einmal dazu gefragt wurde, hatte er nicht mehr aufhören können zu reden und der Enthusiasmus in seiner Stimme hatte jeden Zuhörer so lange gefesselt, bis er seine Ausführungen beendet hatte. Doch heute war er einsilbig, lächelte hier und da, doch wie sie alle schon gemerkt hatten, kam dieses Lächeln nicht bei seinen Augen an. „Hey... Ukyo sieht traurig aus“, sagte Kent, der eben ein Tablett voll schmutzigem Geschirr eingesammelt hatte und dies nun ins Spülbecken stellte. „Warum nur?“, fragte Toma grüblerisch und wie vorhin meldete sich seine Neugier. Wenn er recht darüber nachdachte, hatte er Ukyo noch nie traurig erlebt und er fragte sich, wer oder was dafür wohl verantwortlich war. „Vielleicht sollten wir ihn aufheiten“, meinte er schließlich, aber Shin reagierte skeptisch darauf. „Also... wenn nicht mal der Chef es schafft, in ihm Begeisterung zu wecken, was können wir dann schon tun?“ „Vielleicht ist es an der Zeit für einen Ikki-Spezial“, schlug Ikki vor und griff schon nach einem Glas, doch Toma hielt ihn auf. „Moment, wir wissen doch gar nicht, ob Ukyo sowas mag. Wir können ihm nicht einfach einen übergroßen Eisbecher hinstellen, ohne zu wissen, ob er das auch will.“ „Du hast Recht... aber es hat so lange keiner mehr den Ikki-Spezial bestellt, ich komme noch aus der Übung“, seufzte Ikki niedergeschlagen. „Bitte doch deinen Fanclub darum“, provozierte Shin den Silberhaarigen und dieses Mal blieb der andere um eine Antwort verlegen. „Wenn ich so darüber nachdenke... weiß überhaupt jemand etwas über Ukyo? Ich weiß nur, dass er Fotograf ist und gerne schwarzen Kaffee trinkt“, überlegte Toma jetzt und die anderen sahen ihn verwundert an. Doch dann dämmerte es auch ihnen. Eigentlich wussten sie fast gar nichts über den jungen Mann mit der dunklen Kleidung und den grünen Haaren, außer jenen offensichtlichen Dingen, die ihnen durch die Arbeit einfach auffallen mussten. „Außerdem schläft er gerne im Freien“, bemerkte Shin noch, aber es war eher ein dünner Versuch, dass sie sich alle besser fühlten. „Jetzt, wo du es sagst... ich habe ihn gestern Abend schon zu dieser Grünfläche gehen sehen als ich mit den Mädels unterwegs war“, meinte Ikki darauf. „Heißt das etwa, dass er dort übernachtet hat, wo wir ihn heute früh gesehen haben?“, fragte Shin entsetzt nach. „Also ist er obdachlos“, machte sich Kent bemerkbar und es klang wie eine Feststellung. „Kent, sag doch sowas nicht“, wies Ikki ihn zurecht, doch sie alle fragten sich in diesem Moment das Gleiche. War das wirklich wahr? War Ukyo wirklich obdachlos? „Jungs, was ist denn hier los? Die Gäste warten!“, rief Sawa jetzt, als sie in die Küche kam und schnell gingen alle wieder an die Arbeit. Ukyo hatte Mühe, sich auf die Bilder zu konzentrieren, die Waka ihm zeigte und Kopfschmerzen kündigten sich an. Im Normalfall hätte er sich gerne mit dem Chef des Meido über die wunderschönen Aufnahmen unterhalten, aber im Normalfall hätte er noch Interesse an solchen Dingen gehabt. Doch das hier war nicht mehr normal, er hatte das Gefühl, in einer leibhaftigen Lüge zu leben. Waka schien irgendwann ebenfalls zu durchschauen, dass Ukyos Lächeln nicht echt war, aber er war viel zu höflich, um nachzufragen. Vielmehr täuschte er jetzt einen Termin vor, den er unbedingt noch wahrnehmen musste und entschuldigte sich in aller Form. Ukyo war froh darüber und er atmete hörbar aus, nachdem Waka in den hinteren Bereich des Cafés verschwunden war. Ukyo beschloss, aufzustehen und zu gehen, doch da ihm die Idee fehlte, was sein Ziel sein würde, blieb er doch noch sitzen und starrte auf seine leere Kaffeetasse. Der Inhalt rumorte schon längst in seinem Bauch und er bereute, dass er nichts gegessen hatte. Er überlegte, ob er sich gleich hier im Meido etwas bestellen sollte, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Dazu hätte er mit Mine oder Sawa reden müssen, die das gleiche rote Maidkostüm trugen, wie sie. Und wenn er an sie dachte, dann verging ihm der Hunger sowieso schon vor Schuld. Der junge Fotograf seufzte abermals und stellte fest, dass er wieder einmal in einer Sackgasse festsaß. Alles in dieser Welt erinnerte an sie, aber niemand erinnerte sich an sie, sie war aus dieser Welt getilgt worden und Ukyo war Schuld daran. Er war damit gestraft, hier zu leben, sich zu erinnern und sich über nichts mehr freuen zu können. Alles, was er zuvor geliebt hatte, tat jetzt einfach nur noch weh. Er hatte sogar auf seiner Digitalkamera und seinem Handy nach Bildern gesucht, die bewiesen, dass sie existiert hatte, doch vergeblich. Jedes Foto von ihr war leer gewesen, lediglich ein schöner Hintergrund war übrig geblieben, mehr aber auch nicht. Ukyo kam es vor wie die Hölle... „Ukyo, möchtest du noch etwas?“ Der Grünhaarige sah hinauf in Sawas Gesicht. Sie war die beste Freundin von ihr gewesen und er war versucht zu fragen, ob sie sich an sie erinnerte... aber er wusste von vorneherein, dass das verschwendete Zeit war. Niemand erinnerte sich an sie, außer er selbst. „...Nein... oder... doch. Ich hätte gern noch einen schwarzen Kaffee“, sagte Ukyo geistesabwesend und ließ den Kopf wieder sinken, um auf die bunt bedruckte Tischdecke zu blicken. „Kommt sofort.“ Sawas Stimme klang mitleidig und Ukyo hasste es, dass er in anderen Menschen so eine Reaktion hervorrief. Aber er hatte keine Kraft dazu, etwas vorzuspielen, was nicht stimmte und er wollte es auch nicht. Wenig später wurde eine weiße Porzellantasse vor ihm abgestellt und jemand ließ sich neben ihn sinken. Ukyo schaute zur Seite und erkannte, dass Ikki neben ihm saß. Dieser fuhr sich durch die silbernen Haarsträhnen und streckte erst einmal die Beine von sich. „Uff, endlich eine Pause“, seufzte er und lächelte Ukyo an. „Es stört dich hoffentlich nicht, dass ich mich zu dir setze, oder? Du sahst einsam aus und da dachte ich, ich leiste dir Gesellschaft. Die anderen haben auch gleich Pause, wenn der Laden zur Mittagsstunde schließt. Du kannst selbstverständlich bleiben, du gehörst ja quasi zu uns“, informierte Ikki den Grünhaarigen. Ukyo nickte bloß und konzentrierte sich auf den schwarzen Inhalt in der weißen Porzellantasse, als ob das sein wichtigster Lebensinhalt wäre. Er und dazu gehören? Das wäre ihm neu... Nach und nach trudelten auch Shin, Kent und Toma am Tisch ein und setzten sich zu Ukyo und Ikki. Sie kramten ihr eigenes Essen hervor und unterhielten sich über dies und jenes. Ukyo saß lediglich dabei, ohne wirklich zuzuhören. „Ukyo, ich habe mal eine Frage“, hörte er plötzlich Tomas Stimme und er Angesprochene sah hinauf in Tomas offenes und freundliches Gesicht. „Ja?“ „Hör mal, wir haben uns gefragt... brauchst du vielleicht Hilfe?“ Die Frage war so trivial einfach. Jeder Blinde sah, dass Ukyo Hilfe brauchte, doch niemand hatte das, was ihm hätte helfen können. „Was meinst du mit Hilfe?“, fragte Ukyo und hielt sich an seiner filigranen Tassen fest, als ob sie sein letzter Anker wäre. „Ikki hat dich gestern gesehen, wie du zu dieser Grünfläche gingst, wo ich dich heute Morgen angesprochen habe. Wir haben uns gefragt, ob du vielleicht obdachlos bist und wir dir helfen können“, wagte sich Toma vor und er konnte förmlich hören, wie die anderen die Luft anhielten. „Wenn du mit obdachlos meinst, dass ich keine Wohnung habe, dann muss ich dir zustimmen. Aber das ist eher eine persönliche Entscheidung. Ich habe genug Geld, aber ich sehe keinen Sinn in einem Ort, der mir die Sicht versperrt. Ich bin sowieso Tag und Nacht unterwegs, von daher dachte ich, dass es eine gute Lösung ist“, erklärte sich Ukyo. „Aber wo hast du denn deine Sachen?“, platzte es aus Ikki heraus. Ukyo lächelte und begann seine Taschen zu lehren. Er beförderte seine Digitalkamera zutage, sein Handy und einen Geldbeutel. „Ist das alles?“, fragte Shin ungläubig, während Kent interessiert seine Brille über den Nasenrücken nach oben schob, so dass die Gläser kurz das Licht reflektierten. „Theoretisch ist es möglich, damit über die Runden zu kommen“, nickte er. „Aber was machst du denn, wenn es regnet?“, fragte Ikki und runzelte verwirrt die Stirn. „Ich stelle mich unter“, sagte Ukyo und Toma lachte auf, weil er die Antwort lustig fand. „Aber ist das nicht einsam? Vermisst du nicht manchmal das Gefühl, irgendwo anzukommen?“, fragte Shin jetzt grüblerisch. „Ja schon... aber ich glaube nicht, dass mir eine Wohnung dieses Gefühl vermitteln kann“, sagte Ukyo zweifelnd und das brachte alle zum Schweigen, außer Toma. „Lass uns eine Wette abschließen. Ich wette, dass einer von uns hier eine Wohnung hat, die dir gefallen könnte“, behauptete er und Ukyo schaute ihn einen Moment verwundert an. Er glaubte nicht, dass er diese Wette verlieren konnte, schließlich gab es wohl keinen Ort, an dem er hingehörte. Die einzig passende Unterkunft, die er für sich vorsah, war ein Gefängnis oder der einsame Waldschrein und das hatte wahrscheinlich keiner der hier Anwesenden als Behausung. „Gut. Die Wette gilt“, stimmte Ukyo also zu und Toma lächelte breit, als wäre der andere ihm in die Falle gegangen. „Ok, dann brauche ich jetzt deine Kamera und von den anderen die Wohnungsschlüssel“, bestimmte er. Widerspruchslos fügten sich alle, selbst Ukyo, auch, wenn er seine Kamera sonst nie jemanden ausgehändigt hätte. Doch da er seine Liebe zur Fotografie verloren hatte, empfand er es als nicht schlimm, sein Werkzeug aus der Hand zu geben. „Ok, ich bin bald wieder da“, rief Toma siegessicher und rannte aus dem Café. „Na, ob er sich da mal nicht verrennt“, kommentierte dies Shin kopfschüttelnd und auch Ikki war skeptisch. „Seine Erfolgsquote liegt bei 50 Prozent“, äußerte sich Kent diplomatisch und auch Ukyo hoffte, dass der andere ihn vielleicht überraschen konnte. Das wäre zumindest etwas Besonderes in seiner sonst so eintönigen, grauen Welt gewesen... Etwa eine Stunde später betrat Toma das Café erneut und ließ sich wieder an Ukyos kleinem Tisch nieder. Er war den gesamten Rückweg hierher gerannt, nur um seine Ergebnisse zu präsentieren und musste nun erst mal nach Atem ringen. Nebenbei warf er jedoch schon einen kleinen Umschlag auf den Tisch und übergab den anderen die Schlüssel und Ukyo seine Kamera zurück. Der Grünhaarige ergriff zudem noch den Umschlag und entnahm vier Fotos aus dessen Inneren, die er sorgsam geordnet vor sich hinlegte. „Das sind die Wohnungen von uns vier. Ich wette, es ist eine dabei, die dir gefällt“, sagte Toma siegessicher und lächelte Ukyo an. Dieser zweifelte immer noch daran, tat dem anderen aber den Gefallen und spielte mit. Er ließ seinen Blick über die vier Fotos gleiten, dann konzentrierte er sich auf das erste Bild. Sofort stand für ihn fest, dass diese Wohnung ihm nicht zusagte, denn sie war voller Bücher, der Raum war zu groß und zu lichtdurchflutet... „Das hier ist es nicht...“, wertete er und schob das Foto weg, ehe er sich das zweite Bild vornahm. Die Wohnung lag zwar in einer etwas sonnengeschützten Gegend, doch die Einrichtung war sehr hell und fast feminin, dass Ukyo sich abgeschreckt fühlte, als wäre er ein lichtscheues Wesen. Vermutlich war dem auch so, schließlich hatte er all die Zeit in den Schatten der Nacht verbracht und fühlte sich damit verbunden. „Das hier auch nicht...“, meinte Ukyo also und schob auch das zweite Bild weg. „Deine Chancen schwinden, Toma“, grinste Ikki und stieß den Blonden mit den Ellenbogen in die Seite. Ukyo ließ sich davon nicht ablenken und wandte sich dem dritten Bild zu. Es war spärlich eingerichtet. Das Bild hatte ein paar Musikinstrumente eingefangen und Ukyo konnte sehen, dass der Besitzer dieser Wohnung auch sonst viel für Musik übrig hatte. Ukyo schüttelte den Kopf... er konnte sich das nicht vorstellen, die ganze Zeit von Musik umgeben zu sein, da er die Stille bevorzugte. Auch dieses Bild wanderte zu den übrigen aussortierten Fotos und übrig blieb nur noch eines. Die Wohnung auf dem Foto war noch spärlicher eingerichtet als die Wohnung auf dem Foto zuvor. Alles in allem gab es nur funktionale Dinge zu sehen. Die Lichtverhältnisse waren unaufdringlich, an manchen Ecken schön dunkel. Doch was wirklich Ukyos Aufmerksamkeit fesselte, war eine Tür, die verschlossen war. Automatisch drängte sich ihm die Frage auf, was wohl dahinter verborgen war. Gleichermaßen fragte er sich, wer der Besitzer dieser Wohnung war und ob er wie Ukyo wohl zwei Seiten hatte, einmal die offensichtliche Seite und zum anderen die verborgene Seite, die besser niemand zu Gesicht bekam. Genau deshalb faszinierte Ukyo dieses Bild und er schaute in Tomas Gesicht, als er es diesem zeigte. „Dieses Bild...“ „Ja?“, fragte Toma und drückte die Daumen, dass er die Wette vielleicht doch noch gewann. „Das... die Wohnung würde mir gefallen“, gab Ukyo zu und Toma lachte erfreut. „Super, ich habe die Wette gewonnen“, freute er sich und schnappte sich das Bild, ehe er einen kleinen Siegestanz aufführte. Ukyo ließ sich davon anstecken und lächelte darüber. „Ich habe es ja gesagt“, sagte Kent und Ikki versetzte dieses Mal ihm einen Stoß in die Rippen mit Hilfe seines Ellenbogens. „Du gingst von einer 50/50 Chance aus“, erinnerte er seinen braunhaarigen Freund, doch Kent hüllte sich wie immer in Schweigen. „Halt mal, ihr hattet gar keinen Wetteinsatz“, fiel Shin auf. „Stimmt, aber ich habe da schon eine Idee“, lächelte Toma und wandte sich Ukyo zu. „Da meine Wohnung dir gefällt, wirst du bei mir übernachten. So hast du zumindest einen Schlafplatz, wenn du ihn brauchst, okay?“, schlug er vor und Ukyo sah Toma staunend an. Das war Tomas Wohnung? //Von ihm hätte ich das am wenigsten gedacht//, schoss es ihm durch den Kopf und seine Neugierde wurde entfacht. Allein um dieses Rätsel zu lösen, würde er Tomas Angebot annehmen, so viel stand fest. „Einverstanden...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)