Verborgen in Stille Teil II von Strichi ================================================================================ Kapitel 45: Der Start von etwas Neuem ------------------------------------- Ich zog mir die schwarze lederne Jacke über und band mir gerade die Schuhe zu. Didi saß fröhlich schwanzwedelnd neben mir und betrachtete mich aus treuem Auge. Ich streichelte den großen Kopf des Tieres und seine lange Zunge leckte mir über die Hand. „Ich kann dich gleich nicht mitnehmen“, raunte ich mit tiefer Stimme meinem treuen Freund entgegen, doch dieser legte nur den Kopf zur Seite und betrachtete mich weiter mit vertrautem Blick. Ich hörte die Türklinke und trat einen Schritt zur Seite. Das Hotelzimmer, in welchem wir gerade untergekommen waren, war eng. Es war zwar ein modernes, aber nicht großes Zimmer. Im engen Flur waren Wandschränke und der restliche Raum bestand eigentlich nur aus dem großen Bett. Die Bettdecken und Kissen zeugten von der Lust der letzten Nacht und ein schräges süffisantes Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Mit kräftigen Händen schob mich Jazz zur Seite, doch ich ließ ihn nicht einfach vorbei gehen. Ich drückte ihn an die Wand und presste meine Lippen auf die Seinen. Ich spürte seine Überraschung und erst nach wenigen Augenblicken erwiderte er den Kuss. Doch ich brauchte ihn gerade. Ich muss Kraft tanken für das, was ich gleich tat. Ich lehnte meinen Kopf an ihn, seufzte schwer auf und schloss mein Auge. „Bist du sicher, dass ich nicht mitkommen soll“, wehte Jaspers freundliche, tiefe Stimme zu mir hinüber. Es tat gut sie zu hören. Doch ich schüttelte leicht den Kopf und sah ihm in seine warmen, braunen Augen. „Nein.… Dass muss ich alleine machen… Du wolltest die Anzüge holen… und nimm den Hund mit.“ Zögerlich nickte Jazz und die Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Es war so schön und immer noch so komisch zu wissen, dass es jemanden gab, der sich Sorgen machte. Wenn man es nie gewohnt war dauerte es erstaunlich lange, bis man das Wissen verinnerlicht hatte. „Okay“, sagte Jasper leise und erneut strich seine Hand über meinen kratzigen Bart, „aber wenn was ist ruf an, okay?“ Ich nickte leicht. Ich verließ das Hotelzimmer und atmete schwer durch, nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen hatte. Ich strich mir durch die Haare und kramte in meiner Jackentasche nach einer Zigarre. Ich brauchte jetzt eine zur Beruhigung. Warum auch immer hatte ich vor diesem Gang, den ich nun tat, Angst. Nein, wenn ich darüber nachdachte wusste ich genau, warum es mir so schwer fiel. Ich würde heute ein Kapitel abschließen, was bisher fast mein ganzes Leben bestimmt hatte. Mein altes Leben endete heute und machte Platz für ein neues, zusammen mit Jazz. Mit schweren Schritten ging ich durch die Straßen der Stadt. Es war Spätsommer geworden, eigentlich hatten wir fast schon Herbst. Die Bäume begannen sich bunt zu färben und in der Luft lag die Wärme des endenden Sommers. Ich hasste und liebte diese Stadt. Arlington. Hier hatte ich mit Susanne gelebt, hier begann damals mein Leben für die Army. Ich beachtete die Menschen nicht, doch natürlich merkte ich ihre Blicke, wie so oft. Wenn ich ehrlich war gewöhnte man sich langsam daran. Irgendwie war es in den letzten Jahren zur Normalität geworden. Ich wusste auch, dass es sich nicht ändern würde. Mit diesen Blicken musste ich eben leben. Der Flug hier her war anstrengend gewesen. Nicht, weil es Komplikationen gab, sondern mental. Es war zwölf Wochen her seit Davids Tod und ich hatte immer noch daran zu knabbern. Eigentlich dachte ich, dass ich erleichtert wäre, wenn es endlich vorbei war, doch ab und zu war es einfach schwerer als ich wollte. Ich war dankbar, dass ich nicht alleine war. Jazz gab mir so viel mehr Kraft wie ich dachte. Das Wissen, dass er hier war, gab mir ein Gefühl der Sicherheit, von der ich noch nie etwas gespürt hatte. Ich sagte es ihm nicht, denn ich war mir sicher er wusste es. Ich war einfach nie gut darin meine Gefühle in Worte zu fassen. Er hätte es verdient viel öfter zu hören wie viel er mir bedeutet, doch so sehr ich es auch versuchte, die richtigen Worte kamen mir einfach nicht über die Lippen. Ich ging durch die vertrauten Straßen zu den Orten, welche ich so ungerne betrat. Die Schilder, welche den Touristen den Weg wiesen, leiteten meine Schritte. Ich hasste diesen gigantischen Friedhof! Mit jedem Schritt, den ich dorthin ging spürte ich, wie schwer es wurde aufrecht zu gehen. Dieser Ort war für mich wie meine persönliche Hölle. Ich konnte den schlechten Gedanken nicht ausweichen. Hier fühlte ich mich absolut schutzlos. Immer, wenn ich diesen Ort betrat, hatte ich das Gefühl, als sehe jeder meine Schwäche. Mit Jazz an meiner Seite wäre es sicher leichter gewesen, doch er hatte mit all dem nichts zu tun. Dies war mein Gang, mein letztes Geleit, wenn man es so nennen wollte. Die letzten Wochen waren komisch gewesen. Der neue Alltag war für mich seltsam. Es war fast erstaunlich, wie schnell die letzten Wochen herumgegangen waren. Tatsächlich hatte ich mich weitest gehend aus der Arbeit herausgezogen. Ich versuchte das Versprechen, welches ich Jazz gegeben hatte, einzuhalten. Doch noch immer war ich regelmäßig auf meiner Basis. Ich war immer noch der Chef. Ich konnte nicht von heute auf morgen alles stehen und liegen lassen. Es gab genug ungefährliche Aufgaben zu erledigen. Informationsbeschaffung, Datenauswertung, Papierkram eben. Ich hasste Papierkram, doch erstmal wollte ich es machen. Ich machte Kaz beinahe arbeitslos, was ihm gar nicht in den Kram passte. Doch so lange ich dort Chef war, würde ich nicht ewig nur Papierkram machen können. Mein Bein war noch nicht ganz verheilt, ganz zu schweigen von meinen Händen. Immer noch zitterten sie. Es war nicht mehr so stark wie kurz nach meinem letzten Einsatz, doch ich wurde es nicht mehr los. Der morgendliche Kaffee wackelte in meiner Tasse und meine Handschrift konnten wohl nur noch Historiker entziffern. Ein Psychologe hätte mir sicher sagen können woran es lag, doch ich weigerte mich einen aufzusuchen. Selbst wenn ich also wollte, hätte ich nicht in Einsätze gehen können. Außerdem hatte ich Jazz versprochen seine Bitte zu akzeptieren. Doch langsam merkte ich auch, dass der Abstand gut tat. Nur damals, als Jazz noch jünger war, war ich so lange ohne Krieg ausgekommen. Ausgekommen… konnte man es wirklich so nennen? Doch mir fiel in meinen Gedanken kein passenderer Ausdruck ein. Diese Abstinenz tat mir gut. Ich liebte es, jeden Tag mit meinem Geliebten aufzuwachen. Ich liebte es, dass wir normale Dinge taten. Einkaufen, Wäsche, Streiten…Ich liebte es, dass er die schlechten Träume von mir fern hielt. Ich liebte es einfach ihn bei mir zu haben! Der Alltag mit ihm war so unglaublich friedlich. Wenn er wüsste, dass er der Kleber für mein Kartenhaus war, denn ohne ihn wäre es schon vor Jahren zusammengebrochen. Ich blieb vor dem Eingang des Friedhofes stehe. An einem Blumenladen um die Ecke habe ich ihre Lieblingsblumen geholt. Doch eigentlich waren es nicht ihre Lieblingsblumen. Es waren die Blumen, auf dessen Feld sie gestorben war. Noch nie kam ich ohne sie her. Und dieses Mal ließ ich auch gelbe Nelken in den Strauß einflechten, ihre eigentlichen Lieblingsblumen. Ich musste es heute tun. Ich war bereit dazu mich meinen Dämonen zu stellen. Nach all den Jahren, in denen ich mich schuldig fühlte und selbst strafte, wollte ich Leben und endlich zulassen, dass ich glücklich sein konnte, doch sie hatte es verdient, dass ich mich von ihr verabschiedete. Ohne sie wäre ich einfach nicht der Mann, der ich heute war. Schweigend und mit gesenktem Haupt betrat ich den Friedhof. Ich hatte die weiße Tafel, welche zur Begrüßung dort stand, so häufig gesehen. Damals, nach dem sie gestorben war, war ich so häufig dort gewesen, dass ich das Zählen aufgab! Es hatte sich nichts verändert. Vereinzelte Bäume standen auf der Wiese und dahinter waren Reih um Reih weiße, marmorne Grabsteine zu erkennen. Mein Auge erfasste kein Ende. Alle waren sie gleich groß und in perfekter Symmetrie angebracht. Der Rasen war wie immer perfekt gepflegt und als ich über die Wege ging, ließ ich meinen Blick schweifen. In der Ferne erkannte ich ein Kamerateam. Für viele Serien und Filme wurde auf diesem so bekannten Friedhof gedreht. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich betrachtete die Grabsteine meiner Kameraden. Auch wenn ich nicht mehr für Amerika gekämpft hatte, waren sie doch trotzdem meine Kameraden. Wie häufig ich hier war um einigen ihre letzte Ehre zu erweisen, wusste ich nicht mehr. Jedoch konnte ich mich nur an eine einzige Beerdigung sehr genau erinnern. Immer, wenn mir diese in den Sinn kam, erwachte ich nachts schweißgebadet. Doch auch diese Träume waren dank Jazz weg. An einigen Grabsteinen waren Erinnerungsstücke ihrer Liebsten hinterlassen worden. An einem lag ein Foto, an dem anderen war eine kleine amerikanische Flagge in den Boden gesteckt worden. Wäre ich gefallen, wäre ich auch hier gelandet. Doch für mich hätte früher nie jemand was hingestellt. Ich war mir nicht mal sicher, ob auf meinem Grabstein mein Name eingraviert worden wäre. Das Lachen einer Gruppe riss mich aus meinen Gedanken. Verwirrt drehte ich mich um und sah zu einer Gruppe Teenager hinüber. Sie schienen nicht von hier zu kommen, dass hörte man ihnen an. Vermutlich ein Schulausflug…. Wieso man einen Friedhof dafür besuchen musste verstand ich nicht! Für sie war es vermutlich nur ein großer Park mit Steinen. Ich ging an einer Kreuzung in die Richtung, welche ich einschlagen musste und je näher ich meinem Ziel kam, desto schwerer wurde mein Gang. Doch irgendwie war der Weg leichter als die anderen Male, als ich hier war. Diesen Platz hätte ich auch blind ablaufen können. Schmerzvoll zog mein Herz sich zusammen, als ich vor ihrem weißen marmornen Stein stand. Mein Blick war gesenkt auf die weißen unscheinbaren Blumen. Diese Blumen, welche damals auf dem Kampffeld wuchsen und in denen sie ihr Leben ließ. Mir war es wichtig gewesen einige hier zu pflanzen. Langsam, Millimeter für Millimeter hob sich mein Blick. Kein Name war dort eingraviert. Zu sehr hatte man damals Angst, jemand würde ihr Grab schänden. Dennoch hatte man etwas hineingeschrieben und es wurde ihr nicht mal im Geringsten gerecht. „Ein Patriot, der die Welt rettete.“ Die Army war eben nicht sonderlich kreativ. Ich hob meinen Arm und salutierte. Ich stand steif und begrüßte sie, wie jedes Mal, wenn ich dort war und wie immer erinnerte ich mich an ihr, für mich, so wunderschönes Gesicht. Ihre blauen Augen, welche sie an Ozelot weitervererbt hatte. Ihre blonden Haare, ihr Geruch. Ich erinnerte mich an jede Nuance ihres Gesichts. Ihre Stimme, die mich immer freundlich aber auch streng begrüßte. Langsam senkte ich meine Hand und strich vorsichtig Blätter und Zweige von dem Stein. Ich erzitterte innerlich, als ich die Blumen nieder legte. Langsam kniete ich mich hin. Ich wusste, es war nur ein Stein zudem ich sprach und trotzdem tat ich es immer, wenn ich hier war. Irgendwie brauchte ich es. „Hi“, raunte ich wenig intelligent, und strich den letzten Zweig beiseite, „schon lange her… Ist echt viel passiert. Ich habe es endlich geschafft… David ist tot. Er wird niemanden mehr schaden… Ich dachte, es würde wie ein Befreiungsschlag. Aber ihn vor mir zu sehen fühlte sich bei weitem nicht so gut an wie ich dachte. Ich hab es eine Freundin machen lassen… Sie hat es mehr gebraucht wie ich.“ Hier an ihrem Grab zu stehen und mit ihr zu reden war meine Therapie. Meine Kehle fühlte sich an, als würde etwas sie zuziehen und es war so schwer weiter zu sprechen. „Sie hat auch so viel verloren durch ihn und… weißt du Boss… ich bin hier um dir zu sagen, dass ich ein neues Leben starten werde. Kannst du dir das vorstellen? Ein Leben ohne Krieg… ohne den ganzen Scheiß…ich weiß gar nicht so genau wie das geht“ Ich verstummte und lauschte dem Rauschen des Windes. Immer, wenn ich hier war, hatte ich das Gefühl ihr so nahe zu sein, wie sonst nirgendwo. Wie oft hatte ich hier um sie geweint und mich so verlassen gefühlt. Wie oft hatten mich hier meine Schuldgefühle eingeholt. „Ich habe so Angst Susanne“, nuschelte ich leise und nur sehr selten nannte ich sie bei ihren Namen, selbst damals, „ich will ihn nie wieder in Gefahr bringen. Nie wieder etwas machen, was jemanden in Gefahr bringt, den ich liebe. Dank ihm kann ich endlich abschließen. Ich bin am Ende. Schau dir die ganzen Narben an, schau dir meine Hände an. Ich hab so viel geopfert für eine falsche Vorstellung von Frieden. Ich weiß jetzt, dass es dir damals genauso ging, nicht wahr? Deshalb wolltest du, dass ich in deiner letzten Mission an deiner Seite bin…“ Die Schrift auf dem Grabstein verschwamm, als Tränen mein Auge füllten. „Ich will nicht denselben Weg nehmen, den du gegangen bist. Ich muss wieder Jack sein, Susanne. Ich glaube, dass kannst du besser verstehen wie die meisten. Du warst auch nur noch Boss….“ Schmerzvoll zog mein Herz sich zusammen, als ich an diese Frau dachte. Diese Frau, welche mein Leben so sehr geprägt hatte. „Ich bin endlich wieder Jack. Du wärst sicher stolz.“, sagte ich und meine Stimme wurde brüchig und ich merkte, dass ich die Tränen nicht mehr lange zurückhalten könnte, „ich kann kein neues Leben anfangen, ohne mich von dir zu verabschieden…“ Die Tränen begangen zu laufen und erneut strich ich sanft über den weißen Stein, als sei er ihr Gesicht. „Du hast mein Leben so sehr geprägt, hast mich so viel gelehrt, mir so viel zum Nachdenken gegeben… Ich liebe dich Susanne, das werde ich immer. Doch nun beginnt ein neues Leben. Eines, auf das ich mich freue. Ein Leben, was ich vielleicht gar nicht verdient habe… Ich werde dich sicher weiter besuchen. Du bist und bleibst immer ein Teil von mir.“ Ich strich mir durch mein Auge und versuchte mich zu sammeln. Doch es war anders als sonst, wenn ich hier war. Ich fühlte die Trauer, doch sie war nicht mehr so lähmend, wie sie es sonst war, wenn ich diesen Ort verließ. Ich fühlte mich befreit. Ich dachte an Jazz und unter den Tränen und der Trauer an diesen Ort, schlich sich ein leichtes, vielleicht auch sanftes Lächeln auf meine Lippen. Es war ein so trauriges und gleichzeitig so erleichterndes Gefühl, als ich mit langsamen Schritten ging. Nach einigen Schritten Blickte ich mich um und ein kalter harter Wind wehte mir entgegen. Eine Blüte der weißen Blumen hatte ich gelöst und landete vor meinen schwarzen klobigen Schuhen. Wie versteinert blickte ich die Blüte an. Ich glaubte nicht an Wunder oder Zeichen. Dennoch kam ich mir nie behüteter vor, als in jenem Moment. Ich brauchte einen Moment, um die Blüte mit meinen zitternden Händen vom Boden zu nehmen und betrachtete sie in meiner Hand. Ich schloss fast verzweifelt mein Auge. Irgendwie war ich erleichtert. Ich nickte kurz und wusste doch gar nicht, wem ich zunickte. Ich hatte das Gefühl, dass die große Last auf meinen Schultern kleiner geworden war. Als ich den Friedhof verließ, atmete ich tief durch. Ich fühlte mich frei. An den Weg zurück zum Hotel erinnerte ich mich nicht. Immer noch trug ich die Blüte in meiner Hand. Ich war überrascht, als ich sah, dass es bereits halb zwölf war. So lange war ich draußen? Fast schon zaghaft legte ich die Blüte auf den Nachttisch. Warum ich sie mitnahm, wusste ich nicht. Freudig begrüßte mich Didi und erleichtert streichelte ich den großen Hund. Ich liebte dieses große Ungetüm einfach. Während der Zeit der Trennung mit Jazz war der Hund meine größte Stütze! Er und Jazz mussten auch erst seit kurzen wieder da sein. Ich hörte Jazz im Badezimmer und raunte ihm ein Hallo zu, während ich mich auf das Bett setzte und den Hund heimlich einlud mit auf das Bett zu kommen. Immer und immer wieder ging mir alles durch den Kopf, was ich mit Susanne erlebt hatte und zum ersten Mal war dort nicht nur Trauer, als die Erinnerungen kamen. Was da noch war, konnte ich nicht in Worte fassen. Freude? Wehmut? Ich war mir nicht sicher. Als Jazz aus dem Badezimmer kam, hatte er bereits eine Hose angezogen und betrachtete mich mit einem vorsichtigen Gesichtsausdruck. Einem, denn ich nur schlecht zuordnen konnte. Ich lag mit dem Kopf an Didi gelehnt und streichelte dabei eine seiner Pfoten. „Alles okay“, wollte Jazz wissen. Er wusste wo ich war, auch wenn ich es ihm nicht gesagt hatte. Er kannte mich zu gut. Etwas, was mir früher Angst gemacht hatte. Heute war es fast schon selbstverständlich. Ich nickte nur, war ich doch nicht sicher, was und wie ich darauf antworten sollte. Kurz glitt mein Blick zur Blüte. Als ich zu Jazz sah bemerkte ich, wie auch er sie stumm betrachtete. Zu gern wollte ich wissen, was er grade dachte. Ob er der Meinung war ich hätte sie als Erinnerung mitgenommen? Wortlos kam er zu mir und drückte mich. Erst, als ich seine Arme um mich spürte merkte ich, wie sehr ich den Halt benötigte! Es war fast erschreckend für mich! Er machte mich gleichzeitig schwach und konnte mich stärken! Wie ein Ertrinkender fühlte ich mich und er war mein Rettungsring. „Konntest du dich verabschieden“, fragte er mich leise und zögerlich nickte ich nach einigen stummen Augenblicken. Ich war dankbar dass Jasper schwieg. Gerade wollte und brauchte ich keine tröstenden Worte. Ich atmete seinen Geruch ein. Ein Geruch, der mein Herz gerade schneller schlagen ließ. Ich liebte diesen Mann mehr als mein eigenes Leben. Ich wünschte manchmal ich wäre in der Lage meine Gefühle besser auszudrücken. Er hätte es verdient zu wissen, wie ich über ihn dachte. Doch vermutlich war er sich dessen sehr bewusst. Er hatte mir damals geholfen mit Susannes Tod zu leben. Er hatte mich in der dunkelsten Stunde meines Seins gefunden. Hatte mir eine Hand gereicht, welche ich erst nicht annehmen wollte. Umso dankbarer war ich, dass er einfach nie aufgab. Ohne Jasper würde ich heute sicher nicht mehr leben. Ich hätte mich nicht umgebracht, aber ich hätte sicher irgendwas Dummes getan, was mich das Leben gekostet hätte. Und noch etwas verwunderte mich. Ich hatte Susanne geliebt und ich liebte Jazz. Doch diese Gefühle, auch wenn ich sie gleich betitelte, fühlten sich so anders an. Ich erlaubte mir, mich bei ihm schwach zu fühlen. Didi begann meine Hand zu lecken. Ich fühlte mich in diesem Moment unglaublich geborgen. Wahrscheinlich musste sich so „Familie“ anfühlen. Lange saßen wir da und erst nach einigen Minuten war es Jazz, der das Schweigen brach. „Ich habe uns Anzüge für den großen Tag besorgt… Wir müssen da schon ordentlich erscheinen“, meinte Jasper leise und geschlagen nickte ich. Dankbar war ich, dass er nicht fragte, wie ich mich fühlte. Er wusste es und mir war klar, dass er nur deswegen das Thema wechselte um mich abzulenken. Ich seufzte schwer und wuschelte ihm durch die braunen Haare. „Okay, dann zieh ich eben einen an und schau, ob er passt“, raunte ich aufgebend und verschwand im Badezimmer. Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich hasste Anzüge. Sie engten mich ein und fühlten sich schrecklich an. Wieso konnte ich nicht einfach eine Uniform anziehen? Selbst in meinen Paradeuniformen fühlte ich mich wohler. Doch Jazz hatte so lange auf mich eingeredet, bis ich mich in einen Anzug gequält hatte. Ich fand mich komisch in dieser Kleidung. Doch für die Hochzeit sollte ich unbedingt hübsch aussehen. Als ob ich das konnte. Der Anzug war schwarz. „Zeitlos und elegant“, oder so ähnlich waren Jazz’s Worte. Ich wollte nicht auffallen. Doch dies würde ich ohnehin… „Wie macht man denn nochmal einen scheiß Krawattenknoten?“, meckerte ich nach einigen Fehlversuchen durch die Badezimmertür. Ich hasste auch Krawatten… Ich hatte mir eine neue Augenklappe besorgt. Die alte war nach den letzten Monaten ein wenig zerschlissen. Die neue, ebenfalls aus Leder, war durchgängig schwarz. Morgen ging es zurück nach Santa Monica. In mein neues, komisches Leben. Ohne Krieg, ohne Terror… und das ganze musste auch noch mit der Hochzeit anfangen. Was fing man mit so viel Freizeit eigentlich an? Jasper trat hinter mich. Seine warmen, so geliebten braunen Augen betrachteten mich. Mit einer Wärme, wie ich sie so selten gesehen hatte. „Du siehst echt gut aus“, raunte er süffisant und drückte seinen Kopf an meinen Hals. Ich genoss es seine Lippen dort zu spüren und lehnte mich an ihn. Ich war froh, dass er sich professionelle Hilfe gesucht hatte. War er doch kurz nach der Entführung sehr schreckhaft und nicht mehr er selbst gewesen. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich unheimlich Respekt vor seiner Entscheidung. Ich konnte es nicht. Ich wusste, dass ich professionelle Hilfe bräuchte, doch ich weigerte mich welche anzunehmen! Ich wollte und konnte mich nicht vor Fremden öffnen. Vielleicht irgendwann, aber vorerst reichte es mir, dass Jazz mich auffing. Er wusste nicht mal, wie viel er mir bedeutete. „Meinst du echt, dass mir das steht“, fragte ich und zupfte an dem Ärmel des schwarzen Anzuges herum. Ich sah Jasper im Spiegel nicken und seufzte schwer. Er lachte leise und raunte mir liebevoll ins Ohr: „Ich finde immer, dass du gut aussiehst…“ Ich sagte nichts dazu, sondern grinste ihn nur an. Ich war alles andere als hübsch. Eine neue Narbe zierte meinen Oberschenkel und ich würde mich nie mit Glasaugen anfreunden können! Von den anderen Narben mal ganz abgesehen. „Jack“, wehte Jaspers so sanfte Stimme an meine Ohren, „akzeptiere es doch endlich…. Ich finde dich sehr hübsch...“ Auch wenn er mir schon öfter nette und liebevolle Sachen gesagt hatte, genoss ich es doch jedes Mal! Ich würde diesen Mann nie wieder gehen lassen, da war ich mir sehr sicher! „Jenny wird sicher überrascht sein dich so zu sehen. Sie hatte schon Angst du kämst im Army-Shirt“, meinte er und stahl sich frech einen Kuss von mir. Ich grinste leicht und zog ihn mit meinen kräftigen Armen zu mir. Ich küsste ihn fester und härter. Erst nach einigen Augenblicken ließ ich von ihm ab, immer noch seinen Geschmack auf meinen Lippen tragend. Erneut glitt mein Blick zum Spiegel. Jazz hatte wirklich recht gehabt mit der Größe. Der Anzug sah eigentlich wirklich nicht schlecht aus. Es war einfach nur ein ungewohntes Bild von mir. Ich strich mir über den Bart und fragte mich, ob ich den abrasieren sollte. „Ich war noch nie Gast auf ner Hochzeit“, raunte ich und schmunzelte ein wenig, „ich hoffe, ich erschrecke die Gäste nicht. Meinst du, ich sollte den Bart abrasieren?“ Jazz strich sich über seinen drei Tage Bart, betrachtete mein Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Bloß nicht, ohne Bart siehst du sicher scheiße aus“, meinte er ehrlich und wie so oft bei uns wenig liebevoll. Ich grinste leicht und nickte. Vielleicht sollte ich nur die Kanten ordentlicher rasieren. Ich war unschlüssig, was ich von der Hochzeit halten sollte. Ich hoffte ich schaffte es Jaspers Mutter vollkommen zu ignorieren! Auch die Sorge, vor den komischen Gesprächen bereitete mir Angst. Ich wusste, dass ich nicht gut kommunizieren konnte, aber vielleicht schreckte mein Äußeres vor Konversation auch ab. Ich grinste schräg und meinte: „Ich hoffte ich falle da trotzdem nicht so sehr auf…“ „Wirst du nicht. Außerdem hat Clay einige Arbeitskollegen ausgeladen, nachdem er jetzt für dich arbeitet.“ Das stimmte. Seit einigen Wochen war Clay nun bei uns und fand sich schnell in die neue Umgebung ein. „Ich glaube“, begann ich nach einigen Sekunden zu sagen, „dass dieser komische romantische Kram einfach nicht zu mir passt.“ Jazz lachte und wie wir einander betrachteten, wusste ich, dass es ihm kaum anders erging. Als ich ihn ansah hatte sich sein Gesicht verändert. Ich verstand nicht ganz, warum er mich plötzlich so verliebt ansah. Damals, als er mir das erste Mal sagte, dass er mich liebte, hatte er mich eiskalt erwischt. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was er diesmal sagte. „Weißt du Jack“, sagte mein Geliebter und warf mir ein liebevolles Zwinkern zu, „Lass uns nach Jennys und Clays Hochzeit nach Las Vegas fahren … Das würde doch zu uns passen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)