Zum Inhalt der Seite

Verborgen in Stille Teil II

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Konfrontation

Jenny besuchte mich während meines Aufenthalts drei Mal gemeinsam mit Clay und währenddessen hatte ich stets gute Laune. Ich scherzte mit den Beiden viel rum. Ich zeigte ihnen die Stadt und lud sie in das Eiscafé ein, in das Emily mich schon einige Male mitgenommen hatte. Tatsächlich zeigte mir Emily viel von dem Örtchen, in welchem sie derzeit wegen ihrer Mutter war. Es schien als habe sie tatsächlich in mir einen guten Freund gefunden, ich war mir da noch etwas unschlüssig. Doch wenn ich ehrlich war, wäre ich ohne sie doch ziemlich einsam gewesen, denn meine Mutter schien keine Anstalten zu machen, mich besuchen zu wollen. Emily berichtete, dass ihre Mutter einen schweren Unfall hatte, als sie im Ausland war. Emily hatte damals den Anruf entgegen genommen und als sie davon berichtete wirkte sie alles andere als aufgedreht. Der Bruch in Jules Bein war so schlimm gewesen, dass sie Ärzte sich nicht sicher waren, ob sie je wieder würde lauen können. Nun, da Emily auf den Studienbeginn wartete, wollten sie und Alex in ihrer Nähe sein. Das Theater, in dem Alex auftrat, war nicht sonderlich groß und Emily meinte, dass ihr Vater schon weltweit in großen Häusern aufgetreten war. Vermutlich war es eine große Ehre, dass dieses kleinere Theater nun einen so großen Künstler zu Besuch hatte. Ich konnte mit all dem nichts anfangen, kannte mich in der Opernwelt doch kein Stückchen aus.

Ich sah, wie Jennys Augen leuchteten, während ich ihr die kleine Stadt zeigte. Vermutlich hätte sie nie damit gerechnet, dass ich sie mit guter Laune empfing. Doch Jenny hatte es verdient! Sie war stets an meiner Seite. Früher war dieses Wissen so normal, heute wusste ich, was für ein hohes Gut es letztendlich doch war. Das Wissen, eine Familie zu haben. Menschen die hinter einem stehen, war nicht so normal, wie viele es glauben. Ich verbannte Jack in meinen Hinterkopf, wollte wenigstens tagsüber nicht an ihn denken, so berichtete ich Jenny von Emily. „Die ist total bekloppt, aber eigentlich ganz lustig“, meinte ich zu den Beiden, während ich einen Moccabecher aß. „Die zwingt mich zum Malen“, sagte ich kopfschüttelnd. Emily hörte aber auch einfach nicht auf zu nerven, wenn sie etwas wollte. Clay lachte und fragte gleich: „Kannst du das denn?“ Ich zuckte mit den Schultern, etwas, was Dank des Sportes und der Massagen nicht mehr sonderlich wehtat. „Es geht… kann ich dir ja später zeigen“, meinte ich grinsend. Jenny stimmte gleich zu und es schien fast so, als sei sie Emily dankbar, dass sie versuchte mich aus meinem Schneckenhaus zu ziehen. Tatsächlich war auch ich ihr dafür dankbar. Dieses bekloppte, verrückte und doch so liebenswerte Mädchen wurde langsam zu einem hellen Licht, welches mich wieder normal werden ließ. Jack war nie vergessen, doch ich verstand und realisierte, dass ich meines eigenen Glückes Schmied war. Tatsächlich musste ich dies gerade mit der Psychologin besprechen. Auch diese Treffen waren immer noch nicht schön, aber nicht mehr so schlimm wie am Anfang der Reha. Natürlich, Emily und Jenny halfen! Auch Clay, Eric und meine anderen Freunde, doch ich musste es auch wollen. Andere konnten mir ihre Hand reichen, aber ich muss endlich alleine auf die Beine kommen.

Ich schaffte es nicht immer, doch ab und zu merkte ich, dass diese Last nicht mehr so stark auf meiner Schulter ruhte. Eins ließ sich allerdings nicht ändern, noch immer schlief ich schlecht. Die Albträume suchten mich weiterhin heim und auch der Verlust von Jack war nachts nicht zu vergessen. Doch während die Beiden da waren, war ich wieder ich und es schien als habe Jenny genau das mehr vermisst, als sie zugeben wollte.

Über die Sache mit dem Umzug hatten wir nicht mehr gesprochen. Worüber ich tatsächlich froh war.

Es war noch recht hell draußen. Es regnete nun öfter, denn der Herbst hatte Einzug gehalten. Die Tage waren zwar noch recht warm, aber nicht mehr so lang.

In einer halben Stunde konnte man schon zum Abendbrot essen gehen, doch ich hatte keinen Hunger. Morgen würde ich die Reha verlassen. Ich hatte gute Fortschritte gemacht, doch immer noch würde die Schulter über ein Jahr brauchen um richtig zu heilen.

Ich lag auf den Rücken und betrachtete das Foto mit mir und Jack. Die Medaille lag in meinem Koffer, sie hatte ich jedoch schon länger nicht mehr hinausgenommen. Gefühlt lagen Jahre zwischen den Aufnahmen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals einen anderen Menschen so vertrauen konnte.

Jack wollte, dass ich andere Männer kennenlernte, doch dafür war es viel zu früh. Ja, ich wollte endlich dazu stehen, dass ich schwul bin. Was konnte mir den schlimmeres passieren, als eh schon geschehen war? Zeugte es nicht auch von Standhaftigkeit hinter dieser Entscheidung zu stehen? Dies war ja nicht schwuchtelig… Oh dieses verhasste Wort! Diese so verhassten Gedanken…

Ich dachte an mein altes Zuhause und wollte nicht nur an das schlechte denken. Ich dachte an Didi, wie er durch ein Loch immer wieder in unseren Garten geschlichen war, wie er noch zu klein war um meine Baseballs richtig in sein Maul zu bekommen. Wie groß er wohl jetzt schon war? Ich vermisste den wilden Vierbeiner, hat er mich doch immer irgendwie zum Lächeln gebracht. Vermutlich war er nun fast ausgewachsen. Ob er immer noch in seinem Bett schlief?

Mein Handy holte mich in die Gegenwart zurück. Ich brauchte einem Moment bis ich begriff, dass ich es mir nicht einbildete. Ich ergriff das Handy und sah Erics Namen. Ich ging gleich dran und ein zufriedenes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Hi“, begrüßte ich ihn freundlich. Er wollte wissen, was es so neues gab und ob er mich am Wochenende endlich wieder besuchen konnte.

Tatsächlich hatte ich Eric in den ganzen Wochen, man konnte schon Monate sagen, in denen ich in der Reha war, nicht mehr gesehen. Er hatte Schule, das Training und die Entfernung war einfach viel zu groß! Wir redeten, natürlich hatte ich ihm längst von Emily berichtet. Wir telefonierten viel mehr als früher, was schon erstaunlich war. Normalerweise telefonierten weder ich noch er wirklich viel. Als wir kurz schwiegen fragte ich ihn: „Sag mal… was würdest du davon halten, wenn ich wegziehe… neu anfange…“ Stille war am anderen Ende der Leitung.

Ich hörte Eric schwer seufzten und als er sprach hörte ich, wie schwer ihm die Worte fielen: „Ich fände es schon scheiße… Aber nachdem was passiert ist… Ich weiß nicht… Ich würde auch irgendwo anders neu anfangen wollen… Joa doch schon.“

Ich nickte mechanisch und sprach: „Ja… Daran denke ich eben, aber… Aber ich will nicht meine Freunde, die mir geblieben sind, verlieren… verstehst du?“

Als Eric antwortete hörte ich tatsächlich etwas wie einen Tadel in seiner Stimme: „Jasper, wir sind befreundet seit wir kleine Kinder waren. Wir waren immer Freunde und glaub mir, dass macht die Entfernung auch nicht anders. Wenn du woanders neu anfangen willst, dann mach es! Meine Unterstützung hast du auf jeden Fall!“ Ich schloss kurz die Augen.

Nach einem kurzen Moment erklärte ich Eric im ruhigen und gefassten Ton: „Jenny war am Überlegen nach Kalifornien zu ziehen. Ihr Freund kommt daher. War wohl auch so schon angedacht, aber dann kam der Zwischenfall na ja…dazwischen eben.“

„Klingt doch eigentlich nicht schlecht. Vielleicht nach San Francisco. Da leben doch so viele Schwule. Da angelst du dir dann irgendwen!“ Ich wusste, Eric meinte es gut und deswegen lachte ich leise, doch innerlich wusste ich, dass dieses Lachen falsch war. Also sagte ich: „Ne, nicht San Francisco. Da ist es mir zu hügelig.“

Ich hörte Eric zustimmend lachen. „Aber wäre ja eigentlich cool, wenn du dahin ziehst… könnten wir endlich mal surfen lernen.“ Wieder wurde mein Lächeln hölzern. Ja… ich wollte wirklich gerne surfen lernen, aber irgendwie war mir die Lust darauf vergangen. Beim Surfen zeigte man seinen Oberkörper. Wir redeten noch kurz, doch nach einer Weile legten wir auf. Wollte ich wirklich nach Kalifornien ziehen….

Wieder tippte ich eine E-Mail an Jack und hoffte, dass sie ankam! Zwar sagte mir das Programm immer wieder, sie sei nicht zugestellt, doch handelte es sich hier um die E-Mailadresse eines Topsoldaten!

„Jenny will nach Kalifornien ziehen…. Weiß nicht ob ich wirklich mit soll. Ob ich neu anfangen will. Ich bin immer noch so verdammt wütend auf dich, Jack! Wieso nur?! Ich brauche dich! Ich weiß auch, dass du diese verdammten Mails bekommst! Verdammt, antworte endlich!“

Ich schickte sie wütend ab und schon wenige Sekunden später bekam ich die E-Mail, dass die Nachricht nicht zugestellt werden konnte!

Frustriert schmiss ich mein Handy neben mich. Dieses Arschloch! Er hatte es gar nicht verdient, dass ich so lange um ihn trauerte!

Wobei, wer bestimmte eigentlich was lang war? War das schon lange? Es fühlte sich jedenfalls wie eine Ewigkeit an! Ich wollte nicht zu viel darüber nachdenken. Ich schloss die Augen, wollte an etwas Gutes denken, denn schlechte Gedanken sorgten dafür, dass die Alpträume schneller kamen. Allerdings war es viel zu früh um zu schlafen. Trotzdem döste ich weg, obwohl gerade erst eigentlich zu Abend gegessen wurde. Doch immer noch wandelten sich meine Träume viel zu oft. Und wieder wurde ich verfolgt oder ich sah, wie Jack sich von mir abwandte.

Wirklich gut schlief ich einfach nicht mehr. Ich hoffe, dass sich das noch änderte, aber wenn nicht, musste ich leider damit leben.

Erneut wurde ich in die Gegenwart geholt. Es klopfte an meinem Zimmer. Ich blinzelte und war überrascht, dass ich weggedöst war. Ein Blick auf das Handy verriet, dass es bereits halb neun war. Verwirrt stand ich auf und öffnete die Tür. Ich war überrascht, als ich Emily sah.

Ihre lange blonde Mähne hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr über der Schulter lag. Wieder trug sie bunte und sehr auffällige Kleidung. Sie lächelte mich fröhlich an und meinte: „Meine Mum hatte mir gesagt, dass du morgen wohl nach Hause darfst… Ich wollte dir Tschüss sagen.“ Ich betrachtete ihr fröhliches junges Gesicht. Ich hatte das Gefühl hinter ihren blaugrünen Augen etwas wie Traurigkeit ausmachen zu können. Vermutlich würde sie mich vermissen, auch wenn sie es nicht

sagte. Ich hätte nie gedacht in dieser verrückten jungen Frau eine wirkliche Freundin zu finden. Ich nickte ihr schweigend zu und deutete ihr nonverbal an in mein Zimmer zu kommen. Fröhlich lächelnd betrat sie den Raum.

Es tat gut eine Freundin wie sie zu haben. So anstrengend ihre nervige und quirlige Art auch war. Sie setzte sich auf mein Bett und nestelte an Bändern herum, die an ihrem Oberteil hingen. „Du Jasper, werden wir uns eigentlich wieder sehen“, fragte sie und sah mich tatsächlich unsicher an, etwas, was ich ihr nicht zugetraut hätte.

„Wieso meinst du denn nicht“, fragte ich sie, setzte mich zu ihr und runzelte die Stirn, während ich sie ansah. „Na ja, kann ja sein, dass ich dir zu sehr auf die Nerven gehe. Viele meinen das nämlich.“, meinte sie grinsend und betrachtete mich eingehend.

„Nur ab und zu“, sagte ich schmunzelnd, was mir einen sehr leichten Schlag gegen die gesunde Schulter einbrachte. Ich dachte an das Gespräch mit Eric und sagte: „Ich hatte doch gesagt, dass ich vielleicht mit meiner Schwester und ihrem Freund nach Kalifornien ziehe. Und… vielleicht ist es gut einfach neu anzufangen.“ Ich wusste, dass es sie freuen würde und als sie mich freudestrahlend umarmte, konnte ich nicht anders als zu lachen! Ihre fröhliche Art war ansteckend und sie fing gleich an zu reden, was sie mir alles zeigen wollte und wen ich alles kennenlernen sollte von ihren Freunden. So wie sie klang, musste ich die halbe Stadt kennen lernen!

Erst spät am Abend schaffte ich es sie los zu werden. Ich versprach ihr, dass ich sie auf dem Laufenden halten würde.

„Aber wirklich Jazzy“, meinte sie noch, „du wirst Kalifornien lieben! Das Wetter, die Menschen du musst halt nur in die Nähe von Santa Monica ziehen! L.A. ist auch einfach viel zu teuer!“

Sie sagte es zum wiederholten Male und lachend beförderte ich sie zur Tür. „Ich merkte es mir… wir schreiben uns, versprochen“, meinte ich leicht lächelnd. Noch einmal umarmte mich Emily und wünschte mir zum gefühlt 100.ten Mal eine gute Nacht. Kopfschüttelnd und ohne noch wirklich etwas zu essen ging ich zu Bett.

Jenny war früh am nächsten Morgen da. Sie war froh, dass ich nach Hause durfte. Zwei Monate waren länger, als man im ersten Moment glaubte. Ich verabschiedete mich von Jules, welche noch etwas länger bleiben musste. Freundlich reichte sie mir die Hand und meinte: „Wenn du willst, kannst du uns gerne mal besuchen kommen. Bei uns ist es meistens schön warm.“

Ich nickte ihr dankend zu und lächelte leicht. „Ja… ich denke Emily wird auch darauf bestehen. Sie ist da wohl eh ein wenig eigen, aber du kennst ja deine Tochter“, meinte ich leicht hin und zuckte mit der Schulter, was seit einiger Zeit nicht mehr schmerzte. Jules lachte nur und blickte mir wissend in die Augen. Ja, sie kannte ihre Tochter sicher nur zu gut!
 

Jenny hatte das Radio eingeschaltet und ich lauschte der Musik. Artig bedankte ich mich bei ihr, dass sie mich abholte, denn normal war es nicht. Doch sie lächelte mich nur freundlich an und meinte, sie würde es gerne machen. Nachdenklich sah ich aus dem Fenster. Sah die vorbeiziehenden Häuser und Landschaften. Wir waren schon einige Meilen gefahren. Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf und ließ sie ihre eigenen Wege finden. Wir fuhren an einem großen blauen Ikea vorbei und ein Schmunzeln glitt über mein Gesicht. In dem Moment fällte ich eine Entscheidung. Warum genau in diesem Moment war mir schleierhaft und doch eigentlich egal…

Ich drehte mich zu Jenny und sagte: „Wenn ihr nach Kalifornien zieht, komme ich mit!“ Ich war wirklich entschlossen und als Jenny zu mir herüber sah, wirkte sie im ersten Augenblick verwirrt. Doch als sie meinen entschlossenen Gesichtsausdruck sah, lächelte sie überrascht aber fröhlich. Vermutlich schien sie damit nicht mehr gerechnet zu haben!

„Glaubst du“, begann ich zögernd, „dass deine Firma dich nach L.A. versetzten kann?“

Amüsiert lachte Jenny und meinte: „Jazzy, wo werden mehr Ernährungsberater gebraucht als in L.A?

Die haben Hollywood! Dass ist das Mekka für Ernährungsberater.“

Ich grinste und nickte. Stimmte schon…

„Aber L.A. ist ein wenig zu teuer zum Wohnen. Wir müssen schauen wohin wir ziehen und auch was Clay dazu sagt“, meinte sie nachdenklich, als zitierte sie Emily. Wieso auch immer sagte ich ohne darüber nachzudenken: „Ich hab gehört, Santa Monica soll sehr schön sein und man ist schnell in L.A.“ Nachdenklich betrachtete mich Jenny und nickte leicht. „Wir quatschen da besser auch mal mit Clay drüber, okay“, meinte sie nach einem Moment und lächelte mich an. Eine Weile schwiegen wir und jeder schien nachzudenken.

„Schön, dass du langsam wieder du selbst wirst“, meinte sie mit einem liebevollen Lächeln, was mich nur die Augen verdrehen ließ. Ich wusste, dass ich spielte, dass ich sicher noch lange nicht der Alte war, doch im Spielen war ich immer gut. Doch vielleicht wurde aus dem Spiel ernst? Wer wusste das schon…

Als wir Zuhause waren empfing Clay uns fröhlich in der Küche. Er drückte mich kurz an sich und stellte grinsend fest: „Jazz, bist du etwa noch gewachsen?!“ Verwirrt sah ich Clay an. Ich runzelte die Stirn und zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Wächst man in meinem Alter noch“, fragte ich verwirrt und blickte die Beiden vor mir an. Jenny nickte leicht und meinte erklärend: „Man kann bis zum Alter von 19 Jahren wachsen.“

„Cool“, stellte ich belustigt fest, „dann lass ich mir noch einen Bart stehen, dann glauben echt alle ich bin über 21 Jahre alt! Dann komme ich echt in jede Bar“

Empört sah Jenny mich an und meinte gleich: „Du weißt schon, dass du das nicht darfst! Für Alkohol bist du viel zu jung!“

Ich sah hinunter zu meiner Schwester, welche gerade ihre Hände in die Hüfte stemmte. Sie funkelte mich regelrecht an. Ein belustigendes Lächeln glitt über mein Gesicht. „Glaubst du wirklich ich hab noch nie getrunken? War sogar schon in zwei drei Bars“, meinte ich grinsend und sah, wie sie kurz nach Luft schnappte. „Das darfst du nicht! Wenn ich das mitbekomme, dann“, fing sie an, doch frech unterbrach ich sie: „Dann Sorge ich dafür, dass du es nicht mitkriegst!“ Verblüfft sah sie mich an und schon im nächsten Moment fing sie an zu strahlen. Weswegen sie plötzlich dieses Glitzern in den Augen hatte, verstand ich nicht. Ich drehte mich grinsend um und verschwand in meinem Übergangszimmer. Sie sollten in Ruhe darüber sprechen, ob sie sich vorstellen könnte nach Santa Monica zu ziehen.

In den nächsten Tagen schrieben mir Emily und Eric sehr viel. Wobei Emily mir viele unsinnige Bilder und Videos zukommen ließ. Ich konnte darüber nur den Kopf schütteln. Clay fand den Vorschlag nach Santa Monica zu ziehen sehr gut. Die Vorstellung, in einer Stadt zu wohnen, welche am Meer lag, gefiel ihm. Er war bester Laune und auch ich freundete mich mit der Vorstellung immer mehr an. Ich wollte neu starten. Nicht vergessen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich hier raus musste. Raus aus Texas, raus aus diesem Land!

Eines Abends, die Umzugspläne wurden immer konkreter, ging ich zu Jenny und bat sie: „Sag mal, kann ich dich morgen zur Arbeit fahren? Würde gerne einige Sachen von Mum holen…“ Unschlüssig sah Jenny mich an.

Ich hatte ihr nie genau gesagt, was zwischen mir und unserer Mutter vorgefallen war, nie im Detail. Doch sie wusste, dass das, was geschehen war, mich bis ins Mark erschüttert hatte. Es schien, als ringe sie mit sich, doch dann nickte sie, verbieten konnte sie es mir schließlich nicht. „In Ordnung…. Komm aber wieder hier hin… Ich muss übermorgen ja auch arbeiten, okay?“

Ich nickte und versprach ihr, noch am gleichen Tag wiederzukommen. Ich informierte meine Mutter kurz, dass ich sie am nächsten Tag besuchen würde. Ich wollte es einfach nicht länger hinauszögern.
 

Ich stand am Nächsten Tag rechtzeitig auf und frühstückte gut. Ich hatte den ganzen Tag schon das Gefühl ich müsste mich auf etwas Wichtiges vorbereiten, wie auf ein Baseballspiel. Es kostete mich tatsächlich Nerven meine Mutter zu besuchen. Es war kein Besuch, den ich einfach so tätigte. Ich ließ Jenny bei ihrer Arbeit raus und während der Fahrt wurde ich immer angespannter. Meine Hände krallten sich um das Lenkrad.

Als ich bei der neuen Wohnung meiner Mutter ankam, musste ich schwer durchatmen, ehe ich bei ihr klingelte. Ich war froh, dass sie nicht mehr in unserem alten Haus wohnte. Dort hineinzugehen, die Türschwelle zu überschreiten… Ich war mir nicht sicher, ob ich es ausgehalten hätte. Auch Jacks altes Haus zusehen, in dem vielleicht schon neue, andere Menschen wohnten, wäre eine Qual gewesen. Ich war froh, dass meine Mutter nach Austin gezogen war.

Sie sagte Jenny, dass sie so wenigstens ihre Enkelkinder würde sehen können. Ich klingelte und nach wenigen Augenblicken hörte ich das vertraute Summen einer sich öffnenden Tür. Ich ging hinauf in die erste Etage. Ich war noch nie hier gewesen. Es schien ein recht ruhiges und freundliches Haus zu sein.

Meine Mutter öffnete ihre Wohnungstür und ich sah sie das erste Mal, seit ich sie aus meinem Krankenzimmer geschmissen hatte. Sie hatte ziemlich abgebaut und schien in den Monaten, in denen ich sie nicht gesehen hatte, ziemlich gealtert zu sein. Ihre Haut war blasser geworden und ihre Haare schienen spröde im Licht der Lampe auszusehen. Sie kam nicht auf mich zu und umarmte mich auch nicht, wofür ich ihr tatsächlich dankbar war.

Doch sah ich auch, dass sie sich freute mich zu sehen. Mit einem freundlichen Lächeln und einem, „hi Jazzy“, ließ sie mich in ihre Wohnung eintreten. Der Flur war weiß gestrichen und überall hingen die Bilder unserer Familie. Die Bilder die Monate, nein jahrelang ein falsches Bild zeigten. Zeigten sie doch eine glückliche Familie, bei der alles stimmte. Es standen keine Kisten mehr herum und meine Mutter brachte mich in ihr Wohnzimmer. Wie in fast jedem amerikanischen Haushalt gab es eine offene Wohnküche. Tatsächlich war es eigentlich sehr liebevoll und nett hier. Alle Möbel und Böden waren sehr hell. Viel weiß und helles Holz.

Mutter fragte, ob ich was trinken wolle und als ich sie fragte, ob ich einen Kaffee haben kann, sah sie mich überrascht an. „Seit wann trinkst du denn Kaffee?“, wollte sie wissen, während sie in die Küche ging.

„Schön länger. Schon vor dem Krankenhaus, weiß nicht mehr wann“, meinte ich und sah mich weiter um. Im Wohnzimmer war eine Wand rot gestrichen. Meine Mutter mochte rot, doch wirklich mein Geschmack war es nicht. Doch ich wohnte hier nicht. Mir musste es nicht gefallen. Ich setzte mich an den Holztisch, den Mutter aus unserem Haus mitgenommen hatte. Sie reichte mir nach einigen Augenblicken die Tasse.

Ich hatte mir angewöhnt ihn schwarz zu trinken. Seit Jack weg war und ich so schlecht schlief, half mir das bittere Getränk jeden Morgen wach zu werden. Schweigend saßen Mutter und ich am Tisch. Nach einigen Augenblicken fragte sie, wie die Reha war. Ich antwortete wahrheitsgemäß, denn eigentlich hatte sie mir besser getan, als ich zugeben wollte. Sie hörte mir zu, fragte an den ein oder anderen Stellen nach. Und als ich von Emily erzählte, fingen die Augen meiner Mutter an zu strahlen. Weswegen verstand ich nicht wirklich. Auch erzählte ich genau, was ich alles während der ganzen Physiotherapie machen sollte.

Tatsächlich konnte ich schon einiges machen, doch immer noch durfte ich nichts Schweres heben, oder gar die Arme belasten. Ab und zu schmerzte es noch und je nachdem, wie ich in der Nacht lag, weckte mich meine Schulter. Allerdings verbesserte sich mein Zustand zusehends.

„Jazzy“, begann meine Mutter, nachdem wir einen Augenblick geschwiegen hatten, „wann wirst du wieder zur Schule gehen. Du weißt doch, dass ein guter Abschluss wichtig ist und auch wieder ein vernünftiger Alltag…“

Ich betrachtete ihr Gesicht, was einige Falten in den letzten Monaten bekommen hatte. Ich seufzte und nickte ihr zustimmend zu. „Ja ich weiß, ich…. Jenny will mit Clay nach Kalifornien ziehen. Ich werde mit den Beiden gehen. Ich will neu starten“, sagte ich und blickte von meiner Tasse in das Gesicht meiner Mutter. Erschrocken sah sie mich an und senkte traurig den Blick.

Ich wusste, dass es ihr schwer fallen würde, doch ich ließ mich auch nicht mehr von ihr um den Finger wickeln. Ja, sie war einst eine Schwachstelle, konnte mich manipulieren. Vermutlich, war sie sich dessen nicht mal wirklich bewusst gewesen. Sie hat es sicher nie mit voller Absicht gemacht, doch das was geschehen war, war eben geschehen.

„Clay kommt aus Kalifornien, oder“, fragte sie und es schien, als versuche sie die Contenance zu wahren. Ich nickte und sah mich um. Ich wollte nicht, dass sie weinte. Schließlich musste ich hier noch einige Sachen aussortieren und wenn sie die ganze Zeit am rumheulen war, würde es mich nur verrückt machen. Also musste ich taktisch vorgehen. Die Frage, was sie mit Jack besprochen hatte, durfte ich noch nicht stellen!

„Wo sind denn meine alten Sachen, ich will einige aussortieren und auch welche mitnehmen“, meinte ich und sah zu meiner Mutter. Sie nickte und schien ein wenig traurig. Vielleicht hatte sie wirklich gehofft, ich würde doch noch zu ihr ziehen. Als ich in ihr Gästezimmer trat wusste ich, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag. Es war ein geräumiger Raum. Ein Bett stand neben dem Fenster, ein Kleiderschrank in einer dunklen Ecke. Alles schien darauf zu warten, dass jemand hier einzog. Vier volle Kisten standen hier herum, beschriftet mit meinem Namen.

„Brauchst du noch was? Soll ich dir vielleicht helfen“, fragte meiner Mutter und schien unschlüssig in dem Raum zu stehen. Ich schüttelte den Kopf und tatsächlich ließ sie mich alleine. Als ich den ersten Karton öffnete, traf es mich schwer. Baseballhandschuhe, Bälle und einige meiner Schläger waren dort drinnen. Ich betrachtete die Sachen und wünschte mir in diesem Moment so sehr auf dem Platz zu stehen und mit Eric gemeinsam ein paar Bälle zu schlagen. Ich wollte die Kiste schon wieder schließen. Ich konnte nicht Baseball spielen, jedenfalls nicht im Moment. Doch wollte ich wirklich alles zurücklassen? Ich holte einen Schläger heraus und wog ihn in der Hand, die Aluschläger waren so leicht…

Ich tat so, als würde ich nach einem Ball schlagen und spürte schon im nächsten Moment, dass es eine dumme Idee war. Von meiner verletzten Schulter durchzog ein kurzer stechender Schmerz meinen Körper. Ich verzog das Gesicht und ließ langsam den Schläger sinken. Traurig blickte ich hinab zu dem Stück Aluminium in meiner Hand.

Doch von allem wollte ich mich nicht trennen. Ich sortierte einige Bälle heraus und auch ein altes Trikot. Ich fand einen Baseball, den ich als Kind während eines Spiels bekommen hatte. Die Unterschrift, die der Spieler darauf hinterlassen hatte, war kaum zu entziffern gewesen. Damals war ich mit meinem Dad auf dem Platz gewesen. Es hatte in Strömen geregnet, doch ich wollte unbedingt von diesem einen Spieler ein Autogramm. Damals war Dad noch so toll in meinen Augen gewesen und ein guter Vater. Was die Zeit manchmal aus Menschen machte.

Auch dieser Ball kam samt seiner Erinnerung mit, ebenso wie die Flagge der Texas Ranger. In dem nächsten Karton waren unzählige Klamotten. Ich wusste gar nicht, dass ich so viele hatte. T-Shirts in vielen unterschiedlichen Farben fand ich. Viele davon, da war ich sicher, blieben hier. Doch erneut fand ich was, was mich zum Stocken brachte. Ein T-Shirt im Armystiel. Ich hatte nie Tarnmuster gekauft, weil ich die Farben einfach nicht so toll fand. Ich zog es aus der Kiste und mein Herz begann zu rasen. Es war breiter als die anderen T-Shirts und ich wusste, dass es nur von Jack sein konnte.

Während der Zeit, wo ich fast täglich bei ihm war, waren viele meiner Sachen zu ihm gewandert. Vermutlich hatte ich irgendwann, vielleicht beim Joggen, eines seiner Shirts an gehabt. Ich roch daran, doch sollte es mal nach ihm gerochen haben, war der Geruch schon lange verflogen. Es tat weh sowas zu finden, denn es zeigte mir unbarmherzig jedes Mal, dass er nicht mehr da war. Ich legte das T-Shirt zu den anderen Sachen, die ich mitnehmen wollte. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich durch meine Sachen, die einst mein gesamtes Leben waren, durchgeforstet hatte. Selbst meinen alten Laptop fand ich.

Ich wollte ihn mitnehmen, die Bilder und Erinnerungen, die auf der Festplatte waren, sollten nicht verloren gehen. Als ich ihn hochnahm und drehte, sah ich auf ihm tatsächlich noch einige Blutspritzer. Eiskalte Schauer liefen über meinen Rücken, als ich mein Blut an dem Gerät sah. Doch trotz der Kälte, die über meinen Rücken jagte, nahm ich ihn mit.

Ich atmete durch, denn nun begann der schwierige Teil mit meiner Mutter zu sprechen, doch nein! Taktisch vorgehen! Erst die Kartons runter ins Auto, dann reden! Wer weiß, was Mum alles sagte, wenn ich dann schnell abhauen wollte ging dies nicht, wenn ich noch zwei Kartons ins Auto packen musste. Also lief ich zwei Mal zu Jenny's Wagen und verfrachtete die beiden Kartons. Nun sollte sie sich nicht mehr in Ausreden verstecken!

Sie saß auf ihrer neuen Couch und schaltete den Fernseher aus, als ich zu ihr ging. „Bist du fertig, Schatz“, fragte sie und ich nickte nur. Ich setzte mich zu ihr und nach dem ich saß fragte sie mich augenblicklich: „Jazzy, willst du wirklich mit Jenny mitziehen. Ich meine, du hast dein ganzes Leben lang in Texas gewohnt. Du kennst hier alles und die Menschen in Kalifornien, na ja… Die sind so anders…“

Es schien, als wollte sie schon die ganze Zeit darüber sprechen. Vermutlich lag ich damit auch vollkommen richtig. Doch ich war mir meiner Entscheidung eigentlich recht sicher. „Ja, die Menschen sind da anders, vielleicht ja offener“, meinte ich und merkte selbst, wie gereizt ich klang.

Traurig nickte sie, doch ich merkte, dass sie nicht aufgeben wollte.

„Mum, was hast du Jack gesagt! Ich weiß dass ihr, bevor er gegangen ist, gestritten habt“, forderte ich sie energisch auf. Ich wollte endlich eine Antwort! Ich beobachtete sie, sie verschränkte die Arme vor der Brust und ihr Blick schien vorsichtiger zu werden.

„Das ist gar nicht so wich…“, begann sie, doch harsch klangen meine Worte, als ich sie unterbrach: „Doch es ist wichtig! Es ist MIR wichtig! Mum, ich habe diesen Mann geliebt! Natürlich ist es mir wichtig!“ Ich sah, wie sie zusammen zuckte als ich lauter wurde, doch es tat mir nicht Leid.

„Du bist viel zu jung, du weißt gar nicht was Liebe ist“, fuhr sie mich an und kurz war ich von ihrer Courage beeindruckt. Doch schon im nächsten Moment lachte ich spöttisch: „Wer hat mit 18 Jahren geheiratet? Das war nicht ich, Mum!“

Doch energisch schüttelte sie den Kopf. „Das waren damals ganz andere Zeiten gewesen“, meinte sie und schüttelte vehement den Kopf. Ich konnte nur verächtlich schnauben. Wie dumm ihre Aussagen klangen! „Ich glaube Mum, ich hab genug Ahnung davon, was Liebe ist und was nicht!“

„Und trotzdem Jasper ist dieser Mann weder gut für dich, noch hat er irgendwas liebenswertes! Der ist doch auch viel zu alt für dich!“ Meine Brauen zogen sich zornig zusammen und ich schnaufte wütend aus. „Was interessiert dich das“, begann ich zornfunkelnd, doch es war meine Mutter, die mich unterbrach: „Mich interessiert es, weil ich deine Mutter bin! Und ich weiß, was gut für dich ist!“

Verächtlich schüttelte ich den Kopf. Sie weiß also was gut für mich ist!

Als ich wieder den Mund aufmachen wollte um etwas zu sagen, wurde ich erneut von ihr unterbrochen. Tatsächlich schien es ihr eigentlich recht gut zu tun, weg von meinem Vater zu sein. „Nur, weil du gerade glaubst schwul sein zu müssen, heißt das nicht, dass ich es gut heiße, wenn du dich mit solchen Menschen abgibst“, fuhr sie mich an. Ich konnte nicht anders und lachte sie tatsächlich aus. Spöttisch sagte ich: „'Weil ich gerade glaube schwul sein zu müssen?' Verdammt Mum, sehe es ein! Ich bin schwul! Ich steh auf Kerle! Und mit wem ich mich „abgebe“ und mit wem nicht, ist ganz allein meine Entscheidung!“ Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so mit meiner Mutter gestritten.

„Aber wieso ist das denn passiert? Wir haben bei dir doch nichts anders gemacht, als bei deinen Brüdern“, meinte sie fast schon verzweifelt. Es war diese Verzweiflung in den Augen meiner Mutter, die sämtliche Luft aus meiner Lunge presste. Was würde es mir bringen mit ihr zu streiten? Eigentlich nichts…

Würde ich so meine Antworten bekommen? Auch diese Frage konnte ich mit einem sicheren, nein, innerlich beantworten. Ich atmete schwer durch. Versuchte mich zu beruhigen und es war äußert schwer. Ich schloss kurz die Augen, brüllte sie innerlich an, was für eine engstirnige Person sie doch sei.

Als ich die Augen aufschlug sah ich sie an und ich bemerkte, dass sie wirklich verzweifelt schien. Sie gab sich wirklich die Schuld dafür. Schuld dafür, dass ich schwul bin! Doch dafür brauchte sie sich doch keine Schuld zu geben?! Ich sah auf den Boden und strich mir fast verzweifelt durch die braunen Haare. Ich sah zu meiner Mum und mit erstaunlich ruhiger Stimme meinte ich: „Daran ist keiner Schuld, weil es doch nichts schlimmes ist. Es ist einfach so, weil es so ist. Mum, ich liebe einfach Männer. Es geht doch beim schwul oder lesbisch sein nicht nur um Sex oder so… es geht doch auch darum, zu wem ich mich emotional hingezogen fühle… Wenn es mir nur um Sex ginge, könnte ich auch einfach eine Frau haben und meine Lust woanders ausleben. Aber es geht mir nicht nur darum, Mum. Ich kann mir kein Leben an der Seite einer Frau vorstellen…“

Es war gut, dass ich nicht weiter rumbrüllte, obwohl mir danach war. Es war erstaunlich, wie viel Kraft es einen kostete. Doch ich glaubte nur so meine Mutter wirklich erreichen zu können. Sie sah mich traurig an und vorsichtig meinte sie: „Du hast es doch noch nie ausprobiert… Mit einer Frau…“

Doch ich schüttelte vehement den Kopf. „Doch Mum habe ich, glaubst du wirklich mir ist es leicht gefallen mir das einzugestehen? Überhaupt nicht… Ich bin mir sehr sicher, dass ich schwul bin. Viola und ich waren Freunde, aber eigentlich nie mehr. Ich kann mich emotional nicht auf eine Frau einlassen. Nicht so, dass ich sie lieben kann…“ Ich sah, wie meine Mum mit sich rang und es tat mir wirklich leid, doch wenn ich nicht für sie gestorben war, musste sie es akzeptieren.

„Und diese Emily“, fragte Mum sehr leise und ich verstand, weswegen ihre Augen so leuchteten, als ich von ihr erzählte. „Auch Emily ist nur eine Freundin und wird nie mehr werden“, meinte ich ruhig. Sie sollte endlich von Jack sprechen!

Meine Hände zitterten leicht und leise, aber ernst bat ich sie: „Mum, bitte, ich will endlich wissen, was mit Jack passiert ist… Ich will verstehen…“

Mum schwieg kurz und nach einem Moment fing sie leise an zu sprechen: „Wir haben uns gestritten. Er meinte, ich sei eine schlechte Mutter und wäre nicht für dich da gewesen. Und ja… das war ich Jasper und es tut mir so verdammt Leid. Ich will es wieder gut machen. Ich meine es ernst… Doch ich sagte ihm auch, dass du nur wegen ihm so konfus geworden bist. Erst, seit er nebenan wohnte ist es bei uns so schlimm geworden… Das habe ich ihm gesagt, dass er unser Leben auf den Kopf stellte. Und dass er sich einmische in Angelegenheiten, die ihn nichts angingen…. Und ohne ihn hättest du nicht die Probleme mit deinem Vater gehabt. Er war es, der dich… verführt hat oder so…“ Während ich ihr lauschte musste ich mir unweigerlich vorstellen, wie Jack darauf reagiert hat…

Vielleicht hat er sie einfach nur ausgelacht oder sich weggedreht und sie stehen lassen. Allerdings konnte ich mir in dem Moment auch vorstellen, dass er Mum ziemlich angeschrien hat. Ich habe Jack noch nie Brüllen hören, aber ich war mir sicher, dass es beeindruckend wäre.

Ich kannte ihn zu gut. Sicher nahm er sich nicht alles an, doch vermutlich einen Teil davon. Ich schüttelte den Kopf und sah Mum an. „Ich war auch bevor Jack neben uns einzog unsicher, ob ich nicht doch schwul bin…“ Überrascht sah meine Mutter mich an. Schien sie mit dieser Aussage wohl nicht gerechnet zu haben. „Mum, diesem Mann verdanke ich mein Leben… wie soll ich ihn einfach vergessen? Das geht einfach nicht“, meinte ich leise und sehr ehrlich, doch Mutter schwieg darauf.

Als ich schon nicht mehr mit einem Satz von ihr rechnete, überraschte sie mich. Sie blickte mich aus ihren blauen Augen an und sagte ernst: „Es tut dir gut, dass er nicht da ist. Ich habe ihm gesagt, dass er dein Leben viel zu sehr verändert hat. Er hat dich viel zu sehr nach seinen Vorstellungen geformt! Hat dich daran gehinderte deine Jugend zu genießen! Er ist erwachsen und du nicht, da brauchst du nicht so jemanden als Beispiel! Dieser Mensch hätte dich doch nur gehindert deinen eigenen Weg zu gehen. Der sieht ja nicht mal so aus, als ob er das Leben schätzen kann…“

Ich lauschte ihren Worten und die unterdrückte Wut fing in mir an zu brodeln. Ich spürte mit jedem Satz den sie sagte, dass die Mauer der Ruhe welche ich zur Schau stellte immer mehr Risse bekam. Die Wut schien immer mehr besitzt von mir ergreifen zu wollen. Es war, als explodierte etwas in meinem Kopf, was rationelles denken kaum noch zuließ. Sie wollte noch weiter sprechen doch nun war es mit meiner Geduld am Ende. „Du hast ihm WAS gesagt“, brüllte ich sie an, „dass er mich hindert meinen Weg zu gehen?! Du hast ihm diesen beschissenen Floh ins Ohr gesetzt! Was fällt dir eigentlich ein?!“ Sie hatte ihn diesen Gedanken eingepflanzt?! Nie hatte ich meine Mutter angebrüllt und tatsächlich sprang ich fast von meinem Sitzt auf. Ich sah, wie Mum zusammenzuckte und mich erschrocken ansah.

„Es ist doch so… du brauchst doch jemanden, der dir irgendwie ähnlicher ist“, meinte sie, doch mein Blick ließ sie unruhiger werden. Das ich gerade noch mehr meinen Vater ähnelte war mir vollkommen egal! Wut erfasste mich, blinde Wut und für einen kurzen Augenblick hatte ich den Drang einfach zuzuschlagen. Ich spürte, wie ich zuckte, doch ich schaffte es mich zurückzuhalten! Doch die Kraft die ich dafür brauchte, hätte ich nicht vermutet. Zuschlagen wäre wirklich viel einfacher gewesen! Schnell stand ich vom Sofa auf, wollte ich doch nichts Unüberlegtes tun!

„Du hast keine Ahnung, Mum“, brachte ich vor Wut zitternder Stimme hervor, „was du mir damit angetan hast! Melde dich bloß nicht bei mir. Ich will dich nicht mehr sehen. Du hast mir den wichtigsten Menschen in meinem Leben genommen!“ Meine Stimme überschlug sich fast. Wütend drehte ich mich weg, wollte dieses Gesicht nicht mehr sehen!

Ich wollte nichts tun, was ich hinterher bereute!

Zornig knallte ich die Tür hinter mir zu und als ich hinterm Steuer von Jennys Auto saß, schlug ich vor Wut auf das Lenkrad ein. „Du verdammter Wichser! Wieso lässt du dir von der Schlampe sowas einreden“, brüllte ich durch das Auto und nie hatte ich meinen Vater besser verstanden als in diesem Augenblick. Tatsächlich wünschte ich mir fast, meine Wut an jemandem auszulassen! Ich brauchte etliche Minuten, bis ich das Gefühl hatte mich wieder beruhigen zu können!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Pitchermaus
2017-02-09T08:39:00+00:00 09.02.2017 09:39
Boha, als ich kann Jazz Wut verstehen. Seine Mutter hat wohl wirklich den Schuss nicht mehr gehört. Für Jazz tut mir das so leid. Wobei ich ja nicht glaube, dass Jack geblieben wäre, hätte Jazz Mutter ihm das nicht an den Kopf geworfen. Das hat ihn wohl eher noch bestätigt und ihm zugleich ein Argument geliefert, womit er auch eine Rechtfertigung für sich hat. Jasper aht sie aber wohl nun endgültig verloren. Oder wenigstens vorerst, bis er das ganze soweit verarbeitet hat.
Es ist aber schön zu sehen, dass Jazz sich so langsam wieder aus seinem Loch zieht und nach vorne blickt. Der Umzug und der damit verbundene Neuanfang wird ihm sicher auch gut tun. Dann muss er sich auch keine Gedanken darum machen, wie er sich verhält, weil außer seiner Schwester niemand weiß, wie er vor der Auseinandersetzung mit seinem Vater war. So kann er dann auch neue Leute kennenlernen, die ihn nicht wegen seiner Sexualität verurteilen und seine Freunde aus Texas bleiben ihm ja erhalten. Eric wird Jazz dann sicher auch regelmäßig besuchen kommen. Sollten die drei dann wirkich nach Santa Monica ziehen wird Emily Jazz wohl auch noch erhalten bleiben. Wobei ihm das sicher auch irgendwie gut tun wird, immerhin hat ihre Art ihn schon in der Reha aus seinem Schnekenhaus hervorgeholt. Vielleicht wird er ja doch noch ihr schwuler bester Freund :).
Ansonsten ist es klar, dass Jazz aber immer noch mit allem zu Kämpfen hat. Wäre auch sehr unrealistisch, wenn er einfach so alles hinter sich lassen würde und so weiterleben würde, als wäre nichts passiert. Seinen Heilungsprozess, gerade den Emotionalen beschreibst du da wirklich sehr schön und mit viel Ausdauer. Jazz Charakter wird auch immer tiefgründiger und interessanter. Bin wirklich sehr gespannt, was aus ihm wird und wie er sich weiterentwickelt. Ich könnte mir gut vorstellen, das Jack bei dem nächsten Zusammentreffen mit Jazz über Jaspers Entwicklung überrascht sein wird. Die Verhältnisse in der Beziehung werden sich dann auf jeden Fall geändert haben. Auch weil Jazz dann wahrscheinlich in der Lage ist weitestgehend auf eingenen Beinen zu stehen (also je nach dem, wann sie wieder aufeinandertreffen).
Was ich mich auch immer mal wieder frage, was ist eigentlich mit Jazz Vater passiert? Er kann ja schlecht einfach in das Haus zurückkehren. Die Polizei hätte ihn da ja recht schnell auffinden müssen. Immerhin hat er seinen Sohn zusammengeschlagen und ihm schwere Körperverletzungen zugefügt.
Bin auf jeden Fall schon gespannt, was als nächstes kommt und wie sich Jazz Zukunft weiterentwickeln wird. Daher hoffe ich mal, dass du gerade ein kreatives Hoch und ganz viel Motivation und Zeit zum Schreiben hast :)


Zurück