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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Der Ball

Carina sollte Recht behalten. Es wurde unangenehm. Hatte sie sich in der Zukunft tatsächlich über kratzige Schals und unangenehm enge Hosen beschwert? In Ordnung, sie nahm alles wieder zurück. Natürlich wusste sie, dass nur Death Scythe einen Shinigami töten konnten, aber…„Dieses Korsett ist schon verdammt nah dran“, zischte sie so leise, dass die beiden Mädchen hinter ihr sie nicht hören konnten. Und es gab tatsächlich Frauen, die das jeden Tag trugen? Okay, ihre Achtung vor den Frauen dieses Jahrhunderts stieg gerade beachtlich. „Zumindest kann ich in dem Ding noch atmen. Irgendwann hört der Spaß ja auch mal auf.“ Ihr Blick glitt hinunter zu ihrem Dekolleté, vorbei an der Narbe und verharrte schließlich an ihrem Busen. „Mein Gott, das presst meine Brüste so zusammen, dass es jetzt mehr nach C als nach B aussieht“, schoss es ihr durch den Kopf und sie musste gleichzeitig ihre Augen verdrehen. Das erklärte auch so einiges…
 

Ca. 1 Stunde später lagen das Korsett plus diverse Unterröcke an ihrem angestammten Platz und Mary und Samantha waren gerade dabei ihr das eigentliche Kleid anzuziehen. Es fühlte sich überhaupt nicht unangenehm an, wie Carina insgeheim gedacht hatte. Nein, der marineblaue Stoff lag weich auf ihrer Haut und passte natürlich wie immer perfekt. Der Undertaker hatte wieder einmal bewiesen, dass er ein perfektes Augenmaß besaß. Es schmiegte sich eng an ihr Becken, währen das Korsett sie ungewöhnlich schlank machte. Die Ärmel, die nur wenige Zentimeter lang waren, waren leicht gepufft und die kleinen, hellblauen Rüschen erhöhten den Stoff an ihrer Brust hinreichend genug, damit ihre Narbe vollständig verdeckt war. Die Vintage-Verzierungen auf dem Rock, bestehend aus ineinander übergreifenden Blumenmustern, gaben dem Kleid den letzten Schliff.
 

Probeweise bewegte Carina ihre Arme und Beine. Eigentlich konnte sie sich relativ frei bewegen. „Nur schnelles Rennen wird in diesem Kleid schwierig. Na ja, hoffen wir einfach mal, dass das diesen Abend nicht notwendig sein wird.“ Die 18-Jährige lehnte dankend die langen weißen Handschuhe ab. Und als die beiden Dienstmädchen ihr schließlich noch bei ihrer Frisur und dem passenden Make-up helfen wollten, lehnte sie dies ebenfalls ab. „Keine Sorge“, sagte die Shinigami, während sie ihre Helferinnen freundlich, aber mit Nachdruck, zur Tür hinausschob. „Den Rest bekomme ich schon alleine hin. Vielen Dank für Eure Hilfe.“ Die Beiden wirkten zwar verwirrt, widersprachen ihr aber nicht. Wenige Sekunden später setzte Carina sich an den Schminktisch, der im Schlafzimmer stand und legte ihre Brille vorsichtig neben dem rechteckigen Spiegel auf den Tisch. Sogleich wurde ihre Sicht schlechter, doch im Gegensatz zu den meisten Shinigami machte ihr das nichts mehr aus. Ziemlich am Anfang ihrer Ausbildung - direkt nachdem sie erfahren hatte, dass alle Shinigami stark kurzsichtig waren und daher alle eine Brille trugen – hatte sie angefangen große Teile ihres Trainings ohne die Sehhilfe durchzuziehen. Immerhin war es so ziemlich der größte Schwachpunkt ihrer Rasse und sollten ihre Gegner davon Kenntnis besitzen, konnte es beträchtliche Folgen haben. Daher war es der 18-Jährigen auch gar nicht schwer gefallen Sebastian einen Tritt zu verpassen, nachdem er ihr die Brille von der Nase geschlagen hatte. Nein, so leicht würde sie es ihren Feinden ganz bestimmt nicht machen. Und wenn jemand bewiesen hatte, dass man als Shinigami auch sehr gut ohne Brille zurecht kam, dann war es der Undertaker. Er hatte keine gehabt und sich trotzdem erfolgreich gegen drei Shinigami und einen Dämon behauptet.
 

Ihr Blick fiel auf die vielen verschiedenen Arten von Make-up, die auf dem Tisch verteilt standen. Kleine Creme Döschen, längliche Tuben in allen Formen und Größen, runde Gläschen mit Öl, rechteckige Kästchen mit mindestens zehn unterschiedlichen Farbtönen… Carina rümpfte die Nase. Wer zum Teufel klatschte sich auch bitteschön nur die Hälfe von diesem Zeug ins Gesicht? Also, sie ganz bestimmt nicht. Bis heute konnte sie Frauen nicht verstehen, die sich jeden Tag Unmengen an Schminke ins Gesicht klatschten, um ihrer Umwelt bzw. natürlich ganz besonders den Männern zu gefallen. „Und wenn die Männer sie dann das erste Mal ungeschminkt zu Gesicht bekommen, fallen sie aus allen Wolken und bekommen beinahe einen Herzinfarkt. Nein, ich bevorzuge lieber den natürlichen Look und kaschiere lediglich ein wenig.“ Sie hatte sich zwar nicht täglich geschminkt, wusste aber ganz genau wie es funktionierte.
 

Carina suchte sich einen hellen Puder heraus, der zu ihrer natürlichen Hautfarbe passte und trug ihn mithilfe eines kleinen Schwämmchens nach und nach auf ihr Gesicht auf. Er machte die Haut ebenmäßiger und deckte alle Unreinheiten ab. Die Wimpertusche aufzutragen war schon deutlich schwieriger als im 21. Jahrhundert. Hier bestand diese nämlich noch aus einer kleinen Box, in der sich ein schwarzer Block aus Farbe befand. Die 18-Jährige nahm sich eine kleine Bürste, die schon eher der aus der Zukunft ähnelte, und strich sachte über die schwarze Farbe. Anschließend übertrug sie sie auf ihre Wimpern, die nun deutlich hervorgehoben wurden. Als letztes zog sie auf beiden Seiten unterhalb ihrer Augen auf der Wasserlinie noch einen schwarzen Strich und besah sich anschließend noch einmal im Spiegel. Ihr persönlich reichte das schon. Man konnte sehen, dass sie sich geschminkt hatte, aber es war nicht übertrieben und noch vollkommen im Rahmen. Ganz sicher würde sie nicht wie die adeligen Frauen damit anfangen jetzt auch noch Unmengen von Rouge, Lidschatten und Lippenstift aufzutragen.
 

„So und jetzt zu den Haaren“, murmelte sie und konnte sich ein Grinsen einfach nicht verkneifen. Zum ersten Mal kam es ihr wirklich zugute, dass die Shinigami ihr Aussehen beliebig verändern konnten. Bedächtig schloss die Seelensammlerin die Augen und ließ ihre Finger sanft durch ihre blonden Haare fahren. Sie würde die Haare weiterhin offen tragen, stellte sich allerdings anstelle der glatten, unten ein wenig gekräuselten, Frisur etwas anderes vor. Als sie die Augen wieder öffnete, schlich sich ein breites Lächeln auf ihre Züge. Ihr blondes Haar fiel nun stufig und perfekt gelockt über ihre Schultern, zwei ebenfalls gelockte Strähnen rahmten ihr Gesicht ein. Wow, beim Friseur hätte so etwas eine halbe Ewigkeit gedauert. Wenn sie das Alice erzählen würde, dann konnte Carina sich definitiv vorstellen, dass sie es ihr beibringen musste. Die Schwarzhaarige würde ansonsten vor Neid platzen!
 

Zum wiederholten Mal betrachtete sie nun ihr Spiegelbild. Ja, sie sah immer noch aus wie sie selbst, nur…anders. Auf eine seltsame Art und Weise, die sie nicht genau benennen konnte. Dieses Ballkleid machte der jungen Frau erneut mit aller Deutlichkeit bewusst, dass das hier das 19. Jahrhundert war. Es würde noch sehr, sehr lange dauern bis sich die Mode auch nur in die Richtung ihre Zeit bewegen würde. Bis dahin würde sie sich in solchen Sachen herumschlagen müssen. „Ach, ist doch sowieso egal. Sobald ich meine Death Scythe zurück habe, kann ich ja wieder Bluse und Hose tragen.“
 

Gerade wollte sich die Blondine erheben, da schaute sie noch ein letztes Mal in den Spiegel. „Also…irgendwie…irgendetwas fehlt noch“, dachte sie, wusste aber nicht so recht was es war. Doch dann kam ihr plötzlich eine Erinnerung an den Undertaker in den Sinn. Oder besser gesagt an das, was er gesagt hatte bevor er sie ein zweites Mal geküsst hatte.
 

„Weißt du…Mit deinen blauen Augen hast du mir besser gefallen.“
 

Carina biss sich auf die Lippe. Sollte sie wirklich…Na ja, warum eigentlich nicht. Erneut schloss sie die gelbgrünen Augen der Shinigami und als sie sie wieder öffnete, blinzelten ihr die marineblauen Augen entgegen, mit denen sie zur Welt gekommen war. Ein melancholisches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. So hätte sie also mit 18 Jahren ausgesehen, wenn sie sich nicht umgebracht hätte… „Hör auf Trübsal zu blasen. Das bringt nichts“, redete sie sich selbst ein. Die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Es würde ihr nur Kummer bringen, wenn sie über alternative Geschichten nachdachte, die ohnehin niemals eintreten würden. Und jetzt musste sie erst einmal diesen Ball hinter sich bringen.
 

Vorsichtig erhob sie sich, musste sie sich doch noch an die neuen Schuhe gewöhnen. Die hellblauen Schuhe, eine Art Ballerina mit Absatz, wurden an ihren Knöcheln mit einer Schleife aus Samtstoff festgeschnürt und passten von der Größe her perfekt. Sie verschwanden allerdings vollständig unter dem langen Saum des Kleides. „Solange ich nicht stolpere“, murmelte sie und begab sich mit zügigen Schritten in den Teil des Colleges, in dem sich der riesige Festsaal befand. Vor den riesigen Flügeltüren blieb sie schließlich stehen. Ein kurzes Zögern durchzuckte ihren Körper. Carina konnte es kaum glauben, aber sie war tatsächlich nervös. Vorsichtig spinkste sie in den Saal hinein und atmete gleich darauf erleichtert auf. Überall waren Männer in schicken Anzügen zu sehen und mindestens genauso viele Damen in prunkvollen Kleidern. Dazu kamen jede Menge Butler und Dienstmädchen, die die Gäste mit Getränken versorgten. In dem riesigen Raum waren so viele Menschen, da würde sie gar nicht weiter auffallen. „Glück gehabt“, dachte sie und trat durch die Doppeltür. Doch wie es nun einmal so oft in ihrem Leben war, hatte sie sich da mächtig geirrt.
 

Denn kaum hatte die junge Frau den Raum betreten, da trat von der Seite ein Mann an sie heran. Er war kaum größer als sie selbst, trug einen dunkelbraunen Schnäuzer und war um die Taille herum ziemlich dick. In seiner linken Hand hielt er einen länglichen Stab aus Metall, der den Boden berührte. „Lady Carina?“, fragte er und Carina, vollkommen verblüfft, nickte lediglich. „Ah, der ehrenwerte Herr Direktor hat sie schon angekündigt. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“ Er hob den Stab in die Höhe und in diesem Moment realisierte Carina, wozu der Mann hier an der Tür positioniert war. „Oh nein, bitte nicht“, schoss es ihr durch den Kopf, doch es war bereits zu spät. Das runde Ende des Stabes knallte gegen den Boden und ein dumpfer Laut hallte durch den ganzen Saal. Natürlich hatte das zur Folge, dass sich mindestens die Hälfte aller Gesichter dem Eingang und somit automatisch auch ihr zuwandten. Die Shinigami wurde so rot wie noch nie zuvor in ihrem Leben und wünschte sich tatsächlich wieder einfach unsichtbar werden zu können. Zu dumm, dass es dafür nun zu spät war. Als nächstes ertönte die laute Stimme des Mannes neben ihr, der sie ansagte. Wer in Gottes Namen war auf die blöde Idee gekommen, dass in dieser Zeit jeder Gast der erschien noch namentlich verkündet werden musste? „Lady Carina, die ehrenwerte Gattin unseres geschätzten Direktors.“
 

Carina erstarrte.
 

Was hatte der Mann da gerade gesagt? Gattin? Gattin wie in…Ehefrau? Ihr Gesicht stand nun wahrlich in Flammen und während unter ihr begeisterter Applaus ertönte, suchten ihre Augen den Saal ab. Es dauerte gar nicht lange, da wurde sie bereits fündig. Der Undertaker stand ziemlich mittig im Raum. Er trug einen vornehmen schwarzen Anzug, sein Haar hatte er sich auf der linken Seite zurück geflochten, während ihm die restlichen silbernen Strähnen wie immer über den Rücken fielen. Auf seinem Kopf saß der Zylinder, den Carina bereits im Arbeitszimmer gesehen hatte. Er lächelte ihr mit einem breiten Grinsen entgegen.
 

Sie würde ihn umbringen!
 

Ohne auch nur die geringste Miene zu verziehen, hob sie den Saum ihres Kleides um ein paar Millimeter an und schritt langsam – und vor allem vorsichtig – die lange Treppe hinunter. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, dass sie vor den Augen hunderter Gäste die Stufen hinabstürzte.

Endlich unten angekommen ging sie mit zügigen Schritten auf den ehemaligen Seelensammler zu, nickte hier und da Leuten zu – sie gar nicht kannte, von denen sie allerdings trotzdem gegrüßt wurde – und achtete darauf, dass das steife Lächeln nicht von ihrem Gesicht wich. Elegant schlängelte sie sich an den Paaren vorbei, die zu einer langsamen Melodie auf der Tanzfläche tanzten. Auf den letzten Metern kam ihr der Undertaker bereits entgegen. Sein Grinsen hatte sich in ein Lächeln verwandelt. „Du siehst wunderschön aus, Liebling“, sagte er, nicht gerade leise wohl bemerkt, und nahm Carina damit allen Wind aus den Segeln. „Aller guten Dinge sind drei“, dachten sich ihre Wangen und wurden erneut rot. „Lass das“, zischte sie leise, sodass es außer ihm niemand hören konnte. „Was denn?“, fragte er, nun ebenso leise, legte einen Arm um ihre Hüfte und seinen Mund an ihr Ohr. „Darf ich meiner Frau denn keine Komplimente machen?“ Wie gerne hätte sie dem Bestatter dafür in die Seite geboxt. Aber leider konnte sie diesem Drang nicht nachgeben, nicht vor all den Leuten. „Ernsthaft?“, zischte sie stattdessen und schaute ihn böse an. „Deine Ehefrau? Ist das jetzt die Rache für letzte Nacht?“ Der Undertaker kicherte. „Du hast aber auch wirklich gar keinen Sinn für Humor, Carina.“
 

„Was soll das hier eigentlich werden? Warum musste ich auf diesen lächerlichen Ball kommen?“, wechselte sie abrupt das Thema und betrachtete eine kleine Gruppe von Frauen, die angeregt miteinander tratschten und sich ständig die Hände vor den Mund schlugen, um dahinter versteckt kichern zu können. Gott stehe ihr bei…
 

„Um ganz ehrlich zu sein“, begann er und Angesprochene wandte sich ihm wieder zu, „wollte ich dich unbedingt einmal in so einem Kleid sehen.“ Carina schwieg, ihre Gedanken jedoch überschlugen sich. Meinte er das wirklich ernst? Konnte…konnte er sie wirklich attraktiv finden? „Außerdem wusste ich, dass es dich in Rage versetzen würde und da konnte ich einfach nicht widerstehen“, setzte der Bestatter gackernd nach und bewirkte damit, dass eine Ader auf Carinas Stirn erschien. Eine Wutader, um ganz genau zu sein. „Ach, mach doch was du willst“, murmelte sie beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust, was ihr von einigen Frauen einen empörten Blick einbrachte. „Na, wenn du schon so fragst“, entgegnete er und hielt ihr plötzlich seine behandschuhte Hand hin.
 

„Tanz mit mir!“
 

Carina blinzelte. Hatte er nicht einmal zu ihr gesagt, dass sie es am laufenden Band schaffte ihn zu überraschen? Nun, heute war er derjenige, der für mehrere Überraschungen gut war. Ihr Blick fiel auf seine Hand, dann wieder zurück in sein lächelndes Gesicht. Sie schlug die Augen nieder. „Offiziell bin ich seine Frau, es käme also seltsam an, wenn ich einen Tanz mit meinem Ehemann ausschlagen würde.“ Natürlich wusste sie, dass das gelogen war. Selbst, wenn er sie nicht als seine Gattin ausgegeben hätte, hätte sie mit ihm getanzt. Noch nie hatte sie jemand zum Tanz aufgefordert. „In Ordnung“, murmelte sie und ergriff seine Hand. Der Handschuh war warm und schmiegte sich an ihre Handinnenfläche, doch viel lieber hätte Carina seine Haut an ihrer gespürt. Sanft zog er sie auf das Tanzparkett. Ihr Herz besaß doch tatsächlich die Frechheit schneller zu schlagen, als er ihr seine rechte Hand auf den Rücken legte, knapp unter dem Schulterblatt. Mit trockenem Mund umschloss sie seine linke Hand fester und legte ihre Rechte bedacht auf seiner Schulter ab.
 

Der Takt des Liedes war langsam, doch das kam Carina gerade recht. Sie konnte tanzen, ja, aber ihr Fachgebiet war es nicht gerade. Doch schnell stellte sich heraus, dass sie sich gar keine Sorgen machen musste. Er führte sie gekonnt über die Tanzfläche, als wäre es für ihn das Einfachste von der Welt. Die ganzen Menschen um sie herum rückten in weite Ferne, alles was sie noch wahrnehmen konnte, war sein Gesicht. Ihr Blick fiel auf seine silbernen Haare. „Sag mal, ist das nicht ziemlich riskant für dich so öffentlich aufzutreten? Deine Haare sind ja nicht gerade unauffällig.“ „Glaubst du, du bist die Einzige, die ihr Aussehen ändern kann?“, meinte er mit einem Blick in ihre blauen Augen. „Bis auf dich sehen mich alle anderen Menschen in diesem Raum nur als den Direktor, der seine Haare unter dem Zylinder verborgen trägt.“ Carina hob eine Augenbraue. Sie konnte ihr Aussehen nur für alle gleichermaßen verändern. Erneut fragte sie sich, wie alt der ehemalige Todesgott wohl sein mochte und wie gut er in seinem Job wohl gewesen war. Plötzlich begann der Totengräber wieder zu grinsen. „Hehe, das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich dachte nach diesem Tanz bräuchte ich neue Füße.“ „Du weißt wirklich wie man eine Frau so richtig aufbaut“, meinte die Blondine trocken. „Wer hat dir das Tanzen beigebracht? Deine Mutter?“ Carina schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte in der sechsten Klasse einen Tanzkurs“, flüsterte sie leise, erinnerte sie sich doch noch zu gut an diese äußerst peinlichen Stunden im Sportunterricht. Am Anfang hatte sie nämlich so gar nichts auf die Reihe bekommen und war tatsächlich jedem ihrer Tanzpartner mindestens dreimal auf jeden Fuß getreten. Zum Glück war sie lernfähig.
 

Als die Melodie verklungen war verbeugte sich der Undertaker vor ihr und Carina – hoffend, dass sie es halbwegs richtig tat – knickste. Gleichzeitig wurde sie, wie sollte es auch anders sein, rot im Gesicht. Das würde sie in der Zukunft definitiv nicht vermissen. Der ganze Anstandskram war mehr als nur überflüssig in ihren Augen. Es war einfach nur über alle Maßen peinlich. Jetzt, wo sie wieder am Rand standen und der Undertaker sich gerade mit einem der Professoren unterhielt, fühlte die 18-Jährige sich gleich viel wohler. Sie hatte es schon immer gehasst im Mittelpunkt zu stehen. Im Gegensatz zu manch anderen war sie manchmal einfach nur froh im Hintergrund zu stehen und nicht aufzufallen. Wenn sie so darüber nachdachte, war sie in der Hinsicht das genaue Gegenteil von Grell. „Ja, der hätte sich hier sicherlich prächtig amüsiert“, dachte sie grinsend, blinzelte jedoch im nächsten Moment überrascht, als der Professor nun sie ansprach. „Sie können sich meine Überraschung ja gar nicht vorstellen, als ich erfahren habe, dass unser lieber Herr Direktor geheiratet hat. Meinen herzlichen Glückwunsch Ihnen beiden.“ Carina hob eine Augenbraue, während der Undertaker ihr über die Schulter des Lehrers ein schelmisches Grinsen schenkte.
 

Sie brachte ein halbwegs echt wirkendes Lächeln zustande. „Vielen Dank. Ja, für uns kam die ganze Angelegenheit auch sehr überraschend.“ Die Lippen des Undertakers pressten sich bei ihrer Betonung dichter zusammen, anscheinend hatte er Schwierigkeiten damit sein Lachen unter Kontrolle zu behalten. Schnell versuchte Carina das Thema zu wechseln. „Und was unterrichten Sie so, Mr. …?“ „Winterbottom“, antwortete der schwarzhaarige Mann – Carina schätzte ihn auf Anfang 30 – freundlich. „Ich bin auf dem Weston College für den Bereich Sprachen zuständig und unterrichte die Schüler in Englisch, Französisch und Latein.“ „Das…klingt abwechslungsreich“, antwortete Carina, die in Französisch damals auf ihrer Schule verdammt schlecht gewesen war. Was ironisch zu betrachten war, wenn man bedachte, dass sie in Englisch Klassenbeste gewesen war. „Oh ja, das ist es auch. Und ich bin guter Dinge, dass im nächsten Schuljahr auch noch Spanisch und Deutsch dazu kommen werden.“ „Wie kann man nur so viele Sprachen sprechen?“, dachte sie, sagte aber anstatt dessen mit einem Grinsen auf Deutsch: „Schön, dass wenigstens einer in diesem Raum meine Sprache spricht.“ Ein entzückter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „ Sie sind Deutsche? Natürlich sind Sie Deutsche, Ihre Aussprache ist perfekt.“ Er sprach nun ebenfalls auf Deutsch und schien komplett aus dem Häuschen zu sein. Anscheinend hatte er noch nicht viele Menschen in England getroffen, die der deutschen Sprache mächtig waren.
 

Der Undertaker hingegen hatte beide Augenbrauen in die Höhe gezogen, verstand er doch kein einziges Wort. Carina zwinkerte ihm grinsend zu und unterhielt sich noch einige Minuten weiter mit dem Professor auf Deutsch, um den Silberhaarigen ein kleines bisschen zu ärgern. Doch schon bald entschuldigte sich der Schwarzhaarige sich mit den Worten, dass er sich noch mit ein paar anderen Gästen unterhalten musste, er sich aber freuen würde sich bald einmal wieder mit ihr zu unterhalten. „Über was habt ihr gesprochen?“, fragte der Bestatter, sobald der Professor in eine andere Ecke des Raumes verschwunden war. Jetzt war es an Carina eine Augenbraue zu heben. „Neugierig sind wir ja gar nicht, was? Er hat mich nur gefragt wo ich genau herkomme, wie ich als Deutsche England empfinde und so weiter.“ „Vielleicht sollte ich mir diese Sprache auch mal aneignen. So schwer kann sie ja nicht sein.“ Nun konnte Carina gar nicht anders, als aufzulachen. „Im Gegensatz zu Englisch? Oh doch, du würdest dich wundern.“
 

Plötzlich traten ein Mann und eine Frau von der Seite an sie heran. Perplex schauten der „Direktor und seine Frau“ die beiden Adeligen an. „Es ist uns ja eine solche Freude Sie endlich einmal kennen zu lernen, Herr Direktor“, begann die rothaarige Frau schwärmerisch, stellte sich anschließend als Elizabeth Crowford vor und schlug die Hände vor der Brust zusammen. Carina schaffte es gerade noch bei dem schleimigen Tonfall nicht die Augen zu verdrehen. Eigentlich war es doch genauso wie sie von Anfang an gedacht hatte. Dieser Ball war nur dafür da, damit die Eltern der ganzen reichen Schüler den Lehrern und natürlich dem Direktor in den Hintern kriechen konnten. Wenn die alle wüssten, dass das hier gar nicht ihr Direktor war… Sie bekam gar nicht mit was der Undertaker sich als Gesprächsthema für die Beiden einfallen ließ, schaute allerdings kurz auf, als die Frau ihren Sohn dazu winkte. „Das ist mein Sohn Cole. Er ist jetzt in seinem vorletzten Jahr und gehört zum Haus Scarlet Fox.“ Der Junge, der ebenso wie seine Mutter rothaarig war, deutete eine leichte Verbeugung an und richtete seine Augen anschließend allerdings nicht auf den Zylinderträger, sondern auf sie. Carina lief mit einem Mal ein Schauer über den Rücken. Irgendetwas an dem Ausdruck in den Augen des Jungen passte ihr ganz und gar nicht. Irgendwo hatte sie einen ähnlichen Ausdruck doch schon einmal gesehen… Doch als ein paar Minuten später die Eheleute samt Sohn zum Büfett verschwanden, tat sie die Begegnung mit einem Schulterzucken ab.
 

Hätte sie erkannt, dass es die drei Männer von damals gewesen waren, die sie ebenfalls mit einem derartigen Ausdruck gemustert hatten, hätte sie ihn wohl keine Sekunde lang aus den Augen gelassen…



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  00Ucy-18
2017-02-16T08:25:16+00:00 16.02.2017 09:25
Schönes Kapitel. Freue mich schon auf das nächste:)
Von:  Crazy-Butler
2017-02-15T21:18:10+00:00 15.02.2017 22:18
Wie immer ein wunderschönes Kapitel! ;-)
Ich bin sch
Antwort von:  Crazy-Butler
15.02.2017 22:18
... Schon gespannt wie es weiter geht. 😂😅
Von:  McTachi
2017-02-15T20:49:25+00:00 15.02.2017 21:49
Schönes Kapitel und was für eine Wendung am Ende :D

Bin gespannt wie es weiter geht.
Liebe Grüße,
McTachi


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