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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Die erste Nacht

„Und hier“, sagte William und Carina, mittlerweile sichtbar genervt, unterschrieb zum dritten Mal auf einem der Papiere. Hier war die Bürokratie ja noch schlimmer, als in den Behörden im Jahr 2015. Vielleicht lag es aber auch einfach nur an Will.
 

„Und du bist dir da wirklich sicher?“, fragte Grell mit einem lockeren Grinsen auf den Lippen und verschränkten Armen. „Die Ausbildung zum Seelensammler ist kein Zuckerschlecken. Du wärst nicht die Erste, die daran scheitern würde. Also denk lieber noch mal drüber nach, jetzt kannst du dich noch um entscheiden.“ Carina schnaubte. „Wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, dann ziehe ich das auch durch. Außerdem kann man nie wissen ob etwas klappt, bevor man es nicht selbst probiert hat.“ „Deine Einstellung gefällt mir“, sagte Grell und entblößte dabei seine spitzen Zähne.
 

William rückte sich seine Brille auf der Nase zurecht. „Dann trifft es sich ja gut, dass Sie ihr Mentor sein werden.“ Für einen Moment herrschte ungläubige Stille, Carina und Grell starrten den Schwarzhaarigen lediglich verwirrt an. Dann schien die Botschaft das Gehirn des Rothaarigen zu erreichen. „WAS?“, brüllte er so laut und schrill, das Carina die Ohren klingelten. „Wieso denn ich?“ „Hätten Sie damals im Unterricht besser aufgepasst, Sutcliff, dann wüssten Sie, dass immer derjenige, der den neuen Shinigami in unsere Welt überführt, auch dessen Mentor wird. Deswegen hätte ich auch einen anderen Shinigami für diese Nacht entsandt, wenn ich denn gewusst hätte, dass wir heute einen neuen Rekruten bekommen. Sie wären da meine letzte Wahl gewesen.“ „Oh William, warum bist du immer so gemein zu mir?“, quengelte Grell, woraufhin Carina die Augen verdrehte. Wie konnte man nur so in jemanden vernarrt sein, der einem noch weniger als die kalte Schulter zeigte? Und der alle 10 Sekunden seine Brille zurechtrückte?
 

„Nun denn, bringen Sie sie bitte in das Wohnheim für die Anwärter, Sutcliff. Denn ich für meinen Teil habe bereits genug zu erledigen und werde ganz sicherlich keine Überstunden machen.“ Seufzend deutete Grell Carina an ihm zu folgen und gemeinsam verließen sie das Büro. Die ganze Zeit sagte Grell kein Wort. Nicht, während sie das Gebäude verließen. Nicht, während sie einige Straßen entlang gingen. Nicht einmal, als er aus Versehen über einen der Pflastersteine stolperte. Die Stille war Carina unangenehm und langsam aber sicher bekam sie ein schlechtes Gewissen. Irgendwie konnte sie den Rothaarigen verstehen. Er konnte ja nichts dafür, dass sie nun ein Shinigami war und trotzdem war sie ihm aufs Auge gedrückt worden.
 

Nach ca. 15 Minuten Fußmarsch blieben sie vor einem weiteren Gebäude stehen. Im Gegensatz zum Institut hatte dieses hier nicht so viele Stockwerke. Dafür war es wesentlich breiter und länger. Die Außenwände waren dunkelbraun gestrichen und die Fenster mit weißen Rahmen bestückt, es hatte ein Flachdach und sah an sich recht in Ordnung aus. „Mal sehen“, murmelte Grell und schaute auf das Stück Papier, dass William ihm zuvor in die Hand gedrückt hatte. „Dein Zimmer ist im zweiten Stock, also genau in der Mitte.“ Er ging weiterhin vorne weg, während Carina kurz die recht kleine Eingangshalle musterte. Hier gab es nicht einen Gegenstand, es war also nur der Raum, der zu den Treppen führte. Schnell kamen sie im zweiten Stockwerk an. Es war ein sehr langer Flur, auf beiden Seiten befanden sich alle paar Meter schlichte, dunkelbraune Türen.
 

„Sieht nicht sehr einladend aus“, dachte Carina, während Grell einen Schlüssel zog und eine der Türen aufschloss. „So, das wird bis auf weiteres dein neues Reich. Wenn du deinen Abschluss machst, dann kannst du aus diesem schrecklich altmodischen Loch raus. Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche.“ Die Blondine schaute sich interessiert um. So schlimm, wie Grell es darstellte, war das Zimmer nicht. Von der Tür aus gesehen links stand ein großer, grauer Kleiderschrank und daneben ein aufstellbarer Spiegel, den man in ihrer Zeit wohl in keinem Schlafzimmer mehr finden würde. Genau gegenüber davon, in der rechten Ecke des Zimmers stand ein Bett, bezogen mit einer braunen Decke und zwei Kissen. Ein paar Meter weiter befand sich ein sehr kleiner Tisch mit einem Holzstuhl. Auf dem Tisch selbst stand lediglich eine kleine Lampe und eine Box mit Schreibutensilien, was Carina vermuten ließ, dass der Tisch weniger zum Essen, als viel mehr zum Arbeiten gedacht war. Als sie ihren Blick noch weiter nach rechts schwenken ließ, erblickte sie eine weitere braune Tür. Vermutlich führte diese in ein angrenzendes Badezimmer. Natürlich hatte Grell Recht. Das Zimmer war nicht gerade sehr modern, aber das Nötigste war da und Carina war froh darüber, dass sie es nun hatte.
 

„Gut, dann kann ich ja jetzt gehen. Ich hole dich morgen früh ab und erkläre dir dann den Rest. Oh man, hätte ich doch nur vorher gewusst, worauf ich mich da einlasse“, endete er melodramatisch und schaute seinen Schützling an. Sie wirkte ziemlich verloren, wie sie da so stumm und ratlos in der Mitte des Raumes stand. Ein wenig Mitleid wallte in ihm auf. Alle Shinigami hatten es am Anfang schwer. Und das nicht ohne Grund. „Kopf hoch“, sagte er, woraufhin die 16-Jährige ihn zuerst irritiert, dann mit einem kleinen Lächeln ansah. „Danke“, murmelte sie und Grell räusperte sich verlegen.
 

Die hohen Absätze seiner Schuhe klackerten auf dem Boden, als er auf die Tür zuschritt. „Ach ja“, sagte er, während seine Hand die Klinke runterdrückte und sich die Tür mit einem leisen Knarzen öffnete. „Nimm dir die Geräusche nachts nicht so zu Herzen. Die werden leiser mit der Zeit.“ Bevor Carina ihn fragen konnte, was er mit dieser doch recht verwirrenden Aussage gemeint hatte, war der Rothaarige bereits aus dem Zimmer geschritten und hatte die Tür hinter sich geschlossen.
 

Eine unangenehme Stille breitete sich plötzlich um sie herum aus. Es war das erste Mal, dass sie alleine war, nachdem sie sich… „Nicht drüber nachdenken. Nicht drüber nachdenken“, murmelte sie und setzte sich langsam in Bewegung. Vor dem Spiegel blieb sie stehen. Tatsächlich, ihre Augen waren nun ebenfalls gelbgrün und leuchteten ihr in der Dunkelheit entgegen. Es war ein äußerst ungewohnter Anblick, hatte sie doch 16 Jahre lang immer nur in blaue Seelenspiegel geblickt.
 

Zögerlich zog sie sich nun ihre Stiefel aus, anschließend das zerrissene Kleid. Ein zittriger Seufzer entfuhr ihr, als sie erneut in den Spiegel schaute. Eine Narbe – blassrosa und schätzungsweise ca. 10 Zentimeter lang – zierte ihre Brust. Sie begann mittig auf ihrem Dekolleté und zog sich dann schräg runter zu ihrer linken Brust. Vorsichtig fuhr sie die doch recht gerade Linie mit dem Daumen ihrer rechten Hand nach und zuckte innerlich zusammen, als sie fühlte wie deutlich sich die Narbe von ihrer gesunden Haut abhob. Nun, aber was wunderte sie sich überhaupt? Sie hatte sich ein verdammtes Messer in die Brust gerammt und anschließend wieder hinausgezogen. Natürlich kam man da nicht mit einem kleinen Kratzer davon. Dummerweise hatte sie in dem besagten Moment nicht darüber nachgedacht, da sie angenommen hatte ohnehin zu sterben. „Tja, soviel dazu“, murmelte sie und öffnete nun die Schranktüren.
 

„Was zum…“, murmelte sie und schaute überrascht in den Schrank hinein, der mit nichts weiter gefüllt war, als mit weißen Blusen und schwarzen Anzügen samt schwarzer Krawatten. „Wie zum Teufel konnten die so schnell die Kleidung hierher bringen? Und dann auch noch in genauer meiner Größe. Dieser William ist mir mit seiner Perfektion fast schon ein wenig unheimlich. Aber wenigstens kann ich jetzt wieder Hosen tragen. Der einzige Vorteil an der ganzen Sache.“ Seufzend zog sie sich eine der Blusen über und ging in das angrenzende Bad. Es war ziemlich eng und beinhaltete lediglich eine Dusche, ein kleines Waschbecken, die Toilette und einen ziemlich altmodischen Kühlschrank, der der Blondine gerade einmal bis zu den Oberschenkeln reichte. Carina war zu müde zum Duschen, also begnügte sie sich damit ans Waschbecken zu gehen und sich ein wenig Wasser ins Gesicht zu klatschen. Neugierig öffnete sie den Kühlschrank und sah, dass dieser nur Getränke enthielt. Erst jetzt fiel ihr auf, wie durstig sie eigentlich war. Sie nahm sich ein Wasser und trank es in nur wenigen, aber dafür schnellen Zügen leer. Es schien eine halbe Ewigkeit her zu sein, dass sie zuletzt etwas getrunken hatte. „Aber anscheinend müssen Shinigami genauso Essen und Trinken wie Menschen. Ich muss unbedingt Grell danach fragen“, murmelte sie und erhob sich.
 

Zurück in ihrem eigentlichen Zimmer ließ sie sich auf das Bett sinken. Die Bettdecke kratzte ein wenig, aber die Matratze war angenehm weich und das Mädchen ließ sich ohne zu zögern hinein sinken. Carina war müde und schloss die Augen. Es wirkte alles so bizarr. Vor wenigen Stunden war doch noch alles in Ordnung gewesen. Nun ja, bis auf die Tatsache, dass sie in der falschen Zeit war und der Undertaker sie gegen ihren Willen hatte küssen wollen. „Was er wohl denken wird, was mit mir passiert ist?“, dachte sie und öffnete ihre Augen wieder, nur um anschließend an die Decke zu starren. Das Einzige, was sie zurückgelassen hatte, waren die riesigen Blutflecken, die nun den Boden in der Gasse zierten. Aber das war nichts Ungewöhnliches. Mindestens die Hälfte aller Straßen in London wurden durch Dreck, Urin oder Blut verunstaltet.
 

„Wer weiß, vielleicht ist es ihm auch einfach egal. Schlussendlich war ich ja nur eine Last für ihn. Ein kleines, schwaches Anhängsel.“ Der Gedanke deprimierte sie. Mehr, als sie zugeben wollte. Und ständig musste sie an ihr letztes, gemeinsames Gespräch denken. „Ich bin nicht schwach.“ „Doch, das bist du.“ „Wenn ich streng genommen nicht schon tot wäre, dann würde ich mich darüber tot ärgern. Wenigstens kann er mir nicht mehr auf die Nase binden, dass er Recht hatte“, murmelte sie und drehte sich auf die Seite. Gerade, als sie endlich begann langsam einzudösen, ertönte ein lautes Geräusch. Erschrocken setzte sich die 16-Jährige im Bett auf und lauschte. Was zur Hölle…
 

Und da ertönte es wieder. Ein Schrei. Ein langgezogener Schrei, der Carina das Blut in den Adern gefrieren ließ. Und dann kamen neue Schreie hinzu. Über ihr, unter ihr, von links und rechts…Die Laute ertönten aus allen Richtungen. Carina wurde schlecht, als sie an Grells vorherige Worte dachte und nun eins und eins zusammenzählte. Alle Shinigami, die hier untergebracht waren, waren Neulinge. Ihr Selbstmord konnte daher noch nicht allzu lang her sein…
 

Carina wurde übel. Sie wollte diese Schreie nicht hören. Sie wollte nicht daran denken, was all diesen Menschen widerfahren sein musste und erst recht nicht wollte sie darüber nachdenken, was ihr vor wenigen Stunden widerfahren war. Rasch zog sie sich die Decke über den Kopf, machte sich darunter ganz klein und blieb in Embryo-Stellung liegen. Sie presste sich die Hände so fest auf die Ohren, dass sie die Schreie nicht mehr hören konnte. „Schlaf endlich. Schlaf doch endlich ein“, betete sie stumm ihren eigenen Körper an.
 

Dieser erfüllte ihr ihren Wunsch allerdings erst eine geschlagene Stunde später.
 

Was vielleicht auch daran liegen mochte, dass sie sich insgeheim die Frage stellte, ob sie auch so schreien würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Fullmoon1
2016-04-17T09:20:15+00:00 17.04.2016 11:20
Super Kapitel
Schreib bitte schnell weiter


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