Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 7: Fragen über Fragen ----------------------------- Carina rührte sich nicht. Obwohl ihr bewusst war, dass drei Augenpaare sie vollkommen fixierten, konnte sie nicht einmal den kleinen Finger rühren. Ihre Gedanken hingegen bewegten sich nicht nur; sie rasten. „Er hat mich damals vor dem Auto gerettet. Es war eindeutig seine Stimme, die ich gehört habe. Er ist ein Dämon, also wäre es theoretisch möglich, dass er in meiner Zeit noch am Leben ist. Aber warum? Warum sollte er mich retten? Und kann es ein Zufall gewesen sein, dass er genau zu der Zeit dort war? Kann es ein Zufall sein, dass ich ausgerechnet hierhin verschlagen wurde? Nein, nie im Leben kann das alles zufällig passiert sein.“ Aber wie konnte er in ihrer Welt überhaupt existieren? Er war doch eine Mangafigur…oder etwa nicht? Die Frage des Undertakers holte sie schlagartig wieder in die Gegenwart zurück. Äh, die Gegenwart in der Vergangenheit. „Ist alles in Ordnung?“ Carina blinzelte und wandte endlich ihren Blick von Sebastian ab. „J-ja“, stammelte sie und kniete sich gleich darauf hin, um die Scherben des zerbrochenen Glases einzusammeln. „V-verzeihung.“ Ciel schien sie anscheinend als ungeschickte Bedienstete abzustempeln, denn er fuhr sofort fort und ließ sich nicht aus dem Takt bringen. „Ich brauche Informationen von dir, Undertaker“, sagte er in einer Tonlage, die in mehrere Jahre älter wirken ließ. Der Bestatter kicherte und beugte sich näher an den Jungen heran. „Ich weiß bereits, warum Ihr hier seit, Earl. Es geht um die Leiche des Mädchens, stimmt’s?“ Carina, die nun alle Scherben auf dem Boden aufgesammelt hatte, erstarrte kurz. Ciel nickte und der Undertaker grinste. „Nun, ihr wisst sicherlich noch von eurem ersten Besuch, welche Bezahlung ich bevorzuge.“ Der Adelige schloss genervt die Augen, Carina konnte sich das Wutkreuz beinahe bildlich bei ihm vorstellen. „Sebastian“, murmelte er genervt und der Butler verneigte sich leicht. „Wenn alle anderen Anwesenden bitte den Raum verlassen würden“, sagte er lächelnd. Während Ciel vor die Tür trat, ging Carina ins Hinterzimmer und räumte die Scherben weg. 10 Sekunden später ertönte das schallende Gelächter des Totengräbers. „Typisch“, murmelte die 16-Jährige, konnte ihre Neugierde aber nicht zurückhalten. Leise stellte sie sich hinter den Türrahmen in der Küche und konnte sogleich die Stimme von Ciel hören. „Du hast deinen Lohn bekommen. Nun rede.“ Das Gelächter verstummte allmählich und nun sprach wieder der Undertaker. „Sie ist jetzt schon das vierte Opfer. Jedenfalls liegt der Verdacht nahe, denn die anderen Drei wiesen die gleichen Verletzungen auf. Außerdem müssen es mindestens zwei Täter gewesen sein. Alle vier Frauen haben Blutergüsse an den Oberarmen und Handgelenken.“ „Sie wurden also festgehalten, damit sie sich nicht wehren konnten“, sagte Sebastian nachdenklich. „Sie haben einen sehr scharfsinnigen Butler, Earl Phantomhive“, lachte der Bestatter. Carina wurde leicht mulmig zumute und gegen ihren Willen stellte sie sich das Szenario vor. Wie zwei Männer der Frau in einer Gasse auflauerten. Wie einer von ihnen sie an den Handgelenken packte und zu Boden drückte, während der Andere das Kleid zerriss und ihre Beine auseinander drückte… „Sind dir irgendwelche Gemeinsamkeiten aufgefallen?“, fragte Ciel in diesem Moment und die 16-Jährige war froh, dass er ihre Gedanken unterbrach. „Keine der Frauen war älter als 20, aber das allein ist nichts ungewöhnliches Earl. Wenn ihr nach irgendwelchen Beweggründen sucht, dann muss ich Euch enttäuschen. Hier scheint es sich nur um niedere Triebe zu handeln.“ Ciel machte ein angewidertes Geräusch und dieser Laut spiegelte genau Carinas Gesichtsausdruck wieder. Sie war nie eine Befürworterin der Todesstrafe gewesen, aber Kastration konnte sie sich für solche Mistkerle durchaus vorstellen. Solche Monster sollten nie wieder die Möglichkeit haben einer Frau in irgendeiner Art und Weise weh zu tun. „Sebastian, wir gehen. Undertaker“, sagte der Junge und Carina stellte sich vor, wie er zum Abschied leicht den Kopf neigte. „Viel Erfolg bei der Suche, Earl Phantomhive“, kicherte der Undertaker und kurz darauf ertönte die Türglocke. Carina ließ von der Wand ab und wollte gerade die Treppe hochgehen, als die Stimme des Bestatters sie zusammenzucken ließ. „Es gehört sich nicht zu lauschen“, sagte er dicht hinter ihr. Sie drehte sich langsam um und schaute ihn an. Erleichtert stellte sie fest, dass er wie immer grinste. „Ihr wisst doch, ich bin ziemlich neugierig. Außerdem klang mir das nicht nach einem geheimen Gespräch“, gab sie als Antwort. „Der Earl beehrt mich seit seiner Ernennung öfters mit seinem Besuch. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich der erste Ansprechpartner für Dinge bin, die in der Unterwelt passieren.“ Carina hätte ihn nur zu gerne gefragt, woher er denn über solche Dinge so gut Bescheid wusste, aber sie blieb stumm. Vermutlich würde er es ihr sowieso nicht sagen. Möglicherweise war es einfach wirklich zu gefährlich, wenn sie zu viel wusste. Plötzlich ergriff der Undertaker ihre linke Hand und hielt sie sich vor das Gesicht. Seine Handinnenfläche war leicht rau, aber angenehm warm und fühlte sich auch genauso angenehm auf ihrer Haut an. Gegen ihren Willen wurde Carina rot und wusste im selben Moment nicht einmal warum. „Du hast dich geschnitten“, sagte der Bestatter und deutete auf ihren Zeigefinger. Verwundert wanderten nun auch die blauen Augen der 16-Jährigen zu ihrem Finger, auf dessen oberster Kuppe ein Schnitt zu sehen war, aus dem ein kleines Rinnsal Blut tropfte. „Oh“, meinte sie überrascht. „Das hab ich gar nicht bemerkt. Ist bestimmt passiert, als ich die Scherben aufgehoben habe.“ „Warte einen Moment“, sagte er, ließ ihre Hand los und öffnete eine der vielen Küchenschubladen. Eine Sekunde lang fühlte sich ihre Hand seltsam kalt an, doch sie ignorierte das Gefühl und fuhr langsam mit dem Daumen ihrer rechten Hand über die Schnittwunde. Sofort begann die Linie zu brennen wie Feuer. Der Schnitt sah vielleicht dünn aus, aber er schien tief zu sein. Typisch, was musste sie auch so ein Tollpatsch sein? Der Undertaker kam zurück, in seiner Hand hielt er ein feuchtes Tuch und etwas, was wie der Vorgänger eines Pflasters aussah. Nun errötete Carina doch. „Das ist doch nicht nötig. Es ist nur ein kleiner Schnitt, der wird mich nicht umbringen“, murmelte sie, woraufhin er von neuem grinste. „Vermutlich nicht, aber er könnte sich entzünden. Ich weiß nicht, wie es in deiner Zeit aussieht, aber hier haben wir medizinisch nur begrenzte Möglichkeiten.“ Carina schlug die Augen nieder. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Dass die Lebenserwartung in diesem Jahrhundert weitaus niedriger war, hatte schon seine Gründe. „Wie konnte das eigentlich passieren?“, fragte der Bestatter, während er sich der Wunde erneut widmete. Carina schaute ihn irritiert an. Sie hatte doch gerade bereits erwähnt, dass sie sich vermutlich an einer der Scherben geschnitten hatte. Der Undertaker lachte aufgrund ihres verwirrten Gesichtsausdrucks kurz auf. „Du hast den Earl und seinen Butler gesehen und daraufhin das Glas fallen lassen. Außerdem hast du ein Gesicht gemacht, als ob der Teufel hinter dir her wäre.“ „Könnte man so sagen“, dachte Carina. Jetzt musste sie sich aber eine gute Ausrede einfallen lassen. „Dieser Junge“, begann sie und schaute ihren Gegenüber dabei nicht an. „Irgendwie kam er mir seltsam vor. Sein Auftreten und dieser Blick…Er kam mir irgendwie unheimlich vor.“ Dass das alles nur auf Sebastian zutraf, verschwieg sie lieber. Der Undertaker kicherte. „Der Earl und unheimlich? Nun ja, auf Außenstehende mag das vielleicht so wirken. Er hat nur ein wenig zu viel Macht für sein Alter. Seit er im März zum Earl ernannt worden ist, stattet er mir regelmäßig Besuche ab. Das Oberhaupt der Familie Phantomhive ist schon seit vielen Generationen der Wachhund der Königin und sorgt dafür, dass die Unterwelt so funktioniert, wie die Majestät es möchte.“ Er sagte das Ganze ziemlich monoton, aber irgendetwas an seiner Stimme – vielleicht war es auch gerade die Gleichgültigkeit – ließ Carina erahnen, dass er die Königin nicht besonders mochte. „Ihr scheint die Königin nicht besonders zu mögen.“ Für einen ganz kurzen Moment schien er überrascht von ihrer Antwort zu sein. Dann breitete sich ein schmales Lächeln aus seinen Lippen aus und er klebte das Pflaster mit einem letzten Handgriff auf den Schnitt. „Scharfsinnig“, wiederholte er und stand auf. Carinas Augen folgten ihm, während er die Sachen wieder in den richtigen Schubladen verstaute. Die 16-Jährige konnte ihre Neugierde erneut nicht zügeln. „Hat Sie etwas getan, was Ihnen nicht gefallen hat?“ Bereits im nächsten Moment bereute sie die Frage. Der Undertaker hatte in seiner Bewegung inne gehalten und schaute sie nicht an. „Ich und meine große Klappe“, dachte Carina und biss sich auf die Lippe. Gerade, als sie ihm sagen wollte, dass er ihre Frage einfach vergessen sollte, öffnete er den Mund. „Ich habe etwas Wichtiges verloren und sie ist nicht ganz unschuldig daran.“ Ihre blauen Augen weiteten sich überrascht und obwohl sie wusste, dass sie ihn nun anstarrte konnte sie den Blick nicht abwenden. „Ich lerne gerade eine komplett neue Seite von ihm kennen“, schoss es ihr durch den Kopf. Die Seite von ihm, die nicht 24 Stunden am Tag nur grinste und lachte, sondern auch einmal komplett ernst war. „Irgendwie lässt ihn das in einem komplett anderen Licht erscheinen.“ Bevor sie sich noch mehr Gedanken machen konnte, tippte der Bestatter ihr mit einem seiner langen Fingernägel gegen die Stirn. „Manchmal würde ich zu gerne wissen, was so alles hinter deiner Stirn vor sich geht“, murmelte er, jetzt wieder mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Carina konnte nicht anders und grinste zurück. „Viel zu viel“, antwortete sie ehrlicherweise und brachte den Undertaker damit erneut zum Lachen. Erleichtert, dass die Lage sich wieder entspannt hatte, stand die 16-Jährige ebenfalls auf und stieg die Treppen zum ersten Stock hinauf. Schnell wusch sie ihre Kleidung und hängte sie zum Trocknen über die Badewanne auf, bevor sie schließlich in ihr Nachthemd schlüpfte und sich ins Bett legte. Aber an Schlafen war überhaupt nicht zu denken. Jetzt, wo es still um sie herum war, schossen ihr tausende von Gedanken immer wieder durch den Kopf. Vielleicht sollte sie diesen Sebastian einfach mal fragen… „Selbst wenn er es gewesen sein sollte, dann kann er das doch jetzt noch gar nicht wissen, du Dussel“, maßregelte sie sich selbst und seufzte schwer. Jetzt fiel ihr langsam wieder ein, warum sie Zeitreisefilme immer so gehasst hatte. „Darüber kann ich mir noch ewig den Kopf zerbrechen und es kommt trotzdem nichts dabei heraus. Vielleicht sollte ich es für heute einfach gut sein lassen.“ Es war kein anstrengender Tag gewesen, dennoch war sie todmüde. Die 16-Jährige schloss ihre Augen, versuchte gleichzeitig zu schlafen und nicht schon wieder an die Leiche des Mädchens zu denken. Und natürlich auch nicht an Sebastian. Dennoch dauerte es fast noch 2 Stunden, bis Carina endlich einschlief. Dabei hätte sie für das, was ihr in den nächsten 24 Stunden noch bevorstand, jede Sekunde Schlaf gebrauchen können… Hosted by Animexx e.V. 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