Touching Tomorrow von Varlet ================================================================================ Kapitel 20: 20.12. ------------------ Kurz nach Mitternacht schlief Jodie ein. Ihr Kopf lehnte an der Fensterscheibe von Shus Wagen. Sie atmete ruhig. Aus dem Augenwinkel sah Shuichi zu ihr. Er lächelte leicht, wandte sich dann aber wieder nach vorne. Er blickte in den Rückspiegel. Camel gähnte und kämpfte gegen die Müdigkeit an, was auch nicht verwerflich war. Camels Schicht begann bereits um 9 Uhr morgens und dauerte über zehn Stunden. Nun saß er immer noch bei ihnen, suchte nach Indizien und wollte für Jodie da sein. „Schläft sie?“, wollte er leise wissen. Shuichi nickte. „Wurde auch Zeit“, gab er von sich. Er hatte schon lange bemerkt, dass Jodie keine Energie mehr hatte. Ihre Augenringe sprachen dafür. Trotzdem wollte sie unbedingt helfen. Shuichi wusste aber, dass es nur die halbe Wahrheit war. Jodie wollte nicht zu Hause sein. Nicht alleine, wie in der Haft. Sie brauchte jemanden, der nun an ihrer Seite war und bei dem sie sich geborgen fühlte. Und er erlaubte es ihr. Zumindest für den Augenblick. Shuichi verschränkte die Arme. Er durfte das Ziel dieser Mission nicht aus dem Auge lassen. Er konnte sich nicht rund um die Uhr um Jodie kümmern. Nicht einmal dann, wenn sie in den letzten Tagen die Hölle auf Erden erlebte. Jetzt gab es etwas Wichtigeres. Sie mussten schnell weiter kommen ehe wieder Beweise auftauchten, die Jodies Schuld untermauerten und sie zurück in die Haft schickten. Camel lächelte leicht. „Das war eine harte Zeit für sie.“ „Ich weiß“, sagte Shuichi. „Als ich sie vorhin im Wagen sah, wirkte sie so zerbrechlich. Verletzlich. Ich versuche mir die ganze Zeit vorzustellen, wie es für sie gewesen sein muss.“ Shuichi blickte zum Haus. „Stell dir einen kleinen Raum vor. Du hast nur ein Bett, einen Tisch und eine Toilette. Wenn du Glück hast noch ein Waschbecken und einen Wasserhahn. Du sitzt von morgens bis abends in diesem einen Raum und bekommst alle acht Stunden etwas zu Essen. Das Bett ist hart, quietscht möglicherweise bei jeder deiner Bewegung. Du kannst nicht schlafen und starrst immer wieder die kahlen Wände an. Für manche Insassen ist das Gefängnis die reinste Isolation. Es gibt täglich einen Ausgang auf den Gefängnishof der in Anspruch genommen werden kann. Jodie entschied sich dagegen. Sie dachte an ihre Zukunft und verbrachte die letzten Tage vollkommen alleine.“ Camel sah ihn überrascht an. „Wieso ist sie nicht auf den Hof gegangen?“ „Sie hatte unter anderem Sorge, dass die Organisation jemanden geschickt hat, der Ärger macht. Hätte sich Jodie gewehrt und wäre dabei was passiert, hätte das Auswirkungen auf ihre mögliche Haftstrafe.“ „Oh“, murmelte Camel leise. „Arme Jodie…“ „Mach dir keine Sorgen um sie. Sie schafft das schon.“ Akai sah wieder zu Jodie. „Sie braucht nur ein wenig Zeit.“ Camel nickte. „Ich bin für sie da.“ Ich auch. „Was ist mit dir? Wenn du schlafen willst, tu das. Ich habe lieber einen ausgeschlafenen Agenten hier als einen der so müde ist, dass er im äußersten Notfall einen Fehler macht.“ „Nein“, antwortete Camel sofort. „Ich halte die Augen weiterhin offen. Nach meiner morgigen Tagesschicht fahre ich nach Hause. Und du verbietest Jodie, dass sie mit mir beobachtet. Das ist zu gefährlich für sie.“ Akai schmunzelte. „Als ob Jodie darauf hören würde. Was ist mit morgen früh? Bist du wirklich in der Lage mit abzulösen.“ „Das bin ich.“ Er schluckte. „Ich habe schon weitaus weniger geschlafen.“ Akai schüttelte den Kopf. „Schlaf. Ich wecke dich, wenn es irgendwas gibt und ich dich wach brauche.“ „Aber…“ „Keine Widerworte. Ansonsten muss ich Jodie davon erzählen. Und sie wird dich sicher nicht so sanft dran nehmen wie ich.“ „Äh“, Camel wurde leicht verlegen. „Lieber nicht. Ich glaube, sie würde das nicht so eng sehen, da sie sich immer noch die Schuld für meine Schusswunde gibt.“ „Ich weiß“, sprach Akai. „Aber keine konnte ahnen, dass ihr in einen Hinterhalt geratet und sie euch über den Haufen schießen.“ „Das ist mir bewusst, aber sag das mal Jodie.“ „Sie kann manchmal ganz schön stur sein.“ Akai lächelte dabei. „Und was denkst du über die Schusswunde?“ „Naja…“ Camel sah nach vorne. „Jodie kann wirklich nichts dafür. Sie sind von hinten gekommen. Aber es ärgert mich natürlich, dass sie angeschossen wurde.“ „Wirklich interessant“, murmelte Shu. „Sie gibt sich die Schuld, dass du angeschossen wurdest und du gibst dir die Schuld, dass sie angeschossen wurde.“ „So ist das eben. Wir sollten aufeinander aufpassen, haben aber versagt.“ „Wie mans nimmt…“ „Ich weiß, was du mir sagen willst. Es hatte keiner Schuld daran. Und das sage ich ja auch andauernd. Aber was ich sage und was ich fühle ist unterschiedlich. Jodie soll einfach nur aufhören sich Gedanken deswegen zu machen. Sie hat auch Angst, was das FBI dazu sagt. Sie glaubt, sie wird nun von euch allen beobachtet. So als würdet ihr nur darauf warten, dass sie einen Fehler macht.“ Camel seufzte. „Sie hat Angst, dass du und Black sie für untauglich haltet und sie wieder zurück in die Staaten soll.“ „Ich weiß.“ Shuichi blickte in den Rückspiegel. „Genug geredet. Es ist zwei Uhr nachts. Wenn du mir bei diesem Fall weiterhin helfen willst, ruh dich aus und schlaf eine Weile.“ *** Shuichi gähnte. So langsam wurde auch er müde. Er warf einen Blick auf die Uhr. 6:45 Uhr Er hätte sich eine Kanne Kaffee mitnehmen sollen oder irgendwas anderes. Aus dem Augenwinkel sah der Agent zu Jodie. Sie schlief weiterhin. Das Gesicht hatte sie in seiner Jacke fast vollständig vergraben. Da der Motor seines Wagens nicht lief und folglich die Kälte einsetzte, deckte er Jodie mit seiner Jacke zu. Seine eigene Gesundheit war ihm nicht so wichtig, zumal es auch lange dauerte, bis er sich eine Erkältung zuzog. Sollte sie kommen. Er würde sie bekämpfen. Aber Jodie wollte er eine Infektion nicht auch noch zumuten. Dafür hatte sie bereits zu viel durchgemacht. Shuichi sah wieder zum Haus. Der Bewegungsmelder ging an. Adrenalin strömte sofort durch seinen Körper. Er wurde wacher und beugte sich nach vorne. Eine Person mit langem Mantel, Hut auf dem Kopf und einer Sonnenbrille auf dem Gesicht ging auf das Gebäude zu. Akai zog das Fernglas aus dem Handschuhfach heraus und spähte hindurch. Es war ihm kaum möglich mehr zu erkennen. Die Umrisse hatten aber genug gesagt. Sein Gefühl kannte die Wahrheit. Sie war es. Shuichi drehte sich nach hinten um. Er sah zu Camel und stieß ihn an. „Was…?“ „Scht!“ Er hatte den Finger auf den Mund gelegt. „Sie ist da“, flüsterte er. Camel wurde mit einem Mal wacher. Er setzte sich abrupt auf und sah zum Haus. Er konnte kaum etwas erkennen. „Ich geh nachsehen“, sprach Shu. „Du bleibst hier und passt auf Jodie auf. Wenn sie wach wird und wissen will, wo ich bin, denk dir irgendwas aus.“ Shuichi öffnete die Fahrertür und stieg aus. Nur ganz leicht stieß er die Tür zu. Shuichi blickte sich um und schlich sich dann an das Haus heran. Wieder ging der – kurz vorher ausgegangene – Bewegungsmelder an. In sicherem Abstand versuchte er in eines der Fenster zu sehen. Das Licht blieb ausgeschaltet. Sie ist es. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Nur eine Person die sich auskannte, benötigte kein Licht um sich im Inneren des Gebäudes auszukennen. Shuichi hörte ein Rascheln. Ein Ast zerbrach. Aus dem Augenwinkel sah Akai zur Seite. „ich sagte doch, du sollst im Wagen bleiben“, zischte er. „Das ging nicht…“, murmelte Camel. Er ging in die Hocke. „Jodie…“ Shuichi sah zu der Agentin. „Geh zurück in den Wagen.“ „Nein!“, kam es sogleich vehement von Jodie. Auch sie kniete sich herunter. „Wenn es Sayaka Shibungi ist, möchte ich mit ihr reden und die Wahrheit wissen.“ Sie zog ihr Handy aus der Tasche. „Wir rufen die Polizei.“ Akai nahm ihr das Handy aus der Hand. „Camel ruft von seinem Handy an.“ „Ich?“ „Natürlich du. Wenn Jodie anruft wirkt er möglicherweise sehr verdächtig. Wir werden es auf der Zielgeraden nicht vermasseln.“ Camel nickte und tat, was ihm aufgetragen wurde. Shuichi sah nach oben. Das Licht im Arbeitszimmer ging an. Er verengte die Augen. Sie mussten schnell machen. Die Polizei brauchte 20 Minuten. Sie fuhren ohne Blaulicht vor. Inspektor Takagi stieg aus seinem Wagen. Er sah sich um. Shuichi stand auf und ging zum Inspektor. „Was geht hier vor?“, wollte Takagi wissen. „Sie rufen mitten in der Nacht auf meinem Diensttelefon an und bestellen mich mit einem Aufgebot an Polizisten her.“ „Wir vermuten, dass Sayaka Shibungi im Haus ist“, antwortete Akai. „Was? Wirklich? War sie verletzt?“ „Wissen wir nicht.“ Takagi sah ihn irritiert. „Haben Sie sie nicht gesehen?“ „Nicht direkt. Sie war vermummt. Alles weist darauf hin, dass nur sie es sein kann“, fing Akai an. „Das Licht ging erst an, als sie das Arbeitszimmer betrat. Und wer außer Sayaka würde sich in dem Haus auskennen?“ Takagi überlegte kurz, nickte dann aber. „Wir gehen rein.“ Er sah zu zwei Polizisten. „Sie kommen mit mir.“ Dann sah er zu den anderen. „Sie sichern hier draußen alles und beobachten Sie alle Fenster sowie die Terassentür.“ „Ja“, kam es synchron. Der Inspektor sah zu Akai. „Sie werden sicher mit rein gehen.“ „Natürlich.“ Shuichi sah zu Jodie. „Du bleibst hier.“ „Du weißt, dass ich das nicht tue.“ Takagi ging zur Haustür und sah auf den Türknauf. „Ein Ersatzschlüssel steckt oben im Blumentopf in der Erde.“ „Eh? Danke“, murmelte er und holte den Schlüssel. Leise öffnete Takagi die Tür und ging rein. Sayaka strich behutsam über das Foto auf dem Schreibtisch. Es zeigte sie und Sota direkt nach der Hochzeit. Obwohl sie lächelte und manche dies als Strahlen auslegten, war sie todunglücklich. Sie heiratete einen Mann den sie nicht liebte. Damals noch nicht. Das Blatt hatte sich gewendet. Sota trug sie auf Händen. Blumen. Frühstück am Bett. Er vergötterte sie. Sie konnte sich viel schneller auf ihn einlassen. Und jetzt liebte sie ihn aus vollem Herzen. Sie hasste sich selber. Hasste das Monster, das die Organisation aus ihr machte. Sie brachte allen Menschen Unglück. Jeder der sie liebte und jeden den sie liebte, ereilte ein grauenvolles Schicksal. Es tut mir so leid, Sota. Sayaka zog ein Buch aus ihrer Tasche. Sie legte es auf den Tisch und blickte einen Moment gedankenversunken darauf. „Verzeih mir“, kam es leise von ihr. Sie atmete tief durch und verließ den Raum. Obwohl sie verschwinden sollte, zog es sie ins Schlafzimmer. Leise schlich sie rein. Sie wollte ihn ein letztes Mal sehen. Nur noch einmal berühren. Ein letzter Kuss. Sayaka öffnete die Tür. Sie ließ sie auf und ging an das Bett ihres Mannes. Ihr gemeinsames Bett. Bei den Erinnerungen lächelte sie. Langsam strich sie Sota über das Gesicht. „Es tut mir so leid“, wisperte sie leise. „Ich hatte keine andere Wahl. Ich verlange nicht, dass du mich verstehst.“ Es tat gut sich alles von der Seele zu sprechen. Wie auf Kommando öffnete Sota seine Augen. „Sayaka“, sagte er leise. „Was ist passiert?“ Er setzte sich auf. „Bitte, sprich mit mir. Ich kann dir helfen. Bedroht dich jemand?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte das alles nicht“, antwortete sie. „Bitte, du…du musst mir verzeihen.“ „Natürlich.“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Ich verzeih dir. Was ist passiert, Sayaka?“ „Ich hab…ich musste dich heiraten…wegen dem Geld…es tut mir so leid…ich liebe dich wirklich. Das musst du mir glauben. Sota, ich…“ Ihr rannen die Tränen über die Wange. Der Geschäftsmann schluckte. Sie hatte ihn nicht geliebt und trotzdem geheiratet. Es tat weh. „Ich liebe dich, Sota.“ Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss. „Aber ich muss jetzt gehen. In deinem Arbeitszimmer findest du ein Buch von mir. Es steht alles drin. Danach kannst du mich vielleicht ein klein wenig verstehen.“ „Geh nicht“, bat er leise. „Ich muss. Ich kann nicht bleiben. Du bist sonst in Gefahr. Und wenn ich geh…passiert dir nichts.“ Sie löste sich von ihm. Takagi stürmte in den Raum. „Polizei. Hände nach oben sodass ich sie sehen kann“, rief er. Sayaka sah ihn schockiert an. Mit einem Ruck hievte sie sich vom Bett und wich nach hinten. „Gehen Sie…“, meinte sie. „Hören Sie, Sayaka, was immer auch passiert ist, wir helfen Ihnen. Sie können uns vertrauen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein…das kann ich nicht…“, murmelte sie. „Ich kann niemanden Vertrauen. Ich werde sterbe.“ „Das stimmt nicht, Sayaka. Schauen Sie sich doch immer. Sie haben einen Ehemann der sie liebt und der alles für Sie tun würde. Werfen Sie ihr Leben nicht einfach so weg. Reden Sie mit uns. Wir haben Mittel und Wege um Sie zu schützen.“ Dennoch hielt Takagi seine Waffe auf die Frau gerichtet. „Es wird alles wieder gut.“ Shuichi kam in den Raum. Camel und Jodie folgten ihm. „Es tut mir leid“, wisperte sie. „ich…ich…es wird nie aufhören“ Sie sah zu Jodie und schluckte. Sayaka griff in ihre Tasche und zog ein Klappmesser heraus. „Sayaka, wenn Sie der Polizei nicht vertrauen wollen, dann vertrauen wir uns.“ Akai sah sie eindringlich an. „Wir sind vom FBI. Wir können Sie in die Staaten bringen.“ „FBI?“, wiederholte sie leise. „Waffe fallen lassen“, rief Takagi. „Machen Sie keinen Unsinn.“ „Sayaka“, kam es leise von Sota. „Was tust du…?“ „Ich sage es nicht noch einmal: Waffe fallen lassen.“ Takagi hasst es. Er wollte nicht schießen. Aber wenn es nicht anders ging, musste er. Takagi zögerte. Kurz darauf fiel die erste Kugel. Sie streifte Sayakas Arm. Es reichte allerdings aus damit die Frau das Messer auf den Boden fallen ließ. Takagi blickte sich um. „Wer…“ Er fixierte Akai. „Wieso haben Sie geschossen?“, zischte er. „Weil Sie nur rumstanden“, gab der Agent von sich. Er sah zu Sayaka. „Sie kommen jetzt mit uns und erzählen uns die ganze Wahrheit.“ „Ich…ich kann nicht.“ „Ich biete es Ihnen nicht noch einmal an. Sie haben für ziemlich viel Aufruhr gesorgt und meine Geduld neigt sich nun dem Ende entgegen.“ „Sie werden mich nicht erschießen“, sagte sie. „Dafür bin ich zu wertvoll. Sie wollen mich lebend.“ Sayaka blickte wieder zu Jodie. „Sie gehören zum FBI?“ Jodie nickte. „Das wusste ich nicht…ich dachte Sie sind da…um sich um mich…zu kümmern…“, sprach sie leise. „Ich…ich werde paranoid…“ Ein weiterer Schuss fiel. Sayaka stand überrumpelt da. Ihre Beine gaben nach. Ein roter Fleck – frisches Blut – verteilte sich auf ihrem Mantel. Sie fiel nach vorne. „Agent Akai!“, raunte Takagi. Missmutig sah er zu dem Agenten, der allerdings Jodie aus der Tür schob. „Runter. Schusswechsel von draußen.“ Shuichi suchte das Fenster nach einem Einschussloch ab. Die Gefahr weitere Personen zu verletzen war groß. Er knurrte. „Rufen Sie einen Krankenwagen. Sofort!“ Shuichi drückte sich an die Wand. Er folgte ihr bis zum Fenster. Vorsichtig spähte er heraus und zog den Kopf wieder zurück als das nächste Projektil herein kam. „Verdammt. Wer ist das?“, wollte Takagi wissen. „Rückzug. Wir müssen das Gebäude sichern.“ Die Organisation. Korn und Chianti. „Sayaka!“ Sota kroch aus dem Bett und eilte zu seiner Frau. „Shibungi weg.“ Akai sah zu Camel. „Licht aus, sofort.“ Camel nickte und betätigte den Schalter. Sie waren von Dunkelheit umgeben. Shuichi brauchte eine Weile um sich daran zu gewöhnen. Ein Kampf mit der Organisation war jetzt nicht machbar. Er betätigte den Knopf am Fenster. Die Aluminium-Rolle an der Außenseite fuhr herunter. Shu wusste, hätte Sota dieses vorher schon aktiviert, wäre der Schütze nie und nimmer in der Lage gewesen Sayaka zu treffen. Langsam schritt er an der Wand entlang. „Sayaka…“ Sota schluchzte. „Bitte…halte durch. Sayaka liebes…“ Akai schaltete das Licht wieder an. „Wir sind sicher“, sprach er ruhig und sah zu Takagi. „Sichern Sie trotzdem das Gebäude.“ Takagi nickte. Mitleidig sah er zu dem Ehepaar. „Sayaka…bitte rede mit mir…sag was…Sayaka…“ „So…ta…ich…ich…liebe…“ „Ich liebe dich auch“, sprach er. „Du musst dich ausruhen. Du darfst aber nicht einschlafen. Hörst du mich? Du darfst nicht sterben…lass mich nicht alleine. Ich verzeih dir alles…bleib bei mir.“ „…liebe…dich…“ Sie schloss die Augen. „Nein…Sayaka…nein…“ Sota schüttelte sie. „Mach die Augen auf…mach sie auf…mach deine Augen auf!“, schrie er die Worte nur so heraus. „Bitte…“, flüsterte er. Akai hielt Jodie am Arm fest. Er sah sie an und schüttelte den Kopf. Zwei Stunden später trat der Leichenbestatter ein. Er und sein Kollege hievten Sayaka auf die Bahre und brachten sie in ihren Wagen. „Ich benötige den Autopsiebericht.“ „Bekommen Sie“, nickte der Mann. Takagi drehte sich zu Sota um. Sota saß wie ein Häufchen Elend auf dem Bett. Er war blass und apathisch. „Was mit Ihrer Frau passiert ist, tut mir leid“, sprach er. Shibungi antwortete nicht. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun werden um den Todesschützen zu bekommen.“ Sota nickte. „Ich kann nicht glauben, dass Sayaka…das Sayaka…Sayaka…“, er schluckte und begann zu weinen. Auch Takagi schluckte. „Mein aufrichtiges Beileid.“ Sota stand auf. Er schleppte sich in sein Arbeitszimmer und ließ sich auf dem Stuhl neben seinem Tisch fallen. „Sayaka…“ Er strich über das Tagebuch und stellte sich vor, dass es auch ihre Geste war. Er wollte sich ihr verbunden fühlen. „Meine Sayaka.“ Jodie sah ihm nach. Sie seufzte. „Er tut mir so leid“, murmelte sie leise. Shuichi verschränkte die Arme und sah zu Takagi. „Das FBI hat damit nichts zu tun.“ „Sind Sie sich sicher?“ „Natürlich. Wir haben keinen Scharfschützen hier der es auf Frau Shibungi abgesehen hat“, antwortete Shu. „Wo ist Shibungi hin?“ „In sein Arbeitszimmer“, kam es von einem Polizisten. Shu sah zu Jodie. „Halt dich vom Fenster fern.“ „Shu…“, sprach sie leise. „Ich bin vorsichtig.“ Shuichi wechselte den Raum. Er blieb im Türrahmen des Arbeitszimmers stehen. Sota sah zu ihm hoch. „Sie hat mir…ihr Tagebuch überlassen…“ Shuichi verengte die Augen. Ein Tagebuch war gut, auch wenn die Einträge kaum der Wahrheit entsprechen würden. „Sie werden es der Polizei überlassen müssen.“ „Es…sie wollte dass ich es bekomme…“, wisperte er. „Ich weiß. Aber die Polizei braucht es um den Fall abzuschließen und eine mögliche Verbindung zwischen dem Schützen und Ihrer Frau herzustellen.“ Sota schüttelte den Kopf. „Ich war das Ziel.“ „Herr Shibungi…“ „Ich war das Ziel“, wiederholte der Mann. „Ich habe eine Firma. Sayaka hat keiner Person je etwas getan. Der Schütze wollte mich.“ Sota schlug das Tagebuch auf. Er blätterte bis zum Ende. Die letzte Seite. Sayakas letzte Worte. Und sie waren an ihn gerichtet. Lieber Sota, nachdem du nun alles gelesen hast, möchte ich mich noch einmal bei dir entschuldigen. Ich weiß, ich habe deine Liebe benutzt und war nur an deinem Geld interessiert. Wie du erkannt hast, war meine Kindheit nicht gerade fröhlich verlaufen. Aber eines ist ganz sicher: Meine Liebe zu dir. Immer wenn ich in deine Augen sehen konnte, sah ich, dass ich alles habe, was ich je wollte. Du warst mein Fels, du gabst mir Geborgenheit. Und so konnte ich nicht mehr. Ich habe dir über Monate hinweg Geld vom Konto abgehoben und es auf ein anderes Konto transferiert. Es sollte für mich sein, wenn ich dich verlasse. Es tut mir leid, dass du es nicht mehr wieder sehen wirst. Es ist nun an einem sicheren Ort, gespendet an Kinder, die wie ich damals in Not waren. Und es tut mir leid, dass du in den vergangenen Tagen in Sorge um mich warst. Ich wollte eigentlich nur verschwinden und bin damit in den Fokus der Ermittlungen geraten. Ich wollte niemanden die Schuld für mein Verschwinden geben. Ich liebe dich. Aber wir müssen nun getrennte Wege gehen. Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Leben wieder. Lebewohl. Deine Sayaka Shuichi verließ den Raum. „Sie sollten für Shibungi auch einen Arzt rufen. Er braucht ein Sedativum.“ Takagi nickte. „Haben Sie eine Ahnung, wer es auf die Shibungis abgesehen haben könnte?“ Akai schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass es nicht Jodie war.“ Takagi seufzte. „Diese Spitze musste sein?“ „Sehen Sie es als auf Nummer sicher gehen an“, antwortete Shuichi. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bringe ich Jodie nach Hause und lege mich auch schlafen. Es war eine lange Nacht. Wenn Sie unsere Aussage benötigen, schicken Sie jemanden vorbei oder rufen uns an.“ „Danke, dass Sie anriefen.“ Akai ging zu Jodie und Camel. „Gehen wir.“ Die beiden wirkten überrascht, folgten ihm aber. „Es gibt ein Tagebuch. Sayaka hat es ihrem Mann hinterlassen.“ „Du hast es mitgenommen?“, wollte Camel wissen. „Nein. Shibungi kann es meinetwegen als Erinnerung behalten.“ „Was ist mit der Organisation?“ „Ich glaube nicht, dass sie über diese geschrieben hat. Sie wollte abtauchen und ihn nicht in Gefahr wissen. Sie wird ihm eine schöne Hintergrundgeschichte aufgeschrieben haben. Unsere Leute sollen trotzdem das Haus beobachten. Ich möchte auf Nummer sicher gehen.“ „Ich kümmere mich darum“, kam es von Camel. „Ich werde Black informieren.“ Shuichi öffnete seine Wagentür und stieg ein. Jodie folgte ihm auf den Beifahrersitz. „Kommst du allein nach Hause?“ „Ja“, nickte Camel. Shuichi startete den Motor und fuhr los. „Was ist eigentlich mit dem Schützen? Es waren Chianti und Korn, nicht wahr?“ „Es ist anzunehmen“, antwortete Akai. „Können wir sie über die Kugel zurückverfolgen?“ „Eher unwahrscheinlich“, entgegnete der Agent. „Sie werden eine Waffe genommen haben, die entweder als gestohlen gemeldet wurde oder eine die einer Person der Öffentlichkeit gehört.“ „Also Sackgasse.“ Shu nickte. „Dafür ist deine Unschuld nun ein für alle Mal bewiesen.“ „Wenigstens eine positive Sache…“ Jodie seufzte. „Sie hatte solche Angst.“ „Ich weiß.“ „Und sie hielt mich für ein Mitglied der Organisation. Jetzt ergibt das alles einen Sinn. Sie fühlte sich wahrscheinlich sowieso beobachtet. Und dann komm ich, will unbedingt eine Stelle in der Firma haben und mache ihr Angst. Deswegen wollte sie verschwinden und ließ mich als Sündenbock zurück. Sie wollte, dass die Organisation sieht, dass man nicht gut Kirschen mit ihr essen kann.“ Shuichi verdrehte die Augen. „Wenn es gleich darauf hinausläuft, dass du Schuld bist, beende das Gespräch lieber.“ „Shu!“ „So ist es doch. Du willst dir die Schuld geben.“ „Nein…ich…ach ich weiß auch nicht.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Nimm zu Hause ein heißes Bad und geh schlafen. Und wenn du dich langweilst, schreib den Bericht zum heutigen Morgen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)