Endless Wind von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 1: -----------   Endless Wind   „Ich verspreche dir, dass ich immer bei dir sein werde...In diesem Leben und in denen danach...“ Ich weiß schon lange nicht mehr, wann es eigentlich angefangen hat, aber dass die Bilder in meinem Gedächtnis allmählich verblassen spricht wohl dafür, dass es schon mehr als nur ein paar Jahrzehnte her ist. Ich habe so viele Erinnerungen an die Vergangenheit, dass ich manchmal das Gefühl habe nicht mehr zu wissen, welche sich wann zugetragen haben, oder in welcher Reihenfolge sie geschehen sind. Vielleicht ist es von meinem Gedächtnis auch zu viel verlangt sich klar an Dinge zu erinnern, die schon so weit zurückliegen, schließlich bin ich auch nur ein Mensch. Aber trotz allem werde ich nie vergessen, wie ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe dich nie vergessen, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Ob es an dem Versprechen lag, das ich dir damals gegeben habe, weiß ich nicht, aber die Vermutung liegt nahe. Vielleicht hätte ich diese Worte nicht so leichtfertig aussprechen sollen, nicht an diesem Ort, in diesem Moment, mit all dem, was ich damals gefühlt habe. Bereuen kann ich es trotzdem nicht, weil ich es ernst gemeint habe. Jede einzelne Silbe war aufrichtig und wahr und hätte nicht weiter stillschweigend existieren können. Das hat sich bis heute nicht geändert – ist vielleicht das Einzige, was sich niemals ändern wird. Schon damals warst du es, der jeden einzelnen Tag lebenswert gemacht hat und auch heute lebe ich für die viel zu kurzen Tage, an denen ich dich in den Armen halten kann. Bevor du wieder stirbst und ich dir wieder folge, nur um dich im nächsten Leben erneut zu suchen. Es bin immer ich, der dich findet, der sich an alles erinnert. In den meisten Reinkarnationen erkennst du mich nicht einmal wirklich, sondern kannst nur sagen, dass ich eine gewisse Anziehungskraft auf dich ausübe. Und ich kämpfe um dich, um deine Liebe, jedes Mal wenn wir uns wiedersehen. Dabei ist es vollkommen egal wann und wo wir geboren werden, egal, wer wir in diesen Leben sind, etwas in deinen Augen ist immer gleich. Ich kann es nicht genau erklären, vielleicht ist es eine Art unterschwellige Traurigkeit, vielleicht das unbewusste Wissen, dass unser Glück nur von kurzer Dauer sein wird, aber es ist immer da. Und wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir jedes Mal nichts sehnlicher als diesen Funken in deinem Blick zu erkennen, wenn ich dich das erste Mal wiedersehe. „Tsukasa?“ Ich zucke leicht zusammen, als mich deine besorgte Stimme aus meinen geradezu düsteren Gedanken reißt. Du stehst am Fenster unseres Proberaums und siehst mich fragend an, während ich noch immer hinter meinem Schlagzeug hocke, auch wenn die Probe schon längst vorbei ist. „Mh? Entschuldige. Ich war nur in Gedanken.“ Ich kann gar nicht anders als ein wenig zu lächeln, als du gutmütig die Augen ein bisschen verdrehst. „Hab ich mir schon gedacht, ich hab dich bestimmt schon fünf Mal angesprochen.“ Ich spüre ein Ziehen in meinem Herzen, als du mein Lächeln von eben erwiderst. Auch dieses Mal erinnerst du dich nicht. An nichts, wie es scheint, an keine der Abermillionen von Sekunden, die unsere Leben schon miteinander verknüpft sind. Für dich bin ich nicht mehr als ein Bandkollege, den du seit Jugendtagen kennst. Einer deiner besten Freunde, jemand dem du alles anvertrauen kannst, der immer für dich da ist. Diese Erkenntnis schmerzt mich, aber auch daran habe ich mich im Laufe der Jahre gewöhnt. Schließlich kann ich nicht verlangen, dass du mich ebenso liebst, wie ich dich, wenn du nicht einmal weißt, wer ich eigentlich bin. Mit einem unterdrückten Seufzen erhebe ich mich und geselle mich zu dir, um nach draußen zu sehen. „Was wolltest du denn?“, frage ich dich dann, sehe dich in der Reflexion des Fensterglases aufmerksam an, sauge jeden deiner Gesichtszüge förmlich in mir auf, auch wenn ich sie in- und auswendig kenne. „...nichts Bestimmtes eigentlich. Du hast nur so abwesend gewirkt – Ist alles okay?“ Eine leichte Gänsehaut breitet sich auf meinem Rücken aus, als ich deine Hand spüre, die sich auf meine Schulter gelegt hat. Du machst dir anscheinend wirklich Sorgen, ohne zu wissen, dass du der Grund für meine gedanklichen Monologe bist. „Ja, alles gut. Ich habe mich nur gerade an etwas erinnert...“ Ich brauche dich nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass du mich mit einem zwischen Unzufriedenheit und Neugier schwankenden Ausdruck in deinen dunklen Augen ansiehst. Ich kenne jede deiner Regungen, weiß beinahe immer, wie du reagierst und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass das umgekehrt auch wieder der Fall ist. Nach einigen Sekunden wendest du den Blick von mir ab und siehst ebenfalls aus dem Fenster. Im Fensterglas kann ich erkennen, dass du nachdenklich bist. Sonnenuntergänge, wie der, den wir uns gerade ansehen, haben dich schon immer melancholisch werden lassen, auch eines von den vielen Dingen, die sich anscheinend nie ändern, egal wer wir gerade sind. „Sag mal...“, beginnst du dann, zögerst aber, kaust sogar für einen Moment auf deiner Unterlippe herum. „Mh?“ Ich wende mich dir etwas mehr zu, sodass ich dich wieder direkt ansehen kann. „Kennst du dieses Gefühl, dass du nach etwas suchst, was du wirklich dringend finden musst, aber du weißt nicht was, geschweige denn wo es ist?“ Ich spüre, wie meine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen. „Ja.“ „Was kann man dagegen tun? Wenn man nicht einmal weiß, was man eigentlich sucht –“ „Man kann nur warten. Warten und hoffen.“ Ich muss kurz die Augen schließen, denn deine so arglos gesprochenen Worte geben genau das wieder, was ich seit gefühlten Ewigkeiten immer wieder erlebe. „Aber es wird alles gut, wenn du es findest.“ Ich kann sehen, dass du mit dieser Antwort nicht vollkommen zufrieden bist. Für einen Moment wirkt es, als ob du noch mehr sagen willst, aber am Ende nickst du nur, als würdest du dich meinen Worten geschlagen geben. Glaub mir, ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen. Aber gäbe es einen sicheren Weg, das zu finden, was man sucht, dann hätte ich ihn mittlerweile bestimmt entdeckt. So bleibt nur warten, auch wenn ich es hasse so untätig zu sein, während wir einfach nur nebeneinanderher leben, statt miteinander, wie wir es uns damals versprochen hatten. Aber irgendwann erinnerst du dich immer – auch in diesem Leben muss ich einfach Geduld haben, bis es soweit ist. Kurze Zeit später verlassen wir gemeinsam das Studio; da die anderen beiden ohnehin bei einem Interviewtermin sind, können wir heute allein nicht mehr viel ausrichten und wenn ich ehrlich bin, ist mir das gerade ganz Recht. Nach unserem kurzen Gespräch gehen mir nur noch mehr Dinge durch den Kopf, sodass wir den Weg zu meinem Auto schweigend zurücklegen. Einfach weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Wenn du spürst, dass dir etwas fehlt, dass du etwas suchst, heißt das, dass du dich bald wieder erinnern wirst? Dass ich dich bald endlich wieder in die Arme schließen kann? Ich traue mich kaum, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ich habe gelernt, wie weh Enttäuschung tun kann, vor allem wenn sie mit diesem größten meiner Wünsche zusammenhängt. Mit einem diesmal deutlich hörbaren Seufzen lasse ich mich auf den Fahrersitz fallen, schließe für einen kurzen Moment die Augen, bevor ich den Wagen starte. Ich schätze heute werde ich wieder einmal eine schlaflose Nacht damit verbringen in Erinnerungen an uns zu schwelgen. Eigentlich bin ich viel zu abgelenkt, um zu fahren. Normalerweise bin ich sehr sicher, aber jetzt geht einfach zu viel in meinem Kopf vor, rast das Karussell meiner Gedanken viel zu schnell, als dass ich aufmerksam auf meine Umgebung achten könnte – das merke ich spätestens dann, als wir in voller Fahrt mit einem LKW kollidieren, der gerade auf unsere Straße einbiegen wollte. Ein ohrenbetäubendes Krachen dringt in mein Bewusstsein vor, blendet alles, was ich sonst noch wahrnehmen könnte, aus. Dann ist es erschreckend still, selbst als ich in meinen Sicherheitsgurt geschleudert werde und der Airbag ausgelöst wird, höre ich nichts. Als würde ich unseren Unfall von außen betrachten, kann ich sehen, wie die Frontscheibe stumm, wie in Zeitlupe, zerberstet und Glassplitter auf mich zufliegen. Mein eigener keuchender Atem ist das Erste, was ich schließlich wieder bewusst wahrnehme und mit einem Mal ist alles furchtbar laut und beengend. Schmerzen habe ich keine, aber ich kann meine Beine nicht bewegen. Es fühlt sich an, als wären sie eingeklemmt und mit dieser Erkenntnis macht sich Panik in mir breit. Mit einem Ächzen drehe ich mich in Richtung des Beifahrersitzes, um zu sehen wie es dir geht. Der Entsetzensschrei, der mir bei deinem Anblick über die Lippen kommen will, bleibt aus, als du dich mit einem leisen Wimmern bewegst. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber irgendein Metallstück hat sich tief in deine Seite gebohrt. Dein Oberteil färbt sich vor meinen Augen immer weiter rot. Viel zu schnell und viel zu viel. Mein Puls beginnt zu rasen. Bitte nicht. Nicht schon wieder, Hizumi. Bitte. Deine Augen wirken noch dunkler als sonst, als du mich nach einer kleinen Ewigkeit endlich ansiehst. „Du blutest...“ Mein Innerstes verkrampft sich beim Klang deiner Stimme, die anders als sonst schwach und gepresst klingt, ihre Stärke irgendwo im Wrack meines Autos verloren hat. „Nicht so schlimm“, bringe ich erstickt hervor, strecke den Arm aus und greife zitternd nach deiner Hand. Ich kenne dieses Gefühl, das sich in mir ausbreitet, die Kälte und Taubheit. Und der verzweifelte Wunsch danach einfach nur Leben zu wollen. Viel Zeit bleibt mir in diesem Leben nicht mehr. „...du solltest mir doch nicht mehr folgen...“ Das schwache Lächeln auf deinen Lippen ist traurig, doch in deinen Augen liegt endlich wieder Erkennen, sodass ich ein ersticktes Schluchzen nicht zurückhalten kann. „Ich hatte es doch versprochen. Und ich kann nicht ohne dich sein...“ Schwach spüre ich, wie du meine Hand drückst, während aus scheinbar unendlicher Ferne das Geräusch von Sirenen zu mir vordringt. Sie werden uns nicht mehr rechtzeitig erreichen, dessen bin ich mir sicher. „Im nächsten Leben erinnere ich mich eher...versprochen...“ Deine Stimme wird immer leiser und ich weiß, dass es Zeit ist Abschied zu nehmen, auch wenn ich dich heute noch weniger gehen lassen will als damals. „Ich werde dich finden“, verspreche ich auch jetzt, drücke deine kraftlose Hand noch etwas fester und du schaffst es gerade noch leicht zu nicken. Du ringst angestrengt nach Luft, kämpfst mit der wenigen Kraft, die du noch hast, darum noch etwas sagen zu können. „Ich warte auf dich.“ In diesem Moment hasse ich einfach alles, diese Welt, diesen dummen Unfall, der dich mir schon wieder entreißt und allem voran uns Beide, weil wir uns das alles immer wieder antun. Egal wie oft ich dich sterben sehe, der Schmerz wird nicht weniger und ich bin beinahe froh, dass auch mein Körper den Kampf gegen seine Verletzungen schnell zu verlieren scheint. Was will ich hier auch noch, wenn du nicht mehr da bist? Es tut mir Leid, dass alles so schnell geht. Dass ich Menschen, die ich in diesem Leben getroffen und in mein Herz geschlossen habe, einfach hinter mir lassen muss. Aber auch das passiert nicht zum ersten Mal. Nach all der Zeit kann ich nicht mehr zählen, wie oft ich diese Brücken abbrechen musste, so schwer es auch ist, für mich gibt es keine andere Entscheidung, als die, bei ihm zu sein. Und ich hoffe ihr versteht, dass ich bei dem Menschen sein muss, den ich mehr als mein Leben liebe. Für den ich das alles tue, immer wieder durch die Hölle gehe, nur um ihn irgendwann für kurze Zeit an meiner Seite zu haben. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja in einem anderen Leben wieder, wenn wir endlich alle glücklich sind.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)