Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 22: Dornen ------------------ Anders als die letzten Male brachen die DigiRitter nicht gleich nach Hause auf. Als sie in Jagaris Zimmer standen, waren ihre Klamotten immer noch klamm, ihnen war kalt, und sie schwiegen. Sie hatten den Lichtsamen gesäubert. Ihr eigentliches Ziel war erreicht. Für Kouki fühlte es sich trotzdem wie eine Niederlage an. Er ließ sich ungefragt auf Jagaris Schreibtischsessel nieder und starrte trübsinnig vor sich hin. Salamon legte sich ihm zu Füßen, und er kraulte es hinter den Ohren. „Wollt ihr … vielleicht etwas Tee?“, fragte Jagari in das kühle Schweigen hinein. „Wäre genau das Richtige“, murmelte Fumiko. Jagari nickte und verschwand aus dem Zimmer. Im Flur war es dunkel; es war kurz nach Mitternacht. Tageko trat zu Kouki. „Alles okay?“ Er sah auf, und erst jetzt merkte er, dass alle Blicke auf ihm klebten. Er bemühte sich um ein gequältes Lächeln. „Klar. Es ist nichts. Dann können wir eben nicht weiter digitieren, oder, Salamon? Was macht das schon?“ Sein Lächeln wurde mit jedem Wort bitterer, und er sah wieder ins Nichts. Und es machte doch etwas. Sie hatten eines von Azulongmons Lichtern verschwendet, das sie dringend im Kampf gegen die Asuras gebraucht hätten, aber am meisten tat es ihm um Salamon leid. Es musste sich unvollständig fühlen, verkrüppelt … Nicht fähig zu sein, wozu es eigentlich fähig sein sollte, um seine Aufgabe zu erfüllen. Und alles nur, weil er damals Hals über Kopf vor ihm davongelaufen war, wegen Yuki – warum war er nur so verflucht dumm gewesen? „Kouki … es tut mir leid“, flüsterte Salamon. „Du musst dich nicht entschuldigen. Wenn, dann ist es meine Schuld. Nur wegen mir hat Wisemon uns gefangen und diese Experimente an dir durchgeführt.“ Und zu allem Überfluss konnte der Feind nun auch noch digitieren. Die anderen sahen ihn nur stumm an, selbst Renji hielt die Klappe. Kouki hatte ihnen damals erzählt, dass man versucht hatte, Salamon zur Digitation zu zwingen, aber er hatte nie geglaubt, dass diese Versuche ein solches Ergebnis liefern würden … Und er hatte eigentlich geglaubt, Gatomons Digitation hätte das Experiment fehlschlagen lassen. Er konnte sich dumpf erinnern, dass Wisemon hektisch versucht hatte, seine Daten zu retten, während sie geflohen waren … Offenbar war es ihm gelungen. Wäre das alles doch nicht passiert! Was war er auch in einer fremden Welt einfach davongerannt? Hätte Wisemon sie nicht gefangen; wäre Salamon nicht zurückgekommen, um ihn zu beschützen, dann könnte es jetzt genauso digitieren wie die anderen! Und Whamon wäre noch am Leben. Kouki war sich sicher, dass es tot war. Jedes Digimon, das ihnen helfen wollte, war gestorben – erst Piximon, dann Whamon. Und Kouki hatte es nicht verhindern können … „Mach dir um mich keinen Kopf. Ich bin in Ordnung. Wie du sagst, dann kann ich eben nicht weiter digitieren, was soll’s.“ Salamon rieb den Kopf an seinem Hosenbein. Sein Blick war dennoch traurig. Kouki spürte, wie jemand seine Hand drückte. Er sah auf und bemerkte Fumiko, die ihn ernst ansah. „Gebt nicht auf. Ihr beide“, sagte sie. Nicht mehr. Kein Ratschlag, kein leeres Mutmachen. Kouki schämte sich, als ihm klarwurde, dass er sie mit seiner Trauer ebenfalls verletzte. Fumikos Digimon war gar nicht erst geschlüpft, und trotzdem kämpfte sie tapfer mit – stand es ihm da zu, Trübsal zu blasen? Salamon war am Leben. Er atmete tief aus. Plötzlich waren seine Augen feucht. Was sollte das, würde er jetzt auch noch zu heulen anfangen? Er war einfach froh über Fumikos Beistand. „Danke“, murmelte er. „Ich werde LordMyotismon das büßen lassen. Und dein Digimon räche ich auch, Fumiko.“ Ihre Miene wurde nachdenklich, aber sie schwieg. Salamon schloss die Augen und rollte sich zu Koukis Füßen zusammen. Die Tür ging einen Spalt auf und Jagari schob sich herein, ein Tablett mit einer Teekanne und elf Tassen darauf. Schweigend goss er Tee ein, auch für die Digimon, und drückte die erste Kouki in die Hand. Die Hitze prickelte durch seine Finger, und der erste Schluck verbrannte seine Zunge, löste ihn aber von seiner Apathie. „Sorry“, murmelte er. „Macht euch keine Sorgen. Es ist lächerlich, über so etwas zu verzweifeln. Wir haben Wichtigeres zu tun. Und verloren ist noch gar nichts, wir haben immerhin den Lichtsamen gereinigt. Bleiben nur noch drei.“ Sie verabredeten sich für den nächsten Tag im Park, um weitere Schritte zu besprechen. Jagari versprach, zu versuchen, mit Gennai in Kontakt zu treten. Sie legten wieder warme Kleidung an, um die Winternacht zu überstehen. Es war gegen ein Uhr, als sie sich auf den Weg machten. „Ich hab dich doch nicht verletzt, oder?“, fragte Kouki Salamon, als sein Haus in Sicht kam. Das Digimon schüttelte den Kopf. „Macht es dir auch wirklich nichts aus, wenn ich nicht digitieren kann?“ Zur Antwort drückte er es fest. „Ich würde dich genauso mögen, wenn du für immer Nyaromon geblieben wärst.“   Der Tag war trüb und feucht, die Hochhäuser grau und traurig. Reif bedeckte den Boden, das Gras im Park war gefroren. Die DigiRitter waren warm eingepackt. Renji sehnte sich schon nach dem nächsten Strandurlaub. Bei einer Parkbank hatten sie sich versammelt, Renji, Fumiko und Kouki hockten auf der Lehne, weil das wärmer war, als auf der Sitzfläche zu sitzen. Die anderen standen daneben. Vor ihren Mündern bildeten sich weiße Atemwolken. Nur wenige Leute waren heute Morgen im Park unterwegs, aber für sie mussten die DigiRitter wie eine bunt zusammengewürfelte Clique wirken, die einfach zusammen abhingen, um einen langweiligen Sonntag über die Runden zu bringen. Renji fand, dass er schon viel zu oft mit den anderen zusammen war. Bald würden seine Freunde zu spotten beginnen, aber er würde einfach sagen, er hätte es endlich geschafft, mit Fumiko Zeit zu verbringen. So gesehen stimmte das ja auch. „Wir haben also das Problem, dass die Asuras nun auch digitieren können, oder zumindest ihre Handlanger“, eröffnete Tageko die Krisensitzung. „Und Cyberdramon ist bisher unser einziges Ultra-Digimon. Tut mir leid, Kouki.“ „Schon okay.“ „Ich hab übrigens versucht, Gennai zu erreichen“, sagte Jagari. „Leider ohne Erfolg.“ „Wie geht es eigentlich deinem Knöchel?“, fragte Fumiko Tageko. Die Ältere winkte ab. „Halb so wild. Ich hab ihn nur ein bisschen übertreten. Sowas passiert mir öfter – ich hab was Kaltes draufgelegt, und jetzt spüre ich kaum noch, dass da was war. Wichtiger ist, was können wir als Nächstes unternehmen? Momentan scheinen wir nur wenige Optionen zu haben.“ „Wir haben die Karte mit den Lichtsamen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach den nächsten aufs Korn zu nehmen“, sagte Fumiko. „Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Taneo. „Der Samen unter Wasser war relativ einfach zu säubern, aber jetzt gibt es noch zehn Asuras und drei Samen. Wir müssen in jedem Fall drei von ihnen besiegen.“ Er sagte nicht, dass sie Orochimon besser hätten vernichten sollen, aber irgendwie hingen diese Worte trotzdem in der Luft. Wenn der kleine Mistkerl anfing, Kouki Vorwürfe zu machen, würde Renji ihm eine in die Fresse geben. „Fangen wir mal ganz rhetorisch an“, sagte Tageko, die wieder einmal Gesprächsführerin war. „Wann hättet ihr nächste Woche Zeit, wieder in die DigiWelt zu gehen?“ „Dort drüben herrscht Chaos“, sagte Taneo. „Willst du wirklich, dass wir uns erst einen Termin suchen, wann jeder zufällig Zeit hat?“ „Kouki und ich sind am Wochenende bei einem Konzert“, sagte Renji und warf Taneo einen abfälligen Blick zu. „Wir haben auch noch ein Leben, weißt du?“ „Während in der DigiWelt andere ihr Leben verlieren“, gab Taneo zurück. „Hör mal, du Klugscheißer …“, begann Renji, doch Tageko unterbrach ihn. „Ihr fangt jetzt nicht wieder an zu streiten!“ „Sonst schicken wir euch zu einer Paartherapie“, fügte Fumiko trocken hinzu. Renji verbot sich, aufzufahren. Er hatte heute ziemlich schlechte Laune, aber Fumiko sollte nicht darunter leiden. Wenn, dann Taneo allein. „Wir kommen wohl zu keinem Ergebnis“, seufzte Tageko. „Wieder einmal. Am besten, jeder überlegt, was wir tun könnten. Und wann. Wir vertagen uns nochmal auf morgen. Zur Mittagspause im Hof?“ Renji war davon gar nicht begeistert, aber Tageko war plötzlich noch pflichtbewusster als sonst. Als würde die Hobbymutter plötzlich auch die gesamte DigiWelt unter ihre Fittiche nehmen wollen.   „Du wolltest mich sprechen?“ „Ah, na endlich.“ Kentarou grinste ihm entgegen. „Ich hab das, was du wolltest“, sagte er ohne Umschweife. „Habt ihr euren Kumpel schon wieder gefunden?“ „Längst.“ Taneo setzte sich ungefragt auf den Hocker neben Kentarous Schreibtisch. Nirgendwo sonst im Raum schien Platz zu sein, überall lagen oder standen Computer, Computerteile, Kabel oder sonstige technische Spielereien herum, die Hälfte davon eingeschaltet. Gäbe es die Klimaanlage nicht, wäre Kentarou gewiss schon am Elektrosmog erstickt. „Aber wir können es trotzdem brauchen.“ „Gut, dann gibt mir mal dein …wie nanntest du es noch?“ „DigiVice.“ Taneo reichte es ihm. Kentarou drückte ein paar der winzigen Knöpfe darauf und sah dabei immer wieder auf seinen Bildschirm. Irgendwann piepste es. „Tada! Hier hast du deinen DigiVice-Radar.“ Er zeigte Taneo noch einmal langsam die Tastenkombination. „Ein wenig lästig, dass die Buttons nicht beschriftet sind. Schlechtes Interface-Design.“ „Danke, Kentarou.“ Taneo betrachtete das winzige Display. Ein roter Punkt blinkte in dessen Zentrum, der wohl das DigiVice selbst darstellte. Weiter oben blinkte ein zweiter, hellrosa. „Was ist das?“ „Mein Computer. Ich hab ja alle Daten runtergeladen, erinnerst du dich? So hab ich die Prozedur getestet. Ich hatte ja keine echten DigiVice dafür. Aber er sollte die DigiVices deiner Kumpel genauso anzeigen.“ Taneo nickte dankbar. „Das hilft mir ungemein weiter. Hast du sonst noch was darüber herausgefunden?“ „Jede Menge.“ Kentarou drehte den Monitor in Taneos Richtung und deutete auf Zahlenkolonnen, die ihm ohne den Kontext nichts sagten. „In dem Ding sind gewisse Daten gespeichert – jede Menge Daten. Sie scheinen eine Art Organismus zu simulieren, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Außerdem sind da mehrere Entwicklungsstadien, und die Datenmengen steigen bei denen exponentiell an. Ich frage mich, ob das irgendeine Bauanleitung für digitales Leben ist, wie für ein hochkomplexes VR-System.“ Taneo sah auf seinen Rucksack. Er war ein wenig geöffnet, aber dank des Dämmerlichts hier drin konnte man Kokuwamon nicht sehen, als es hervor lugte. „Wenn du es schon ansprichst …“ Er zog die Klappe ganz auf und nickte einem Partner zu. Kokuwamon ließ die Flügel surren und flatterte auf seine Schulter. Kentarou warf es fast vom Stuhl. „Verflucht, was …“ „Das ist mein Beweis für die Existenz dieser anderen Welt“, erklärte Taneo. „Und vermutlich die Erklärung für die ganzen Daten, die du gesehen hast.“ „Was ist das? Kein Roboter, oder?“ „Das ist Kokuwamon, ein Digimon. Sie bevölkern die andere Welt. Ich hab dir noch nichts von ihm erzählt, oder?“ „Di-Digimon?“, murmelte Kentarou. Taneo überlegte kurz. „Scann doch nochmal mein DigiVice, bitte. Ich möchte sehen, ob sich was verändert hat.“ Kentarou starrte immer noch Kokuwamon an, das plötzlich den Mund öffnete. „Hallo, freut mich, dich kennenzulernen.“ „Heilige …“, entfuhr es Kentarou, als das Digimon ihn ansprach. „Was ist jetzt?“, fragte Taneo. „Jaja, äh, gib her.“ Ohne den Blick lange von dem Käferdigimon abzuwenden, schraubte Kentarou das DigiVice wieder auf, schloss einen wahren Kabelwald daran an und ließ die Finger einer Hand über eine Tastatur fliegen. „Du hast recht, da sind zwei neue Entwicklungsstadien dazugekommen.“ Er runzelte die Stirn. „Ich hoffe, ich soll die nicht auch noch analysieren. Das sind so viele Daten, da wird mein Computer die Nacht durchlaufen, und ich kann mir eine neue Festplatte dafür anschaffen. Mindestens.“ „Tu es bitte trotzdem. Kokuwamon hat dich doch neugierig gemacht, oder?“ Kentarou seufzte. „Und wie. Verdammt. Ich schätze mal, es soll unter uns bleiben?“ „Richtig geschätzt“, grinste Taneo. Dann fiel ihm etwas ein. „Übrigens, ich brauche dich noch für was anderes.“ Sein Cousin lehnte sich stöhnend zurück. „Langsam sollte ich wohl überlegen, ob ich für meine Hilfe nicht Geld verlangen sollte.“ „Jedes Digimon hat gewisse Attacken. Die scheinen festgelegt zu sein.“ Sonst würde die Analyzer-Brille nicht bei jedem Digimon explizit die Attacken anzeigen. „Und in der anderen Welt besteht alles aus Daten. Die Attacken bestehen also aus Daten, und wir auch. Die DigiVices ebenso, einfach alles. Und du sagst, Kokuwamons Daten sind auf dem DigiVice gespeichert?“ „Vermutlich“, murmelte Kentarou. „Obwohl dein Käfer momentan nicht aussieht, als bestünde er aus Daten. Aber jetzt, wo du es erwähnst … Ich habe in dem ganzen Datensauhaufen aus deinem DigiVice noch ein verdammt komplexes Programm gefunden, das ich nicht mal zur Hälfte verstehe. Es scheint irgendetwas umzuwandeln. Der Output sind Daten mit einer ähnlichen Signatur wie diese Entwicklungsstadien. Aber dieses Programm kann ich beim besten Willen nicht entschlüsseln. Das ist Alien-Technologie, wenn du mich fragst.“ „Das hat vermutlich etwas damit zu tun, dass wir in Daten umgewandelt werden, wenn wir die DigiWelt betreten. Wir müssen dazu unsere DigiVices vor einen Computerbildschirm halten.“ „Ihr betretet diese Welt durch Computerbildschirme?“ „Ja.“ „Dann zeig es mir!“ Kentarou drehte den Monitor noch weiter. „Jetzt, sofort. Geh in die DigiWelt, und nimm mich mit. Das will ich mir ansehen.“ Taneo lachte. Kentarou war ja so berechenbar. „Ich weiß nicht, ob es dir dort gefallen würde.“ „Das lass mal meine Sorge sein.“ „Ich lasse es deine Sorge sein, mich ausreden zu lassen. Wenn du mir ein bestimmtes Programm schreibst, denk ich darüber nach, dich mal mitzunehmen.“ „Du bist ein Tyrann“, schmollte Kentarou. „Nach allem, was ich für dich getan habe.“ „Tu nicht so unschuldig. Ich gehe auch nicht zum Spaß in die DigiWelt. Wir haben dort was Wichtiges zu erledigen.“ Taneo lächelte. „Übrigens ist es verdammt gefährlich.“ Kentarou betrachtete ihn eine Weile nachdenklich und schien dann zu dem Entschluss zu kommen, nicht nachzuhaken. „Also, was willst du?“ „Die Attacken, von denen ich gesprochen habe. Das größte Datenmuster, das du findest, stammt vermutlich von Cyberdramon. Seine Attacke heißt Ausradierkralle, wenn dir das weiterhilft. Versuch, die Daten dafür zu isolieren und sie an etwas anderes dranzuhängen.“ „Wie, dranhängen?“ „Wenn alles in der DigiWelt aus Daten besteht, muss es doch dort viel einfacher sein, Dinge zu kombinieren. Such die Daten aus dem DigiVice und versuche sie zu duplizieren, nämlich so, dass sie nicht nur Cyberdramon bekommt, wenn es digi… wenn es sich entwickelt, sondern beispielsweise auch ich, weil ich ja auch aus Daten bestehe.“ Kentarou schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst, aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das funktioniert.“ „Versuch es trotzdem“, bat er ihn. „Ich habe in den letzten Tagen eine Menge gesehen, was ich nicht für möglich gehalten habe.“ „Du verstehst es echt, mich immer neugieriger zu machen“, seufzte Kentarou. „Also gut, lass dein DigiVice über Nacht hier. Ich spiele alles nochmal runter und dann leg ich ein paar Nachtschichten ein.“   Zuerst schien es, als käme Renji in der Mittagspause gar nicht. Fumiko war enttäuscht von ihm; eigentlich hatte sie geglaubt, ihre Gemeinschaft wäre ihm wichtiger als seine zweifelhaften Freunde. Tageko seufzte und wollte eben beginnen, als er, wichtigtuerisch und cool – und auffallend auffällig – durch eine der Türen in den Pausenhof marschierte. „Hab ich was verpasst?“ „Wir wollten gerade anfangen“, sagte Taneo. „Hab ich was verpasst?“, fragte Renji erneut und ignorierte den Jüngeren, wohl nur zu dem Zweck, um ihn zu ärgern. „Am besten erzählst du gleich mal, was für Ideen du für unsere weitere Vorgehensweise hast“, meinte Tageko säuerlich. „Das geht schnell. Gar keine. Und ihr?“ Kollektives Seufzen. „Entschuldigt mal, wir haben uns in eine Ecke manövriert“, rechtfertigte er sich. „Die verfluchten Asuras sind in der Überzahl!“ Taneo hatte sich wenigstens etwas einfallen lassen. „Ich würde sagen, wir nehmen uns als Nächstes den Lichtsamen vor, der klimatisch am nächstschlechtesten liegt. Den unter Wasser konnten wir immerhin recht ungestört säubern. Es gibt noch einen in einer Eiswüste, oder, Jagari?“ Der blonde Junge nickte heftig. „Du willst von der Saukälte hier in eine noch kältere Saukälte gehen?“, fragte Renji wenig begeistert. „Ich finde die Idee gut“, sagte Kouki. „Wir kennen jetzt ein weiteres Asura. Wenn Orochimon eine wirkliche Schlange ist, kann es sich inmitten von Schnee wahrscheinlich nicht bewegen. Selbst wenn Digimon nicht so funktionieren, ich glaube nicht, dass es uns hoch im Norden auflauern wird. Es müsste außerdem die halbe DigiWelt durchqueren, und wir können mit den Toren zu jedem beliebigen Ort. LordMyotismon scheint mir auch eher der Typ, der lieber in seiner Kammer sitzt und Wein trinkt. Und mit SkullScorpiomon müssen wir sowieso überall rechnen.“ „Schön“, brummte Renji. „Dafür sind vier andere Asuras Schneemonster und lauern uns dort auf.“ „Unwahrscheinlich“, erwiderte Taneo. „Hat dich jemand gefragt?“, schnauzte Renji ihn an. „Oyara-kun, du benimmst dich kindisch“, stellte Fumiko fest. Renji erstarrte förmlich zu Stein, als sie ihn wieder mit seinem Nachnamen ansprach. Fortan hielt er die Klappe. Kouki zwinkerte Fumiko verhalten zu, fischte sein Handy heraus und tippte etwas. Kurz darauf spürte sie ihr eigenes vibrieren. Während die anderen noch das Für und Wider besprachen, las sie heimlich Koukis SMS. Super, Renji-Zähmerin! Sie lächelte. Sie beschlossen, den Orten mit den drei verbleibenden Samen noch einen Besuch abzustatten. Das war zwar gefährlich, aber solange sie erst so wenige Asuras kannten, waren sie schwer im Nachteil. Vielleicht lernten sie einige ihrer Feinde so besser kennen und fanden etwas über ihre Stellungen heraus. „Orochimon“, murmelte Tageko und zog die Stirn kraus. „Wie Yamata no Orochi. Und es sah auch so aus. Ist das nicht seltsam? Die Asuras sind Wesen aus dem Hinduismus. Yamata no Orochi ist der Schlangendrache aus dem Shintoismus. Aber Orochimon ist ein Asura. Ich frage mich, ob es diese Digimon gibt, weil etwas an der Mythologie dran ist, oder ob es sie gibt, eben weil in der Mythologie von solchen Wesen erzählt wird. Was war vorher da?“ „Ist doch völlig egal, sie sind unsere Feinde und fertig“, sagte Renji, dem dieser Gedankengang wohl zu hoch war. „Yamata no Orochi wurde von Susanoo erschlagen, oder?“, fragte Fumiko und seufzte. „Kann es nicht einfach ein Susanoomon geben, das Orochimon für uns besiegt?“ „Schön wär‘s“, schnaubte Tageko. „Wisst ihr, ich hab mir was überlegt“, begann Jagari. „Wieso bitten wir nicht die früheren DigiRitter um Hilfe?“ Die anderen sahen ihn überrascht an. Nicht einmal Fumiko hatte daran gedacht. „Gute Idee!“, rief Kouki. „Die waren ja mega-mächtig, wenn das stimmt, was Gennai gesagt hat.“ „Und wie wollt ihr sie finden?“, fragte Tageko. „Wir könnten Gennai fragen“, meine Jagari. „Glaubt ihr wirklich, dass wir sie belästigen sollten?“ Taneo runzelte die Stirn. „Ich schätze, sie haben es auch alleine schaffen müssen. Außerdem ist das Jahre her, wer weiß, ob sie noch in der Stadt sind. Wenn sie überhaupt Japaner sind.“ „Ein Versuch kann nicht schaden. Mit ihrer Hilfe könnten wir das ganz schnell erledigen.“ „Ich glaube, wir schaffen das allein“, beharrte Taneo. „Warum hat man uns sonst ausgewählt, wenn es doch wieder die älteren Generationen erledigen sollten?“ Das war ein Argument. „Ich glaube, mir wäre es peinlich, sie zu fragen“, murmelte Kouki und kratzte sich an der Backe. „Wir haben uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Vielleicht sollten wir warten, bis wir keine andere Option mehr haben.“ Dabei beließen sie es, zumal sie ohne Gennai wohl kaum mit den anderen DigiRittern Kontakt aufnehmen konnten.   Gennai tauchte noch am selben Abend wieder in Jagaris Zimmer auf und ließ ihn die anderen verständigen. Jagaris Mutter war diesmal außer Haus, und so hatten sie sturmfrei und versammelten sich um den Küchentisch. „Ich habe gute Nachrichten“, sagte Gennai. „Wir auch. Gute und schlechte“, sagte Kouki. „Ist etwas vorgefallen?“ „Wir haben den Samen gereinigt“, sagte Taneo, als Kouki nicht weitersprach. „Allerdings ist Whamon gestorben. Es hat sich für uns geopfert. Und wir haben erfahren, dass Gatomon nicht weiter digitieren kann.“ „Ich verstehe.“ Gennai senkte den Kopf. „Zufällig wollte ich mit dir und Salamon sprechen, Kouki.“ „Mit uns?“ Die beiden blinzelten ihn verwirrt an. „Hast du die DigiArmorEier noch?“ „Äh, ja, klar“, murmelte Kouki. „Mir hat es keine Ruhe gelassen, dass du sie aufheben konntest. Also habe ich nachgeforscht. Es liegt an deiner Verbindung zu Salamon.“ Salamon und sein Partner sahen einander verdutzt an, und Gennai fuhr fort: „Nur wenige Digimon tragen die alte Kraft in sich, die nötig ist, um auf das Armor-Level zu digitieren. Dein Salamon scheint eines davon zu sein.“ „Aber Salamon kann nicht weiter als bis zu Gatomon digitieren“, sagte Kouki. „Diese Möglichkeit haben die Asuras ihm genommen.“ „Es muss auch nicht in diese Richtung digitieren. Es kann stattdessen digitieren.“ Nun machte sich Kouki erstmals Hoffnung. „Was genau meinen Sie? Heißt das, Salamon wird digitieren können?“ Sein Digimon sah Gennai mit großen Augen an. „Das heißt es.“ Kouki unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und Salamon herumzuwirbeln. „In der Vergangenheit konnten die Digimon der DigiRitter zu zwei ArmorEiern, deren Wappen ihrem Innersten am ehesten entsprachen, digitieren. Die Regeln der DigiWelt haben sich seither etwas geändert, so wie auch eure Welt in ständigem Wandel ist. Da du offenbar alle ArmorEier aufheben kannst, scheinen Digimon mit der alten Kraft nicht länger an zwei bestimmte Eier gebunden zu sein. Du solltest versuchen, Salamon mit allen acht digitieren zu lassen.“ „Und das geht?“ Kouki war verblüfft. „Wenn die anderen DigiRitter nur jeweils zwei besessen haben, warum sollten wir dann alle acht benutzen können?“ „Ich kann dir nicht versprechen, dass es funktioniert. Aber ein Grundstein der Partnerschaft von Digimon und Menschen ist das Digitieren. Wenn dein Digimon von sich aus nicht mehr auf das nächste Level digitieren kann, sucht sich das Heilige Licht vielleicht ein weiteres Ventil. Hast du das Licht, das der letzte Samen emittierte, aufgenommen?“ „Äh, ja.“ Gennai nickte. „Dann wird es dir mit Sicherheit helfen.“ Kouki war sich nicht sicher, ob er das verstanden hatte, aber es zu versuchen, konnte nicht schaden. „Und wie benutze ich sie?“ „Du musst den DigiArmorEiern befehlen, zu erstrahlen. Nimm das hier.“ Gennai reichte ihm eine Art PDA, aufklappbar, mit breitem Display und stylischem Design. „Das ist ein DGX-Terminal. Ich habe es extra für dich angefertigt. Trage es immer bei dir. Wenn du die ArmorEier einmal hast erstrahlen lassen, werden allen notwendigen Daten darin gespeichert. Dann musst du die Eier nicht immer bei dir tragen, wenn du dein Digimon digitieren lassen willst.“ Kouki konnte sein Glück kaum fassen. Am liebsten würde er nach Hause laufen und diese neue Digitation gleich ausprobieren. „Apropos, Gennai“, sagte Jagari. „Wir haben überlegt, ob wir nicht die alten DigiRitter um Hilfe bitten können.“ „Die DigiRitter vor euch haben ihre Aufgabe bereits erfüllt“, sagte Gennai sofort. „Ihre DigiVices können das Tor zur DigiWelt nicht mehr öffnen, und ich wüsste weder, wie ich sie erreichen kann, noch, wo ihre Digimon sich aufhalten. Und es gibt noch ein Problem. Es ist eine ungeschriebene Regel, dass nur Kinder die DigiWelt betreten können. Ausnahmen mag es geben, und ihr seid bereits älter als die DigiRitter vor euch damals, doch die Regel besteht, und viele von ihnen sind heute bereits erwachsen.“ Enttäuscht ließen sie die Köpfe hängen. „Was soll’s.“ Kouki sprang auf. „Wenn Salamon wieder digitieren kann, schaffen wir es auch allein!“ Salamon jaulte zustimmend. Und so wurde der nächste Ausflug in die DigiWelt für Mittwochabend anberaumt.   In der DigiWelt war es schon finster, aber sie würden ohnehin nur die Lage auskundschaften. Taneo hatte vorgeschlagen, sich in Gruppen zu zweit aufzuteilen, aber Tageko wollte um jeden Preis zusammenbleiben, zumal Cyberdramon ihre einzige Chance war, sollten sie gegen die Asuras kämpfen müssen. Kouki hatte seine ArmorEier ausprobiert, aber er schwieg nur grinsend, wenn ihn jemand danach fragte. Offenbar wollte er die anderen im richtigen Moment überraschen. Renji hatte Klamotten im Khaki-Stil angezogen und sogar sein Gesicht mit Tarnfarbe beschmiert. Auf den ersten Blick hielt Fumiko das für kindisch, auf den zweiten war es eigentlich eine ganz gute Idee, solange ihre Feinde sie nicht rochen oder hörten. Zuerst prüften sie die Stelle, an der sie damals ihren Haustitan zurückgelassen hatten. Niemand lauerte dort noch auf sie. Also hatten die Asuras ihre Truppen wahrscheinlich zu den drei verbleibenden Samen gebracht. Der Samen in der Schneelandschaft war der Erste, den sie aufs Korn nahmen. Eisig kalt war es dort, der Wind schneidend, und Schneeflocken stürzten auf sie ein, während sie sich durch kniehohe Wehen kämpften, durch ein Fichtenwäldchen auf die Stelle zu, die Gennais Fotografie am ehesten entsprach. Dort wurde es noch kälter, obwohl der Samen nicht sehr kontaminiert war. Er glühte in der Nähe einer Steilwand vor sich hin und tauchte den umliegenden Schnee in gespenstisches Licht. Die DigiRitter lagen auf der Klippe und spähten hinunter. Kein Digimon war in Sicht. Sie wurden sich nicht einig, ob das gut oder schlecht war, aber immerhin hatten sie das Gelände kennenglernt. Der zweite Samen schwebte in einer Art Ruine, die vermutlich ein guter Ort für Hinterhalte aller Art war. Sie konnten nicht sehen, wie viele Digimon sich in dem alten Gemäuer versteckten. Kokuwamon flog hoch, konnte in der Dunkelheit aber nur erkennen, dass sich in dem staubigen Innenhof etwas bewegte. Taneo ließ es zu Cyberdramon digitieren, weil er eine Idee hatte, und flog mit der Brille nach oben, doch sie schien nicht zu funktionieren, wenn er selbst die Digimon nicht ausmachen konnte. Der dritte schließlich lag auf einem weiten Feld. Hier würde man sie schnell entdecken, aber auch sie würden die Asuras von weitem kommen sehen. Ehe sie dorthin kamen, mussten sie durch einen dichten Wald wandern, der an eine Seite des Feldes grenzte. Hier kam Renjis Tarnung erst richtig zum Einsatz. „Wir hätten doch bei Tageslicht herkommen sollen“, brummte Taneo. „Die Asuras nehmen uns sicher viel besser wahr als wir sie.“ „Wir sind schon mal hier, also lasst uns einfach den richtigen Weg finden, ja?“, versuchte Kouki ihn aufzumuntern. Das Problem war eben jener Weg: Der Wald war sehr dicht und mit zahllosen Dornen gespickt, die in der Dunkelheit nach Beute hungerten. Verschlungene, in der Finsternis kaum auszumachende Pfade führten kreuz und quer durch den gesamten Wald, aber niemand wagte es, die Deckung zu verlassen und sich dem Samen auf freiem Feld zu nähern – zumal sie auch in diesem Fall erst einen Weg nach draußen hätten finden müssen, denn der Fernseher, der sie ausgespuckt hatte, lag ebenfalls mitten in dieser übergroßen Dornenhecke. Tageko hatte ihnen nur erlaubt, mit ihren Handys zu leuchten, und deren Akku wurde in der DigiWelt erschreckend rasch leer. Schon nach kurzer Zeit hatten sie sich gründlich verirrt. Kouki leuchtete zögerlich die drei schmalen Trampelpfade aus, die sich vor ihnen wie die Zinken einer Gabel ausstreckten. „Und wohin jetzt?“ „Wir teilen uns auf“, brummte Renji. „Ist doch klar. Sonst laufen wir wieder im Kreis.“ „Wir werden sicher nicht –“, begann Tageko sofort, aber Taneo unterbrach sie. „Ich bin Renjis Meinung. Wir sind hier relativ geschützt, und die ganze Zeit ist uns noch kein Digimon begegnet. Außerdem stehen die Chancen gut, dass der Samen ohnehin so stark bewacht wird, dass wir alle zusammen nichts ausrichten können. Da ist es besser, wenn wir ihn schnell finden und wieder verschwinden.“ „Interessant, dass du meiner Meinung bist, weil du möglichst schnell wieder abhauen willst“, ätzte Renji. „Interessant, dass du mal eine vernünftige Idee vorgebracht hast – wenn auch wohl aus unvernünftigen Gründen.“ „Wie war das?“, fuhr Renji auf, doch Fumiko ging dazwischen. „Hört schon auf. Der Wald drückt aufs Gemüt, ja, aber wir müssen nicht gleich die ganze DigiWelt von unserer Anwesenheit informieren.“ Da es drei Wege gab, würde es also drei Zweierteams geben, und da man Renji und Taneo nicht in eine Gruppe stecken konnte, war die Einteilung schnell über die Bühne. Taneo würde mit Jagari den rechten Pfad erkunden, Tageko würde auf dem mittleren Pfad auf Renji aufpassen, wie sie sagte, und für den linken blieben nur noch Kouki und Fumiko, der Renji sicher den ganzen Weg nachtrauern würde. Sie vereinbarten, sich in einer halben Stunde wieder hier zu treffen, egal ob sie einen Ausgang fanden oder nicht.   „Die Brille steht dir“, sagte Fumiko nach einer Weile, als sie schweigend eine Art Tunnel aus Dornen entlanggetrottet waren. Die Stille und die feindselige, stachelige Umgebung schlugen wirklich aufs Gemüt. Das einzige Geräusch waren die Dornen, die im Wind aneinander schabten, und deren Wispern würde sich mit ihrem Flüstern  überlagern. „Findest du? Danke.“ Kouki strich über das kühle Metall der Analyzer-Brille. Er fragte sich, wer ihr ursprünglicher Besitzer gewesen war. Für einen Moment achtete er nicht auf den Weg. „Autsch! Verdammt!“ Die Dunkelheit raschelte. „Was ist?“ „Dornen“, jammerte er. Die fiesen Dinger hatten sich nicht nur in seinen Arm gebohrt, sondern waren auch darin abgebrochen. Missmutig zog er die Stacheln aus der Haut. „Was du nicht sagst“, lachte sie leise. „Ich finde das nicht witzig!“, empörte er sich. „Ich schon.“ „Kouki könnte im Meer schwimmen und würde sich beschweren, dass es so nass ist“, sagte Salamon. „So, wie er beim Essen hinterher immer jammert, dass er jetzt satt ist.“ Fumiko prustete los. „Das ist nicht wahr! Hör auf, solchen Unsinn zu verbreiten!“, zischte Kouki, musste aber selbst schmunzeln. Fumikos Lachen war ansteckend – und wenn er es sich recht überlegte, sah er sie selten lachen. Sie waren sicherlich ein gutes Team – beide hatten einen verkrüppelten Partner. Immerhin hatte die Sache mit den ArmorDigitationen funktioniert. Salamon war dadurch wieder viel selbstbewusster geworden. „Hat dein Ei eigentlich schon irgendeine Reaktion von sich gegeben? Hast du es dabei?“ Schlagartig verdüsterte sich Fumikos Laune wieder, und Kouki fühlte sich schuldig. Er konnte sie nicht sehen, aber er hörte es an der Art, wie sie sagte: „Nein. Reglos wie ein Stein. Es ist in meinem Rucksack. Vielleicht sollte ich anfangen, in der DigiWelt herumzufragen. Womöglich weiß jemand, wie ich es zum Schlüpfen bringe.“ „Tut mir leid“, murmelte Kouki betreten. „Was denn? Ist doch nicht deine Schuld.“ „Es wird schlüpfen, ganz sicher“, sagte er mit aller Zuversicht, die er aufbringen konnte. „Glaubst du? Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass es noch lebt.“ „Doch, irgendwann wird es soweit sein. Und dann werden unsere Digimon miteinander spielen.“ „Es würde mich hassen, für alles, was ich schon über es gesagt habe“, murmelte Fumiko und erinnerte sich vermutlich daran, wie sie das Ei auf Karatenmon geworfen hatte. Sie zuckte zusammen, als Salamon aus dem Stand auf ihre Schulter sprang. Dieses Kunststück hatte es perfektioniert. „Ich bin sicher, es wird ein wunderbares Digimon sein, das zu dir passt, und darum wird es auch freundlich sein und dich nicht hassen.“ Fumiko lächelte schwach. Wieder spürte Kouki es mehr, als dass er es sah. „Danke“, seufzte sie. „Ihr zwei seid echt nett.“ „Och, nicht der Rede wert.“ Verlegen versuchte Kouki, das Thema zu wechseln. Es fiel ihm nicht schwer, da in diesem Moment vor ihnen ein Lichtschimmer sichtbar wurde. Überrascht, dann erfreut sahen die drei einander an und liefen darauf zu. Das Dickicht lichtete sich, und vor ihnen breitete sich groß und weit das Feld mit dem Lichtsamen aus, der in der Ferne vor sich hin funkelte. Von der Kälte spürte man hier noch nichts, aber Kouki meinte, schattenhafte Gestalten auf der Ebene umherstreifen zu sehen. „Wirkt bewacht“, murmelte er. „Handys aus!“, zischte Fumiko plötzlich. Kouki gehorchte und schaltete das Display ab. „Da ist etwas ganz in der Nähe“, flüsterte sie und wies auf einen Schatten, der unweit des Waldrands daherkroch – als ob er selbst gerade an einer anderen Stelle aus dem Wald gekommen wäre. Nach einer Weile konnten sie ihn im Sternenlicht besser ausmachen. Die Gestalt teilte sich – ein großer Schatten und ein kleiner. Ein Mensch und sein Digimon. „Keine Sorge“, flüsterte Kouki erleichtert. „Die anderen haben anscheinend auch einen Weg nach draußen gefunden.“ „Wenn sie aus der Richtung kommen, müssten sie unseren Weg gekreuzt haben“, erinnerte ihn Fumiko. „Meinst du, es ist eine Falle?“ Irgendwo weiter links raschelte etwas, nicht in den Dornen, sondern darüber, in den Baumwipfeln. Die beiden Gestalten kamen näher und gingen in nicht mal zwanzig Schritten Entfernung an Fumiko und Kouki vorbei. Sie beide duckten sich unter einen Dornbusch, aber die Gestalten sahen nicht in ihre Richtung. Kouki konnte nun Einzelheiten erkennen. Es war ein Junge, aber nicht Renji, an den er im ersten Moment gedacht hatte. Dieser Junge hatte dunkles Haar und blasse Haut, und seine Schritte wirkten, als wäre er in einem Traum und bekäme nichts von seiner Umgebung mit. Das Digimon, das neben ihm her trippelte, sah aus wie eine überdimensionierte, grüne Raupe. „Die Brille“, zischte Fumiko in sein Ohr. Kouki zog den Apparat über seine Augen. „Es heißt Wormmon“, sagte er. „Rookie-Level. Bei dem Jungen zeigt der Analyzer nichts an – also ist er wirklich ein Mensch!“ Er war schon drauf und dran, zu rufen, als er in den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte. In den Baumkronen bewegte sich nun wieder etwas, sprang von Ast zu Ast, ganz in ihrer Nähe. Kouki sah gelbes Fell und einen affenartigen Körperbau, und etwas schnüffelte und grunzte. Er hielt die Luft an und presste sich neben Fumiko zu Boden. Salamon war sogar in den Dornenstrauch gehuscht. Mit angehaltenem Atem warteten sie. Als das Digimon näher kam, klopfte Koukis Herz so laut, dass er befürchtete, man könnte es hören. Instinktiv tastete er nach Fumikos Hand. Sie war eiskalt, genau wie seine eigene. Nüchtern betrachtet konnte es auch ein freundlich gesinntes Digimon sein, aber sie hatten ja bereits festgestellt, dass die Asuras auch Untergebene hatten, und hier in der Nähe eines wahrscheinlich gut bewachten Lichtsamens war es ratsamer, jedes Leben als feindselig einzustufen. Als das Digimon weitergehuscht war, tiefer in den Wald hinein, und man nichts mehr von ihm hörte, atmeten die beiden erleichtert aus. Ein Seufzen kam aus dem Dornenstrauch. „Deine Hand“, sagte Fumiko, als sie sich wieder aufgerichtet hatten. „Oh – sorry!“ Kouki zuckte zurück. „Ich, äh, wollte dir nur Mut machen.“ „Sicher, dass du dir nicht Mut holen wolltest? Du hast gezittert wie Espenlaub“, meinte sie mit blitzenden Augen. „Hab ich nicht!“ „Kouki, du wirst rot“, gab Salamon seinen Senf dazu. „Von wegen! Als ob du das in der Dunkelheit sehen könntest! Noch eine Bemerkung, und du gehst ohne Abendessen ins Bett.“ Als sie wieder auf die Lichtung sahen, waren der Junge und sein Digimon verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)