Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 15: Die Lichtsamen -------------------------- Tageko war die Letzte, die vor Jagaris Haustür stand. Seine Mutter machte auf. Ihre Miene schwankte irgendwo zwischen erfreut und vorwurfsvoll, und Tageko überlegte, was sie tun würde, wenn sie diese Fremde einfach wieder rauswerfen würde, aber dann ließ sie sie eintreten. „Jagari wartet in seinem Zimmer.“ Sie schüttelte den Kopf. „So was, so viele Gäste, und bis gerade eben hat er kein Wort gesagt. Dabei sollte er sich ja eigentlich ausruhen.“ „Es war recht kurzfristig“, beeilte sich Tageko zu sagen. „Tut mir leid, wenn es für Sie ungelegen ist.“ Die Frau seufzte. „Naja, es ist eben so. Komm rein.“  Sie ging wieder in die Küche, während Tageko sich die Schuhe auszog. Es duftete nach einem einfachen Abendessen. Tageko klopfte an Jagaris Tür. Sofort wurde sie geöffnet, nur einen Spalt breit, und Jagaris Auge suchte hektisch den Flur links und rechts von ihr ab. „Komm rein, schnell“, flüsterte er dann. Sie wunderte sich über dieses Getue, schlüpfte aber in das Zimmer, kaum dass er die Tür nur noch ein kleines Stück weiter öffnete. „Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Tageko“, begrüßte sie der Mann in der weiten Kutte, den sie aus der Videobotschaft kannte. Perplex ließ sie den Mund offen stehen. Jagari hatte mit keinem Wort erwähnt, dass Gennai persönlich hergekommen war. War das überhaupt möglich? Da stand er, groß gewachsen und würdevoll, jung und gleichzeitig mit weisem Blick, mitten in Jagaris Zimmer. Die DigiRitter hatten sich um ihn versammelt wie um einen Prediger. Motimon saß auf dem Schreibtisch, und Taneo hatte Kapurimon mitgebracht, die anderen Digimon waren nirgends zu sehen. Taneo und Renji standen in den jeweils entgegengesetzten Ecken des Raums, und Tageko fielen die unterkühlten, unglücklichen Blicke auf, die die beiden einander zuwarfen. Was war im Pausenhof zwischen ihnen vorgefallen? Sie hatte nicht nachgefragt, als Taneo zurück in die Bibliothek gekommen war und verkündet hatte, dass sie für heute mit dem Recherchieren aufhören würden. „Jetzt sind wir alle“, sagte Jagari mit leuchtenden Augen. „Ich musste meine Mutter quasi auf Knien anflehen, dass ihr mich besuchen dürft“, flüsterte er Tageko zu. „Wegen meiner Erkältung und so.“ „Aha“, war das Einzige, was der immer noch völlig entgeisterten Tageko dazu einfiel. Gennai nickte. „Dann können wir endlich ungestört reden. Es tut mir leid, dass es mir nicht schon früher gelungen ist, persönlich mit euch Kontakt aufzunehmen, aber die Asuras sind sehr wachsam.“ „Dann können Sie uns jetzt endlich Wie, Was und Wo sagen?“, fragte Kouki. „Was das mit den DigiRittern und Digimon soll, und warum gerade wir in einer fremden Welt gegen diese Asuras kämpfen sollen?“ „Alles zu seiner Zeit“, sagte Gennai. „Ich werde versuchen, all eure Fragen zu beantworten, allerdings weiß ich nicht, wie lange ich dazu Gelegenheit habe. Einiges werdet ihr gewiss schon in Erfahrung gebracht haben. Damit würde ich gerne beginnen.“ „Wir wissen, dass die DigiWelt eine Art Parallelwelt zu unserer ist“, sagte Jagari, „und dass wir sie über Computer erreichen können. Die Asuras bedrohen sie.“ Gennai nickte. „Das ist nicht ganz richtig, aber wir werden auf dieser Annahme aufsetzen.“ „Bevor Sie weiterreden: Wer oder was sind Sie eigentlich? Sind Sie auch ein DigiRitter? Oder etwas in der Art?“, fragte Tageko. „Diese Frage höre ich häufig von den Auserwählten. Ich bin weder Mensch noch Digimon, allerdings fürchte ich, euch allein mit Worten nicht begreiflich machen zu können, was ich bin.“ „Ich vermute ja, Sie sind ein biodigitaler Hybrid“, sagte Jagari fest. „Hä?“, machte Renji. Tageko verstand in etwa, was der Jüngste damit meinte, aber Gennai sagte nichts mehr dazu. „Gut, belassen wir’s dabei. Und die DigiWelt? Was ist sie? Und wo ist sie?“ Diese Frage zumindest konnte Gennai verständlich beantworten. „Die DigiWelt ist eine von vielen Welten, die neben eurer existieren. Im Gegensatz zu eurer Welt besteht sie rein aus Daten.“ „Aus Daten?“, fragte Jagari. „So ist es. Die Digimon bestehen aus Daten, alle Bäume und Gegenstände, sogar ihr werdet, wenn ihr die DigiWelt betretet, in Daten umgewandelt. Ich muss euch aber darauf hinweisen, dass diese Daten notwendig sind für eine Rückwandlung. Solltet ihr euch in der DigiWelt verletzen oder sterben, wirkt sich das auch auf eure Körper in dieser Welt aus.“ Die DigiRitter versuchten, das zu verdauen. Taneo befühlte seine Narbe. „Weiter im Text: Was können Sie uns über die Asuras sagen?“, fragte Tageko. „Die Asuras sind die Wächter der Finsternis. Die zwölf Anhänger und treuen Diener der Meister der Dunkelheit.“ „Meister der Dunkelheit?“, hakte Kouki nach. „Das wird irgendwie immer finsterer“, murmelte Renji. „Hier muss ich etwas ausholen. Vor fast acht Jahren wurde, so wie ihr heute, eine Gruppe DigiRitter auserwählt, um die DigiWelt vor Zerstörung und Dunkelheit zu bewahren. Damals erschien eine finstere Macht, genährt vom Hass all der Digimon-Arten, die im Laufe der Zeit durch die Digitation ausgestorben sind.“ „Moment!“, sagte Tageko. „Ich dachte, eine Digitation wäre es, wenn unsere Digimon von einem Level auf das nächste gelangen?“ „Wobei deines ja immer noch derselbe Schwächling ist“, feixte Renji seinen obligatorischen unnötigen Kommentar. Sie ignorierte ihn auch einfach. „Vielleicht bedeutet es gleichzeitig auch sowas wie bei uns die Evolution“, überlegte Jagari. „Demnach entwickeln sich auch die Digimon kontinuierlich weiter, und wer keinen Platz mehr in der Welt hat, wird ausselektiert.“ Gennai nickte. „So ist es.“ „Aber sie wollten nicht tot bleiben, oder wie?“ Renji raufte sich den Kopf. „Mann, das wird mir allmählich zu wirr mit diesem ganzen Pseudo-Reinkarnationskram.“ „Ich bin überrascht, dass du überhaupt mitzudenken versuchst“, gab Tageko kühl zurück. „Ach, halt doch den Mund, Frau Oberschlau!“ „Und die DigiRitter kämpften gegen diese Macht?“, nahm Taneo den Faden wieder auf. Wieder nickte Gennai. „Acht Kinder aus eurer Welt wurden dazu bestimmt, das finstere Apocalymon zu besiegen, dessen Form die dunkle Macht annahm. Es ernannte die vier Meister der Dunkelheit, um seinen Willen auszuführen. Diese schafften es, die Kraft der vier Digimon-Gottheiten, die über die DigiWelt wachen, zu versiegeln und sie in tiefen Schlaf zu versetzen. Nach vielen Kämpfen gelang es den DigiRittern, sie zu besiegen und die Ordnung in der DigiWelt wiederherzustellen.“ „Diese Typen müssen irre stark gewesen sein“, murmelte Kouki entmutigt. „Wir schaffen es ja nicht mal, mit den Dienern von diesen Meistern der Dunkelheit fertigzuwerden.“ „Eines verstehe ich nicht, Gennai“, sagte Taneo. „Wenn sie doch die Meister der Dunkelheit und dieses Apocalymon besiegt haben, warum dann nicht auch die Asuras?“ „Die Asuras halfen den Meistern der Dunkelheit, die vier Gottheiten zu bekämpfen. Dabei wurden sie fast vernichtet. Nur ein winziger Teil ihrer Kräfte verblieb, und sie fielen in einen Schlaf, ähnlich dem der Götter selbst. Wir dachten zunächst, sie seien völlig zerstört worden, und werteten es als einen Sieg. Aber das alte Sprichwort hat sich wieder einmal bewahrheitet: Wo es Licht gibt, gibt es auch Schatten. Als nach Apocalymons Fall drei der vier Gottheiten erwachten und nach und nach ihre Macht zurückerlangten, wuchs in gleichem Maße die dunkle Energie in den Asuras.“ „Glauben Sie, die Meister der Dunkelheit haben sie absichtlich an den Rand der Vernichtung getrieben? Um über die Gottheiten zu wachen, falls sie versagen sollten?“, fragte Taneo. „Wen interessiert denn, was irgendsolche komischen Digimon vorhatten?“ Renji rollte mit den Augen und fing sich einen giftigen Blick von ihm ein. „Das weiß ich nicht, aber ich glaube nicht. Die Meister der Dunkelheit hatten gewiss nicht vor, den DigiRittern zu unterliegen.“ „Und jetzt sind die Asuras also wieder erwacht?“, fragte Kouki. „Vor kurzem erlangten sie ihre gesamte Macht wieder und traten auf die Bildfläche. Das Erste, was sie taten, war, die drei göttlichen Wächter wieder zu versiegeln.“ „Ich höre immer nur drei Götter“, warf Taneo ein. „Ich dachte, es wären vier?“ Gennai nickte. „Aus Gründen, die sich uns selbst noch nicht offenbart haben, erwachte das mächtige Zhuquiaomon nicht aus seinem Schlaf, auch nach Apocalymons Vernichtung nicht. Doch selbst, wenn es den anderen beigestanden hätte, bezweifle ich, dass es viel geändert hätte. Die Asuras haben die Fähigkeit, die göttlichen Wächter zu versiegeln, von ihren Herren geerbt. Es ist die letzte und heimtückischste Geißel, die noch von dem Übel übrig ist, das einst als Apocalymon in die DigiWelt kam.“ „Wie darf man sich das vorstellen?“, schnaubte Fumiko. „Die Asuras schlafen irgendwo in der DigiWelt, und keiner kommt auf die Idee, deswegen etwas zu unternehmen? Irgendwer muss doch gemerkt haben, dass sie noch nicht tot sind!“ Gennai begegnete ihrem herausfordernden Blick ruhig. „Natürlich erfuhren wir irgendwann von ihnen, doch selbst die Götterdigimon hatten keinen Zugriff auf sie. Die letzten Lebensfunken der Asuras befanden sich nicht in der DigiWelt, sondern in einer Art Zwischenwelt, wo sie wieder und wieder einen ewigen Kreislauf des Sterbens und der Wiedergeburt erlebten, bis zu dem Moment, in dem ihnen die Rückkehr in die DigiWelt gelang. So etwas ist schon einmal vorgekommen. Das Digimon, dem damals die Rückkehr gelang, war dabei über seine Grenzen hinausgewachsen. Wir können von Glück reden, dass die Asuras ihre ursprüngliche Form behalten haben.“ Tageko erinnerte sich an die Zeilen, die sie in den hinduistischen Schriften gelesen hatte. Tod und Wiedergeburt … Samsara. Dann musste für die Asuras die DigiWelt das Nirvana sein, das sie endlich erreicht hatten. „War das nicht abzusehen?“, fragte Renji. „Ich meine, hättet ihr euch nicht irgendwie darauf vorbereiten können, dass die zurückkommen?“ „Das haben wir. Ihr wurdet als neue DigiRitter ausgewählt, eure Partner wurden für euch bestimmt, und eure DigiVices gefertigt.“ „Das ist ja wohl ein schlechter Witz“, schnaubte Renji und wandte sich demonstrativ ab. „Selbst in der Dunklen Welt erlebten die Asuras den Fall ihrer Meister mit“, fuhr Gennai fort, „und sie schworen sich, nicht ebenfalls den Fehler zu machen, die DigiRitter zu unterschätzen. Sie bekämpften nicht nur die Gottheiten und ihre Getreuen, sondern versuchten auch mit allen Mitteln zu verhindern, dass ihr in die DigiWelt gelangt. Wir mussten große Opfer bringen, um eure Ernennung wahr werden zu lassen. Ihr müsst äußerst wachsam sein, ihre Heimtücke kennt keine Grenzen. Sie werden versuchen, euch mit allem, was sie haben, zu vernichten, ehe ihr eine Gefahr für sie werden könnt.“ „Das sind ja tolle Aussichten“, murrte Renji. „Auch ihr müsst euch beeilen“, setzte Gennai noch eins drauf. „Während wir hier reden, wächst die Macht der Asuras stetig an.“ „Wie das?“, fragte Taneo. Zum ersten Mal sah der gefasste Gennai etwas betrübt aus. „Einst wurde die Harmonie in der DigiWelt von sechs Heiligen Steinen gefestigt, die die Macht der Gottheiten in sich trugen. Zwischen euch und den DigiRittern, die Apocalymon besiegten, liegt noch eine weitere Generation von DigiRittern, und diese DigiRitter kämpften gegen ein Digimon, das es sich zum Ziel gemacht hatte, die Heiligen Steine zu zerstören, ehe es geläutert wurde. Dabei wurden fünf der Steine vernichtet. Um ihre Macht zu ersetzen, säte das weise Azulongmon Lichtsamen an diesen Orten. Diese Samen wurden von den Asuras infiziert. Nach und nach wird das Licht von Dunkelheit überwuchert.“ „Wie ein Virus?“, fragte Jagari. „So kann man es sagen. Unglücklicherweise mussten wir den letzten Heiligen Stein opfern, um euch eure DigiVices zukommen zu lassen. Nun sorgen nur noch diese Lichtsamen für die Ordnung in der DigiWelt. Wenn die Dunkelheit sie jedoch völlig verschlungen hat, wird statt Ordnung Chaos regieren. Die Samen werden dann statt der Macht des Lichts die Macht der Dunkelheit verbreiten.“ „Und was bezwecken die Asuras damit? Einfach nur die DigiWelt zu beherrschen, oder wie?“, fragte Taneo. „Darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Die Meister der Dunkelheit erhielten von Apocalymon die Macht, die DigiWelt zu einem einzigen, großen Berg zu verformen, über den sie herrschten. Vielleicht wollen die Asuras ihren Meistern tatsächlich nacheifern. Die Heiligen Steine verhindern aber auch, dass die Grenzen zwischen den Welten zusammenbrechen. Indem sie die Lichtsamen kontaminieren, könnten die Asuras auch bezwecken, in eure Welt oder eine andere zu gelangen oder sie zu vereinen.“ Tageko lief es kalt über den Rücken. Sie stellte sich vor, wie SkullScorpiomon in den Straßen von Tokio Amok lief. Ob die Armee es wohl mit Panzern und Bomben aufhalten könnte? Auf jeden Fall würde es Opfer und Zerstörung geben. „Wie können wir das verhindern?“, fragte Taneo. „Ich höre hier immer wir“, knurrte Renji. „Du bist eben auch ein DigiRitter.“ „Bin ich das? Hat mich irgendjemand gefragt?“, ereiferte er sich. „Ich denk nicht dran, den Kopf hinzuhalten, damit ihn mir irgend so ein verrücktes Digimon abschlägt, nur weil ein Typ, der nicht mal ein Mensch ist, und irgendwelche Gottheiten, von denen ich heute zum ersten Mal höre, das von mir verlangen! Oder glaubt ihr die ganze Geschichte mit den Auserwählten wirklich?“ „Hast du nicht zugehört?“, fragte Tageko kühl, während Taneo zornig die Zähne zusammenbiss. „Das geht uns alle was an. Sie könnten in die Menschenwelt kommen!“ „Dann können wir immer noch schauen, was wir tun können. Verdammt, was interessiert mich diese kranke Welt, von der wahrscheinlich noch nie jemand was gehört hat?“ „Renji“, seufzte Kouki. „Du hast doch gesehen, was in der DigiWelt los ist! Da gibt es genauso wie bei uns friedliche Einwohner, und die Asuras bedrohen den Frieden!“, sagte Taneo impulsiv. „Hast du das Bearmon-Dorf vergessen? Da drüben gibt es Krieg und Leid! Wir sind die DigiRitter, und unsere Digimon können uns helfen. Wenn sowas in unserer Welt passiert, können wir kaum was dagegen tun, aber in der DigiWelt haben wir diese Möglichkeit.“ Keines seiner Worte erreichte Renji, der einfach auf Durchzug schaltete. „Sei vernünftig, Oyara-kun“, sagte Fumiko. „Dein Kyaromon ist auch in der DigiWelt zuhause. Willst du, dass es seine Heimat verliert?“, fragte Kouki. „Nein, aber …“ Renji stockte, als er sah, wie ihn alle durchdringend ansahen. „Leute“, keuchte er, „ist das euer Ernst? Wollt ihr euch wirklich mit den Asuras anlegen?“ „Wir sind die Einzigen, die es können“, sagte Taneo ernst und wandte sich an Gennai. „Das stimmt doch, oder?“ Renji schrumpfte in seiner Ecke in sich zusammen. Er hätte jetzt gehen können. Tageko konnte merkwürdigerweise nachfühlen, wie es ihm ging. Ihr behagte der Gedanke, sich so einer Gefahr auszusetzen, auch nicht. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er blieb. Zugegeben hätte sie das freilich nie. Gennai, der ihrer Diskussion schweigend zugehört hatte, nickte. „Eure DigiVices besitzen die Fähigkeit, die kontaminierten Lichtsamen zu reinigen.“ Die DigiRitter holten die Geräte hervor, die wie kleine Klapphandys aussahen, und betrachteten sie interessiert. „Wenn ihr sie auf die Lichter richtet, werden sie nach und nach von der Dunkelheit befreit. Je nachdem, wie weit die Infektion fortgeschritten ist, kann es eine Weile dauern. Und ihr müsst damit rechnen, dass die Asuras euch dort auflauern werden. Das Licht eurer DigiVices beinhaltet ein Serum, das eine weitere Infektion verhindern kann. Die Samen, die ihr völlig reinigt, werden nie wieder von der dunklen Macht befallen werden. Wenn die Asuras das herausfinden, werden sie die Orte streng überwachen. Und bedenkt: Ein einziger verdunkelter Samen kann das Gleichgewicht der DigiWelt zerstören. Erst wenn alle gereinigt sind, sind die Asuras bezwungen.“ Dieser Ankündigung folgte schwere Stille. Tageko konnte sich gut vorstellen, was in den Köpfen der anderen vorging – außer vielleicht in Renjis, der immer noch schmollte, und Jagaris, dessen Mienenspiel zwischen leuchtender Begeisterung und Erschrecken schwankte. Um die Asuras zu bekämpfen, mussten sie die Lichtsaaten reinigen, und diese wiederum wurden von den Asuras bewacht. Das bedeutete, ihre Feinde wussten, wo sie auftauchen würden. „Wir sind ihnen doch nicht gewachsen“, sagte Fumiko irgendwann mutlos. „Oder täusche ich mich? Sie sind alle viel stärker als wir.“ „Wir haben schon eines besiegt“, erinnerte Taneo sie. „Wir wissen doch gar nicht, ob das dunkle Tyrannomon überhaupt ein Asura war“, hielt Fumiko dagegen. „Ich meinte das andere. Pumpkinmon.“ „Das soll ein Asura gewesen sein?“, lachte Renji unecht. „Wenn, dann hat es sich nur aufgespielt. So, wie du es gern tust. Außerdem warst du der Einzige, der es gesehen hat und behauptet, es sei ein Asura. Dass ich nicht lache!“ „Ich habe es auch gesehen“, mischte sich Jagari ein. „Und es hat wirklich gesagt, dass es ein Asura ist.“ „Klar, ihr Verlierer steckt ja unter einer Decke“, schnaube Renji. „Was ist eigentlich dein Problem?“, fragte Tageko genervt. Gennai beendete den Streit. „Unter den Asuras ist tatsächlich ein Pumpkinmon. Ich weiß nicht, ob es tot ist, aber es scheint das schwächste von ihnen gewesen zu sein. Im Allgemeinen haben eure Digimon das Level, auf dem die Asuras sind, noch nicht erreicht.“ „Tolle Aussichten“, murrte Renji. „Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, unsere Digimon noch weiter digitieren zu lassen?“, fragte Kouki. „Die früheren DigiRitter müssen ja wohl auch etwas in der Art getan haben.“ „Für den ursprünglichen Plan, sie das Ultra-Level erreichen zu lassen, hatten die Gottheiten nicht mehr genügend Kraft“, hagelte es weitere schlechte Neuigkeiten. „Ihr müsst einen anderen Weg finden, sie digitieren zu lassen.“ „Das wird ja immer besser!“, stöhnte Renji und griff sich theatralisch an die Stirn. „Kannst du jetzt endlich mal den Rand halten?“, zischte Tageko. „Ich werde versuchen, euch eine Karte der DigiWelt zukommen zu lassen, damit ihr die Orte mit den Lichtsamen findet“, sagte Gennai. „Ich fürchte, euch allein die Gegenden zu beschreiben, wird nicht ausreichen. Es könnte aber ein wenig dauern, ehe ich Gelegenheit habe, euch die Informationen zu übermitteln. Dann werde ich euch auch alles sagen, was ich über die Asuras in Erfahrung bringen kann, und euch vielleicht noch ein paar Hilfsmittel geben“, griff er die schon länger im Raum schwebende Frage auf. Mit wachsender Mutlosigkeit sahen die DigiRitter einander an, ehe sich Kouki gegen die Stirn klatschte. „Ich glaube, ich weiß, wo einer dieser Lichtsamen ist“, rief er. Alle blickten ihn erwartungsvoll an. „Das ist mir erst jetzt wieder eingefallen! Als ich mit Ogremon unterwegs war, kamen wir an einer Schlucht vorbei. Da drin leuchtete etwas, aber es war von schwarzen Flecken übersät. Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als wir vorbeigingen. Es war total beklemmend, als würde mich etwas Böses, Kaltes einkreisen … Ihr könnt euch das nicht vorstellen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das einer der Lichtsamen war!“ „Da hast du recht“, sagte Gennai „Einer der Samen liegt tatsächlich am Grund einer Schlucht.“ „Meinst du, du findest dort wieder hin?“, fragte Taneo. Kouki zuckte mit den Schultern. „Glaub schon. Dort in der Nähe gibt es ein Restaurant, das lässt sich vielleicht recht einfach finden. Ich denke, wir sollten uns als Erstes diesen Samen vornehmen, bis Gennai uns die Position der anderen zukommen lassen kann. Hat wer was dagegen?“ Tageko hatte sogar eine Menge dagegen. Die beständigen schlimmen Nachrichten hatten ihre Entschlossenheit gehörig ins Wanken gebracht. Es klang fast aussichtslos. Sie könnten verletzt werden, gar sterben, die ganze Schar der DigiRitter und ihre Digimon, und sie musste schließlich auf sie aufpassen. Aber unter Gennais gleichmütigem Blick konnte sie irgendwie nicht direkt widersprechen. Es war wohl so etwas wie Pflichtgefühl. „Wir sollten eine Nacht darüber schlafen“, sagte sie daher. „Dann entscheiden wir, was wir weiter tun.“ Ob wir noch etwas tun, fügte sie in Gedanken hinzu. Gennai nickte. „Tut das, aber bedenkt, dass die Asuras stärker werden, je mehr die infizierten Samen die Macht der Dunkelheit verbreiten.“ „Ich habe da noch eine andere Frage“, murmelte Fumiko. Sie klang fast anklagend, und Tageko konnte sich denken, was sie als Nächstes sagen würde. „Alle haben ihre Partnerdigimon bekommen, aber meines ist noch immer nicht aus dem Ei geschlüpft. Warum? Wird es jemals schlüpfen?“ Gennai sah sie seltsam an. Wieder blitzte eine Spur Bedauern in seinen gleichmäßigen Zügen auf. „Das kann sein. Als mich die Asuras angriffen und ich eure DigiEier und DigiVices in Sicherheit brachte, wurde eines der Eier beschädigt. Es tut mir leid.“ „Und was ist jetzt damit?“ Fumikos Stimme wurde lauter. „Wird es je schlüpfen? Oder ist es tot?“ „Das ist schwer zu sagen“, antwortete Gennai ausweichend. Tageko hasste ihn in dem Moment dafür, immer so vage zu sein. „Für gewöhnlich erscheinen Digimon, wenn sie sterben, wieder als DigiEier in der Stadt des Ewigen Anfangs.  Es kommt nur ganz selten vor, dass ein Digimon in seinem Ei stirbt. Ich habe leider keine Antwort auf deine Frage.“ Fumiko ließ enttäuscht die Schultern hängen. Tageko trat zu ihr und nahm sie in den Arm, um ihr Trost zu spenden. „Habt ihr noch weitere Fragen?“ Gennai schien die Unterhaltung lästig zu sein, oder täuschte sich Tageko? Als wollte er nicht, dass man ihn derart löcherte. „Ja, ich.“ Kouki öffnete den Rucksack, den er mitgebracht hatte. Darin lagen die seltsamen Statuen, die er ihnen gezeigt hatte. „Die hier hab ich in der DigiWelt gefunden. Wissen Sie, was das ist?“ Es war wohl die aufregendste Reaktion, zu der sich Gennai an diesem Tag hinreißen ließ: Er blickte erstaunt in den Rucksack. „In der Tat. Das sind die DigiArmorEier, legendäre Artefakte, die nur von wenigen Digimon genutzt werden können. Für euch waren sie eigentlich nicht vorgesehen. Sie gerieten in den Besitz der Asuras, als ich eure DigiVices rettete.“ „Das da sind DigiEier?“, fragte Jagari ungläubig. „Den DigiArmorEiern wohnt die Kraft verschiedener Wappen inne. Diese Wappen entsprachen den Wesenszügen der DigiRitter, die vor euch in die DigiWelt gerufen wurden. Mit ihrer Hilfe konnten ihre Digimon digitieren. Ursprünglich war auch für jeden von euch eines der herkömmlichen Wappen geplant gewesen.“ Er sah Kouki an. „Aufrichtigkeit.“ Sein Blick glitt zu Jagari. „Wissen.“ Zu Fumiko. „Freundschaft.“ Taneo. „Mut.“ Tageko. „Zuverlässigkeit.“ Zu Renji. „Und Liebe.“ „Was?“, platzte Renji heraus. „Warum muss gerade ich so ein schwules Wappen haben?“ „Du hast mir doch oft genug gesagt, dass du in mich verliebt bist, oder?“, fragte Fumiko schnippisch. „Wenn du jetzt sagst, dass deine Gefühle für mich schwul sind, was soll ich dann davon halten?“ „Was? Aber … ich …“ Renji, der offenbar nicht begriff, dass sie einen Scherz gemacht hatte, starrte sie sprachlos aus tellergroßen Augen an. Tageko wagte nicht zu lachen, um diesen göttlichen Moment möglichst lange hinauszuzögern. „Dieser Plan wurde letztendlich verworfen“, sagte Gennai. „Wir hatten keine Zeit, eure DigiVices auf die Wappen abzustimmen.“ Er musterte Kouki forschend. „Aber du sagst, du kannst die DigiArmorEier hochheben?“ „Klar. Sie sind federleicht.“ „Jedes?“ „Äh, ja.“ Er kratzte sich am Kopf. „Wir anderen konnten das nicht“, sagte Tageko. „Was bedeutet das?“ Renji gab etwas von sich, das wie Angeber klang, aber sie war sich nicht sicher. „Das ist interessant“, sagte Gennai. „Ich werde Nachforschungen anstellen. Bewahre die ArmorEier am besten in der Menschenwelt auf. Sie sollten den Asuras nicht noch einmal in die Hände fallen.“ Er sah auf den Computerbildschirm zurück. „Es wird nun Zeit für mich, zu gehen. Ich zähle auf euch, DigiRitter. Die ganze DigiWelt tut das. Wir sehen uns wieder.“ Und dann war er weg. Ohne noch eine weitere ihrer tausend Fragen abzuwarten, wurde er von dem Monitor verschluckt wie Sand von einem Staubsauger, und er hinterließ beklommene Stille in den Reihen der DigiRitter. Sie hatten nun ein Ziel – die Lichtsamen reinigen und dabei die Asuras zerstören –, aber sie waren weiter davon entfernt denn je.   Obwohl sie die Entscheidung, was nun zu tun war, vertagen wollten, endete der Abend trotzdem damit, dass die DigiRitter sich von Jagaris Mutter bewirten ließen, während sie angeregt über ihr Gespräch mit Gennai diskutierten. Renji und Taneo waren einander ausnahmsweise in einem Punkt einig: Gennai hatte sie kaum einen Schritt weitergebracht. Er hatte ihnen gesagt, was sie zu tun hätten, aber ihre Aufgabe war weit schwieriger, als sie gefürchtet hatten. Fast alle sprachen sich dafür aus, es dennoch zu versuchen. Taneo meinte, es wäre ihre Pflicht, die DigiWelt zu retten, man hätte sie immerhin dafür auserwählt und ihnen zu diesem Zweck Digimon-Partner gegeben. Kapurimon hüpfte bestätigend auf und ab. Fumiko war auch dafür. Zwar war sie zerknirscht, was ihr DigiEi anging, aber sie wollte dennoch nicht untätig bleiben. Kouki, dem die Grausamkeit der Asuras und die Freundlichkeit anderer Digimon noch gut im Gedächtnis saßen, wollte ebenfalls versuchen, die DigiWelt zu retten, und Tageko sah sich gezwungen, mit den Entscheidungen ihrer Schützlinge mitzulaufen, um sie davor zu bewahren, auf eigene Faust in den sicheren Untergang zu rennen. Da sie sie wohl nicht umstimmen konnte, würde sie mitkommen müssen, egal wie wenig Lust sie auch dazu hatte. Jagari war etwas ängstlich, gleichzeitig fand er die DigiWelt aber so faszinierend, dass er es laut eigener Aussage kaum erwarten konnte, dorthin zurückzukehren. Renji war nicht stur genug, um sich lange zu widersetzen – zwar maulte er noch eine Weile herum, aber seine Einstellung weichte schließlich auf. „Wenn ich mitkomme, gehst du dann mal mit mir aus, Fumiko-chan?“, fragte er im Scherz „Reden wir darüber, wenn wir die Asuras besiegt haben“, gab sie zurück. Die Frage, ob sie es ebenfalls scherzhaft gemeint hatte, gab ihm dann lange zu denken. Schließlich sprachen sich alle DigiRitter mehr oder minder entschlossen dafür aus, den Lichtsamen aufs Korn zu nehmen, den Kouki gesichtet hatte. Als sie soweit waren, war die Sonne längst untergegangen. Einen Plan schmiedeten sie noch, weil sie gerade so schön in Fahrt waren. Hier wurden sie sich schneller einig, obwohl Renji prinzipiell gegen alles war, was Taneo vorschlug, ohne selbst Ideen vorzubringen. Irgendwann herrschte Tageko ihn an, endlich den Mund zu halten oder etwas Besseres vorzuschlagen, und dann schmollte er eine Zeitlang. Taneo kalkulierte verschiedene Faktoren ein: Die ihnen bereits bekannten Gebiete der DigiWelt, die ihnen bekannten Asuras, Dörfer und Orte, an denen freundlich gesinnte Digimon lebten, ihre eigenen Fähigkeiten und das lebende Haus, das in der DigiWelt noch auf sie wartete. In jedem Fall wollten sie warten, bis Jagari wieder völlig gesund war. Es war fast Mitternacht, als sie sich schließlich verabschiedeten. Freitags versammelten sie sich nach Jagaris Anruf schließlich wieder im Hause Morino. Der Kampf um die Lichtsamen würde nun beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)