Raftel (2) von sakemaki (The Rainbow Prism) ================================================================================ Kapitel 1: 1 - Wunderbare Jahre -------------------------------- Nach all den Jahren hatte sie angefangen, diesen Ort hier oben am Rande der Steilküste zu lieben. Es war ihr mehr als ein zu Hause geworden, und wenn sie die wenigen Treppenstufen zu der winzigen Turmkuppel empor klomm, wo sich nach wie vor der helle Lichtschein des Leuchtfeuers des Nachts seinen Weg über den East Blue suchte, so hatte sie einen perfekten Rundumblick über all das, durch was sie die letzten zehn Jahre ihres Lebens bestimmt wurde. Dort landeinwärts erstreckte sich Loguetown in seiner ganzen Pracht mit der bedeutenden Handelsstadt, den malerischen Landstrichen und dem mildesten Klima im gesamten Ozean. Am Fuße ihre Leuchtturms begann ein kurzer Weg, den sie unendliche Male hinauf und hinab marschiert war. Durch einen Hain an krüppeligen Kiefern und großen Büschen von Kartoffelrosen vorbei folgte man ihm hinunter in die Stadt, oder aber man entschloss sich an der Weggabelung zu einem Spaziergang zu einem wildromantischen Sandstrand, wo sich nur selten jemand dahin verirrte. Sie musste jedes Mal schmunzeln, wenn sie daran dachte, wie man sich nur an dieser einzigen Weggabelung auf dem gesamten Weg verirren konnte. Das gelang wohl wahrlich nur einem. Doch meist blickte sie auf der gegenüberliegenden Seite des Turms von hier oben über die endlose Weite des Meeres. An manchen Tagen beobachtete sie gedankenverloren die vorbeifahrenden Schiffe, welche ihre Abenteuer auf der Grandline versuchen wollten und das Licht ihres Leuchtturmes als letztes Seezeichen des Abschieds sahen. Dann bekam sie doch ein wenig Fernweh und wünschte, an Bord zu sein und mitzufahren. Egal wohin, Hauptsache raus und weg. Doch niemand hielt an und lud sie ein. Und so suchte sie den Horizont ab nach einem Schiff, welches sie sich sehnlicher herbeiwünschte, als alle anderen Schiffe der Welt. Es tauchte viel zu selten auf, und wenn es das tat, dann waren es wenige kostbare Momente. Oft hatte sie sich ertappt, wie sich ihr Blick in den Wellen und ihr Gehör in dem Rauschen des Ozeans verlieren konnten. Jedoch würde es nun in den Nächten von hier oben aus dunkel werden. Der lange Arm der Marinebürokratie hatte letztendlich auch die Akte ihres Leuchtturmes nach verstrichenen Jahren in die Finger bekommen und festgestellt, dass es schon längst überfällig wäre, dass Leuchtfeuer zu löschen und draußen einige Seemeilen vor der Steilküste durch eine wartungsarme Leuchtboje zu ersetzen. Nun saß sie hier in ihrer Veranda-Schaukel, trank einen großen Schluck aus ihrem Kaffeebecher und schaute hinaus auf die offene See, wo sich ein einsamer Schiffskran schon seit Stunden mühte, eben diese Boje dort auf ihrer neuen Position zu fixieren. Sie verstand nicht, weshalb angesichts des doch etwas unruhigem Seegangs die ganze Aktion nicht verschoben worden war, bis sich der East Blue wieder von seiner stilleren Seite zeigen mochte. Langsam verschwand die Sonne im Meer. Das kräftige Azurblau des Tages wich nach einer kurzen Orangeschattierung dem all überdeckendem Nachtblau und einem einmaligen Sternenhimmel. Es waren die ersten milden Nächte eines nahenden Sommers, doch noch zu frisch, um nicht zu frösteln. Sie riss sich aus ihren Gedanken als sie plötzlich spürte, wie man ihr den wärmenden Marinemantel über die Schultern hing. „Über was grübelt Frau Flottillenadmiral denn schon wieder die ganze Zeit?“ hörte sie eine vertraute Stimme, die sie schon den halben Tag damit aufgezogen hatte, sich nun wieder in alte Berufsgefilde verirrt zu haben. Zoro nahm neben ihr Platz, und da seine Beine länger waren als Tashigis, reichte seine aus, um sich vom Verandazaun abzustoßen und die Schaukel in ein leichtes Schwingen zu versetzen. „Ach, nenn' mich nicht so. Ich bereue es jetzt schon“, jammert sie zurück. Es klang eher wie ein Selbsttadel, und großes Bereuen lag in ihrer Stimme. Nein, sie wusste auch nicht, was sie dazu bewogen hatte, diese eine Entscheidung zu treffen. Erst hatte sie es darauf geschoben, dass sie sich vollkommen überrumpelt gefüllt hatte, als sie vor einigen Monaten wieder einmal mehr Admiral Smoker über den Weg gelaufen war. Loguetown war zwar nicht gerade eine kleine Ortschaft, doch war sie dann doch nicht groß genug, um sich dauerhaft aus dem Wege zu gehen. Zwar hatte sie mit dem Qualmer kaum ein Wort gewechselt, nachdem sie die Marine verlassen hatte. Als er sie jedoch an diesem einen Tag auf offener Straße ansprach, dass sie bitte noch einmal in sein Büro kommen möge, war sie trotz großer Zweifel seiner Aufforderung nachgekommen. Immerhin hatte er stillschweigend als Befehlshaber über diese Insel es jahrelang toleriert, dass dort oben in dem Leuchtturm ein Piratenkind namens Roronoa Taiyoko aufwuchs, welches noch dazu regelmäßig von der Strohhutbande besucht wurde. Alle ihre Bedenken, das ihre Tochter oder sie selbst irgend einem Rache-Attentat ausgesetzt wären, zerschlugen sich. Es waren im nach hinein wunderbare Jahre in Loguetown voller Ruhe, Sicherheit und Alltagsnormalität. Kurzum, als sie ihre alte Arbeitsstelle betrat, wusste sie von einer Sekunde auf die andere, was sie in all den Jahren vermisst hatte. Hier war sie aufgewachsen. Etwas anderes hatte sie nie gelernt. Hier gehörte sie doch eigentlich her. Die Zeit schien im Marinequartier stillgestanden zu haben. Der selbe alte Putz bröckelte von den Wänden, die selben alten Dienstpläne wurden tagtäglich fortgeführt, der selbe alte Rauch eines Zigarrenliebhabers waberte durch die Gänge. Sie konnte es sich selbst nicht nehmen, ihr altes Zimmer, in welchem sie viele Jahre ihres Lebens verbracht hatte, zu besuchen. Lange stand sie dort in der kleinen Kammer und schwelgte in Erinnerungen. Verwunderte Blicke von Marinesoldaten trafen sie, welche über den Flur ihr und der geöffneten Zimmertür vorbei schlichen. Der Großteil der Mannschaft war ihr nicht mehr bekannt. Viele neue Gesichter waren rekrutiert worden und hatten erst gerade ihre Grundausbildung abgeschlossen. Nur wenige Alte waren noch da und wussten ihren Namen und einen Teil ihrer Geschichte. Als sie das Arbeitszimmer des Admirals betrat, kam es ihr schon fast vertraut heimelig vor. Es wunderte sie dabei schon gar nicht mehr, dass sie selbst in alte Verhaltensmuster fiel. Dennoch blieb sie misstrauisch. „Sie wollten mich sprechen, Sir?“ hörte sie sich selbst sagen, als wäre ihr Geist im falschen Körper. Smoker blickte sie lange prüfend an, zog eine dicke Zigarre in einem Zug auf, nur um sich sofort die nächste anzustecken. Sein Anliegen schien ihm irgendwie unangenehm zu sein. „Brauchst du einen Job?“ fragte er nervös. „Einen Job?“ Das Misstrauen versteifte sich. In den ersten Jahren ihres Lebens außerhalb der Marine war Smoker einmal die wahnwitzige Idee gekommen, sie als Spitzel in Bezug auf die Strohhutbande anwerben zu wollen, was sie zutiefst empört ablehnte. Nicht nur diese Abfuhr hatte er überwinden müssen, sondern auch, dass kurz darauf niemand geringeres als ein Monkey D. Luffy und ein Roronoa Zoro persönlich bei ihm im Büro aufkreuzten, um ihm unmissverständlich mitzuteilen, dass man Freunde der Strohhüte auf gar keinen Fall schief von der Seite an zu quatschen hätte. Welche Verteidigungsstrategie hätte Smoker gegenüber einem Teufelskräfte aufhebenden Hanyô wie Zoro auch aufbieten sollen? Er zog verärgert an seiner Zigarre, ärgerte sich, dass er selbst durch das Essen einer Teufelsfrucht jegliche Hanyôkräfte verloren hatte und ließ die beiden unter dem Versprechen, sich an gewisse Regeln zu halten, zähneknirschend ziehen. Nein, einen Job bräuchte sie wahrlich nicht, obgleich ihr Leben doch recht bescheiden war und sie sich manchmal doch dein einen oder anderen Luxus gönnen würde. Vor gut zehn Jahren hatte sie die Fotos der Kamera Obscura meistbietend verkaufen können, bis der Hype um obskure Kunstwerke wieder verebbte. Darüber war sie sogar etwas froh, denn die Bilder wurden ihr mit der Zeit unheimlich, denn nur sie selbst wusste im Gegensatz zur Kundschaft, was die Motive tatsächlich zeigten. Von dem erwirtschafteten Geld konnte sie gut auskommen, auch wenn die Ersparnisse nun doch so langsam zur Neige gingen. Und so hatte sie die Kamera gut verstaut in eine Truhe gelegt mit all den spirituelle Filmen. Vielleicht bräuchte sie die Kamera irgendwann einmal wieder. Da wäre es zudem schade, wenn alle Filme verbraucht wären. Originalfilme zu bekommen gestaltete sich als äußert schwierig. Dennoch musste sie sich auch eingestehen, dass sie die ruhigen Jahre auf Loguetown zu langweilen begannen. Taiyoko war mittlerweile auch fast dreizehn Jahre alt. Da rückte sie mit ihrer Mutterrolle schleichend in den Hintergrund. Sie brauchte eine neue Herausforderung, und ihrem großen Traum, alle Meisterschwerter zu finden, war sie nicht weiter nachgegangen. Also schenkte sie Smoker wieder die ganze Aufmerksamkeit, um sein Angebot abzuwarten. „Yurenda hat in den letzten Jahren viele Kriege ausrufen müssen. Du hast sicher von den Aufständen auf der Welt gehört. Dabei hat sie hohe Verluste hinnehmen müssen. Kurzum: Der Marine gehen die Leute aus. Es gibt durch die Kriegseinsätze nicht mehr so viele Freiwillige wie früher, die zur Marine wollen...“, begann Smoker den Versuch einer Erklärung. „Ich werde eine lange Zeit in den South Blue wechseln. Und da du eh hier auf der Insel bist und früher mal eine sehr gute Ausbildung genossen hattest, könntest du doch meinen Posten übernehmen. Solange ich zumindest nicht da bin.“ Es klang mehr nach einer Bitte als nach einem Arbeitsangebot. „Ich muss darüber nachdenken“, entgegnete sie. Mit diesen Worten war sie aufgestanden und hatte auf dem Absatz kehrt gemacht. In der Tür hielt sie für einen Moment inne als sie noch Smokers Worte hört: „Überlege es nicht zu lange. Du hättest den Rang einer Flottillenadmirals und zwar schon übernächsten Monat.“ Wilde Gedanken waren ihr dazumal durch den Kopf geschossen. Flottillenadmiral. Das hieße, ungefähr ein gutes Drittel des East Blue zu befehligen, eine eigene kleine Flotte zu haben und eine gute Besoldung. In früheren Zeiten wäre dieser Marinerang für sie lange unerreichbar geblieben. Beinahe wäre sie wieder umgedreht und hätte zugesagt. Aber sie besann sich und war in tiefen Gedanken nach Hause gegangen. Ja, gerne würde sie einwilligen. Doch was würde Zoro sagen? Immerhin war die Marine seit gut zehn Jahren Yurenda unterstellt, die von Marijoa aus seit ihrem Putsch sämtliche Regierungsgeschäfte leitete. Yurenda... Ein Name, der bei ihrem Freund nach wie vor ein rotes Tuch war und ihn innerlich zum Explodieren brachte. Daran hatte sich all die Jahre nichts verändern können. Sehr viel später in der Nacht, als Taiyoko schon längst tief im Land der Träume war und sie nicht belauschen konnte, rief sie ihn an. Sie schilderte ihm wasserfallartig lang und breit ihre Begegnung mit dem Qualmer, dessen Angebot und ihre Unsicherheit. Und Zoro, bei dem sie stets einen geduldigen Zuhörer hatte, hatte sie zu ihrer Überraschung aufgemuntert und nur gemeint: Wenn sie das eben tun möchte, dann sollte sie das auch tun. Und außerdem sollte sie sich nicht allzu viele Gedanken machen. Nahezu jeder Marineangehörige hätte seine persönlichen Leichen im Keller liegen. Man sähe sich da nur einmal Luffys Verwandtschaft an. Da sollte sich jeder bei der Marine einmal an die eigene Nase fassen. Und so war ihr Entschluss, denn sie unbewusst schon tief in ihrem Herzen zuvor gefasst hatte, gefällt. Gleich am nächsten Morgen noch bevor Loguetown erwachte oder gar ein Hahn die Einwohner aus dem Bett gekräht hatte, stand sie im Marinequartier am Tresen und ließ über den wachhabenden Offizier dem Raucher ausrichten, dass sie den Posten gerne annehmen würde. Sporadisch war sie dann immer mal wieder in der Marinebasis aufgetaucht, um sich einzuarbeiten. Es gelang ihr besser, als sie dachte. So rückte dann der große Tag der Übergabe schneller als, als sie dachte und so war es nur noch ein formaler Akt, die Station zu übergeben. All das hatte sie in ihrem Kopf Revue passieren lassen, während sie still mit dem Kaffeebecher in der Hand vor sich her schaukelte und auf das Meer starrte. Doch nun gab es nichts mehr zu sehen, denn die Nacht hatte den Himmel und das Meer in der Dunkelheit vereint. Selbst der Lichtschein des Leuchtfeuers verlor sich in der Ferne und spiegelte sich nur wenig auf den Wellen wider. Der Schiffskran ging dort draußen vor Anker und würde wohl dort verweilen, bis die See sich gelegt hätte. Etwas abseits in der Ferne, wo ein vereinsamter Sandstrand lag hob sich sanft ein feiner orangener Lichtschein gen Himmel ab. Luffy hatte sich in den Kopf gesetzt, am heutigen Abend ein Lagerfeuer am Strand zu entfachen und Sanji genötigt, dort alle Anwesenden mit einem Barbeque zu beglücken. „Das beantwortet meine Frage nicht,“ nahm Zoro den Gesprächsfaden nach kurzen Stille wieder auf. Doch eine Antwort sollte nicht folgen, denn die Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf laute Geräusche aus dem Hausinneren. Wütend klappt die Haustür, ein Hausschlüssel schepperte auf den Tisch und eine Sporttasche donnerte auf den Fußboden. Es dauerte keine Sekunde länger, dass ein Mädchen mit schwarzen Haaren und grünen Strähnen auf die Veranda stapfte. Sie hatte die Gesichtszüge ihres Vaters, aber die Augen ihrer Mutter. Dazu hatte sie eine Schlechtwettermiene aufgesetzt und machte ebenso schnell ihrem Ärger Luft. „Die sind echt alle zu blöde“, schimpfte Taiyoko los. Und dann folgte ein Redeschwall, denn sie von ihrer Mutter geerbte hatte, über den wieder einmal mehr verpatzten Kendo-Wettkampf. Monatlich veranstalteten die Schulen Loguetowns Wettkämpfen, um das beste Schulteam zu ermitteln, welches an den East Blue-Meisterschaften im Herbst teilnehmen würde. Doch die Teamzusammensetzung bei den Mädchen ihrer Altersklasse war eher bescheiden. Während Taiyoko davon zehren konnte, das Talent der Schwertführung in die Wiege bekommen zu haben, war bei den drei anderen Damen ihrer Gruppe gar kein Talent vergeben worden. Und so ging es aus wie die letzten Male: Ihr Team verlor 2:6 Punkte und war schon wieder aus dem Rennen. „Ich habe das Elaine schon tausendmal erklärt, wie die Schrittfolge geht. Aber die stolpert immer nur über ihre eigenen Füße. So komm' ich niemals von dieser Insel. So langsam habe ich echt keinen Bock mehr!“ zeterte sie. „Darf ich heute nochmal zu Elaine gehen?“ Elaine und Taiyoko waren ein Gespann wie Pech und Schwefel, auch wenn sich am Sport oft die Geister schieden. Dafür hatte Elaine gute Noten in den Naturwissenschaften, die Taiyoko aus reinem Desinteresse gar nicht besaß. Auch sonst ergänzte sich das Duo. Taiyoko war meist eher still, konnte aber aufbrausend und angriffslustig sein, während Elaine hingegen scheu war und gerne mal die Flinte ins Korn warf. „Na schön... Aber nicht allzu lange mehr. Wir holen dich nachher ab“, rief Tashigi ihr nach, denn ihre Tochter konnte gerne mit den Beinen voraus sein. „Wir sollten auch langsam zum Strand runter gehen“, meinte Zoro und erhob sich. Wenig später war es wieder still im Hause des Leuchtturms und sein Feuer leuchtete seinen Bewohner noch bis zur Weggabelung den Weg. Kapitel 2: 2 - Himmelszeichen ----------------------------- Hatte sich zuvor selten ein Einheimischer zu den weit abgelegenen Stränden des Westkaps verirrt, so wurde das Gebiet nun absichtlich von der Bevölkerung gemieden. Man betitelte im Volksmund den einst unbenannten Strandabschnitt nun Strohhutbucht, denn es hatte sich in den letzten Jahren so festgesetzt, dass die Sunny hier vor Anker ging, und es war ebenso ein festes Ritual, kurz vor der Abreise der gesamten Piratencrew ein Luffy-typisches Barbeque zu veranstalten. Und ein jeder Inselneuankömmling, dem dieses unbekannt war, bräuchte man keine Wegbeschreibung oder weitere Hinweise an die Hand geben, wohin man sich nicht zu verirren hätte: Luffys Feuerstelle war jedes Mal schon von Weitem zu sehen und der Krach an gegröhlten Liedern zu später Stunde bei gutem Wind bis auf Loguetowns Marktplatz zu hören. Da blieb Ärger zum einen mit Smoker nicht aus. Denn der eine oder andere unerfahrene Navigator auf See verwechselte das Lagerfeuer mit dem Leuchtfeuer am Westkap, weshalb sich die an den Sandbänken auf Grund gelaufenen Schiffe mehrten. Doch Smoker tippte da eher auf Luffys Dummheit und Uneinsichtigkeit, als denn auf einen gefährlichen Eingriff in die Seefahrt durch fälschlich gesetzte Seezeichen. Er beließ es jedes Mal bei einer mündlichen Abmahnung, bis es ihm dann reichte und dem Strohhutjungen die Auflage gab, dass dieser doch bitte selbst die festgefahrenen Kähne aus der Sandbank zu ziehen hätte und nicht länger die Marine. Zum anderen machte sich Ärger unter den Loguetownern breit, die sich in ihrer nächtlichen Ruhe gestört fühlten. Auch wenn die Strohhüte für die Bevölkerung nie ein Problem darstellten, so waren sie doch nach wie vor Piraten und man war froh, wenn sie wieder davon segelten. Man blieb dann doch lieber unter sich. Längst hatte man sich abgefunden, nicht nur als Gol D. Rogers Heimatinsel bekannt zu sein, sondern auch als Strohhutinsel, obgleich dieses besser war, als jemals von irgend einer anderen Piratenbande in Beschlag genommen worden zu sein. „Ob er wohl jemals den Unterschied zwischen Grillfeuer und Biikebrennen verstehen wird?“ platzte Tashigi laut heraus, als der kleine Pfad sie und Zoro aus dem Kiefernwäldchen heraus auf den Strand führte. Luffys Feuerhaufen brannte herrlich, doch irgendwie wurde der Haufen jedes Jahr ein bisschen umfangreicher und hatte nun sicherlich schon Wohnhausgröße erreicht. „Nicht wirklich“, kam es trocken von Zoro zurück.“Will er das überhaupt?“ Beide lachten kurz auf, stapften ihren Weg weiter über den durch Wind und Wetter gehärteten Sandstrand und gesellten sich zu den bereits Anwesenden, die sich im Halbkreis auf dem Treibgut der letzten Tage niedergelassen hatten. Ein beißender Geruch von Rauch mischte sich mit dem von leckeren Speisen und ein Wirrwarr von Meeresbrausen, Gitarrenklängen und Stimmen hing in der Luft. Mit Zoros Eintreffen war die Bande nun wieder komplett. Die Szenerie, welche sich Tashigi bot, war ihr vertraut, denn sie unterschied sich selten von den vorangegangen. „Sanji, wie lange dauert das denn noch? Ich habe Hunger!“, kam es von einem ungeduldigen Strohhutjungen. Und so blaffte es von Sanji zurück: „Es dauert so lange, wie es nun mal dauert. Du hast doch schon 43 Portion gehabt!“ „Könntet ihr nicht einfach mal die Klappe halten? Brook und ich haben gerade eine neue Songidee und die würden wir gern mal zu ende bringen!“ hallte Frankys Stimme dazwischen, während er die Saiten seiner Gitarre zupfte und Brook einen exotischen Rhythmus auf seinem Tambourin anschlug. „Hey Luffy, mach doch einfach mit!“ schlugen Chopper und Usopp dem Strohhutjungen als Kompromiss vor, die beide fröhlich zu Brooks Taktschlägen Arm in Arm um das Feuer tanzten und ein schiefes Lalala sangen. „Is` mir egal, was der macht. Hauptsache, er hält endlich die Klappe“, setze Franky noch einen nach. Seufzend schlug er noch einige Akkorde an, doch er konnte seine Idee nicht mehr so recht in die Tat umsetzen. Die Melodie war wie weggeblasen. Brook schlug eine andere Tonart vor und das Geklampfe begann von Neuem. „Hört endlich alle mit dem Streiten auf!“ Das kam nun von der Navigatorin, welche nebst der Archäologin mit einem Teller Abendessen in den Händen auf einer langen Holzplanke saß. Robin quittierte den üblichen Wahnsinn mit ihrem üblichen Lächeln. Morgen würde der ganze Spuk wieder vorbei sein. Eine Tatsache, mit der Tashigi sich nie vollständig abfinden würde können. Schon morgen würde die Crew in neue unbekannte Gefilde aufbrechen. Und jedes Mal war das geplante Ziel der langen Abenteuerreise Raftel, welches die Strohhüte nach wie vor nicht erreicht hatten, weil der Kapitän zum Leidwesen der gesamten Mannschaft darauf bestand, stets von einer der Grandlinerouten abzukommen, um sich im nächstbesten Abenteuer zu verzetteln. Sie selbst würde morgen ihren ersten offiziellen Arbeitstag begehen. Auch wenn sie bereits schon die letzten Tage zum Einarbeiten in der Marinestation verbracht hatte, so war es ihr noch nicht ganz Wohl dabei. Schnell hatte sie einen Überblick bekommen über die stark ausgedünnte Truppe vor Ort. Früher waren einst an die gut 1000 Mann auf Loguetown stationiert. Viele war nicht geblieben. Es war eine rechte Höllentruppe. Weniger daher, weil sie so blutrünstig gerissen, sondern vielmehr, da sie so individuell schlecht war. Aber im Großen und Ganzen trug ein jeder der knapp 300 Mann ihres Bataillons das Herz am rechten Fleck und war stets bemüht, seine anvertrauten Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen. Zumindest liefen die Büroarbeiten und der normale Schichtbetrieb wie am Schnürchen. In alles andere müsste viel Zeit, Arbeit und Durchhaltevermögen investiert werden. Sie seufzte bei dem Gedanken daran und hoffte, die Truppe würde ihrem Wege folgen. Umso mehr freute sie sich auf das Schiff. Ein wendiger Dreimaster ohne Namen. Kriegsschiffe waren steril durchnummeriert, und so stand am Bug der Fregatte nur EL-778. E für East Blue , L für Loguetown und 778 für das 778. Schiff, welches in der Werft vom Stapel gelaufen war. Sie beschloss, dass die Fregatte zukünftig einen Namen bräuchte, wenn auch inoffiziell. Die Beziehung zu einem Schiff wäre eine andere, wenn es einen Namen hätte. Das hatte sie damals die Sunny gelehrt. Die Thousand Sunny. Ruhig dümpelte sie im Wellengang in unmittelbarer Nähe vor Anker und wartete auf ihre Mannschaft. Längst war sie von der Dunkelheit der Nacht verschluckt worden. Nur die Positionslichter brannten wegweisend. Eine feine Brise zog auf und ließ Tashigi frösteln. Sie schlug den Kragen ihres Mantels hoch und befand es nun spät genug, ihre Tochter wieder abzuholen. Der kürzeste Weg zu Elaines Haus führte durch einige dunkle Ecken Loguetowns und dann bis hinaus vor die Stadttore. Es häuften sich in der letzten Zeit die nächtlichen Überfälle durch Straßengesindel. Da, so befand sie, musste ein Kind von zwölf Jahren nicht allein durch die Gegend geistern, obwohl es Taiyoko unangenehm war, abgeholt zu werden. Das Klingeln der DenDenMushi brachte sie von ihrem Vorhaben ab und ließ nach ein paar kurzen Sätzen eine ziemlich verdatterte Tashigi zurück. Elaines Mutter entschuldigte die späte Störung, lobte Taiyoko über den grünen Klee und bot an, dass Mädchen könne bei ihr übernachten zu dieser späten Stunde. „Die Mädchen haben heute ganz toll den Haushalt geschmissen. Wollen Sie Taiyoko nochmal kurz sprechen? Dann müsste ich sie rufen. Sie spült gerade das Geschirr...“ „Spült Geschirr?!“ Tashigi schien ihren Ohren nicht zu trauen. „Joah, also wenn das nicht in Ordnung ist …?“ „Doch, doch. Es ist alles in Ordnung. Wiederhören!“ Sie dachte noch einen kurzen Moment verwundert über dieses Telefonat nach. Wenn sie an die heilige Unordnung in dem Zimmer ihrer Tochter dachte, so war es nur schwer vorstellbar, dass es sich hier um ein und dasselbe Kind drehte. Allerdings konnte man Taiyoko nicht absprechen, dass es eine feine Geste ihrerseits war, wenn sie Elaines Mutter unter die Arme griff, solange diese noch den verstauchten Arm in der Binde hatte. Vermutlich steckte da auch ein gewisser Eigennutz dahinter: Wenn die beiden Mädchen die Box bei Nachbars Pony ausmisteten, sprangen auf dem guten alten Tier immer ein paar Reitstunden heraus. Vielleicht war es in diesem Falle ähnlich. Es war ruhig am Lagerfeuer geworden. Die leichte Brise frischte sachte auf, brachte erste Wolken mit sich und stob scharf in das Lagerfeuer hinein, dass seine Flammen wie kleine Schlangen nur so züngelten. Der Rauch zerriss sich unruhig im finsteren Nachthimmel. Schaumköpfe zeichneten sich fahl auf den langen Wellen ab. Das Wetter schlug um. Spätestens gegen den morgigen Mittag würde ein Sturmtief über diesen Teil des East Blues ziehen, mutmaßte Nami und drängte ihre Freunde zum Aufbruch. Noch ein letzte Mal sollte kontrolliert werden, ob tatsächlich alles wichtige an Bord wäre. Vor dem Sturm wollte die Navigatorin in ruhigeren Gewässern kreuzen, also setzte sie die Abfahrtszeit in den frühen Morgenstunden fest. Und so löste sich die Gruppe am Lagerfeuer langsam auf, denn da die Mini Merry nur für vier Passagiere Platz bot, war mehrmaliges Pendeln von Nöten. Zu guter Letzt verblieb nur noch eine Vierergruppe am Strand übrig, welche spontan beschloss, sich noch einmal an der Brandung entlang in Richtung Innenstadt aufzumachen. Usopp hatte es sich zum eigenen Ritual gemacht, stets vor der Abreise eine Wahrsagekarte ziehen zu müssen. Die Weissagungen Serafinas hatten ihn seit der ersten Ziehung absolut überzeugt. Und Chopper kam nur mit, da er, leichtgläubig wie er war, sowieso alles glaubt. Voller Vorfreude schlurften sie durch den Sand und orakelten, was es wohl diesmal für ein Kartenblatt werden würde. Die letzten Ziehungen hatten sich bis dato noch nicht erfüllt. Vielleicht wäre das Kartenblatt heute Nacht besser. Immerhin, so meinte Usopp, wäre heute eine mystische Nacht. Woher er das zu wissen glaubte, gab er nicht preis. Das Rentier war mit Haut und Haar in den Geschichten gefangen und starrte mit großen Augen und spitzen Ohren den Kanonier an. Zoro lachte über die beiden und wunderte sich, wie sie nur auf solch eine dem Wahn verfallene Betrügerin herfallen konnten, doch er stieß damit auf taube Ohren. Zwei vollkommen Überzeugte trabten geradewegs in ihr nächstes Orakelabenteuer. Auch Tashigi hatte nur ein Lächeln für die beiden übrig, meinte jedoch, dass man den beiden doch ihren Spaß lassen sollte. Der Strand veränderte sein Gesicht. Er wurde breiter und flacher. Die Wellen liefen hier lang und seicht aus. Zu Füßen der ersten Häuser erstreckte sich nun eine lange Mauer, welche die Promenade vom feinen Sand trennt. Ein kleine Rampe empor leitet die Gruppe durch diese hindurch auf die gepflasterte Straße. Es war einer der Vororte der Stadt, welcher schon mit Anbruch der Dämmerung die Bürgersteige hochklappte. Bis auf eine streunende Katze zog hier inmitten der Nacht niemand seine Kreise. Aus vereinzelten geöffneten Fenstern der kleinen Häuser durchdrangen Schnarchgeräusche die Stille. Sie folgten dem Verlauf der Hauptstraße weiter entlang, und die kleinen Häuser wichen großen Stadthäusern und Straßenzügen mit Baumalleen. Hier und da schlossen gerade die letzten Nachtcafes. Tische wurden gesäubert, Stühle zusammen gestellt und Markisen eingefahren. Nun war es ebenso still und leise wie schon die Straßen zuvor. Der kleinere Trubel herrschte auf der anderen Seite des kleinen Flusses, welcher Loguetown in zwei Hälften teilte. Gerade erst war hier das Kneipenleben erwacht und Menschen bummelten durch die engen Straßen und Gassen, doch es blieb beschaulich. Noch zwei, drei Straßenecken weiter erreichten sie endlich den gewünschten Ort, der im Volksmunde Esoterik-Gasse hieß. Gaukler, Magier, Hexer oder alle, die es einmal werden wollten, fanden hier ihren Anlaufpunkt, boten ihre magischen Dienste an, handelten mit den unterschiedlichsten Kräutern oder versuchten, den einen oder anderen magischen Gegenstand an den Mann zu bringen. Neugierig und ihre Spannung kaum unterdrückend suchten Usopp und Chopper die kleine verwinkelte Gasse ab und machten nach ein paar Minuten lange Gesichter. Serafinas Zelt schien nicht da zu sein. „Na, wie schade. Vielleicht ist der alte Stofffetzen einfach mal altersschwach auseinander gefallen“, höhnte Zoro. Er glaubte weder an Serafinas Kartentricks, noch an irgendeinen faulen Zauber aus dieser Gasse. Natürlich erntete er dafür großen Protest. „Hey, ihr müsst mal die Augen aufmachen. Guckt mal da oben! Da steht es!“ Drei Augenpaare folgten Tashigis Fingerzeig in die Höhe zu einem kleinen Balkon, der über eine rostige Feuerleiter zu erreichen war. In der Tat sah das kleine blaue Zelt aus dunklem Samt und großen güldenen Sternen arg ramponiert aus, aber allein dessen Anwesenheit brachte das Rentier und den Kanonier wahrlich zum Entzücken und den Hanyô zum Seufzen. „Musste das sein?“ sah er seine Freundin böse an. Doch diese lachte nur fröhlich und folgte den beiden Vorausgeeilten die Leiter hinauf. Widerwillig folgte er, wurde aber schon im Zelteingang mit den bösen Worten empfangen: „DU hast hier keinen Zutritt. DU ...“ Serafinas kleine schwarze Augen funkelten ihn böse an. Ihr Gesicht zog noch tiefere Falten, als es eh schon hatte, und ihre Hände zitterten aufgeregt. Sie waren so nervös, dass ihr beim Kartenmischen die Karten wieder und wieder durch die Finger glitten. „Kein Problem!“ kam es von Zoro, dem nichts lieber daran lag, aus dem muffigen Zelt mit seinem schummerigen Kerzenlicht und den penetrant stinkenden Räucherstäbchen wieder ins Freie zu verschwinden. Sowohl er, als auch die alte Wahrsagerin wussten, dass wohl das einzige Magische aktuell in der gesamten Gasse allein der Hanyô war, auch wenn sich Zoro selbst nie damit in Verbindung brachte. Dennoch war in Serafinas Augen solch ein Geschöpf wie der Hanyô geschäftsschädigend. Selbst wenn dieser nur missmutig mit seinen Freunden ihr gegenüber auf der alten, windschiefen Holzbank saß. Seine Anwesenheit allein reichte aus, diese Gedanken zu spinnen. „Och, nu los. Nur eine Karte...!“ bettelten indes die beiden Piraten. Widerwillig zog er eine Karte aus dem Kartenfächer, welche die alte Dame ihm mit weit ausgestrecktem Arm vor die Nase hielt, als würde sie bei einer Berührung mit ihm tot umfallen müssen. Der Aberglaube war stark in dieser Gasse. Das Farbbild der Karte zeigte zehn goldene Kelche, welche sich im Halbkreis in einem Regenbogen befanden. Wilde Spekulationen brachen los, doch Zoro mahnte zum Aufbruch. Immerhin war der Rückweg lang genug und bot genug Zeit zum Spekulieren. Also versuchten die anderen Drei ebenfalls ihr Glück und ließen sich dann aufgeregt schnatternd von Zoro aus dem Zelt schieben. Sie hatten erst wenige Meter die Esoterik-Gasse hinter sich gelassen und steuerten auf die Steinbrücke zu, über welche sie in diesen Teil Loguetowns gelangt waren, als Usopp eine interessante Entdeckung machte. „Also ich weiß gar nicht, warum du nicht an die Karten glaubst. Schau mal, da hast du deinen Regenbogen. Ich sagte doch, dass ist eine mystische Nacht.“ Und tatsächlich riss schlagartige die Wolkendecke auf. Bunte Lichtschleier spannten sich quer über den gesamten Nachthimmel. Sie schwebten mit sanften Farbwechseln wie ein seidener Vorhang über das schwarze Firmament. Das war in der Tat mystisch, denn Tashigi konnte ihrer Gruppe erklären, dass der Name Polarlicht schlichtweg daher kam, dass eben diese Naturerscheinungen nur an den Polarkreisen zu finden wären und auf gar keinen Fall hier in Loguetown, was nahe der Grandline und somit auch nahe des Äquators läge. Eine ganze Weile standen sie auf der Brücke und bestaunten die Farbspiele über ihren Köpfen. Dann ging es weiter, bis sie wieder ihren Ausgangspunkt in der Ferne erblickten, Luffys Lagerfeuer brannte nach wie vor und war noch nicht einmal um die Hälfte geschrumpft. Vermutlich würde der Haufen erst in den frühen Morgenstunden erlöschen. Man verabschiedete sich an der Mini Merry. Tashigi kraulte das Rentier ausgiebig und drückte es. Kurz darauf setzte es mit dem Kanonier zur Sunny über. Sie sah ihnen noch eine Weile gedankenverloren nach und fragte dann: „Meinst du, dass bedeutet etwas?“ „Die Polarlichter? Ich weiß nicht ...“ Einen kurzen Moment später sah sich Zoro suchend in dem kleinen Schlafraum des Leuchtturms um. Das eine oder andere Teil fand noch seinen Weg in den Seesack, dann war endgültig alles, was ihm so in den Sinn kam, verpackt. Zwei Arme umschlangen ihn, ein Körper schmiegte sich an seinen Rücken. Küsse suchten ihren Weg. Jeden Millimeter wollte sie nun von ihm besitzen, denn schon morgen früh wäre sie wieder allein. Kapitel 3: 3 - Kurswechsel -------------------------- In den frühen Morgenstunden hatte die frische Brise gedreht und an Kräften gewonnen. Sie suchte sich nun von der Landseite her neue Wege über die Insel hin zum offenen Meer, hetzte durch die Kiefern, brachte die Kartoffelrosenbüsche in Aufruhr und klapperte unnachgiebig an den Fensterläden des Leuchtturmhauses. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der wehenden Vorhut ein warmer Sommerregen folgen würde. Das Rütteln an den Fensterläden wurde stärker und stärker. Schließlich erwachte Tashigi von dem schlafraubenden Geräusch und blinzelte in das noch nachtdunkle Zimmer hinein. Erste Konturen hoben sich schemenhaft ab. Das kleine Fenster über der Küchenzeile war das einzige, welches sich nicht von Fensterläden verdunkeln ließ und gab aus der Position der Betrachterin heraus den Blick auf eine langsam gräulich werdende Wolkendecke frei. Man konnte die Morgendämmerung schon erahnen. Das Schnarchen ihres Freundes gab ihr die Gewissheit, dass er noch keine Anstalten unternommen hatte, sich zu seiner Crew zu begeben. Sie richtete sich auf und sah, wie er neben ihr rücklings lag und dem Schlaf der Gerechten nachging. Ihn weiterschlafen lassend, rappelte sie sich auf und entwich der Bettwärme. Die Kühle im Haus ließ sie trotz ihres Nachthemdes leicht frösteln. Zeit für ein warmes Getränk im Magen, was einen herrlich erwärmen und die Lebensgeister zurückholen würde. An der kleinen Küchenzeile angekommen, griff sie gezielt zu Kanne und Filteraufsatz und setzte einen Stieltopf für heißes Wasser auf. Sie starrte durch das schmale Küchenfenster hinaus in den anbrechenden Tag und verlor sich in ihm. Der Wind hatte die vom Seewetter gezeichneten Kiefern vollkommen in sein Spiel eingebunden und riss und zerrte an ihnen herum. Weiße und rosafarbige Kartoffelrosenblätter verloren ihre Blütenstängel und irrten durch die Luft. Man mochte kaum glauben, dass der Sommer bereits in den Startlöchern stand und schon in den kommenden Tagen an die Tür klopfen würde. Bei alledem herrschte draußen ein Getöse, dass das Blubbern von kochendem Wasser nahezu in der Geräuschkulisse unterging. „Heißer wird’s nicht.“ Sie zuckte zusammen, als Zoro den brodelnden Topf von der Herdplatte zog. „Du bist schon wach?“ „Nein“, und ein herzhaftes Gähnen schloss sich an. „Aber du anscheinend auch noch nicht.“ „Doch, doch schon ...“ Langsam goss sie den heißen Topfinhalt in den Filteraufsatz und beobachtete, wie er sich mit dem Kaffeepulver zu einer klumpigen Brühe vermengte. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, dass es sie an Moorwasser erinnerte, wo auch immer diese Idee nun wieder herkam. Dafür roch es glücklicherweise nicht so, sondern das kleine Haus war nun angefüllt von einem herrlichen Kaffeearoma. „ … Es ist nur, weil sich demnächst irgendwie soviel verändert.“ Er lehnte nun an der Küchenzeile, hatte die Arme verschränkt und starrte kurz auf den Fußboden, während er einmal tief Luft holte. Unzählige Male hatten sie beide das Thema schon durchgekaut und er konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen, weshalb es für sie dort immer noch soviel Klärungsbedarf gab. Allmählich ging es ihm auf die Nerven. „Du gehst zur Marine und Taiyoko auf eine neue Schule. Wo zum Henker ist da das Problem? Oder hab ich was verpasst?“ Sie schüttelte den Kopf. Doch es gab viele Dinge, die ihr nicht behagten. Die letzten Jahre hatte sie ein Leben geführt, in dem Taiyoko an ihrer Seite war. Alles, was sie tat, war auf die Zeiten und Bedürfnisse ihrer Tochter ausgelegt gewesen. Oft hatte sie sich nach Zeiten gesehnt, wo sie wieder unabhängiger wäre. Einmal die Seele baumeln lassen, selbst den Tag gestalten und auf niemanden Rücksicht nehmen. Doch das Kind forderte sie stets, immer und stetig. Nun stand just diese Option des Neustarts vor der Tür und es war ihr auch nicht recht. Sie fürchtete die Einsamkeit, wenn ihre Tochter nun im gewissen Sinne das Haus verlassen würde. Denn die sechsjährige Grundschulzeit endete diesen Sommer und eine Neuorientierung lag auf der Hand. Hatte sie gedacht, Taiyoko würde auf eine Schule in den näherliegenden Stadtvierteln wechseln, so machte diese ihr einen Strich durch die Rechnung, als sie ihre Mutter mit dem Entschluss überfuhr, sie würde lieber am Nordkap in das dortige Internat gehen. Natürlich mit Elaine zusammen. Das war ja mal so was von klar. Letztendlich führte Taiyokos Entscheidung wohl auch zu der ihrigen, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Was hätte sie sonst noch für eine Aufgabe hier oben allein im Leuchtturm? Sie spürte, dass sie dieses Thema nicht wieder und wieder anbringen konnte. Sie schmiegte ihren Kopf an Zoros Oberarm und goss den letzten Rest heißes Wasser in den Filteraufsatz. „Ja, du hast ja recht...“ kam es eher unschlüssig gemurmelt, denn überzeugt von ihr. „Lass sie mal ein bisschen los. Sie wird nun mal groß und bald ist sie erwachsen. Es war allein ihre Entscheidung und ich finde es gut, wenn sie über so etwas nachdenkt und sich entscheidet.“ „Sie fehlt mir aber jetzt schon.“ „Was soll ich denn sagen? Ich sehe sie ja kaum. Hm?“ Der Kaffee war fertig und das knappe Frühstück eher leise. Sie verabschiedeten sich und Zoro stapfte in das Unwetter hinaus. War der Sturm zwischen den Kiefern noch irgendwie erträglich, wurde er am Strand extrem ungemütlich. Er trieb den Sand in die Höhe, dass man ihn trotz geschlossenen Mundes zwischen den Zähnen schmeckte und er in den Augen tränte. Aus dem Lagerfeuer des Vorabends hatte er vereinzelte Glutnester herausgerissen und lieblos verteilt. Deren Qualm mischte sich mit den aufwirbelnden Sandkörnern und verband sich zu einer Art Drecknebel. Hätte man es nicht besser gewusst, so hätte man diesem gespenstisch wirkenden Ort nachgesagt, hier hätten sich vergangene Nacht zweierlei Heere zu einer harten Schlacht verabredet. Zoro blinzelte aus zusammen gekniffenen Augen heraus dorthin, wo er die Brandung und die Mini Merry vermutete, doch der Staub nahm ihm die Sicht. Also schritt er langsam voran, bis sich endlich ein Schatten vor ihm auftat. Noch ein paar Schritte näher erkannte er die Mini Merry und war mit seiner Abholung dann doch recht überrascht. „Was treibt ausgerechnet dich hier rüber?“ hatte er fragen wollen, doch der Sturm verbot es ihm. Eine Antwort hätte er wohl eh nicht erhalten. Daher beließ er es dabei, seinen Seesack auf einen der beiden hinteren Sitze zu werfen und sich neben dem Steuer zu platzieren. Es wunderte ihn nach wie vor, wie es der Smutje bei dem Wetter, entgegen aller physikalischen Gesetze, schaffte, sich eine Kippe nach der anderen anzustecken. Die Sucht trieb ihn wohl zu dieser witterungsunabhängigen Perfektion. Sanji hatte seine liebe Not, den kleinen Dampfer bis hin zur Sunny durch die peitschenden Wellen auf Kurs zu halten. Immer wieder steuerte er gegen und wurde doch abgetrieben. Meerwasser brauste auf und ergoss sich über den Passagieren. Als sie endlich nach einer gefühlten Ewigkeit in der Kammer des Soldier Docking Systems ankamen, sahen sie aus wie zwei begossene Pudel. „Nächstes Mal kannst du Spinatschädel schwimmen“, kam es angesäuert von einem durchnässten Koch, der sich eiligst aufmachte, seine Kleidung zu wechseln. Zoro folgte ihm ohne irgendwelche Kommentare. Der Löffelschwinger hätte sich ja nicht abmühen müssen. Es hätte sich ja auch jemand anderes von der Crew auf den Weg machen können. Längst hatte er den Streit aufgegeben, der nur das Adrenalin hoch peitschte, aber ansonsten nichts brachte. In der Unterkunft der männlichen Crew angekommen, wehte ihm der altbekannte Geruch von dreckiger Wäsche, abgestandener Luft und Meeressalz um die Nase. In einer der Kojen hörte man den Kanonier schnarchen, die restlichen Betten waren schon leer, aber nicht sonderlich gemacht. Zielstrebig suchte er seinen Spind auf und öffnete die Tür. Seine Ordnung war einfach. Ganz oben waren extrem wichtige Sachen. Dazu gehörten solche Dinge wie die Pflegeöle für die Schwerter oder auch ein ganzer Stapel an Post. Taiyoko hatte es sich irgendwann einmal zur Aufgabe gemacht, alles, was sie nicht mit ihrer Mutter bereden wollte, lieber mit ihrem Vater auszudiskutieren. Wenn auch nur mit mäßigem Erfolg. Tashigi war für sie unmittelbar vor Ort und deren Reaktionen und Entscheidungen ebenfalls. Bei ihrem Vater war es anders. Ein Antwortbrief konnte zwar deutliche Worte finden, aber ein Stück Papier war stumm. Es schrie sie nicht an, so wie es ihre Mutter manchmal konnte, wenn ihr die Nerven platzten. Zoro wahrte zum Großteil das Postgeheimnis, brach es dann aber doch, als die ersten verhauenen Klassenarbeiten zur Unterschrift bei ihm und nicht bei Tashigi auftauchten. Es waren die Momente, wo wieder einmal die Dendenmushi bemüht wurde. Zu Taiyokos Leidwesen waren sich ihre Eltern fast immer einig und ein gegenseitiges Ausspielen klappte einfach nicht. Unter den extrem wichtigen Sachen lag das Fach mit mittelwichtigen Dingen, noch ein Fach tiefer saubere Bekleidung und unter dieser ein Wäschesack mit Dreckwäsche, die erst den Weg zur Waschmaschine antrat, wenn der Sack voll wäre. Und dort drin fand extrem viel an Wäsche Platz. Unterhalb des Wäschesacks fanden seine Schuhe ihre Aufbewahrung. Zoro fand es so, wie es war, ausreichend. Bei Tashigi machte diese Art der Ordnung Hautausschlag und Hasstiraden. Daher herrschte im Leuchtturm ein anderes Ordnungssystem, aus dem er sich peinlichst genau heraushielt, wollte er nicht einen unbesiegbaren Entrüstungssturm riskieren. Während Zoro seinen Schrank durchsah und seinen Seesackinhalt irgendwie in den Inhalt seines Schrankes integrierte, war Sanji mit dem Wechsel von nasser zu trockener Kleidung bereits fertig. Er schmiss seine eigene Spindtür derart in die Angeln, dass der gesamte Schrank wackelte. Und raus war er wieder aus der Herrenunterkunft. Die kurze Erschütterung des Schrankes zeigte Wirkung. Eine Sonnenblume aus Bastelkarton segelte aus Zoros Schrank zu Boden. Der Klebestreifen hatte nach jahrelanger Haftbarkeit an der Innenseite der Tür seinen Dienst aufgegeben. Die Sonnenblume besaß eine einfache Bauweise. Ein unförmiger brauner Kreis hatte gelbe Dreiecke als Blütenblätter und einen viel zu dicken grünen Streifen als Blumenstiel. Dennoch war die Arbeit gelungen, wenn man einmal beachtete, dass die Künstlerin diese Werkes zu dem Zeitpunkt gerade einmal drei Jahre alt gewesen war. Und obgleich die Blume schon um die halbe Welt gesegelt war, so hatte sie kaum etwas von ihrer Leuchtkraft verloren oder hatte durch das Seeklima an Bord Schaden genommen. Wenn die Papierpflanze noch ein wenig weitersegeln wollte, so wäre ein neuer Klebestreifen von Nöten. Zoro sah sich in dem Raum um, konnte aber keinen auf Anhieb ausmachen. „Usopp?“ Als keine Antwort kam, nahm er den nächstbesten Gegenstand und warf ihm der Schlafmütze empfindsam an den Kopf. Ein Klagelaut kam nur aus dem Bett heraus, doch einen kurzen Moment später wurde das gewünschte Klebeband aus Usopps unendlich großer Tasche hervorgezaubert. „Das Ding gibt es immer noch?“ Usopp konnte es kaum glauben, dass die Bastelarbeit die letzten neun Jahre überlebt hatte und sah erstaunt, wie die Blume wieder an ihren alteingesessenen Platz geheftet wurde. Langsam rappelte er sich auf, marschierte schlaftrunken zum Waschbecken. Kaltes Wasser würde ihn munter machen. Zumindest hoffte er das. Während des kühle Nass über seinen Schädel voller Katerstimmung floss, hörte er, wie erst eine Schranktür und schließlich die Zimmertür klappte. Wieder war er allein und beschloss die Gunst des Augenblicks zu nutzen. Er torkelte wieder ins Bett. Der Weg über das Deck war ein Akt der Balance. Die Sunny hatte bereits den Anker gelichtet und kämpfte tapfer gegen den Wellengang an. Sie war wie ein Stehaufmännchen konstruiert worden und konnte, wenn Franky am Steuer war, auf den Wellen mitreiten. Doch Brookes Steuertalent hingegen war begrenzt, und das Schiff machte unter seiner Führung einen Zickzackkurs gegen die Wellenberge. Es kam oft in die Schräglage und nahm eine Schippe Wasser nach der anderen mit. Die Regenfront öffnete alle Schleusen und schon bald konnte man nicht mehr sagen, ob man nun Meerwasser oder Regenwasser schluckte. Zoro hörte die Stimme der Navigatorin, die Anweisungen an die Crew verteilte und allen Mut machte, es könne sich nur noch um eine gute Stunde handeln, dass sie aus dem Unwetter heraus wären. Sie sollte recht behalten. Über den offenen Gewässern des East Blues riss der Himmel auf und ließ die Sonne gnadenlos auf das Deck brennen. Der feuchte Rasen begann in der Hitze zu dampfen und machte die Luft stickig. Die Crew hatte ihr Bestes gegeben, genoss erschöpft von den Sturmstrapazen die Ruhe und naschte Sanjis Leckereien. „Wow, die Polarlichter sind ja immer noch da!“ stellte Chopper aufgeregt fest. Tatsächlich schimmerten sie blass gegen das kräftige Azurblau des taghellen Himmels an. „Ja, lies mal die Zeitung. Auf der ganzen Welt beobachtet man diese Phänomene. Und niemand weiß, was es ist“, gab Nami an, die ihre Nase tief in die aktuelle Morgenausgabe gesteckt hatte. „Es sind aber auf keinen Fall Polarlichter“, ergänzte sie noch, denn bei der Wetterkunde konnte ihr keiner das Wasser reichen. Nun waren alle mit Neugier versorgt und scharrten sich um die Zeitung. Doch man erfuhr nicht mehr, als man durch Namis kurze Aussage schon eh erfahren hätte. Und so trollte sich kurz darauf jeder wieder in seine eigenen Gepflogenheiten an Bord, ließ den Tag verstreichen und staunte dennoch ab und zu über die Polarlichter, die keine sein dürften. Es mochte schon zu vorgerückter Stunde sein, denn draußen versenkte sich die Sonne neonorange in einem blutroten, unruhigen Meer, als Chopper noch immer emsig in seinem kleinen Behandlungszimmer damit beschäftigt war, mit Mörser und Pistill aus Kräutern und Chemikalien Tabletten herzustellen. Natürlich hätte er die eine oder andere Rezeptur fertig gedreht in einer Apotheke auf Loguetown einkaufen können, doch nach wie vor schwor er auf seine ganz eigenen Rezepturen und Mischungen. Immerhin wüsste er so stets, was tatsächlich in der Arznei enthalten war, und dieses Wissen fand er beruhigend. So konnte er gezielt behandeln, und der Stolz erfüllte ihn. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er nichts von seinem plötzlich auftauchenden Besuch mitbekam und sich dann zu Tode erschrak, als er ein Rumpeln hinter sich am Medizinschrank wahrnahm. „Waahh, du sollst mich nicht immer so erschrecken! Und was zum Teufel suchst du da? Du bringst mir die ganze Ordnung durcheinander!“ Der kleine Arzt konnte es nicht leiden, wenn man sich bei seinen Vorräten selbst bediente. Und schon gar nicht, wenn der Patient in Bezug auf Wechselwirkungen von Medikamenten, Therapieansätzen und ärztlichen Behandlungstipps sowieso komplett beratungsresistent war. „Das Schmerzmittel stelle ich gerade her. Da ist nichts mehr im Schrank. Und soviel, wie du davon wegen deiner Schulter frisst, dürfte ich dir eh nichts mehr geben. Deine Leber müsste schon einen Nervenzusammenbruch haben. Hey, hörst du mir überhaupt zu?“ Er wollte es schon aufgeben, doch als sein Patient inne hielt und tatsächlich die Schranktür schloss, versuchte er es noch einmal. „Ich habe dir schon unzählige Male gesagt, das ist Verschleiß durch die vielen Kämpfe. Ich kann da nichts machen. Du schonst dich ja einfach nicht.“ „Jawohl, Herr Doktor!“ unterbrach Zoro höhnend die Gardinenpredigt des Rentiers. „Ich habe dir was mitgebracht.“ Diesen letzten Satz sprach der Hanyô mit einem Unterton in seiner Stimme, dass es Chopper für den Bruchteil der Sekunde in Mark und Bein gefror. Erstaunt blickte er dann auf einen Briefumschlag. Er ließ sich unterrichten, dass die Postmöwe das Schreiben gerade erst oben im Krähennest an ihn ausgeliefert hätte, während er eben dort oben trainierte. Sonst hätte er es wohl gar nicht bemerkt, hätte er wieder einmal geschlafen. Eine feine Handschrift auf dem Kuvert gab bekannt: An alle Prismenträger. Ein Absender fehlte, der Poststempel jedoch stammte aus Raftel. "Zoro? Als wir letztes Mal eine Nachricht von einer Postmöwe bekommen hatten, hat sich mein ganzes Weltbild verschoben." "Ach, Chopper. So schlimm war es nun auch wieder nicht." Doch das Rentier war mehr als entsetzt, während Zoro lediglich verwundert war und versuchte, das Rentier aufzuziehen. Eine hitzige Diskussion brach aus. Keineswegs wollte Chopper jemals wieder durch verregnete Redline-Wälder stapfen und schon gar nicht aus Bambus. Und das ewige Eis und das Zwielicht bereiteten ihm Nachts unauslöschliche Erinnerungen, obwohl es schon mehr als zehn Jahre her war. Nein, er würde sich auf gar keinen Fall wieder solch einer Abenteuerführung anschließen. Zoro hingegen beachtete die Einwände gar nicht erst, denn dass das Rentier gefälligst mitzukommen hätte, stand eh vollkommen außer Frage. In ihm taten sich andere Fragen auf. Er war der letzte Überlebende, der zuletzt ein Prismenträger war. Wie auch immer hatte damals das rote Prisma ihn auserkoren. Als sich die Prismen später wieder selbst zum reinweißen Licht verschmolzen hatten, war die Zeit des blauen Trägers gekommen: Kivi starb noch im Prismensaal und verschwand vor seinen und Smokers Augen. Die fette Kröte Samakko hatte er eigenhändig in die ewigen Jagdgründe geschickt. Das gelbe Prisma hatte ihr nichts genutzt. Und damit war die Ära der Prismenträger beendet gewesen. Wer also hatte noch Erinnerungen, konnte Raftel erreichen und solch einen makaberen Brief verfassen? Nur einem Hanyô oder einem Kerzenbesitzer war dieser Sprung in eine andere Welt am Ringporneglyph erlaubt. Der Inhalt des Briefes war noch rätselhafter und nannte nur ein einziges Wort: Erwache! Ihm fiel nur eine Lösung ein und die schmeckte ihm ganz und gar nicht. Wenn es überhaupt noch jemanden gab, den man befragen könnte, so müsste er unweigerlich nach Mariejoa reisen und Yurenda aufsuchen. Ohne, dass er es wollte, spürte er, wie sich für einen kurzen Moment seine Faust ballte und die Fingernägel ins Fleisch drückten, bis die Haut weiß wurde. Erst der feine, kaum merkliche Schmerz in der Hand holte ihn aus seinen Gedanken zurück, und nun registrierte er erst, dass Chopper bereits an Schweißausbrüchen und Schnappatmungen litt und sich an seinem Bein verklammert hatte. Er hob das Bein an und fragte trocken nach unten: „Geht's wieder?“ „Nein! Was hast du jetzt vor?“ „Die Crew zusammentrommeln und Luffy überzeugen, dass wir eine kleine Kursänderung haben. Und zwar nach Mariejoa.“ Dem kleinen Arzt schlackerten die Ohren, doch wenn Zoro sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nicht davon abbringen. Auch wenn Freundschaften darunter zu leiden hätten. Langsam beruhigte er sich wieder und trottete mit hängendem Kopf hinter seinem Nakama hinterher in Richtung Aufenthaltsraum. Das würde böse enden. Mit Sicherheit. Davon war er überzeugt. Kapitel 4: 4 - Taiyoko ---------------------- Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als der Sturm wieder Ruhe fand und Loguetown hinter sich ließ. Er hatte in den Straßen und Parks deutliche Spuren hinterlassen: Totholz von Bäumen und Büschen lagen auf den Wegen, ausgeleerte Mülltonnen kollerten lärmend auf dem Kopfsteinpflaster und deren Inhalt verteilte sich in Blumenrabatten und an Gartenzäunen. In einzelnen Straßenzügen hatte der Platzregen den Kampf gegen die Kanalisation gewonnen und die Gullydeckel hoch gedrückt. Dreckige Brühe verbreitete sich in den Gossen und vervielfältigte einen kloakehaltigen Geruch, dass man stellenweise die Luft anhalten musste, wollte man sich nicht einem Brechreiz hingeben. Hier und da standen, mit Schaufel und Besen bewaffnet, Anwohner vor ihren Häusern und schoben die stinkende Pampe wieder dorthin zurück, wo sie herkam. Es war sichtlich keine angenehme Aufgabe. Begeisterung sah anders aus. All diese kleinen Szenen eines städtischen Alltags schenkte Taiyoko keine Beachtung. Sie hatte in der letzten Nacht wenig geschlafen und lange über einen Plan nachgedacht. Einen Plan, in den sie sich immer mehr hineinsteigerte, je mehr sie daran feilte. Einen Plan, der Leben verändernd sein könnte und der absolut geheim bleiben müsste. Daher würde sie niemanden einweihen! Auch nicht ihre allerbeste Freundin, die bereits schon ein klein wenig Teil der Aktion geworden war, als diese ihr eine Handvoll Bücher auslieh. Elaine wunderte dies sehr, denn Taiyoko las zwar gern und viel, aber naturwissenschaftliche Literatur zählte nicht dazu. Und auch ihre Ausrede, sie wolle sich auf die nächste Klassenarbeit vorbereiten, fand bei Elaine wenig Glauben, da es so rein gar nicht zu ihr passte. Dennoch gab sie ihr bereitwillig die gewünschten Bücher mit, auch wenn es ihr ein Rätsel blieb, woher dieser Arbeitseifer herrührte. Doch Taiyoko führte anderes im Schilde. Klar müsste sie ihre Noten dringend aufpolieren, aber es ging ihr in erster Linie nicht um den Inhalt der Leihgaben, sondern um deren Außenleben. Die Schutzumschläge hatten es ihr angetan, welche sie auf jeden Fall bräuchte. Ansonsten wäre ihr ganzer Plan schon zum Scheitern verurteilt gewesen. Und da sie nicht wusste, wie groß das Buch sein würde, welches später einen falschen Schutzumschlag bekommen würde, hatte sie verschieden große Exemplare aus Elaines Bücherregal erhascht, dennoch aber auf ein zusammenhängendes Thema geachtet. Nun war ihr Rucksack gut gefüllt und wurde mit jedem Meter, den sie von Elaines Haus zur Marinebasis marschierte, schwerer und schwerer. Ihr Weg führte jedoch vorher am Friedhof vorbei. Obgleich sie keine Verbindung zu ihrer Schwester und daher auch nie das Verlangen hatte, sich auf einem Friedhof aufzuhalten, fühlte sie sich heute dorthin angezogen. Sonst war sie nur auf Bitten ihrer Mutter zu Tsukikos Grab mitgegangen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Nun ging sie bedächtig durch die Reihen der Gräber, bis sie am Ziel angelangt war. Ein kleines Grab mit Grabstein lag eher abseits und gut behütet unter einem Kirschbaum. Einen Moment verharrte sie dort, starrte auf die Namensinschrift und überlegt, ob ihrer Schwester wohl auch grüne Haare gewachsen wären, die sie in diese ungewollte Klemme geführt hätten, in welcher sie sich selbst befand. Es begann schleichend und unbemerkt. Sie konnte sich kaum noch erinnern. Wie alt mochte sie gewesen sein? Vielleicht gerade mal eine Erstklässlerin? In der großen Pause hatte sie sich mit ihren Kameradinnen am Sandkasten verabredet und fleißig Sandkuchen gebacken. Vielleicht wäre gar nichts passiert, hätte ihr die Klassenoberzicke nicht die Sandform aus der Hand gerissen. Die schöne rote, die wie ein Gugelhupf aussah. Natürlich brachte sie das in Aufruhr. Böse hatte sie geschrieen und das andere Mädchen an den Haaren gezogen, um das Spielzeug wiederzubekommen. Doch die Diebin hielt standhaft gegen. Immerhin war sie etwas größer und kräftiger. Nicht so schlank, wie sie selbst. Und dann ging alles ganz schnell. Taiyoko berührte die Sandform und weg war sie. Wie vom Erdboden verschluckt. Erstaunt war sie selbst, erschrocken die anderen. „Piratenhexe, Piratenhexe“, hatten alle gerufen, mit dem Finger auf sie gezeigt und waren dann weggelaufen. Es hatte sie so sehr verletzt, dass sie sich im hintersten Winkel des Schulhofes zwischen den Büschen versteckte und bitterlich weinte. Lange, nachdem der Unterricht begonnen hatte, war sie von ihrer Klassenlehrerin gefunden worden. Keine lieben Worte konnten sie trösten und eine ratlose Lehrerin rief bei Tashigi an, ihre Tochter säße weinend zwischen den Büschen. Die Augen leuchteten rot und der Erdboden wäre pechschwarz. Man wüsste nicht so recht mit der Situation umzugehen. Natürlich machte dieser Vorfall eine große Runde. Und lange hatte Tashigi der Schulleitung versichern müssen, dass ihre Tochter sicher keine Gefahr für die Menschheit wäre. Immerhin müsste die restliche Schülerschaft geschützt werden, argumentierte die Schulleitung. Danach war der Unterricht für diesen damaligen Tag für sie beendet gewesen. Ihre Mutter hatte sie an die Hand genommen und war mit ihr nach Hause gegangen. Kein Wort hatte ihre Mutter gesagt, während sie noch über ihre Sandform wimmerte. Zuhause angekommen, hatten sie beide lange am Küchentisch gesessen. Lautlos hatte sie ihr Abendbrot gegessen und Tashigi hatte unendlich lange nachgedacht, bis sie zur DenDenMushi ging und auf der Sunny anrief. Danach kann sie sich nur noch an einen heftigen Streit erinnern. Es ging um sie, um dämonische Kräfte und warum ihr Vater nie zuhause war, wenn es denn mal wichtig wäre. Doch da hatte sie sich längst in ihr Bett getrollt und vom Streitausgang nichts mehr mitbekommen. Wenigstens war die Strohhutbande ein paar Tage später auf der Insel aufgetaucht und mit der Hilfe ihres Vaters gelang es ihr sogar, die rote Lieblingssandform wieder herzuzaubern. „Siehst du, die Form war die ganze Zeit bei dir. Sie war nur in dem warmen Licht.“, hatte er ihr erklärt, sie in den Arm genommen und getröstet. Und sie musste ihm versprechen, sich nicht so sehr aufzuregen, auch wenn das eine sehr schwere Aufgabe war. Später hatte sie mitbekommen, wie sich ihre Eltern unterhielten, doch den Sinn hatte sie lange nicht verstanden. „Meinst du, sie kriegt das hin?“ „Schwer zu sagen. Es scheint bei ihr ganz andere Auslöser zu geben, als bei mir. Und sie scheint ja auch nichts zu vergessen.“ „Mir ist das echt unheimlich ...“ „Soll ich sie mitnehmen, wenn dich schon wieder alles nervt?“ Doch es blieb alles beim alten. Es sollten noch viele schwarze Bannkreise, verschwundene Dinge und Schulverweise folgen. Dafür wurde der Kreis ihrer Freunde immer kleiner und zum Schluss blieb nur Elaine. Sie begann wütend auf ihre Kräfte zu werden. So wütend, dass sie sich einmal mit der Schere die grünen Strähnen abschnitt, weil sie in ihrem kindlichen Leichtsinn dachte, es würde alle Probleme lösen. Doch Haare wuchsen bekanntlich nach, auch grüne. Die Kräfte verschwanden trotzdem nicht. Taiyoko schob die Erinnerungen beiseite, verabschiedete sich von ihrer verstorbenen Schwester und entzündete noch ein paar Räucherstäbchen. Ab heute würde sich das ändern. Schnellen Schrittes zog sie weiter zur Marinestation, denn sie wusste, dass ihre Mutter den Spätdienst angetreten hatte. Sehr gut. Die wäre sicher nicht vor neun oder zehn Uhr abends daheim. Also wechselte sie nur ein paar schnelle Worte mit ihr, schaufelte sich in der Kantine eine große Portion Bratreis mit Huhn und Ei rein und war auch schon schnell wieder verschwunden, ohne auf die Neugier und Verwunderung ihrer Mutter einzugehen. Knarrend öffnete sich die Haustür. Sie war wieder zuhause, legte ihren Rucksack ab und dachte über ihr weiteres Vorgehen nach. Sie dürfte ihrer Mutter nicht viel Anlass geben, sich in ihrem Zimmer aufzuhalten. Und ein Anlass für eine lange Verweildauer war die stetige Unordnung. Sie biss sich auf die Lippen und begann mit angesäuerter Miene, ihr Zimmer soweit zu entrümpeln, dass es wenigstens den Anschein erwecken würde, es wäre aufgeräumt. Interessante Dinge förderte sie zu Tage. Ein seit Jahren verschollenes Vokabelheft, mehrere benutzte Becher, zwei dreckige Teller, ihren Lieblingspulli und so manches noch, was sich hatte einfach nicht anfinden lassen. Sie warf einen prüfenden Blick über ihr kleines Reich. Sah doch gar nicht so schlecht aus. Nur die Schränke sollte man nicht öffnen oder der Inhalt würden wieder unausweichlich herausfallen. Doch nun ging es los. Es sollte ein Buch geben. Ein Buch, welches sie noch nie gesehen hatte, aber unglaublich viele Antworten auf noch mehr Fragen geben sollte. Ein Schlüssel, welcher zur Beendigung dieser Zauberkräfte führte. Zumindest hoffte sie das. Doch wo könnte es sein? Sie stellte das kleine Haus auf den Kopf, durchwühlte Schränke und Regale, sah auch unter den Matratzen nach, klopfte Holzbretter ab, wurde aber nicht fündig. Missmutig wollte sie schon aufgeben, als ihr Blick an der Zimmerdecke hängen blieb. Der winzige Kriechboden! Eine letzte Chance belebte ihren Suchdrang. Schnell hatte sie den Küchentisch unter die kleine Dachluke geschoben, hatte sich mit aller Kraft gegen diese gestemmt und war nach oben geklettert. Man musste den Kopf einziehen, wollte man sich diesen nicht an den Dachbalken stoßen. Taiyoko ärgerte sich, nicht eine Lampe mitgenommen zu haben, denn stockdunkle Finsternis empfing sie. Der Staub brachte sie zum Niesen. Doch schon nach einer Weile gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Es gab nicht viel zu entdecken. Einige wenige Kisten standen hier oben und eine dicke Staubschicht verriet, dass sie lange nicht berührt worden waren. Sie erkannte ihre alte Spielzeugkiste wieder und sah vorsichtig hinein. Mit der Puppe hatte sie lange gespielt. An den kleinen Stoffclown konnte sie sich schon gar nicht mehr erinnern. Und dann war da noch etwas. Eine kleine rote Sandform. Mit diesem Übeltäter hatte alles angefangen. Ein kleiner Kloß sammelte sich in ihrem Hals. Schnell räumte sie alles wieder ein. Auf dem nun wieder geschlossenen Truhendeckel bemerkte sie ihre Handabdrücke im Staub. Das durfte ihr bei den anderen Kisten nicht passieren, wenn sie mit ihrer Hausdurchsuchung nicht auffallen wollte. In der nächsten Kiste lagen Winterbekleidungen. Nichts weiter. Auch die nächste Kiste schien nur ein paar Decken zu beinhalten, doch etwas Hartes trieb ihre Neugier zu Höchstformen. Ungeduldig riss sie die Decken heraus und sah auf den Truhengrund. Sie hätte vor Freude schreien könne, besann sich aber und förderte eine alte Kamera, ein Dutzend Filme und ein Buch zutage. Na bitte! Fröhlich und voller Hoffnung das Buch der Bücher gefunden zu haben, richtete sie alles wieder auf dem Kriechboden so her, wie sie es vorgefunden hatte, verriegelte die Dachluke und verschanzte sich in ihrem Zimmer. Die Kamera hatte sie vorerst oben gelassen, doch das Buch brauchte nun ein gutes Versteck. Sie verglich die Buchgröße mit den geliehenen Büchern und fand schnell ein passendes Exemplar. Ein Schutzumschlag wechselte von einem Lehrbuch zu einem handgeschriebenen Lederbuch und wurde unauffällig zwischen einen Bücherstapel geschoben. Sie lobte sich für die gute Buchtarnung. Auf den ersten Blick konnte man wirklich nichts erahnen. Ein Magenknurren machte sie darauf aufmerksam, wie weit der Tag bereits vorangeschritten war. In ihrem Eifer hatte sie nicht bemerkt, dass schon die Dämmerung eingesetzt hatte. Also durchsuchte sie den Kühlschrank nach etwas, was man schnell und ohne Aufwand essen konnte, nahm sich noch eine Flasche Wasser mit und machte es sich auf ihrem Bett bequem. Irgendwo zwischen diesen Seiten würde sie wohl fündig werden, wie man diese Zauberkräfte wieder loswerden könnte. Sie schlug die erste Seite des unerwartet dicken Wälzers namens „Raftel“ auf und studierte das Inhaltsverzeichnis. Das Werk umfasst 61 Kapitel und war in einer engen Schrift geschrieben. Enttäuschung machte sich breit, denn ihre Erwartungen hatten sich dahin gehend erfüllen sollen, eine Art Zauberbuch oder Lexikon zu finden. Doch dieses hier schien ein Roman zu sein. Dennoch begann sie zu lesen und war schon von den ersten Sätzen gefesselt. Es war kein Roman, sondern eine Tagebuch. Die Neugier kehrte in großen Sprüngen zurück und wurde mehr als befriedigt. Sie verschlang Seite um Seite, Kapitel um Kapitel und hatte schon nach kurzem Lesen das Gefühl, in dieser Geschichte gefangen zu sein. Obwohl sie alle Figuren aus dem Buch mehr als gut kannte, waren ihr die Hintergründe bis dato im Verborgenen geblieben. Je mehr sie darin las, desto öfter wechselte ihre Gefühlslage zwischen großem Erstaunen und blankem Entsetzen, zwischen fiebrigem Mitzittern und entspannter Erleichterung, zwischen prustendem Lachen und peinlicher Berührtheit ab. Nein, dieses Buch war besser als alles, was sie bis dahin in ihrem Leben gelesen hatte. Gerade eben hatte sie nach Stunden des Lesens und vollkommen übermüdeten Augen Luffys Befreiung miterlebt, da schreckte sie das Geräusch der knarrenden Haustür auf. Ihr Mutter kehrte heim. Schnell versteckte sie ihre Neuentdeckung zwischen den anderen Büchern und stellte sich schlafend. Schritte näherten sich ihrer Zimmertür, ihre Nachttischlampe wurde gelöscht und ein sanftes „Schlaf gut!“ drang an ihr Ohr. Dann entfernte sich Tashigi wieder, um selbst den Weg in ihre verdiente Nachtruhe zu finden. Ihre Tochter fand noch lange keinen Schlaf. Viel zu aufgekratzt lag sie in ihrem Bett und konnte den nächsten Morgen kaum abwarten. Das Buch war so unglaublich spannend und musste weiter gelesen werden. Kapitel 5: 5 - Schritte rückwärts --------------------------------- Wenn man schon ein Problem hatte, so musste man zwangsläufig feststellen, dass sich daraus neue Probleme ergaben, an die man zuerst weder gedacht hatte, noch sie im weiteren Verlauf irgendwie behilflich fand. Sie waren ineinander verworren und verwoben. Wollte man das eine lösen, so verstrickte man sich in einem anderen. Dieser nervige Umstand wurde Zoro wieder einmal mehr gewahr, nachdem die Polarlichter am Himmel und ein mysteriöser Brief bei ihm auftauchten. Das war das eine Problem. Das andere band ihm die Navigatorin unmittelbar auf die Nase, nachdem sie den Kurs nach Marijoa berechnet hatte und grinsend ihm gegenüber behauptete, dass der kürzeste Weg doch angeblich tatsächlich und rein zufällig über eine beschauliche Halbinsel führte, wo ein kleines Dörfchen namens Shimotsuki läge. Er hatte ärgerlich geschnaubt und gekontert, dass er genug Orientierung hätte zu wissen, dass der Sitz der Weltregierung vom East Blue aus gesehen südöstlich, jedoch Shimotsuki nordöstlich läge. Also viele Seemeilen auseinander. Doch Nami beharrte auf ihren Theorien von Erdkrümmungen, die es zu beachten gäbe, und da lag Zoros Heimatdorf nun mal auf halbem Wege, wenn man die Grandline vermeiden und entlang des Calm Belt auf der East Blue Seite bis zur Redline segeln wollte. Die Zeitersparnis allein ließ Nami schon dazu neigen, sich am Calm Belt entlang zu hangeln. Diese bittere Pille würde er wohl schlucken müssen, zumal schon der Running Gag an Bord die Runde machte, der da wäre „Zoro-hat-vor-nichts-Angst,-aber-vor-zuhause“. „Warum eigentlich?“ fragte sich da einmal mehr auch Usopp, als er an seiner Werkbank saß und für Chopper einen Reagenzglasständer zusammenzimmerte. Immerhin würde schon morgen, spätestens in den darauf folgenden Nachtstunden die Landzunge am Horizont auftauchen. Doch auch das Rentier konnte nur ratlos mit den Schultern zucken. Ein ewig ungelöstes Rätsel. Tashigi hatte einst mal durchblicken lassen, den Grund zu kennen, blieb aber lächelnd verschlossen. Von dieser Seite wäre keine Hilfe zu erwarten. Doch nun, wo sich die Fahrt in die Heimat ihres Crewmitgliedes als wohl wenig vermeidbar zeigte, beschloss Chopper, der Sache doch noch ein letztes Mal auf den Grund zu gehen. Auch Usopps Neugier war, seit er von dem Brief wusste, in der üblichen Manier erweckt worden. Also machten sich beide, die spätestens seit Zoros anfänglichem Ausblühen eh mehr über ihn wussten, als der Rest der Mannschaft, auf den Weg ins Krähennest. Mal abgesehen von den farbigen Himmelserscheinungen war es ein herrlich milder Sommertag. Die Sonne strahlte zwischen den Lichtstreifen herab und wärmte an Deck die Blüten an den Mandarinenbäumen, dass sie sich nach ihr labten und streckten. Es würde eine gute Mandarinenernte geben, hatte die Navigatorin einmal verlauten lassen. Und tatsächlich trugen die Bäume in dieser Saison übermäßig viele Blüten. „Ist dir schon einmal aufgefallen, dass sich die Leuchtstreifen bewegen und die Farbe wechseln?“ machte die Langnase den kleinen Arzt aufmerksam, während sie beide auf halber Höhe in den Wanten hingen. „Ja, man kann die ganze Zeit schauen und es sieht jede Minute anders aus. Aber es hat mir dann so vor den Augen geflimmert, dass ich eingeschlafen bin“, kam es von ihm fasziniert zurück. Beide verharrten noch eine Weile und genossen den Ausblick von oben über das Schiff, den ruhigen, tiefblauen Ozean und das bunte Leuchten über sich, dann kletterte Usopp noch wenige Schritte höher und stieß gegen die Luke, welche ins Innerste des Ausgucks führte. Sie quietschte und knarrte, dass es hätte Tote erwecken können und veranlasste ihn sofort in seiner unendlichen Basteltasche nach einem Ölkännchen zu suchen. Solche kleine Aufgaben wollte er nicht aufschieben. Andernfalls könnten sie schnell wieder in Vergessenheit geraten. Gedacht, geölt. Er probierte noch zwei-, dreimal die Luke, in dem er sie anhob und wieder schloss und war dann mit der neuen Geräuschlosigkeit zufrieden. „Usopp, beeile dich. Mir werden die Klauen lahm“, nervte ein quengelndes Rentier, welches immer noch hinter ihm in der Schiffstakelage hing. Chopper hasste den Weg hinauf zum Krähennest und das nicht nur allein durch die schwindelerregende Höhe. Beide schoben sich nun hinein in den höchst gelegensten Raum der Sunny und trafen dort auf einen Nakama, der zu ihrem Erstaunen mal nicht schlief. Zoro betrachtete die beiden Neuankömmlinge argwöhnisch und legte die Hantel beiseite. Wenn die beiden Nervensägen hier oben im Doppelpack auftauchten, dann verhieß es nichts Gutes. Seine Vorahnung wurde umgehend bestätigt, als sich beide ihm direkt gegenüber auf den Fußboden setzten und wie auf Kommando gleichzeitig den Schneidersitz einnahmen und die Arme vor der Brust verschränkten. Es sah zu komisch aus, doch er unterdrückte ein Grinsen und überlegte, was der plötzlich aufgetauchte Besuch wohl bezweckte. „Was auch immer du schon wieder ausgeheckt hast, wir sind garantiert schon wieder mit eingeplant. Daher würden wir gerne wissen, worum es geht“, kam es auch schon ungeniert vom Scharfschützen. Das Rentier nickte mit entschlossener Miene, sofern es ihm überhaupt gelang, eine ernste Miene bei seinen niedlichen Gesichtszügen zu machen. Man wartete gespannt auf eine Antwort und würde schon gar nicht gehen, bis man eine hätte. Der Aufgeforderte hingegen überlegte einen kurzen Augenblick, wusste er doch selbst nicht genau, auf was Usopp hinauswollte. „Was hab' ich ausgeheckt?“ „Tu' nicht so begriffsstutzig. Du weißt es ganz genau. Ich mein' den Brief.“ „Es ist nur eine Vermutung. Erinnerst du dich, wie du neulich das Fernrohr repariert hast?“ „Lenk' nicht vom Thema ab. Klar weiß ich das. An was genau soll ich mich erinnern?“ „Du hattest die Glasstücke auf dem Tisch in der Sonne liegen. Sie haben das Licht gebrochen.“ „Ich kapier gar nichts“, mischte sich das Rentier ein und die ernstgemeinte Miene wich einer verzweifelten. Er konnte dem Ganzen nicht so recht folgen und auch keinen Bezug zur eigentlichen Frage herstellen. Doch Usopp kam blitzartig die Erleuchtung. Klar, die Glaskörper waren Prismen. Durch sie wurde weißes Licht in seine Spektralfarben zerlegt und kleine Lichtflecken in allen Regenbogenfarben zeichneten sich um die Prismen herum ab. „Ach du meinst, die Polarlichter hängen mit den Prismen aus Raftel zusammen? Die Prismen, die unsere Welt lenken? Meinst du, es gibt wieder welche? Und der Brief? Hast du wieder eines davon? Von den Prismen?“, sprudelte es nur so aus Usopp heraus. „Nein, ich denke nicht“, antworte Zoro. „Nein, ich hoffe nicht“, heulte Chopper auf. An Teufelsfrüchte und deren Kräfte konnte man sich gewöhnen. Sie waren allgegenwärtig. Immerhin trug das Rentier selbst eine dieser Früchte in sich und war letztendlich froh darüber. Hätte er sie nicht gegessen, er hätte nie solche Freunde wie die Strohhüte getroffen. Teufelskräfte waren einfach zu durchschauen: Es gab eine Fähigkeit, die sofort endete, sobald der Inhaber schwach an Leibeskräften oder ins Wasser gefallen war. Doch Zoros Hokuspokus lag für ihn nicht im Rahmen einer Gewöhnung. Teufelskräfte aufheben, Bannkreise, Zwielichter, Parallelwelten. Es war undurchschaubar. Das ging ihm zu weit. Und dann noch dieses Ausblühen und die Vergesslichkeit... Als dann der Hanyô auch noch Prismenträger wurde und Geister sehen, Gefühlswellen lesen und emotionale Stürme entfachen konnte, da war es um den kleinen Verstand des Rentieres geschehen. Es hatte eine lange Zeit gebraucht, bis er vor sich selbst kapitulierend diese Umstände akzeptierte. Es herrschte eine Weile betretenes und nachdenkliches Schweigen. „Aber du kannst davon so gar nichts mehr? Also ich meine, so Gefühle von anderen lesen oder so was?“ hakte Usopp noch einmal nach. Zoro schüttelte den Kopf. „Alles wieder weg. Und die Nachwirkungen auch. Schon lange.“ Die Nachwirkungen hatte er mehr als unterschätzt, hatten ihm aber auch klar gemacht, weshalb Yurenda allen noch lange vorgaukeln konnten, selbst ein Prismenträger zu sein. So langsam, wie sich ein Prisma seinen Träger aussuchte und sich langsam entfaltete, so langsam ging es auch wieder weg. Selbst wenn es sich schon längst einen neuen Wirt gesucht hatte, benutzte und beschützte es seinen Ergebenen noch lange Zeit später. Das kleine Rentier war immer stiller geworden und hatte seinen Hut soweit herunter über sein Gesicht gezogen, dass man meinen könnte, es würde sich zu gern in seiner Kopfbedeckung verstecken. „Und warum willst du nicht nach Hause?“ kam es leise durch den Stoff hindurch. „Darum. Raus mit euch!“ Ein Rausschmiss. Chopper ließ seinen Hut wieder los, Usopp seufzte. Das ewige Rätsel. Vielleicht würde es sich morgen lösen, wenn sie die Insel erreicht hätten. Sanjis Ruf zur nächsten Mahlzeit hallte über das Deck. Er löste die Runde auf und erlöste Zoro von der Fragerei. Er sah den beiden Nakama noch kurz bei ihrem Abstieg nach unten nach. Nein, er konnte ihnen unmöglich beichten, immer noch Visionen zu haben, sobald er etwas berührte oder betrat. Auch wenn es nur kurze Sequenzen waren, so waren sie nicht immer gut. Dem Rentier würde es nur unnütze Angst und der Langnase nur unnütze Neugier bereiten. Was würde er sehen, wenn er wieder in Shimotsuki auftauchte? Das Dorf war so klein, dass man schon gar nicht mehr von einem Dorf reden konnte. Ein Feldweg, den man als Hauptstraße betitelte, verlief durch das breite Tal mit seinen Reis- und Gemüsefeldern. Er verband mit seinen kleinen Stichwegen alle Gehöfte und Wohnhäuser miteinander. Wollte man jemanden besuchen, so musste man einiges an Fußmarsch auf sich nehmen und merkte so erst, wie weitläufig das Tal war. An den Hängen schlossen sich naturbelassene Wälder abwechselnd aus Bambus und Kiefern an. Klare Quellen sprudelten aus dem moosigen Steinmassiv und gluckerten aus kleinen Rinnsalen zu Bächen zusammen. Sie wurden aufgefangen in künstlich angelegten Gräben, um im Tal die Äcker zu bewässern. Hier und da fanden sich in den Wäldern kleine Weiher oder ein Schrein, zu denen kleine Trampelpfade führten. Das war's. Die Halbnsel selbst war ein einziges Gebirge, welches viele Kilometer weiter landeinwärts in die Redline mündete. Obgleich die Berge nicht sonderlich hoch ragten und die Gegend mindestens dreimal so groß wie Lougetown war, hatten menschliche Einwohner hier Seltenheitswert. Selbst die Anzahl des Viehs auf den Wiesen übertraf die Kopfzahl bei weitem. Als er sich damals auf den Weg machte, mochten es wohl an die gut 400 gewesen sein, die in Shimotsuki lebten. Das war vor fast 18 Jahren. Er hatte erstaunt feststellen müssen, dass er diese Zeitspanne schon zusammenrechnen musste Tashigi fuhr unregelmäßig zu ihren Eltern und hatte ihm berichtet, dass sich die Zeiger der Zeit in dem Dorfe nicht sonderlich bewegen würden. Und wie sehr ihre Eltern sich freuen würden, würde er sich dort mal wieder blicken lassen. Er zweifelte sehr daran, aber vermutlich hatte sie recht, dass es an der Zeit war. Ob Koushirou nun begeistert war oder eben nicht. Immerhin hatte er seinem Lehrmeister bei seinem Abschied hoch und heilig geschworen, die Lektionen des Unterrichts zu beherzigen und den Weg des Schwertes zu befolgen. Das war wohl mehr als in die Hose gegangen: Sein erstes Abweichen zum Kopfgeldjäger gipfelte in einer Karriere als Pirat und obendrein fand er seine tot geglaubte Tochter wieder, die wiederum mit einem grünhaarigen Kind an ihrer Seite den Weg in sein Haus fand. Schrie das nicht nach einer verbalen Maulschelle? Auch wenn der Sensei nie aus der Haut fuhr, so hatte er seine ganz eigene Art, seine Schüler spüren zu lassen, wenn sie eine Strafe verdient hätten. Seine Mimik konnte Bände sprechen und tiefe Gewissensbisse hinterlassen. Er folgte Chopper und Usopp in den Essensraum, aus dem schon herrlicher Duft nach leckeren Speisen drang. Teller klapperten, Besteck wurde verteilt, Gläser gefüllt. Dem Kapitän der Bande ging es, wie üblich, nicht schnell genug mit der Essensausgabe. Er begann sich zu langweilen und zu zetern. Der übliche Trubel brach aus und Franky meckerte schon, ob sich diese Crew nicht endlich mal nach all den Jahren wie normale Menschen benehmen könnte. Das Rentier konterte, es wäre ja gar kein Mensch, worauf Luffy und Usopp in schallendes Gelächter ausbrachen. Dabei flog durch Luffys Zappelei die Schüssel mit dem Reis vom Tisch und zerbrach scheppernd in tausend Scherben am Boden. Die frisch gekochten Reiskörner flogen empor und hafteten anschließend im ganzen Raum und auf allen, die schon am Tisch saßen. Diese Aktion brachte Sanji wahrlich auf die Palme. Das Chaos war nun absolut perfekt. Nami verteilte Kopfnüsse, doch die Situation blieb hitzig geladen. Zoro grinste über die sich ihm bietende Szenerie und nahm die Gelegenheit wahr, sich mit der DenDenMushi vor die Tür ins Freie zu begeben. Dort setzte er sich, mit dem Rücken an der Wand lehnend, auf den Rasen und platzierte die Schnecke vor sich. Es knackte und rauschte in der Leitung, als das kleine Schleimtier eine Verbindung aufbaute, doch im Leuchtturm am Westkap nahm niemand ab. Wo steckten die beiden nur? Er dachte nach. Es behagte ihm wenig, in der Marinebasis anzurufen, doch es blieb ihm im Moment keine Wahl. Oder er müsste es zu vorgerückter Stunde noch einmal im Leuchtturm probieren. Noch einmal rauschte und knackte es. Die Schnecke machte einen angestrengten Gesichtsausdruck und kniff die Augen zusammen. Tatsächlich nahm am anderen Ende jemand ab. „Marinestation Lougetown. Sie sprechen mit Kurosawa Nobu. Sie wünschen?“ Nobu! Na wenigstens jemand, den er von den gut 300 Mann auf Station schon kannte. Der Soldat verrichtete schon seit einigen Jahren seinen Dienst bei der Marine, doch da er es mit den Regeln nie so genau nahm, war er über den Posten am Empfangstresen bisher noch nicht hinausgekommen. Seine Grundeinstellung zu seinem Arbeitgeber war recht pragmatisch: Das Gehalt kam immer überpünktlich, es gab ein Dach über dem Kopf und drei warme Mahlzeiten am Tage. Was wollte man mehr? Zudem war der Job am Tresen nicht allzu nervenaufreibend. Ein paar verirrte Touristen hier, ein paar Anzeigen wegen Diebstahl und Trunkenheit da. Nobu hatte alles im Griff. „Total chillig!“, hatte er einmal zu Zoro gesagt, mit ihm Sake angestoßen, von dem er mindestens immer drei Flaschen unter dem Schreibtisch neben dem Papierkorb gebunkert hatte, und dann auch noch sofort die Sakeschale wieder aufgefüllt. Saufen im Dienst. Zoro fand, dass Nobu doch sehr korrekt war. Zudem wusste er so ziemlich alles, was durch den Marineticker passte. Er war zum Leidwesen Smokers eine wandelnde Klatschzeitung, konnte aber auch genauso verschwiegen sein, wenn man sein Vertrauen brauchte. Tashigi sah es großzügiger, „solange der Laden lief“, wie sie so schön sagte. „Hier ist Zoro. Ist Tashigi noch da?“ „Klar, ich verbinde!“ Na, das ging ja mal fix. Sie war erstaunt über seinen Anruf auf Station und nicht wie üblich daheim. Kurz und knapp schilderte er ihr, was sich in den wenigen Tagen seit seiner Abreise zugetragen hatte und weshalb die Strohhutbande nun Marijoa ansegelte und nicht, wie geplant, zur Grandline fuhr. „Dann kommt ihr bei Shimotsuki entlang?“ „Scheint so...“ Kapitel 6: 6 - Shimotsuki-mura ------------------------------ Ebenso schnell wie der letzte Sturm über den East Blue hinweggefegt war, so schnell schob sich die nächste Warmfront hinterher. Sie putzte die allerletzten Wolkenfetzen vom mitternächtlichen Firmament und dekorierte ihn mit einem atemberaubenden Sternenhimmel, so als wäre jeder Stern einzeln dort oben aufgehängt worden. Dazwischen zerliefen die bunten Lichtstreifen wie Wasserfarben im Regen. Ein fast kreisrunder Mond pappte fehlplatziert zwischen den östlichen Gestirnen und setzte den kleinen Wellenkämmen auf dem sich sacht beruhigenden Meer winzige Schaumkrönchen auf. Ein schwarzer Punkt tauchte an der Horizontlinie auf. Unmerklich und beinah unsichtbar. Doch er wurde größer und größer und formte sich zu einer Silhouette. Aus ihr erwuchsen langsam Berge, deren bewaldete Gipfel im Mondlicht zu baden schienen. Eine Halbinsel im Dornröschenschlaf, die vermutlich nie wach geküsst werden würde. Erst sehr viele Seemeilen später würden sich ihre Umrisse mit den Gebirgen der Redline vereinen und sie vollkommen schlucken. Sanft und leise, als wolle die Sunny die unübersichtliche Landzunge nicht wecken, glitt sie über das Wasser und schlich sich nahezu unauffällig an ihr Reiseziel heran. Ein Kanonier starrte angestrengt durch ein Fernrohr, ein Rentier hielt dem Tiefschlaf nahe das Steuer, und ein Schwertkämpfer saß auf dem Sofa und studierte auf der Seekarte die küstennahen Ortsnamen. „Zappenduster! Noch nicht mal ein Leuchtfeuer oder eine Seebake. Chopper, penn' nicht ein!“ beschwerte sich Usopp und knuffte das Rentier in die Seite, dass es erschrocken hochfuhr. „Hab' doch gesagt, da werden schon zur Mittagszeit die Bürgersteige hochgeklappt“, kam es nur achselzuckend von Zoro zurück. Es klang eher wie eine Entschuldigung als die Bestätigung einer Tatsache. Er hielt Usopp die Seekarte vor die Nase und zeigte auf einen eingezeichneten Hafen, der nicht weit von ihrer aktuellen Schiffsposition aus lag. „Dahin.“ Der Kanonier legte den Kopf schief, bis der verdrehte Hals schmerzte, um den Kurs auf der Karte einschätzen zu können. Wann würde Zoro jemals lernen, einen Karte so zu halten, dass der Nordpfeil auch tatsächlich nach Norden zeigen würde? Noch während er sich Gedanken machte, klappte eine Tür. Schritte raschelten erst leise auf dem Rasen des Decks, dann erklommen sie die Treppe zum Steuer hinauf. Die Navigatorin stattete der Nachtschicht einen Kontrollbesuch ab und stellte sofort die Kursänderung fest. Noch bevor sie einen Wutanfall bekommen und sich über unfähige Crewmitglieder auslassen konnte, ließ sie sich beschwichtigen. Es handele sich hierbei nicht um Unfähigkeit, dass Schiff auf Kurs halten zu können, sondern um eine notwendige Maßnahme. Die Gewässer waren mehr als seicht. Auch wenn die Sunny nur sehr wenig Tiefgang besaß, wäre ein Ankern vor der Küste von Nöten und nerviges Ausbooten unumgänglich. Der angepeilte Hafen böte eine Mole als Hafenmauer. Diesen handfesten Argumenten gab Nami nach und griff mit einem Zirkel die Entfernung ab. Kurzum zeichnete sie den neuen Kurs ein und drücke der Langnase die Karte wieder in die Hand. Ungefähr eine Stunde Fahrtzeit trennte die Sunny von ihrem verdienten Anlegeplatz und einer restlichen Nachtruhe. „Noch eine Stunde? Es ist mitten in der Nacht!“ protestierte Chopper und kämpfte mit der stetig aufkommenden Müdigkeit. Es war schwer zu sagen, ob er das Steuerrad hielt oder das Steuerrad ihn, und so war er dankbar durch die Ablösung seitens Zoros. Im Halbschlaf schlich er über das Deck zu seinem ersehnten Bett. „Der macht mich echt Sorgen ...“, dachte Zoro laut mehr als nachdenklich vor sich her. Betreten blickte Usopp auf den Boden und brummelte etwas, was bestätigend, aber unverständlich klang. „Was meinst du?“ Fragend blickte Nami in die kleine Runde und warf dem Rentier noch einmal einen Blick nach, wie es die Tür zum Schlafraum hinter sich schloss. Doch die Miene des Schwertkämpfers bleib verschlossen und auch der Scharfschütze haderte mit einer Antwort. Ihm war Zoros Gedanke sofort wir ein Hieb durch alle Eingeweide gefahren. Nein, Nami war damals nicht auf dem Weg durch die Donnerebene im sogenannten Haus der Stille gewesen. Ein Orakel, welches Fragen auf alle Antworten wüsste. Auch die Wendeltreppe im Orakel war ihr fremd geblieben und ebenso, welche angsttreibende Entdeckung sie dort auf der Treppe machten. Todesspirale war ihm im Nachhinein durch den Kopf geschossen, wenn er daran dachte. Mit Schaudern erinnerte sich Usopp an das Blitzgewitter ohne Regen, an ohrenbetäubendes Krachen, an grauen Staub und Dunkelheit und an schwarze Panzerreiter, die ihre kleine Gruppe letztendlich zertrennt hatte. Und nun schien der Zahn der Zeit das wahr werden zu lassen, was sie damals auf der Treppe erlebten. Am Fuße der ersten Stufe blickte man in eine frische Morgensonne. Warm, mild und vorurteilsfrei liebkostet sie jedes neue Leben. Je höher man stieg, desto weiter schritt die Tageszeit voran. Jede Stufe war ein persönliches Lebensjahr. Oben empfing einen nur noch der Nachthimmel, falls es überhaupt jemand noch erlebt haben dürfte. Während er zusammen mit Zoro und Tashigi unwissentlich bereits recht viele Stufen erklommen hatte und von hoch oben schon in eine beginnende Abendsonne blickten, sah das Rentier viele, viele Stufe hinter innen schon diese Bild eines sinkenden Lebenslichtes. Usopp hatte Choppers Stufen gezählt und ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals, wenn er ihm bewusst wurde, dass es zwischen den Lebensjahren des kleinen Arztes und den gezählten Treppenstufen nicht mehr viel Spielraum gab. Er schluckte den Kloß runter und begann den Versuch einer Erklärung: „Naja, guck dir Chopper an. Sein Fell ist grau und struppig. Er schleicht nur vor sich her und schläft viel ...“ „Das ist uns allen aufgefallen“, gab Nami zurück. „Willst du etwas andeuten, dass er...?“ Nein, der Gedanke war so abstrus, dass sie ihn nicht zu ende zu denken vermochte. Chopper und sterben? Tränen stiegen ihr in die Augen. Das konnte nicht ernst gewesen sein. „Nami, Chopper ist ein Rentier! Die werden wenn überhaupt im Schnitt fünfzehn Jahre alt. Dass er schon über dreißig ist, verdankt er seiner Teufelsfrucht. Trotzdem ist und bleibt er ein Rentier. Das ist nun mal so.“ Auch wenn Zoros Worte noch so nüchtern und einleuchtend klangen, kannten sie sich lange genug, dass es auch für ihn nicht einfach war, diese Tatsache zu akzeptieren. Er starrte über das Meer geradeaus und ärgerte sich ein wenig, dieses schwerwiegende Thema laut ausgesprochen und somit seine Nakama traurig gestimmt zu haben. Allerdings würde sich die ganze Crew früher oder später damit auseinandersetzen müssen. So war es vielleicht gut, sich schon einmal innerlich beschäftigen zu müssen, einen sehr lieben und gut vertrauten Nakama zu verlieren. Oder hätte man nichts sagen sollen und alle wären bis zur letzten Sekunde fröhlich? Eine schwierige Entscheidung. Die Sunny machte gute Fahrt. Aus der Finsternis hob sich zwischen Meer und Himmel ein schwarzer Streifen ab. Noch einen Moment später machten man an Bord die einsam wirkende Mole aus. Sie griff wie ein langer Arm ins Meer hinein, als würde sie alle Schiffe einfangen und ihnen eine einladende Umarmung verpassen wollen. Die ausgesuchte Anlegestelle auf der Land zugewandten Seite der Mole war wohl durchdacht. Von See aus würde die Sunny sich erst sehr spät vor dem Hintergrund der Berge und Wälder abheben und war somit lange Zeit unsichtbar Feinden gegenüber. Aber sie lag nahe genug der Ausfahrt, um bei Gefahr schnell das offene Fahrwasser zu erreichen. Zoro und Usopp machten sich daran zu schaffen, die Taue um die Poller zu legen, während Nami schweigend das Steuer übernommen hatte und so gefühlvoll das Schiff an die Kaimauer bugsierte, als hätte sie feinstes Porzellan in den Händen. Der Schock über Choppers Zustand saß ihr immer noch in den Gliedern. Schweigend verließ sie den Steuerposten und verschwand in der Damenunterkunft. Zurück blieben die zwei Piraten an der Kaimauer, die unschlüssig dort ausharrten und über die verbleibenden Nachtstunden nachdachten. Der Molehafen war menschenleer. Nicht einmal Fischerboote hatten sich hierher verirrt. Fast geräuschlos wappte der Wellengang gegen die Kaimauer. Mit einem zarten Schimmer am östlichen Himmel deuteten sich die ersten Sonnenstrahlen an. „Ich habe das genau gesehen“, durchbrach Usopps Stimme die Überlegungen, sich entweder ins Bett zu verziehen oder bis zum Frühstück wach zu bleiben. „Was hast du schon wieder gesehen?“ „Deine Füße. Als du von Bord gegangen bist und den Boden hier berührt hattest, da ist der Boden kurz schwarz geworden. Du hast doch irgendwas gesehen. Stimmt's oder hab' ich recht?“ Zoro seufzte. Vor der Langnase konnte man rein gar nichts verbergen. Und selbst wenn dieser etwas verborgen geblieben war, so wurde solange in fremden Angelegenheiten gestochert, bis es schließlich entdeckt war. „Gar nichts hab ich gesehen“, brummelte er zurück und hatte in dieser Sekunde die Entscheidung gefällt, sich auf den Weg zumachen. Sollte die Langnase doch noch ein bisschen vor Neugier zappeln. Und tatsächlich war die Vision, sobald er wieder Land unter seinen Schuhen verspürt hatte, derartig kurz gewesen, dass er sie weder festhalten, noch gar vernünftig erkennen konnte. Für den Bruchteil der Sekunde hatte er an eine Motte oder ähnliches Insektenzeug denken müssen. Sicher war er sich nicht. Also war es gar nicht mal gelogen, dass er nichts gesehen hatte. Fast nichts. Die Wege trennten sich. Usopp bestand auf Frühstück und Zoro schlenderte an der Hafenmauer entlang auf das Festland zu. Erinnerungen kamen hoch. Es überraschte ihn, wie viele es nach all den Jahren noch waren. Weit würde der Weg bis ins Dorf werden. Oft hatte er und die anderen Jungen daher sich an Heuwagen herangeschlichen und waren als blinde Passagiere mitgefahren, bis sie von wütenden Wagenlenkern wieder rausgeschmissen wurden. Blieb man unentdeckt, nutze man die neu gewonnene Höhe durch die Heuladung aus und klaute im Vorbeifahren Äpfel von den spätsommerlichen Bäumen. Man hatte schon einen herrlichen Blödsinn in der Kindheit veranstaltet. Am Ende der Mole lag ein Hafen mit einem kleinen Handelsplatz und seinen typischen Gebäuden. Lagerhallen für Fischerboote und Güter aller Art, eine Taverne mit wenigen Gästezimmern und ein Zollhaus der Marine flankierten den Platz. Dahinter erhob sich ein bewaldeter Gebirgsausläufer, der sich drüben am Festland in den höheren Bergen verlor. Ein einziger Kopfsteinweg schlängelte sich zwischen den Häusern hindurch und verschwand in der Dunkelheit des Waldes. Kühl war es hier zwischen den Lorbeerbäumen. Ihre dichten fleischigen Blätter gaben der Sonne nur wenig Chancen, Sonnenflecken auf den Boden zu malen und so breiteten sich Moose und Farne zu Füßen der Bäume aus. Hier und da schlich ein Nebelfetzen um die Stämme. Eine gespenstische Wildromatik, welche Zoro wenig Beachtung entgegenbrachte. Der Weg verlor sein Kopfsteinpflaster und bot nun dort, wo Fuhrwerke entlangfuhren, festgefahrenen Schotter. Mittig zwischen den beiden Radspuren verblieb ein Grasstreifen. Der Wald wechselte sein Gesicht, gab die Lorbeerbäume auf und schmückte sich nun mit lichten Buchen. Es war die Dorfgrenze zwischen dem Hafengebiet und Shimotsuki. Dem hätte er wohl ebenso wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wie der eintönigen Vegetation um sich herum, wäre da nicht ein Dôsojin gewesen. Just als er ihn passierte, war da wieder etwas. Eine kurze Sequenz an Kopfkino schoss sich in sein Hirn und war ebenso schnell verflogen. Er hatte nie an irgendwelche Götter geglaubt, weshalb er sich zeit seines Lebens nie mit diesen heiligen Wegsteinen am Rande der Straße beschäftigt, geschweige denn sie einmal betrachtet hätte. Doch zweifelsohne wollte dieser Stein hier etwas mitteilen. Er verließ den Weg, trat nur wenige Schritte durch den Farn und entdeckte den kleinen Übeltäter. Verwittert und vom matschigen Boden gebeutelt, stand der Stein schief gekippt und von Moos überwuchert dort stumm und ein bisschen verloren. Zoro machte sich wenig Mühe, die eingemeißelten Figuren freizulegen, indem er einfach mit der Stiefelspitze das Moos und den Dreck grob abkratzte. „Was willst du mir sagen?“ dachte er bei sich und war doch recht irritiert, als unter dem eingetrockneten Matsch die Umrisse eines Insektes deutlich wurden. Die Flügel waren nicht aus dem grauen Stein herausgemeißelt, sondern durch rosafarbenen Granit ersetzt worden. „Ein Schmetterling, keine Motte. Ein roter Schmetterling...“, seufzte er. „Die halbe Jugend dran vorbei gelatscht und nichts kapiert...“ Seinen Weg fortsetzend kam er schon alsbald aus dem Wald heraus an eine Weggabelung. Die Sonne leckte mit ihren Strahlen gerade erst über die Bergkuppe hinweg an den obersten Baumwipfeln. Vor ihm schlummerten kleine Höfe in den letzten Nachtschatten. Das Krähen eines Hahnes markierte den Tagesanbruch. Wohin sollte er nun gehen? Noch einige Minuten stand er unschlüssig an der Kreuzung und schaute den beiden Wegen entlang. Der Hauptweg führt inmitten des breiten Tals an den Häusern vorbei bis in die Dorfmitte. Der kleinere Weg war eher mit einem Trampelpfad gleichzusetzen und zog sich entlang des Waldrandes im Schatten der Bäume und endete später am Dorfrand. Das Ziel des Pfades kennend bog er auf diesen ab. Zum einen würde man ihn nicht sofort zu Gesicht bekommen und zum anderen verspürte er nun doch das Bedürfnis, dort hinzugehen, von wo aus seine lange Reise einmal begonnen hatte. Die Sonne flutete nun das ganze Tal und hatte genug Kraft gesammelt, um bereits in den frühen Morgenstunden unangenehm zu brennen. Sie labte sich an der Feuchtigkeit in den Reisfeldern und zog sie in dampfenden Schwaden gen Himmel auf. Die Kühle der schattigen Bäume war nun eine Wohltat. Dann war er da. Als wäre er nie weg gewesen ging er zielgerichtet durch die Reihen der Gräber, bis er das richtige gefunden hatte. Etwas betreten betrachtete er Kuinas Grab und ließ seinen Blicke über den Stein mit ihrem Namenszug wandern, blickte dann weiter zu dessen Fuße und musterte verlegen den mehr als riesigen Stapel an alten Zeitungen. Er hockte sich davor und hob vorsichtig einzelne Blätter an. Tashigi hatte ihm gegenüber mal erwähnt, ihr Vater würde alles an Berichten über ihn sammeln und an das Grab legen. Zoro hatte mit einem Steckbrief und vielleicht einer Handvoll Seiten an Zeitungsartikeln gerechnet, doch das hier glich eher einem Zeitungsarchiv. Fein säuberlich übereinander gelegt von der ältesten bis zur jüngsten Ausgabe aufsteigend. Ein Lebenslauf mit viel verschwendeter Druckerschwärze, festgehalten für die halbe Ewigkeit. „Wer so akribisch sammeln würde, könnte unmöglich sauer sein“, schoss es ihm durch den Kopf und musste in sich klein beigeben, dass Tashigi die letzten Jahre im Recht gewesen war, wenn sie ihn wieder und wieder gebeten hatte, sie mal nach Shimotsuki zu begleiten. Aber nichts und niemand hatte ihn dazu bewegen können. Mit den Fingerspitzen fuhr er an den Faltkanten der Zeitungen entlang und ertappte sich beim Selbstgespräch: „Da hattest du ja was zu lesen... Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht...“ Einer Lichtreflektion gleich tanzte ein schillernder roter Punkt an ihm vorbei, setzte sich kurz auf die Zeitungen und stupste seine Finger an. Er streckte sie aus. Der Lichtfunke bildete einen schmalen Körper und zarte Flügel aus. Ein kleiner roter Schmetterling hatte sich auf seinem Finger niedergelassen und ruhte mit weit geöffneten Flügeln in der Sonne. „Du wartest immer noch? Ich habe auch oft an dich gedacht...“ Längst hatte er sich gesetzt und betrachtete den hübschen Falter, wie er sich im Inneren seiner Handflächen geschützt und wohlig fühlte. Er hatte die Situation vollkommen falsch eingeschätzt. Längst hatte er gedacht, er wäre über seine Vergangenheit hinweg und er käme damit zurecht. Da half alles verlegen Unterlippenkauen nichts mehr. Kein Selbstbelügen hielt die Dämme noch zusammen, die nun brachen. Stumme Tränen rannen über sein Gesicht. Er konnte die Zeit nicht einschätzen, die er hier verbracht haben mochte, doch dem Sonnenstand zu urteilen ging es gegen Mittag, als Geräusche vom anderen Ende des Friedhofs an sein Ohr drangen. Erschrocken flatterte der Schmetterling auf und taumelte vor ihm auf und ab, als wolle er ihn auffordern zu folgen. Dann entschwand er gen Himmel in Richtung einer der Berge. „Der schwarze Berg?“, dachte er bei sich und wischte sich hastig mit dem Ärmel übers Gesicht. Es sollte bloß niemand merken, dass er geheult hätte. Zwischen den Grabsteinen hindurch erspähte er einige Grabreihen weiter einen alten Herren, den er nicht kannte. Dieser kniete dort nieder zum Gebet und hatte die Anwesenheit des Piraten nicht gemerkt. Gut so. Zoro stahl sich unauffällig davon. Weiter ging es in sicherem Abstand um die Häuser herum wieder hinaus aus dem Dorf, denn die Kendoschule lag nur wenige Gehminute etwas außerhalb. Nein, es hatte sich wirklich nichts verändert. Es wirkte alles nahezu wie in einem Freilichtmuseum und er wandelte wie ein fehlplatzierter Besucher darin herum. Die lange weiße Mauer schirmte die Schule und das Wohnhaus von der Außenwelt ab und verbarg in ihrem Inneren eine eigene kleine Welt voller Ruhe und Einklang. Mitten durch das Haupttor zu spazieren missfiel ihm. Das Tor würde damals wie heute vermutlich knarren. Zudem sah man vom Haus aus sofort, dass Besuch auf dem Hof stand. Also nahm er den Weg seiner Kindheit, wenn er etwas ausgefressen hatte oder einfach nach langen Irrwegen viel zu spät heimkam. Rechts um das Anwesend herum, den kleinen Busch als Trittleiter missbrauchen und schon saß man oben auf der Mauer, wo der große Fächerahorn hinter seinen roten Blättern Sichtschutz gab. Aber Vorsicht, mit etwas zu viel Schwung fiel man durchs Geäst und landete bäuchlings im Koi-Teich. Er vermied diesen Fehltritt und beobachtete den Innenhof. Vermutlich wusste Koushirou bereits, dass er da war. Wie auch immer sein alter Lehrmeister es zustande brachte, er hatte immer alles gewusste, was sich auf seinem Grund und Boden abspielte. Ob nun tagtägliche Sprünge über die Mauer, nächtliches Sake-Saufen zwischen den Bambushecken mit Freunden oder pubertäre Prügeleien im Dorf. Nichts blieb verborgen. Vermutlich besaß Koushirou das Observationshaki mit Nonstop-Funktion. Also glitt er leise von der Mauer und ging auf das Dôjô zu. Und tatsächlich saß dort am anderen Ende Koushirou in geruhsamer Konzentration, als hätte er seinen Zögling erwartet. In so einer Trainingshalle herrschten ganz klare Verhaltensregeln. Wer die nicht einhielt, flog umgehend wieder raus. Da kannte sein Ziehvater kein Pardon. Er schlupfte an der geöffneten Tür aus seinen Stiefeln und verbeugte sich kurz vor dem Hausaltar. Je weiter man von der Eingangstür entfernt seinen Sitzplatz hatte, desto höher war das Ansehen. Daher war der vorderste Platz generell für Koushirou reserviert. Zoro konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals neben seinem Sensei jemanden sitzen gesehen zu haben, und da er nicht einschätzen konnte, wie es um seine Position auf der Beliebtheitsskala stand, suchte er sich seinen Platz weit weg von Koushirou und in der Nähe der Eingangstür. Die Schwerter sorgfältig neben sich abgelegt, die Hände auf den Oberschenkeln ruhend starrte er vor sich auf den Boden. Die Stille zerrte an den Nerven. Es war immer dem Ranghohen vorbehalten, ein Gespräch zu eröffnen und die Ruhe zu durchbrechen. „Los! Sag was oder schmeiß mich raus!“ schrie es in seinem Innersten. Für Zoro fühlte es sich wie eine halbe Ewigkeit an, als ihn endlich ruhige und freundliche Worte der Erlösung erreichten. „Mit soviel Demut kehrst du Heim? Das ehrt dich. Aber ist das wirklich der rechte Platz dort hinten für den weltbesten Schwertkämpfer?“ Zoro blickte verwundert auf. Koushirou sah in mit seiner ewig gütigen Mine über die Schulter hinweg an und wies auf einen Platz direkt neben ihm. Mehr anerkennendes Lob konnte es wahrlich nicht geben. Der Angesprochene tat wie ihm geheißen und wechselte den Platz. Ein Ahornblatt segelte aus seinen grünen Haaren lautlos zu Boden. „Hast du wieder die Abkürzung über die Mauer genommen? Ach Zoro, du hast dich überhaupt nicht verändert“, lachte der Ältere, und obgleich dem Jüngeren ein Grinsen über das Gesicht huschte, spürte er peinlich berührte Gesichtsröte aufsteigen. Kapitel 7: 7 - Kurswechsel -------------------------- „Taiyoko, wo ist deine Tasche? Sie stand doch eben noch hier?“, hallte Tashigis Rufen verzweifelt durch das Wohnhaus des Leuchtturms. „Hast du endlich alles?“ Verstohlen blickte sie auf die Wanduhr im Wohnzimmer, deren Zeiger unermüdlich voran rückten und die Kluft zwischen „rechtzeitig“ und „verspätet“ immer breiter wachsen ließ. Nicht zu fassen: Wenn sie die Springtide ausnutzen wollten, um in See stechen zu können, dann müssten sie sich beide nun wirklich beeilen. Es war zum Haareraufen. Egal, wie zeitig sie ihre Tochter über bevorstehende Termine in Kenntnis setzte, stets war diese die Ruhe selbst. Erst in letzter Sekunde kam schleichende Bewegung in das Mädchen, dennoch war es meist zu spät. Hektik machte sich breit, urplötzlich verschollene Kleidungsstücke waren unauffindbar, vom Kulturbeutel ganz zu schweigen, und schon aus der Haustür hinaus fielen dem Kind noch so manche Dinge ein, die hätten in der Reisetasche sein sollen. Also rannte man wieder zurück, kramte den halben Haushalt durcheinander, nur um diese Prozedur noch einige Dutzend Male später zu wiederholen. Wenigstens kam das Mädchen heute schneller aus dem Bett als gewöhnlich. Von Pünktlichkeit konnte bei Weitem keine Rede sein. Das Weckerklingeln konnte von ihr gnadenlos überhört werden, auch wenn der unbeliebte Zeitmesser schon seit einer geschlagenen Stunde vor sich her rasselte und bewundernswerter Weise sein Bestes gab. Ein Wunder, dass sie wenigstens zum Schulunterricht pünktlich im Klassenraum erschien. Obgleich Elaine schon mehrmals berichtete, wie Taiyoko noch in der Klassenraumtür den Lehrer überholte: Vollkommen außer Atmen, verschwitzt, die halbe Stulle vom Frühstückstisch noch zwischen den Zähnen und einem Blick, der Untote wieder in ihre Gräber zurückbefohlen hätte. Nein, das Kind konnte ihre väterliche Abstammung wahrlich nicht leugnen. „Ja, Mama …!“ erklang es langgezogen widerwillig und Tashigi wusste schon längst, wie die Übersetzung davon lautete: „Ich behaupte nur, ich wäre fertig, damit du nicht nervst, aber ich habe noch gar nichts eingepackt.“ Tashigi seufzte. Es mochte am heutigen frühen Morgen wohl schon der sechste oder siebte Seufzer gewesen sein. Sie hatte aufgehört zu zählen. Stattdessen beschloss sie, noch eine Tasse Tee aufzusetzen, denn bis ihre Tochter angezogen und gewaschen vor ihr am Tisch sitzen würde, hätte sie diese längst genossen und sich eine zweite Tasse eingeschenkt. Man musste eine Geduld von Ozeangröße aufbringen. Eine ganze Weile später schlich tatsächlich eine Gestalt mit zerzausten Haaren und verschlafenen Augen durch das Wohnzimmer. Diese Mischung aus Lumpensammler und Silvesterrakete nahm am Tisch Platz und nagte an einem Marmeladenbrot herum, dass der klebrig-süße Aufstrich nur so auf die Tischplatte heruntertropfte. Dafür gab es eine Rüge, die ihrerseits absolut unbeteiligt überhört wurde. Eine weitere Aufregung war es die Sache nicht wert, weshalb Tashigi über die Tischmanieren hinwegsah und ihre eigene geleerte Tasse nun auswusch. „Wohin fahren wir nochmal?“ gähnte es nun schläfrig hervor. Gewiss hatte ihre Mutter die Reiseziele des Kurztrips durch den East Blue schon benannt, doch es wollte ihr einfach nicht mehr einfallen, zumal sie die Namen der Inseln zuvor noch nie gehört hatte. Vermutlich hing ihr Desinteresse auch eher damit zusammen, dass relativ viele Tage der gerade begonnenen Sommerferien nun dafür verschwendet würden, irgendwo in der Gegend herum zu schippern. Und vermutlich wären die angesteuerten Inseln derart langweilig und winzig, dass nur eine einzige Palme darauf Platz fände. Garantiert sah zur Krönung noch jede Insel total gleich aus. Einzig die Versprechung, dass auch ein Zwischenhalt in einem größeren Ort zu machen wäre, hob die Laune kurzweilig an. Gespielt interessiert drehte sie ihren Kopf und sah auf die Seekarte des East Blues, welche ihre Mutter nun erklärend auf dem Esstisch ausbreitete. Sie überflog die Ortsnamen, um sich zu orientieren: Wanane, Kosa'sche Korridor... Moment mal! Plötzlich war sie hellwach. Es waren Orte, über welche sie in dem Buch ihrer Mutter gelesen hatte. Doch dort würde die Kreuzfahrt wohl nicht hingehen, denn Tashigis Fingerspitzen glitten von Loguetown aus dem östlichen Kartenrand entgegen und verweilten auf einem Archipel aus gefühlt tausenden von kleinen Inseln am Rande des Calm Belts. Antrittsbesuch nannte ihre Mutter diese Prozedur. Na, wenigstens war es nicht notwendig, den gesamten East Blue abzuklappern. Lediglich in diesem zerklüfteten Inselgruppenreich hatte sich lange kein Marineoffizier mehr sehen lassen. Und da Smoker seine Pflicht regelmäßiger Kontrollfahrten vernachlässigt hatte, befand Tashigi, dass es eine gute Gelegenheit wäre, sich ein Bild von der Fregatte zu verschaffen, die sie nun befehligte. Das Ziel war nicht weit und sie wären alsbald wieder daheim. Doch nun war es höchste Zeit zu gehen. Auch wenn sie diesmal nicht mit unzähligen Fährschiffen, sondern nun mit einem eigenen Schiff reisen würden, war auch dieses von den Gezeitenströmen abhängig. Zudem galt bei der Marine Pünktlichkeit und Disziplin. Wie sollte eine Admiralin diese Pflichten von ihrer Truppe einfordern wollen, wenn diese bei ihrer Antrittsfahrt selbst zu spät auftauchen würde? Gerade hatten sie alles an Sack und Pack geschultert, durchfuhr es Tashigi wie ein Blitz. Ein höllisches Brennen stach in ihren Hals und breitete sich rasch aus. Ihr Kopf fuhr Achterbahn und die Welt versank um sie herum in Schwärze. Sie kannte diesen Schmerz, doch hatte sie ihn seit Jahren nicht mehr gespürt. „Ich … ich muss nochmal kurz auf die Toilette...“, stammelte sie, wandte sich rasch zum Bad und ließ eine verdutzt dreinblickende Tochter in der Haustür stehen. Mit einem unbeholfenen Wink schlug sie die Tür etwas zu hastig zu, so dass sie knallte. Taumelnd fand sie am Waschbecken Halt und starrte in den Spiegel. Sie erschrak, als sie das ihr befremdliche Spiegelbild sah. Diese Frau dort, welche zurückblickte, war leichenblass und hatte Ringe unter den Augen. Ein blutrotes Mal am Hals entfachte böse Erinnerungen. „Das kann nicht sein. Du bist doch weggeflogen...“ flüsterte sie schockiert über den roten Schmetterlingsabdruck ihrem Abbild zu. Doch es war nicht nur der Schock, der sie aus der Fassung brachte. Zugleich stieg auch Wut und Verzweiflung ihn ihr auf. Fragen über Fragen türmten sich in ihrem Kopf. Was war passiert? Jahrelang hatte sie das Mal an ihrem Hals nicht mehr gespürt. Es war ihr sogar selbst fast in Vergessenheit geraten, da es die Zeit hatte verblassen lassen, wie eine alte Narbe sich irgendwann zartrosa färbte. Ebenso wie die Narbe mitten in ihrem Gesicht zum Beispiel. Eine ziemlich blöde Idee dazumal, sich aus Selbstmitleid und Hass selbst entstellen zu wollen. Mittlerweile hatte sie diese Dummheit bitter bereut. Aber diese Gedanken brachten keine Erkenntnis über das heiße Feuer auf der Haut. Was könnte der Auslöser sein? War es die Rückkehr Zoros in sein Heimatdorf, was vielleicht alte Wunden aufriss? Welche Geister tobten dort noch unbefriedigt einher? Mochten die Strohhüte dort überhaupt schon angekommen sein? Vor gut zehn Tagen hatte das Piratenschiff abgelegt. Der Sturm würde sie viel Zeit gekostet haben, obgleich eine Brigantine wie die Sunny dafür geschaffen war, auch unter den ungünstigsten Winden zu segeln. Wie spät mochte es dort gerade sein in Shimotsuki? Immerhin gab es eine Zeitverschiebung durch die östliche Lage des Dorfes von gut sieben Stunden. Wenn es hier früher Morgen war, so war es dort schon Mittagszeit. Heftig stoßweise keuchend versuchte sie wieder, einen klaren Gedanken zu fassen und sich zu beruhigen. Viel zu langsam ließ der Schmerz nach. Sie hörte ihre Tochter nach ihr Rufen. Es klang ängstlich und hilflos. Tashigi gab sich einen Ruck, richtete sich wieder vollends auf, obwohl ihr dabei wiederholt schwarz vor den Augen wurde und ging ohne Eile zurück. Keineswegs wollte sie Taiyoko weiter beunruhigen und schlug ihren Kragen hoch. „Alles in Ordnung. Mir war nur ein wenig schwindelig. Du weißt doch, der Kreislauf und das Wetter …“, versuchte sie aufgesetzt lächelnd die Situation zu überspielen und schritt voran zu ihrem Reisegepäck. Die Reise sollte nun endlich beginnen. Die Stadt zeigte sich zu ihrem Abschied blank geputzt. Von den Sturmschäden der vergangene Tage war nichts mehr zu sehen. Es war Wochenmitte, doch zu diesen frühen Stunden, zu denen die Sonne die Straßen und Gassen noch nicht beachtete und sich lieber zuerst nur mit den oberen Dachziegeln anfreundete, waren kaum Menschen unterwegs. Diejenigen, die schon irgendwelchen Tätigkeiten nachgingen, waren schon lange unterwegs gewesen, und denjenigen, denen dieses Los erspart blieb, begannen den Tag in aller Ruhe zu einer späteren Tageszeit. An einer Bäckerei kaufte sich Taiyoko noch eine Tüte voller Quarkbällchen. Wer wüsste schon, wann man die wieder zu essen bekäme? Es war ihrer Mutter ein Rätsel, wie man nur so vernarrt in diese Kalorienbomben sein konnte. Lachend zogen sie weiter, bis sie den Hafen erreichten. „Das is' ja mal ein Kahn!“ platze es aus dem vollen Munde Taiyokos heraus. „Der is' viel größer als die Sunny, oder?“ Wieder lachte Tashigi auf. Ja, die Fregatte war bei weitem größer. Wahrscheinlich würde die Sunny neben ihr wie ein kleines Spielzeugboot wirken. Doch Größe sagte bekanntlich nichts über Können und Komfort aus. Da hätte sich die Fregatte noch zu beweisen. Sie gingen an Bord und nahmen das Schiff in Augenschein. Tashigi fertigte sogleich eine Liste über kleinere Mängel an. Zudem notierte sie die Namen der Crewmitglieder, deren Schlafplätze und teilte die Schichten ein. Im Gegensatz zu üblichen Gepflogenheiten und zur Überraschung der Mannschaft scheute sie sich nicht, nach Schichtwünschen zu fragen. Aber sie hatte früher schon die Erfahrung gemacht, dass eine positiv motivierte Truppe um einiges mehr Breitschaft und Einsatz zeigte, als wenn sie sich sofort mit sinnlosem Herumkommandieren unbeliebt machen würde. Ihr ehemals Vorgesetzter Smoker hatte diese moderne Denkweise zwar teilweise als Humbug abgetan und müde abgewunken, jedoch erstaunt feststellen müssen, wie gut es seine damalige Unterstellte zu deren Ziele brachte. Der Rundgang endete zufrieden in der Unterkunft der Admiralin, und da diese noch keine Beschwerde seitens ihrer Tochter vernommen hatte, schien diese wohl noch nichts Schlechtes an dem Quartier gefunden zu haben. Sie trennten sich. Tashigi suchte die Brücke auf, um den Kurs festzulegen, und Taiyoko räumte ihre Reisetasche in ihrem Zimmer aus. Nur weniges an Inhalt sollte nicht den Weg ans Tageslicht finden. Da war zum Beispiel das Buch, welches sie viele nächtliche Stunden an Schlaf gekostet hatte. Von vorn bis hinten hatte sie es ausgelesen und war zu einer Problemlösung gekommen: Wenn sie ihre dämonischen Kräfte bekämpfen wollte, so würde der Verzehr einer Teufelsfrucht ihr den notwendigen Sieg bescheren. Wäre nur noch zu klären, wo man solch ein Höllenobst zu suchen hätte. Sie war mehr als überzeugt von ihrer Idee, dass sie die Nachteile, die solch eine Frucht und deren Genuss mit sich zogen, vollständig außer Acht ließ. Dann würde sie halt nicht mehr im Sommer Baden gehen. Na und? Suchend sah sie sich um. Wo könnte sie die Tasche verstauen, so dass ihre Mutter das Buch nicht entdeckte? Oder sollte sie doch besser das Buch aus der Tasche nehmen? Letztendlich entschloss sie sich doch, dass Buch für den Anfang unter der Matratze ihres Bettes zu verstecken. Sicher war sicher. Sie wollte sich nicht die Blöße geben müssen, heimlich in Geschichten geschnüffelt zu haben, die zum Teil sehr intim und privat waren. Die Geschichte ihrer Eltern hatte sie mehr als peinlich berührt und ihr einen ganz anderen Blickwinkel gegenüber diesen eröffnet. Nun saß sie auf ihrem Bett, kaute Quarkbällchen und freundete sich immer mehr mit der Erkenntnis an, einen gewissen Zeitraum ihrer Ferien an eine Kreuzfahrt der ganz speziellen Art zu verschwenden. Immerhin kam man herum und hörte eventuell etwas über den Fundort solcher Teufelsfrüchte. Woher hatten eigentlich Luffy, Robin, Chopper oder Brook mal solch eine Zauberbeere bekommen? Ein Hinweis wäre hilfreich, doch hielt sie es für zu auffällig, einfach mal eben die Strohhutbande anzurufen und nachzufragen. Es sollte ihr persönliches Geheimnis bleiben, dass sie sich auf die Suche nach einer Teufelsfrucht machen würde. Der Griff in die Bäckertüte prophezeite ihr ein baldiges Ende des kulinarischen Genusses. Die letzten Bällchen wollte sie aufheben. Also legte sie die Tüte auf den Nachttisch und sah aus dem Bullauge. Das Schiff hatte bereits abgelegt und die Kaimauer zog an dem Fenster vorüber. Man sah die Lagerhallen, das Zollhaus, ein Büdchen mit Zeitungen und Heißgetränken, dann die Kontorgebäude mit ihren Büros und Ausgabestellen. Die Hafenzeile verschwand hinter ein paar Handelsschiffen, welche ihre Ladungen löschten. Große Kräne luden Kisten und Fässer aus aller Welt ab. Dann lief die Hafenszenerie in einer kurzen Mole aus, welche an einem Leuchtfeuer endete. Nun gab es nur noch das weite offene Meer. Wenn sie sich streckte und ihr Gesicht an das kalte Fensterglas presste, konnte sie noch einen Teil Loguetowns sehen. Sie beschloss nach oben an Deck zu gehen. Bald würde es nur noch Wasser und Himmel zu sehen geben. Da wollte sie noch einen letzten Blick auf eine hinter dem Horizont verschwindende Zivilisation erhaschen. Den Weg durch die Gänge und Niedergänge hatte sie sich gut gemerkt, obgleich sie nie verstehen würde, weshalb eine Treppe an Bord, egal ob abwärts oder aufwärts, grundsätzlich Niedergang hieß. Schon so manche Begriffe hatte sie sich im Laufe der Zeit eingeprägt. Backbord lag in Fahrtrichtung links und wurde mit einer roten Laterne, steuerbord dementsprechend rechts mit einer grünen Laterne, gekennzeichnet. Wenn man nach hinten ging, so sprachen die Seeleute alle nur von „achtern“ und wenn es um Essen und Küchendienst ging, sprach man „Backen und Banken“. So leicht könnte man ihr also nichts vormachen, auch wenn sie Usopps und Frankys Ausschweifungen von einem Want, Fall oder Schot nicht so recht verstanden hatte. Für sie war es jedes Mal nur ein stinknormales Tau, wovon sie sprachen, welches nur deshalb einen anderen Namen trug, weil es auf dem Schiff an verschiedenen Orten platziert war. Doch sie hatte behalten können, dass ein „Auge“ nichts mit einem Sehorgan oder einen Würfel zu tun hatte, sondern lediglich ein Loch im Tau war. Viel Kraft musste sie aufwenden, um das Schott am Ende des Ganges zu öffnen. Kaum war sie hindurch, wehte ihr eine frische Brise entgegen. Der Fahrtwind spielte mit ihren Haaren und hinterließ einen feine Note an Meeressalz in ihnen. Sie blickte über die Reling achtern und sah wie ihre Heimatstadt hinter der Kimm verschwand. Der kühle Fahrtwind bedeckte sie mit einer Gänsehaut und entzog ihr schleichend die Körperwärme. Auch wenn sie von Schiffen nichts verstand, so hatte sie schnell bemerkt, dass die Fregatte um einiges ruhiger auf dem Wasser lag und nur allein schon durch ihre Segel eine höhere Fahrtgeschwindigkeit als die Sunny erzielte. Soweit schätzte sie das Schiff ihrer Mutter ein. Gut erinnerte sie sich an eine Fahrt auf der Sunny. Das Schiffsgeschaukel im Hafen hielt sie für unerträglich. Erst als die Brigantine ablegte und Fahrt aufnahm, wurde es hinnehmbar, doch der nächste größere Sturm änderte ihre Gesichtsfarbe von rosig-frisch zu grün-weiß. Übelkeit wurde der neue Nachbar ihres flauen Magens. Chopper flößte ihr mit viel gutem Zureden und halb roher Gewalt ein Medikament ein, dass derart übel roch und verdorben schmeckte, dass der Rückwärtsgang des Frühstücks nicht mehr zu verhindern war. Die Seekrankheit hielt noch bis zum Abend an, dann zeigte die Medizin endlich ihre erlösende Wirkung. Seither war sie beinah geheilt. Nur gelegentlich kehrte ein leicht flaues Gefühl in ihren Bauch zurück. Noch einmal lüftete sie ihre Lungenflügel mit der salzigen Luft, dann unterbrach sie ihre Entdeckungsreise an Bord für das Holen einer dicken Jacke. Einige Meter über dem Haupte ihrer Tochter stand Tashigi auf Brücke. Sie ahnte nichts von dem Abenteuer, welches ihre Tochter nicht nur ausgebrütet, sondern auch beschlossen hatte. Zu sehr war sie mit einem eigenen Gedanken beschäftigt, denn sie nun aus dem Bauch heraus ohne Sinn und Verstand umzusetzen versuchte. Sie legte dem Kapitän ihren neuen Kurs vor, der erstaunt, aber gehorsam salutierend das Schiff auf die neue Route lenkte. Die Fregatte würde einen Umweg in Kauf nehmen müssen und erst später durch das Archipel kreuzen. Eine dunkle Vorahnung aus finstersten Fantasien kroch durch ihre Denkweisen. Immer wieder dachte sie an den rotbrennenden Falter, an das Grab ihrer toten Schwester Kuina und natürlich an Zoro. Auch wenn es vollkommen absurd schien, konnte sie die Ideen eines Zusammenhangs zwischen Zoros Auftauchen und dem Schmetterling nicht beseitigen. Ihr Vorhaben war aberwitzig. Vermutlich würden die Strohhüte gerade mal einen, höchsten zwei Tage in Shimotsuki verbringen, denn das Hauptreiseziel war Marijoa. Es war Monkey D. Luffy eh hoch anzurechnen, dass er den Reisewünschen seines dämonischen Mitstreiters so großzügig nachgab. Kein Captain der Welt würde sich vorschreiben lassen, regelmäßig aus Abenteuern davon zu segeln, nur um einen kleinen Familienanhang in Loguetown zu besuchen. In ihrem Kopf ratterte ein Rechenspiel: Die Strohhüte waren ihr zehn Tage voraus. Wenn sie kurz verweilten, dann könnte sie selbst wohl zwei Tage gutmachen. Doch das Wetter stand zu günstig, um alle Hoffnungen über Bord zu schmeißen. Der Wind trieb von achtern in ihre Segel und ließen gut Knoten machen. Sie könnte es schaffen, Shimotsuki vielleicht in gut sechs Tagen zu erreichen. Dann hätte sie ein zeitliches Loch von vier Tagen. Vier Tage. Stoßgebete schickte sie zum Himmel, dass Luffy irgendetwas in der Pampa dieses Dorfes finden würde, was ihn noch länger dort im Hafen hielt. Keinesfalls wollte sie ihn bitten zu warten. Seit Jahren nagte das schlechte Gewissen in ihr, dass er bereits so rücksichtsvoll gnädig war. Der zukünftige König der Piraten tanzte in diesem Sinne nach der Nase seines vertrautesten Freundes. Vier Tage... Die hetzende Aufholjagd hatte begonnen. Kapitel 8: 8 - Fahrgemeinschaft ------------------------------- Der Becher rollte von der linken Tischseite zur rechten Tischseite. Ein Schubser mit der Hand und er rollte wieder zurück nach links. Und wieder nach rechts und nach links. Unzählige Male hatte der Becher dieses Prozedur gerade schon über sich ergehen lassen müssen. Aus zwei großen runden Augen starrten zwei kleine dunkle Pupillen gelangweilt auf das bewegte Trinkgefäß und folgten seinem vorgegebenen Weg über die Tischplatte. Die Rollbewegung lärmte ratschend und wetteiferte mit dem Klappern von Kannen und Töpfen aus der Kombüse um die Wette. Über allem hing ein frischer Geruch eines deftigen Brunches, welcher nur darauf wartete, auf Platten und in Terrinen seine Weg auf den großen Esstisch im Speisesaal der Sunny zu finden. Nachdem die Mannschaft ungewöhnlich spät aus den Betten gekommen war, hatte Sanji kurzum beschlossen, einfach das Frühstück ausfallen zu lassen und gleich mit einer umfangreicheren Mahlzeit in den Tag zu starten. Der weitere Tagesplan war noch nicht mit der Crew diskutiert worden. So hatte der Koch sich in Bezug auf die heutige Speisekarte auch noch keine weiteren Gedanken gemacht. Nun stand er hier in der Kombüse in den letzten Zügen seiner Kochzubereitungen, füllt Essen in Schüsseln um, richtete Platten an und ließ sich empfindlich von dem ratschenden Geräusch eines rollenden Bechers nerven. „Luffy, wenn der Becher noch einmal rollt, dann schieb' ich ihn dir dahin, wo du ihn ganz genau beobachten kannst!“ brüllte es aus der Küche über den Tresen dem Kapitän mehr als frostig entgegen. „Verschwende deine Energie fürs Tischdecken oder verpiss' dich!“, kam es da noch als ernsten Nachdruck hinterher. Tatsächlich hörte das Rollen auf, aber wohl weniger aus Respekt, denn mehr aus akuter Antriebslosigkeit. Luffy hatte seinen Kopf auf die Tischplatte neben den Becher gelegt und starrte nun durch seinen transparenten Boden wie durch ein Fernglas. Die Aussichten waren jedoch eher trübe. Und der Wunschtraum von bunten Kaleidoskopbildern erfüllte sich ebenso wenig. „Mir ist langweilig. Ich habe Hunger!“, erklang der Versuch einer Erklärung, die bei Sanji jedoch wenig Gehör fand. Dieser Satz war schon lange überaltert. Stattdessen tauchte der Blondschopf am Tisch auf und stellte einen Stapel Teller und eine Handvoll Besteck vor die Nase seines Chefs. Dieser trollte sich nun doch ein wenig, indem er den Kopf hoch hob und den Tisch aus seiner mehr liegenden als sitzenden Position heraus bestückte, was ihm nur deshalb gelang, da er Gummiarme hatte. Nein, der Smutje wollte sich nicht über diesen Umgang mit seinem teuren Essgeschirr in Rage äußern. Daher zog er es vor, seine Zigarette in einem Zug auf zu rauchen, sogleich eine Neue anzuzünden und die ersten Speisen an den Tisch zu schleppen. Es kam ihm gerade recht, dass Usopp und Chopper ihre Köpfe durch die Tür schoben. Dicht gefolgt von Franky und Brook. Ohne Vorwarnung hatten sie umgehend Schüsseln, Becher, Kannen und Servietten in den Händen, die sie kommentarlos zu verteilen hätten. Auch wenn es keine feste Sitzordnung am Esstisch gab, so hatte doch über die letzten Jahre jeder seinen Stammplatz gefunden. Und so fiel es sogleich auf, dass Usopp Zoros Platz beim Becherverteilen ausließ. Fragende Augen blickten ihn an. „Der ist heute früh schon los“, meinte der Kanonier achselzuckend. „Ach was...“ kam es eher unbeachtet, als interessiert, aus der Runde zurück, und damit war das Notiz nehmen über das fehlende Crewmitglied schon erledigt. Eine Besonderheit dieser Mannschaft war es, jedem Nakama ein gewisses Maß an freier Hand zu lassen über das, was es tat oder noch zu tun gedachte. Niemand war sich hier gegenseitig Rechenschaft schuldig. Ein jeder konnte seine Entscheidungen für sich treffen, was akzeptiert wurde, solange es die Crew nicht gefährdete. Es war eine Situation, die sich jahrelang als Optimum erwiesen hatte. Aber wenn der Strohhutjunge in die Runde seiner Mannschaft blickt und die letzten Jahre Revue passieren ließ, so begann dort irgendetwas im Getriebe zu haken. Es mochte erst nur eine Prise Sand sein, die die Abläufe zum Knarren brachten, doch Luffy konnte es in seinem Innersten nicht leugnen, dass ihm etwas nicht so recht passte. Er wusste selbst nicht recht, warum es ihm genau in diesem Moment übel aufstieß und er sich darüber den Kopf zerbrach. Missmutig nagte er an einem Schokoladencroissant, was sonst nicht seine Art war, und versuchte sich stillschweigend darin, was auch nicht seine Art war, diesen Gedanken zu formen, um hinter sein Geheimnis zu kommen. Da spukte ein Gespenst in seinem Kopf herum und wollte sich nicht fangen lassen. Dieser blöden Gedankengeist muss doch zu packen sein. Nachdenklich führte er seinen Becher zum Mund. Dabei versenkte er den Inhalt seiner Tasse mit dermaßen Schwung in seiner Kehle, dass er es umgehend wieder hervor prustete. „Bäh, da is' ja heißer Kaffee drin! Heiß!“ folgte die Beschwerde umgehend krakeelend. „Ja, ich habe mich auch schon gewundert, warum du nicht wie sonst die Kakaokanne gegriffen hast...“ entgegnete Nami verwundert. „Ist etwas?“ „Na, unser Herr Kapitän scheint sich mit ernsthaften Gedanken zu beschäftigen“, amüsierte sich Robin feststellend über Luffys Kaffee-Verirrung. Wenn ihr Kapitän über eine Sache nachdachte, die im sehr wichtig schien, so konnte man es nicht nur an seinem Gesicht ablesen. Man sah auch förmlich das Arbeiten der Kopfmühlenräder. „Oh je, hoffentlich denkt er nicht zulange. Sonst müssen wir es wieder ausbaden“, höhnte Franky aufheizend dazwischen. „Ruhe, ich hab's gleich ...“, konterte Luffy, griff zu der großen Schweinekeule und biss herzhaft hinein. Mit Weizenanteil im Essen wie bei so einem Croissant konnte man einfach nicht nachdenken. Eiweiß war da doch viel besser. Auch wenn der Anteil an Fleisch in Luffy-Portionen gerechnet nicht annähernd viel war, so lohnte es sich, auf dem einen Knochenende noch ein Weilchen herum zu lutschen und ihn wie den Becher auf dem Tisch zuvor von einer Backe in die andere zu schieben. Das andere Ende hing ihm im Mundwinkel. Wo war er nochmal stehen geblieben? Ach ja, die letzten vergangenen Jahre, der Eigensinn der Mannschaft und die stets abgeänderte Reiseroute. Er durchdachte im Schnelldurchlauf die letzten Abenteuer. Aus einer Mannschaft, in der jeder handeln durfte, wie er wollte, war nun eine Mannschaft geworden, in der tatsächlich jeder nur noch machte, was er wollte. Aus dem gegenseitigem Respekt für die Träume und Belange jedes Einzelnen war ein Selbstläufer geworden, bei dem immer mehr das Nehmen, als das Geben im Vordergrund stand. Dabei schien das innerhalb der Bande noch nicht einmal störend zu sein. Wenn er es sich so selbst einmal recht überlegte, und das tat er eben ganz intensiv, dann war er gar nicht mehr so direkt auf dem Weg ein Piratenkönig zu werden und Raftel zu finden, sondern die Sunny war zu einer Art Familientaxi mutiert. Eine kostenlose Fahrgemeinschaft mit Vollpension. Der Knochen der Keule in Luffys Mund verlor den salzigen Geschmack von gepökeltem Fleisch. Das nachdenkliche Herumkauen begann. Doch der Knochen leistete noch erbitterten Widerstand gegen den mahlenden Kieferknochen des Piraten. Luffy war nur noch damit beschäftigt, seine lieben Freunde überall hin zu kutschen. Da war an erster Stelle sein Mitstreiter der ersten Stunden, der boshaft gesagt, mehr in Loguetown wohnte, als auf der Sunny. Vermutlich lag es an Zoros absoluter Loyalität gegenüber seinem Captain, dass sich der Gummijunge auf dessen Forderung hatte eingelassen. Ohne den Hanyô wäre die Reise schon früher zu ende gewesen, als es allen lieb gewesen wäre. Also blieb Luffy dazumal nichts anders übrig als zuzustimmen: Entweder reiste die Crew öfters mal nach Loguetown oder die Strohhutbande hätte sich einen anderen Hanyô suchen müssen, was angesichts der Ausrottungsstrategien der Weltregierung ein schwieriges Unterfang gewesen wäre. Man hätte es auch Erpressung nennen können. Aber auch Usopp nahm das Sunny-Taxi gern in Anspruch, wenn seine liebste Kaya anrief. Chopper hatte auf diese Art und Weise schon einige Ärztekongresse besuchen können, Nami hingegen lieber Shopping-Tempel, und für Brook war das Piratenschiff ein prima Tourbus-Ersatz. Doch auch Franky nutze oft die Gelegenheit, mal ein Werkzeug von A nach B zu transportieren. Und wie ewig lange hatten sie für Sanji so eine bescheuerte Gewürzinsel gesucht, die winzig und auf keiner Seekarte verzeichnet war? Nun denn, Robin suchte eh alle Porneglyphen auf der Welt. Da war ihr die Reihenfolge der Fahrten egal. Der Knochen war gar nicht so hart, wie er vorgab. Er wechselte noch einmal die Backe, war aber kurz davor seinen Widerstand aufzugeben. Natürlich war er als Kapitän dabei nicht ganz unschuldig. Stets gab er nach, wenn mal wieder irgendetwas dringendes zu erledigen wäre. Zugegeben: Der Spaß stand im Vordergrund, aber voran brachte es ihn nicht. Vielleicht war er auch von seiner eigentlichen Reiseroute abgekommen, da es Raftel nicht mehr zu suchen, sondern nur noch zu finden gab. Zoro wusste den Weg und er müsste nur folgen. Doch wäre dann nicht auch mit einem Schlag der große Traum erfüllt? Was wäre dann der nächste Traum? Er würde dem wohl nicht auf die Schliche kommen, wenn alles weiterlaufen würde wie bisher. Es sollte sich wohl etwas ändern. Es musste sich etwas ändern. Keine Umwege mehr! In Luffys Mundhöhle krachte der Knochen und gab sein Innerstes preis. Seine Zungenspitze nippte am Knochenmark. Aber viel mehr Geschmack war dort auch nicht zu naschen. Er spuckte den Knochen vor sich auf den Teller. Zeit, ein Statement abzuliefern. „So, Leute! Wenn wir Marijoa hinter uns haben, segeln wir zur Neuen Welt! Und dann endlich nach Raftel!“ Essensgeräusche verstummten schlagartig, erstaunte Blicke starrten ihn an. Die Gedankengänge ihres Anführers hatten nicht dessen Hirn verlassen, um sich der Crew mitzuteilen. Diese tappte nun über die Hintergründe dieses plötzlichen Gefühlsausbruchs im Befehlston absolut im Dunkeln und wusste nicht so recht, ob die Ansage ab sofort galt oder gar ernst gemeint war. „Siehst du, wir müssen wieder irgendetwas ausbaden“, flüsterte Franky in die Runde. „Kommt einer mit?“ fügte Luffy noch hinzu und hatte sich längst zum Gehen erhoben, während er sich die Taschen mit den letzten Fleischkeulen füllt. Der Gummijunge hatte es entschlossen eilig. Über den erstaunt blickenden Crew-Köpfen formten sich glühende Fragezeichen, bis nacheinander eben diese wie Seifenblasen wieder zerplatzten. Klar, die Besatzung war ja nicht komplett, und Luffys Idee war gar nicht mal so verkehrt. Wenn sie weitersegeln wollten, musste sie Zoro erst wieder einsammeln. Der fehlende Orientierungssinn des Schwertkämpfers war seit je her eine Katastrophe. So hatte es sich ergeben, dass dieser meist eh lieber an Bord blieb und die Schiffswache übernahm. Sanji nannte Zoros Wachdienst aufziehend eher „ein Schiff be-pennen, als ein Schiff be-wachen“, aber das berührte diesen nicht im Geringsten. Was sollte er zudem auch auf einer Insel bei chronischem Geldmangel? Obgleich ihm das mit dem Finanzloch niemand mehr so recht abnahm, seit er urplötzlich vor einigen Jahren seine ausstehenden Schulden bei der Navigatorin beglichen hatte. Wie er das zu Wege gebracht hatte, blieb lange ein Geheimnis, bis Usopp und Chopper sich bei Franky verquatschte, der schon lange eine Ahnung hatte. Es geschah nämlich eines Tages, dass Tashigi grummelig in seiner Werkstatt auftauchte, sich suchend umsah und sich dann nach einige Seilen und alte Jutesäcken erkundigte. Der Zimmermann konnte sich da erst keinen Reim drauf machen, bis Tashigi wütend vor sich her murmelte, dass es nun Schluss wäre mit ausstehenden Schulden, während sie ihre Beute in einen der Säcke stopfte. Auf Heller und Pfennig hätte sie sich die Summe von Nami quittieren lassen. Schriftlich, damit die selbsternannte Kassenwartin nicht noch spontan etwas an den Zahlen drehen könnte. Anschließend verließ sie Werkstatt wieder und ward samt Zoro, Usopp und Chopper für die nächsten zwei Tage und Nächte nicht mehr gesehen. Zurück kehrte die Gruppe mit einem Jutesack voll Geld. Mysteriös! Wenn Zoro an das dumm blickende Gesicht der Navigatorin dachte, als er den Bündel Scheine vor sie auf den Tisch warf, dann huschte immer noch ein Grinsen über sein Gesicht. Hätte die Sunny an einer Insel geankert, so hätte der Funke einer Chance bestanden, dass Zoro das Schiff auf seinen Irrwegen einmal zufällig erwischt hätte. Doch hier auf einer Halbinsel sah es bedeutend anders aus. Einmal auf die Redline geraten, und Zoro wäre im wahrsten Sinne des Wortes verloren. Auch dass diese Gegend hier seine Heimat wäre, würde nicht bedeuten, dass er in irgend einer Form den Rückweg finden würde. Es sollte noch hinzukommen, dass er niemanden seiner Freunde in Kenntnis darüber gesetzt hatte, wann er überhaupt wieder zurück auf dem Schiff zu sein gedenke. Es schien also unausweichlich, ihn suchen zu gehen. „Müssen wir wirklich ALLE losgehen, um EINEN zurückzuholen?“, unterbrach Franky die Aufbruchpläne des Strohhutjungen, denn er war wenig bereit, seine Arbeiten zu unterbrechen. Der Rasen auf dem Schiffsdeck stand schon wieder knöchelhoch und schrie nach der Sense. Einige Stellen am Schiffsrumpf mussten noch dringend geteert werden, damit kein Seewasser sich in das wertvoll Adamholz fraß. Und die Werkstatt brauchte auch ein neues Ordnungssystem, wenn beim nächsten Seegang nicht wieder alles scheppernd aus den Regalen und Fächern fallen sollte. Auch Sanji hatte wenig im Sinn, den Marimo suchen zu müssen beim Anblick des wüsten Chaos im Speisesaal und in der Küche. Das Großreinemachen würde seine Zeit beanspruchen, und sogleich machte er sich an die Arbeit. Chopper hatte sich müde in sein Arztzimmer zurückgezogen und mischte unterschiedliche wässrige Lösungen mit Auszügen aus Heilkräutern. Man könne den Mischprozess nicht unterbrechen, andernfalls wäre die ganze tagelange Arbeit für die Katz gewesen und die Medizin wirkungslos, erklärte er. Brook war zunächst unschlüssig, schloss sich aber dennoch der Meinung des Schiffsbauers an, dass nicht die komplette Mannschaft losziehen müsste. Stattdessen schnappte er sich seine Geige, ging an Deck und beobachtete musizierend die offenen See nach weiteren Schiffen. Und so machte sich eine illustre vierköpfige Gesellschaft auf den Weg nach Shimotsuki. Luffy stiefelte voran und hatte seinen Fleischvorrat schon fast aufgebraucht, noch ehe die Mole endete und sie den kleinen Hafen erreichten. Usopp konnte darüber nur den Kopf schütteln und überlegte fieberhaft, in welchem Seitenfach seiner unerschöpflichen Tasche er sein Lunchpaket so bunkern könnte, dass es Luffy auf gar keinen Fall finden könnte. Nami beachtete die beiden nicht, denn schon längst hatte sie die näherer Umgebung in Augenschein genommen. Sie hatte einige Kartenausschnitte auf einem Klemmbrett befestigt und machte fleißig Notizen über den vor ihr liegenden Küstenverlauf. Schnell flog ihr Bleistift über die Karten und ebenso schnell radierte sie fälsche Angaben wieder aus. Robin beobachtete sie geheimnisvoll lächelnd in ihrer üblichen Art und erwähnte der Navigatorin gegenüber ein Porneglyph, welches hier ganz in der Nähe zu finden wäre. Die Sonne hatte bereits ihren Tageshöhepunkt überschritten und verwöhnte die kleine Gruppe mit viel zu vielen ihrer Strahlen. Sie brannte gnadenlos fröhlich vom Himmel herunter und trieb die Piraten schnell voran über den kopfsteingepflasterten Weg hinein in den schattigen Wald. Die Stimmung war gut, und sie hofften, dass die Suche sich begrenzt halten würde. Kapitel 9: 9 - Vier glorreiche Halunken --------------------------------------- Die brennende Sonne war gnädig mit Shimotsukis Einwohnern. Ganz ihrem gewohnten Lauf folgend zog sie Stunde um Stunde weiter und blieb mit ihren Strahlen an Bäume, Büschen und Häusern hängen, welche immer länger werdende Schatten warfen. Sie gaben der Umgebung eine leichte Kühle und schützen vor dem Verdorren. Auch wenn es ein noch recht jungfräulicher Sommer war, so glich das Klima eher einem Hochsommer mit heißen, trockenen Tagen und kurzen, warmen Nächten. Kaum war die Mittagszeit vorüber, kamen die Menschen aus ihren Häusern und bewässerten ihre Reisfelder mit dem klaren Wasser der anliegenden Berge. Auch wenn das kühle Nass im Übermaß aus den Wäldern quoll, war sein Weg zu den jungen Reispflanzen beschwerlich und erforderte viel Erfahrung und Mühe derer, die es in schweißtreibender Handarbeit dem Berge abgewonnen hatten. Viele kleine Kanäle und Gräben umschlossen die Anbauflächen wie liebkosende Arme und waren in jahrelanger Buddelei erschlossen und gepflegt worden. Auch im Dôjô stand der Moment nicht still. Es war die Zeit, zu der zum nachmittäglichen Training interessierte Jungen und Mädchen aus der Umgebung kamen, um ihre Übungen zu absolvieren. Koushirou verweilte noch auf der Veranda und betrachtete mit seinem üblichen Lächeln vollkommener Tiefenentspannung die Szenerie. Sein einstiger Zögling stand dort im Schatten des Brunnens umringt von einer Schar und war von dieser ohne Ausnahme in Beschlag genommen worden. Die Ankunft des auf allen Blues bekannten Piraten hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Nun stand dieser in einem Pulk von aufgeregt schnatternden Kindern da, musste Steckbriefe, T-Shirts und den unmöglichsten Kram signieren und unzählige Fragen beantworten. Geduldig hatte sich Zoro seinem Schicksal ergeben. „Hättest du das gedacht? Ich sehe ihn immer noch wie einen unruhigen Geist durchs Dorf ziehen. Erinnerst du dich noch an seine Wut, die er immer in sich trug? Und dann diese innere Ruhelosigkeit ...“ Koushirous Frau hatte sich zu ihrem Mann auf die Veranda gesellt und deckte den Tisch für den Nachmittagstee. „Ja, du hast recht. Er scheint ausgeglichener zu sein“, bestätigte er ihre Beobachtungen. „Ausgeglichener? Ich hoffe doch sehr, er hat endlich mal seinen inneren Frieden gefunden. Dieses rastlose Herumtreiben war doch nicht mehr tragbar. Ich denke, unsere Tochter hat da ein großes Zutun dran. Sie hat ihn echt gut im Griff.“ Das, was Koushirou an innere Stille introvertiert in sich behielt, brachte seine Frau extrovertiert auf den Punkt. Wenn man die Familienverhältnisse einmal genauer betrachtete, so musste Tashigi zweifelsohne ihre übersprudelnde Art und das Redebedürfnis von ihrer Mutter geerbt haben. Beide konnte das Herz auf der Zunge tragen und vor sich Herplappern wie die Mühle am rauschenden Bach. Es gehörte auch dazu, dass beide gern mal durch ihre direkte Redeart unverblümt mit der Tür ins Haus fielen. Und so ließ seine Frau ihren Gedanken freien Lauf. Er war es gewohnt, dass sie ihre Meinung zügellos heraus sprach und gerne auch mal laut vor sich her dachte. Deshalb folgte der nächste Gedanke auch sofort auf dem Fuße: „Ich werde nie verstehen, weshalb sie ihn damals mal zwischenzeitlich vor die Tür gesetzt hatte.“ „Ich denke, es war eine Trotzreaktion.“ Sie seufzte, denn die geringe Einsilbigkeit ihres Mannes ließ stets nie viel Platz für Gesprächsraum zu. Sie klemmte sich das Tablett für das Teeservice unter den Arm und blickte hinüber zu ihrem Ziehsohn, der nun der neugierigen Meute entfliehen konnte, um sich ebenfalls auf der Veranda niederzulassen. „Na, haben sie dich gehen lassen?“ fragte sie ihn lachend. Es war ihr egal, ob es sich nun um ein leibliche Kind handelte oder nicht. Und es machte ihr auch keinen Unterschied, wie alt ihre Kinder waren. Kinder blieben in den Augen ihrer Eltern immer Kinder. Und genau so behandelte sie ihn nun auch. „Scheint so“, gab er lachend zurück und nippte an dem heißen Tee, den er von ihr in die Hände gedrückt bekam. Seine Gedanken schweiften über das Gelände. Zu jedem Stein, zu jedem Staubkorn fielen ihm Dutzende Erinnerungen ein. Er selbst konnte es gar nicht glauben, wie viele es waren. Sein Ziehvater ließ sich mit einem Hinweis auf die wartenden Kinder vor dem Dôjô entschuldigen. In seiner üblichen Ruhe erhob er sich und ging über den Hof hinüber zur Trainingsstätte. Eine Weile blickte Zoro ihm nach. Es machte fast den Anschein, dass sich in all den Jahren nicht viel verändert hatte. Es war seine Ziehmutter, die ihn ihn die Realität zurückholte, als hätte sie seine pathetischen Gedanken erraten. „Komm mal mit“, forderte sie ihn auf und er folgte ihr stumm ohne Vorahnung, was ihn erwarten würde. Er kannte das Haus wie seine Westentasche. Da gab es keine Geheimnisse mehr, die sich in und hinter diesen Mauern verbergen konnten. Jede knarrende Holzdiele, jede ächzende Treppenstufe hatten sich in den hintersten Gehirnwindungen eingebrannt und traten nun wieder zum Vorschein. Er folgte ihr durch die große Eingangshalle durch den Empfangsraum, wo sich zum regelmäßigen Austausch abends Schwertmeister aus allen nahen Regionen trafen. Von hier aus zweigte hinter einer unscheinbaren Tür ein Flur ab, der die Hauswirtschaftsräume mit den privaten Räumen verband. Dahinter folgte das Treppenhaus bis unter das Dach zu den Schlafräumen. Unbeirrt folgend ließen sie beide die Treppe hinter sich, und plötzlich standen sie ihn einem Raum, der ihm so unendlich bekannt vorkam: sein altes Zimmer. Er durchquerte es bedächtig bis zu dem schmalen Fenster gegenüber. Bilder aus der Vergangenheit schossen durch seinen Kopf. Damals. Da war er noch um einiges kürzer. Wenn man die Hände an der rechten Seite aufsetzte und die Finger ins Holz vergrub, dann hatte man gute Chancen, sich durch die Öffnung zu schwingen und auf dem winzigen Austritt vor Kuinas Zimmer zu landen. Rückwärts ging der Weg ähnlich. Unzählige schlaflose Nächte waren so verschwendet worden, in denen man sich gegenseitig mit großen und kleinen Problemen belästigte, die unbedingt ausgetauscht werden mussten. „Na, da passt du wohl nun nicht mehr durch“, kam es recht lakonisch von ihr und gab sogleich zu verstehen, dass sie recht viel aus seinen Kindheitstagen wusste. Kuina hatte ihr also doch mehr anvertraut, als man meinen mochte. Sein Blick schweifte über die kahlen, eintönigen Wände des Raumes und blieben neugierig in einer Ecke hängen, wo sich über einer alten Holztruhe einige Bilder sammelten. Er trat näher und überflog sie. Ein kleines persönliches Sammelsurium hatte hier seinen Platz gefunden. Da war ein Foto von Tashigi und ihren Eltern, eines mit ihr und Taiyoko auf dem Arm, als diese gerade zwei Jahre alt war. Sein Steckbrief hing dort ebenso in direkter Nachbarschaft wie ein ganz besonderes Lichtbild. Auf welcher Insel mochte das wohl nochmal aufgenommen worden sein? Es war auf einer der großen und weltweit berüchtigten großen Luffy-Feten fotografiert worden, als ein Marine-Paparazzi seine Runde durch das Partyvolk drehte. Es war nur ein Schnappschuss und glich eher einem Selfie. Während er relativ direkt in die Kamera blickt, sah man Tashigi in seinem Arm an ihn gedrängt etwas scheu und überrumpelt im Hintergrund. Es war wohl das einzige Foto überhaupt, auf dem sie beide einmal zusammen zu sehen waren. Bisher hatte er immer gedacht, dass es davon nur eine einzige Aufnahme gab, die daheim am Kühlschrank in Loguetown klebte. Dass sich ein Abzug davon hierher verirrt hatte, war ihm neu. Seine Aufmerksamkeit sollte nicht allzu lange bei den Familienbildern bleiben. Seine Ziehmutter hatte eine Wandschranktür geöffnet und eine kleine Truhe zu Tage gefördert. Sie öffnete den Deckel. „Das ganze Geld ist hier, wenn mal etwas sein sollte. Tashigi meinte, es wäre hier wohl richtig aufgehoben.“ Zoro nickte nur zustimmend, während er auf die Geldbündel blickt. Ja, das war ein ganz besonderes Abenteuer gewesen. Im Nachhinein konnte man darüber lachen, doch damals vor gut sieben Jahren hatte ihm Tashigis Idee so rein gar nicht geschmeckt. Es musste eine Wüsteninsel gewesen sein. Doch es war nicht solch eine Wüste, wie man sie aus Arabasta kannte. Diese hier war steinig und irgendwie staubiger als alle anderen Wüsten, die er schon mal durchstreifen musste. Kakteen waren das einzig überlebende Grünzeug, flankiert von hohen Steinformationen, welche sich himmelhoch erhoben und aus Jahrmillionen langer Verwitterung zurückgelassen worden waren. Verdorrte Büsche hatte der Wind losgerissen und kollerten durch die Landschaft, unwillkürlich vom Wind vorangetrieben ohne ein bestimmtes Ziel. Eine kleine Ortschaft an alten Holzhütten bildeten eine Geisterstadt, die zu allem Unglauben tatsächlich noch Menschen beherbergte. Man mochte sie wohl an einer Hand abzählen können. Es schien ebenso unglaublich, dass sich hier am scheinbaren Ende der Welt eine Marinestation halten konnte. Auch passte das Klima nicht so recht zu einer Wüste, denn es war eine Herbstinsel mit bitterkalten Nächten, wenigen Tageslichtstunden und windigen Passagen. Wenigstens hatte die Insel zu der Zeit, als die Sunny dort ankerte, um Vorräte aufzufüllen, keinen Regen ertragen müssen. Die Navigatorin schätze es um die zwei, vielleicht drei Tage, dass sich der Logport aufladen würde. Solange hätte die Crew in dieser Einöde zu verweilen und die Zeit totzuschlagen. So kam es des Abends in der geselligen Runde nach dem Abendessen beim belanglosen Kartenspielen, dass man sich wieder einmal mehr um gezinkte Karten und Wetteinsätze zänkisch auseinandersetze. Nami weigerte sich nämlich, Gewinnquoten aus dem Haufen an Münzen und Geldstücken, welcher mitten auf dem Tisch sich nach unzähligen Kartenrunden angesammelt hatte, auszuzahlen. Immerhin hätte einige zwar schon geliehene Summen zurückbezahlt, jedoch würde sie noch auf die Zinsen und Zinseszinsen warten. Kurzum beanspruchte sie den Gewinnpott allein für sich. Natürlich hagelte es massiven Protest von nahezu allen Seiten, und aus der erst zänkischen Runde wurde eine hitzige, in der es von Schimpftiraden nur so wimmelte, dass es jedem Außenstehenden rotglühende Ohren verpasst hätte. Allein Tashigi blieb ruhig und verharrte auf ihrem Stuhl, bis sie sich erhob und mit undurchsichtiger Miene der Diskussion ein verblüffendes Ende setzte. „Schulden? Kannst du die auch wirklich alle nachweisen? Wenn ja, dann möchte ich eine haargenaue Abrechnung über angebliche Schulden, die Zoro bei dir gemacht haben soll. Und das schriftlich bis Morgen früh am Frühstückstisch. Ansonsten erkläre ich diese angeblichen Schulden für nichtig.“ Ihr Worte klangen eiskalt und zielgerichtet. Danach ließ sie sich entschuldigen, um nach Taiyoko zu sehen, von der sie sich erhoffte, nun endlich in den Schlaf gefunden zu haben. Eine Tür knallte wütend zu und verwunderte, stumme Blicke blieben an Zoro hängen, der auch nur verwirrt mit den Schultern zucken konnte. In Nami jedoch tobte es innerlich. Niemals würde sie dieses ehemalige Marinemädchen wirklich leiden können. Sie hatte sich damals einfach so in diese Mannschaft verirrt, viel Wirbel hinterlassen und besaß obendrein noch einen großen Haken: Diese Frau war ebenso wie sie äußerst geschäftstüchtig. Und die schriftliche Abrechnung war eine bodenlose Frechheit, denn Nami selbst war von Tashigi auf dem falschen Fuß erwischt worden. Tatsächlich waren alle ihre Schuldverträge nur mündlich geschlossen worden. Meist auch nur in einem Zweiergespräch. Da konnte sie nur auf das zurückgreifen, was mehrere Ohren mitbekommen hatten. Wütend stapfte sie in die Bücherei, griff nach Zettel und Stift und kam zu ihrem Leidwesen auf eine in ihren Augen klägliche Summe von gerade mal rund 410000 Berri. Wütend krampften sich ihre Finger auf dem Papier. Hoffentlich kamen die anderen nicht auch auf diesen blöden Gedanken, sich die Schulden schriftlich quittieren zu lassen. Mit viel Zorn im Herzen und einer Hasskappe auf Tashigi stiefelte sie nun zur vorgerückten Nachtstunde in ihr Bett, um nur wenige Stunden später immer noch angesäuert eben dieser eben diesen Zettel vor die Nase zu knallen. „Da!“ war alles, was sie angesäuert hervorbrachte. Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihre Kaffeetasse, nur um die neugierigen Blicke der anderen nicht ertragen zu müssen, die sich nun aber erst einmal alle erstaunt auf das Blatt Papier richteten. Die Summe war nun allen offensichtlich bekannt. Eine Manipulation schien somit ausgeschlossen. Tashigi war zufrieden und begann den Plan, denn sie verfolgte, nun in die Tat umzusetzen. Es dauerte keine halbe Stunde, als sich ein vierköpfiger Tross von der Sunny entfernte. Nachdem Tashigi erbeten hatte, dass die auf dem Schiff bleibende Mannschaft sich um Taiyoko kümmern würde, war sie sowohl mit zwei ahnungslosen und einem extrem schlecht gelaunten Piraten im Schlepptau, als auch mit einem Jutesack voller Seile in Richtung Geisterstadt losgezogen. Niemand sprach ein Wort, obgleich sie schon gute drei Stunden Fußmarsch hinter sich hatten. Der Wind stob den Staub auf. Er haftete sich an Kleidung, klebte in den Haaren, brannte in den Augen, verstopfte die Bronchien und rieb sich auf der Haut. Es gab wohl unzählige Orte, die weit aus schöner waren, als diese Wüstenei. Der Weg führte durch eine eintönige Gegend immer weiter eine Anhöhe hinauf. Noch nicht ganz oben angekommen, blickte sie sich suchend um und führte ihre kleine Gruppe hinter ein paar schroffe Felsen, so dass man auf die andere Seite der Anhöhe blickte. Eine weite graue Ebene erstreckte sich zu deren Füßen und allein die dunklen Holzhäuser einer vergessenen Siedlung bildeten einen Kontrast zum sandigen Staub. Erstaunlicher Weise konnte man weiter hinaus in der Ferne eine riesige Bucht ausmachen, welche ins Meer führen musste. Eine große Anlegestelle in der Nähe eines unscheinbaren Backsteingebäudes ließ die Vermutung nahe, dass dort wohl auch größere Schiffe erwartet wurden. „Usopp, hast du die rote Pastellfarbe mit, um die ich dich gebeten hatte?“ fragte sie leise. „Klar, aber was um alles in der Welt machen wir hier?“ gab der Angesprochene zurück. „Ich denke, ihr wisst nicht allzu viel über Chiri-Shima? Die Insel sieht verlassen aus, aber es täuscht. Das Leben spielt sich untertage ab. Die Silbererzvorkommen sind riesig. Die Marine hat hier ihren größten Umschlagplatz. Allerdings wurde schon vor Jahren offiziell erklärt, die Vorkommen seien erschöpft. Daher kommt hier niemand mehr her“, begann sie. „Ich verstehe immer noch Bahnhof. Was willst du mit Silbererz?“ fragte das Rentier nach. Längst hatte es sich neben Zoro hinter einem windgeschützten Felsen niedergelassen, dessen Laune sich in den letzten drei Stunden nicht sonderlich verändert hatte. Noch immer starrte er finster voraus und hoffte, dass die ganze Aktion doch noch abgeblasen werden würde. Jedoch kannte er Tashigi viel zu gut, als dass man sie von irgendetwas abbringen könnte, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Bereits in der letzten Nacht hatte sie darüber gestritten, und nur mehr als widerwillig nachgegeben. Ganz gleich, wie viel es an Schulden sein würde, Nami würde eh niemals auch nur einen einzigen Berri bekommen. Es juckte ihn nicht im geringsten, was die geldgeile Zicke da so von sich gab. Doch für Tashigi war dieses stets wiederkehrende Thema auf der Sunny, wer dort wem viele Geld schuldete, mehr als unerträglich. Er hasste es, wenn sie sich stritten. Es kam zwar nicht häufig vor, doch geschah es so, dann glich es einem Kampf unter zwei sturen Büffeln, die ihre Köpfe aneinander knallten, und keiner von beiden war bereit, auch nur einen winzigen Zentimeter an Boden abzugeben. Doch während er dann nur seine Wut in sich trug und das Feld räumte, platze es aus ihr heraus und hatte sie schon zu manch unüberlegten Handlungen getrieben, die sie später sofort bereute. Allerdings würde sie dieses wiederum niemals zugeben. „Es geht mir nicht um das Erz. Es geht mir um die Handelskasse“, antwortete sie und deutete mit der Hand auf das Gebäude an der Anlegestelle. „Die zahlen hier jeden in bar aus, der Erz abliefert. Demnach ist die Kasse auch recht gut gefüllt. Ich will keinen Verrechnungsscheck haben.“ „Verrechnungsscheck, wenn man die Kasse überfällt?“ grübelte Usopp laut daher. Doch dann fiel der Groschen noch im selben Moment. Wie vom Blitz getroffen durchfuhr es ihn und er gellte heraus: „Was?! Du willst ihn ausliefern und sein Kopfgeld kassieren?“ Und dann zu Zoro gewandt: „Das machst du auch noch mit?“ Usopp war sprachlos. Bei all seinen kreativen Lügengeschichten war ihm solch eine verrückte Idee noch nie gekommen. Kaum der Sprache wieder mächtig, sprudelten hunderte von Argumente aus ihm heraus, weshalb genau diese Idee zum Scheitern verurteilt sein könnte. Und auch Chopper hatte panisch aufgeschrien und sich an Zoros Arm geklammert. „Sag, dass das nicht wahr ist“, heulte er los. Bei dem Gedanken, nicht nur einen guten Nakama, sondern auch die Hauptstreitmacht ihrer Mannschaft zu verlieren, schockierte ihn sehr. „Ihre Schnapsidee...“, kam es jedoch nur knapp von ihm zurück. Kapitel 10: 10 - Plan B ----------------------- Die Gruppe beobachtete von ihrer Anhöhe aus eine recht lange Weile das Backsteingebäude, welches in den nächsten Stunden in den Mittelpunkt ihrer Aktivität rücken würde, und Tashigi verteilte die Rollen, die an sich relativ klar besetzt waren. Sie selbst war die Kopfgeldjägerin und würde die Verhandlung übernehmen, Chopper hatte die Umgebung im Auge zu behalten und Zoros Schwerter zu verwahren, Usopp sollte Tashigi begleiten und Kabuto bereit halten, und Zoro war das Opfer und hätte bei der Marine zu verharren, bis ihn seine Mitstreiter in einer wilden Aktion wieder abholten. Letzterer zweifelte das Talent seiner Nakama zwar nicht an, hatte aber berechtigte Bedenken, welche er jedoch lieber für sich behielt. Einwände seinerseits hätten bei einer leichtgläubigen Natur, wie das Rentier sie besaß, sofort dazu führen können, dass Chopper schnurstracks zum Schiff zurück galoppiert wäre. Der kurze Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Der Wind frischte nun wieder stärker auf als zuvor, trieb den Staub in den Himmel und verdunkelte ihn zusätzlich. Es bot sich an, den Standort ungesehen zu wechseln und sich näher bei dem Gebäude zu positionieren. Ein leer stehendes Holzhaus taugte als neue Operationsbasis. Dort angekommen nahm Tashigi einen der Stricke, knotete eine Schlaufe und begann den kleinen trockenen Klumpen an Pastellfarbe mit etwas Wasser aus einer Trinkflasche zu befeuchten. Dann schmierte sie die rote Pampe mit ihren Fingern einmal quer durch Zoros Haare, an seiner Schläfe entlang, über seinen Hals bis hinunter zu seinem Schlüsselbein. Die Farbe trocknete schnell und sah auf seiner Haut aus wie frisch verschorfte Wunden. Staub und Dreck aus der Wüste taten ihr übriges. Usopp lobte ihr Kunstwerk, und dass sie sich vielleicht einmal als Maskenbildnerin beim Theater bewerben könnte. Denn damals zu Luffys geplanter Hinrichtung in Loguetown hätten selbst sie als ehemalige Crewmitglieder Zoro mit seinen Kohle beschmierten, schwarzen Haaren zuerst nicht erkannt. Doch Chopper merkte mit seinem medizinisch geschulten Auge an, dass der Hanyô eher wie ein Unfallopfer aussähe, der vom Seezug überrollt worden war. Kampfspuren sähen anders aus. „Chopper, das ist doch egal. Aber wenn wir ihn ohne einen einzigen Kratzer abliefern, glaubt uns das dort keiner, dass wir ihn gefangen haben. So ganz blöde sind die da auch nicht...“, klärte sie das Rentier auf. „Das glaubt euch sowieso keiner“, zog Zoro sie auf und grinste schadenfroh. „Du wirst schon sehen. Los, Kopf dadurch!“ wehte es ihm bockig entgegen. Und noch ehe er sich versah, baumelte ein Henkersknoten um seinen Hals, den Tashigi so ungeschickt zuzog, dass es ihm für einen Augenblick schwarz vor Augen wurde. Doch in ihrer Linkshändigkeit war es ihr gar nicht aufgefallen, und so machte sie sich bereits mit dem unteren Strickende daran zu schaffen, seine Hände auf dem Rücken zu fesseln. Dann griff sie in das Seilstück zwischen Nacken und Hände und zog langsam ein wenig dran, bis er dem Druck auf seiner Kehle nachgeben musste und ein wenig in die Knie ging. Wie ein leicht gespannter Flitzbogen nach hinten gelehnt hatte er nun die perfekte Körperhöhe, dass sie ihre Wange an die seinige schmiegen konnte und flüsterte ihm zu: „Das du mir da keine Schande machst und selber abhaust. Kein Dämonen-Hokuspokus oder so was.“ Sie wandte sich zum Gehen, immer noch die Hand am Strick, dass er eine unbeholfene Halbdrehung machen musste, wollte er nicht eine unliebsame Begegnung mit dem Dreck des Bodens machen. Obgleich sie ihren knöchellangen, beigefarbenen Ledermantel trug, der sie vollständig umhüllte und von ihrem Gesicht nur ihre Augen freigab, konnte er ihre plötzlich aufkeimende Freude förmlich spüren. Vermutlich huschte eben gerade ein Lächeln über ihre Lippen, denn ihre Augen funkelten schamlos, als sie ihn so gefangen und augenscheinlich wehrlos hinter sich herzog. Sie fand Gefallen daran, mal für einen Moment die Oberhand über ihn zu haben. Wer wusste schon, was jetzt gerade noch so durch ihr kleines Köpfchen schoss. Solange sie nicht auf die Idee kam, ihn daheim auch so ans Bett zu fesseln, konnte man das mal für heute so stehen lassen. Einzig Usopps motzender Einwand an Tashigi, ihn nicht schon vorher umzubringen, bescherte ihm eine frische Portion Sauerstoff. Das Rentier in der Holzhütte zurücklassend, gingen sie zu dritt die wenigen Meter zum Backsteingebäude und öffneten die schwere Holztür. Sofort musterte Usopp aus den Augenwinkeln heraus das gesamte Innenleben des Hauses. Drei Soldaten saßen an einem Tisch und sahen, erstaunt über den späten Besuch, auf. An den Wänden reihte sich Aktenschrank neben Aktenschrank. Eine geöffnete Zimmertür hinter den Soldaten führte in einen Flur. Das Haus war einstöckig, dennoch schien am Ende des Flurs eine Treppe nach oben zu geben. Der Kanonier schätzte, dass es mit diesem Raum hier und dem Flur dort entlang noch vier, höchsten fünf weitere Räume im Erdgeschoss geben müsste. Das war übersichtlich und gut zu merken. Tashigi hingegen hatte keine Sekunde verschwendet, war an den Tisch herangetreten und schmiss Zoros Steckbrief in die Runde. Barsch forderte sie das Kopfgeld und blickte in überrumpelte Gesichter. In den letzten Jahren war es nicht mehr vorgekommen, dass hier ein Pirat abgeliefert wurde. Man fühlte sich überfordert und überlegte laut vor sich her, ob die insgesamt vier Mann, die hier stationiert waren, wirklich ausreichten, um einen einzigen Roronoa Zoro zu bewachen, oder ob das Anfordern von Verstärkung nicht sinnvoller wäre. Usopp konnte sich ein Lachen nur verkneifen, weil er sich auf die Lippen biss und sein Gesicht eh hinter einem Tuch verbarg. Und Zoro konnte nur genervt mit den Augen rollen. Immerhin hatte er die ganze Zeit regungslos und brav dort gestanden, wo Tashigi ihn abgestellt hatte. Man konnte sich wirklich nicht über ihn beschweren. Vielleicht sollte er mal gegen das Tischbein treten, damit Leben in die Bude kam? Am liebsten hätte Tashigi die drei Pfeifen vom Dienst gehörig gefaltet, doch sie musste Ruhe bewahren, sollte doch kein Verdacht geschöpft werden, dass hier Pirat und Kopfgeldjäger gemeinsame Sache machten und ein geldgieriges Team bildeten. Allerdings wurde dem Hanyô nun doch die ganze Sache zu langweilig und er machte das, was er gerade gedacht hatte: Ein kurzer Tritt und der Tisch rappelte. Der gewünschte Effekt trat ein: Sofort sprangen die drei Soldaten auf. Einer suchte das Auszahlungsformular, einer flitzte los zum Tresorraum und einer zog sein Gewehr, das er dem Gefangenen an die Schläfe hielt, weil er sich nicht traute, diesen, wie es die Kopfgeldjägerin getan hatte, an dem Strick vor sich her zu schieben. Sicherheitsabstand war sicher eine gute Sache. „Lass den Scheiß!“ formten sich Tashigis Lippen mahnend, als sie ihren Freund böse anblickte. Sie erkannte sofort, dass er etwas gefunden hatte, um seine schlechte Laune zu heben, indem er die Soldaten verschaukelte. Die unerwünschte Antwort zu ihr zurück war sein Grinsen. Es war schwer zusagen, ob Zoro nun den Flur voranschritt und der Soldat ihm mit dem Gewehr folgte. Oder ob der Soldat Zoro mit der Waffe am Kopf vor sich her schob. Usopp sah dem Gespann seufzend nach, wie es das Flurende erreichte und dann rechts abbog, und bewunderte die Sorglosigkeit seines Nakamas. Immerhin wäre so eine Kugel im Kopf keine lebensverlängernde Angelegenheit. Selbst ein Dr. Chopper würde da wohl an seine medizinischen Grenzen stoßen. Andererseits war Zoro häufig dermaßen pragmatisch veranlagt, dass Usopp oft an dessen Verstand zweifelte. Vielleicht war ja davon tatsächlich gar nicht so viel drin im Schädel, was man bei einem Kopfschuss reparieren müsste. Nein, der Gedanke war garstig und der Scharfschütze schob ihn grinsend beiseite. Zoros neues Zuhause auf Zeit war wenig einladend. Eine Gittertür öffnete sich nicht einladend in ein verstaubtes Zimmer ohne Fenster, aber mit schimmeliger Matratze. An der Zimmerdecke hatte eine ganze Kolonie an Spinnen ihre dicken Netze ausgebreitet. Mehr Freunde fand man hier zwar nicht, aber wären diese sicherlich treu und quatschten einen nicht mit unnützen Belanglosigkeiten zu. Er sank nahe der Gittertür an der Wand zu Boden und haderte dort der Dinge, die noch kommen würden. Als ob das Ganze nicht schon surreal genug wäre, knotete seine bewaffnete Begleitung den Strick um seinen Hals mit einem Seil an der Gittertür fest, damit er auch wirklich nicht fliehen könnte. Die Nerven des Soldaten würde es wohl ein wenig beruhigen, doch Zoro selbst kam sich vor wie ein Hund, der vom Herrchen vor dem Einkaufsladen an eine Hauswand gebunden wurde. Mach' schön Platz! Wie lange würde er hier sitzen müssen? Er kannte die Prozedur aus einer Zeit, als er sich selbst als Kopfgeldjäger über Wasser halten musste. Man bekam nicht unmittelbar das Geld ausgezahlt. Erst musste der Steckbrief samt eines aktuellen Bildes an das Marinehauptquartier übermittelt werden. Dort wurde entschieden, ob es sich auf beiden Bildern tatsächlich um ein und dieselbe Person drehte. Erst dann gab es bei einem positiven Bescheid eine Barauszahlung. Hatte die betroffene Marinestation nicht genug Geld in der Kasse, gab es einen Verrechnungsscheck, denn man irgendwo bei der nächstbesten Bank einlösen musste. Zusammengefasst konnte es von der Auslieferung bis zur Geldübergabe wenige Minuten, im schlimmsten Falle einige Tage dauern. Piraten zu jagen und abzuliefern war einfach, den Papierkram und den Amtsschimmel zu überstehen war schwierig. Er hatte den Gedanken nicht einmal zu Ende gedacht, da schob sich schon ein langer Arm durch das Gitter, ein Auslöser klickte und ein grellweißes Blitzlicht raubte ihm für lange Minuten das Augenlicht. Da war das Abgleichfoto. Er behielt die Augen geschlossen und überbrückte den ungewissen Zeitraum mit Schlaf. Der Soldat mit der Kamera in der Hand ging den kurzen Flur zurück. Zu ihm gesellte sich ein weiterer Soldat, welcher gerade die Treppe herunter kam. Dieser hatte Geräusche der Aufruhr gehört und wollte der Sache auf den Grund gehen. Die Schulterklappen seiner Jacke verrieten, dass es sich wohl um einen Leutnant handeln musste und er somit den Leiter der Gruppe darstellte. Er ließ sich die Sachlage schildern und schien im Gegensatz zu den anderen Dreien wenig Angst vor dem neuen Gast in der Zelle zu verspüren. Zurück in dem ersten Raum mit den Aktenschränken und dem Tisch angelangt, warteten dort immer noch eine Tashigi, welche gegen die aufsteigende Nervosität ankämpfte, und Usopp, dem es nicht viel besser ging. Die Schreibangelegenheiten zogen sich in die Länge wie Kaugummi. Ihre Augen verfolgten, wie eine Übertragungsteleschnecke Formular, Steckbrief und Abgleichfoto an das Hauptquartier scannten. Dann erhielten sie einen Durchschlag des Formulars. „Kommt mal morgen früh wieder. Die brauchen ihre Zeit im Hauptquartier“, sagte der Leutnant. Obwohl Tashigi bemüht war, mit niemanden der vier Marinesoldaten Blickkontakt zu haben, kreuzten sich die ihrigen Blicke nur für einen kurzen Wimpernschlag mit denen des Leutnants. Es durchfuhr sie schlagartig, als hätte sie ein Stromkabel angefasst, dass sie zur Salzsäule erstarrte. Nur für den Bruchteil der Sekunde blieb sie an den Augen des Offiziers hängen. Kreidebleich machte sie mit dem Zettel in der Hand auf dem Absatz kehrt und war froh, dass ihr Usopp unaufgefordert ebenso schnell folgte. Beide waren erleichtert, wieder draußen vor der Tür zu stehen. „Was war DAS denn?“ fragte der Kanonier scharf. „Was?“ wollte sie möglichst uninteressiert klingen, doch das Zittern in ihrer Stimme gewann die Oberhand. „Dass du aussiehst, wie ein gebleichtes Bettlaken und den Typen so angestarrt hast.“ „Der... Ich glaub, der hat mich erkannt. Damals von der Offiziersausbildung...“ „Na super!“ Usopp sah schon sämtliche Felle davonschwimmen, dass ihr Plan von diesem Zeitpunkt an tatsächlich noch aufgehen würde. Da hätte sie Zoro ja gleich mit durchtrennter Kehle abliefern können. Garantiert würde der Leutnant nun Verstärkung ordern und Zoro mir nichts dir nichts abknallen lassen. In ihrem Hals hingegen bildete sich ein großer Kloß und Tränen füllten ihre Augen. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Identität nicht aufgeflogen war und wollte sich selbst beruhigen, dass sich ihr Freund jederzeit auch selbst befreien könnte, wenn ihm danach beliebte. Auch ohne Schwerter. Hanyôs konnten das. Sie hatte nicht bedacht, dass sie hier weit weg von allen viel befahrenen Seerouten auf jemanden treffen könnte, der sie aus früheren Zeiten kannte. Mit diesem Stand der Dinge gesellten sie sich zum wartenden Rentier, welches knapp informiert wurde über das, was sich dort im Hauses abgespielt hatte. Bange Stunden der Angst folgten. Während seine Freunde draußen in dem Holzhaus hockten, der Dunkelheit, dem Staubwind und der Angst um ihn trotzten, war es für Zoro hingegen in seiner Zelle zwar windstiller, aber nicht minder staubig. Das Geräusch einer quietschenden Gittertür weckte ihn und er nieste sich den Dreck aus den Atemwegen. Im Schein einer Petroleumlampe trat ein noch für ihn unbekannter Soldat ein, musterte den Knoten in seinem Nacken und an seinen Handgelenken und zündete sich an die Wand gelehnt eine Zigarette an. Die nächsten Zigarettenzüge passierte nichts und Zoro rätselte, was dieser mitternächtliche Besuch hier sollte, da der Soldat so rein gar nichts tat, außer einem Gedanken nachzuhängen und ihn anzustarren. „Weißt du eigentlich, warum man einen Henkersknoten immer so knotet, dass man das Seileende genau sechsmal umschlägt?“, begann der Leutnant einen Monolog, tippte auf die Zigarette und die Asche fiel zu Boden. Er erwartete gar keine Antwort von seinem Häftling und fuhr unbeirrt fort. „Findige Menschen haben es einmal so herausgefunden, dass der Knoten dann wohl am Besten funktioniert, und es als Arbeitsanweisung in ein Lehrbuch geschrieben.“ In Zoros Kopf machte sich ein große „Hä?“ breit, konnte er doch nicht so recht dahinter kommen, was dieser Vortrag hier sollte. Einzig und allein, dass seine Seile scheuerten und sich in seine Haut gerieben hatte, um sich nun in seinen frischen Wunden mit dem Staub zu vermischen, war für ihn von Interesse. Denn es brannte am Hals und an den Handgelenken und würde sicherlich viel Wundwasser und Eiter mit sich bringen. Wenigstens hatte er es durch Scheuern des Seiles an den Gitterstäben geschafft, dass die Schlinge nicht mehr zu straff um seinem Hals lag. „Und weißt du, wo es so ein Lehrbuch gibt? So einen Knoten, wie deiner da. Der ist viel zu perfekt geflochten. Das flicht normalerweise nur jemand, der mal bei der Marine war.“ Wieder fiel Asche zu Boden, eine Tabakwolke füllte den Raum und benetzte die Spinnenweben an der Decke. Zoro schwante Übles. Daher wehte der Wind also. Kannte der Kerl vor ihm etwa Tashigi von früher? Nicht gut. Es hatte sich sicherlich schon auf den Blues herumgesprochen, dass sie in Verbindung mit der Strohhutbande stand. „Wie und wo haben die beiden Gestalten von vorhin dich eingesammelt? Unerklärlich …“, grinste der Offizier. „Das kleine Mädchen mit den großen, traurigen Kulleraugen. Wie alt ist sie heute? Lange habe ich nichts mehr von ihr gehört. Tashigi heißt sie, nicht wahr?“ Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Die brauchte er auch nicht. Er hatte das Spiel durchschaut. Für Zoro hingegen war die Begegnung noch nicht vorbei. Sie hallte in seinem Kopf nach und regte zum Nachdenken an. Da war etwas merkwürdig an diesem Leutnant. Der Typ war anders als ein normaler Mensch, doch ein Teufelsfruchtesser schien er auch nicht zu sein. Ein Gleichgesinnter? Konnte er sich nicht vorstellen. Und als sich das Bild des obszönen Grinsens im Gesicht des Offiziers in sein Gedächtnis schob, und wie dieser Typ Tashigis Name aussprach, bebte es in seinem Inneren. Was mochte wohl die Verbindung zwischen seiner Freundin und diesem dahergelaufenen Spinner sein? Pff, niemals würde er zugeben, dass er eifersüchtig wäre. Und schon gar nicht, dass er diesem Kerl genau deshalb einfach mal ebenso ein paar auf die Zwölf gegeben hätte. Vielleicht schlug's auch schon Dreizehn. Er schob seinen Kopf näher an das Gitter heran und spähte in die Richtung, in die der Leutnant samt Lampe gegangen war. Er war im wahrsten Sinne des Wortes in der Dunkelheit gefangen, doch ein schwacher Lichtschein deutete darauf hin, dass die Lampe sich im Aktenschrankzimmer befand. Vermutlich mit ihrem Träger zusammen. Vereinzelt konnte Zoro ein Rascheln von Blättern, das Quietschen von Schubladen und das Knarren eines Möbelstücks erlauschen. Über ihm musste ein Schlafraum sein, denn die dünne Decke über ihm war durchdrungen von Schnarchgeräuschen. Der Rest war Stille. Er wollte noch etwas weiter seinen Kopf durch das Gitter schieben, doch der Strick hinderte ihn daran und zog sich unweigerlich wieder enger zu. Dieser Strick! Wie sehr er das Stück Seil verfluchte. Und überhaupt war die ganze Lage zum Verfluchen unbequem. Seine drei Mitstreiter waren ausgeschlossen kampferprobt und den brenzligsten Situationen gewachsen, aber es war das eingetreten, was er schon zu Beginn befürchtet hatte: Diese Nummer war für die Drei wohl doch ein bisschen zu groß. Viele Banden hatten sich darauf spezialisiert, regelmäßig Kopfgelder zu kassieren und Komplizen von Galgen herunterzuschießen. Seine Drei aber waren das nicht. Zumal diese Banden auch nie den Fehler begehen und mit jemanden kooperieren würden, der ein derart hohes Kopfgeld besaß. Kleine Kopfgelder wurden umgehend ausgezahlt und auch umgehend in den Akten vergessen. Da fiel es nicht auf, wenn so eine Bande von Ort zu Ort zog und die Nummer tagtäglich von Neuem durchzog. Er atmete hörbar tief durch. Man könnte eben überall auf der Welt sein. Auf der Sunny beispielsweise in einem bequemen Bett und schlafend. Doch wo kauerte er? Mitten in einem verdreckten Abstellraum, der sich Zelle nannte, mit brennenden Wunden und einem Strick als Hundeleine um den Hals. Zoro wurde langsam übellaunig, um nicht gleich zu sagen: pissig. Es war Zeit zu gehen. Hochkonzentriert versank er in eine andere Welt. Ein warmes Zwielicht umschlang ihn und lud ihn ein, unbeschwert und leicht diesen kalten dreckigen Ort zu verlassen. Es war ein Gefühl, als wäre er eben noch auf einer spiegelglatten Wasseroberfläche getrieben und nun sackte er langsam ein und ging unter. Es war ein angenehmes Gefühl. Frei und schwerelos. Lange hatte er wieder und wieder trainiert, um seine dämonischen Kräfte zu beherrschen und nicht seine Erinnerungen zu vergessen. Er hatte den Schlüssel zum Zwielicht gefunden. Es war nur ein einziger Wunsch in seinem Innersten, der den Schlüssel umdrehte und das Zwielicht öffnete. Er war einst mal zufällig darauf gestoßen, welchen Gedanken er brauchte und seitdem klappte es. Auch wenn er wusste, noch lange nicht die Perfektion erreicht zu haben, so war das, was er nun beherrschte schon mehr als respektabel. Das Seil, das ihn am Gitter festhielt, verlor in Zoros Parallelwelt seine Materie. Ebenso das Gitter, die Zelle, das Backsteinhaus. Eine komplette reale Welt trennte sich in dieser Sekunde von seiner Welt im Zwielicht. Wie im Zeitlupentempo erhob er sich, ließ das Seil hinter sich, durchdrang das Gitter und schritt für alle weltlichen Wesen unsichtbar bedächtig den kurzen Flur zum Aktenschrankraum entlang. Dort angekommen, verharrte er in der Tür. Der Leutnant saß mit dem Rücken zu ihm und schrieb Berichte. Plötzlich hielt er inne, blickte auf und sprach mit ruhiger Stimme: „Du verlässt uns schon? Wirst du nicht abgeholt?“ Der Typ konnte ihn sehen? Oder war da ein Trick? Immerhin hatte er sich ihm von hinten genähert und keinerlei Geräusche verursacht. Es gab nun keinen Grund mehr, sich zu verstecken, also trat Zoro aus dem Zwielicht heraus und kehrte in die reale Welt zurück. Er lehnte sich an die Zimmertür und wartete ab, was sich hier nun ergeben würde. „Nein, die Azubis brauchen noch etwas Übung“, beantwortete er trocken die Frage in Bezug auf seine Befreiung. „Na denn“, kam es ebenso trocken zurück. Eine Hand erhob sich und wedelte mit einem Zettel. Es war das Antworttelegramm aus dem Marinehauptquartier. Die Auszahlung war abgelehnt, obgleich der Abgleich positiv bescheinigt worden war. Dort im Hauptquartier misstraute man der Gefangennahme. „Das wirst du wohl schon geahnt haben, oder? Allerdings wirst du trotzdem verstehen müssen, dass ich dich nicht einfach gehen lassen kann!“, fuhr der Leutnant bedächtig fort. Zoro nickte zustimmend. Die Sachlage schien sich leicht zu verkomplizieren. Kapitel 11: 11 - Spinnweben --------------------------- In einem kleinen Holzhaus mit eingetretener Haustür, kaputten Fensterscheiben und zugigen Zimmern wetteiferte die frostige Nachttemperatur mit der Stimmung der drei Wartenden um den Kälterekord. Es war das Rentier, dem das Wetter am wenigsten ausmachte, hatte es sich doch zu einem riesigen Wollknäuel aufgebläht und schlief friedlich vor sich her. Der Scharfschütze versuchte es diesem gleich zu tun, doch er zitterte wie Espenlaub und wusste gar nicht, wie er am besten zu sitzen hätte, dass er vor Schlottern nicht umfiel. Also sprang er entnervt auf die Füße, schlug die Arme eins ums andere Mal um seinen Körper und hüpfte frierend von einem Bein auf das andere. Sich umzusehen war zwecklos, denn sie hatten auf Feuer zum Wärmen verzichtet, da der Lichtschein ihr Versteck verraten hätte. Selbst eine kleine Öllampe hatten sie vermieden zu entflammen. Usopp bewegte sich hölzern zum Fenster und starrte durch das zerbrochene Glas hinaus. Die fahle Mondsichel hatte Mitleid und teilte einen ihrer Strahlen mit dem Piraten. Die dunklen Umrisse des Backsteinhauses hoben sich nur minimal vom pechschwarzen Himmel ab. Dahinter rauschte sacht das Meer an den Strand, obwohl die Wasseroberfläche eher ölig schien und wie zähflüssiger Sirup vor ihm lag. Usopp gab dem dringenden Druck seiner Blase nach, trat still vor die Hütte und ein Pinkelgeräusch mischte sich mit dem des Wellenrauschens. Als er wieder zurückkehrte, erreichte ihn ein Flüstern: „Usopp?“ „Du bist noch wach?“, fragte er erstaunt, denn er hätte meinen können, sie hätte geschlafen, als er vorhin die Hütte verließ. „Wenn ich einschlafe, erfriere ich garantiert“, antwortete sie leise. Er gesellte sich an ihre Seite. Wie aufgeplusterte Spatzen an einem Wintertag saßen sie nun dort dicht nebeneinander und klapperten in ungleichem Rhythmus vor sich her. „Meinst du, er hat mir verziehen?“ flüsterte sie weiter. „Wer? Zoro? Wegen damals? Wird er wohl.“ Ihm war nicht wirklich nach einem Gespräch zu Mute, denn die Gehirnwindungen froren langsam ein. Jedoch schien ihr das Thema sehr wichtig zu sein, wenn sie ausgerechnet hier an diesem ungemütlichen Platz damit herausplatzte. Also fragte er nach: „Zweifelst du daran?“ „Ich weiß nicht...“ Sie zog die Schultern noch höher und versenkte ihren Kopf noch tiefer hinter ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen, als wollte sie sich darin verlieren. Es waren so viele Dinge, die ihr durch den Kopf purzelten. Gerne hätte sie sich ausgesprochen, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Usopp hatte sich nach all den Jahren und unzähligen Abenteuern als guter Zuhörer gefunden, der auch mal zur Abwechselung tatsächlich etwas für sich behalten konnte. Allerdings waren nun wohl eben seine Gehörgänge gänzlich vereist. Also behielt sie ihre Probleme vorerst lieber für sich, bis sich später zurück auf der Sunny unten in Usopps Bastelecke eine bessere Gelegenheit zum Plaudern bot. Schlurfende Schritte zogen an dem Haus vorüber, machten keine Anstalten, sich zu verheimlichen und versetzten beide in höchste Alarmbereitschaft. Tashigi hatte umgehend ihre Hand am Schwert und Usopp an Kabuto. Eine einsame Gestalt in Bergarbeiterbekleidung, kohlschwarz vom Staub der düsteren Erdtiefe und entschlossenen Schrittes zog über die vom Wind und Dreck geplagte Straße an den Häusern vorüber und verschwand in einem von diesen. Ein Licht flackerte hinter einfachen Gardinen auf. Kurze Zeit später wiederholte sich dieser Vorgang und ein weiterer Mensch zog vorüber. Und wieder einer. Und noch einer. Die Schicht untertage hatte geendet und Minenarbeiter krochen aus den Löchern der Unterwelt, um in ihre Wohnlöcher zu wechseln. Ein Licht nach dem anderen entflammte sich und kurze Zeit später erloschen sie wieder nacheinander. Die Nacht hatte nun endgültig ihre Mitte erreicht. Alles schlief. „Wir sollten jetzt gehen“, überlegte sie laut und klang dabei sehr entschlossen. „Jetzt plötzlich doch? Ich dachte, wir warten bis zum Morgengrauen?“, fragte er verwirrt. „Warum kamst du überhaupt auf diese Idee? Ich meine, die Kasse auszuplündern wäre doch viel einfacher gewesen. Oder spielst du etwa mit dem Gedanken, doch wieder irgendwie bei der Marine unterzukommen?“ Er musste da unbedingt nachhaken. Mit gesenktem Haupt erhob sie sich, starrte durch das Fenster zum Haus und fühlte sich ertappt. Nein, sie kannten sich zu gut und zu lange, dass ihm irgendetwas hätte entgehen können. Außerdem hatte sie Franky und ihn schon einige Male als Kummerkasten missbraucht, obgleich sie es nie darauf angelegt hatte. Usopp hatte zu viel Hintergrundwissen, als dass sie nun um eine Antwort herumkommen würde. „Ja, das hier ist alles irgendwie total bescheuert, oder? Können wir das später vielleicht …?“ „Von mir aus“, seufzte er und stellte sich innerlich darauf ein, dass es eine Gesprächslänge hätte, bei der es nicht bei einer Tasse voll Klärungskaffee, sondern mindestens wieder bei einer ganzen Kaffeekanne enden würde. Er kramte in seiner braunen Einkaufstasche der tausend Möglichkeiten herum und holte eine Pflanzenkapsel ähnlich einer Kugelbombe ans Mondlicht. Dann griff er unsanft an Choppers Geweih, schüttelte ihn an und zerstörte dessen traumhaften Schlaf. „He, was soll das? Is' was passiert?“, protestierte das Rentier angesäuert. Doch Usopp verschwendete keine Zeit mit Erklärungen und forderte ihn auf, seine Nase in den Wind zu halten, um den gefangenen Nakama aufzuspüren, in welchem Teil des Gebäudes er sich wohl befinden möge. Obgleich noch etwas vom Schlafe benebelt, war es für das Rentier eine seiner leichtesten Übungen. Die Verwunderung stand allen Dreien ins Gesicht geschrieben, als Chopper dann meinte, Zoro säße nicht dort, wo die Zelle zu vermuten wäre, sondern befände sich in der Nähe der Eingangstür. „MIDORI BOSHI! PHYLLOSTACHYS!“, hallte es durch die stille Nacht. Ein Geschoss durchschnitt pfeilschnell die kalte Luft, traf das Backsteingebäude und Bambusrhizome sprossen empor. Steine krachten. Teile der Außenwände brachen lautstark zusammen. Ein übermotiviertes Dreiergespann stürmte kopflos auf ihr Ziel zu. Man lag nur wenige Minuten in der Vergangenheit, also Zoro auf den Leutnant getroffen war, als dass man dort innerhalb des Gebäudes bereits von einem bevorstehenden Angriff etwas erahnt haben könnte. Hätte Zoro von der abrupten Planänderung seiner Freunde gewusst, er hätte sich wohl seiner Freundin zuliebe zuerst um den Sack voller Berri gekümmert, der mittig auf dem Holztisch platziert war. Schon fertig abgezählt und gebündelt in kleinen Scheinen wartete der heißbegehrte Schatz auf seine Abholung, welche durch die Entscheidung des Hauptquartiers geplatzt war. Stattdessen hatte der Leutnant sein Interesse geweckt. Doch musste er nicht lange darüber nachdenken, was es mit diesem Mann auf sich hatte. Die aktive Erklärung folgte umgehend, denn kaum hatte der Soldat seinem ungeplanten Gast zu verstehen gegeben, dass er seine Gastfreundschaft gern ausweitete, so hatte dieser sogar auf dem Fuße seine Gestalt gewechselt. Lange, schwarze Spinnenbeine entwuchsen dem schlanken, muskulösen Körper. Kleiderstoff zerriss mit einem hellen Laut. Dort, wo zuvor das Gesäß des Soldaten in der Hose gesteckt hatte, schob sich nun ein überdimensionaler Spinnenleib unter der Offiziersjacke hervor. Von dessen Ende tropfte es schmierig weiß hernieder und hätte man es nicht besser gewusst, dass Spinnen am Hinterleib ihre Fäden produzierten, so hätte man es wohl mit nicht jugendfreiem Pudding verwechselt. Der Vorderteil unterwarf sich keiner Veränderung, sondern blieb von Kopf bis Brustbein menschlich. Kurzum, ein ausgewachsener Hanyô der Gattung Tsuchigumo nahm nun fast den kompletten Raum ein und drückte mit seinen ungelenken Beinen die Aktenschränke in eine bedrohlich kippende Schieflage. Einzig Zoros Stehplatz in der Tür gebot dem Piraten eine Ausweichmöglichkeit. Zoro wusste nicht so recht, ob er seinen Gegner nun ernst nehmen oder nur mitleidig ansehen sollte. Hanyôs, so hatte er sich dann doch einmal kundig gemacht, gab es in der Tat so einige auf dem Planeten. Je nachdem, was sich da so an magischem und nicht magischem Geschöpf einst mal gekreuzt hatte, kamen dementsprechend die Nachkommen zu Welt, die damit leben mussten, was ihre Eltern im Rausch der Liebe verbrochen hatten. Da konnte Zoro schon froh darüber sein, dass seine Eltern beide menschlicher Gestalt waren und er nicht zu so einer unansehnlichen Mischung geworden war, wie das, was sich ihm da nun gegenüber stellte. Ein Gestaltenwandler zu sein, schien ihm in seinen Augen eher hinderlich, wenn man sich nur zum Teil verwandeln konnte. Mittlerweile konnte er sogar Vorteile ausmachen, ein Kali-Kind zu sein, denn zuvor hatte er diese Eigenschaft als Fluch angesehen. Eine neue Erkenntnis in Bezug auf Seinesgleichen hatte er aber aus dieser Begegnung jedoch schon gewinnen können. Anscheinend bewahrheitete es sich, dass sich Geschöpfe der Magie untereinander in den häufigsten Fällen an irgendwelchen Merkmalen erkennen konnten und so hatte der Leutnant unverzüglich herausgefunden, dass der Pirat dort in seiner Zelle weder Mensch noch Teufelsfruchtbesitzer war. Für Zoro stand fest, dass er hier noch einiges an Autodidaktik aufbringen musste, um ebenfalls genauer Wesen zu erkennen, die ihm in puncto Mysterium ähnlich waren. „Da will wohl jemand seine langen Gräten gestutzt bekommen“, dachte Zoro vordergründig bei sich selbst und nahm die Herausforderung zu diesem Kampf grinsend an. Was könnte er nun tun? Seine Schwerter holen und das Vieh klein säbeln? Oder die Spinne mit ins Zwielicht ziehen und einfach dort aussetzen, bis der Hungertod sie ereilen würde? Letzteres hatte nichts mit einem vernünftigen Kampf zu tun. Also verwarf er diese Option sofort wieder. „Bin gleich wieder da“, teilte er unbeteiligt dem Achtbeiner mit, grabbelte nach dem Geldsack, damit es keinen Ärger mit Tashigi gab, und wandte sich zum Gehen. Erbost von der überheblichen und unverschämten Arroganz des Piraten, den Kampfplatz mir nichts dir nicht zu verlassen, drehte sich die Spinne um, hieb mit einem Bein in Zoros Richtung und zielte direkt mit einem langen Spinnenfaden auf ihn. Nur knapp konnte dieser seinen Kopf einziehen, um nicht gleich wie ein Weihnachtspaket verschnürt zu werden. Tashigis Strick um seinen Hals hatte ihm schon gereicht. Da waren klebrige Fäden nun mehr als überflüssig. Es war nur eine Sekunde später, dass sich zu den langen schwarzen Beinen ebenso lange grüne Bambustriebe gesellten. Sie schossen aus dem Boden, aus den Wänden und drangen durch die Fenster. Scheiben klirrten, die Tür barst in unzählige Teile. Im nächsten Moment krachte die Hauswand ein und gaben den Blick in die kalte Nachtfinsternis frei. Zu seinem Erstaunen erblickte er dort draußen schemenhaft die Umrisse dreier wohlbekannter Freunde, die gerade auf dem Wege waren, unbedacht in ihr Verderben zu rennen. Wenigstens hatte deren Angriff auch etwas Gutes. Zum einen musste er sie nicht unnötig lange suchen, zum anderen galoppierten seine Schwerter auf dem Rentierrücken schnurstracks auf ihn zu. Nur zwei, drei Sätze von ihm waren von Nöten, Chopper zu erreichen, die Schwerter zu greifen und sich ebenso schnell in Angriffsposition zwischen seine verdutzten Freunde und den Tsuchigumo zu platzieren. Den Geldsack warf er Tashigi in die Arme, die sich hinter ihrem Kragen versteckte, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Der Kanonier und der Arzt schrien entsetzt auf bei dem Anblick der Menschenspinne, welche nun durch das Loch gekrabbelt kam. Ihre Beine glänzten im wenigen Mondlicht unnatürlich metallfarben. Der Körper dagegen war schwarz behaart und fiel in der Dunkelheit nicht sonderlich auf. Doch mit seinen Spinnweben war der Leutnant schnell zugange. Scharf wie Rasierklingen und zielgenau wie Speere flogen der Piratengruppe die Spinnfäden um die Ohren, dass ihnen beinahe Hören und Sehen verging. Und dort, wo sie auftrafen, hinterließen sie einen Detonationskrater und klebrig-schleimige Masse, die nichts mehr freigab, was sich auch immer in ihr verfing. Eile war von Nöten oder das Umfeld wäre alsbald eine einzige Schleimwüste und ein Entkommen extrem erschwert. „Santôryû Tatsu Maki“, und das Spinnenungetüm wurde erst von den Füßen gerissen und dann von ihnen getrennt. Innerlich wimmernd beklagte der Soldat den Verlust seiner Gliedmaßen und verzog sich ganz spinnentypisch sofort wieder in sein Hausloch zurück. Zoro schnaubte verächtlich über so wenig Kampfgeist. Unter einer Herausforderung definierte er etwas anderes. Vielleicht sollte man dem Tier den Gnadenstoß geben. Er wollte schon der Spinne folgen, doch eine Hand an seinem Oberarm hielt ihn auf. „Lass den ziehen. Der isses nich` wert...“, sagte sie bittend. Dabei sah sie ihn mit ihren tiefen traurigen Augen an. Er hasst es, wenn sie ihn so anschaute, denn dann konnte er ihr kaum einen Wunsch abschlagen und sie wusste genau um diese Fähigkeit. Widerwillig steckte er seine Schwerter zurück in die Saya. Böse Gedanken huschten durch seinen Kopf, die es besser zu bändigen galt. Die beiden kannten sich aus einem früheren Leben. Und sie wollte ihn nun schonen. Hatten die mal was? Böse Gedanken, die eine brodelnde Eifersucht schürten und garantiert total unbegründet war. Grummelig starrte er sie kurz an und verlor sich wieder in diesen Kulleraugen. Lass das! Doch sie ließ es nicht. Das tat sie nie, bis sie ihren Willen bekam. Die Vierergruppe machte sich auf den langen, staubigen Rückweg durch eine pechschwarze Nacht. Ein feiner Streifen Dämmerung am Horizont kündigte den neuen Tag an, als sie allesamt durchgefroren bis auf die Knochen in der Ferne die Sunny als Ziel ihres Fußmarsches ausmachen konnten. Müde, kaputt und dreckig trennten sich, an Bord angekommen, ihre Wege. Usopp, flink wie er war, stratzte sofort zur Dusche, denn sein Argument, das meiste heiße Wasser als Erster aus dem Boiler ziehen zu können, klang absolut vernünftig. Das Rentier folgte ihm meckernd, der Kanonier sollte es ja nicht wagen, den ganzen Boiler leerlaufen zu lassen. Zoro und Tashigi verzogen sich samt Geldsack hingegen hinauf ins Krähennest. Bis das Bad wieder frei wäre, würde es seine Zeit dauern. „Sie schläft noch“, teilte er mit, als er die Luke hochschob und seine schlummernde Tochter auf ihrem Nachtlager erblickte. Beide schlichen sich empor und suchten sich einen Platz auf der anderen Seite des kleinen Krähennestes. Sie öffnete den Geldsack und starrte mit großen Augen hinein. „Weißt du, was ich immer schon mal machen wollte?“ sagte sie freudig lächelnd. „Nee, aber ich werde es sicher gleich erfahren“, gab er trocken an. Sein Bedarf an neuen Ideen war fürs Erste befriedigt. Mit beiden Händen ergriff sie die Scheine und warf sie hoch in die Luft. Mit ausgestreckten Armen empfing sie einen Geldscheinregen von 320 Millionen Berri, als wäre sie ein kleines Kind, das Schneeflocken fing. Er blickte sie dabei an. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Kapitel 12: 12 - Alte Pfade --------------------------- Aus weiter Ferne näherte sich ein Klang. Er übersprang den Abgrund zwischen Realität und Phantasie, durchdrang dabei eine unsichtbare Nebelwand und kam schnell näher und näher an seine Ohren. Er formte sich zu einer bekannten Stimme und nahm einen fragenden Ton an. Es waren die Worte seiner Ziehmutter, die ihn anrief und ihn abrupt aus seinem Tagtraum holte. Urplötzlich entschwand eine eiskalte, finstere Wüsteninsel mitsamt eines Kopfgeldabenteuers in vergangene Zeiten. Sofort befand er sich wieder mit vollem Geiste hier in seinem alten Zimmer im Hause seiner Zieheltern in Shimotsuki. Draußen herrschte ein herrlicher Sommertag und ließ seine Erinnerungen noch surrealer erscheinen. Seine Ziehmutter lachte, als sie ihn so beim Tagträumen ertappt hatte und räumte die Truhe mit dem wertvollen Schatz wieder zurück an ihren Platz im Wandschrank. Natürlich hatte er lange mit Tashigi darüber nachgedacht, was man mit diesem Geld so alles anstellen könnte. Verprassen, einteilen, sparen? Letztendlich kamen sie auf den besten gemeinsamen Nenner, das Geld für unvorhergesehene Dinge zu verwahren. Man könne nie abschätzen, was noch alles passieren würde. Immerhin gab es da eine Tochter, welche dazumal noch einige Jahre bis zur Volljährigkeit brauchte. Und darum hatte man sich zu kümmern. Auch musste wohl überlegt sein, was denn wäre, falls es nicht so glatt laufen würde, wie man es sich vom Leben erhoffte. Es war beispielsweise Smoker zu verdanken, dass Tashigi und Taiyoko in Loguetown vollkommen unbehelligt ihren Alltag bestreiten konnten und die Marine somit beide weder gefangen, noch getötet hatte. Hausarrest betitelte er offiziell diese Maßnahme. Doch wie groß der Umkreis dieses „Hauses“ war, lag allein an der Definition des Qualmers und dehnte sich schlussendlich über den halben East Blue aus. Nun war Tashigi zur Marine zurückgekehrt. Obgleich Zoro ihr Vorhaben unterstützt hatte, war es ein ungünstiger Zeitpunkt. Die Weltregierung befand sich im Kriegszustand. Überall auf der Welt tobten Schlachten. Ein Ende war nicht abzuschätzen. Wer könnte vorhersehen, ob sie nicht, wie viele andere, bald zur Frontlinie abkommandiert werden würde? Aber auch bei ihm lag ein gewisses Berufsrisiko auf der Hand, von der Marine oder Kopfgeldjägern gefasst zu werden. Auch der eine oder andere Titelanwärter hatte ihn bereits schon herausgefordert. Wie lange würde er seinen Titel noch verteidigen können? Wenn er so über die Vielzahl seiner Verletzungen blickte, gab es da doch tatsächlich so einige, die sich nicht mehr mit einem Koma ähnlichen Dauerschlaf regulieren ließen. Besonders seine linke Schulter machte ihm zu schaffen. Es begann schleichend, als die Strohhutbande auf ihren Reisestationen Skypiea besucht hatte, dass in diesem Gelenk ein stechender Schmerz zu spüren war. Und von Abenteuer zu Abenteuer wurden es mehr Schmerzen. Oder da war sein Fuß, den er sich einmal im Kampf gebrochen hatte, schief im Knochen zusammengewachsen war und nun Arthrose mit allen Nebenwirkungen verursachte. Doch sein innerer Schweinehund und Stolz verboten ihm, sich von Chopper helfen zu lassen. Und auch, als sich mal vor Jahren die Strohhut-Wege mit den Wegen der Heart Piraten kreuzten, konnte Law aus rein fachlicher Sicht nur ungläubig den Kopf schütteln, dass ein Patient lieber die Schmerztabletten fraß, wie er auch Sake soff, als sich stattdessen mal lieber die Gelenke richten zu lassen. „Ganz schöner Verschleiß“, hatte er zu Zoro nur im Vorbeigehen gespottet, denn ein Chirurg erkannte schon am Gang eines Menschen zehn Kilometer gegen die Sonne, ob die Knochen richtig saßen oder nicht. Zoro tat so, als läge der Arzt komplett falsch und ignorierte den Spruch. Viele Seeleute, ob nun Soldat oder Pirat, kehrten oft nie wieder heim. Irgendwann wandte sich immer einmal das Blatt gegen sie. Also blieben Tashigi und er dabei, dass Taiyoko nach Shimotsuki gehören würde, sollte einer von ihnen beiden nicht mehr sein, und dafür hätte sie später auch ein gutes finanzielles Startpolster. Auch wenn das natürlich niemals ein angemessener Elternersatz wäre. Mit dem Schließen der Wandschranktür verflog auch dieser Gedanke. Er verließ mit seiner Ziehmutter wieder das Zimmer und beide zog es zurück auf die Veranda. Nun zum Nachmittag war die Hitze stehend geworden. Kein Lüftchen regte sich. Die Schwüle drückte nicht nur alle Aktivitäten danieder, sondern auch die innere Energie. Man setze sich müde nieder, hörte den zwitschernden Vögeln zu, welche aus unerfindlichen Gründen vollkommen temperaturunabhängig agierten, und genoss die Ruhe eines Sommers. Sie fragte ihn, wie lange er bleiben würde und war betrübt über seine Antwort, dass die Strohhutbande wohl nicht lange hier verweilen würde. Wenigstens könne er bis zum nächsten Besuch besser auf sich aufpassen, meinte sie zu ihm. So, wie er nun aussah, hatte sie ihn damals freilich nicht ziehen lassen. Damit spielte sie nicht nur allein auf seine unzählige Narben an, sondern besonders auf sein linkes Auge, womit sie sich nicht so recht anfreunden konnte. Er lachte und versprach es grinsend, womit ihr klar war, dass es mit diesem Versprechen nicht weit her war. Dazu kannte sie ihn zu lange und zu gut. Die Frage nach der Weiterreise war für ihn ein gutes Stichwort gewesen. Die Neugier seines Kapitäns würde diesen hier sicherlich bald aufkreuzen lassen. Da wollte er vorher noch einen Abstecher zum schwarzen Berg machen, jenen Ort, den der rote Schmetterling von ihm zu besuchen gewünscht hatte. Nach einem kurzen Abschied bei seinen Zieheltern und der Versicherung, vor dem Ablegen der Sunny sicherlich noch einmal hierher zurückzukehren, machte er sich auf den Weg. Der Pfad begann bereits hinter dem Anwesen seiner Zieheltern und gehörte zu den wenigen Pfaden, die ausgeschildert waren, da dessen Reiseziel in früheren Zeiten von Pilgern aus allen Winkeln gerne besucht wurde. Zoro hatte sich selbst nie viel aus diesem Ziel gemacht, war er doch absolut ungläubig. Zuerst schlängelte sich der Fußweg durch eine Wiese mit mannshohen Schilfgräsern. Man konnte kaum über die oberen Blattspitzen sehen und so verlor man schnell die Orientierung, wenn man rechts oder links des Weges abwich. Er eilte aus diesen Gräsern hinaus. Die Sonne brannte gnadenlos hernieder und zwischen den Halmen regte sich kein Luftzug. Die stickige Luft drückte auf den Brustkorb und erschwerte das Füllen der Lungen. Die Feuchtigkeit klebte die Kleidung an den Körper, als wären es nasse Gipsbinden. Doch die Route ging schnell dazu über, an einen Bach zu gelangen, der fröhlich daher plätscherte und die Schilf durchzogene Wiese vom Waldrand abgrenzte. Schnell über den Bach hinweg, war er der Sonne entkommen. Angenehme Kühle empfing ihn zwischen den Bäumen und gab ihm die Möglichkeit, kräftig durchzuatmen. Er kannte diesen Bach, dem er folgen musste, um die fünf Waldseen zu umrunden. Sie lagen wie Perlen auf der Schnur gefädelt hintereinander zwischen den Buchen und führten seinen Wanderer immer tiefer in den lichten Wald hinein. Ihr Wasser speisten sich all diese fünf Tümpel aus ein- und derselben Quelle, welche viel weiter oben auf dem Berg lag und als majestätischer Wasserfall über runde, glatte Felsen in die Tiefe stürzte. Ebenso waghalsig hatten sie sich hier als Kinder hinab gestürzt. Dass dabei noch nie jemand zu Schaden kam, war mehr als eine glückliche Fügung. Eben im Moment jedoch war dieser Ort nicht von Wasserratten aufgesucht worden, denn es herrschte eine ausgeglichene Ruhe. Man sagte diesen Seen jedem für sich ein besonderes Geheimnis nach und viele Legenden aus dem Dorfe sollten sich hier abgespielt haben. Mysterien hatte er in all den Jahren nie feststellen können, kannte er diese Teiche doch bei Tag und Nacht. Allerdings hatte jeder Weiher für sich eine individuelle Schönheit, wenn man ihn zur rechte Zeit besuchte. Da war der kleinste der Seen, der bei Nacht den kompletten Vollmond in sich spiegeln konnte, als würde der Mond dort unten auf dem Grund liegen. Dann schien seine spiegelglatte Wasseroberfläche ein einziger silberner Glanz zu sein. Fuhr man mit seiner Hand durch das Wasser, erinnerte es an flüssiges Quecksilber. Alte Leute aus dem Dorfe redeten dann vom Einhornblut, welches zur Vollmondnacht in einem silbernen Kelch geschöpft werden und von empfangsfreudigen Frauen getrunken werden müsste. Die Dorfpopulation Shimotsukis hatte es nachweislich nicht in die Höhe schnellen lassen. Es gab den zweitgrößten der fünf Seen, der nachts glimmen und glitzern konnte, wenn der Kristalllotus blühte. Es gab nur wenige Tage im Jahr, immer nur zur Sommersonnenwende, dass er das tat. Viele wussten gar nicht um diese Blütenpracht, doch er selbst war schon so oft durch seine Heimatgefilde geirrt, dass man zwangsläufig auch einmal an solchen Naturereignissen vorbei gekommen war. Kristalllotus. Den letzten, den er hatte blühen sehen, war auf der Redline gewesen, als er zusammen mit Tashigi und Chopper auf der Geisterfähre über den großen See setzte, um dann im Alptraum einer Geistervilla voller Erinnerungen zu hängen. Dort tauchte das erste Mal der rote Schmetterling auf. Und als würde dieser Alptraum eine Fortsetzung haben, fühlte er sich nun innerlich genötigt, diesem Flattermann ein allerletztes Mal zu folgen. Auf dass es nun endlich ein Ende dieses Rätsels geben würde. Er musste auf dem richtigen Weg sein, denn der Waldweg wurde regelmäßig flankiert von Dôsojins. Jene Steine, die Pilger zu einem Schrein führten und sich durch ihr Abbild mit dem beschäftigten, was im Schrein verehrt wurde. Doch diese Steine waren alt und verwittert, dass man den eingemeißelten Schmetterling eher erraten, denn erkennen konnte. Kein Wunder, dass er die Steine früher nie wahrgenommen hatte. Nun wurde der Untergrund an den Ausläufern der Weiher sumpfig. Die Luft wurde wieder stickiger. Undurchdringlich hoher Schilf zerteilte sich dort, wo einst ein Knüppeldamm als Schneise durch ihn gezimmert worden war. Auf diesem ging es fortan weiter, bis er die Teiche umrundet hatte. Nun kehrte das gewohnte landschaftliche Bild von Buchen und weichem Waldboden zurück. Es ging sachte bergauf, dass man gar nicht sonderlich merkte, wie hoch man schon über dem Tal war, welches sein Heimatdorf beherbergte. So ging es Stunde um Stunde bergauf, bergab, bis er den Berg mit der Wasserfallquelle passiert hatte. Ein seichtes Tal schloss sich an. Die Buchen verdrängten sich allmählich durch hohe Farne und vereinzelte, schmale Zedern. Das Licht nahm ab. Es wurde schattiger und kühler. Der Vogelgesang entwich den Lüften, in denen etwas auf das Gemüt drückendes lag. Plötzlich versperrte eine hohe Klippenwand das Weiterkommen. Allein eine in Stein gemeißelte Treppe konnte sie überwindbar machen und erhob den Wegabschnitt vom Mischwald am Bergfuß auf eine höhere Ebene, wo der Wald sofort sein Gesicht änderte. Eine neue Welt wartete hier oben auf seinen Besucher. Düstere, haushohe Zedern empfingen ihn hier oben und waren der Hauptgrund für die Namensgebung dieses Berges. Mächtig ragten sie empor und ließen den Himmel zwischen ihren Wipfeln nur erahnen. Lediglich der freundliche Duft der Borke passte nicht so recht in dieses Szenario. Allein der auf Wanderer wirkende Eindruck dieses Waldes voller Dunkelheit und Traurigkeit hatte den Berg zum „Schwarzen Berg“ gemacht. Doch das Schwarz im Namen unterstrich noch eine andere Tatsache. Der Berg war so eintönig langweilig in seiner Flora, dass man unmittelbar orientierungslos umherirrte, sollte man vom Wege abkommen. Schon durch die düstere Vegetation liefen einem eisige Schauer über den Rücken. Ein ungemütlicher Ort, den man stets als kalt empfand. Ein Baum glich hier dem anderen, Sonnenlicht hatte hier nie den Erdboden erreicht und wer nicht oben am Schrein ankam, hatte sich hier auch gerne mal das Leben genommen. Wer Gruselei suchte, der musste nur jenseits des Pfades wandeln, um am nächstbesten Ast einen Körper baumeln zu sehen. Doch da man selten selbst wieder aus diesem Dickicht herausfand, suchte man hier auch niemanden. Selbst Zoro war in diesem Augenblick froh, kein Prismenträger mehr zu sein: Als das Prisma ihn verließ, hörten die Geistererscheinungen auf. Doch von Tashigis Geisterbildern kannte er die vielen Geister, die hier umher spukten. Es war oft die Frage gewesen, ob die Camera Obscura nun Fluch oder Segen war. Manches wollte man einfach besser nicht gesehen haben. Nun wurde es im Verlauf der Wanderung steiler und geradliniger. Aus dem Pfad wurde ein schmaler Weg, bedeckt von großen flachen Steinen. Ausgewaschen vom Regen und poliert vom sandhaltigen Boden. In einer scharfen Linkskurve gabelte sich der Weg plötzlich. Auf der einen Seite fiel er als Trampelpfad steil bergab und führte hinfort auf der anderen Seite des Berges herunter zum nächstgelegenen Nachbardorf. Auf der anderen Seite bildeten breite Holzschwellen im Waldboden Stufen aus, die den Aufstieg angenehmer machten. Ein ergrautes Toori trennte die weltliche Welt von der spirituellen. Moosbewachsene Steinlaternen standen zu jeder Stufenseite Spalier und brannten schwach. Ein Zaun aus Götterseilen zwischen den Laternen wirkte eher so, als wolle man die Farne vom Bewuchern des Weges abhalten. Obgleich Moos und Zedernnadeln die Stufen bedeckten, waren die Schwellen fein gefegt und überraschten Zoro damit, dass wohl dort oben im Schrein sich jemand aufhalten müsste. Für eine Weile rastete er. Was genau suchte er eigentlich? Man müsste wohl auf alles gefasst sein. Wenige Minuten und unzählige Stufen später wurde seine Verwunderung, wer sich oben wohl herumzutreiben vermochte, lebendig, als er auf den Vorhof des Schreins trat. Ein junge Frau, höchstens an die zwanzig Jahre alt, die schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, fegte vor sich her. Sie schien trotz dieses grässlichen Ortes guter Laune zu sein, denn sie summte ein flottes Lied vor sich her. Ihr weißes Kimono-Hemd und der rote Hosenrock wiesen sie als Miko aus: Ein Schreinmädchen, das sich um die anfallenden Arbeiten des Schreins und die Zeremonien kümmerte. Etwas verdattert blickte sie auf den Neuankömmling, fing sich aber sofort und begrüßte ihn lachend. Zu selten wäre es, dass sich jemand einmal hier hinauf verirren würde. Seit Jahren war es hier oben sehr still geworden, plapperte sie hervor. Und natürlich ging sie sofort geschäftstüchtig ihren Pflichten nach und bot Gebetstäfelchen und Orakelstreifen feil. Doch sie wusste sofort Zoros Gesichtsausdruck zu deuten, dass sie bei ihm wohl nichts los werden würde. Also erkundigte sie sich nach seinem Interesse, den langen Weg hier hinauf zu steigen. Er überlegte. Wenn man nicht so recht wusste, was man so genau suchte, so konnte man auch nicht zielgenau fragen. Also bat er das Mädchen, ihm etwas über diesen Schrein zu erzählen. Vielleicht brächte es ihm einen Hinweis. Dieser Aufforderung kam sie gerne nach, obgleich sie ihm zu ihrem Bedauern umgehend mitteilte, dass sie gar nicht mal allzu viel über diesen Schrein wüsste. Es war der Kureha-Schrein. Aus einer langen Familientradition pflegte sie für wenige Stunden am Tag diesen Ort, doch einen Priester gab es seit dem Tode ihres Großvaters schon seit Jahren nicht mehr. Der Schrein selbst unterschied sich in seinem Aufbau nicht sonderlich von unzähligen anderen Schreinen. Er war aus der zum Bau beliebten Scheinzypresse gefertigt und von Schlichtheit geprägt. Zusammen durchschritten sie die alte knarrende Holztür, auf welcher ein großer roter Schmetterling sich ins Holz getränkt hatte, und standen nun in einem kleinen Saal. Holzgitterwände trennten Nebenräume ab. Sie waren über und über mit Wunschzettelchen beklebt. Am oberen Ende stand ein schlichter Altar, der in einer verschlossenen Schatulle das Schreinheiligtum sicher verwahrte. Prüfenden Blickes tastete er jeden Zentimeter dieses Ortes ab, jedoch gab es nichts zu entdeckten, was ihm hätte helfen können, sein Rätsel zu lösen. Doch seine Sinne warnten ihn, dass es hier noch eine nicht abgeschlossene Geschichte gab. Kälte durchzog diesen Raum wie ein kleiner reißender Bach. „Dieser Schrein wurde nach einem Mädchen namens Kureha benannt, die vor über hundert Jahren hier gesellschaftlich hoch angesehen wurde. Es hatte wohl etwas mit einem Ritual zu tun“, kramte die Miko aus ihrem Gedächtnis zusammen. Zoro wurde hellhörig. „Etwas mit Zwillingen...“ Na, das hatte er sich gedacht. „... und Schmetterlingen...“ Das hatte er sich auch gedacht. „Ich zeige dir mal was!“, forderte sie ihn auf und führte sie beide durch eine der Holzgitterwände hindurch hinter den Altar. Eine kleine Tür in der Seitenwand des Schreins kam zum Vorschein. Dahinter führte ein in Felsen gemeißelter Gang wie ein endlos wirkender Abstieg in tiefste Schwärze. Aus ihm strömten verborgenes Wispern und unendliche Traurigkeit. „Wohin führt der Weg?“, fragte er sie. „Ich weiß es nicht.“ Kapitel 13: 13 - "Tief im Untergrund ..." ----------------------------------------- (Anmerkung: Songzeilen aus dem Japanischen ins Deutsche aus „Chou“ von Tsukiko Amano) Es gab so einiges zum Grübeln für Zoro und darum achtete er auch nicht auf seiner Wanderung gen Heimat, wie viel an Zeit verstrichen war und welche Distanz er bereits zurückgelegt hatte. Es ging für ihn die Treppe aus Holzplanken wieder hinunter, durch den Wald der Gehängten hindurch und die steilen Felsenstufen in der Klippenwand hinab, bis sich das weite seichte Buchenwaldtal vor ihm auftat. Der Nachmittag war verronnen und so leuchtete die Abendsonne warm und märchenhaft durch das Laubwerk und verpasste allem einen gelborange farbigen Überzug. Vögel sangen zwischen den Wipfeln. Insekten tanzten zwischen Farnen und Gräsern. Leise floss fast unbemerkt ein versteckter Bach in einer Senke durch das Tal. Viele große, flache Findlinge bevölkerten wahllos den Waldboden, als hätten Riesen nach einem Fußmarsch ihre Stiefelsohlen ausgekratzt und die Steine aus dem Profil herunterfallen lassen. Nicht umsonst sprach man von diesem Tal von dem Schuhabdruck des Riesen, eben weil diese Talform einem solchen Abdruck glich. Irgendwann hatte Zoro sich auf einen dieser Findlinge gesetzt, starrte auf die Wasseroberfläche des Baches, als ob sie sich davon schneller bewegen würde und war unschlüssig. Allein dem dunklen Gang im Schrein folgend, war er tiefer und tiefer in den Berg geraten, doch eine Antwort hatte er dort unten nicht erhalten. Oder aber die Antwort lag so klar vor ihm, dass sie viel zu einfach war, um sie zu begreifen. Wie dem auch sei, hier mussten einige Puzzelteile zusammengesetzt werden. Und wenn man nicht so genau wusste, wie diese Teile überhaupt aussahen, so war es doch ein recht schwieriges Unterfangen. Es waren viele Fragmente einer längst vergangenen Zeit. Ein uraltes Ritual hauste diesem Berg inne, ein ebenso alter Liedtext fraß sich als Ohrwurm in seinen Gehörgang. Und je mehr er darüber nachdachte, desto mehr verstand er, dass seine Rolle in diesem ganzen Spiel lediglich diejenige war, dass er einst zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Denn hier ging es um Zwillinge und deren Bedeutung für einen aberwitzigen Glauben aus vergessenen Zeiten. Er ließ seinen Blick über den Bach hinweg in den Wald gleiten, ohne etwas besonderes zu fixieren. Die Insekten tanzten nach wie vor über den Gräsern. Doch einer dieser Tänzer war herausragend auffallend und tanzte nun auf ihn zu. „Was willst du jetzt schon wieder?“, fragte er den leuchtend roten Falter, der wie ein glimmender Funke aufgeregt flackerte. Er mochte etwas barsch im Unterton geklungen haben, doch er war ohne Ergebnis vom schwarzen Berg zurückgekehrt und hatte seit den Vorkommnissen in der Villa im Bambushain und dem Sieg über Mihawk geglaubt, dass Schmetterlingsthema wäre erledigt. Schlimm genug war es schon, dass seine Liebste wohl bis an ihr Lebensende mit einem Purpur-Mal am Hals herumrennen würde. „Ja, ich war da, aber ich weiß nicht, was das soll. Ich verstehe den Text nicht ganz.“ Als hätte der Falter seufzen können, glitt er langsam hinunter, setzte sich auf den flachen Stein neben ihn und spreizte die Flügel zum Abendsonnenbad. Zoro überlegte, ob wohl nur er diese Lichterscheinung sehen könnte oder auch andere. Ersteres wäre ziemlich dumm, denn er kam sich jetzt schon albern vor, mit einem blutroten Schmetterling aus Licht halbe Selbstgespräche zu führen, denn der Falter selbst war stumm. Doch wenn er ihn betrachtete und er umher flatterte, dann hörte er in seinem Inneren eine Stimme. Kuinas Stimme. Und er wusste seit der Szene am Vormittag auf dem Friedhof nicht so recht damit umzugehen. Die Gedanken der Vergangenheit wurden in die Gegenwart katapultiert, als er nun hier auf der Hälfte des Rückweges rastete und hörte, wie sich eine Gruppe von Menschen näherte. Obwohl man sie noch nicht sehen konnte, war ein Stimmengewirr deutlich zuzuordnen, welches ihm vertraut vorkam. Somit wechselte er von der Wasserseite des Felsens zur anderen Seite, an welcher der Pfad sich an den Stein schmiegte. Es überraschte ihn doch ein wenig, dass es seine Freunde für eine Notwendigkeit hielten, ihn suchen zu müssen. So schlimm war es nun doch nicht um seinen Orientierungssinn bestellt. Irgendwie war er immer pünktlich zurückgekehrt. Meistens jedenfalls. Nun ja, nicht immer, aber immer öfter. Und heute hatte er sich gar nicht mal verlaufen. Es blieb abzuwarten, was seine Freunde nun tatsächlich in diesen Wald verschlagen hatte. Nur noch wenige Meter und er würde es erfahren. Die Stimmen wurden lauter und er hörte Luffy und Usopp streithaft diskutieren, Nami genervt keifen und Robins zurückhaltendes Lachen. Nur wenige Schritte später tauchten sie zwischen den über den Weg herabhängenden Zweigen auf. „Hey, das ging ja schnell! Wir fahren weiter. Und die netten Leute im Dorf sagten, du wärst diesen Weg gegangen...“, sprudelte der Strohhutjunge hervor. Ein Grinsen huschte über Zoros Gesicht, denn an der Miene der übrigen Drei war abzulesen, dass man sich über eine sofortige Abreise so rein gar nicht einig gewesen zu sein schien, aber der Kapitän mal wieder alle anderen Meinung plump ignorierte. Da wäre es doch nur passend, wenn man dazu seine eigene Absicht kundtun würde. „Jetzt sofort?“, erkundigte er sich bei seinem Capt'n nach der genaueren Abfahrtszeit und erntete von ihm eine schmollende Bestätigung: „Robin will erst wieder so ein Porneglyph lesen. Aber danach legen wir ab!“ „Da wird es dich ja freuen, dass ich genau so ein Porneglyph hier schon mal gesehen habe...“ Er grinste in sich hinein. Besser konnte die Sache gar nicht für ihn laufen. Die Schrift der Porneglyphen war auch zugleich eine Schrift, welche von allen Kali Kindern ausnahmslos beherrscht und weitergegeben wurde. Man könnte fast sagen, es läge ihnen im Blute und müsse von ihnen nicht erlernt werden. Doch die Ausrottung der Kali Kinder führte auch zur Ausrottung des Schriftlesens und Schreibens. Als Zoro auf Raftel all seine Erinnerungen wiedererlangte, krochen auch unbekannte Erinnerungen in ihn hinein, die vorher nicht da gewesen waren. Es waren Fetzen des Wissens seiner Vorfahren. Nur leider reichten diese Bruchstücke nicht für das vollständige Entschlüsseln eines Porneglyphs. Mit einer Handvoll Schriftzeichen kam man einfach nicht weiter. Es war ein Wink des Schicksals, dass Robin ihren Weg hier entlang gewählt hatte. Da könnte sie ihm sicherlich das gefundene Porneglyph vorlesen. „Du hast so ein Ding gesehen? Aber das findest ausgerechnet du doch nicht wirklich wieder, oder?“, frotzelte Usopp, doch er kannte seinen Nakama nur zu gut, dass er ausgerechnet bei magisch-dämonischen Sachen immer den rechten Weg fand. Immer mitten hinein. Sehr zum Leidwesen der Langnase, die zwar beschlossen hatte, immer dann die „Ich-muss-zur-Sunny-zurück-Krankheit“ ausbrechen zu lassen, wenn es mal wieder überirdische Abenteuer gäbe, aber mit diesem Krankheitsbild beim Hanyô keinen Erfolg hatte. Gesagt, getan. Nunmehr zu fünft ging es den ganzen Weg zum Schrein wieder hinauf. Ein letztes Mal blickte Zoro zu seinem Sitzplatz zurück, doch der Schmetterling war verschwunden. Und während für ihn dieser Weg mehr als bekannt und somit uninteressant war, war er für die restlichen Vier um so spannender. Die Sonne senkte sich ihrem Feierabend entgegen. Die Passage an der Felsentreppe meisterten sie problemlos in der Dämmerung. Oben angekommen jedoch war der Zedernwald nun nicht mehr finster, sondern pechschwarz. Kaum die Hand vor Augen erkennend, stolperten sie langsam voran. Und sie wären vermutlich schneller vorangekommen, wäre da nicht einer dieser Szenen: „Ahh, da hinten is' was!“, kreischte es von der Langnase. „Wie kannst du da was sehen? Es ist stockdunkel!“, entgegnete ihm entnervt Zoro, der es sich von Usopp gefallen lassen musste, ihn wie eine Klette am Arm hängen zu haben und hinterher zu schleifen. „Ich habe die Dämonenspürkrankheit!“ Brüllendes Lachen kam es da seitens des Strohhutträgers. „Haha, is' ja auch klar. Du hängst an seinem Arm!“ „Schnauze!“, tadelte Zoro seinen Capt'n. Robin konnte so herrlich garstig sein. Ihr gefiel die amüsante Unterhaltung und musste noch einen oben drauf setzen, um das Ganze in einen großen Spaß gipfeln zu lassen. „Ich denke auch, dass hier im Wald schon lange niemand mehr seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Du wirst dich geirrt haben, Usopp. Es soll sehr ruhig im Wald der Gehängten geworden sein.“ „Der Wald der Gehängten?“ kam es von Luffy, Usopp und Nami gleichzeitig. Der Gummijunge war neugierig begeistert. Usopps Finger gruben sich nun wohl so tief ins Zoros Arm, dass es bis zum Knochen nicht mehr weit sein konnte und Nami, die sich bis zu diesem Zeitpunkt still verhalten hatte, bekam nun doch die große Panik, wohin man sie hier wieder hergeleitet hätte. Hätte man Zoros Auge im Dunkel sehen können, dann hätte sein Blick die Archäologin auf der Stelle getötet. Mit solchen Freunden brauchte man wahrlich keine Feinde. „Danke, Robin!“, grollte es zynisch von ihm. Doch jeder Weg nahm irgendwann einmal sein Ende, nur um einen Neuen anschließen zu lassen. Die Steinlampen beleuchteten dezent flackernd den Treppenaufstieg und machten den ganzen Ort nur noch gespenstischer. Oben auf dem Vorhof des Schreins angekommen, sah man über einige Baumwipfel hinweg auf die letzten Strahlen der Abendsonne. An einem aufgehenden Nachthimmel funkelten die ersten Sternbilder gegen sie an. Längst hatte die Miko ihre Arbeitsstätte fein säuberlich hinterlassen und war heimwärts gezogen. So wirkte der Schrein aufgeräumt und verwaist. Mit einem tiefen Knarren öffnete die Gruppe die schmetterlingsverzierte Eingangstür, passierte die Halle mit ihren vielen Deckenlampions und kroch hinter dem Altar durch die kleine Tür in der Holzgitterwand, um dort vor der Tür zum schwarzen Gang zu stehen. Man sah Usopp an der weiß erblassten Nasenspitze an, dass sich seine Dämonenspürkrankheit nun wohl auf dem Zenit befand. Aber auch Nami sah nicht sonderlich erbaut aus, sich nun in einen finsteren Gang zu begeben. Doch alles Zähneklappern nutzte nichts, die Reise ging weiter. Die geraubten Altarkerzen flackerten wild im Luftzug, der irgendwo seinen Ursprung im Berg haben musste, und gaben nur einen schwachen Lichtschein ab. Mal gut, dass Usopp in seiner unendlich großen Tasche eine Stablampe hervorzaubern konnte. Der Gang war ein langer schmaler Tunnel. Stetig schlängelte er sich bergab immer mehr in die Tiefe. Toori an Toori mit Gebetsbändern reihten sich aneinander. Die einen intakt, die anderen vom Druck der Bergfelsen schon geborsten. Die Felswände waren kühl und nass vom Regenwasser, das sich durch die Ritzen der Gesteine drängelte. „Tief im Untergrund, grub ich ein Loch, ohne zu wissen, wohin es führte...“ Es waren diese Liedzeilen, welche man in dieser Gegend als eine Art Volkslied sang und nun begann es für Zoro auch einen Sinn zu bekommen. Es gab ziemlich viel für ihn am heutigen Tage zu grübeln. Ein Grund mehr, weshalb es besser gewesen wäre, er hätte Shimotsuki niemals mehr betreten. Nun aber war er hier und musste sich mit dieser anscheinend nicht abgeschlossenen Geschichte arrangieren. Wenigstens hatten sie nun das Ziel erreicht. Ein großer Hohlraum tat sich auf. Er schien weit oben an der Höhlendecke, welche man nur über ihren Köpfen erahnen konnte, einen Durchbruch in den Himmel zu geben, denn der Luftzug strömte von dort her. Genau darunter tat sich ein unendlich tiefes Loch auf, dessen Boden man nicht sehen konnte. Die Ränder dieses Loches waren zu einer klaren Kante fein herausgemeißelt und bildeten ein Quadrat. Zwischen Tunnelgang und Kante fand sich ein flacher quaderförmiger Stein, der die ungefähre Größe eines Bettes aufwies. Man war sehr verwundert über diesen Ort, spürte aber, dass sich hier einst entsetzliche Dinge zugetragen haben mussten. Das vermeintlich Böse lauerte hier in jeder Ritze, jeder Spalte, unter jedem Stein. Es war kein Ort, an dem man gerne verweilen wollte. Nami drängte Robin, doch bitte schnell ihr Porneglyph zu lesen. Hier wollte sie nicht bleiben. Und auch Usopp bekam schon wieder einen neuen Schub seiner Dämonenspürkrankheit, der abrupt endete, als Zoro ihm androhte, ihn unverzüglich in dem quadratischen Loch zu entsorgen, wenn das Geschrei nicht aufhören würde. Selbst Luffy, der zu vielen Macken seiner Crewmitglieder ein Schmerz befreites Verhältnis hatte, konnte den Widerhall der erschreckten Ausrufe von den Felsenwänden nicht ignorieren. Es dröhnte in den Ohren und ließ selbst die Felswände dieses schwarzen Ortes erzittern. Das Herz der Archäologin hingegen war für diesen Ort entflammt, hatte sie doch seitlich der Höhle das Objekt ihrer Begierde entdecken können. Schnell lief sie darauf zu und berührte den glattpolierten Stein mit seinem unentschlüsselbaren Text. Als würde sie der Steintafel einen Zauber auferlegen, um so ihr Geheimnis zu entlocken, glitten ihre Fingerspitzen immer schneller über die eingemeißelten Schriftzeichen und entzifferten sie. „Dieses ist die Sage der purpurnen Schmetterlinge. Schon seit Ewigkeiten rasen Seelen ruhelos im Höllenschlund umher. Ihnen ist es versagt worden, von einem Schmetterling ins Jenseits geleitet zu werden. Es gilt, diesen Schlund zu beruhigen oder die Seelen werden emporsteigen und alles in Dunkelheit töten. Die ewige Nacht endet erst, wenn das Ritual erfolgreich vollzogen wurde.“ Erschrocken hielt sie inne und fuhr mehrmals über das eine oder andere Schriftzeichen, als wäre sie für einen Moment unsicher. „Dem Schnittritual folgt das Purpurritual. Für das Schnittritual wird ein Auserwählter zum Kusabi. Er wird im Seiltempel an der Decke mit fünf Seilen fixiert. Die Seile schneiden sich tief in sein Fleisch ein, strangulieren ihn und bereiten unsägliche Schmerzen und Leid. Später wird er lebendig von verhüllten Priestern mitsamt der Seile in den Abgrund geworfen. Je mehr der Kusabi leidet, desto eher wird sich der Abgrund beruhigen lassen.“ Sie nahm die Finger vom kühlen Stein, atmete tief durch und fuhr dann fort. „Nun folgt das Purpurritual. Es wird mit Zwillingen vollzogen, wobei der jüngere Zwilling den älteren erwürgt. Der Jüngere ist der oder die Erstgeborene, da er oder sie verfrüht aus dem schützenden Mutterleib entschlüpfte. Während des Würgens, unterstützt von rhythmischen Klängen, hinterlassen die Handabdrücke auf dem Hals des älteren Zwillings einen Abdruck dem eines purpurnen Schmetterlings gleich. Dieser löst sich und steigt als Seele empor. Der Leichnam wird von zwei Trauernden in den Höllenschlund geworfen mit der Bitte um Ruhe. Der Überlebende jedoch erhält als Erinnerung und Zeichen der Vereinigung ein rotes Schmetterlingsmal und wird fortan als „Verbliebener“ von den Gläubigen verehrt und genießt hohes Ansehen.“ Ziemlich betreten und ratlos hatte man ihren Worten gelauscht. Dieser Ort war nicht nur schrecklich, er war einfach brutal und entsetzlich. Niemand wusste so recht, welche Worte man finden könnte, also beließ man es bei der Stille. Es war schlagartig klar geworden, welcher Fluch auf Tashigi zu lasten schien und da sich Zoros Hände zu Fäusten in den Hosentaschen ballten, musste es ihn im negativen Sinne ziemlich beschäftigen. Schweigend gingen sie zurück und der lange Gang schien nun ihm Gegensatz zu Robins vorgelesener Legende gar nicht mehr so unheimlich und gespenstisch. Der Tunnel war mal schmaler und mal weiter. Öfter mussten sie ihre Positionen wechseln. Mal ging man vorn, mal nebeneinander, mal hinten. „Und?“, fragte Luffy Zoro, als sie an hinterster Stelle gingen. „Weiß ich nicht“, kam es frustriert zurück. Nein, da passte so einiges nicht zusammen. Wenn man das Ganze einmal nüchtern betrachtete, dann war der schwarze Berg nichts anderes als ein alter Vulkan, der seit Jahrhunderten im Dornröschenschlaf lag und nicht mehr ausgebrochen war. Und dort, wo sie eben gewesen waren, in dieser Halle, dann war es nichts anderes, als ein erloschener Nebenkegel. Vollkommen klar, dass er beim letzten Ausbruch alles in Dunkelheit umhüllte und die Asche alles tötete. An solchen Hokuspokus zu glauben, einen Vulkan mit abergläubischen Ritualen beruhigen zu können, war in seinen Augen verabscheuungswürdig. Wie viele Zwillinge mochten schon diesen Weg beschritten haben? Wie viele Schmetterlinge mochten hier schon geflogen sein? Diese Vorstellung ließ einen erschaudern. Doch warum waren Tashigi und Kuina davon betroffen? Beide waren sich nie so begegnet, dass sie sich hätten erinnern können. Und hier an diesen Ort waren sie beide ebenso wenig geraten. Darüber hinaus war Kuina nicht die Erstgeborene. Der Legende nach hätte Tashigi Kuina den Hals umdrehen müssen und nicht umgekehrt. Ein Ritual, welches gar kein Ritual sein sollte, war gründlich schief gelaufen. „Die unauslöschbaren Narben von meinen Handflächen. Reiße einen Spalt in die rotbefleckten Wolken, mit meinen gebrochenen Schwingen. Ich brenne, ich brenne! Der Ort unseres Versprechens kehrt nie zurück. Sie, ich fliege besser, als du dachtest!“ Blöder Ohrwurm! Doch die Antwort musste irgendwo zwischen diesen Zeilen in der Legende und dem Lied stecken. Und da Kuina hier als Schmetterling umher flatterte, musste es da auch noch irgendetwas geben, was sie hier in seiner Welt hielt und sie nicht zu ihrem inneren Frieden führte. Das würde ein langer Rückweg mit unzähligen Fragen, welche in seinem Kopf fangen spielten, werden. Hätte Zoro auch nur für einen Augenblick gewusst, dass ein jedes Mal, wenn Kuina vor seiner Nase herumtanzte, weit entfernt Tashigi mit dem Leben rang, so wäre es ein Moment gewesen, wo er sich das rote Prisma zurückgewünscht hätte. Kapitel 14: 14 - Roter Schatten, schwarze Gespenster ---------------------------------------------------- Das Archipel der tausend Inseln war ein wahres Seglerparadies aus dem Bilderbuch. Es mochte weit mehr als tausend Inseln aufweisen, die alle relativ klein und wild verstreut am Rande des Calm Belts wie Brotkrumen auf einem Teller lagen. Schneeweiße Sandstrände, schattige Palmenhaine und farbenfrohe Blütenteppiche zierten das Landschaftsbild und verhüllten kleine Wohnhütten vor neugierigen Blicken. Auf den seichten Wellen warfen unzählige Boote mit ihren Segeln bunte Farbtupfer auf das türkisfarbene Meerwasser. Einst als Aussteigerziel bekannt, tummelten sich hier nun Massen an Reiselustigen aus aller Welt, um den besonderen Flair und das stetig sommerliche Klima zu genießen. Durch diese Welt voller Harmonie pflügte sich mit hoher Knotenzahl Tashigis Fregatte. Sie hatte den Wind von achtern in den Segeln und kam schneller voran als gedacht. Doch Tashigi hatte für all die Naturschönheit um sich herum keinen Blick. Seit sich der Schmetterling an ihrem Hals wieder sichtbar zeigte, hatte es ihr nicht nur den Tag verdorben, sondern auch unendlich viele Fragen auftauchen lassen. Hatte ihr das Mal noch am Morgen die Luft abgeschnürt und sie fast getötet, so brannte es nun dauerhaft, als hätte sie in Brennnesseln gefasst. Zum Mittag entfachte sich das Feuer auf ihrer Haut noch einmal verstärkt, bevor es dann wieder zu einem unangenehmen Kribbeln zurückkehrte. Wie spät mochte es nun in Shimotsuki sein? Sie schätzte es auf die frühen Abendstunden. Kaum hatte sie auch nur einen klaren Gedanken fassen können, während sie das Schiff inspizierte, den Tag über auf der Kommandobrücke stand, die Fahrt überwachte und später dem Fregattenkapitän den genauen Kurs mitteilte. Das Geschehen an Bord und die Klärung der Abläufe beschäftigte sie und lenkte sie zugleich etwas ab. Die Schiffsglocke schellte. Wachablösung. Der Frühdienst wechselte sich mit dem Spätdienst ab. Tashigi hätte mit ihrer Tochter in deren Kabine speisen können, doch sie zog es vor, sich in die Schiffsmensa zu begeben. Es machte bei der Mannschaft generell einen besseren Eindruck, eine gewissen Nähe zu halten. Zudem konnte sie noch einmal in Ruhe einen Teil der Crew beobachten, wenn diese sich halbwegs unbeobachtet fühlte. „Na, langweilst du dich schon zu Tode?“ fragte sie lächelnd ihre Tochter am Esstisch. „Geht so“, gab diese an, ohne ihren Blick von einem wirklich sehr leckeren Reis-Curry zu heben. Sie konnte ja unmöglich zugeben, dass sie das Buch ihrer Mutter den kompletten Vormittag ausgelesen hatte und somit mehr als beschäftigt gewesen war. Viele neue Erkenntnisse hatte sie erlangen können. Vieles war neu für sie und verständlicher Weise hätten ihre Eltern mit ihr wohl darüber nie geredet. Es hatte sie jedoch nur mehr darin bestärkt, sich irgendwann auf die Suche nach dem Teufelsfruchtgarten zu machen. Wenn es wirklich einst einen Ort gegeben haben musste, wo die Kali-Kinder gewohnt hatten, dann gab es dort vielleicht auch ihre Gärten? Fleißig hatte sie sich Notizen über Ort und Zusammenhänge gemacht. Sicherlich würde es ein Weg voller Gefahren werden. Und er wäre lang, sehr lang. Denn das Reiseziel war eine Annahme, kein fester Ankunftsort. Ihr kam in den Sinn, wie lange Sanji schon nach dem All Blue Ausschau hielt und das war auch schon ein sehr langer Zeitraum. „Wir werden die Reiseroute eventuell ändern müssen“, schob Tashigi nun vorsichtig nach, denn es hatte schon einige Diskussionen mit ihrer Tochter gegeben, die von der Fahrt im Vorfeld nicht begeistert gewesen war. Dass sie nun wohl noch etwas länger umher kreuzen würden, musste nun schonend beigebracht werden. „Muss das sein?!“, platzte diese sehr laut hervor, dass für einen Moment alle Augenpaare von unzähligen Soldaten auf sie gerichtet waren. Immerhin war es bisher nicht vorgekommen, dass ein Kind an Bord mit fuhr und dass darüber hinaus einem Admiral gegenüber Widerworte gegeben wurden. Da lohnte sich der Moment der Aufmerksamkeit. Doch da Tashigi in ruhigem Ton weitersprach und das Mädchen ihr gegenüber ebenso verfuhr, widmete sich das Kurzzeitpublikum wieder dem Essen. Nur noch das leise Murmeln von Zwischengesprächen und Tellerklappern war zu vernehmen. „Nun ja,“ druckste Tashigi herum, „es ist etwas dazwischen gekommen ...“ „War ja wieder typisch“, zischte das Mädchen zurück und setzte eine finstere Miene auf. Von ihrem Essen nun doch einmal aufsehend, um die Soyasoße auf dem Tisch zu finden, blieb ihr Blick am Hals ihrer Mutter hängen. Sie kannte den roten Fleck in Form eines Schmetterlings und hatte von ihrer Mutter zur Auskunft bekommen, es wäre ein Unfall gewesen. Einst hätte sie sich dort mal durch einen Teufelsfruchtnutzer verbrüht, der sie mit seiner heißen Handfläche berührte. Doch Taiyoko wusste es nun besser. Es steckte eine ganz andere Geschichte dahinter und es kam ihr vor, als würde dieser Schmetterling nun sachte schimmern. War das der Grund für die Planänderung? Nein, sie durfte sich auf gar keinen Fall etwas anmerken lassen, dass sie durch das Buch eines Besseren belehrt worden war. Zugleich schoss es ihr durch den Kopf, dass sie sich nicht aus Unachtsamkeit einmal verplappern durfte. Außerdem musste sie zusehen, dass sie das Buch so schnell wie möglich bald wieder an seinen angestammten Platz zurückbringen müsste. Sonst würde ihre Neugier auffliegen. Ein helles Glöckchen läutete das Ende der Mittagspause ein und gebot allen, ihr Essgeschirr zur Kombüse zurückzubringen. Schnell löste sich die Versammlung in der Mensa auf. Nach wenigen Minuten war niemand mehr dort bis auf das Küchenpersonal. Ein langweiliger, unauffälliger Nachmittag kroch voran. Tashigi stand nach einem Toilettengang vor dem Spiegel am Waschbecken und starrte wieder wie schon am Morgen ihr Ebenbild an. Der Schmetterling leuchtete. Auch an ihrem Äußeren hatte sich nichts verändert. Noch immer sah sie aus wie ein schneeweißes Bettlaken mit dunklen Augenringen und hängenden Strähnen. Die rosafarbene feine Linie ihrer Gesichtsnarbe hob sich nun stärker als gewöhnlich ab. Sie fühlte sich leer, verbraucht und hässlich. Unansehnlich. Nutzlos. Entstellt. Tränen schossen ihr in die Augen, denn sie überkam ein Gefühl, dass sie hasste. Es kam ständig dieses Gefühl, welches einfach nicht verschwinden wollte. Es gaukelte ihr Unzufriedenheit vor und es redete auf sie ein, dass sie es gar nicht verdient hätte, glücklich und zufrieden zu sein. Stets würde sie nur alles falsch machen und andere ins Unglück stürzen. Dabei waren das alles Lügen und das wusste sie. Doch der klare Verstand setzte aus, wenn diese Traurigkeit aus ihr herauskroch, ihr Herz und ihren Verstand ergriff. Nur noch Tränen waren alles, was sie dann in diesem Moment übrig hatte. Hemmungslos gab sie sich diesen hin und weinte und weinte. Es waren Augenblicke voller verdrehter Wahrheiten und Schwärze. Die Traurigkeit spielte ein wildes Puppentheater an schwarzen Gespenstern in ihrem Kopf und verlangte absolute Hingabe, so sehr sie auch dagegen anzukämpfen versuchte. Die schwarzen Gespenster waren damals Schuld gewesen, dass ihre Beziehung kurzer Hand zerbrochen war. Da war Zoro damals gerade Mal erst wieder nach Loguetown zurückgekehrt, nur um dann gleich wieder mit den Strohhüten weiterzuziehen. Sie hatte wirklich geglaubt, sie könne das ertragen, so wie sie da an einem nebligen Tag noch lange, lange der Sunny nachstarrte, obgleich das Schiff schon längst in den Schwaden verschwunden war. Und Taiyoko war noch so furchtbar klein. Keine ständigen Briefe, keine langen Telefonate, keine regelmäßigen Besuche hatten diese Geister vertreiben können. Sie wuchsen und wuchsen und platzten dann hervor. Herumgeschrien hatte sie und ihm Vorwürfe gemacht. Warum hatte er, der doch seine Ziele erreicht hatte, ein Recht darauf, durch die Weltgeschichte zu segeln und sie saß hier mit ihrem und somit auch seinem Blag im East Blue fest? Alles hatte sie dafür weggeschmissen. Ihren Beruf, ihre Träume. Und jetzt war sie hier allein. Anscheinend war sie ihm wohl doch so herrlich scheißegal. Noch schlimmer war es jedoch, dass diese Worte, die sie sich von der Seele schrie, sie im selben Augenschlag komplett zerschnitten, denn es stimmte alles nicht. Die schwarzen Teufel in ihrem Kopf manipulierten sie, ließen sie unbedacht und falsch reden. Es tat ihr in der selben Sekunde, wo sie es sprach, sofort leid. Doch sie konnte es nicht ändern oder gar zurücknehmen. Dabei hatte er sie an sich gezogen und noch versucht zu retten, was noch zu retten gewesen wäre. Doch die schwarzen Schatten gewannen die Oberhand. In Tränen aufgelöst sank sie an der Tür, welche Zoro zuvor mit Kind und Kegel verschlossen hatte und hasste sich selbst. Mann weg, Kind weg. Nun war sie noch mehr allein. Und die schwarzen Gespenster hatten doch recht: Alles, aber auch alles in ihrem Leben ging schief. Es war unerwarteter Weise Usopp, der einen Wendepunkt brachte und durch seine Hartnäckigkeit die Teleschnecke zum Glühen und die schwarzen Gespenster eindämmte. Die ersten Tage hatte sie stumpf in totaler Depression das „Böllebölle“ ignoriert und auf ihrem Bett gelegen. Dabei beobachtete sie emotionslos in tiefster Schwärze, wie die Sonne ihre Bahn über den Himmel zog und dann den Gestirnen das Feld überließ. Es geschah einfach so von selbst, wie die Zeit sie nicht beachtete und einfach so da liegen ließ, wo sie war. Die Welt drehte sich einfach weiter und weiter. Vollkommen unbehelligt von ihren Luxusproblemen. Wieder schepperte die Teleschnecke los. Die Stimme der Schnecke klang so entnervt, drohend und aufdringlich, dass sie sich aufraffte und den Hörer abnahm: „Hey, hier is' Usopp. Wie geht’s dir?“, klang es ruhig, aber besorgt. Sie schluckte ihren nächsten Anfall an Heulkrämpfen herunter und presste mühsam hervor: „Alles super...“ Es herrschte eine betretene Stille am anderen Ende der Leitung. „Ich will mich ja nicht einmischen, aber es ist nur so ...“, begann er und man spürte, dass er nach den richtigen Worten suchte. Sie war nicht fähig gewesen, der Langnase etwas zu antworten oder zu erzählen. Einerseits waren da tausende von Gedanken in ihrem Kopf, andererseits kamen sie ihr nicht in einer logisch-strukturierten Reihenfolge über die Lippen. Es war schon fast eine Erlösung, wie ihr Gesprächspartner vom Alltagsleben an Bord der Sunny berichtete. Das Kind wäre von allen liebevoll umsorgt, hätte seine Freude an dem neuen Abenteuer, würde aber stets nach seiner Mutter fragen. Mehr Sorge bereitete da wohl der Nakama. Nein, der hätte sich oberflächlich nicht sonderlich verändert oder hätte da irgendein Wort über ihre Trennung verloren. Er wäre wortkarg und übel launisch wie immer. In einer ganz eigenen Weise waren diese Charakterzüge von ihm dennoch verändert. Sie waren extremer als zuvor. Gespräche mit ihm beschränkten sich auf wenige Silben. Man sah ihn noch seltener. Abgenabelt von allem versank er nur noch mehr in seinen Trainingseinheiten. Unter seiner Oberfläche knisterte ein Pulverfass. Er hatte eine Niederlage einstecken müssen, womit er generell eh nicht sonderlich gut umgehen konnte und diese nie dagewesene Situation schmerzte mehr, als einen Schwertkampf zu verlieren. Nach einem Schwertkampf konnte man sich ein Versagen damit erklären, man müsste mehr trainieren oder sich neue Techniken überlegen. Bei einer Beziehungskiste gab es oft keine logischen Erklärungen. Es geschah einfach und war komplizierter. Wie dem auch sei, das Miteinander innerhalb der Crew war empfindlich aus dem Gleichgewicht geraten mit einem Crewmitglied voller negativer Schwingungen, die selbst Usopps Pessimismus als Neutrum stehen ließen. Taiyoko allein vollbrachte es, ihren Vater aus seiner Reserve zu locken. „Es ist halt so...“, beendete Usopp seinen Bericht über die aktuelle Sachlage, „er würde es niemals zugeben, wie sehr es ihn mitnimmt. Aber man kann es halt sehen. Er blüht aus... Zumindest so in Ansätzen. Und du weißt, was das bedeutet.“ Sie schluckte, als sie das hörte. Damit hatte sie nicht gerechnet, war sie doch nur mit ihrer eigenen Gefühlslage und ihren persönlichen Minderwertigkeitskomplexen beschäftigt gewesen. Es hatte Zoro mehr getroffen, als sie sich jemals hätte vorstellen können. Usopp hatte Recht, wenn er einmal sagte, dass sein Mitstreiter in einigen Dingen einfach anders war. Zoro war nicht familienfestkompatibel, brachte keinen Strauß Blumen mit nach Hause und taugte auch nicht für eine feste Ortsbindung. Er war einfach so. Das hatte sie vorher gewusst. Entweder musste man ihn so akzeptieren oder es einfach bleiben lassen. Das war der Moment, in welchem sich schlagartig alles änderte. Sie hatte ihren Horizont erweitern lassen und eine Entscheidung getroffen. Ohne Umschweife kam sie der Aufforderung nach, der Sunny hinterher zu reisen, lag sie doch gar nicht mal so weit weg vor Anker. Sie war nur drei, vier Inseln entfernt. Das Wiedersehen gestaltete sich als schwierige Nervenprobe, weshalb sie jegliche Erinnerungen daran beiseite schob. Sie wollten den schwarzen Hirngespinsten keinen Raum mehr geben und nur noch nach vorn schauen. Nur noch manchmal, in ganz winzigen Sekunden kamen die Gespenster zurück. Nun aber stand sie hier an Bord einer Fregatte, die sie zu befehligen hatte, war auf einen Marinerang geklettert, den sie sich ewig erträumt hatte und durchkreuzte ihr eigenes Revier. Ihre Liebe galt einem in allen Punkten einzigartigem Piraten und einer wundervollen Tochter. Müsste man da nicht zufrieden sein? Wenn da nur nicht dieser rote Schatten an ihrem Hals so brennen würde... Und da waren sie wieder diese schwarzen Gespenster, die zu ihr sprachen und Lügen erzählten. „Schau dich doch nur an, wie du aussiehst mit deinem Fluch und deiner Narbe im Gesicht!“, höhnten sie. „Und deinen traurigen Augen.“ Sie schüttelte den Kopf, ballte wütend die Faust und schlug sie voller Hass auf ihr Ebenbild ein. Spiegelscherben sprengten sich durch den kleinen Toilettenraum, funkelten im Neonschein hässlich steril und zersplitterten am Boden zu unzähligen Splittern. Blut rann aus den vielen kleinen Schnittwunden ihrer Hand. Sie waren so fein, dass Tashigi den Schmerz erst nicht wahrnahm. Sie fluchte über ihre eigene Dummheit, war aber befreit davon, noch einmal sich selbst im Spiegel ansehen zu müssen. Der Bordarzt würde sicherlich etwas Salbe und Verband für sie übrig haben. Stumm sah sie zu, wie sie von der Arzthelferin verbunden wurde, nachdem der Arzt kopfschüttelnd die vielen, vielen Splitter mit der Pinzette entfernt hatte. Soviel behauptetes Ungeschick musste erstmal jemand nachmachen. Die aufsteigende Nacht brachte ihr ebenso aufsteigende Alpträume. Ruhelos wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her. Irgendwann schlief sie rastlos ein, wachte kurz darauf wieder auf und juckte sich den Hals, der brannte und brannte. Herzrasen und Schweißausbrüche komplettierten den Horror einer Nacht. Wieder versank sie in Schlaf, nur um einige wenige Stunden später Laken und Bettbezüge von den Kissen zu reißen, weil diese klitschnass geschwitzt waren. Verzweifelt ging sie zur Teleschnecke und wünschte eine Verbindung zur Thousand Sunny. Sie blickte auf den Wecker, welcher vier Uhr morgens anzeigte. Angesichts der verringerten Entfernung und der neu zu berechnenden Zeitverschiebung mochte Shimotsuki wohl nur noch gute dreieinhalb Stunden in der Zukunft liegen. Vermutlich stand Sanji schon in der Küche und bereitete für die komplette Mannschaft das Frühstück vor. Sie lauschte lange dem Klingeln und noch ehe sie eine Stimme vernahm, hörte sie im Hintergrund die typischen Geräusche von brutzelnden Pfannen, einem pfeifenden Teekocher und rührenden Kochlöffeln. „Ja bitte?“, hörte sie den Koch der Bande höflich ausgeschlafen fragen. „Hallo Sanji, hier ist Tashigi. Ist Luffy dort irgendwo?“, fragte sie. „Luffy?“ Sanjis Verwunderung war nicht zu überhören, denn gewöhnlich gab man den Hörer ohne Umwege sofort an Zoro weiter. Es schien etwas außergewöhnliches geschehen zu sein. „Tashigi-Süße, ist etwas nicht in Ordnung? Du klingst ja ganz aufgelöst. Ist etwas passiert? Luffy ist gestern mit Robin, Nami und Usopp losgegangen, um Zoro abzuholen. Sie sind noch nicht wieder da.“ Er klang ernsthaft besorgt, konnte ihr aber aktuell keine Hilfe sein. Also bedankte sie sich, gab an, dass es nicht so schlimm wäre und rief im Hause ihrer Eltern an. Ihr Mutter nahm ab, konnte aber zu ihrem Bedauern nur mitteilen, dass sich die Piraten schon wieder auf dem Rückweg zum Hafen befanden. Es war zum Mäusemelken. Sie beendete das Telefonat mit ihrer Mutter, richtete freundliche Grüße aus und versprach, alsbald sich noch einmal zu melden. Ihr fehlte die Kraft nach einer Nacht mit Schlafmangel halbkonzentrierte Gespräche führen zu können. Zurück in ihrem Bett legte sie sich auf den Rücken, starrte Löcher an die Decke und musste nun wohl oder übel die Zeit abwarten, bis die Piratengruppe ihr Schiff wieder erreicht hätte. Garantiert würde Sanji von ihrem Anruf berichten. Vermutlich würde Zoro sofort zurückrufen. Dann würde sie von ihrer Vermutung und dem roten Schmetterling erzählen und anschließend Luffy beknien, noch eine Weile im Hafen auszuharren. Allein sein großes Herz für Leute in Notsituationen könnte ihn dazu verleiten, auf sie zu warten. Die Strohhüte mussten einfach warten. Etwas anderes fiel ihr einfach nicht ein. Kapitel 15: 15 - Verschleppt ---------------------------- So ziemlich exakt auf der anderen Seite der Welthalbkugel haderte schon einige Tage zuvor ein ganz anderes Piratenschiff seiner Dinge und erwartete Besuch. Die Umgebung lud nicht sonderlich zu einem Treffen ein, doch es war mehr der Ort, der hier eine Rolle spielte. Die Flagge Blackbeards wehte hoch oben am Hauptmast über allem und zeigte an, dass sich hier an diesem abgelegenen Ort demnächst viele wichtige Persönlichkeiten und alle diejenigen, die sich dafür hielten, tummeln würden. Seit mehr als einem Dutzend an Jahren war Blackbeard dem selben Ruf gefolgt, welchen Luffy in seinem Innersten seit Kindesbeinen mit sich trug: den Titel des Piratenkönigs. Dass er diesen Titel noch nicht für sich erringen konnte, lag allein an der Tatsache Raftel nicht erreichen zu können, sondern am Ringporneglyph zu scheitern, wie damals der Strohhutjunge ebenso. Natürlich brachte diese Erfahrung Blackbeard zum Grübeln. Und auch die Tatsache, dass Luffy selbst auch noch kein Piratenkönig war, musste den Gummijungen vor ungeplante Probleme gestellt haben. Also schien auch er zwangsläufig nicht nach Raftel zu kommen. Oder etwa doch? Es galt, Nachforschungen über den Seeweg nach Raftel anzustellen, welche sich viele Jahre hinzogen. Sie führten letztendlich nur zum gewünschten Ergebnis, da man Spione innerhalb der Marine hatte, welche das Marine-Archiv gründlich filzten und ihren Auftraggeber über die ungünstigen zwei Möglichkeiten unterrichteten. Entweder benötigte man die magischen Kerzen eines ganz besonderen Kerzenmachers oder ein Kali-Kind. Beides jedoch wäre derzeit auf dem freien Markt schwer zu bekommen, hieß es. Denn niemand wollte Blackbeard freiwillig sagen, es wäre wohl unmöglich. Blackbeard tobte und unschuldige Köpfe rollten, zumal dem Piratenkaiser es wie Schuppen von den Augen fiel, dass der Strohhutjunge nun doch klar im Vorteil um das Piratenkönigrennen war. Der hatte laut Marineunterlagen tatsächlich ein Kali-Kind an Bord. Er selber nämlich nicht. Und es lag auf der Hand, dass eben dieses Kali-Kind garantiert unter keinen Umständen jemals zu Blackbeards Bande wechseln würde. So ein Roronoa war einfach unbestechlich und machte sowieso grundsätzlich nur das, was ihm in den Sinn kam. So blieb Blackbeard also nichts weiter übrig, als zu diesem letzten Mittel der Wahl zugreifen, weshalb er hier kurz vor dem Ringporneglyph durch ölig schwarzes Wasser und Nebelbänke schipperte. Er benötigte Hilfe, die aber nicht nach Hilfe aussehen durfte. Es war ein merkwürdiger Nebel, der nicht einfach nur nasskalt war, sondern es einem unheimlich werden und bis auf die Knochen klappern ließ. Die Meeresoberfläche war spiegelglatt, zeigte aber keine einzige Reflexion auf. Die Mannschaft des Blackbeards, allesamt hart gesottene und kampferprobte Kerle, blickten doch recht angstvoll umher, obwohl das keiner von ihnen dem anderen eingestehen würde. Langsam und leise glitten mehr und mehr fremde Schiffe aus den weißen Schwaden heraus, scharrten sich um das bereits vor Anker liegende Piratenschiff und warteten gespannt auf das, was dort kommen möge. Blackbeard hatte alle zu einem Auftrag mit hoher Belohnung angelockt. Das wollte man sich nicht entgehen lassen oder zumindest anhören, worum es denn nun im Detail ging. Es wurde mucksmäuschenstill, als sich an Bord des Kaiserschiffs etwas tat. Ein großes Megaphon fand seinen Platz an Deck, obwohl es bei der Stille und Blackbeards Organ auch so ausgereicht hätte, die Umgebung zu beschallen. Mit großer Zufriedenheit blickte der Kaiser über die Flotte ungezählter Schiffe, deren wahre Anzahl jedoch durch den Nebel im Verborgenen blieb. Doch das scherte ihn nun im Augenblick nicht im Geringsten. Es lag in seinem Sinne, dass hier doch sehr viele Piraten, Tagelöhner und anderweitige Schaulustige Interesse zeigten und den Weg hierher gefunden hatten. Er holte kurz tief Luft und ließ seine markante Stimme durch die überdimensionale Flüstertüte dröhnen: „Alle Mann hergehört! Ich setze eine sehr hohe Belohnung aus. Wer mir das magische Kerzenrezept oder aber ein Kali-Kind bringt, der soll Anteil am One Piece haben und ewiglich unter meinem Schutz stehen!“ Erst regte sich nichts. Nur ein feines Wasserplätschern, welches an die Schiffsrümpfe schwappte, war zu hören. Dieses Geräusch wurde durch ein Gemurmel zwischen den Gruppen abgelöst. Überall diskutierte man auf den Schiffen dieses Angebot und es klang, als würde ein riesiger Bienenschwarm über allen Masten kreisen. Kaum einer konnte mit Wunderkerzen oder Kali-Kindern etwas anfangen. Zu lange waren die Linien erloschen und Legenden vergessen. Auch eine ganz besondere Crew, welche sich aus reiner Neugier an diesen Ort bewegt hatte, war erstaunt über die kurze Ansprache. Die Mannschaft war übersichtlich an derer Kopfzahl gemessen, weshalb sie alle zusammen auf dem winzigen Deck um ihren Kapitän herumstanden. Man lag weit genug von Blackbeards Schiff entfernt, um nicht sofort gesichtet zu werden, aber nahe genug, um die Szene genau beobachten zu können. „Ist das nicht ein Zeichen von absoluter Hilflosigkeit? Dass er sich dieser Blöße hingibt ...“ mutmaßte ein Crewmitglied abfällig über den Redner. Ein anderes überlegte laut: „Ob es Luffy interessiert? Sollte er das nicht wissen?“ Gespannt auf eine Antwort starrten nun die Augenpaare auf ihren Kapitän. Dieser jedoch zog nur einmal Luft durch die Zähne, schaute finster drein und drehte sich dann mit den Worten um: „Lasst uns hier erst mal verschwinden!“ Ein braunes Turmluk klappte hinter dieser Mannschaft zu und ein gelbes U-Boot versank lautlos in dem schwarzen Wasser. Wieder zurück auf der ursprünglichen Welthalbkugelposition zur ursprünglichen Zeit kreuzte Tashigis Fregatte mit voller Fahrt durch die sternlose Nacht gen Shimotsuki. Allein die bunten Lichterscheinungen drangen durch den wolkenverhangenen Himmel hindurch. Der Mond ließ sich gar nicht erst blicken. Die Nacht schien ihr unendlich lang zu sein. Die Zeiger auf ihrem Wecker krochen wie Schnecken in der Mittagssonne über das Zifferblatt. Gleich, wenn sich die ersten Strahlen der Sonne über die Horizontlinie schoben, würde sie noch einmal auf der Sunny anrufen. Natürlich hätte sie sich auch in ihrem Elternhaus erkundigen können, ob Zoro und Luffy noch dort verweilten, doch diese Sorge um einen roten Schmetterlingsabdruck wollte sie ihren Eltern ersparen. Auch diesen hatte sie damals ebenso wie ihrer Tochter die Mär von dem Teufelsfruchtbesitzer aufgetischt, der sie einst am Halse verletzt haben sollte. Allerdings erkannte sie an den Blicken ihrer Eltern, dass sie ihr die Geschichte kaum abnahmen. Hatten sie vielleicht damals schon eine Vermutung gehabt? Sie wusste es nicht. Nie wieder hatten sie darüber gesprochen. Doch das Leben schrieb stets andere Wege vor, als man sie gern beschritten hätte. Sie wurde aus ihrem unruhigen Schlaf gerissen, als ein Offizier an ihre Kabinentür klopfte und sie auf die Kommandobrücke bat. Er sprach von einer beunruhigenden Mitteilung aus Loguetown. Schlagartig war sie hellwach aus dem Bett gesprungen, hatte die Faxmeldung dem wachhabenden Offizier auf der Brücke aus der Hand gerissen und große Augen gemacht. Dort war doch tatsächlich zu lesen, dass eine kleine Bande Kopfgeldjäger Loguetown unsicher gemacht hätte. Interessanter Weise hätten sie kaum Verwüstung hinterlassen, obgleich von ihnen unzählige Häuser gezielt durchsucht worden waren. Auch ihr Leuchtturm zählte zu den durchwühlten Objekten, jedoch schien nichts zu fehlen. Man wusste nichts über diese Bande, wohl aber, dass es höchsten drei oder vier Personen wären, die allesamt Teufelsfruchtkräfte gehabt hätten. Lautlos wären sie vorgegangen und hätten keine Spuren hinterlassen. Der Schock über diese Nachricht saß tief. Man konnte sich keinen Reim darauf machen, was diese Verbrecher bezweckt, geschweige denn gesucht hätten. Nein, sie musste nun doch sofort auf der Sunny anrufen. Jetzt in dieser Sekunde. Ein roter Schmetterling, ein durchwühltes Heim: Das war zu viel! Sie sollte keine Chance mehr haben, ein Telefonat zu tätigen. Der Alarm ging auf dem Schiff los. Schrill riss die plärrende Sirene alles beinige aus den Betten. Man vermutete eine kleine Schar Eindringlinge. Sofort war die Fregatte in Alarmbereitschaft, aber die Soldaten schienen machtlos. Man hörte Kampfgeräusche, Schwerter klirrten aufeinander, Schüsse fielen. Der Gegner, der wie unsichtbar zu wandeln schien, schlachtete einen nach dem anderen ab. Tashigi eilte von der Kommandobrücke panisch zur Kabine ihrer Tochter. Die umher rennenden Soldaten, welche den Feind ausfindig zu machen versuchten, waren hinderliche Klippen auf dem Wege dorthin. Zeitgleich war Taiyoko längst aus dem Bett gesprungen. Ein inneres Signal hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Ähnlich eines siebten Sinnes spürte sie die herannahende Gefahr. Was sollte sie bloß tun? Wo war ihr Mutter? Schnell war sie in ihre Kleidung geschlüpft, hatte ihre Kabine voller Angst verlassen, um die ihrer Mutter zu erreichen. Doch in deren Räumen war sie nicht zu finden, stattdessen stand dort mitten im Raum  ein undefinierbares Wesen, welches nun eine menschliche Gestalt vor ihren Augen annahm. Sie trug schwarze, enge Lederkluft und hatte ihr Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen. Erschrocken schrie das Mädchen auf, als sie die fremde Person erblickte, die vollkommen regungslos dort stand. Dann kam plötzlich Leben in die unbekannte Figur und versuchte nun auch noch sie zu packen. Es musste eine Notwehrreaktion gewesen sein, denn unbewusst, als sie am Arm gepackt wurde, sackte der Angreifer erschlafft zu Boden, auf welchem sich für einen Moment grüne, florale Lichterscheinungen zeigten. Ihre verhassten Kräfte hatten sich verselbständigt und sie gerettet. Doch dafür hatte sie keinen klaren Gedanken, um diese Magie zu erkennen. Sie musste sich verteidigen, denn eine zweite Person von gleicher Kleidung, aber etwas schmächtiger Figur, tauchte auf. Man sah die vor Freude funkelnden Augen durch die Löcher der Maske blitzen. Geistesgegenwärtig schnappte sich Taiyoko ein an der Wand lehnendes Katana, zog es und begab sich in Angriffsposition. Sie zitterte am ganzen Körper. Oft hatte sie in der Schule und im Training Kämpfe ausgetragen. Jedes Mal war sie mühelos als Sieger vom Platz gegangen. Doch das hier war eine ganz andere Nummer. Hier war kein Schulwettkampf und das Schwert in ihren Händen war kein Bambusschwert, sondern rasiermesserscharfer Stahl. Und dieses Schwert kannte Blut und Tod. Hier ging niemand vom Platz, da er durch Punkte verlor, sondern weil einem das Leben aus dem Körper geschnitten wurde. Noch nie hatte sie solch eine Situation erleben müssen, war sie doch wohlbehütet aufgewachsen. Selbst als sie einige Zeit als kleines Mädchen auf der Sunny mitgesegelt war, hatte sie nie auch nur eine einzige Kampfhandlung miterleben müssen, obgleich die Strohhüte in welche verwickelt waren. „Das kleine Maskottchen“, hatte Luffy immer lachend gesagt. Haltlos wären er und die gesamte Strohhutbande gewesen, wäre diesem Maskottchen irgendetwas Schlimmes passiert. Von der Reaktion ihres Vater ganz zu schweigen. Der zu Boden gegangene Fremde rappelte sich wieder auf, während der andere nun auf sie zu ging und ebenfalls ein Schwert zog. Sie dachte nicht nach. Ein antrainiertes Programm spulte sich aus ihrem Kopf heraus ab. Tatsächlich traf sie den Einen mit dem ersten Schlag tödlich. Entsetzt starrte sie auf das viele Blut, welches im Takt des Herzens aus der Wunde pulsierte wie eine frische Quelle und schnell eine große Blutlache füllte. Der ekelhafte Anblick versetzte sie für einen Augenschlag in Starre. Der Feind war tot. Sie hatte getötet. Noch nie hatte sie töten müssen. Schockiert über sich selbst machte sich eine neue Panik in ihr breit. Fest umklammerte sie das Schwert samt Saya und merkte erst zu spät, dass nun der zweite Feind sie mit seinen Teufelskräften übermannte und verschleppte. „Mama“, kreischte sie angsterfüllt ihrer Mutter zu, die gerade zu dem Ort des Geschehenes kam. Viel zu spät, um etwas unternehmen zu können. Tashigi rannte dem Feind nach, welcher ihre Tochter im festen Knebelgriff hinter sich Richtung Reling schleppte. Chancenlos beugte sie sich über das Geländer, sah noch ein kleines Raddampferschiffchen im Dunkeln verschwinden und brüllte mit Leibeskräften den Namen ihres Kindes, welches von der Nacht gefressen wurde. Heulend vor Wut, Angst und Verzweiflung brach sie an Deck zusammen. Exakt zur selben Zeit ging einige Seemeilen weiter östlich schon wieder die Sonne auf. Sie beschien eine unschuldige Dorfidylle, welche immer noch in der Nachtruhe steckte und erst langsam wieder aus den Federn kam. Ein krähender Hahn auf einem Gehöft irgendwo in dem Tal gab das Startzeichen für neues Treiben. Dank Luffys Magenknurren hatten es Zoro und seine übrigen Freunde nicht über die Dorfgrenzen Shimotsukis hinausgeschafft, weshalb man sich kurzerhand bei seinen Zieheltern für die Nacht einquartierte. Obgleich es diesen nichts auszumachen schien, die Bekanntschaft mit den Piraten zu schließen, so empfand es Zoro für sich doch etwas als eine Art des Fremdschämens, als er Luffy dabei zusah, wie er den kompletten Inhalt der Speisekammer blitzschnell in seinem Magen platzierte. Der Abend wurde lang und erst weit nach Mitternacht lagen alle auf ihren Futonlagern in tiefem Schlaf. Es waren noch nicht mal die ersten Sonnenstrahlen an der Fensterbank angelangt, als Robin schon längst wieder in dem Dämmerlicht in einem Buch schmökerte und die Ruhe eines jungfräulichen Tages genoss. Erstaunt blickte sie hinüber zu Zoro, der eben noch bäuchlings vor sich her geschnarcht hatte und plötzlich wie von der Tarantel gestochen hochfuhr, um dann wie ein aufgescheuchtes Huhn von einem Fuß auf den anderen zu trippeln, bevor er inne hielt und verwundert um sich blickte. „Nanu? Was ist denn mit dir los?“, fragte sie ihn. Das Gepolter riss auch Nami und Usopp aus ihren Träumen. Sie rieb sich verwundert die Augen, während sie sich beschwerte: „Hey, spinnst du?“ Sie warf ihm einen bösen Blick angesichts der geklauten Nachtruhe zu. Usopp aber hielt sich nur jammernd seinen Alkohol bedröhnten Kopf und verschwand sofort wieder unter seinem Kissen. Luffy hatte gar nichts bemerkt und schlummerte weiter. Zoro murmelte nur, dass irgendetwas passiert wäre, konnte es aber nicht klar umreißen. Dennoch hatte er das große Bedürfnis, sofort aufbrechen zu müssen. Immer noch verwundert über die ungewöhnliche Unruhe ihres Mitstreiters, rappelte man sich auf. Zum großen Bedauern der Gastgeber fiel das Frühstück sehr knapp aus. Gerne hätten sie ihre Gäste länger beherbergt und auch die restlichen Piraten kennen gelernt, doch hier herrschte eine eilige Aufbruchstimmung. Reisende sollte man nicht aufhalten. Und schon war die Gruppe, allen voran Zoro, auf dem Rückweg zum Hafen. Man gut, dass es nur diesen einen Weg gäbe, merkte Usopp an, der es sich gelegentlich nicht nehmen ließ, seinem Nakama einen Richtungsangabe hinterher zu rufen, da dieser es doch tatsächlich vollbrachte, häufig Schlenker auf dem Weg zu laufen. Auch wenn der Kanonier dafür nur bissige Kommentare des Vorangehenden erntete, so musste er sich doch berechtigte Sorgen machen, Zoro würde mit seinem Orientierungssinn einfach so im Unterholz verschwinden. Immerhin wäre das ja nichts Neues. Die Entfernung zum Hafen kam allen kürzer und schneller vor als noch der Hinweg am vorherigen Tage. Schon tauchten die wenigen Hafengebäude auf. Sachte schaukelte die Sunny an der Kaimauer in sicheren Gewässern. Fröhlich blickte ihre Gallionsfigur den Ankömmlingen entgegen und begrüßte sie mit ihrem breiten Lächeln. Der Rasen an Deck war frisch gemäht und die Mandarinenbäumchen zurecht gezupft. Teile der Reling waren schon mit einem frischen schneeweißen Anstrich versehen worden. Nun sah man Franky an Deck die ersten Eimer randvoll mit Teer aus dem Lager der Werkstatt heraufholen. Es war wohl wieder Zeit für das allmonatliche teeren der Takelage. Er begrüßte seine Freunde von Bord herab, als er diese erblickte, konnte aber sofort feststellen, dass etwas nicht planmäßig war. Ein Duft von frischen Spiegeleier mit Speck strömte aus der Kajüte. Ein Zeichen dafür, dass der Smutje wohl auch schon auf den Beinen war und seiner tagtäglichen Beschäftigung nachging. Für Luffy und Usopp war das genau der richtige Tagesanfang. Durch den schnellen Fußmarsch war die erste Tagesration schon längst verdaut. Da kam dieser punktgenaue Nachschub gerade recht. Nein, hier auf der Sunny schien alles in bester Ordnung zu sein und Zoro zweifelte an seinem Gespür, Gefahr förmlich erträumen zu können. Man hätte meinen können, die Lage hätte sich entspannt, als die gesamte Crew zufrieden und gut gelaunt um den Tisch herumsaß und sich das Frühstück ausgiebig schmecken ließen. Doch es lag an  Sanji, der Zoro in der versammelten Runde ganz beiläufig die Information an den Kopf warf, dass sich Tashigi vor einigen Stunden gemeldet hätte, aber wohl lieber Luffy habe sprechen wollen. Und da war es wieder, dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmen konnte. Er stürzte zur Teleschnecke und rief sie zurück. Völlig aufgelöst und unter endlosen Tränen erzählte sie ihm und einer aufmerksam lauschenden Strohhutbande, was sich in den letzten Stunden ereignet hätte. Ihr Schmetterling wäre wieder aktiv und Taiyoko spurlos entführt. Ob Luffy wohl auf sie warten könne? „Klar warten wir!“ schallte es ihr von der gesamten Mannschaft kampfeslustig durch den Lautsprecher der Teleschnecke entgegen. Kapitel 16: 16 - Bekanntschaften -------------------------------- Das Verhalten eines aufgeschreckten Huhnes sollte Zoro noch den lieben langen Tag anhaften. Während er an Deck ein Tau nach dem anderen zusammen mit der restlichen Mannschaft teerte, kreisten unzähligen Sorgen in seinem Kopf herum. Dabei starrte er unentwegt auf die Vivrecard seiner Tochter, die sich fast unmerklich bewegte, aber ansonsten vollkommen unversehrt blieb. Zumindest konnte er also davon ausgehen, dass ihr noch kein Leid angetan worden war, obgleich der Psychoterror, den sie eben durchstehen musste, schon Leid genug bedeutete. Äußerlich hatte er sich nichts anmerken lassen wollen, doch die bohrenden Blicke seiner Freunde streiften ihn so häufig, dass es schon auf der Haut kribbelte wie ein Haufen Ameisen auf Beutezug. Innerlich tobte es. Man erhoffte sich eine Reaktion seinerseits, doch er selbst war hin- und hergerissen zwischen unschlüssigem Warten und vollem Tatendrang, den man nicht ausleben konnte. Unkonzentriert bei der Arbeit musste er sich dann obendrein noch einige Male vom Schiffsbauer tadeln lassen, doch gefälligst sorgsamer mit dem Teer umzugehen. Er gehöre auf das Seil und nicht daneben auf den Boden. Unzählige Teerkleckse zierten seine nähere Umgebung und hinterließen hässlich klebrige Stellen. Irgendwann wurde ihm das Ganze zu bunt. Er schmiss das Werkzeug in den Eimer und stapfte mit einer Miene von sieben Tagen Regenwetter hinauf zum Sofa am Steuerrad. Chopper lag dort schon auf den Polstern wie ein alter Windhund zur Nachtruhe. Er hob müde seinen Kopf und blickte den Nakama aus trägen Augen an. Dann rollte er sich etwas zur Seite, um das Sofa mit ihm teilen zu können. „Du würdest lieber jetzt als gleich aufbrechen, oder?“, fragte es leise. „Ja“, kam die Antwort auf diese rhetorische Frage. „Tashigi wird bald hier sein und der Vivrecard nach geht es Taiyoko auch gut“, war der Versuch einer beruhigenden Aufmunterung, doch sie schoss ins Leere. Es gäbe wohl keine Worte dieser Welt, die Zoro in irgendeiner Weise in seiner Lage zufriedenstellen könnten, also schwieg das Rentier wieder. Es war, wie schon des Öfteren, einer dieser Tage, an dem es sich zu nichts aufrappeln konnte. So eine Phase kam und ging wie der Wellengang draußen auf dem weiten, weiten Meer. Doch die Wellengänge in Choppers Leben wurden unregelmäßiger und verschoben sich vermehrt in diejenige Richtung, dass die müden Wellen länger und die munteren kürzer wurden. Er beäugte seinen Mitstreiter, der sich mittlerweile neben ihn gesellt und ausnahmsweise einmal nicht seine Arme vor dem Brustkorb verschränkte hatte. Stattdessen hielt er die Vivrecard sanft bedeckt in seinen Händen wie einen kostbaren Schatz und konnte seine Aufmerksamkeit kaum davon abwenden. Plötzlich öffnete er seine Handflächen und blickte verblüfft auf das kleine Stückchen Papier. Die stetige Bewegung hatte gestoppt. Taiyoko musste irgendwo verharren. Aber wo? Es war eine Frage, dessen Antwort seine Tochter genauso wenig beantworten konnte. Sie hatte während ihrer Entführung nicht allzu viel sehen können, waren doch ihre Augen durch einen Sack über ihrem Kopf bedeckt gewesen. Man zerrte und schubste hastig an ihr herum, bis sie vorwärts gestolpert war und sich beinahe den Hals an einer Leiter abwärts gebrochen hätte. Schmerzhaft auf dem Boden zu Füßen der Leiter aufgekommen, hatte man ihr zwar den Sack wieder abgezogen, aber die Schwärze blieb. Stundenlang umgab sie seitdem pechschwarze Dunkelheit, abgestandener Lagerraumgestank und das wummernde Tuckern der Dampfmaschine. Erst als der Motor verstummte, hörte man das seichte Schlagen der Wellen an den hölzernen Schiffsrumpf. Kurz darauf platschte etwas laut ins Meer. Vermutlich war der Anker ins Wasser gelassen worden. Dieselbe gefühlte Ewigkeit hatte sie nichts anderes zu spüren bekommen als ein Tuch, welches als Knebel diente und ein altes Seil, das sich in die zarte Haut ihrer Handgelenke einrieb und sie an der Wand an einem Ring geknüpft festhielt. Ihre getrockneten Tränen brannten salzig auf ihren Wangen, doch die Angst über die ungewisse Zukunft trocknete nicht so einfach ab. Ob sie hier irgendwer jemals finden und retten würde? Es war für sie im Bauch des Schiffes nicht Tag und nicht Nacht. Die Zeitlosigkeit behielt es für sich, wie lange sie gefahren sein mochten oder was dort oben vor sich ging. Sie hatte Hunger und Durst, doch die abgestandene Luft, das ungleichmäßige Schlingern des Dampfers und die Unmöglichkeit durch das Tuch in ihrem Mund vernünftig atmen und schlucken zu können, erzeugten bei ihr Würgereize und Übelkeit. Die Müdigkeit saß ihr in jeder Faser ihres Körpers. Sich selbst wachhaltend hatte sie ihren Kopf an die Wand gelehnt, denn die Furcht etwas zu verpassen, was mit ihr oder diesen Unbekannten dort oben an Deck zu tun hätte, trieb ihr Adrenalin in ungeahnte Höhen. Die Bande war vor dem Überfall ein Quartett gewesen. Soviel hatte sie mitbekommen. Und durch das Schwert in ihren Händen war aus dem Viererteam nun ein Trio geworden. Sie fürchtete die Rache dieser Menschen, von denen sie seit ihrem Raub von der Fregatte und dem Verfrachten ihrer Person an diesen schrecklichen Ort noch nichts weiter mitbekommen hatte. Keine Fragen, keine Folter, keine Erklärung. Natürlich konnte sie froh sein, anscheinend noch nicht ein so großes Interesse bei dieser Bande entfacht zu haben, dass man sie hier unten fürs Erste im Schiffslagerraum lediglich gefangen hielt und sich nicht um sie kümmerte. Jedoch war die Ungewissheit ebenso quälend und beängstigend. Und obwohl sie tapfer durchhalten wollte, konnte sie nicht verhindern, wie die unsägliche Panik erneut aufstieg und ihr die Tränen in die Augen trieb. Ungehindert suchten sie ihren Weg leise hinab und tropften auf den Boden, den das Mädchen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal sehen konnte. Es war zu finster. Jedoch musste der neue Tag angebrochen sein, denn von oben drangen vereinzelte Lichtstreifen durch den Dielenboden. Sie dachte an ihre Eltern und die Strohhüte und warum diese nicht einfach mal so hierher vorbeikommen und sie retten würden. Dabei redete sie sich selber Mut ein, dass ganz bestimmt schon die halbe Marine nach ihr suchen würde. Die Strohhüte sowieso. Über ihrem Kopf tat sich etwas. Fußgetrappel und Stimmen zogen über sie hinweg, eine Bodenluke in ihrer Nähe wurde geöffnet. Schwer knarzend wurde das Luk aufgewuchtet. Sonnenlicht drang ein und blendete beißend ihre übermüdeten Augen. Es war ihr nicht möglich, diese für den Moment offen zu halten und so bekam sie optisch nicht mit, wie das bereits vermutete Trio die Leiter herunterkletterte, um ihrer Geisel einen Besuch abzustatten. Man schien uneinig und wenig begeistert untereinander zu sein. Sie bauten sich vor ihr auf und stritten vorwurfsvoll. Allesamt trugen sie schwarze Lederkluft unterschiedlichen Schnittmusters. Den Stimmen nach mussten es zwei Männer und eine Frau sein. Ein kleiner, dicker Würfel von einfachem Verstand beklagte den Tod des Bandenmitgliedes. Ob es denn notwendig gewesen wäre, dieses Risiko einzugehen und einen Freund zu opfern. Die große Bohnenstange war weiblichen Geschlechts und redete beruhigend auf den Dicken ein. Sie schloss sich seiner Meinung an und erwartete ebenso wie der Würfel ein überzeugendes Gegenargument vom Dritten in ihrem Bund. Doch der Dritte musste der Kopf der Bande sein, denn er hielt sich zurück und drehte in Gedanken an einer Papierrolle herum. Gewiss musste er im Gegensatz zu den beiden anderen einen Plan in seinem Hirn haben, denn er herrschte beide nun an endlich zu schweigen, ohne auf deren Fragen einzugehen. Taiyoko hatte bereits Bekanntschaft mit diesem Mann machen müssen. Er hatte sie aus der Kabine ihrer Mutter entführt. Der Typ mit den Teufelskräften. Über die beiden anderen wusste sie noch nichts. Zitternd vor Angst drückte sie ihr Kreuz gegen die Wand hinter sich, auf dass sie doch bitte weichen und ihr den Fluchtweg ermöglichen würde. Diesen Gefallen sollte sie nicht bekommen. Stattdessen hockte sich nun der Fremdling in respektvoller Entfernung vor sie hin. Eine Lampe leuchtete auf. Wieder blitzen seine Augen durch die Maskenlöcher hindurch. Triumphierend wurde eine Beute begutachtet. „Unverkennbar!“ platzte es zufrieden heraus. Die Tonlage des Maskierten jauchzte vor Glück, auch wenn die Körperhaltung unverändert Gelassenheit symbolisierte. Die beiden Verbündeten schienen nach wie vor nicht eingeweiht und wunderten sich ebenso wie Taiyoko selbst, was denn ausgerechnet an ihr so besonders sei. Die Antwort folgte auf dem Fuße, als der Hockende mit einer energischen Handbewegung das Blatt in der Luft aufschlug und mit der anderen Hand grob ihre Haare am Hinterkopf packte. Er drehte ihren Kopf zu sich, um ihr Gesicht im Schein der Lampe genauer mit seinem Zettel vergleichen zu können. Der Würfel und die Bohnenstange staunten unter ihren Masken nicht schlecht, wie beide ihrem Anführer über die Schulter schauten, schienen aber auch etwas bleich um die Nasenspitze zu werden, denn ihre Augen rissen sich entsetzt auf wie große Kuchenteller. Taiyoko reagierte panisch, als sie so gepackt wurde und konnte ein ängstliches Wimmern nicht unterdrücken. Am ganzen Leibe zitternd erhaschte sie aus den Augenwinkeln für einen Moment den Inhalt des Blattes: Der Steckbrief ihres Vaters. Zweifelsohne war sie ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Herkunft ließ sich nicht verleugnen. Nur die großen dunklen Augen und den hellen Teint hatte sie von ihrer Mutter vererbt bekommen. „Ist das nicht eine Nummer zu groß für uns?“ fand die Bohnenstange zuerst die Sprache wieder. „Keineswegs. Wenn wir sie zu Blackbeard gebracht und unsere Belohnung bekommen haben, haben wir für den Rest unseres Lebens ausgesorgt. Ich denke nicht, dass uns etwas dazwischen kommen wird“, entgegnete er ihr siegessicher. „Na toll, entweder werden wir von Blackbeard in die Pfanne gehauen oder die Strohhutbande oder die Marine findet uns noch, bevor wir bei Blackbeard waren“, raunte der dicke Würfel unzufrieden. Da könne man sich ja sofort selber im East Blue ertränken. Sie hätten vermutlich nur deshalb eine Chance, zuerst die Geisel bei Blackbeard abzuliefern, weil die Marine zum Auffinden zu blöde und Roronoa zu orientierungslos wäre. Als wäre sein Schicksal bereits jetzt in dieser Sekunde besiegelt worden, maulte der Dicke vor sich her und plante gedanklich seine eigene Beerdigung. Roronoas Tochter hier auf dem Schiff? Das brächte nur Ärger, aber keinen Erfolg. Wieso hatte der überhaupt ein Blag, das die Gruppe zu allem Überfluss nun derart in Schwierigkeiten bringen würde? Man kannte viele Erzählungen über steckbrieflich Gesuchte, doch dass der Pirat mit den drei Schwertern einen Ableger hätte, wäre ihm völlig neu. Ob es denn überhaupt das richtige Kind wäre, bohrte der Würfel bei dem Hockenden nach. Noch einmal schweifte der prüfende Blick des Angesprochenen über Taiyokos Antlitz hinüber zu Zoros Steckbrief, dann geschah etwas Unerwartetes. Der Unbekannte lüftete sein Geheimnis, indem er sein Gesicht entblößte. Langsam zog er die Halbmaske herunter und da sie aus schwarzem Stoff war, hing sie nun wie ein Halstuch unter seinem Kinn. Die Kapuze schlug er zurück. Darunter kamen schwarze Strubbelhaare, ebenso schwarze Mongolenaugen auf dunkler Haut und ein keckes Grinsen zum Vorschein. Er mochte gerade Mal zwanzig sein, war von athletischer Figur und hatte auch ansonsten das gewisse Etwas an sich. Obendrein stammte er aus Loguetown. Wenige Male hatte sie ihn in der Vergangenheit getroffen, als er noch sehr viel jünger war. Ihre Schule besaß kein eigenes Dôjô, weshalb jede Klasse zur benachbarten Schule ging. Dort hatte sie ihn gesehen und wohl auch gleich wieder vergessen, wenn er nicht ein extrem guter Schwertkämpfer gewesen wäre. Oft hatte sie mit ihrer Klasse dort am Rande gesessen, um die Trainingseinheiten der Älteren zu studieren. Takeru nannte man ihn und obgleich er wohlerzogen auftrat, zog er es lieber vor, sich mit den falschen Leuten zu treffen und immer häufiger die Schule zu schwänzen. Auch da hatte er schon in jugendlichen Jahren in einer Bande von Kleinkriminellen seinen Namen bekannt gemacht, bis Smoker ihn kurzerhand aus der Arrestzelle heraus von der Insel verbannte. Sein Name war weiterhin in den Straßen ihrer Heimatinsel gängig. Er schlug sich als Kopfgeldjäger und Auftragskiller auf den Meeren herum, seit er Loguetown verlassen musste. Erschrocken wollte sie seinen Namen nennen, um Gewissheit zu bekommen, doch vom Knebel gehindert kamen nur unverständliche Laute aus ihrer Kehle. Sie kannte den Namen dieses Mannes. Sie war sich sicher, ihn als Takeru erkannt zu haben. „Wolltest du etwas sagen?“ sprach er nun leise, fast unheimlich zu ihr, als er mit seinen Fingern vorsichtig über ihre Wange strich und dabei den Knebel löste. „Keine Sorge, du bist eine so wertvolle Beute, da werden wir äußerst sorgsam mit umgehen. Leider können wir dir keinen angenehmeren Aufenthalt auf unserem kleinen Dampfer bieten.“ Dann erhob er sich, gab den beiden anderen ein Zeichen und stieg mit ihnen wieder an Deck. „Takeru?“ fragte sie ängstlich. „Du erinnerst dich?“ Wieder blitzten die Augen auf, diesmal fröhlich und ein Hauch von einem kurzen Lächeln sollte ihr geschenkt werden. Dann erklomm auch er die Leiter. Mit einem lauten Krachen trennte die Bodenluke nun wieder den pechschwarzen Schiffsbauch unterhalb vom taghellen Sommer oberhalb. Das Thema jedoch war wohl in der Gruppe noch nicht so einfach beendet. Die Schritte direkt über ihrem Kopf verdunkelten die Sonnenstrahlen zwischen den Holzbrettern ihres Gefängnisses. Wortfetzen drangen trotzdem hinab und weihten sie ein, dass man die Gefahr fürchtete, die Übergabe könnte nicht funktionieren. Dann eilten die Schritte davon und es war nichts mehr zu vernehmen. Es verging wieder Stunde um Stunde. Dann wurde der Anker gelichtet und der dampfbetriebene Motor setzte sich wieder in Gang. Eine Erschütterung ging durch das ganze Schiff, dann setzte es die Fahrt fort in unbekannte Gewässer. Kapitel 17: 17 - Verschollen ---------------------------- Der Mensch hat seiner Sinne sechs. Verliert man einen, so schärfen sich die anderen. Taiyokos Augen bekamen dies empfindlich zu spüren, denn ihr Blick verlor sich im Nichts der Dunkelheit. Es war ein Gefühl, als wäre man erblindet. Ein höchst unangenehmes Gefühl, was nicht sonderlich stimmungsfördernd war. Die schwachen Lichtstrahlen von oben durch die Spalten der Dielen reichten bei weitem nicht aus, um Konturen in dem Lagerraum zu verdeutlichen. So blieben ihr nur noch fünf Sinne, um sich mit ihrer Zwangslage zu arrangieren. Durch die Finsternis hämmerte wie gehabt die Dampfmaschine ihren gleichmäßig bulligen Takt. Die großen Wellen des Meeres klatschten wie schwere Hämmer unrhythmisch gegen den Rumpf. Dabei vibrierte es bis in jede kleinste Nut des Dampfers. Das Schiffchen schien gegen den Wellengang zu kreuzen. Gelegentlich hob sich der Bug etwas aus dem Wasser und tauchte nach jedem durchbrochenen Wellenkamm wieder schwerfällig in die Wasseroberfläche ein. Ein endloses Auf und Ab. Der Krach betäubte die Ohren, das Schaukeln setzte ihren Gleichgewichtssinn außer Gefecht und der Geruch tat sein Übriges, um diesen Ort höchst ekelerregend zu machen. Von der stickigen Hitze ganz zu schweigen. Den pelzigen Geschmack auf ihrer Zunge ordnete sie noch zu den am wenigsten schlimmen Dingen, die mit ihr gerade geschahen. Mittlerweile war das Mädchen in einen Vegetiermodus übergegangen. Nur die notwendigste Regung, die nötigste Atmung und viel Erschöpfungsschlaf sollten sie über die Zeit retten. Die Bewegung des Dampfers riss sie jedes Mal wieder aus ihrem dösigen Schlaf. Die körperlichen Qualen waren das eine, das andere waren diese wirren Träume im Halbwachzustand. Sie gaukelten wüste Horrorszenarien und böse Monster vor. Sie verlor jeglichen Mut, diese Tortur zu überleben und jegliche Hoffnung, rechtzeitig entdeckt und befreit zu werden. Vermutlich würde sie bald sterben und ihre Leiche würde entweder von den Seemonstern gefressen oder entstellt an einen Strand einer unbewohnten Insel gespült werden. Dort würde sie in der Sonne liegen, bis die Aasgeier sie zerrissen und verspeist hätten. Vielleicht würde aber auch die Sonne sie zuvor verbrennen. Niemals würde sie ihre Eltern und ihr Zuhause wieder sehen. Niemals. Und niemals würde irgend jemand sie finden. Sie dachte an die vielen Marineakten von vermissten Kindern. Oft kamen verzweifelte Eltern in die Marinestation und fragten nach aktuellen Ermittlungsständen. Jedes Mal gingen sie weinend wieder nach Hause. Was ihre Eltern wohl machen würden? Mama würde sicher wieder in ihre Depressionen verfallen. Und Papa? Ein weiterer Heulkrampf schloss sich einem vergangenen an. „Papa... Mama...“ vertraute sie sich flüsternd der Dunkelheit an. Irgendwann hatte der Würfel doch einmal das Luk aufgerissen, kam mit einem Tablett herunter und murmelte etwas, dass sie essen solle. Doch sie traute der ganze Bande nicht und verweigerte wortlos die Nahrungsaufnahme aus Angst, es könnte Gift darin stecken. Sie drehte argwöhnisch den Kopf weg. Der Würfel entrüstete sich und schrie sie an, bis ihr wieder stumme Tränen übers Gesicht rannen. Nein, der Würfel war sicherlich nicht der hellste, aber eben das machte ihn unberechenbar und furchterregend. Das laute Spektakel rief die Bohnenstange auf den Plan, die ernsthaft bemüht war, den Disput beizulegen und sie von den belegten Broten zu überzeugen. Zum Zeichen der Genießbarkeit biss sie selbst von der Schnitte ab. Taiyoko jedoch kannte durch Usopps Gute-Nacht-Erzählungen das Märchen von Schneewittchen, wo der Apfel nur einseitig im Gift getränkt war und behielt ihre Meinung bezüglich des Essens bei. Also verschwanden die beiden wieder schlecht gelaunt, mampften die Speise selber auf und schmissen das Luk von außen donnernd wieder zu. Man überlegte laut, wie man Takeru die Problematik mit dem Hungerstreik beibringen könnte, ohne selbst großen Ärger zu bekommen. Nichts weiter geschah und keiner der Dreien erschien in der nächsten Zeit im Schiffsbauch. Und weiter ging die Fahrt. Es schaukelte mal mehr, mal weniger. Dann wurde es dunkler und die Sonnenstrahlen durch die Ritzen verschwanden. Kurz darauf begann das Schiffchen zu schlingern und das Schaukeln wurde stärker. Regen prasselte über ihr auf das Deck. Deutlich hörte sie die dicken schweren Tropfen auf die Bretter fallen. Sie suchten ihren Weg über die Planken ins Meer und dabei auch durch die Ritzen in den Lagerraum. Es tropfte auf ihr Haupt. Ein Sturm zog auf. Von dem Seil an ihren Handgelenken gehalten, war es ihr nicht möglich eine sichere Position zu finden, die ihr den nötigen Halt gab, sich gegen die Schiffsbewegungen zu behaupten. Stattdessen riss es sie nun an dem Seil von einer Seite auf die andere wie ein altes Holzfass. Hart schlug sie mit den Knien auf die Holzplanken. Ihr Schädel dröhnte noch vom Schlag gegen den Balken. Irgendwann gab ihr Körper dem Wahnsinn nach und ihr wurde schwarz vor Augen. Ihr Verstand verabschiedete sich von dieser Welt und verbannte sie in eine Alptraumlandschaft. Das nun unkontrollierte Schleifen ihrer selbst über den dreckigen Boden zerrieb ihre Kleidung und verpasste ihrer zarten Haut herbe Schrammen. Niemand kümmerte sich um sie. Undefinierbar lange Stunden später war der Sturm längst abgezogen, doch die Sonne war nicht durch die Dielenrillen zu erahnen. War es bereits Nacht geworden? Es lag wohl mehr daran, dass die nächste Mahlzeit anstand, als dass man sich um ihr Wohlbefinden sorgte. Das Luk ächzte wieder auf und gab einen Fetzen Abenddämmerung mit bunten Lichterscheinungen preis. Frischer Abendwind strömte herein, pustete das Lager von abgestandener Luft frei und nahm das Schlechte mit sich in die für das Mädchen unerreichbare Freiheit. Die Bohnenstange war jetzt an der Reihe ihr Essen zu bringen. Doch sie war sehr erschrocken über das Antlitz, was das Mädchen ihr bot. Taiyoko selbst spürte nur pochenden Schmerz an einigen Körperstellen, die man zuvor noch nicht so genau gekannt hatte. Es gab wohl eine Platzwunde am Kopf und unzählige blaue Flecken am restlichen Körper. So genau ließ sich das aber nicht lokalisieren. Die Lampe des nachfolgenden Würfels leuchtete den Raum nicht genug aus und als die Bohnenstange sich dann sichtlich bemüht ihr Bein ansehen wollte, so vergaß Taiyoko für einen Moment ihre Furcht und trat derart heftig aus, dass die große Frau sich vor Schmerz schreiend die Nase hielt. Kurz darauf tropfte frisches Blut herab. Der Würfel, bis dato nur unauffälliger Lampenhalter, erboste sich und klatschte dem Mädchen reflexartig fünf Fingerstriemen auf die Wange. Das Unheil nahm seinen Lauf. „Seid ihr alle total bescheuert geworden?“, schrie es plötzlich von oben herab. Takeru sprang die Leiter von Deck herunter, kam aber zu spät, das komplette Desaster noch abzuwenden. Was hätte er auch tun sollen? Er starrte auf seine sich am Boden windenden Kumpanen, rote Augen eines dämonischen Mädchens und einen sich schwarz färbenden Fußboden. Schwärzer als schwarz. Das Team war unterschiedlicher Auffassung von dem, was sich nun dort im Bauche des kleinen Dampfers abspielte. Während zwei Gefährten um ihr Leben fürchteten als wäre der Leibhaftige erschienen, zeigte sich der Dritte doch sprachlos beeindruckt von dem Zauber, den eine Viertelblutlinie entfachen konnte. Es war ihm jedoch auch bewusst, dass der Zustand seiner Geisel Scherereien in allen Lebenslagen bringen würde. Immerhin konnte er sich wenigsten freuen, dass er mit seinem Verdacht richtig lag, es könne auch nur ein Funken Kali-Kind in diesem Mädchen ruhen, was sich hier geradezu großartig präsentierte. Man könnte mit Blackbeard sicherlich in gute Verhandlungen kommen. Vorausgesetzt, er würde den Piraten zusammen mit dem Mädchen schnellst genug erreichen. Solle Blackbeard sich doch später mit der Strohhutbande und der Marine auseinandersetzen. Bis dahin wäre er schon längst über alle Berge. Oder aber … Es kam ihm noch eine bessere Idee durch seine Hirngespinste. Allerdings blieb zu wenig Zeit, diese Idee fertig zu denken, denn Taiyoko gestaltete seine Planungen unerwartet anders. Es war ein bis dato unbekanntes Empfinden, welches sie ewig gefürchtet hatte und nie fühlen wollte. Ihre Kräfte waren ihr unheimlich und unheilvoll. Ob es nun daran lag, dass sie wenig über sie wusste, gar wissen wollte, oder ob sie diese einfach nicht kontrollieren konnte, vermochte sie nicht einzuschätzen. Die gewonnenen Erfahrungen aus der Vergangenheit spiegelten in ihrem Umfeld leider eher negative als positive Erlebnisse wider, so dass sie innerlich beschlossen hatte, sich nicht mehr als notwendig mit diesen Kräften zu befassen und sie besser vor allen und jedem verstecken zu wollen. Doch nun war dieses Zwielicht da. Und es war so warm und so weich. Umschmeichelnd und eintauchend in eine ganz andere Welt, ließ sich Taiyoko einfach treiben. Als würde man in heißes, reines Quellwasser eintauchen, kribbelte es wohlig durch Mark und Bein, umarmte einen schützend und signalisierte oberste Unantastbarkeit. Dieses Zwielicht war großartig! Ihre ausgestandene Angst verschwand schneller, je mehr sie in diesem Licht wandelte. Sie fühlte sich nun sicher und überlegen, auch wenn sie die schwarze Umgebung ihres Lagergefängnisses nur schemenhaft wahrnahm, als wäre es weit, weit weg in einer ganz anderen Dimension. Es war ein leichtes, die Fesseln hinter sich zu lassen, wanderten ihre Hände und ihr Gesicht unmerklich durch Seil und Knebel wie durch zerflossene Butter. Schwer beeindruckt von dieser noch nie genutzten und daher unentdeckten Kraft, starrte sie an ihren drei Widersachern vorbei, konnte nun endlich den gesamten Raum verschwommen überblicken und strebte der Leiter nach oben entgegen. Ein sachter Griff an ihrem Handgelenk sollte sie an diesem Vorhaben nicht hindern. Sie blickte Takeru erhaben an, der sie aufhalten wollte, aber Dank ihrer dämonischen Fähigkeiten seine Teufelskräfte verlor und in sich zusammensackte. Noch auf den Knien zu ihren Füßen kämpfte er einen einsamen Kampf gegen die aufkommende Schwäche an. Vergeblich! Seine Hand glitt von ihrem Handgelenk ab. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als aus den Augenwinkeln zu sehen, wie seine Geisel im Zeitlupentempo in eine magische Dämmerung schritt und aus seinem Blickfeld verschwand. Sie ging langsam über das Deck, denn etwas zog sie in einen Bann. Es war, als würde sie gerufen. Nein, sie war doch nicht allein hierher gekommen. Sie hatte doch noch etwas dabei gehabt. Vollkommen willenlos überquerte sie das Deck, wandte sich achtern und machte sich auf zum Mannschaftsraum. Der Dampfer war kleiner als gedacht. Die Orientierung war einfach und der Raum flink gefunden. Ihr gesuchtes Objekt lehnte verloren an der Wand. Es glänzte, als würde es sich über ihre Rückkehr freuen. Bedächtig nahm sie das Katana an sich und umarmte es. Es kam ihr komisch vor ein Schwert zu umarmen, doch gab es ihr die Stärke, ihre Eltern direkt bei sich zu haben. Plötzlich empfand sie sich nicht mehr als so einsam und allein, sondern ein Anflug von Mut weckte ihren eingeschlafenen Kampfgeist. Es war Zeit zu gehen. All das, was gerade in diesem Zwielicht geschah, würde sich viel später nur noch als Traumfetzen in ihrem Gedächtnis anheften. Als wäre es nie in der Wirklichkeit passiert. Alles wirkte so unecht und undurchlebt. Auch würde sie später nicht mehr sagen können, wie sie wieder zurück zur Reling gelangt wäre, oben auf dieser stand und mit geschlossenen Augen das Meer witterte. Der salzige Geruch, der verspielte Wind in ihren offenen Haaren, das heimelige Rauschen der Wellen und das kühle Nass verneigten sich vor ihr und boten ihr einen Fluchtweg an. Taiyoko ging einen Schritt voraus über die Reling hinweg. Es folgte ein nächster Schritt und noch einer. Das Wasser trug sie durch die Nacht. Am Rand des Calm Belts schmiegte sich eine Insel, deren Erkennungsmerkmale unzählige Sichelbuchten und eine undurchdringliche Waldvegetation waren. Man wusste nichts genaues über ihre Lage am Ende des East Blues und auch nichts über ihre Bewohner. Kaum ein Besucher war aus dem Dickicht des Waldes je herausgekehrt. Und hatte es doch jemals einer geschafft, so war er auf besondere Art verhext worden und gab keine Geheimnisse preis. An solch einem Kieselstrand schlug Taiyoko die Augen auf, blickte verwundert in eine grelle Sonne in einem azurblauen Himmel mit bunten Lichtstreifen und ordnete rücklings liegend ihre Gedanken. War sie vor ein paar Stunden nicht noch auf einem Schiff gewesen und von finsteren Kopfgeldjägern gefangen gehalten worden? Die Wellen rauschten gleichmäßig über die Kiesel und erst langsam wurde ihr gewahr, dass sie zur Hälfte im Wasser lag. Das kalte Wasser nicht länger ertragend, rappelte sie sich auf und inspizierte ihre Lage und den Ort, an den sie das Meer getrieben hatte. Sie war definitiv nicht tot, wie sie es sich noch vor Stunden in den dunkelsten Farben ausgemalt hatte. Allein an einem unbekannten Strand mit dem Schwert in der Hand war sie fürs Erste gerettet. Obgleich die Bucht Idylle vortäuschte, wollte sie hier nicht bleiben. Ihre Kleidung war durchnässt und zerrissen, ihr Körper mit Schürfwunden und blauen Flecken übersät und ihr Magen leer. Sie drehte sich mehrmals um sich selbst, doch es war kein Weg, kein Haus und kein Hafen auszumachen, also schien es egal, welche Himmelsrichtung sie einschlug. Sie schloss die Augen, drehte sich weiter wie ein Brummkreisel und hielt dann abrupt an. Dann schlug sie die Augen auf und blickte quer über die Bucht hinweg in den Wald hinein. Das sollte ihr neues Ziel sein. „Ist das bei den Roronoas das typische Mittel der Pfadfindung? Kein Wunder, dass ihr euch immer verlauft...“, höhnte es vom Waldrand an ihr Ohr. Sofort verkrampfte sich das Mädchen reflexartig in eine Verteidigungsposition, ließ das Katana aus der Saya klicken und fixierte mit den Augen den Waldrand, von woher sie die Stimme gehört hatte. „Ich hab` mich noch nie verlaufen. Komm raus!“, konterte sie trotzig in den Wald hinein, obgleich die Unsicherheit in ihrer eigenen Stimme nicht zu überhören war. Lange musste sie nicht auf des Rätsels Lösung warten. Man hätte so ziemlich jeden erwarten können, nur nicht den, den sie am liebsten nicht wiedergesehen hätte. Aber man traf sich im Leben immer zweimal, wie ein Sprichwort zu sagen pflegte. Mit den Händen in den Hosentaschen trat Takeru aus dem Schatten der Bäume heraus und schlenderte auf sie zu. Wenigstens war ihm anscheinend ein ähnliches Schicksal widerfahren wie ihr. Seine Hose hing nass um seine Beine, aus einem olivfarbenen Hemd tropfte Meerwasser und seine schwarzen Haare klebten in Strähnen herab. Die Nässe aus seinen Stiefeln musste er jedoch schon einmal ausgegossen haben. An seinem Gürtel hing noch sein Schwert. Daneben hatte er sein Gesichtstuch geknotet. Mehr schien ihm nicht geblieben zu sein. Das Mädchen zog nun langsam ihr Schwert, willens ihrem Entführer den Kopf abzuschlagen, sollte er sie nicht in Ruhe lassen. Doch dieser war nicht im Mindesten von ihrer feindseligen Kommunikation beeindruckt. Er ging weiter auf sie zu und blieb kurz vor ihr stehen, so dass ihn ihr Schwerthieb sofort treffen müsste, sollte sie angreifen. „Das war ja eine tolle Vorstellung letzte Nacht!“ ertönte sein trockener Zynismus. Er war gut eineinhalb Köpfe größer als sie, blickte eingebildet auf sie herab und machte in keiner Form irgend eine Anstalt einen Schritt zurückzutreten, um einen respektvollen Abstand einzuhalten, wie es sonst unter Menschen üblich ist. Sie war nervös, war sie doch mit der Situation überfordert. Weder konnte sie erahnen, was er jetzt wollte, noch was er zukünftig geplant hatte. Da war eine Habachtstellung angebracht. „Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete sie gespielt gleichgültig. Sie wusste es tatsächlich nicht mehr so genau. Da war dieses Zwielicht. Und sie hatte das Katana gefunden und war dann irgendwie vom Schiff geflohen. Irgendwie … „Ach nein? Du bist über die Reling geschwebt, auf dem Wasser gelaufen und plötzlich darin versunken. Ich bin dir hinterher gesprungen und ...“ kam der Versuch einer Erläuterung, wurde aber jäh unterbrochen. „Lügner! Teufelsfruchtbesitzer können gar nicht schwimmen! Also...?“ Taiyoko verspürte keine Angst mehr. Sie war aufgebracht und wütend. Erst wurde sie entführt, dann strandete sie auf dieser Insel und nun wurde sie auch noch belogen. Die Katanaspitze drückte sich sachte in seine Haut, wo sie seine Halsschlagader vermutete. Sie wollte nur noch zwei Dinge: ihn los werden und dann sofort nach Hause. „Stimmt. Daher habe ich mich auch bei dir festgehalten. Du schwimmst sogar ohnmächtig wie ein Stück Korken auf dem Wasser“, war die dazu passende Antwort. „Aber die Strömung hat uns dann vor der Küste getrennt. Ich habe dich eben erst gefunden.“ Das klang zwar alles plausibel, warum er sie hatte so halb im Wasser liegen lassen, aber ob es tatsächlich der Wahrheit entsprach, war nur schwer zu beurteilen. Es war jedoch eines gewiss. Sie beide steckten in einer ähnlichen Lage. Kein Schiff weit und breit und die Insel für beide unbekannt. Auch wenn sie diesmal keine Seile oder Knebel ertragen musste, so war sie doch mit ihm als eine Art Zweckgemeinschaft aneinander gekettet, wenn sie diesen Ort jemals wieder verlassen wollte. Beide verließen den Strand. Dabei belauerte sie ihn argwöhnisch und er sie amüsiert. Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, doch ihr Reiseziel war immer noch namenlos. Kapitel 18: 18 - Richtung Südost -------------------------------- Pünktlich am sechsten Tage schlug das bis dahin heiße Sommerwetter um. Ein frischer Luftzug vom offenen Meer kam auf. Es roch salzig und nach frischem Regen. Gegen Nachmittag bildeten sich große schwere Cumuluswolken. Sie sahen aus wie bauschige Zuckerwatte und trieben im Winde zu immer neuen Formen auf. Sie waren die Vorhut einer Sturmfront, die ihnen auf dem Fuße folgen sollte. Usopp, Chopper und Luffy lagen auf dem Rasendeck der Sunny, starrten in den Himmel und hatten einen Heidenspaß daran, immer neue Figuren in den Wolken zu sehen. Aus einem rasenden Seezug wurde eine brennende Rakete. Ein wildes Pony deformierte sich zu einem pausbäckigen Apfel. Dazwischen viel Gelächter und Diskussion, denn in jeder Wolke konnte einer der Dreien immer etwas Neues entdecken, was der andere erst erahnen musste. Wenn gar nichts erkannt wurde, dann sah man nur fuchtelnde Arme und auf den Himmel zeigende Finger, die dem Mitbetrachter etwas erklären wollten. Nami seufzte über den erwachsenen Kindergarten im Gras und mahnte zur Wachsamkeit. Quellwolken von diesem Format am Firmament waren stets ein Zeichen für ein heranziehendes Gewitter. Schon am Abend war der Himmel schwarz geworden. Über den wilden Wellen auf hoher See blitzte und zuckte es. Ein Donnergrollen rollte über die endlos nasse Oberfläche bis zur schützenden Hafenmauer, die sich unbeeindruckt zeigte. Längst hatte sich der Seegang verändert. Das türkisfarbene Wasser wechselte zu einem unruhigen Hellgrau, welches das letzte Sonnenlicht reflektierte. Dann wurde es marineblau und wob mit hohen, langen Wellen voran. Sie zerschellten wild an der Hafenmauer. Gischt spritzte herüber, konnte der Sunny aber nichts anhaben. Es war Essenszeit, als die Navigatorin der Crew mitteilte, dass es wohl ein heftiges, aber kurzes Unwetter geben würde. Man mampfte die Speisen gemeinsam in üblicher Sitzordnung und so blieb es nicht verborgen, dass ein Platz leer blieb. „Verirrt sich der Marimo jetzt auch schon auf unserem eigenen Schiff oder warum ist der nicht da?“, fragte Sanji in die Runde, unschlüssig, ob er den Teller des Nakamas schon wieder abräumen oder noch stehen lassen sollte. „Wo soll der sein? Oben im Krähennest natürlich“, kam es von Usopp und Chopper im Chor. Richtig, Tashigi sprach bei ihrem letzten Anruf davon, dass ihre Fregatte den Hafen von Shimotsuki in sechs Tagen erreichen könnte und das wäre nun heute. Vom Krähennest sah man etwas weiter über die Horizontlinie hinaus als von Deck. Passend zu ihren schlechten Nachrichten brachte sie das dazugehörige Wetter mit. Tellerklappern mischte sich mit den erstem Platschen großer dicker Tropfen an die Fensterscheiben des Speisesaals. Sie liefen schlängelnd herab, hinterließen nasse Streifen auf dem Glas und verwischten die Sicht. Zu wenigen Tropfen gesellten sich mehr und mehr. Bald wurde aus einem lauen Sommerschauer ein bindfadenartiger Starkregen. Der Donner knallte nur so über ihren Köpfen wie die Schmiedehämmer des Teufels persönlich. Blitze explodierten förmlich und tauchten für den Bruchteil von Sekunden die Mensa in gespenstisches Blitzlicht. Franky schimpfte das Rentier aus. Es hasste Gewitter, aber da Zoro oben im Ausguck verweilte, musste es sich mit dem nächstbesten Kopf begnügen, an dem es sich aus Angst festkrallen konnte. Luffy fand das Ganze derart komisch, dass er sich lachend den kugelrunden Futterbauch hielt, war dann aber ganz angetan von den schräg schaurigen Tönen, die Brook aus reiner Ideenlosigkeit heraus auf seinem Klavier zauberte und das Unwetter musikalisch untermalte. Der Kanonier, bis dahin doch recht mutig trotz der Wettererscheinungen, prophezeite der Mannschaft, dass sich sicherlich nun bei solch einer düsteren Stimmung der Himmel auftun und sie alle aufsaugen würde. Der Navigatorin wurde es zu bunt. Sie unterband den Trubel mit einer Runde Kopfnüssen just zu dem Zeitpunkt, als die Tür aufgestoßen wurde. Der Sturm peitschte Regen herein, eine Wasserlache bildete sich schnell zu den Füßen des Eindringlings, der unter einem klatschnassen Regenponcho und einem grellen Blitz von außen einen furchterregenden Umriss warf. Ein Gekreische aus Namis, Usopps und Choppers Kehle lärmte einem verwunderten Zoro entgegen, dem nur die Frage blieb, ob denn allesamt närrisch geworden wären. Er schob die Kapuze vom Kopf und klärte knapp auf: „Sie kommen!“ „Was? Wo?“ Luffy, der sonst mit den Armen, war diesmal mit den Beinen voraus, überrannte fast seinen klatschnassen Mitstreiter und hängte sich mit großen Augen über die Reling. Dicht hinter ihm folgte der Schiffsbauer, der die Fregatte nur vom Hörensagen kannte und sich nun ein Bild über das Schiff machen wollte, welches doch tatsächlich den sehr weiten Weg in sehr kurzer Zeit bewältigte. Das Rentier trottete neugierig hinterher. Über soviel überschäumendes Engagement zuckte Zoro nur mit den Schultern. Die Mastspitzen der Fregatte waren gerade erst schemenhaft über der Kimm aufgetaucht. Tashigis Mannschaft würde auch wegen des Sturmes sicherlich noch ein, gar zwei Stunden brauchen, ihr Schiff in den sicheren Hafen zu steuern. Nach all den Jahren auf See hätte sich die Langsamkeit der Seeschifffahrt eigentlich in der Piratenmannschaft herumsprechen müssen. In Anbetracht des nun flotten Verhaltens war dieses wohl weniger der Fall und zeugte nicht davon, dass sie erfahrene „See“-Räuber, sondern wohl immer noch eine Gruppe derer waren, die mit mehr Glück als Verstand segelten. Jedenfalls war Abwarten im strömenden Regen eher unangebracht. Vermutlich würde die Drei dort draußen diese Erkenntnis in wenigen Minuten ebenfalls ereilen und sich wieder ins Trockene bequemen. Zoro steuerte seinen Platz am Tisch an. Es hatte noch nie feste Plätze am Esstisch gegeben, doch über die lange Zeit hinweg hatte jeder einen der Stühle dauerhaft für sich angenommen. Die letzten Überreste aus den Schüsseln kratzend füllte sich sein Teller schnell. Nur der Reis war anscheinend schon aus. Er hob die Schüssel mit einer fragenden Geste zum Smutje an. Doch anstelle einer aufgefüllten Schüssel folgte nur ein Kochtopf, in welchem am Boden noch die letzten Reiskörner hingen. Futter aus dem Napf. Mehr war er in Sanjis Augen nicht wert und das würde sich in Zukunft auch nicht ändern. Allerdings hatte Zoro seinerseits es vor Jahren aufgegeben daraus einen großen Krieg zu veranstalten, obgleich es ihm immer mal wieder in den Fingern juckte, dem Kochlöffel gepflegt einen über zu braten, sollte dieser unverschämt werden. Es waren keine fünf Minuten verstrichen, da kam ein maulendes Trio wieder durch die Tür zurück. Man beklagte den Sturm, den Regen von allen Seiten und dass man von Deck gar nicht über die Hafenmauer aufs offene Meer sehen konnte. Überhaupt war es viel zu dunkel, um generell ein Schiff auf dem Meer aus zu machen. Ob Zoro sie wohl angeschmiert hätte? Dieser verschluckte sich beinah an seine Essstäbchen vor Lachen. Seine Freunde waren allesamt einfach unverbesserlich. Brooks Klaviergeklimper verstummte. Das Skelett sackte etwas zusammen und eine grüne Nebelwolke fuhr direkt nach oben durch die Decke. Kurz darauf fuhr seine Seele wieder zurück in seinen Körper und konnte berichten, zwischen den meterhohen Wellen ein Marineschiff erspäht zu haben. Die Ankunft würde sich noch eine ganze Weile hinziehen. Dann nickte er ein, denn das Verlassen der Seele vom Körper war eine nicht wenig anstrengende Übung. Die Runde in der Mensa löste sich langsam auf. Robin half Sanji mit ihren unzähligen wachsenden Händen beim Abräumen des Tisches und verschwand dann mit Nami in der Bücherei, welche noch ihre Seekarte vervollständigen wollte. Luffy und Usopp wurde noch vor dem Wegschleichen vom Koch zum Küchendienst verdonnert, während Chopper gerade noch flugs die Tür zu seiner Praxis von innen zuklappen konnte. So blieben nur der Schiffsbauer und der Hanyô am Tisch übrig. Letzterer wies auf eine beunruhigende Stelle in der Takelage hin und vermutete einen nahenden Mastbruch. Und schon hatte beide das Unwetter wieder. Die drehenden Winde klatschten von allen Seiten die beiden Piraten mit dem kalten Nass an, als hätten sie Hände voller Wassereimer zu verteilen. Franky und Zoro hatten es nicht einmal über das Deck bis zum Hauptmast geschafft und waren schon durchnässt bis auf die Knochen. Das Ölzeug, welches sie sich übergezogen hatten, hätten sie sich sparen können. Ohne Worte erklommen sie das Takelwerk in schwindelerregende Höhen nach oben. Das Wetter machte aus der Kletterei ein Selbstmordkommando. Zoro deutete stumm auf ein sich aufreibendes Seil, denn seine Worte wären im Winde zerfetzt worden und hätten nie das Ohr des Schiffsbauers erreicht. Dieser sah aber auch so das Problem, welches eine große Gefahr für Schiff und Crew in sich barg. Er machte eine Handbewegung zu seinem Nakama hinüber, dass er diese Reparatur allein vollbringen könnte. Beide Wege trennten sich. Zoro verschlug es weiter hinauf in das Krähennest und Franky stieg wieder hinab. In seiner Werkstatt würde er das notwendige Werkzeug finden. Mit einem lauten Rumpeln schlug Zoro die Bodenluke hinter sich zu, streifte sich den Regenponcho ab und warf ihn zum Trocknen über den Hantelhalter. Er nahm auf der umlaufenden Bank platz und starrte auf die vielen Regentropfen, die das transparente Fenster zu einem Ornamentglas werden ließen. Als er Tashigis Fregatte vor einer guten Stunde ausmachen konnte, hatte das Unwetter erst begonnen. Nun war es im vollen Gange und selbst von hier oben war nichts mehr zu sehen. Es blieb zu hoffen, dass sie heile den rettenden Hafen erreichen würde. Er mochte diesen Ort hier oben. Man schwebte nahezu über allem. Über der häufig lauten Crew, über den tosenden Wellen und manchmal auch über allen seltsamen Gedanken, die einen in der Stille heimsuchten. Nirgends hatte man mehr Ruhe als hier oben. Ob man nun schlief, trainierte oder einfach nur aus dem Fenster sah und das Wetter beobachtete. Nie hätte er gedacht, dass das Spiel zwischen Meer, Wind und Wolken derart verschieden sein konnte. Eine unzählige Vielfalt an Farben und Formen. Ein Wunder, dass Nami ihm bis dato diesen heiligen Platz nicht schon streitig gemacht hatte, um ihre Wetterprognosen zu verfeinern. Um Nichts in der Welt würde er sein Krähennest hergeben wollen. Doch es war nicht nur die Aussicht und die Ruhe, die diesen Ort so speziell machten. Mittlerweile verband er so einige Erinnerungen mit diesem Raum, die über Schlafen, Saufen und Trainieren hinausgingen. Und es waren allesamt gute Erinnerungen. So genau, wie es Nami vorhergesagt hatte, so schnell zog das schlechte Wetter ab. Auch ohne Fernglas war die Fregatte nun mit bloßem Auge zu sehen, als die Wolkendecke aufriss und die Sonnenstrahlen eine Lichtbrücke zwischen Meer und Himmel bildeten. Der Seegang hatte sich beruhigt. Kleine Wellen in grau-gelber See schoben das Schiff seinem Ziel entgegen. Unter vollen Segeln kam es rasch näher, passierte später die Hafendurchfahrt und legte direkt neben der Sunny an. Die Strohhutmannschaft hatte sich wieder an Deck versammelt und staunte: Das Piratenschiff wirkte neben dem Marinegeschoss wie eine kleine Nussschale. Kein Wunder, immerhin beherbergte Tashigis seetüchtiger Untersatz eine an die dreihundertköpfige Truppe, die irgendwo untergebracht sein wollte, auch wenn man die Betten in Schlafschichten mehrfach belegte. Noch bevor eine Entscheidung getroffen werden konnte, ob die Piraten sich nun zu den Soldaten oder umgekehrt bewegen würden, hatte der Strohhutjunge in seinen Augen schon alles Griff. Im wahrsten Sinne des Wortes streckte er seine Gummiarme aus, umschlang den gegnerischen Masten und katapultierte sich mit einem Nakama hinüber. Es folgte ein lautes Scheppern und Krachen, dann Luffys fröhliches Lachen und Zoros kurzes Fluchen. Ein Zeichen für eine perfekte Bruchlandung. Die Mannschaften auf beiden Seiten begafften wortlos die Flugaktion. „Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen!“ fragte Luffy höflichst mit einem breiten Grinsen, um die allgemeine Form zu wahren, die man pflegte, wenn man ein fremdes Schiff betrat. „Du bist doch schon da!“ wurde ihm durch eine sanfte Stimme diese Erlaubnis nachträglich erteilt. „Erlaubnis erteilt!“ Tashigi stand auf der Brücke und blickte den beiden Bordgästen lächelnd entgegen. Sie wirkte wie eh und je, doch die Flügel eines roten Schmetterlings leuchteten wie zwei lodernde Flammen an ihrem Hals und waren auch von einer näheren Entfernung nicht zu übersehen. Im Dämmerlicht des Abends leuchteten sie greller als sie es ohnehin schon taten. Ein schauriges Mal zum Fürchten schön. Mit schwarzen Gedanken und schwerem Herzen war sie gereist. Ständig hatte sie überlegt, ob die Entführung ihrer Tochter nicht zu verhindern und es allein ihre Schuld gewesen wäre. Die Fahrtzeit war für sie unerträglich lang gewesen. Nun aber wieder bei den Strohhutpiraten zu sein, ließ alle Sorgen und Zweifel verschwinden. Bei Luffy gab es keine Probleme, nur Lösungen, obgleich ihr Freund zu sagen pflegte, wer Luffy kenne, der bräuchte nicht unbedingt Feinde zu kennen. Erlöst rief sie der übrigen Mannschaft hinüber, sie solle folgen. Einem geringen Teil der Soldaten waren die Verbindungen zwischen ihrer Admiralin zu der Strohhutbande bekannt. Demnach scherte es sie nicht im Geringsten, als die Piraten die Fregatte eingeladen enterten. Es schien das normalste der Welt zu sein, steckbrieflich Gesuchten Tür und Tor zu öffnen. Der Großteil der Truppe wunderte sich sehr, beäugte skeptisch das Geschehen und wusste nicht so recht damit umzugehen. Man tuschelte vor sich her. Der schlaksige schwarzhaarige Mann sollte tatsächlich der Piratenköniganwärter Nummer Eins sein? Das war der Sohn des Revolutionärs und Enkel des Admirals? Und das daneben war wirklich der Schwertkämpfer mit den dämonischen Kräften? Wenn man die beiden etwas zerbeult durch ihren Flug dort stehen sah, konnte man es kaum glauben. Unglaublich, dass die Crew noch nicht einmal ein ganzes Dutzend an Personen zählte, aber derart Chaos in der Welt verursachte. Wo sie auftauchten, blieb kein Stein auf dem anderen, und dabei raubten und brandschatzten sie nicht einmal, wie es sich für eine ordentliche Seeräuberbande gehörte. Und das Schiff erst. Eine Brigantine. Welche Piratenbande fuhr mit eine Brigantine übers Meer? Für die Soldaten gab es reichlich Gesprächsstoff und eine Lektion über den Unterschied zwischen Fiktion und Realität. Weder die Admiralin, noch die Piraten beachteten die schwatzende Truppe. Man ließ sie an Ort und Stelle auf ihren zugewiesenen Posten stehen und verließ die Brücke. Kurz darauf fanden sich alle in einem Versammlungsraum wieder, der üblicher Weise nicht Piraten, sondern Marineoffizieren vorbehalten war. Man tauschte aufgeregt und hitzig die Ereignisse der vergangenen Tage aus, wälzte Seekarten und kam lediglich überein, in allen Punkten planlos zu sein. Man konnte trotz Vivrecard nicht herausbekommen, wo Taiyoko sich aufhielt. Nami berechnete einen möglichen Korridor, den man hätte absuchen können. Doch in diesem lagen gut eine Handvoll Inseln. Sicherlich hätte man diese abklappern können. Dagegen sprach allein die Fahrzeit dorthin. Das Mädchen müsste sich eine ganze Weile an einem und dem selben Ort aufhalten, um aufgelesen zu werden. Würde sie ihren Standort verändern, müsste ein neuer Kurs berechnet werden und es kämen wieder neue Suchorte in Betracht. Seit gut drei Tagen hatte die Vivrecard die Richtung geändert und wanderte permanent nach Südost. Die Stecknadel im Heuhaufen bewegte sich. Tashigi war geschockt. Nicht nur, dass ihr Kind irgendwo auf der Welthalbkugel herumgeisterte, Zoro hatte ihr wohlweislich die Information unterschlagen, dass die Ränder der Vivrecard langsam glühten und verbrannten. Sie war außer sich und konnte dieses Geheimnis weder nachvollziehen, noch akzeptieren. Erst nach einem heftigen Wortwechsel, indem sich alle angestauten Emotionen entluden, konnte sie sich allmählich beruhigen. Schluchzend verbarg sie ihr tränennasses Gesicht an der Schulter ihres Freundes, der sie im Arm hielt und leise auf sie einredete. Es war schwer ihr Mut zu machen, hätte er selbst in dieser Situation am Liebsten innerlich ausrasten können. Mit dunkler Miene saß der Strohhutkapitän auf seinem kippenden Stuhl, hatte die Füße auf der Tischplatte abgelegt und die Arme verschränkt. Man vermochte dem Hirn unter der Strohhut gerade zu eine grübelnde Arbeit ansehen. Die breite Krempe verbarg das nachdenkliche Gesicht. Auch der Rest der Mannschaft schwieg ratlos. Irgendwann hob Luffy seinen gesenkten Kopf und starrte ernst in die Runde. Ein Zeichen dafür, dass er eine unanfechtbare Entscheidung getroffen hatte. „Wir behalten unsere vorherige Route bei und fahren nach Marijoa. Das scheint ja mit Taiyokos Aufenthaltsort von der Richtung her überein zu stimmen. Nach Südost. Steht das Angebot mit der Schleuse noch?“ Tashigi wischte sich mit dem Handrücken die letzte Träne aus dem Augenwinkel. Erstaunt drehte sie sich um und bejahte die Frage. Damit war alles geklärt und der nächste Schritt klar. Die Runde löste sich auf. Die Poop auf der Fregatte war inmitten der Nacht wohl der ruhigste Teil des Schiffes. Mit ihrem Teakholzboden und der einladenden Gartenbestuhlung wies sich dieser Schiffsteil ganz klar für einen begrenzten Besucherkreis aus. Man überblickte relativ geschützt das gesamte Ober- und Backdeck, auf welchem nur noch die Nachtwache ihre Runden zog. Gelegentlich flammte ein Streichholz auf und ein orangefarbiger Punkt glimmte durch die Dunkelheit. Die Truppe qualmte Zigaretten trotz Rauchverbots an Bord. Tashigi tolerierte diese Befehlsverweigerung weitgehend. Man hatte andere Sorgen als sich an ein paar Rauchern abzuarbeiten. Jeder Fehltritt der Crew war von hier oben genau zu überblicken und das war bei der Besatzung bekannt. Selbst der Ausguck weit oben im Krähennest konnte den strengen Augen der Admiralin nicht entkommen. In den Liegestühlen lümmelten anstelle der wachhabenden Offiziere Zoro, Chopper und Tashigi unter einem sternenklaren Himmel. Hier draußen an der Hafenmauer gab es keine störenden Straßenlaternen oder helle Gebäude, die mit ihrem Leuchten die Nachtschwärze verschmutzten. Am anderen Ende der Mauer wurden die letzten Lichtquellen gelöscht. So erschien der blanke Mond gegen die tausende und abertausende Sterne um so heller. Selbst die See hatte sich beruhigt und nun wohl schlafen gelegt. Sie war spiegelglatt und blau-ölig. Kaum ein Wellenschlag war zu hören. Mit einem letzten Schluck Sake war eine Flasche um ihren Inhalt gänzlich beraubt und wurde geleert auf den Boden gestellt. „Du hattest recht“, durchbrach Zoro die Stille. „Ich hatte mal recht? Mit was denn?“ fragte sie verwundert zurück. Sie hatte öfter mal recht, aber das konnte ihr Freund häufig auf den Tod nicht leiden, womit sie ihn dann eben so häufig aufzog. Auch Chopper drehte erstaunt den Kopf. „Ich hätte schon viel früher nach Shimotsuki zurückfahren müssen.“ Eine grummelige Erkenntnis. Ob er nun wollte oder nicht, stets kehrten die Bilder der vergangenen Tage wie ein Film auf Endlosschleife zurück. Also begann er ihr zu berichten. Wie er zum ersten Mal bewusst die Wegsteine mit dem Schmetterling wahrgenommen hatte, wie an Kuinas Grab ein roter Schmetterling auftauchte und ihn flatternd auf den schwarzen Berg zum Kureha-Schrein einlud. Später, als ein Teil seiner Freunde auftauchte und glücklicherweise Robin unter diesen war, konnte die Archäologin ihm die Übersetzung der Porneglyph-Inschriften tief im Untergrund beim Höllenschlund bestätigen. Es gab ein uraltes Purpurritual zwischen Zwillingen und passte überhaupt nicht auf Kuinas und Tashigis Lebensgeschichte, doch irgendein Zusammenhang musste zweifelsohne vorliegen. Sie hatte aufmerksam zugehört. Dem Rentier hingegen schlackerten bei soviel Hokuspokus-Märchen die Ohren. Er war froh, nicht dort oben bei diesem Schrein gewesen zu sein. Und auf so einen Wald voller gehenkter Geister konnte er ebenso verzichten. „Mein Mal erwachte, als du bei ihrem Grab warst“, stellte sie fest. „Hmm...“, war alles, was Zoro im Augenblick dazu sagen wollte. Auch für die Schmetterlinge gab es keine Lösung, obgleich er eine vage Ahnung hegte, worum es ging und das betrübte ihn. Kuinas Geist fand keine Ruhe. Wollte sie das, was er sich zurecht spann? Zum Teufel, was sie wirklich wollte. Kapitel 19: 19 - Regatta ------------------------ Wind von Westen blies die Segel voll und trieb die Schiffe eilig voran über ein dunkelblaues Meer mit weißen Schaumkronen. In manövrierfähigem Abstand segelten sie beide einen ganzen langen Tag zügig nebenher. Am zweiten Tage geschah es, dass aus einer Wette heraus ein Wettkampf entbrannte. Natürlich hatte der Schiffsbauer der Piraten mit dem Leitenden Ingenieur der Marine beim Aufeinandertreffen im Hafen von Shimotsuki lange ausführlich über technische Konstruktionen in Bezug auf maritim-taugliche Fahrzeuge fachsimpeln können. Und nun ging es um die Ingenieursehre. Wer würde die Schleuse von Marijoa schneller erreichen? Die Brigantine oder die Fregatte? Da wurden die Crews in die Wanten gejagt, exakte Seewege berechnet, Haken auf See geschlagen und wilde Anfeuerungsrufe übers Deck gebrüllt. Man arbeitete mit allen Mitteln, die eher für heitere Lacher sorgten und von allen nicht wirklich ernst genommen wurden. Die Fregatte begann unter anderem alles an Überflüssigem ins Meer zu verklappen, um leichter zu werden. Ein halber Hausrat schwamm im Wasser und Tashigi war mehr als erstaunt, mit wie viel Klimbim man zu reisen pflegte. Doch es zeigte Wirkung und die Fregatte konnte wieder eine Buglänge an Boden gutmachen. Nachlassen galt nicht, weshalb die Admiralin oben auf der Poop stand und mit einem Megaphon ihre Truppe anheizte. Sie ging mit ganzem Körpereinsatz in ihrer Aufgabe auf. Niemand hätte ihr zu widersprechen gewagt. Das Sprachrohr konnte nicht nur die Lautstärke ihrer Stimme erhöhen, sondern noch alle möglichen Geräusche erzeugen. Von simulierten Warnschüssen über Sirenengeheul gab es eine breite Auswahl, die Tashigi nur zuerst dadurch entdeckte, weil sie die Flüstertüte mit ihren schwergängigen Schaltern falsch einstellte. „Hey, so´n Krachmacherteil will ich auch haben!“ brüllte Luffy mit sternenleuchtenden Augen über den halben Ozean und streckte gierig die langen Gummiarme danach aus. Er war nicht erfolgreich, denn der Marinekapitän unter Tashigis Fuchtel zackte das Schiff wieder ab. Es hätte nicht viel gefehlt und der Gum-Gum-Frucht-Besitzer wäre kopfüber in die Wellen gerauscht. Grund genug für ihn sich zum Ballon aufzublasen und die gesamten Lungenflügel in Richtung Piratensegel zu entlüften. Die Sunny stob in einer gefährlichen Schieflage davon. Gekeife von der Navigatorin folgte, die ihr heißgeliebtes Schiff schon mit dem Mast Deckunter sah. Franky freute sich wie ein kleines Kind vor dem Weihnachtsabend und ließ Namis Einwände abprallen. Die Sunny war wie ein Stehaufmännchen konstruiert. Der Kiel aus Adamholz war so schwer, dass das Schiff sich sofort wieder aufrichten würde, würde es Schlagseite bekommen. Andere Schiffe würden kentern. Die Sunny jedoch drehte die wohl größte Eskimorolle der Welt. Sie jagten den ganzen Tag und die ganze kommende Nacht übers Wasser. Man schenkte sich keinen Meter. Beide waren gleichauf. Abwechselnd schob sich mal der eine, dann der andere Bug voran. Einer aufgehende Sonne entgegen suchte man bereits die Kimm nach dem Ziel ab. Ein feiner roter Streifen verriet die vor ihnen liegende Redline. Die Fregatte hatte den Vorteil der hohen Besatzungszahl. Eine Schicht wechselte die nächste ab. Kräfteversagen und Übermüdung unwahrscheinlich. Bei den Strohhüten hingegen schenkte Sanji bereits die gefühlte hundertste Runde Kaffee und Cola mit einer Portion Extra-Koffein aus. Chopper protestierte, sie würden allesamt an Bluthochdruck und Herzkasper draufgehen. Seine Einwände gingen durch eine größere Entdeckung unter. „Himmel, was ist das denn?“ Usopp hatte durch seine Fernbrille Wellen ausgekundschaftet, die nicht wie üblich quer über das Wasser rollten, sondern wie Wassersäulen erst hoch aufschossen, um dann in einem Wasserloch tief zu versinken. Wasser peitschte hoch, Wellen schlugen über dem Deck zusammen, Gischt klatschte an die Planken. Aus einem eben noch herrlichen Seegebiet unter einem knallblauen Firmament war ein Labyrinth aus Wasserfontänen geworden. „Die Beine der Skylla!“, schrie Nami gegen das Getöse an. „Die WAS?“ Als das legendäre Mädchen Skylla einst verflucht wurde, ward ihr Unterleib zu Hunden geworden. So entstellt säße sie an einer Meerenge und brächte vorbeifahrenden Schiffen den Tod. Da die Fontänen stampfenden Tierbeinen glichen, nannte man diese Art der Wellen Skylla-Beine. Usopp, sonst immer an Legenden interessiert, hatte diesmal kein Ohr dafür. Er hing mit Brook und Chopper am Steuerrad, um ihr Schiff auf Kurs um die Wassersäulen zu halten. Die Brigantine war wendiger. Dafür war die Fregatte außerhalb der Kurvenlage schneller. Es war sinnlos, noch weiter unter vollen Segeln zu stehen. Zusammen mit Sanji und Robin holte Zoro das Hauptsegel ein, was sich angesichts der Skylla-Beine als unliebsame Aufgabe entpuppte. Es ließ sich vergleichen, als würde man mit einem Fuhrwerk über eine Landstraße voller Schlaglöcher hinweg heizen und im Sekundentakt einen Eimer Wasser über den Kopf bekommen. Seefahrt hatte auch unausgesprochene Nachteile. Einzig Luffy hatte seinen Spaß. Er thronte auf der Galionsfigur, gab undeutbare Anweisungen und lachte aus vollem Halse. Namis Gezeter überhörte er großzügig. Franky hatte mit seinen Freunden nach den letzten durchkämpften Stunden Mitleid und bat Nami um eine ungefähre Richtungsanzeige. Hinter diesem Gebiet müsste in der Redline die angepeilte Tunneleinfahrt liegen. „Alle Mann festhalten! Coup de Bust!“ Raketenartig hob die Sunny ab und flog aus der Gefahrenzone heraus. Pfeilschnell erreichte sie ihre Flughöhe und glitt nahezu lautlos durch die Lüfte. „Ihr elendig cheatendes Piratenpack!“, kreischte Tashigi ihnen durch das Megaphon hinterher. Der Coup de Bust! So etwas Unfaires! Es war doch ein Seerennen und kein Flugrennen. Da hätte sie ja genauso gut den Dampfantrieb ihres Schiffes einsetzen können, obgleich auch dieser bei dem Coup de Bust das Nachsehen hätte. Mit einem tomatenroten Kopf und kochenden Blutes warf sie sich sauer in den Liegestuhl auf der Poop und zog eine Schnute wie sieben Tage Regenwetter. Es stand eindeutig 1:0 für die Piraten. Immer noch die Flüstertüte in den Händen haltend herrschte sie ihre Crew an, der Thousand Sunny zu folgen. Spätestens vor der Redline würden sie wieder aufeinander treffen, wenn es um die Zufahrt in den Tunnel nach Marijoa ging. Dieser war nämlich ausschließlich Schiffen mit Spezialgenehmigung vorbehalten. Sie bezweifelte stark, dass der Coup de Bust die Sunny bis auf die Redline hinaufpusten würde. Es wäre zwar für Luffy ein Abenteuer ganz in seinem Sinne, doch Franky würde wohl kaum einen Totalschaden riskieren. Noch einen letzten Blick den fliegenden Piraten nachwerfend, gab sie den Befehl das Tempo auf eine normale Geschwindigkeit zu drosseln. Das Rennen war gelaufen. Die Piraten wussten, was sie die letzten Stunden ohne Pause geleistet hatten. Sie spürten in jeder einzelnen Faser ihrer geschunden Körper erschöpfende Müdigkeit. Man rappelte sich zusammen und so dauerte es nicht lange, bis sie sich alle auf dem Rasendeck eingefunden hatten, um dort halbtot zu verweilen. Man trennte sich vom nassen Ölzeug, wrang weitere Kleidungsstücke aus und entleerte Schuhe vom Meerwasser. Zoro schlug seinen Poncho aus und ließ ihn zum Trocknen über der Leine nahe der Reling im Winde flattern. Vermutlich war er der einzige Pirat auf allen Meeren, der nicht nur solch ein Kleidungsstück in Marineoptik besaß, sondern ihn auch nutzte. Denn nach all den Seefahrten hatte es sich dann doch herauskristallisiert: Die Ponchos der Marine waren die tauglichsten. Ebenso der Bordparka. Windabweisend, wasserdicht, atmungsaktiv und für eine Frostbeule wie ihn absolut wärmend. Sollten sich doch die restlichen Nakamas mit ihren Klamotten bei schlechter See ärgern. Als die Sunny ihren Kiel aus dem Wasser hob und sich vom Meer trennte, hatte er noch einmal über die Reling geschaut. Das Marineschiff wurde schnell kleiner, doch Tashigi war mit ihrer drohenden Faust gen Himmel und dem Megaphon in der Hand schnell zwischen dem quirligen Ameisenhaufen an Matrosen auszumachen gewesen. Er grinste. Es war die richtige Entscheidung gewesen, dass sie den Dienst wieder aufgenommen hatte. Das Leben auf dem Leuchtturm und in Loguetown mochte nicht das Schlechteste gewesen sein, doch hatte es sie nicht ausgefüllt. So, wie sie nun dort unten agierte, konnte sie wieder nach Herzenslust schalten und walten und würde schnell wieder voll in ihrem Element sein. „Na, darfst du dich da überhaupt nach Hause trauen? Bei dieser Schmach?“ neckte ihn Robin und riss ihn aus seinen Gedanken. Sie war mit an die Reling getreten. Viele kleine Hände tauchten mit Wäscheklammern auf und ordneten nasse Kleidung auf den Leinen. „Mal sehen“, gab er lachend zurück. Sanjis Rufe zur nächsten Mahlzeit trommelten die Piraten zurück in die Mensa. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Schiff wieder das Meer küssen und mit ihm verschmelzen würde. Die Landung der Thousand Sunny auf der Wasseroberfläche war perfekt. Sachte tauchte sie in einem flachen Winkel ein ohne mehrmals aufzusetzen. Nahezu unmerklich und erschütterungsfrei. Dagegen war die Begrüßung der Piraten in diesem Seegebiet das vollkommene Gegenteil. Am Horizont strahlte majestätisch schön die Redline. Steilhänge aus magentafarbenem Sand stachen aus der nachtblauen See. Der obere Teil des Kliffs versank in undurchdringlichen Nebelwolken. Irgendwo aus diesem Dunst bescherte ein unbekanntes Empfangskomitee der Brigantine einen Kanonenhagel. Salve um Salve verpassten das wendige Piratenschiff nur knapp und klatschten in das Wasser. Fontänen ähnlich der Skylla-Beine stiegen auf und Chopper nannte es vom Regen in die Traufe. „Siehe an, die Marine. Bei denen herrscht immer BOMBEN-Stimmung!“, stellte Brook nüchtern fest und riss das Steuerrad herum. Es war an der Zeit, dass Feuer zu eröffnen. Usopp gab sich wirklich größte Mühe, doch ohne den Feind erkennen zu können, war es selbst ihm schwer, die Marinestellungen zu treffen. Da die Gegenangriffe der Marine sich jedoch stark verringerten, musste er trotz alledem Erfolg gehabt haben. „Jungs, wir drehen ab und warten knapp außerhalb der Reichweite auf Tashigi. Die werden ja wohl nicht auf ihr eigenes Schiff schießen!“ Nami fand ihre Anweisung absolut vernünftig. Allerdings hatte man genug Erfahrung mit der Marine gesammelt, dass einen in deren Handlungsweisen nichts überraschen durfte. Selbst wenn die Sunny die Fregatte als Schutzschild missbrauchen würde, hieße es noch lange nicht, dass es auch funktionierte. Tashigi ließ nicht lange auf sich warten. Die Piraten hatten kaum Anker gesetzt, da war das Marineschiff schon mit bloßem Auge zusehen. Keine Stunde später hatte sie den Liegeplatz der Sunny erreicht. Wie besprochen wurde diese so an der Fregatte vertäut, dass man denken müsste, das Piratenschiff wäre als Beute eingenommen und nun abgeschleppt worden. So machte man sich auf zu einer Höhle, deren Innenleben nach Tashigis Beschreibungen fantastisch klang. Es wäre nämlich keine Schleuse, wie man es auf allen Blues erzählte. Auf dem nördlichen Teil der Redline zerschnitt ein breiter Strom den Kontinent in eine westliche und eine östliche Landhälfte. Sein hoher Eisengehalt färbte das Wasser so sehr, dass es ebenso rot wie das Gestein der Redline selbst war. In den nördlichen Vulkangebirgen als winzige Quelle entspringend, nährte er sich aus den riesigen Sumpfgebieten zu einem Fluss und vereinte sich mit unzähligen Nebenflüssen zu einem unüberbrückbaren Wasserhindernis. Es gab eine einzige Stelle, die dieser Naturgewalt ein Ende bereitet. In der Nähe des Calm Belts war der Kontinent durch unzählige Erdfälle und Höhlen durchlöchert. Hier fraß sich der ewig breite Strom unaufhaltsam in einem Canyon durch das Erdreich und stürzte als unendlicher Wasserfall in ein unvorstellbar großes Erdloch. Durch unterirdische Höhlen gelangte das Wasser des Stroms in den East Blue, den North Blue und auf die Grandline. Technisch versierte Tüftler hatten sich dieses geographische Geschenk zu nutzen gemacht. Es war möglich, durch unzählige Höhlen und künstlich in den Berg gesprengte Tunnelsysteme zu einem unsichtbaren See zu gelangen, in welchen der Wasserfall mündete. Dort bewachte die Marine eine Ingenieurskunst vom Feinsten: Das wohl größte Schiffshebewerk der Welt. Die Schiffe schleusten in eine wassergefüllte Stahlwanne ein. Der Wasserfall füllte eine zweite Stahlwanne als Gegengewicht, wodurch die Wanne mit dem Schiff langsam in einem Stahlturm nach oben geschraubt wurde. Oben angekommen musste sich der Kapitän entscheiden, in welchen der vier Meere er nun weiterzufahren pflegte. Es gab auch die Möglichkeit, mit dem Schiff dort oben in einem unterirdischen Frachthafen zu sündhaft hohen Hafengebühren anzulegen. Dann führte ein breite Straßenröhre schnell an die Oberfläche der Redline, wo ein Zollhäuschen den Durchgang blockierte. Hatte man den Zoll überwunden, so war man nahe der Stadttore von Marijoa. Langsam ließ sich das Piratenschiff im Schlepptau der Fregatte mitziehen. Unter den strengen Beobachtern der Küstenpatrouille, welche in Wachgängen und Felstürmen aus ihren Schießscharten heraus starrten, wurde jede Bewegung registriert. Bis an die Zähne bewaffnet, mit Flak und Kanonen bestückt, beäugten die Soldaten aus ihren Stellungen misstrauisch das sich nähernde Marineschiff. So bequem der Zugang zu Marijoa war, so unbequem wurde er überwacht. Nur die Marine, Weltaristrokraten, Mitglieder der Weltregierung und Diplomaten hatten Zutritt. Ferner gelangten ausgewählte Händler in die Stadt. Für Touristen war sie nahezu unerreichbar. Das noble Einwohnervolk blieb gerne unter sich. Die Fregatte näherte sich der Tunneleinfahrt, die zwischen den zerklüfteten Felsen nur schwer auszumachen war. Die Admiralin gab die Anweisung eine Nachricht per Flaggenalphabet zu übermitteln. Das Piratenschiff wäre leer aufgegriffen worden. Von der Besatzung keine Spur. Man schenkte ihr Glauben und gab die Einfahrt in den Tunnel frei. Erstaunlich, wie leicht das ging. Tashigi hatte nicht zu viel versprochen. Lampen an den Wänden beleuchteten dämmerig ein Labyrinth an Röhren und Höhlen. Manche waren eng und flach, andere dagegen breit und so hoch, dass die Decke von der Dunkelheit verschluckt wurde. Stalaktiten und Stalagmiten in den Tropfsteinhöhlen formten bizarre Gebilde und gaben der Kopffantasie genug Steilvorlagen für märchenhafte Interpretationen. Kristallklares Wasser ruhte in dieser verborgenen Welt und gab den Blick bis auf den felsigen Grund frei. Fast unmerklich zog sich eine sanfte Strömung durch das Wasser. Ein Rauschen hallte durch den Berg. Es wurde lauter und lauter je mehr man ins Innere vordrang bis es in einen ohrenbetäubenden Krach endete. Der Wasserfallsee war erreicht und sowohl den Piraten, als auch den Marinesoldaten klappten die Unterkiefer herunter. Die Sonne beschien hoch oben durch eine kreisrunde Öffnung im Bergmassiv den Höhlensee und wirkte wie ein großer Scheinwerfer. Das Schiffshebewerk war wahrlich riesig und die oberste Etage von unten durch die Gischt nicht mehr auszumachen. Auch hier wurden die Ankömmlinge argwöhnisch beäugt. Soldaten klammerten sich angstvoll an ihren Gewehren fest, blieben aber auf ihren Wachtürmen in lauernder Stellung. „Luffy! Ich denke wir können unseren Plan und unsere Tarnung fallen lassen“, analysierte Robin die Sachlage. „Hä?“ Luffy hatte sich nicht damit anfreunden können, solange mit seiner Crew versteckt in der Mensa zu hocken, bis die Sunny auf der anderen Seite des Kontinents auf die Grandline gespült würde. Natürlich hätte er sich gerne Marijoa angesehen. Dass Robin nun von einer Planänderung sprach, kam ihm mehr als recht. Man hatte sich ebenso wie Tashigi und ihre Mannschaft auf den jeweiligen Decks versammelt, begaffte die Naturgewalt des Wasserfalls, bestaunte die Technik des Stahlgerüst und wunderte sich, dass von den Schleusenwärtern keine Gegenwehr kam. Erst bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass ihre gesamte Fahrt vom Tunneleingang bis hierher bildhaft übertragen worden war. Unzählige Teleschnecken klebten in den Nischen und filmten, was das Zeug hielt. „Was dachtet ihr denn, was hier los ist? Ich hatte euch doch gesagt, hier kommt keiner ungesehen durch“, rief Tashigi ihren Freunden schulterzuckend hinüber. „Das stimmt, aber sie greifen nicht an...“, grübelte nun auch Nami laut vor sich her. Für den Strohhut war sonnenklar, dass die Soldaten sicherlich angstvollen Respekt hätten und fing sich dann von Sanji eine Kopfnuss ein, nicht immer so überheblich zu sein. Bei den Piraten brach eine Diskussion aus, was nun zu tun wäre. Wenn man schon empfangen wurde, dann wäre eine Stadtbesichtigung sicherlich interessant. Allerdings gab es die Einwände, dass überall, wo ihr Kapitän auftauchte, meist verbrannte Erde hinterblieb. Ob eine Kriegserklärung mit den Weltaristrokraten so förderlich wäre? Sicherlich nicht. Ein Hinüberschielen zum Strohhutträger offenbarte aber, dass er diese Einwände wie üblich gnadenlos überhört hatte. Zudem musste geklärt werden, was mit dem Piratenschiff geschehen sollte. Man könnte es nicht einfach so dort oben allein im Hafen seinem Schicksal überlassen. Zoro hatte sich aus der Runde davongestohlen, war zur Fregatte gewechselt und bat um die Flüstertüte. „Sie wartet tatsächlich auf dich“, stellte Tashigi nüchtern fest. „Was hast du denn gedacht? Nehmt ihr unser Schiff mit rüber zur Neuen Welt? Luffy hat schon wieder stresshaltige Pläne“, kommentierte Zoro trocken die Situation. „Klar!“, gab sie zurück. „Mach nicht wieder so unüberlegte Sachen.“ Es war eher eine Bitte als ein weiser Ratschlag. Sie sah ihn grinsend und wusste, dass in den nächsten Stunden äußerst unüberlegte Sachen folgen würden. Dafür kannte sie ihn viel zu lange und viel zu gut. Stoßgebete sandte sie gen Himmel. Die ganze Bande an Impel Down zu verlieren, dass könnte sie kaum verkraften. Zoro nahm das Megaphon und teilte den Wachen umgehend mit: „Sagt Eurer Herrin, ihr lang erwarteter Besuch steht vor der Tür!“ Kapitel 20: 20 - Marijoa ------------------------ Das Megaphon war schuld, dass seine Aussage wie ein Marschbefehl von den Felswänden der Höhle widerhallte, durch Mark und Bein ging und das Blut in den Adern der ängstlich dreinblickenden Soldaten auf den Wachtürmen gefror. Erst als das letzte Echo abklang, fiel die Starre von ihnen ab und gaben überstürzt Meldung an ihre Einsatzzentrale. Keinen Moment später wurde ein knarzender Mechanismus an Hebeln, Rädern und Schiebern in Gang gesetzt. Eine überdimensionale Regenrinne klappte wie ein Schwenkarm weit oben aus dem technischen Bauwerk heraus in den Wasserfall hinein und leitete Flutwellen in eine große Stahlwanne, die sich dadurch schnell füllte und stetig an Gewicht zunahm. Ein großes Tor wurde von einer zweiten Stahlwanne geöffnet, um die Fregatte und das Piratenschiff als neue Fahrgäste begrüßen zu dürfen. So langsam, wie die Stahlwanne mit den nassen Massen volllief, so langsam erhob sich die Wanne mit den beiden Schiffen als Gegenstück. Das Rauschen des Wasserfalles und das Ächzen und Stöhnen des Schiffshebewerks dröhnten durch die unterirdische Höhle und machten jeden Wortwechsel zwecklos. So blieb es ein andächtiges Staunen aller Schiffspassagiere, wie der Höhlensee unter ihnen immer kleiner und die Dunkelheit über ihnen immer größer wurde. Bald hatte sie die Dunkelheit ganz umschlungen und nur die lärmende Geräuschkulisse begleitete sie. Doch jede Fahrt hat einmal ihr Ende: Langsam dämmerte es über ihnen. Vereinzelte Sonnenstrahlen aus einem Deckendurchbruch paarten sich mit Neonlicht. Das Tor zur Schiffswanne wurde wieder geöffnet und die Schiffe glitten hinaus. Im Gegensatz zu dem unteren See war hier oben das Wasser im künstlich angelegten Hafenbecken spiegelglatt. Alleinig die Bugwellen der manövrierenden Schiffe störten die ruhende Oberfläche und wühlten sie auf. An einem Wachhäuschen prangte eine Schild mit großen Lettern: 473 Meter über Normal Null. Chopper konnte mit der Maßangabe nichts anfangen und ließ es sich erklären. Man befände sich nun also vierhundertdreiundsiebzig Meter über dem Meeresspiegel, in ihrem Falle über dem unterirdischen See. Eine beachtliche Höhe, zumal es bis nach Marijoa noch einige Höhenmeter zu überwinden gab. Obgleich das Hebewerk sicherlich ein Wunder der Technik war, hielt man sich nicht länger als nötig dort auf. Auch wollte man keinen Anlegeplatz zum längeren Aufenthalt anlaufen, sondern hatte im Vorfeld vereinbart, lediglich zwei ihrer Mitstreiter von Bord gehen zu lassen. Es war der Hafen derer Einwohner, die sich Himmelsdrachen nannten. Sie bewohnten eine Stadt, in der Luxus normaler Alltag war. Abgeschottet von der realen Außenwelt hatte sich in den letzten achthundert Jahren hinter den Stadtmauern eine eigentümliche Parallelwelt gebildet. Sich überlegen fühlend, triumphierten sie arrogant und respektlos über die restliche Welt, welche im wahrsten Sinne des Wortes geografisch zu ihren Füßen lag. Lediglich die Himmelsinseln lagen noch viele, viele Meter über ihnen. Vermutlich erahnten die Himmelsdrachen die Existenz der Himmelsinseln nicht, sonst hätten sie diese sicherlich schon vom Himmel herunter geholt. Die Weltregierung tagte hier ebenso. Obgleich die fünf Weisen vor gut dreizehn Jahren ihrer Ämter durch einen Putsch enthoben worden waren, so hatte sich dennoch nicht viel verändert in der großen weiten Welt. Es war schon merkwürdig, dass hier eine Regierung ihren Sitz haben sollte, die ihrem Namen nach zwar über die gesamte Welt herrschte, man aber in den entferntesten Winkeln des Planeten nicht sonderlich viel von ihr wahrnahm. Selbst die Halbinsel und das Gebirge um Shimotsuki, welche per Luftlinie von Marijoa gerade mal gute vier Tagesreisen auf dem Landweg entfernt lagen, waren zwar Hoheitsgebiet der Weltregierung, spürten aber deren Wirken nicht im Mindesten. Die nächste Marinestation lag viele Tagesreisen von Zoros Heimatdorf entfernt. Da stellte sich die berechtigte Frage, wozu man diese Weltregierung überhaupt bräuchte und ob Dragons Bestreben zusammen mit den Revolutionären nicht das alleinig Richtige wäre: Das Ende der Weltregierung. Als die fünf Weisen abgelöst worden waren, hatte man sich über alle Blues hinweg Besserung erhofft. Der erwartetet Weltfrieden war jedoch auch unter der neuen Herrscherin nicht eingetreten. Ganz im Gegenteil: Die Unruhen dauerten nun seit Jahrzehnten an. Dragon hatte die südliche Halbkugel und erst eine Handvoll Königreiche der Grandline auf seine Seite ziehen können. Im North Blue tobten wilde Stellungskriege mit unzähligen, sinnlosen Opfern. Es war ein Wunder, dass der East Blue bis dato wenig in die Umbruchbestrebungen einbezogen worden war. Wie dem auch sei konnte keiner der Piraten voraussehen, was sie in Marijoa erwarten würde, zumal Luffy einst der Weltregierung den Krieg erklärt hatte und seine Ambitionen den Titel des Piratenkönigs zu erwerben keine gute Basis für einen friedvollen Besuch in der Stadt wären. So blieb es als bestmögliche Lösung, die Schiffe schnell hinaus in die „Neue Welt“ zu entlassen, wo man auf einer entlegenen Insel auf die beiden Mitstreiter warten würde. Sanji kam nicht ohne Bemerkung aus, ob die beiden Nakamas denn auch tatsächlich in der Lage wären, die Insel und somit den Treffpunkt zu finden. Obgleich sein Humor trocken klingen sollte, schwamm ein Hauch des hoffnungslosen Zweifelns mit. Ein Augenverdrehen des Einen und ein naives Lachen des Anderen untermauerten den Zweifel. Auch der Admiralin war nicht Wohl dabei, in den nächsten Tagen Däumchen drehend auf einem kleinen Eiland ausharren zu müssen. Sie sagte nichts zu alledem, was sich hier nun ergeben würde, doch ihr Äußeres verriet still ihre Bedenken und Ängste. Schweigend gab sie mit einer Armbewegung einen Befehl, der ihre Besatzung Kurs auf ein weiteres Schleusentor nehmen ließ: Die Tunnelröhre zur Neuen Welt. Die Thousand Sunny folgte der Fregatte dicht auf den Fersen. Das Duo sah ihnen vom Kai aus noch eine Weile nach und machte sich dann an den Aufstieg. Man könnte es so bezeichnen, denn die spiralförmige Rampe Richtung Oberfläche wies ein starkes Gefälle auf. Sie schwebte ein gutes Dutzend an Windungen frei im Raume und bohrte sich dann wie ein Schneckenhauskegel in die Höhlendecke hinein. Schon war am Ende der Tunnelröhre das Zollhäuschen auszumachen. Und obgleich die beiden Piraten durchtrainierte Kämpfer waren, so schnauften sie nach der gefühlten hundertsten Schneckenwindung doch ein wenig. Der Eine auffallend, der Andere verbergend. Beide waren froh über ihre Ankunft. Entweder waren die letzten Abenteuer zu hart gewesen oder ihre Lebensjahre vorangeschritten, aber das war beiden dann doch herzlichst egal und keinen weiteren Gedanken wert. Problemlos passierte Zoro und Luffy die Zollkontrolle am Ende des Straßentunnels und starrten geblendet vom Sonnenlicht auf eine weite Grasebene, welche ordentlich gestutzte Halme hatte und es mit jedem grünen Plüschteppich hätte aufnehmen können. Marijoa lag über den Wolken und hatte somit den Sonnenschein die meiste Zeit für sich gepachtet. So erkannte man am Horizont bei bester Wetterlage die stattliche Silhouette edler Stadtgebäude. Aber über allem thronte unübersehbar das überdimensional große Schloss. Dorthin zerschnitt eine breite gepflasterte Straße gesäumt von kostbaren Blühpflanzen und Edelgehölzen die Graslandschaft und mündete vor dem ersten Stadttor. Hatte man dieses durchschritten, wandelte man durch eine großzügig angelegte Parkanlage und konnte nur Staunen über so viel Prunk und Protz. Nach einer guten Stunde Fußmarsch durch den Park erreichten sie die Haupttore der Stadt, von der man schon so viele Geschichten gehört hatte. Beide durchstreiften die Straßen ohne große Eile. Während Zoro der Umgebung um ihn herum keines Blickes würdigte, so war Luffy neugierig angetan. Er spähte durch Hecken und über hohe Mauern hinweg, tauschte seine Entdeckungen einseitig mit seinem Gefährten aus und inspizierte die Auslagen der Geschäfte auf den Einkaufsstraßen. So beschäftigt nahmen er nicht wahr, was seinem grünhaarigen Begleiter hingegen aus den Augenwinkeln heraus nicht verborgen blieb: Die Himmelsdrachenabkömmlinge beobachtetet sie wie wertlose Eindringlinge, rümpften über sie die Nasen und lästerten angeekelt. So viel Arroganz und Respektlosigkeit schrie förmlich nach einer abreibenden Zurechtweisung, welche derzeit aber wohl eher fehl am Platze wäre. Die Himmelsdrachen hatten seit der letzten Sklavenrevolte in Marijoa nichts über Toleranz und Höflichkeit gelernt. Und plötzlich waren die Piraten am Ziel angekommen. Das perlmutterne Schloss glänzte in der Sonne, als hatte man die Wände frisch abgewaschen und lackiert. Das Kupfer der Dächer war zu einem edlen Grün oxidiert. Wachen in frisch gebügelten Uniformen flankierten den Eingang. Man betrachtete das Duo von oben herab und begaffte sie abwertend. Die Piraten wollten nicht voreilig handeln, also streiften sie am Schloss ohne Aufsehen vorbei zu einem kleinen Platz. Mittig auf ihm erhob sich ein sonderbarer Springbrunnen. Es plätscherte fröhlich aus tausenden und abertausenden Figuren, floralen Elementen und Gefäßen bevor es sich unterhalb in einem großen Sammelbecken auffing. Luffy staunte über das Ergebnis der filigranen Handwerkskunst und verlor sich in einem heiteren Suchspiel, während es Zoro einfach nur hässlich kitschig fand. So lümmelten sie fast schon anmaßend respektlos auf der Brunneneinfassung und ignorierten stumpf die angewidert dreinblickenden Einwohner. Der Strohhutjunge glaubte eine Märchengeschichte in dem Brunnenkunstwerk zu entdecken und diskutierte auffallend die dargestellten Szenerien mit dem desinteressierten Hanyô, ob das Märchen nun eine Komödie oder eher ein Drama wäre. Dieser blendete seinen Kapitän fast komplett aus seinem Bewusstsein aus, starrte ziellos die Schlossfassade an und überlegte sich, wie das bald folgende Treffen ausgehen könnte. Er wusste nicht, wen man alles in der Höhle des Löwen antreffen würde. Himmeldrachenabkömmlinge, Admiräle, Sondergesandte? Oder gar einen Hinterhalt? Immerhin hatte Luffy vor vielen Jahren den Grundsatz in der Mannschaft zementiert, dass er ausnahmslos jeden besiegen müsste, der ihm auf seinem Weg zum Piratenkönig hinderlich wäre. Mittlerweile waren die Jahre vergangen und die Anzahl an Feinden überschaubar geworden. Da gab es nur noch Blackbeard samt Bande und Marijoa. Wie mit den Revolutionären umzugehen wäre, hatte sein Kapitän bis dato noch nicht durchblicken lassen. Demnach wäre es mehr als verständlich, wenn man hier in Marijoa den Tod der Strohhutpiraten bevorzugen würde. Zoro beschloss nach seiner üblichen Manier das Schicksal einfach die Stricke der Zukunft in die Hand zu geben. Mutmaßen könnte man so einiges, schlauer wäre man erst hinterher. Mit dieser Entscheidung, die auch mit Luffys Gesinnung Plan lief, gingen beide direkt auf das große Eingangsportal des Schlosses zu. Durch die überdimensionale Empfangshalle hindurch, einige breite Treppen hinauf und lange Flurgänge entlang: Das Schloss wirkte von innen größer als von außen und kosteten Zoro, Luffy und denn voran flitzenden Pagen einiges an Fußmarsch, bis dieser die Piraten vor einer hohen Doppelflügeltür stehen ließ. Energisch stieß Zoro die Doppeltür auf und starrte grimmig finster auf die Gestalten, die ebenso aus dem Saal zurück starrten, nur nicht so grimmig, eher erstaunt betreten. Sonnenlicht hätte den Saal sicherlich hell durchflutet, doch die schweren Samtvorhänge in Purpurrot waren zugezogen. Die stickige Luft und der flackernde Schein der Kerzen des Kronleuchters gaben dem Ganzen das Feeling eines heruntergekommenen Hotels denn eines Regierungsschlosses. „Sieh an, der Club der Weltverbesserer!“, kommentierte er lakonisch die Anwesenden, strebte einen Sitzplatz an einem großen runden Tisch an und platzierte sich auf jenem. „Das heißt „Guten Tag“. Und ist das nicht etwas blasphemisch, genau diesen Stuhl zu wählen?“, schnarrte es ihm laut entgegen. Aus der kleinen Menge an verdutzten Weltaristokraten und ranghohen Marineadmirälen hatte sich eine Frau erhoben und blickte ihn kühl an. Sie war etwas größer als er, vielleicht so groß wie Robin, und ebenso schlank. Doch der Zahn der Zeit hatte schändlich an ihr genagt. Altersfalten zerfurchten nun ihr Gesicht, die Augen blickten wässrig und ihr langes Haar, welches sie zum Dutt aufgesteckt hatte, war weiß geworden. Nur ihre Stimme und die aufrecht stramme Körperhaltung waren ihr geblieben. Die einst angesehen Yurenda Ly`Wendt kämpfte mit den Folgen der Alterung. Viele Geschicke hatte sie als Botschafterin des Verlorenen Königreiches diplomatisch brillant lenken und Dank des Prismas die letzten 800 Jahre bestehen können. Doch nun, wo sie vom Prisma verlassen worden war, da es sich einen neuen Träger auserkoren hatte, hatte sie letztendlich alles verloren. Sämtliche Intrigen und Pläne zum Trotz war es ihr weder gelungen, den Prismenwechsel auf Zoro rückgängig zu machen, noch die Welt souverän aus den Kriegswirren zu führen. Ihre Zeit war abgelaufen. Zoro waren die politischen Zusammenhänge und Yurendas Taten mehr als gleichgültig bis auf eine und die hatte es in sich. Mochte sie da draußen Krieg spielen wie sie wollte solange sie immer noch Kanonenfutter und einen Gegner hatte. Sein Problem mit dieser Dame war ein weit aus tiefer Gehendes, was ihn persönlich betraf und auch nach der verstrichenen Zeit seit ihrer ersten Begegnung sich nicht verändert hatte. Auch wenn er es abstritt, so hegte er nach wie vor einen Groll gegen Yurenda und ballte nur die Fäuste in den Hosentaschen, wenn schon allein ihr Name fiel. Er hatte nie aus Hass oder Rache gekämpft, doch bei ihr war er nahe einer Ausnahme gewesen. Nein, er wollte sich selber und seinen Prinzipien treu bleiben und so gab er sie später wieder aus seinem Zwielicht frei, indem sie sicherlich hervorragend versauert wäre. „Ich glaube nicht an Götter“, erwiderte er trocken, denn er konnte sich denken, was und wen Yurenda gemeint hatte. Auch die ehemaligen Sieben Herrscher der Meere hatten an diesem Rundtisch getafelt. Vermutlich war es einst Mihawks Platz gewesen. Der größte Schwertkämpfer der Welt saß auf dem Platz des größten Schwertkämpfers der Welt. Das passte doch. Und Namen waren nun mal austauschbar. Er musterte die Anwesenden, welche unsicher waren, was nun im Angesicht der beiden Piraten zu tun wäre. Ein recht erbärmlicher Haufen war das, der dort so unbeholfen starrte, erst kein Wort sagte und nun versuchte, unauffällig zu tuscheln. Luffy nahm ihnen sämtliche möglichen Handlungsoptionen ab, indem er langsam durch den Raum ging und einer nach dem anderen bewusstlos in sich zusammensackte. Haki war schon eine feine Sache, aber vielleicht doch etwas übertrieben in dieser Situation. Die Regentin ignorierte den Einmarsch des Strohhutträgers, glotzte mit durchbohrenden Blicken auf eine Weltkarte mit unzähligen Spielsteinchen, grinste böse und schob eine ganze Handvoll an Steinen von der einen Seite der Karte zur anderen. Hier am grünen Tisch schien ein Krieg wie ein Strategiebrettspiel, doch da draußen auf den Ozeanen war es bitterer, verlustreicher Ernst. Yurenda ging um den Tisch herum lehnte sich an seine Kante und versuchte die Reaktionen ihres Besuches zu ergründen. Ein Hauch von kurzweiligem Triumph blühte in ihr auf wie sie auf Zoros Gesicht eine Art Schrecksekunde ablesen konnte, doch tat dieser insgesamt vollkommen unberührt. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass die letzten Steinchen, die sie noch als Armee zusammenfassen konnte, die East-Blue-Flotte einschließlich Tashigis Truppen waren. Dennoch ließ er sich davon nicht provozieren, dass die Flotte vor seinen Augen auf den North Blue abkommandiert und somit in den sicheren Tod geschickt worden war. „Nun denn, was treibt euch beide hier nach Marijoa?“ Welch‘ rhetorische Frage! Sie wäre gar dümmlich 'rübergekommen, hätte da nicht etwas Lakonisches durchgeklungen. Es dürfte außer Frage stehen, dass die Weltregierung den Sieg nur mit einem Bündnispartner einfahren könnte, den sie aber in den beiden Piraten nicht finden würde. Also konnte nur der wandelnde Tod an die Pforte geklopft haben. „Am Himmel sind komische Lichter und ich bekomme merkwürdige Post. Was weißt du darüber?“ „Merkwürdige Post?“ „Tu nicht so blöde. Wer weiß alles noch etwas über die Prismenträger? Da gibt es doch eigentlich nur noch dich und mich?“ Erstaunlicher Weise blickte Yurenda sehr überrascht und zugleich nachdenklich drein. Sie schwieg lange und dachte angestrengt nach. Erst nach endlosen Minuten des Schweigens sah sie auf und wirkte doch recht verunsichert. „Die Weltregierung hat sehr vieles, was mit dem Verlorenen Königreich in Verbindung stand, ausgelöscht. Ebenso die Erinnerungen an die letzte Insel der Grandline: Raftel. Doch sie hat es nie geschafft, euch Kali Kinder endgültig auszurotten. Mir wurde zugetragen, dass Blackbeard sich vor dem Ringporneglyph herumtreibt und zu einer Hanyô-Jagd angepfiffen hat. Er hat wohl den Weg nach Raftel verstanden. Ich habe aber auch gehört, dass sich eine Gruppe an Hanyôs zusammengerottet hätte. Mehr weiß ich nicht. Aber wenn du etwas herausfinden willst, dann fahre nach Rougetsu Island in der Neuen Welt und suche das Haibara Hospital.“ Sie verließ ihren Platz am Tisch, wechselte zum Fenster und zog an einer dicken Kordel. Die Vorhänge rissen auf, Sonnenlicht brach herein wie die Sintflut. Ihre wässrigen Augen hatte Mühe, sich an die Helligkeit zu gewöhnen, doch sie überwand sich und beobachtete grübelnd die bunten Lichterscheinungen am Firmament. Sie sprach mehr zu sich selbst als zu ihren ungebetenen Gästen. Ihre Fragen blieben nicht im Raume stehen, sondern sie beantwortete sie gleich selber „Die drei Prismen. Du und Kivi. Ihr ward in Raftel? Ja, sicher ward ihr das. Und die Prismen sind wieder zu weißem Licht geworden. Hm, jemand scheint es zu stören. Es spaltet sich auf. Das weiße Licht zerfällt wieder zu den Prismen ...“ Ihr Reden war in ein unheimliches Gemurmel übergegangen. Mit ihren nun glasigen Augen, der erbleichten Haut und dem wirren Selbstgespräch wirkte sie wie von einem bösen Geist besessen. „Schluss mit dem Gequatsche!“ Ob es Luffys Ungeduld war oder seine Erkenntnis, die Truppenbewegungen auf Yurendas Schlachtkarte erkannt zu haben, mag man nicht mehr zu sagen. Jedenfalls landete seine wütende Faust mitten auf der Tischplatte und zerbarst diese. Die Karte zerriss in Fetzen und Spielsteinchen flogen durch die Luft. Sie prasselten wie Hagelkörner zu Boden und verteilten sich wahllos überall. Mit wieder erhobener Faust blickte er wütend hinüber zu der Herrscherin von Marijoa, als würde er ihr die Gelegenheit geben wollen, selbst noch friedlich zu kapitulieren. Der Weg zum Piratenkönig führte nur über Siege, nicht über Niederlagen. Und heute war der Tag, an dem wieder ein Gegner auf diesem Weg seinen Hut ziehen musste. Entweder freiwillig oder über einen Kampf. Der Krach hatte die Wachen alarmiert. Sie lösten den Alarm aus, stürmten bewaffnet bis an die Zähne den Saal, erblickten die vielen ohnmächtigen Menschen und eine versteinert wirkende Regentin. „Feuer frei!“, schallte es durch die Gänge und ein Kugelhagel brach los. Luffy, dem es wunderlich schien, dass sich seine Unverwundbarkeit durch Schussmunition jeglicher Art noch nicht bis hierher herumgesprochen hätte, drosch auf die Wachen ein als gäbe es keinen Morgen mehr. Wie aus einem zerstocherten Hornissennest schwärmten aus allen Ecken und Winkeln aggressiv Wachen und Soldaten herbei. Willens, Marijoa mit ihrem Blut und Leben zu verteidigen. Zoro war längst von seinem Sitzplatz aufgesprungen, hatte den schweren Tisch als Deckung umgetreten und seine Schwerter gezogen. Kitetsu leckte nach Blut. Lange schon hatte es dürsten müssen. Sein Auge suchte sie. Sie, die so viel Einfluss auf seinen Lebenslauf gehabt und so viel zerstört hatte. Einem ruhenden Pol gleich stand sie dort zwischen all den Kämpfenden, sank auf die Knie, senkte den Kopf und streckte mit offenen Händen die Arme zur Seite. Ein Zeichen von jemand, der wusste, dass es nichts mehr zu verlieren oder gar zu retten gab und dessen Stunde geschlagen hatte. Sie wartete auf eine Absolution, die sie hoffte zu erhalten. Kaum mehr würde Zoro dieses Szenenbild vergessen, wie sie da so kniete und wartete. Mit diesen müden, leeren Augen. Kein Wort der Entschuldigung. Oder einer Erklärung. Hochmut oder Feigheit? Vielleicht auch beides. Er wusste selbst nicht einmal, ob es ihm so wichtig war, irgendetwas aus ihrem Munde zu hören, als er ungehindert auf sie zuschritt. Im Prinzip war es gleichgültig. Es würde nichts ändern und zerflossene Zeit ließ sich nicht einfach auffischen oder umleiten. Man war hier und jetzt. Shô ga nai! Kitetsu labte sich an dem warmen Wein, der sich mit dem Wellenschliff schlängelte und von seiner kalten Klingenspitze herabtropfte. Es sollte sich satt trinken können. Es brauchte nur einen Blickkontakt zwischen den beiden Nakama, dass der Zeitpunkt der Flucht nun der Richtige wäre. Man wählte den schnellen Ausgang durch die geschlossene Fensterscheibe. Glas splitterte in tausend feinste Scherben und regnete als Kristallregen über der Stadt zu Boden. Der Sturz aus dem Schloss hinab wäre für jeden anderen tief und tödlich verlaufen. Durch Luffys Gummiarme landeten beide wohlbehalten auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Schloss und zogen eine ungeplante Spur der Verwüstung quer durch den ganzen Ort hinter sich her. Der Kampfgeist der Truppen war wahrlich bewundernswert, würde ihnen jedoch nicht zum Siege reichen. Der Kampf war längst entschieden, noch bevor sie hier durch die Straßen rannten und einen Weg zum vereinbarten Treffpunkt bei ihren Schiffen suchten. Erst weit draußen vor den Stadttoren und noch viel weiter außerhalb der gepflegten Rasenteppiche hatten sie ihre Verfolger abgeschüttelt. Sie rasteten im Schatten eines Strauches und blickten auf die angestellte Bescherung. Unruhe und Ruinen hatten die perfekt harmonisierende Stadtansicht empfindlich ins Ungleichgewicht gestürzt. Schwarze Wolken stiegen auf. Es musste hie und da ein Feuer im Chaos ausgebrochen sein. Eine Metropole versank in Schutt und Asche. „Irgendwie hinterlassen wir ständig Trümmer, wenn wir irgendwo aufgetaucht sind“, dachte Zoro laut vor sich her, während er Marijoa eines letzten Blickes würdigte. Luffy lachte kurz auf und musste dieser Feststellung Recht geben. Das Thema „Weltregierung“ war nun für ihn abgehakt. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Piratenkönigsthron war erreicht und abgearbeitet. Lautes Magenknurren rief ihn ins Gedächtnis zurück, wie viele Mahlzeiten er seit dem Vormittag verpasst hatte. Schleunigste sollten diese nachgeholt werden. Sanji würde sicherlich schon im Speisesaal aufgetischt haben. „Wir müssen nach Südost, glaube ich.“ „Wo ist Südost?“ „Wenn du das nicht weißt ...“ „Vielleicht da?“ Und so zogen zwei Helden vollbrachter Taten der roten Sonne des Abends entgegen. Kapitel 21: 21 - Aschernes Paradies ----------------------------------- Zurück auf einer Insel unbekannter Lage nahe der ersten Hälfte der Grandline suchte ein ganz anderes Duo seinen Weg. Man zog von einer Sichelbucht zur nächsten, welche sich allesamt ähnelten als wären sie wie Spielkarten vervielfältigt und nacheinander ausgelegt worden. Ein ewiger Kreislauf von weißem Sand und Kieseln, dunkelgrünen Palmenhainen und türkisblauem Wasser bestimmte den Rhythmus der Gestrandeten. Mittlerweile kam der Gedanke auf, man würde sich wie vor einer billigen Theaterattrappe auf einem Laufbahn bewegen, da sich das surreal wirkende Bühnenbild nicht veränderte. Längst hatten das Mädchen ihre feindliche Lauerhaltung gegenüber ihrem Entführer abgelegt. Stundenlang einen Feind im Auge zu behalten erforderten ein großes Maß an Konzentration, welche Taiyoko in Bezug auf das Kämpfen nicht besaß, da sie es nie trainiert hatte. Sie war clever genug zu verstehen, dass sie eine sehr wichtige Geisel war, weshalb es für Takeru unsinnig wäre, ihr auch nur im Mindesten ein Leid anzutun. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sie sich nicht täuschte. Zudem musste er seit ihrem Zwielicht auf dem Dampfer glauben, sie hätte ihn komplett in der Hand und könnte spielend leicht seine Teufelskräfte ausknipsen. Dass sie selbst nicht wusste, wie sie diesen Zauber in der letzten Nacht entfacht hatte, brauchte er erst einmal gar nicht wissen. Sollte er doch glauben, sie wäre gefährlich und mächtig. Also hatte sie das Schwert wieder in die Scheide zurückgeschoben und nahm vermehrt ihre Umgebung in Augenschein. Kein Hafen, kein Haus, kein Einwohner weit und breit. Der Weg nach Hause wurde aussichtsloser. Sie ertappte sich dabei, wie sie dann aus der Langeweile heraus ihre Gesellschaft musterte. So entspannt schlendernd schien er wenig beunruhigt zu sein, länger auf diesem Eiland verweilen zu müssen. Was mochte er in den letzten Jahren getrieben haben, dass er genau an diesem Punkt in seinem Leben angekommen war und an keinem anderen? Viel wusste sie nicht über ihn. Wie auch? Sie trennten altersmäßig Jahre, die im Zeitraster von Jugendlichen halben Dimensionen glichen. Bis auf unbeachtete gegenseitige Begegnungen im Schul-Dôjô war da nichts hängengeblieben und ihr kurzer Eindruck über ihn, dass er eigentlich doch recht nett sein müsste, zerstoben damals sofort, als sein erster Steckbrief die Runde machte und die Gerüchteküche Loguetowns explosiv brodelte. Seit der Zeit galt er als geächtet und man mied jeglichen Kontakt zu ihm. Doch wenn sie ihn so von der Seite heraus ansah, so konnte man nicht glauben, dass der Takeru neben ihr tatsächlich der Takeru von dem Steckbrief sein sollte. Sie befand, dass sein Fahndungsbild kaum Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Soweit sie sich erinnern konnte, sah man auf dem Foto nicht viel von seinem Gesicht, da es verdeckt war. Und das, was erkennbar war, sah weit jünger aus, als heute und hatte rußverschmierte Haut. Allein die Steckbriefe der Strohhutbande hatten Taiyoko längst den Unterschied von Fiktion und Wahrheit aufgezeigt. Dazwischen tat sich eine breite, tiefe Kluft auf. Es blieb abzuwarten, wie sich die Situation entwickeln würde, falls sich jemals etwas an dieser Inseleintönigkeit ändern würde. Ihr Standpunkt blieb klar umrissen: Sobald sich eine Möglichkeit böte, würde sie sich aus dem Staub machen. Die beiden sprachen nicht miteinander, denn es gab nichts zu besprechen. Alleinig das Wellenrauschen und das Kreischen vereinzelter Möwen sollte für viele ungezählte Stunden ihre begleitende Geräuschkulisse sein. Erst als sich die Sonne gen Abend senkte, die Füße vom Sandtreten schmerzten und die Mägen durchhingen, änderten sie instinktiv die Marschrichtung auf die Palmen zu. Zwischen ihren Stämmen versperrte Buschwerk den Weg und schon bald wandelte sich die Szenerie in einen Urwald, der einem sämtliche Orientierung raubte. Die Flora im Unterholz war vielfältig an Blühpflanzen in allen Farben und betörenden Düften. Wenigstens boten Bananenstauden dem Magenknurren Einhalt und der milchige Saft von Kokosnüssen musste als Flüssigkeitslieferant herhalten. Eine Rückkehr in Strandnähe war eine schnell beschlossene Sache, denn der unwegsame Dickicht gab nur unter kräftezehrenden Schwerthieben nach. Da war der Marsch durch den Sand das geringere Übel, zumal sich am Strand augenscheinlich weit weniger krabbelndes Viehzeug aufhielt als im Wald. Alsbald waren ihr Leiber von Mückenstichen übersät und von Kratzwunden überzogen. Der Anblick des Strandes versetzte sie beide urplötzlich in erschrecktes Staunen. Die kitschige Abenddämmerung im Regenbogenspektrum war einem blutroten Himmel gewichen. Das ölschwarze Meer brodelte und dampfte. Vom schneeweißen Sand war nichts geblieben als graue Asche und schwarze Kiesel. Feuer entfachte sich wie von Geisterhand überall und brannte die Vegetation nieder bis sie sich mit dem Aschestrand mischte. Je mehr sich die Abendsonne senkte, desto mehr verwandelte sich die Paradiesinsel in einen Vorhof zur Hölle. Es war Takeru, der als erster seine Sprache wiederfand, Taiyoko am Arm packte und hinter sich her schliff: „Los, komm!“ „Wohin... ?“ Das wusste Takeru selbst auch noch nicht so genau, denn bis auf Feuer, Asche und Dunkelheit war von der Postkartenidylle des Tages nichts geblieben. Also steuerte er instinktiv erhöhte Felsen an, die wohl vom Brand verschont blieben. Waren sie zuvor vom Dschungel verborgen worden, tauchten sie nun überall in loser Ansammlung auf. In der Ferne, wo er die Inselmitte vermutete, überragte ein hoher Berg den Brand. Der Felsen war heiß, jedoch nicht so sehr, dass er einem die Haut versenkte. Allerdings war er überzogen von Staub und Dreck, was die Optik der beiden Schutzsuchenden nicht sonderlich aufpolierte. Man fand Deckung zwischen zweier steiniger Vorsprünge und starrte fassungslos auf das Flammenmeer zu ihren Füßen. Und als ob es mit der eigenwilligen Verwandlung dieser Insel noch nicht genug wäre, setzte die Inselfauna dem Ganzen noch die Krone auf. „Was ist das denn?“, platze das Mädchen heraus, die das seltsame Wesen zwischen verkohlten Baumleichen und verbrannter Erde zuerst entdeckt hatte. Es war ein Vierbeiner und trug den geflügelten Rücken gen Himmel. Sein Körper bedeckte ein zinnoberrotes Löwenfell, ebenso die Beine mit den Löwentatzen. Sein Gesicht zierte eine gar grässliche Fratze, und in dessen Maul waren mehr Zahnreihen als üblich angeordnet, die beidseitig bis zu den spitzen Ohren reichten. Doch der Schwanz glich dem eines Drachen und hatte am Ende einen bedrohlich wirkenden Skorpionstachel. Obgleich das Untier nicht sonderlich größer als ein Wolfshund schien, so machte es einen furchterregenden Eindruck. „Ein Mantikor...“, stellte Takeru zögernd fest. Viele Gedanken schossen in diesem Moment durch seinen Kopf. War das Tier gefährlich? Müsste man es sogar töten? Oder würde der Mantikor von selbst gehen und sie verschonen, wenn sie die Ruhe und ihre Deckung behielten? Die Entscheidungen brauchte er nicht fällen. Eilig trieb sich das Tier weiter zum hohen Berge hinüber, wohl in dem guten Glauben, dort den Flammen entkommen zu können. Es war nicht nur allein der Gedanke darüber, ob sie beide in Sicherheit waren, was ihn beschäftigte. Seit er hier mit seiner Geisel gestrandet war, hatte sein Hirn allerhand mit Problemfindung und Lösungsoptimierung zu tun. Als Blackbeards Auftragsangebot über die Meer halte, klang die Entlohnung für die Herbeischaffung eines Hanyôs gerade für Kopfgeldjäger wie ihn mehr als ein Jackpot in seinen Ohren. Er gehörte wohl zu den wenigen, die sofort wussten, was unter dem Begriff „Hanyô“ zu verstehen war und wo man just so einen fand. Seine Beobachtungsgabe und sein Geschick, aus dem allgemeinen Dorftratsch nur die wichtigen Informationen herauszufiltern und zu speichern, hatten ihn seit jeher auf die richtige Spur gebracht. So war es ihm nicht verborgen geblieben, dass es in seinem Heimatort ein Mädchen gab, welches die Schule wie Unterwäsche wechseln musste, weil sie angeblich das abgrundtief Böse in sich tröge. In seinen Augen die leichtere Beute als dessen Vater. Einem Kopfgeldjäger war es vollkommen gleich, warum jemand gesucht würde oder getötet werden müsste. Hintergrundgeschichten und persönliche Empfindsamkeiten waren äußerst unattraktiv zu wissen und behinderten nur die Arbeit. Gefühlsduseleien durfte man sich nicht erlauben, auch wenn das Opfer noch so sehr um Gnade flehte. Alleinig für das eigene Überleben zählte nur, dass die Kasse klingelte, wenn ein Gesuchter ausgeliefert und somit ein Auftrag abgeschlossen wurde. Die Asche rieselte langsam wie Schnee zu Boden. Flocken der Vernichtung. Dazwischen tanzte der Funkenflug einen aberwitzigen Reigen. Wie Glühwürmchen. Seine Augen verloren sich in dem Glimmen und sein Innerstes verdrängte wütend eine traurige Erinnerung. Er hasste seither Glühwürmchen. Und Asche. Letztendlich waren diese beiden Traumbilder der Grund, seiner Heimat einst Hals über Kopf den Rücken kehren zu müssen. Die Bilder verfolgten ihn auf Schritt und Tritt, waren eingebrannt in den hintersten Hirnwindungen und leuchteten nachts klar und hell in seinen Träumen. Feuer! Nichts als Ärger hatte diese eine Stunde seines Lebens gebracht, die alles komplett verändert hatte. Da war sein Steckbrief und die Tage in der Marinearrestzelle noch das Mindeste. Er schluckte seinen Frust hinunter und machte geräuschlos kehrt zu seiner Gefangenen. Taiyoko hatte sich nur wenige Schritte von ihm in die Tiefe einer Felsspalte gekauert. Mit angezogenen Knien und versenktem Kopfe saß sie da und umklammerte ihr Schwert, als wäre es ein Rettungsring im stürmischen Wasser. Und obgleich er nicht einen Laut von sich gegeben hatte, wusste sie genau, wo er war und dass er auf sie zuging. Kurz vor ihren Füßen stoppte er und blickte nachdenklich zu ihr herunter. Es waren auch die unbedachten Worte über den Mantikor, die ihm zu denken gaben. Gewöhnlich waren Menschen nicht in der Lage, magische Geschöpfe zu erkennen. Es bedarf einer ganz gewissen Auswahl an Wesen, die dazu im Stande waren. Zu diesen gehörte zweifelsohne das Mädchen in seiner Begleitung. Als sie vor wenigen Minuten anstelle eines Löwen eine sonderbare Kreatur ausmachte, hatte sie wieder einmal mehr bestätigt, die Blutlinie der Kali-Kinder in sich zu tragen. Auch er hatte diesen Mantikor erkannt, war er selbst aber doch kein magisches Geschöpf. Die Teufelsfrucht gab ihm die Kraft dazu, obwohl er das nie irgend jemanden anvertraut hatte. Sie ließ ihn Dinge sehen, die das bloße Auge zu sehen nicht im Stande war. Und so war ihm das ascherne Paradies schon bei der Ankunft auf dieser Insel nicht verborgen geblieben, hatte er jedoch die Umstände falsch gedeutet. Einen Brand hatte er geschätzt, aber nicht den Untergang des gesamten Areals in wenigen Minuten. Ohne Worte spreizte er an beiden Händen Daumen und Zeigefinger so ab, dass sie jeweils ein „L“ bildeten. Dann drückte er die Fingerkuppen aufeinander, blickte durch die nun geformte Drachenfigur auf Taiyoko und zog die Hände nun langsam wieder auseinander, als würde er sein Blickfeld wie durch einen unsichtbaren Bilderrahmen begrenzen. Das neue Bild zeigte eine von einer grünlichen Aura umrahmten Taiyoko. Sie wog wie das Auf und Ab des Meeres um sie herum und zeichnete klar den Zusammenhang zum Meer auf. Es war ihm nicht neu, diese Aura nun sichtbar gemacht zu haben, aber das Katana war eine Neuentdeckung. Er hätte es wohl noch eine Weile angestarrt und sich an dem reinen weißen Licht ergötzt, welches einen schwerelos werden ließ, hätte das Mädchen ihn nicht angeblafft und überrumpelt. Plötzlich blickte sie genervt auf. Genau durch seinen Rahmen hindurch: „Was machst du da?“ „Gar nichts!“, wich er aus, setzte sich genau neben sie und führte die Reaktion herbei, dass sie sofort einen ganzen Meter weiter von ihm wegrutschte. Der Hunger hatte ihn Unwissenden in jungen Jahren die Aimai-Aimai-Frucht verschlingen lassen. Lecker anzusehen, aber mit bitterem Abgang. Alle Geschmacksnerven hatten sich in seinem Mund zusammengezogen. Danach erinnerte er sich nur noch an das große Brechen. Aber das brauchte sie alles gar nicht wissen. Und schon gar nichts, was dieses Höllenobst alles bewirkte. Er nahm lediglich aus den Augenwinkel Notiz von ihrem Positionswechsel und konzentrierte sich wieder auf seine Teufelskraft, mit deren Hilfe er noch einmal die Insel observierte. Feuer und Asche, soweit seine Kräfte reichten. Das war wohl das wahre Gesicht dieser Gegend. Taiyoko hingegen hatte nicht die Insel, sondern die Fingerzeichen ihres Gegenübers genau observiert. Es gab eigentlich nur eine Erklärung: „Wie heißt deine Teufelsfrucht?“ „Uninteressant!“, winkte er barsch ab und zuckte erschrocken zusammen, als sie die Saya nebst Schwert nur einen Hauch an seinem Kopf vorbei drohend an die Felsoberfläche zimmerte. In diesen Sekunden musste er ernsthaft erkennen, das die Geisel das Spiel umdrehte. Eine wahnsinnig schnelle Bewegung ihrerseits hätte ihn fast das Leben gekostet und er hätte es trotz seiner emsigen Ausbildung im Nahkampf überhaupt nicht bemerkt. Taiyoko war auf dem besten Wege die Oberhand zu gewinnen, und so, wie sie da so vor ihm hockte, mit diesem tödlichen Blick, den roten Augen und den entschlossenen Gesichtszügen, keine weiteren seiner Aktionen mehr zuzulassen. Er wusste nicht, ob er nun weinen oder lachen sollte. „Ich habe dich was gefragt! Außerdem hab ich mir eben überlegt, dass du mich wieder nach Hause bringen wirst!“ War das nun ein Marschbefehl oder eine Drohung? „Spalt' mir ruhig den Schädel. Dann bist du komplett allein...“, war das einzige, was er ihr entgegen zu setzen hatte. Seine Gesicht in den Handflächen verbergend zog er einmal kräftig die Luft ein. Doch statt frischer Luft war da nur der beißende, qualmige Gestank des Feuer. Er hasste Feuer. Und Asche. Dabei zählte er innerlich die Zahlen rückwärts runter. Wenn sie bis zur Null noch nicht zugeschlagen hätte, dann würde sie es heute auch nicht mehr tun. Der Schlag blieb aus. Der blutrote Himmel hatte sich von der Nachtschwärze gänzlich schlucken lassen. Kein Stern entsendete sein Licht durch die Schwaden. Selbst die bunten Polarlichter, welche sonst die letzten Tage über ihren Köpfen gefunkelt hatten, verloren sich im Nirwana des feurigen Infernos. Mit geschlossenen Augen saßen sie beide da, wischten gelegentlich über ihre vom Brandqualm tränenden Augen und hielten das aus, was da noch kommen würde. Seltsame Laute von Kreaturen kreischten über das Eiland. Ab und zu flackerten Schatten vorüber. Man hoffte, die Nacht würde nur endlich enden. Die ersten Sonnenstrahlen leckten das schwarze Meerwasser rein und glätteten die Wogen. Viele schwarze Kiesel spülten sich mit der Flut weit in das Inselinnere und wurden vom Licht der Sonne geweckt. Sie zerplatzten, glimmten wie kleine Tautropfen und sprossen zu jungen Pflanzen empor. Kaum war der gelbe Ball über den Horizont hervorgesprungen und hatte mit seiner Helligkeit und Wärme die letzten Ascheresten benetzt, ward die Insel magisch wieder zu neuem Leben geformt worden. Und als Taiyoko und Takeru die Augen öffneten, saßen sie wieder in dem Paradiesidyll des Vortages. Noch weitere zwei Male sollten sie den Tod und die Wiederbelebung ihrer Insel erleben und vor dem einen oder anderen Fabeltier die Flucht ergreifen müssen, bis sich draußen auf dem Meer ein schwarzer Punkt bewegte. Er wurde größer und größer... „... ein Schiff!“ Takerus Erstaunen über diese Entdeckung war derartig groß, dass er es zuerst nur für eine Fata Morgana hielt. Doch aus dem schwarzen Punkt bildeten sich langsam Konturen heraus. Ein einzelner Mast streckte sich gen Himmel, das Segel war ohne jegliches Abzeichen. Flache Aufbauten verbargen den wahren Tiefgang und würden es dem Kapitän nicht erlauben, sich den flachen Gewässern zu nähern. Es hielt tatsächlich eine Handelskogge auf sie zu. Schon bald warf sie den Anker und dann geschah erst Mal nichts weiter. Selten verirrte sich ein Besatzungsmitglied an Deck, doch die Kogge lag zu weit ab vom Schuss, als dass man hätte Genaueres erkennen können und solange man nicht wusste, ob dort draußen nun Rettung oder Verderben lauerte, hielt man sich auf Lauerstellung. Das musste auch das Mädchen einsehen, welches am Liebsten sofort aufgesprungen und lauthals zum Strand gerannt wäre. Ungeduld plagte sie den ganzen Tag, hegte sie doch Sorge, das Schiff würde wieder ablegen. Ohne sie. Das Tageslicht fiel einmal mehr auf die Seite und gab den Startschuss für die Brandrodung. Ein Moment, indem es nun zu entscheiden galt, die Kogge zu beobachten oder sich einen sicheren Platz fern von Feuer und Fabeltier zu suchen. Es war auch der Moment, wo Leben auf dem Schiff einsetzte. Fackeln flackerten auf und beleuchteten ein zu Wasser gelassenes Beiboot. Darauf ein großer tuchverhüllter Kasten. Vier Mann schienen zu Rudern, einer stand weiter hinter dem Kasten. Das war so rätselhaft wie interessant und ließ das aufmerksame Duo weiter dort bleiben, wo sie waren. Kapitel 22: 22 - Irgendwo über dem Regenbogen --------------------------------------------- Mit der nächsten Welle rollte das Beiboot an den Strand. Doch der Spannungsbogen, was es nun mit dieser Box auf sich hatte, sollte noch für einige Stunde gespannt bleiben. Zumindest konnten Taiyoko und Takeru aus ihrem Versteck heraus beobachten, dass diese sehr schwer und massiv sein musste, denn die vier Mann an Besatzung mühten sich laut fluchend und mit vereinten Kräften, das Monstrum nahe der Böschung zu platzieren. Die Vier sahen sich der Kleidung nach allesamt ähnlich. Dunkle Leinenhosen endeten in schwarzen Schnürstiefeln. Die Oberkörper versteckten sich unter Camouflage-Parkas. Bei sich führten sie ein buntes Sammelsurium unterschiedlichster Jagdwaffen und Fallen. Deutlich von diesen hob sich ein Fünfter im Bunde hervor. Seine hohe Krähenstimme zeterte mit den Jägern, jedoch waren seine Bewegungen eher gering. Er schritt eilig durch den Sand, positionierte mit geringen, aber exakten Armfuchteleien die Kiste und verharrte dann erhaben wie eine Götterstatue merklich zufrieden. Der Wind frischte auf und ließ seinen langen Droidenumhang nur so um seine dürren Beine und Arme schlackern. Nur die große Knollnase, welche unter der Kapuze hervorragte, passte nicht zu der mageren Gestalt. Der Platz schien für die Jägerschaft perfekt. Sie schlugen Zelte für ihr Nachtlager auf und brieten sich ihr Essen über dem flackernden Lagerfeuer. Ob es der Geruch nach leckerem Essen über die Entfernung zum Versteck nun tatsächlich in die Nasen des Duos schaffte oder ob es eine pure Geruchseinbildung auf Grund der knurrenden Mägen war, vermochte man nicht zu sagen. Jedenfalls wurde man vom Starren auf feste Nahrung nicht satt, sondern nur noch hungriger. Und die ewigen Mahlzeiten aus Bananen und Kokosnüssen hingen einem zum Halse heraus. Obgleich die Gefahr bestand in einen Kampf mit ungünstigem Ausgang verwickelt zu werden, wuchs unabhängig voneinander bei beiden die Idee, das Lager dort zu überfallen, zu plündern und das Schiff zu entern. Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Die Sonnenstrahlen, welche die Paradiesillusion am Leben hielten, erloschen langsam aber stetig hinter dem Horizont. Das mittlerweile bekannte Abbrennen der Insel hatte begonnen. In die Camper-Gruppe am Strand kam Bewegung. Während einer als Wache zurückblieb, machten sich die Übrigen samt Jagdausrüstung und Beschwörungsformeln auf den Weg durch Feuer, Asche und Dreck und waren auch schon bald nicht mehr gesehen. Taiyoko, die eben gerade noch Gesellschaft hatte, stand nun in ihrer Deckung zwischen zwei Felsen so schnell allein da, dass sie sich nur erstaunt umblicken konnte. Es waren nur Sekunden verstrichen, als sie Takeru unlängst der Zelte für einen Augenschlag wahrnahm, dann wieder verschwinden sah und sich fast zu Tode erschreckte, wie er dann beim zweiten Augenaufschlag wieder direkt neben ihr stand, als wäre er nie weg gewesen. Der große Unterschied bestand jedoch darin, dass er sich um einige Gegenstände bereichert hatte: Verpflegung und Decken. So schnell in der kurzen Zeit? Wie hatte er das gemacht? Grinsend zog er das schwarze Tuch wieder von seinem Gesicht. Selbst die Wache schien nichts bemerkt zu haben, denn diese saß völlig unbekümmert am Lagerfeuer, drehte gedankenverloren Stockbrot über der Glut und war dem Einschlafen nahe. Mit einem gesättigten Magen und sich vor dem Dreck schützend in die Decken gehüllt wurden neue Pläne geschmiedet. Sobald die Camper wieder abreisten, würden sie sich als blinde Passagiere an Bord geschmuggelt haben. Man müsste nur den rechten Moment abpassen. Weitere Stunden vergingen. Es mochte inmitten Nacht die schwärzeste Zeit sein, als Blitze über die Ascheebene zuckten. Es grellte blendend auf und knallte erbebend, dass es die beiden im Versteck den Boden unter den Füßen wegriss. Irritiert blickte man auf und rätselte innerlich über ein großes Kugelblitzgebilde, was vom Inselinneren seinen Weg über die Ebene suchte hinab zum Strand. Je näher es kam, desto lösender entpuppte sich das Rätsel. Die Jäger hatten Beute gemacht. Sie hingen an langen Führstricken und rangen mit einem Tier um die Wette. Es keilte mit Blitzen nach seinen Fängern aus, bockte die Zaubersprüche des Druiden hinweg und war nur mit Mühe zu bändigen. Die Gruppe kam nur langsam voran, doch die Strandwache hatte sie längst bemerkt, erhob sich und zog das große Tuch von der Box: ein Käfig! Was auch immer die Bande mit dem Tier vorhatte, sie würden es wohl verschiffen wollen. Na, wenn das man eine gemütliche Schifffahrt werden würde. Das Wesen war in keiner Form zu zähmen. Aggressiv und voller Hass stierte es seine Peiniger aus tiefschwarzen Augen an, welche Höllentoren gleich kamen. Sicherlich war es bereit zu töten, wenn es denn die Chance hätte. Neugierig und magisch von diesem Fabeltier in den Bann gezogen, waren die beiden Beobachter aus ihrem Versteck hervorgekrochen, um das merkwürdige Geschehen genauer erfassen zu können. Verkohlte Palmen und flache Steine waren nun ihr letzter Sichtschutz vor den Jägern. Die Distanz zu ihnen war ungünstig nahe, das Risiko entdeckt zu werden groß. Längst hatte die Bande unter Lebensgefahr die teuflische Bestie in den Käfig gesperrt und dessen Kopf mit den Stricken so an das Gitter gebunden, dass sich seine Stirn gegen die Stäbe drückte. Der Druide entpuppte sich als Magier, der zu wissen schien, auf was er sich da eingelassen hatte. Er murmelte unverständliche Worte, verfiel in Trance und bewegte die Arme unkoordiniert in der Luft bis die Gitterstäbe des Käfigs im ultravioletten Schimmer glühten. Das Vieh saß nun sicher gefangen im Käfig fest. Fluchtversuch ausgeschlossen. Böse starrte es seinen Widersacher an. Dabei schnaubte es aus seinen Nüstern, so dass sein Atem in der Luft zu Eis gefror, klirrend platzte und sich im Sand verlor. Nun, wo es dort in der Gefangenschaft festgehalten wurde, konnte man es genauer betrachten. Es mochte wohl eine sehr hohe Rückenhöhe haben, denn verglichen an den Körpergrößen der Jäger hätten diese es nicht einfach so ohne Hilfe erklimmen können. Die Fellfarbe war eigenartig. Es war ein mattes Weiß so rein wie das Mondlicht, doch fixierte man mit den Augen nur einen bestimmten Punkt auf diesem Fell, so war als, als würde man in graue Sturmwolken blicken. Hypnotisiert von diesem Muster war man kaum mehr in der Lage seinen Blick abzuwenden. Mähne und Schweif wallten wie Seidenfäden. Die langen, dünnen Beine endeten in Spalthufen, die von einem starken Fesselbehang fast vollständig verborgen wurden. Der Hals des Tieres war kräftig bemuskelt und endete in einem kräftigen barocken Kopf. Alles in allem sah der gewöhnliche Mensch in ihm ein gewöhnliches Pferd. „Wir können es da nicht so im Käfig lassen“, murmelte das Mädchen vor sich her. „Bitte was?“ Entgeistert sah Takeru sie an. Hatte er sich eben verhört? Sie hatten bei Weitem ganz andere Probleme als irgendwelche Tiere aus irgendwelchen Käfigen zu befreien. Auf seiner Prioritätenliste stand die Abreise von dieser Insel ganz oben und nicht das Vieh in der Gitterbox. Obgleich der Fang der Bestie durch die Gruppe noch nicht genug wäre, sollte der Höhepunkt des Spektakels auf dem Fuße folgen. Der Magier zog aus einem seiner Ärmel ein zweischneidiges Henkerschwert hervor, welche ihn um Längen überragte und es wirklich verblüffend war, wie eben diese Waffe hätte in dem Umhang gepasst. Die Verwunderung darüber konnte man bei beiden an den Augen ablesen, und sie wurden plötzlich groß wie Kuchenteller, als der Magier weit mit dem Schwert über seinem Kopf ausholte und zuschlug. Selbst Takeru, der ansonsten hartgesotten war und dachte, alles in seinem Leben gesehen zu haben, stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Das Vieh im Käfig kreischte metallisch voller Schmerz auf. Der Ton ließ das Blut in den Adern gefrieren. Zeitgleich kreischte Taiyoko im Chor dazu: „NEEEEIIIINNNN!“ Sie sprang aus dem Versteck hervor, zückte ihr Schwert und rannte blindlings in ihr Verderben. Es war der Überraschungsmoment, der die Jäger und den Magier komplett überrumpelte. Nie hätten diese mit weiteren Jägern auf diesem Eiland gerechnet. So kam es, dass das Mädchen den ersten Mann sofort mit einem Schlag erwischte. Als sie vor ein paar Tagen einen Begleiter aus Takerus Bande tötete, war sie schockiert, doch hier in dieser Notlage schien es ihr plötzlich ganz leicht. Zumal diese unbändige Wut in ihr tobte. Die Jägerbande hatten an einem der schönsten Fabelwesen einen unverzeihlichen Frevel begangen. Nie hatte sie je zuvor in ihrem Leben ein Einhorn gesehen. Gerade eben war dieses vor ihren Augen um sein Horn beraubt worden. „Du dreimal Wahnsinnige...!“, brüllte ihr Takeru aufgebracht hinterher. Sie waren aufgeflogen. Da machte die Art des Auftritts auf dem frisch eröffneten Schlachtfeld nun auch nichts mehr aus. Schnelles Handeln war von Nöten. „Rokushiki Soru!“ Die noch stehenden Jäger fielen wie Spielzeugsoldaten in den von Asche bedeckten Sand. Aufgespießt von ihren eigenen Waffen fuhr der Tod durch sie hindurch ohne eine Chance ihn vorher wahrgenommen zu haben. „Wieso hockten wir die ganze Zeit da oben im Gebüsch, wenn du die alle allein platt machen kannst?“ raunte Taiyoko ihn an, wo er gerade neben ihr in Angriffsstellung aufgetaucht war. „Weil das hier Spuren hinterlässt, du Anfängerin!“ Man hätte erwarten können, dass ihr unüberlegtes Verhalten ihn hätte verärgern können. Doch in seiner ruhigen, dunklen Stimme war nichts dergleichen herauszuhören. Fast hätte sie meinen können, unter dem schwarzen Tuch, welches er sich bereits wieder bis über die Nasenspitze gezogen hatte, einen Hauch eines Lächeln zu erahnen. Ein Blitz unterbrach die kurze Konversation. Der Magier, aus seiner Starre erwacht, hatte sich seine Beute ergriffen und hielt sie nun wie einen Zauberstab drohend auf die beiden, die da nun zwischen ihm und Einhornkäfig standen und seine Pläne zu durchkreuzen schienen. Wieder schüttelte er das Horn und ein weitere Blitz sauste auf sie zu. Nur ein rechtzeitiger Hechtsprung rettete beide davor auf der Stelle als Grillgut zu enden. Noch ein Blitz und noch ein Blitz sollten folgen. Sand spritze auf, Steine flogen, Felsen splitterten. Der Magier wurde immer treffsicherer und Takeru schätzte die Siegeschancen für sich und Taiyoko immer unsicherer. Langsam wurde es eng. Die Angriffe auf die Jäger und das Ausweichen vor den Blitzen hatten viel Kraft gekostet. Eine Stimme drang an ihre Ohren. Ein Ton wie der einer Bronzeglocke: „Lasst mich frei. Ich kann euch helfen.“ „Das will ich hoffen...!“ murmelte Takeru. Wie sollte man das Fabeltier aus dem Käfig holen? Der Gedanke zerstob so schnell, wie der nächste Blitz auf sie zu donnerte und den Felsen, der ihnen gerade noch Schutz gab, zerschmetterte. Das Mädchen schien in diesem Moment keine große Hilfe zu sein. Er hatte ihr Pokerspiel durchschaut. Dass sie auf dem Dampfer des nachts ihre Kräfte entfalten konnte, war nur blanker Zufall gewesen. Es aber wie gut geübtes Können zu präsentieren, war clever. Sicherlich würde sie auch kein Eisen zerschneiden können, um den Käfig zu öffnen, auch wenn sie eine sehr gute Schwerttechnik besaß. Also blieb nur eines. Man musste alles auf eine Karte setzen. „Rokushiki Rankyaku Tsuki!“ Er sprang hoch und trat in die Luft. Geschnittene Luft formierte sich, flog wie ein Bumerang auf den Magier zu und brachte ihn zum Straucheln. Sein nächster Blitz aus dem Horn verfehlte sein Ziel und traf den Käfig. Holz zerbarst, Metallstangen deformierten sich, ein Zauber war gebrochen. Heraus sprang ein wutentbranntes Einhorn. Es stellte sich auf die Hinterbeine, wieherte gellend und galoppierte dann auf Takeru zu, der reflexartig in die Mähne griff und dann Taiyoko vom Rücken des Tieres aus am Arm packte und hochzog. Ein Lichtschein zerschnitt die Kampfplatz. Doch es war kein Blitz. Es war fein und farbenfroh. „Ein Regenbogen?“ Ein wilder Ritt sollte folgen. Durch Feuer, Asche und Rauch. Es biss ihm in die Augen, dass er sie notgedrungen schließen musste. Er spürte nur noch. Spürte, wie sich das Mädchen angstvoll an seinen Rücken klammerte und das Gesicht an seiner Schulter vergrub, um nicht herunterzufallen. Spürte, wie die Mähne sich in seine Handflächen einschnitten und sein Blut die silberne Mähne rot tränkte. Spürte, wie die anfänglichen hektischen Schritte und Sprünge des Einhorns einer gleichmäßigen, raumgreifenden Galoppade gewichen waren. Spürte, wie es immer höher und höher in den Himmel ging, die Kälte und dünne Luft den Atem raubte. Irgendwann hörte es plötzlich auf. Als Takeru die Augen aufschlug, blickte er in einen azurblauen Himmel mit filigran-bunten Lichtstreifen. Der Untergrund, der ihm ein geruhsames Bett bot, war weich und weiß. Wie Watte. Eine Wolke? Im Schnelldurchlauf spulten sich in seinem Kopf noch einmal die Szenen der letzten Stunden ab. Feuer, Einhorn, Feinde, Regenbogen, Höllenritt in den Himmel. Himmel ... Diese letzten Schlagworte waren so unglaublich, dass er nach alledem nur eines annehmen konnte: Er war sicherlich tot. Bestimmt war er das. Kein normaler Mensch überlebte so einen Tag und ritt dann mit einem Einhorn über einen Regenbogen in den Himmel. Na, denn man gut, dass das Tier nicht pink war. Das hätte ihm arg zu denken gegeben. Ebenso sonderbar schien es ihm, dass er überhaupt auf einer Wolke liegen durfte, wobei er doch ein Vorstrafenregister vom Umfang mit dem eines Telefonbuches zu vergleichen vorweisen konnte. Normalerweise waren für solche Leute ein brennend anderes Ende nach dem Ableben vorgezeichnet. „Er scheint aufgewacht zu sein, Herrin!“, tönte eine tiefe Bronzestimme an sein Ohr. Herrin? Nun war er doch hellwach, setzte sich auf und musterte seine Umgebung. Wolken, soweit das Auge reichte, wurden von einem herrlichen Sonnenschein überzogen. Auf einer dieser Wattewolken waren sie gestrandet und trieben im Gleichschritt mit dem Wind in zehn Kilometer Höhe über das Blaumeer hinweg. In direkter Nähe lag neben Taiyoko das geschändete Einhorn, hatte nun aber seinen Kopf majestätisch erhoben und blickte ihn durch seine silbernen Augen wie durch Monde an. Es war alles so real, dass er wohl doch überlebt haben musste. „Wieso nennst du sie Herrin?“, fragte er immer noch etwas neben sich stehend, rieb sich den schmerzenden Schädel und versuchte seine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen. „Nun denn, es gebietet der Anstand, sie so zu nennen, da sie dieses Schwert bei sich hat“, folgte die nüchterne Erklärung auf dem Fuße. „Nee, schon klar ...“, murmelte er und zog die weitere Option in Betracht, eventuell doch nicht in der Realität, sondern in einer Parallelwelt zu wandeln. „Wado-Ichi-Monji? Was weißt du darüber?“ Taiyokos Neugier war geweckt worden. Langsam zog sie das Katana aus der Saya und betrachtete es aufmerksam, wie es weiß gleizend in der Sonne glänzt. Die letzten Kampfspuren klebten noch eingetrocknet auf seiner Klinge. Sich nicht um seine Reinigung gekümmert zu haben, war mehr als blasphemisch. Sicherlich waren ihre Eltern in großer Sorge um sie, doch ihr Humor kehrte zurück, als ihr in den Sinn kam, wie viel Ärger es geben würde, dass sie unerlaubt das Familienheiligtum hatte mitgenommen. Was war nun schlimmer, ihr eigenes Verschwinden oder das von Wado-Ichi-Monji? „Schau mit deinem Herzen durch deine Augen. Einhornblut ist der Lack, den die Saya schmückt, und es sind Schweifhaare, aus denen die Sageo geflochten wurde. Nur wenigen Schreinschwertern gebühret diese Ehre. Doch scheint es nicht dein Schwert zu sein? Es ruht kein Versprechen auf ihm, welches du einst geschlossen hättest. Das war vor langer Zeit jemand anderes.“ Obgleich die Einhornsprache doch recht altertümlich abgedroschen schien, so klang sie durch den Bronzeton schon fast traumhaft, gar poetisch elegant. Und wie unheimlich allwissend dieses Tier war. Woher wusste es etwas über die Geschichte dieses Katanas? Natürlich hatte es recht. Soweit sie zurückdenken konnte und über alledem auch das Buch ihrer Mutter studiert hatte, war Wado-Ichi-Monji wie ein Wanderpokal von ihrer Tante zu ihrem Vater weitergereicht worden und dann bei ihrer Mutter hängen geblieben. Dass sie selbst es in der Nacht aus der Not heraus gegriffen hatte, war blanker Zufall gewesen. Die polierte Klinge spiegelte ihr Antlitz durch die Blutstropfen hindurch. Sie sah nur ihre Augen auf dem schmalen Stahlstreifen, die auch hätten ihrer Mutter gehören können. In dem Punkt sahen sie sich vollkommen ähnlich. In diesem Moment verspürte sie mehr denn je denn sehnlichsten Wunsch, endlich die Heimreise antreten zu können. Die Suche nach einer Teufelsfrucht könnte warten. Auf dem Rücken des Einhorns müsste es über den Regenbogen eine Leichtigkeit sein, nach Loguetown zu gelangen. Sie kniete sich vor dessen Kopf, streichelte seine Stirn und betrachtete traurig den kleinen Stumpfen, der noch von seinem Horn übrig geblieben war. „Tut es sehr weh?“ „Es geht. Zum nächsten Blutmond wird es wieder gewachsen sein“, sprach es ruhig und gelassen. Dabei könnte man meinen, es hätten eine lächelnde Miene aufgesetzt, als es fröhlich durch die Nüstern schnaubte, um seine elendige Lage zu verschleiern. Pikadon hieße es und Taiyoko fand seinen Namen sehr zutreffend. Mit seinen Blitzattacken war es ein wahrliches Höllentier. Damit war anscheinenden eine Freundschaft besiegelt. Pikadon wandte erhaben sein Haupt und sah durch seine Mondaugen lange prüfend die Begleitung seiner Herrin an. Nachdenklich wiegte es den Kopf und schüttelte seine lange wallende Mähne. Seine Herrin würde er gerne durch die Lüfte tragen, doch was wäre mit diesem dort, der dort so schweigend saß und diese innere Traurigkeit inne hatte? Die Dunkelheit in ihm hätte schon auf dem Weg hier hinauf eine große Last dargestellt. Wie ein Klotz am Bein, der einen immer weiter und weiter hinunter zöge und ertrinken ließe. Es wäre schwer, den Lichtweg zu beschreiten. Er würde nur Unbefangenen zustehen, da sie noch Leichtigkeit besaßen. Takeru, der nur mit halben Ohr zugehört hatte, war nun absolut bei der Sache. Man wollte ihn hier oben auf der Wolke aussetzen? Auf gar keinen Fall! Er protestierte, musste sich aber von Pikadon abwimmeln lassen. Es läge allein in der Entscheidung seiner Herrin, ob sie sich auf diese Gefahr begeben würde, nicht vom Regenbogen getragen zu werden, weil sie ihn dabei hätten. Ein recht einseitiger Streit entbrannte, in welchem Takeru wütend auf Taiyoko einredete. Sie selbst hockte verzweifelt auf dem Boden, hielt sich schützend vor dem Wortschwall die Arme über dem Kopf und war unfähig, ihm irgend etwas entgegen zu setzen, bis sie rund umschlagend aufschrie: „Das ist doch alles deine Schuld, dass wir hier oben sind!“ „Du bist doch ausgerastet und über Bord gegangen?!“ „Du hast mich entführt!“ „Pfff...!“ Wenn man die Kette der unglücklichen Umstände weiter in die Vergangenheit zurückverfolgte, so hatte sie verdammt recht. Dennoch konnte er es nicht zu geben, weshalb er nun auf dem Absatz kehrt machte und ihr mit verschränkten Armen die kalte Schulter zeigte. Sie sagte gar nichts mehr, schmiegte sich traurig und unsicher an Pikadon. Zuviel war in den letzten Tagen passiert, dass man sofort hätte eine Entscheidung fällen können. Was wäre richtig, was wäre falsch? Es gäbe keine richtigen oder falschen Entscheidungen, sondern man müsse abwiegen, auf welchem Pfade man zum Ziel kommen würde, riet ihr das Einhorn. Da gäbe es viel zum Abwiegen, gab sie lachend zurück. Die Weiterreise würde sich wohl auf unbekannte Zeit verzögern. Kapitel 23: 23 - Pfadfindende Träume ------------------------------------ Die Flure und Gänge, die er wandelte, schienen ewig. Obgleich nur ein einziges Mal in seinem Leben gesehen, fühlten sie sich so vertraut an, als hätte er zeit seines Lebens nie etwas anderes getan, als sie zu erforschen und sie zu durchstreifen. Es war nicht störend, dass er eins ums andere Mal sie durchschritt und nie ein Ende dieser Wege fand. Es war ein ewiger Kreislauf des Sich-Verlaufens, doch hatte er das Gefühl, er würde nur so zum Ziel gelangen. Ein Labyrinth aus vollkommen verqueren Dimensionen, die keiner physikalischen Gesetzmäßigkeit zugrunde lagen. Ja, er kannte dieses Gemäuer. Er war schon einmal persönlich hier gewesen. Damals vor vierzehn Jahren hatte ihn das Schicksal und die Urquelle seiner Vergangenheit hierher getrieben, wenn auch gedächtnislos und nur später daran erinnert, weil er ein Tagebuch mit sich herumschleppte und einen Begleiter anbei hatte. Nun lief er wieder und wieder durch die langen Gänge und hatte das Gefühl, dem Ziel diesmal immer näher und näher zu kommen. Jedes Mal gelangte er bis vor eine Tür, die es zu passieren galt, doch nie schaffte er es. Ja, da war diese Tür, aber etwas war anders als sonst zuvor. Da war schemenhaft etwas um ihn herum. Nicht allein, sondern viele. Sonst hatte er sie immer nur als schwarze Schatten oder gefüllte Säcke wahrgenommen, aber nun nahmen sie Gestalt an. Menschen, unzählige Menschen unerkennbarer Form rotteten sich in diesen Gängen zusammen, strebten ebenfalls zu dieser Tür wie Geister, spukten aber mit ihren geschlossenen Augen umher. Erst als sie ihn erahnten, rissen sie die Augen wie kleine Sonnen auf und blendeten ihn ätzend mit ihren hellgrünen Strahlen. Sie griffen nach ihm und ließen ihn das Schlimmste spüren, auch wenn sie nur auf ihn zu schwebten. Das ewige Wandeln durch die Gänge war zu einer unheilvollen Hetzjagd geworden. Auch diese Mal schien der Ausgang ungewiss, denn eine laut rufende Stimme holt ihn zurück in die Wachwelt eines herrlich friedvollen Sommertages. Aus dem Schlaf gerissen, blinzelte Zoro umher, blickte aus schläfrigen Augen seinen Käpt'n an und realisierte einmal mehr, dass alles nur ein stets wiederkehrender Traum gewesen war. Egal, wie oft und wie lange er schlief, kamen ihm die Bilder immer wieder hoch. In einer Endlosschleife war er wieder in Raftel und in den Ruinen des Verlorenen Königreiches, wenn auch nur in einem verzerrten Abbild davon. Ein wahrer Albtraum regierte seine Nächte und ließen ihn immer mehr verstehen, dass etwas in Raftel nicht in Ordnung sein konnte, und je mehr er darüber nachdachte, desto mehr bestätigte sich seine Zusammensetzung einzelner Puzzleteile. Die bunten Lichtstreifen am Himmel, der mysteriöse Brief mit dem einzigen Satz „Erwache!“, das Gespräch bei Yurenda und nun diese Albträume. Nein, mit den Prismen lag irgendetwas im Argen, was er sich nicht erklären konnte. Etwas Unheimliches erwachte und er wurde den Verdacht nicht los, dass es mit diesen Gestalten zu tun haben musste, die in seinen Träumen durch die Gänge Raftels geisterten. Wenn er doch nur einmal im Traum hinter die Tür blicken könnte, ob die Prismen noch so wären, wie sie sich vor fast vierzehn Jahren verschmolzen hatten. Es misslang jedes Mal und so würde nichts anderes übrig bleiben, als vor Ort die Sachlage zu inspizieren. Zoros Einstellung zu den Prismen war nach wie vor zwiegespalten. Als das rote Prisma in ihm erwachte, konnte er den Zustand kaum ertragen. Als sich das ganze Ausmaß dieser Bürde offenbarte, wollte er es sofort loswerden. Und als er dann vom Amt des Prismenträgers erlöst wurde, fehlte ihm plötzlich etwas, an das man sich gewöhnt hatte wie an einen ausgeleierten Lieblingspulli. Und er hatte öfters als es ihm selber beliebte darüber nachgedacht, was wohl wäre, hätte er das Prisma noch. Aber „hätte“, „wäre“ und „wenn“ waren blanke Thesen und unbeeinflussbar. Die Prismen kamen zum Träger und nicht die Träger zum Prisma. Was also auch immer gerade in Raftel passieren möge, man hätte keinen Einfluss darauf. Jedoch konnte Zoro bis heute nicht leugnen, dass es ihm vollkommen neue Perspektiven eröffnet hatte, die Welt einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen. Es war mit ein Grund, weshalb es ihn bewegte, sich sehr mit diesem Thema auseinander zu setzen und welch wichtige Aufgabe die Hanyôs zu erfüllen hätten. Sie waren die einzigen, die den Weg nach Raftel beschreiten und die Prismen bewachen konnten. Und wen man da aktuell in der Gegenwart alles in Raftel antreffen würde: Zoro war bestens informiert. Seit Luffy und er Marijoa in Schutt und Asche gelegt hatten und auf der Flucht über die Redline waren, hatte er ziemlich viel Freizeit gewonnen, die tägliche Zeitung zu lesen. Natürlich waren sie beide in die komplett falsche Richtung gelaufen. Er, der keinen Orientierungssinn besaß, und Luffy, der nur seiner Nase nach zum nächsten Restaurant gelatscht war. Das Problem lag nun für beide darin, dass die Streitmacht Marijoas seit ihrer urbanen Brandrodung und dem Mord an Yurenda ausschwärmte, sämtlich Straßen und Ortschaften kontrollierte und eine Mordswut im Bauch trug. Nicht das es eine Schwierigkeit wäre, diese niederzuschlagen, doch es zöge die Tatsache hinter sich her, dass die Spur der Verwüstung und Leichen immer länger und länger werden würde, als es ihnen selbst lieb wäre. Das wollten sie vermeiden, weshalb sie einige Tage mal hier und einige Tage mal da entlang einer alten Handelsroute untergetaucht waren, um den richtige Moment des Entkommens abzuwarten oder bis ihr Geldbeutel durch Luffys unbändigem Hunger leer wäre. Spätestens dann müssten sie den Durchbruch zur Grandline wagen. Doch noch waren ein paar Berri vorhanden und Zoro faltete die Zeitung zusammen, welche so auf seinen Knien lag, wie er sie vor dem Einnicken hinterlassen hatte. Natürlich war der stetige Headliner davon geprägt, wie die Weltaristrokraten sich nun neu organisieren würden. Durch einen Putsch hatte Yurenda damals die Fäden in die Hand genommen, die politische Macht an sich gerissen und die Weltaristrokraten regelrecht klein geknüppelt. Nun war das übliche Machtgerangel entbrannt. Eine Welt mal wieder vor dem politischen Umbruch. Folglich durfte da auch eine Stellungnahme der Revolutionäre nicht fehlen, die Luffy mit gespieltem Desinteresse zur Kenntnis nahm. Der Weg zum Piratenkönig würde auch an den Revolutionären vorbeiführen, was dem Strohhutträger nicht sonderlich schmeckte. Zwar waren sich Vater und Sohn schon über den Weg gelaufen, doch wie es weiter gehen würde, würden beide ihre Absichten umsetzen und ihre Ziele erreichen, hatten sie noch nicht übereinkommend klären können. Passend dazu war Zoro aus dem Käseblatt nicht entgangen, dass auch Blackbeard nun offiziell das Piratenkönigrennen eröffnet hatte, indem er die Hetzjagd auf die Hanyôs deklarierte. Wenn er daran dachte, dass dadurch seine Tochter zur Zielscheibe allerlei Abschaums geworden war, kochte sein Blut in den Adern, doch er hätte sich zugleich auch selbst ohrfeigen können. Man hätte damit rechnen müssen, dass eines Tages unzählige Machthungrige einen Hanyô benötigten, um One Piece zu finden. Welch Frechheit und Feigheit zugleich, sie anstelle ihn zu wählen. Wenigstens hatte „Frechheit-und-Feigheit“ nun ein Gesicht und einen Namen bekommen: Takeru. Auch Tashigi war nämlich nicht untätig gewesen. Nicht an der nächsten Anlegestelle an der östlichen Redlineküste verweilend, hatte sie sich von der übrigen Strohhutcrew und der Sunny getrennt und war weiter gesegelt. Niemand konnte wissen, wie sich die Lage entwickeln würde und solange die Marine noch eigenständig in sich geschlossen arbeitete, hatte sie die Chance ergriffen, durch das Archiv des Marinehauptquartiers zu stöbern. Die Leiche vom Überfall auf ihre Fregatte und die von einem Patrouillenboot aus dem Meer herausgefischten Mitattentäter taten unabsichtlich ihr übriges, die Identität zu klären. Bohnenstange und Würfel hatten in der Beugehaft von Imple Down so einiges unfreiwillig zu berichten gewusst. So war es leicht im Archiv das Bandenmitglied „Nummer Vier“ zu finden und Tashigi staunte nicht schlecht, als sie die Akte nicht im Regal derjenigen „normalen“ Verbrecher fand, sondern unter der Rubrik „Hochverrat“. Sie hatte nicht viel Zeit sich im Marinequartier aufzuhalten, sondern hatte die komplette Akte einfach ohne Erlaubnis unter ihren Mantel geklemmt und mitgehen lassen, ebenso wie sie im selben Moment sämtlich Akten einer ausgewählten Piratenmannschaft auch gleich mitnahm. Dem Bild einer schwangeren Auster gleich, war sie wieder aus dem Archiv empor gekrochen und hatte im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun, dass ihr auch nicht nur ein einziges Blatt unter dem Mantel herausfallen würde. Sie sah so unglaublich auffällig aus, dass ein jeder ihr diesen Raub hätte ansehen müssen. Aber niemand sprach sie an, als sie ein buntes Sammelsurium an Akten stahl. Die Marine war und blieb ein Amt. Nichts blieb hier in Bezug auf das Leben der Anderen verborgen. Ganz gleich ob Verbrecher, Marineangehöriger oder Zivilist: Ein jeder hatte hier seine Akte wie in einem Einwohnermeldeamt. Da war alles genausten geordnet und so hatte jedes Dokument auch selbstverständlich einen eigenen Farbcode. Grau waren die Akten der Piraten, egal wie hoch das Kopfgeld war. Darunter fiel natürlich zweifelsfrei die Strohhutbande. Blaue Akten standen hingegen für Marineangehörige und deren Familien. Waren sie rot überklebt wie bei Takerus Unterlage, so war es ein Marinemitglied, welches straffällig geworden war. Es brannte ihr unter den Nägeln, sofort das Siegel aufzubrechen und sie zu lesen. Doch sie musste sich gedulden. Am liebsten hätte sie auch in noch in ihrer eigenen und Taiyokos Akte oder in den Unterlagen ihrer Eltern geforscht, doch das Archivpersonal schaute kritisch durch die Regalreihen und wunderte sich über ihren langen Aufenthalt. Ob sie sich denn nicht zurecht finden würde, schnarrte es ihr übellaunig entgegen. Sie verneinte lächelnd, schnappte ihre Beute und raus war sie wieder aus den Kellergeschossen. Erst an Bord hatte sie eingehend die Unterlagen studiert, hatte Ungereimtheiten in Takerus Lebenslauf gefunden, die sie nicht verstehen konnte, und dann alles brühwarm Zoro berichten können, als dieser sich nach einigen Tagen des Wartens endlich per Teleschnecke aus einem abgelegenen Winkel der Redline meldete. Es hatte nur Sekunden gedauert, Takerus Steckbrief durch das Schneckenfax zu schicken, obgleich dessen unscharfes Bildnis wenig hilfreich war. Doch es genügte Zoro sein neu gewonnenes Hassobjekt Fleisch werden zu lassen. Auf ein gepfeffertes Treffen müsste sich dieses Objekt gefasst machen, obwohl er noch nicht so recht wusste, was er genau mit ihm machen sollte. Einfach nur töten wäre ein viel zu kurzer Spaß. Außerdem war er doch recht stolz darauf, noch nie aus Rache getötet zu haben und das sollte zukünftig auch so bleiben. Und so schob Zoro seine Albtraumspaziergänge durch Raftel in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses und platzierte Takerus Steckbrief im Hirn ziemlich nahe vor sein geistiges Auge. „Gübbt esch ballld Mittachesschen?“, mampfte es ihm von Luffy entgegen. „Schon wieder fressen? Du frisst doch die ganze Zeit!“, gab er ihm zu verstehen und konnte bei den Massen, die sein Käpt'n in kürzester Zeit verwertete, nur noch den Kopf schütteln. Auch wenn sie hier in diesem kleinen Holzhäuschen hockten und die Gastgeber doch sehr zuvorkommend waren, so hatten sie schon einige Male durchblicken lassen, dass Luffys tagtäglicher Fleischkonsum kaum mehr zu decken wäre seit die provisorische Regierung von Marijoa Lebensmittel rationiert und Wechselscheine ausgegeben hatte. Es war eh Luffys Unwissenheit und Neugier gewesen, was sie hier in diese Siedlung kleiner Holzhäuschen getrieben hatte. „Was ist denn ein Nurdachhaus?“ war aus ihm herausgeplatzt, als sie auf dem Weg entlang der Straße an einem Schild vorbeikamen, welche eben solche Häuser zur Vermietung anpries. „Halt ein Haus nur mit einem Dach. Ohne Wände“, hatte Zoro unbedacht geantwortet und es sofort bereut, denn im Kopf seines Freundes formten sich sofort die schrägsten, architektonischen Gebäude, die allesamt keinen Sinn ergaben. Also war man zum Vermietungsbüro abgebogen, hatte entschieden, hier die nächsten Tage unterzutauchen und Luffys Neugier zu befriedigen. Inmitten eines Wäldchens mit kleinen Wegen, Teichen und Lichtungen versteckten sich eine Vielzahl dieser mysteriösen Häuser und Luffy staunte: „Das ist ja tatsächlich nur ein Dach!“ „Hab ich doch gesagt...“ Einfache Satteldächer ragten aus dem Erdreich hervor. Die eine Giebelseite als Hausrückwand vernagelt, die andere verglast mit Eingangstür und Veranda mit Ausblick über einen kleinen See. So konnte man das Warten an warmen Sommertagen ertragen, und sie ertrugen es nun seit gut einer Woche. Der Tag des Standortwechsel war gekommen. Sie mussten weiter,w enn sie die Crew auf der Sunny nicht allzu lange warten lassen wollten. Leider wurde es auch der Tag des Wetterwechsels. Sie folgten der Handelsstraße bei Nacht und rasteten bei Tage, um nicht entdeckt zu werden. Die Umgebung veränderte zunehmend ihr Gesicht, je höher die Straße anstieg. Aus bewaldeten Gebieten wurden felsige Berge, hohe verschneite Pässe und zugige Abstiege. Man konnte nur hoffen, dass dieser sich wie Kaugummi ziehende Weg über die Berge bald ein Ende nehmen würde, doch der Blick über die nächste Bergkuppe hinweg offenbarte nur den Abstieg ins Tal und den erneuten Aufstieg über den nächsten Gipfel. War die Laune zu Beginn noch kühl, so war sie nun frostig. Hatte man zu Beginn noch das eine oder andere Wort gewechselt, so sprach man nun gar nicht mehr als wären die Münder zugefroren. In Stille getrennt voneinander, machte sich ein jeder der beiden seine eigenen Gedanken, wie man diese Wandertortur überleben könnte. Immerhin hatten sie die letzten zwei Tage und Nächte unter freiem Himmel und somit im Frost verbringen müssen. Kein heißes Feuer und kein schützendes Dach weit und breit. Es zerrte an den Nerven, an den Kräften, an der Stimmung und am Magen. Wieder einmal obig auf einem Bergkamm angelangt verharrten sie eine Weile, schauten über die verschneite Landschaft und atmeten die eisig kalte Luft ein. Sie entströmte ihren Lungen in dicken Atemwolken und verloren sich zwischen den federgleichen Schneeflocken, welche langsam hernieder segelten, sich auf ihre Jacken und in ihre Haare setzten. Schneeflocken. Es erinnerte Zoro an etwas. Vielleicht lag es an den vorgerückten Lebensjahren, dass er unbedacht begann, viele kleine Dinge aus dem Alltag immer sofort mit irgend einer Gegebenheit aus seinem Leben zu verbinden. Und so legte sich auch um diese Schneeflocken ein zartes Bändchen und verknüpfte sich mit Schneeflocken aus vergangenen Jahren. Obgleich er schon unzählige Flocken in seinem Leben gesehen hatte, hing am anderen Ende des Fadens just eine Erinnerung, als er mit Tashigi über die Redline vor den Panzerreitern floh. Es war die Nacht, wo sie Unterschlupf auf einem Gehöft fanden und sie sich vor Kälte bei ihm anschmiegte. Das war verdammt lang her. Und es fiel ihm wohl auch nur deshalb ein, weil es elendig kalt war, er nicht wirklich wusste, wo er sich überhaupt auf diesem Teil der Welt befand und sich somit schrecklich einsam fühlte. Er vermisste sie und fand das augenblickliche Alleinsein ohne ihre Nähe grausam. Äußerlich zeigte sich über sein Innerstes keine Regung. Nur Eingeweihte konnten seine geballten Fäuste in den Hosentaschen, seinen düsteren, übellaunigen Blick und seine Schweigsamkeit als versteckten Kummer deuten. Ein kurzes Verschnaufen seinerseits und ein kurzes Maulen von Luffys Seite beendeten die kurze Rast. Was Zoro im Inneren tat, transportierte Luffy unverblümt nach außen. Eine gezogene Schnute und ein vor ein schwerverständliches Brummeln, warum seine Nami nicht da wäre, wenn man sie mal ganz dringend bräuchte, waren der aktive Kontrast zu Zoros Passivität. Weiter ging es. Den Berg hinab in ein tiefes, dunkles Tal. Der Schnee und sein Treiben nahmen zu. Sie stapften durch das hüfthohe Weiß und versackten in mannshohe Wehen. Es war ein schweißtreibender und kräftezehrender Marsch, obwohl es ausschließlich bergab ging. Längst hatte sich die Nacht über ihre Köpfe gesenkt, dass sie von Dunkelheit und Schneetreiben umschlossen wurden. Und plötzlich hört die Straße auf. Oder besser, sie war unter der dicken Schneedecke verschwunden und ihr weiterer Verlauf war nicht auszumachen. „Na toll!“ schoss es Zoro entnervt durch den Kopf und fragte seinen Mitstreiter: „Wo meinst du geht es weiter?“ Doch keine Antwort kam zurück. „Luffy?“ Er drehte sich und musste feststellen, dass sich immer eine auftretende Schwierigkeit mit der Nächstmöglichen paarte. Schnee war nun einmal gefrorenes Wasser, und obgleich Luffy winterfest war, setzten ihm diese Eiskristalle nun doch langsam zu, denn schon zu häufig hatten sie Wehen durchkämpfen müssen. Nun lag er da, fühlte sich dank seiner Teufelsfrucht furchtbar elendig schlapp und war dem Erfrierungstod doch recht nahe. Sie mussten hier weg und zwar schleunigst. Luffys Kräfte reichten nicht mehr, dass er sich festkrallen und Huckepack genommen werden konnte. Also blieb nur die unbequem Art des Transportes, ihn am Fuße wie einen frisch gefällten Weihnachtsbaum hinterher zu ziehen. Und abwärts ging es. Hinunter über Felsvorsprünge und Abhänge hinweg. Lawinen traten sich los und rissen sie abwärts in die Dunkelheit und Kälte. Irgendwann hörte das Kollern und Stolpern auf, als sie die Baumgrenze erreichten und sich zwischen den Latschenkiefern verfingen. Bis zum Halse im Schnee steckend konnte die Situation nicht schlechter werden. „Mir ist so elendig...“, flüsterte Luffy kläglich. Zoros Laune hatten nun endgültig eine Temperatur erreicht, welche noch viel weiter unter der aktuellen Außentemperatur lag. Er hatte die Nase gestrichen voll. Vom Schnee, von der Kälte und überhaupt. „Halt dich fest ...“, forderte er seinen Freund auf und griff nach dessen Hand, denn dieser hätte der Aufforderung kaum Folge leisten können. Zoro tat das, was er nun als letzten Ausweg tun musste, nicht gerne. Doch es blieb keine Zeit, die Risiken und Nebenwirkungen gegen den Nutzen aufzuwiegen, wollten sie hier in der weißen Hölle nicht elendig verrecken. Sie mussten durch das Zwielicht wandeln, wenn sie Überleben wollten. Und so tat sich das Licht auf. Erst fühlte es sich an, als würde eine kleine Flamme im Inneren sanft brennen, dann explodierte es förmlich aus einem Heraus, umarmte einen warm und gaukelte verführerische Sicherheit vor. Frei und schwerelos ließen sie diesen Abhang hinter sich. Kurz darauf waren die Berge Vergangenheit. Die Ostküste der Redline und die Neue Welt klafften vor ihnen auf. Wo war der vereinbarte Treffpunkt? Zoro wusste es nicht mehr und ließ sich einfach weiter treiben. Und es war schwer. Die eisige Kälte hatte ihn bereits an den Rande seiner Kräfte gebracht, doch die Mobilisierung der dämonischen Kräfte, um das Zwielicht zu beherrschen, verlangten ihm nun das Allerletzte ab, zumal er Luffy auch noch ihm Schlepptau hatte. Durchhalten war nun alles, auch wenn jeder Schritt härter wurde und das Bewusstsein sich langsam verabschiedete. Völlig benebelt und planlos hatte es sie beide zu einem Hafen geführt, der einst als Treffpunkt vor einigen Tagen ausgemacht worden war. Die letzten Wahrnehmungen Zoros waren, wie er eine Tür zu einer Taverne aufstieß, mit Luffy unterm Arm hinein stolperte und dann halb zusammenbrach. Grüne Lichtfunken stoben in einem floralen Bannkreis um ihn empor. Das Zeichen des Ausblühens nach einer unermesslichen Anstrengung tanzte sarkastisch vor seinen Augen. Das Zwielicht nahm einen hohen Preis, wenn es sich eigen machte. Warum konnte er es nicht verhindern, dass man sich bei Anwendung dieser Kräfte über so eine lange Dimension hinweg dermaßen verausgabte? Es wäre ein leichtes Taiyoko zu finden oder durch die Welt zu wandeln, wäre die Gabe nicht derartig auf die eigene körperliche und geistige Verfassung begrenzt. Es musst dafür verflucht nochmal eine Lösung geben. Eine wohlbekannte Stimme beruhigte seinen Zustand und gab neue Hoffnung: „Da seid ihr ja endlich...!“ „Du hier?“, war seine letzte verblüffte Antwort, an die er sich erinnern konnte. Niemals hätte er mit einem engen Vertrauten gerechnet, von dem man schon länger nichts mehr gehört hatte. Und nun saß dieser hier mit seiner Truppe, als wäre er zur Abholung bestellt worden. Dann wurde es erst einmal für eine Weile schwarz vor seinen Augen. Alle Reserven waren aufgebraucht. Kapitel 24: 24 - Das gelbe Taxi ------------------------------- Nachdem sich die bläulich kalte Haut wieder in das ursprüngliche Naturbeige umfärbte, die eisige Starre aus den Gliedern wich und eine schmerzfreie Bewegung ermöglichte, setzte auch das allgemeine Denken wieder ein. Wären da nur nicht diese elendigen Kopfschmerzen, die wie ein Hammer auf einen großen Amboss zimmerten und inmitten seiner Hirnrinde gongten wie eine Alarmglocke. Jeglicher Hauch einer Kopfbewegung schmerzte und stach erbarmungslos. Es war ein Gefühl, als hätte der Schmerz die Form eines Gummiballs angenommen und hüpfte nun innerlich von einer Schädelseite zur nächsten. Er war schon oft in Kämpfen des Todes nahe gewesen, doch so wie sich dieser Schmerz im Kopf anfühlte, so musste der Tod wahrhaftig sein. „So schnell stirbt man nicht!“ hatte Chopper ihn dann immer wieder korrigiert, auch wenn man dem Rentier schon an der Nasenspitze ansah, wie sehr es doch mit den magischen Parametern eines Hanyôs überfordert war. Es hatte letztendlich nur durch blankes Ausprobieren herausbekommen, wie es Zoros Schmerzen lindern, ihn aber, sehr zum Leidwesen des Rentiers, nicht heilen konnte. Das Wandeln durch das Zwielicht hatte noch nie einen guten Ausgang ohne Nebenwirkungen genommen. Obgleich es nicht blendend hell in diesem Raum war, wo er sich gegenwärtig befand, so hatte er dennoch seine liebe Mühe, die Augen zu öffnen. Es stach ihm in diese und so versuchte er es erst einmal mit blinzeln. Durch Augenschlitze und Wimpern hindurch verzerrte die Umgebung und zeichnete bizarre Lichtstreifen. Da streiften Schatten umher. Schwarze zerfranste Schatten. Sie handelten wie gewöhnliche Restaurantgäste, saßen herum, kommunizierten lautlos unbefangen, schlemmten oder gingen einfach nur von hier nach da. Doch plötzlich gefroren sie in ihrem Tun. Ihre Körperhaltungen versteiften sich. Alle drehten sie wie auf Kommando gleichzeitig zu ihm um, rissen ihre bis dahin geschlossenen Augen auf und brannten sich mit ihren grün gleißenden Sonnenaugen in seinen Verstand. Ebenso plötzlich riss Zoro erschrocken die Augen auf und zuckte hoch. Doch da war nichts Ungewöhnliches um ihn herum auszumachen. Traumwelt und Wachwelt hatten sich einmal mehr die Klinke in die Hand gegeben und ihn und seine Sinne betrogen. Es war nur eine Vision gewesen. Welch elendiger Zustand, dieses nun auch am Tage erleben zu dürfen. Er rieb sich mit einer Hand die Schläfe und musterte den Raum nun mit offenen Augen. Verschiedenartige Couchtische flankiert von Polstermöbeln aller Formen und Farben erweckten eher den Eindruck einer Möbellagerhalle, als den eines Gasthauses. Doch die verrauchte Zigarrenluft und die diffuse Beleuchtung unzähliger Kerzenlichter auf den zerkratzten Tischplatten und billigen Wandarmleuchtern versetzten den Besucher dorthin, wo er auch sein sollte: in eine Sesselkneipe. Butzenfenster verbargen den Blick nach draußen und so konnte Zoro kaum abschätzen, ob es nun Tag oder Nacht zu sein vermochte. Sein Bauchgefühl plädierte da eher zum Tag. Hinten am Tresen polierte ein kauziger Kneipier gähnend immer wieder und wieder ein Bierglas mit einem Trockentuch, dem sicherlich eine gründliche Reinigung nicht schaden würde. Davor lümmelte ein Kellner gelangweilt und verträumt zugleich umher. Er setzte sich erst in Bewegung, als die Küchenglocke ihn zum Servieren der Speisen heran kommandierte. Auf einem dieser wahllos zusammengewürfelten Sofas saß er nun, spürte die ausgeleierten Drahtfedern empfindsam in sein Sitzfleisch bohren und wippte immer wie auf einem Luftkissen gleich den Bewegungen mit, wenn sein Nakama neben ihm herumzappelte. Zumindest schien das Essen genießbar, denn dem Stapel an abgeleckten Tellern nach hatte sich Luffy schon mindestens eine bescheidene Vorspeise einverleiben können. An die ausstehende Rechnung wollte er gar nicht erst denken, denn die Höhe der Summe würde seinen eigenen Appetit verdrängen, weil ihm bei Anblick der Zahlen sicherlich schlecht werden würde. Es kaute und schmatze zu seiner Rechten, dass sich Zoro wie in einem Schweinekoben vorkam. Die Geräusche waren empfindsamer Lärm für seinen Schädel, weshalb er sich gequält auf seine Hand abstütze. Aktuell schien sein Kopf so schwer wie eine Tonne Steine und so rein gar nicht auf seine Halswirbel zu passen. Wenigstens war die Gesellschaft gut. Männer in weißen Overalls mit rücklings getragenem Logo ihrer Bande lümmelten umher und scharrten sich ungezwungen um ihren Anführer, der mit Luffy und ihm am selben Couchtisch saß, die Beine auf jenem abgelegt hatte und sein Gesicht hinter einer Zeitung verbarg. Er blickte erst auf, als sich eine entsetzte Stimme in gebrochener Sprache schrill erhob. „Zum Teufel! Hat mich gebissen! Man muss schnell Hand wegziehen, wenn man Teller hinstellt!“ Und schon stapfte ein mehr als beleidigter Kellner wieder ab zu seinem angestammten Platz am Tresen und hielt sich schmerzend den Daumen, den Luffy in seinem Hungerwahn aus Versehen erwischt hatte. Die Overall-Crew brach in schallendes Gelächter aus und auch deren Anführer konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Nur für Zoro war der plötzlich auftretende Freudenkrach nicht lustig. Einem Presslufthammer gleich schepperte es in seinem Schädel und am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte jedem einzelne das lachende Maul gestopft. Das hier war einfach kein Ort für geschundene und ausblühende Hanyôs. Das belustigte Grinsen des Zeitungslesers wandelte sich zu einem mitleidigen Blick mit versteckter Schadenfreude. Wer besondere Dinge beherrschte, der musste halt eben besonders leiden. „Ist es überhaupt nicht besser geworden?“ wurde Zoro gefragt und mit wissenschaftlichem Blick vom Mann mit der Zeitung jetzt neugierig begutachtet. Von da an merkte Zoro erst, dass auf seinem Handrücken professionell ein Zugang gelegt worden war. Eine Kanüle versenkte sich in seiner Vene. Ein dünner Plastikschlauch verband diese mit einem Beutel nahe seiner Schulter, welcher mit einer Sicherheitsnadel provisorisch an seinem Hemdstoff befestigt worden war. „Is' bloß eine Natriumchloridlösung für den Kreislauf. Du hattest hohes Fieber“, wurde sein fragender Blick beantwortet. „Schlägt das Schmerzmittel gar nicht an?“ „Sieht das etwa so aus?“, gab Zoro entnervt zurück. „Spannend!“ In der Tat war der Patient für den Kapitän der Heart-Piratenbande mehr als spannend. Unzählige medizinische Richtwerte schienen bei jenem außer Kraft gesetzt zu sein. Für Trafalgar Law war das ein gefundenes Beobachtungsobjekt, welches einem nicht alle Tag lang über den Weg lief. Hatte er zuvor die internistischen Ausführungen Dr. Choppers insgeheim für reichlich übertrieben gehalten, so konnte er sich nun selbst eines Besseren belehren lassen. Am Liebsten hätte Law aus reiner Neugier den Hanyô als Versuchskaninchen einer langen umfangreichen Testreihe unterzogen, doch da der auserwählte Patient dem niemals freiwillig zustimmen würde, verwarf er diesen Gedanken wieder. Bockige Probanden hatten noch nie gute Testergebnisse geliefert, also blieb ihm nur ein beobachtender Blick über den Zeitungsrand hinweg. „Ihr habt ja beide reichlich Staub aufgewirbelt“, begann Law in seiner üblich ruhigen Stimme den Gesprächsfaden aufzunehmen und unterstrich seine Worte, indem er die aktuelle Tageszeitung aufgeschlagen so auf den Tisch legte, dass seine beiden Gäste es definitiv lesen mussten. „Und um uns das zu sagen, kreuzt du hier auf? Was machst du hier?“ Zoro war misstrauisch. Auch wenn Law ein Verbündeter war, so hatte dieser stets nur eigene Interessen im Hinterkopf und war niemand, der aus reiner Freizeitgestaltung heraus Hilfe anbot. „Mein Weg hat sich am Nebel-Archipel mit dem der Sunny gekreuzt. Man war in heller Aufregung über die Geschehnisse auf der Redline. Und außerdem waren sich alle einig, dass ihr den Rückweg niemals finden würdet.“ Laws Gesichtszüge wirken kühl und verschlossen, doch ein geschultes Auge nahm den Hauch eines Grinsens wahr und verriet, dass dieser eine Art von Eigennutz aus der Aktion ziehen konnte, da er sonst garantiert nicht das Abholkommando spielen würde. Zoros Blick wurde klarer. Seine Augen lasen noch einmal still die Artikelüberschriften. Durch den Weg über die verschneiten Bergpässe waren in der Tat einige Zeitungsausgaben an ihnen vorübergezogen. Viel Neues stand nicht darin. Noch immer ließ sich die Weltpresse darüber aus, wie führungslos die Weltregierung war und das die Nachfolge für ein neues Oberhaupt nach wie vor ungeklärt blieb. Die Weltaristokraten konnten sich nicht nur mit der halben Welt anlegen, sondern auch besonders gern untereinander mit sich selbst. Da gab es Familien mit Stammbaumrollen so lang wie die Grandline. Erbfolge- und Rangordnungsstreitigkeiten waren da keine Seltenheit. „Das könnte doch der Löffelschwinger machen...“, dachte Zoro laut vor sich her mit dem innerlichen Wunsch, Sanji so ein für allemal loszuwerden. „Immerhin ist der doch über -zig Ecken mit den Weltaristokraten verwandt...“ „Sanji? Und wer kocht auf der Sunny dann das Essen? Kommt gar nicht in Frage!“, protestierte Luffy umgehend, der zwar nie so recht zuhörte, aber genau solche Wortschallwellen immer irgendwie auffing und so verarbeitete, dass er ausschließlich seine eigenen Nachteile herausfilterte. Und die konnte er nicht so einfach unkommentiert im Raume stehen lassen. „Und Sabo?“ Zeitgleich blickten Luffy und Zoro Law vollkommen entgeistert an, als hätten sie einen schlechten Witz vernommen. Klar, Sabo war adliger Abstammung, doch als Rebell absolut verschrien und bei Tode gejagt. Welche Stammesfamilien würden ihn in Marijoa akzeptieren? Daneben lag die nächste Problematik auf der Hand, dass Sabo nach wie vor unter der Fuchtel Dragons stand. Wie die Revolutionsarmee weiter vorgehen würde und ob es in ihrem Interesse wäre, Marijoa zu diesem Zeitpunkt zu übernehmen, wusste aktuell in dieser Tischrunde niemand. Alles in allem war der Gedanke aber gar nicht mal so schlecht, weshalb Zoro ihn irgendwo in einer hinteren Gedächtnisschublade ablegt, obgleich er wusste, dass er den Gedanken da nicht so schnell wieder finden würde. Ihn beschäftigten im Moment ganz andere Dinge. „Zurück zu deiner Frage. Ich habe vor ein paar Tagen eine interessantes Spektakel miterleben dürfen. Wir waren am Ringporneglyph, als Blackbeard dort die Hanyô-Jagd eröffnet hat. Er hat wohl mittlerweile echt kapiert, dass er ohne jemanden wie dich nicht weit kommt.“ Law starrte Zoro für den Bruchteil der Sekunde an, bevor er in seiner üblich ruhigen Art vorfuhr. „Du glaubst gar nicht, WAS da alles los war. Und auch WER alles da war. Piraten, Kopfgeldjäger, Cipher Pol Agenten, Marinemitglieder... Die Kriege und Unruhen in unserer Welt haben die Menschen müde und hoffnungslos gemacht. Sie wollen um nichts mehr kämpfen. Sie wollen das Ende des Krieges. Alle warten nur noch darauf, dass One Piece gefunden und ein neuer Piratenkönig erhoben wird. Egal wer. Hauptsache schnell und eine neue Ära bringend.“ Er unterbrach seinen Monolog und fuhr dann dunkel fort: „Wirst du den Weg endlich beschreiten, Piratenkönig?“ Still war es augenblicklich in der Kneipe geworden, während Law sprach. Die Augenpaare der Mannschaft, welche eben noch auf Law ruhten, sprangen alle auf Luffy über. Was würde er antwortet? Dieser hatte mit seinen typischen großem Kulleraugen den Worten gelauscht, sprang plötzlich auf, dass der kleine Tisch bebte und die Tellertürme bedrohlich wankten und streckte dann die geballten Fäuste gen Zimmerdecke. Ein breites Lachen komplettierte das Gesamtpaket. „Bin schon dabei!“ Positive Aufbruchstimmung durchfuhr die Anwesenden. Nur an einem zog die Szenerie vorüber, als wäre er gar nicht an diesem Ort dabei gewesen. Zoros umklammerten mit seinen verkrampften Fingern die Zeitung und merkte gar nicht, wie sie zitterten. Sein Blick stierte durchbohrend auf ein verpixeltes Schwarzweißbild. Doch es war klar genug, um ein wichtiges Detail zu erkennen, was ihn gleichermaßen fesselte und schockierte. „Wo zum Henker ist das?!“ brüllte er unbeherrscht Bepo an, der auch sogleich Zoros Griff an seinem Kragen und ein Stück Zeitung in seinem Gesicht spürte. Vollkommen überrumpelt taumelte der große weiße Bär auf den verbündeten Angreifer zu und wusste gar nicht, wie es um ihn geschah. Verdattert zog er das Papier von seinen Augen, las den kurzen Artikeltext und gab bekannt, dass der dort erwähnte Ort eine Frühlingsinsel ganz in der Nähe sein würde. Noch nicht mal unbedingt ein Umweg zur Sunny. Ebenso überrascht wie Bepo war auch der Rest der Gruppe von Zoros Aufbrausen, das Luffy urplötzlich die Show stahl. Keineswegs diese Situation beabsichtigt und deshalb völlig unverfroren hielt Zoro nun dem zukünftigen König der Piraten den Zeitungsartikel vor die Nase, erklärte ihm mit einem Todesblick, dass sich die imaginäre Thronbesteigung zu verschieben hätte, wenn er nicht dort umgehend die Herausforderung annehmen würde. Luffy konterte, ob seinem Mitstreiter wohl die Schmerzmittel aus Laws Infusionsbeuteln zu Kopf gestiegen wären, musste aber auf die Antwort verzichten, da sie ausblieb. Herausforderung? Law fischte dem wütenden Luffy die Zeitung aus den Händen, um der Sache näher auf den Grund zu gehen. Er war sich sicher, bei der Lektüre des Käseblatts nichts Wichtiges überlesen zu haben. Aufstände im South Blue, unbedeutende Banküberfälle auf einer West Blue Insel, Börsencrash, Truppenbewegungen der Revolutionäre, Fahnenflüchtige Marineangehörige. Nein, da war nichts, was das Strohhutmitglied derart in Rage versetzt haben könnte. Der akute Untergang der Welt war für Zoro persönlich nicht von Bedeutung. Oder aber doch? Fast zu übersehen auf der Seite des Grandline-Klatsch-und-Tratsches quetschte sich ein Bild in eine Randspalte. Es mochte gerade mal so groß wie ein halber Berri-Schein sein, doch war es groß genug, um nicht eine Lupe zu Hilfe ziehen zu müssen. Ein Samurai posierte maskiert hoch zu Ross und der Text darunter gab eindeutig die Ambitionen dieses scheinbar verrückten und unerschrockenen Kämpfers preis. Er forderte Zoro zum Kampf heraus. Natürlich gab es da draußen viele Kopfgeldjäger und Titelanwärter. Zu welcher Sorte dieser Herausforderer hier zählte, vermochte Law nicht zu sagen, doch musste er etwas ganz Besonderes sein, wenn der Strohhutpirat aus seinem üblichen Schlafmodus erwachte und in ungeahnte Gefühlsausbrüche wechselte. Zufrieden faltete Law die Zeitung zusammen und steckte sie ein. Als er zum allerersten Mal auf Luffy und seine Bande traf, war ihm die Arbeitsweise befremdlich vorgekommen. Jeder machte nicht das, was er sollte, sondern jeder tat nur das, was er wollte. Ja, es gab ein klares und direktes Ziel, doch der Weg dorthin war kurviger als ein Schneckenhaus und verworrener als ein Wollknäuel. Und die größte Erkenntnis daran war: Es störte noch nicht mal eines der Crewmitglieder. Man stolperte von einem ungeplanten Abenteuer ins nächste, heimste Siege ein und freute sich darüber maßlos. Zeitetappen spielte keine Rolle, aber der Spaßfaktor war wichtig. Man wollte nur sich selber treu sein und nicht irgend jemanden zufrieden stellen. Das machte die nächsten Schachzüge der Bande unberechenbar. Niemand konnte je vorhersagen, wann sie wieder irgendwo auf dieser Welt von sich Reden machten. Und als sie nach weit über zehn Jahren noch immer nicht Raftel erreicht hatten, ging schon gar das Gerücht um, die Strohhüte hätte auf Grund von Reisemüdigkeit die Segel gestrichen. Dennoch gefielen den Menschen da draußen Luffys Art und Weise, Probleme anzugehen. Denn für ihn gab es prinzipiell nur Lösungen, auch wenn diese stets recht kleingeistig auf seiner eigenen Philosophie beruhten: Entweder meine Idee oder keine! Seine unbekümmerte Frohnatur war ansteckend und so war seine Fangemeinde doch emsig gewachsen. Auch wenn es unvorstellbar zu sein schien, war er glaubhaft. Wenn Luffy kein Piratenkönig wäre, wer sonst? Law hatte sich zwar mit der Sorglosigkeit und Unberechenbarkeit der Strohhüte nie so recht anfreunden können, doch war es nach wie vor spannend zu beobachten, was sie als nächstes tun würden. Allein das war schon eine Reise und eine Begleitung wert. Langweilig wurde es sicherlich nicht. Keine Viertelstunde später standen sowohl die beiden Strohhüte, als auch die gesamte Heart-Mannschaft vor der Tür des Gasthauses. Eine dicke Schneedecke formte die Berglandschaft samtig fein. Das schlechte Wetter war verzogen und über ihnen strahlte ein azurblauer Himmel mit den gleißenden Strahlen der Sonne um die Wette. Penguin war es, dem es entfuhr, dass die bunten Lichtstreifen am Himmel nicht mehr da wären. Alle taten es ihm gleich, blickten nach oben und konnte selbiges bestätigen. Nur Azurblau soweit das Auge reichte. Während alle freudig staunten, diese unheimliche Magie über ihren Köpfen nicht mehr ertragen zu müssen, wurde es Zoro hingegen mulmig. Da lief etwas in Raftel gewaltig schief. Definitiv! Die Gruppe setzte sich in Gang, folgte einer einsamen verschneiten Straße durch einen Winterwald voller glitzernder Schneekristalle und stoppte schließlich an einem kreisrunden Bergsee. Dunkel und Grüntürkis schmiegten sich seine Wasser in die weiße Pracht ein und das Dampfen verriet, dass sein Wasser sehr heiß sein musste. Eine Erklärung, weshalb er nicht von einer Eisdecke überzogen war. Bepo bewegte einen kurzen Stab und es begann an der Wasseroberfläche zu brodeln. Ein Glucksen und Gurgeln hallte von den Bergwänden wieder. Zuerst sah man zwischen den schäumenden Wellen nur ein gelbes Leuchten. Es folgte erst ein gelber Turm und dann der komplette Rumpf des U-Bootes. Der Bergsee wäre ein ruhender Vulkan und unterirdisch mit den Strömungen der Grandline verbunden. „Aha!“ staunten die Strohhutpiraten. Man ging an Bord. Wenige Minuten später versank das U-Boot mit seiner Crew wieder so schnell in den Fluten, wie es eben noch aufgetaucht war. Das gelbe Taxi verließ im Tauchgang die Grandline auf zur Neuen Welt. Kapitel 25: 25 - Ein Herz im Würfel ----------------------------------- Einem lautlosem Hai gleich tauchte das gelbe U-Boot durch die schwarzen Tiefen des Ozeans. Keine Wellen, kein Wind und kein Wetter konnte es von seinem Kurs abbringen, denn weit unter der Wasseroberfläche gab es nur noch Strömungen, die seinen Weg bestimmten. Kalte, die es nach unten drängten und Warme, die es hinaufziehen wollten. Schnelle, die es voran katapultierten und Langsame, die es ausbremsten. Nur einem guten Steuermann war es möglich, sich diese Strömungen eigen zu machen, um das Boot geräuschlos und energiearm zu navigieren. Und so jemand saß auf einem Schemel direkt vor einem Wirrwarr an Rohrleitungen, Druckanzeigen, Schaltern und Handrädern. Solch ein Tiefseeboot war eine physikalisch komplexe Angelegenheit. Viele Zellen aus Stahl ließen es aufsteigen, absteigen oder hielten es auf einer bestimmten Tauchtiefe. Doch nicht nur das Fluten und Anblasen der Zellen musste beherrscht werden, sondern auch Salzgehalt und Wasserdruck brauchten ein ebenso wachsames Auge wie das Tiefenruder ein glückliches Händchen. Für Penguin waren jahrelanges Training auf diesem U-Boot und ein gutes Gespür der Grund seiner Perfektion. Wenn er auf seinem Schemel hockte, die Hände durch die manuellen Steuerräder für die Trimmzellen steckte, um die Unterarme darin ruhen zu lassen, dann berührten seine Handballen auf dem Steuerpult nur ganz leicht die beiden Druckknöpfe des Tiefenruders. Dabei stierte er die Nadeln und Zahlen in den Druckanzeigen an, als würde er hypnotisiert durch sie hindurchblicken. Es gab von allem immer zwei Dinge. Zwei Tiefenruderschalter, zwei Trimmzellenräder und alle weiteren möglichen Anzeigen und Räder im Doppelpack, die ein Außenstehender kaum zu unterscheiden vermochte. Immer in den Farben Grün und Rot. Rot für die Backbordseite und grün für die Steuerbordseite. Wenn man Penguin so bei seiner Arbeit betrachtete, könnte man meinen, er wäre unaufmerksam verträumt, doch der Schein trog. Hochkonzentriert verschmolz er im Geiste mit diesem Haufen an Stahl und Rohren und wurde Eins mit ihm. Jeder leiseste Ton, jede feinste Erschütterung wusste er zu deuten und das Boot demnach zu steuern. Ungern gab er bei Schichtwechsel diesen Platz auf, wenn er sich nur wenige Stunden Schlaf in seiner Koje gönnte. Seine Mahlzeiten nahm er stets am Tiefenruder ein. Man nahm unter Wasser kein Zeitgefühl mehr war. Nur die Borduhr in der Kommandozentrale schlug zur rechten Stunde und wurde regelmäßig von einem Besatzungsmitglied korrigiert, wenn das Boot auf seiner Fahrt einen Längengrad überschritt. Es war der dritte Tag der Fahrt, als Penguin zur Mittagszeit aus seiner Arbeitsstarre erwachte und mit ruhiger Stimme seinen Kapitän wissen ließ: „Wir sind da!“ „Auf Periskoptiefe gehen!“, befahl Law seiner Mannschaft, die sich sofort zielgerichtet in Bewegung setzte, an irgendwelche Hebeln hantierte und das Boot spürbar seine Lage veränderte. Man konnte das Rauschen von Wasser und Anspringen der Druckluftmaschinen hören. Eben schien das Boot seine Bugnase zu heben. Es tauchte höher. Luffy und Zoro konnten nur innerlich staunen, welche Kampfmaschine sich hinter dieser unscheinbaren, quietschgelben Stahlzigarre verbarg. Niemand auf der großen weiten Welt konnte ihre Position erahnen. Es waren genug Torpedos an Bord, die jederzeit eine brachiale Vernichtung anrichten konnten. Vollkommen unangekündigt aus dem Verborgenen heraus. Und während man über Wasser noch rätselte, woher der Angriff aus dem Hinterhalt kam, so war das U-Boot schon wieder längst über alle Meere hinweg getaucht. Die beiden Strohhutpiraten verstanden langsam allein durch die Beobachtung des Bordalltags heraus, dass solch ein Tiefseeboot etwas ganz anderes war, als ein kleines Tauchboot, wie es die Thousand Sunny mit sich führte. Längst hatte das Boot die gewünschte Tauchtiefe direkt unterhalb der Wasseroberfläche erreicht. Law hatte eines der beiden Periskope ausgefahren, einmal schnell um die eigene Achse gedreht und sofort wieder eingeholt. „Was war das denn?“, staunte Luffy, der erwartet hätte, Law würde einmal durch das Seerohr hindurchblicken, um die Lage zu checken. Law blickte erstaunt über diese Frage zurück, verstand aber sofort, dass seine beiden Passagiere gewöhnlich nur über Wasser zu reisen pflegten. „Schau auf den Schneckenmonitor!“, lachte er kurz auf. Tatsächlich zeigte die Übertragungsschnecke den 360°-Rundumblick des Periskops im Zeitlupentempo. Der obere Teil des Bildes war ein herrliches Sonnenscheinwetter, im unteren Teil schwappten Wellen vorbei. Als sich etwas Spitzes über den Wellen abzeichnete, stoppte die Aufnahme zum Standbild. Es schien tatsächlich eine Insel zu sein. „Es ist so. Ich weiß nicht, was genau über unseren Köpfen passiert. Klar können wir anhand der Schallwellen uns so einiges zusammenreimen. Zum Beispiel, ob es ein Marineschiff oder ein Krabbenkutter ist. Auch die Anzahl der Schiffe kann man hören. Ich bin mir daher auch ziemlich sicher, dass aus der Luft ebenfalls keine Gefahr droht. Doch ein genaues Bild ist natürlich besser. Allerdings kann man das große Periskop, wenn es ausgefahren ist, leider auch mit bloßem Auge erkennen, weil die Wellen sich daran brechen. Die Marine hat geschultes Personal dafür. Die glotzen die ganze Zeit nur auf die Wellen. Deshalb drehe ich das Seerohr schnell einmal herum und sehe mir das Ergebnis auf dem Monitor an. So haben wir Ruhe und das Periskop ist nicht zu lange aus dem Wasser heraus sichtbar. Für Torpedoangriff nehme ich das kleine Periskop dort daneben. Damit kann man aber nicht schnell fahren. Das verbiegt sich sonst durch die Wellen und den Wasserdruck“, erklärt Law ausführlich. „Bei 14,3 Knoten ist Schluss...“, gluckste Penguin und verriet so, dass sich das Verbiegen des Periskops wohl schon einmal ereignet haben musste. Ein böser Blick Laws brachte den Gluckser zum Schweigen. „Verstehe. Du sprachst von Luftangriffen. Dann wäre also das U-Boot von oben herab durch einen bestimmten Blickwinkel unter bestimmten Voraussetzungen durch die Wasseroberfläche sichtbar?“, fragte Zoro. „Ja, ganz genau!“ antwortete Law erstaunt über diese gut formulierte Frage zurück und gab das Zeichen zum Auftauchen. „Hey, tu nicht so schlau, als ob du das hier alles kapieren würdest...“, beschwerte sich Luffy, lenkte seine Aufmerksamkeit aber umgehend auf das geöffnete Turmluk. Frischer Sauerstoff strömte herein. Die Lungen der Crew lechzten danach und sogen ihn gerade zu auf. Nein, Zoro war sicherlich kein Physik-Ass, doch hatte er sich so einiges in Erinnerung rufen können, als seine Tochter im Frühjahr allesamt mit ihrer Physikarbeit nervte, weil sie bei dem Optik-Thema so gar nicht zu begreifen schien, wie sich das mit dem Einfalls- und Ausfallswinkel zu verhalten hatte. Dank Franky, einer großen Schüssel Wasser, einem Stein und einem Geodreieck konnte der Tragik mittels eines Experiments ein Ende gesetzt werden. Zoro musste unweigerlich daran denken, als Law die Sache mit dem Periskop erklärte. Ein U-Boot war also doch nicht so unsichtbar, wie es immer den Anschein erweckte. Die Mannschaft hatte sich oben an Deck des U-Boots versammelt. Es roch nach Meerwasser. Die letzten Wasserreste rannen platschend vom Stahlrumpf wieder zurück in die See. Erst brauchte man noch ein Fernrohr, doch dann war alsbald der Zuckerhut am Horizont ohne jegliche Sehhilfen zu erkennen. Er wuchs mit jeder Seemeile mehr empor und tauschte sein farbloses Blaugrau zu seiner wahren Farbe. In zartestem Rosa schimmerte und schillerte es nun. Der Zuckerhut war ein erloschener Vulkan, an dessen Berghängen unzählige Kirschbäume um die Wette blühten. Sakurayama war also der mehr als passende Name für dieses verzauberte Eiland. Die Bäume wuchsen bis an das Meer heran und schneiten verschwenderisch ihre Blütenblätter hernieder, so dass selbst das Meerwasser rosa bedeckt war. Es war wohl auch nur das Salz des Meeres, das diesem Naturschauspiel Einhalt gebot. Sonst hätte sich der Kirschbaumwald wohl auch noch über den Ozean erstreckt. Es gab nur einen einzigen Ort an der Westküste mit einem Hafen, einigen kleinen Herbergen und einem winzigen Marktplatz. Zügig lief das U-Boot auf dieses Ziel zu und legte an. Law gab eine Zeitangabe vor, zu der er abzulegen gedachte, und schon verstreuten sich alle über das kleine, überschaubare Reiseziel. Zoro hatte sich schnell von den Anderen abgesetzt. So schnell, dass diese es gar nicht einmal zuerst bemerkt hatten. Doch da es von Beginn an das Bestreben des Nakamas gewesen war, hier auf diesem Eiland etwas zu klären, verwunderte es auch Niemanden im Geringsten, dass sich Zoro wohl schon längst auf den Weg gemacht haben musste. Das Areal war selbst für einen Roronoa ohne Orientierungssinn übersichtlich gehalten. Nur ein einziger Weg führte hinaus aus dem Ort zu dem hoch gelegenen Gipfel. Wie eine Schlange wandte sich der Pfad um den Vulkankegel und war beschuppt von unzähligen niedergefallener Blüten. Ein leichter Wind wog sich in den Zweigen der Kirschbäume, zupfte an den Blüten und ließ es zartrosa regnen. Leise rieselten sie hernieder wie Schneeflocken, bedeckten den Weg und die Grashalme zwischen den Bäumen. Sie fielen im Zeitlupentempo, als wäre die Zeit kurz davor stehen zu bleiben. „Wie Schnee“, dachte Zoro, während er bedächtig dem Pfad folgte und dabei durch die Blütenblätterberge stapfte, dass es zu seinen Füßen nur so rauschte. „Schnee … hatten wir doch neulich erst ...“, seufzte er. Er hielt inne und blickte umher. Das Azurblau des Himmels, das Rosa der Blüten und das Schwarz der Stämme. Kitschiger konnte es kaum sein. Es war ruhig hier oben. Viel zu ruhig. Kein Vogel, keine Maus, kein Insekt hatte sich hierher verirrt. Dennoch war er sich absolut sicher, dass er nicht einsam seiner Wege zog. Da beobachtete ihn etwas zwischen den Ästen heraus. Und es war clever genug, sein Observationshaki so zu täuschen, dass es fast unsichtbar war. Es versteckte sich und lauerte. Zoro lüftete seine Lungenflügel mit einer tiefen Brise an milder Frühlingsluft, schloss die Augen und verharrte in tiefer Ruhe in sich. Aufmerksam tasteten seine Sinne sein Umfeld ab. Da war der Beobachter wieder! Und sogleich auch wieder weg. Nein, es war ihm nicht möglich, mittels Haki die Aura desjenigen zu lokalisieren. Einen kurzen Moment lang flackerte die Erinnerung auf, wie nützlich es einst mal war, Prismenträger gewesen zu sein. Gefühlswellen aller Wesen hatte er einst gespürt und diese auch gegen sie selbst verwenden können. Ein Leichtes wäre es da gewesen, den Beobachter auszuschalten. Nichts war ihm von dieser besonderen Gabe geblieben. Doch nun war detektivische Kombinatorik und blanke Strategie gefragt. In seinem Kopf setzte er Scherbe um Scherbe an Fakten zusammen. Da war der Samurai auf dem Zeitungsfoto, der ihn herausforderte. An seinem Gürtel ein Katana. Sein Katana! Wadôichimonji! Es gab eigentlich nur drei Möglichkeiten, wer also der Samurai sein könnte. Taiyoko, weil sie das Schwert mitgenommen hatte. Takeru, der es ihr abgenommen haben könnte. Oder ein unbekannter Dritter, der es zufällig in die Hände bekommen hatte. Taiyoko, Takeru, Mister X... Zoro wog das Für und Wider zwischen den Optionen genau ab. Und plötzlich durchzuckte es ihn wie einen Blitz, wer denn da durch die Bäume huschte. Es war kein Observieren, wie man es tat, wenn man jemanden nach dem Leben trachtet, sondern der pure Fluchtgedanke. „Du kleiner Feigling!“, schlussfolgerte er innerlich. „Na warte!“ Als wieder für den Bruchteil einer Sekunde die Deckung des versteckten Beobachters aufflog und dessen Aura kurz aufflackerte, schoss er auf diesen los wie eine Motte, der man gerade die Stubenlampe angeknipst hatte. Sein Gegner, der längst die Situation erkannt hatte, verflüchtigte sich umgehend. Diese ganz besondere Art der Tarnung beeindruckte Zoro. Allerdings wäre sie nicht mehr lange aufrecht zu erhalten. Und schon gar nicht vor einem Hanyô wie ihm. Zoro lehnte nun rücklings an einem Baumstamm, verschränkte die Arme und rief sich in Gedanken zurück, was Tashigi ihm vor wenigen Tagen erzählt hatte. Von Kindern, die einfach mal irgendwann irgendwo auf den Blues verschwanden. Kinder ohne Namen und ohne Vergangenheit. Kinder, die niemand jemals suchen oder vermissen würde. Unzählige gab es davon. Ihr Schicksal war ungewiss. Doch manchmal tauchten sie auch wieder auf. Neuer Name und neue Identität. Neu instruiert und gebrandmarkt. Selbst die Weltregierung verschlang solch kleine unschuldige Geschöpfe in ihrem Moloch und stopfte sie in geheime Einheiten, die nicht einmal innerhalb der militärischen Reihen bekannt waren. Wie Laborratten im Käfig gehalten, fristeten sie dort ein Leben zwischen missglückten Experimenten und sozial isolierten Qualen. Und genau solch ein rebellierendes Exemplar turnte hier gerade ganz in seiner Nähe durch den kitschig romantischen Blütenregen. Bockig aufbegehrend und dem Wahnsinn der Weltregierung entronnen. Zum Teufel, was diesen Menschen antrieb. Entweder war er komplett durchgeknallt oder mit einem kühl kalkulierten Plan am Start. Das Kramen in Zoros Hosentasche beförderte ihm die Vivrecard seiner Tochter ans Tageslicht. Unbeschadet wie frisch erstellt ruhte sie in seiner Hand. Taiyoko musste ganz in der Nähe sein. Er blickte nach oben durch die lichte Baumkrone hindurch. Fast lautlos wandte sich eine feine Brise um die Äste, wog die Zweige und entlocktem dem Himmel sein klares Blau. Vollkommen unbeeindruckt von der Schönheit der Blüten holte der Wind die Kirschblütenblätter von den Bäumen. Nach Zoros verflossener Geduld war es nun ebenfalls an der Zeit, den Feind vom Baum zu holen. Ein kleines Katz-und-Maus-Spiel begann durchs Geäst hindurch und um Baumstämme herum. Der verträumte Wald wurde schlagartig aus seinem Schlaf gerissen. Laut zitternd beschwerten sich die Zweige über die beiden Eindringlinge, wild empor tanzten die gefallenen Blütenblätter in die Höhe und legten sich zugleich ungeordnet wieder hernieder. Und der Angreifer war schnell. Blitzschnell. Und dabei extremst geräuschlos. Ebenso, wie er einst gedrillt worden war. Zoro hasste es, hinter den Leuten hinterher zurennen. Entweder sollten sie anständig kapitulieren oder gefälligst kämpfen. Aber dieses ganze Rumeiern war blanker Mist. Er schnaubte kurz auf und hatte beschlossen, diesem Affenzirkus nun ein Ende zu bereiten. Die Taktik seines Feindes längst durchschauend, lief er zielgerichtet auf einen Punkt zu, wo dieser in den nächsten Sekunden sich wieder zu zeigen hätte, ohne dass er es auch nur im Ansatz verhindern könnte. Der Plan ging auf. Die Ruhe kehrte erst zurück in das Waldidyll, nachdem des Angreifers Schwert gegen Zoros prallte, welches dieser nur über der Schulter abwehrend gezogen hatte. Kalt starrte Zoros Auge über die Klinge hinweg in das Gesicht seines gleichgroßen Gegenübers, von dem man nicht viel sah außer entschlossene, dunkle Mandelaugen. Ansonsten gab es nicht viel zu sehen, denn der Rest versteckte sich unter einer schwarzen Kapuze mit schwarzer Halbmaske und schwarzem Anzug. Schwarz in Schwarz. So schwarz wie sein Innerstes. Aber da war noch was anderes in den Mandelaugen. Die Schwärze war vom Leben anerzogen worden und nicht solch eine, die sich von Beginn an in ihm ausgebreitet hatte. Ohne Zweifel, der Angreifer verstand sein Handwerk, wenn auch der Sprung zum Spitzenplatz der wahren Schlachtenkämpfer noch zu hoch angesetzt war. Ein Hauch von Grinsen überzog Zoros Miene und glättete die Wogen seines Ärgers. Es war also alles wahr, was man über diesen Menschen erzählte: Takeru, der Zwielichtwandler. Als jugendlicher Kleinkrimineller aus Loguetown verbannt, von der Cipher Pol Zero aufgegriffen und ausgebildet, zu Teufelsfruchtexperimenten verdonnert und dann nach dem Rebellieren in den eigenen Reihen und einer gescheiterten Mission per Todesurteil gesucht. Eine Karrierespirale abwärts wie aus dem Bilderbuch. „Wo kommst du so schnell her?“ waren Takerus einzigen Worte zur Begrüßung und man hörte deutlich die Verunsicherung in seiner Stimme darüber heraus, dass sein Gegenüber die Teufelskräfte derart analysieren und durchschauen konnte. „Hätte ich vorher klingeln sollen?“ Zoro grinste. „Und nun? Haust du wieder ab ins Zwielicht?“ Zoro hatten nun doch seinen Spaß gefunden, als er Takerus Mimik beobachtete. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte dieser die Frage aufgenommen und tat ganz unberührt. Innerlich musste aber gerade die Hölle ausbrechen. Dennoch ging Takeru das volle Risiko ein, formte seine Finger zu einer Raute und murmelte: „Heiko no Toei!“ Parallele Reflektion? Über soviel jugendlichen Leichtsinn konnte Zoro nur den Kopf schütteln. Bedächtig schob er sein Schwert zurück in die Saya und blickte zu Boden, wie dieser sich langsam einem Bannkreis ähnlich schwarz färbte. Das war nicht sein eigener Bannkreis, sondern der des Teufelsfruchtnutzers. Da wollte dieser ihn doch tatsächlich mit ins Zwielicht ziehen? Wie albern war das denn Bitteschön? Da könnte Zoro doch jederzeit wieder selbst ausbrechen. „So, du Vorstadtninja! Für sowas wie dich brauche ich nicht mal ein Schwert ...“, zischte Zoro fast schon über diese Attacke beleidigt. „Da reicht die blanke Faust!“ Sagte es und schlug zu. Mitten in die Luft hinein. Hanyos können alle, die durchs Zwielicht wandeln, sehen. Ganz gleich, in welcher Ebene sie sich im Zwielicht befinden. Unweigerlich musste Zoro kurz auflachen, als ihm Choppers naive, aber nicht minder dumme, Frage von einst durch den Kopf schoss: „Wenn du da mehrere Leute in dem Licht verbannst, treffen die sich da alle wieder?“ „Das ist eine verdammt gute Frage...“, hatte er lachend geantwortet und zugleich ernsthaft darüber nachgedacht, denn es war ihm bis dato völlig egal gewesen. Zoros Faust klatschte gegen einen schwarzen Körper, der einige Meter weit flog, dann über den Boden kollerte und mit einem weiteren Aufschlaggeräusch an einem der Baumstämme hängen blieb. Noch bevor dieser sich wieder auf die Füße rappeln konnte, stach ein zweiter gewaltiger Schmerz in seine Lende, der nun von Zoros Stiefel herrührte und ihn den ganze Weg wieder zurück kollern ließ. Dann schnürte es ihm die Luft zu, wie er am Kragen gepackt und hochgerissen wurde. Verschwommenen Blickes fixierte er wehrlos Zoros emotionsloses Gesicht. „Mensch, Takeru, wenn du in der hohen Liga mitspielen willst, musst du aber noch eine Schippe draufpacken!“, höhnte es barsch. „Wo ist sie?“ zogen sich die drei Worte dunkel in die Länge. Ein heftiges Schütteln an Takerus Kragen unterstrich die Frage unausweichlich in ihrer Härte. Die Welt vor seinen Augen verabschiedete sich. Der Boden unter seinen Füßen entglitt ihm. Einem nassen Handtuch gleich hing er der Ohnmacht nahe in Zoros Griff. Das musste diese Hanyô-Kraft sein, die alle Teufelsfruchtnutzer in Sekunden ausschaltete. Er hatte diese Kraft schon einmal gespürt. Taiyoko hatte sie auf dem Dampfer unbewusst angewandt, aber das hier war heftig. Als wäre man in kochendes Salzwasser geworfen worden. Ein grässliches und zugleich betäubendes Gefühl. Er war unfähig, sich zu wehren. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Kurzum küsste er wieder qualvoll den Erdboden, als Zoro ihn mit einem eleganten Schwung auf die Knie schmiss und sein Haupt mit dessen Stiefelsohle unharmonische Bekanntschaft machte. So zum Tode positioniert schloss er die Augen, hörte das Klicken des herausspringenden Schwertes aus seiner Schwertscheide und wartete auf das Ende. In ein paar Sekunden würde alles vorbei sein und sein Kopf würde hier zwischen den Blütenblättern rollen. Dabei würde sein Blut zwischen den rosa Blättern noch nicht einmal auffallen. Kaltes Metall legte sich an seinen Hals. Obgleich noch Kleidungsstoff das Schwert und seine Haut voneinander trennten, fror es ihm wie Eis. Wieso hieb der Pirat nicht einfach zu? „Ich will nicht unhöflich sein. Wolltest du noch etwas mitteilen?“ Die Stimme des Piraten klang gelassen und zynisch zugleich, als würde er wie ein Dorfhenker diese Tat mehrmals am Tag ausführen. Vollkommen fließbandmäßig im Akkord. Eiskalt und unberührt vom Schicksal des Opfers. Takeru sprach kein Wort. Zum einen wusste er nicht wirklich, was es noch zu reden gäbe. Zum anderen fürchtete er, seine Worte könnten den Piraten in irgendeiner Form weiter verärgern und dieser würde den Schlag dann so ansetzen, dass sich Takerus Kopf ganz langsam quälend vom Hals trennen würde. Takerus geschlossene Augenlider pressten sich nun aufeinander, um das aufsteigende Wasser zu unterdrücken. Sein Leben zog in diesen Sekunden vor seinem inneren Auge vorüber. Das eben noch an seiner Halsschlagader ruhende Schwert war gewichen. Es musste direkt über ihm in der Luft schweben und auf seinen Einsatz warten. Takeru bildete sich ein, wie das Kitetsu nach Blut förmlich schrie. Tatsächlich hielt Zoro das Schwert ausholend mit beiden Händen über seinen Kopf, beobachtete aber genau die Reaktion des im zu Füßen Hockenden. Gerade mal 19 Jahre alt. Welch kurzes Leben. Welch Potentialverschwendung. Keine Gegenwehr, keine Antwort. Der Bengel vor ihm konnte mehr, als nur so verdächtig passiv vor ihm zu kauern, hatte aber nichts von seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten angewandt. Die reine Ehrfurcht oder erbietende Reue konnten es garantiert nicht gewesen sein. Die Sache stank zum Himmel. Lautlos schob er das Schwert wieder in seine Saya, nahm den Fuß von Takerus Kopf, nur um diesen mit einer Hand am Kragen auf die Beine zu ziehen, dass es Takeru Hören und Sehen verging. Dann wurde ihm die Kapuze vom Kopf gerissen, denn der Pirat fand es unweigerlich zum Kotzen, wenn er nicht wusste, wie seine Gegner überhaupt aussahen. Wenn man schon Sachen angezettelt hatte, dann sollte man persönlich dazu stehen und sich nicht in der Anonymität verbergen. Zoro hatte just eine bessere Idee. Wenn man Kanonenfutter hatte, dann sollte man es nicht schon vorher umbringen, sondern lieber sinnvoll einsetzen. Zumindest funktionierte das immer auch so bei Usopp, wenn dieser wieder einmal mehr alle aus der Crew nervte. Warum nicht auch bei Takeru? Durch einen kräftigen Schlag auf die Schulterblätter stolperte Takeru vorwärts, wohin Taiyokos Vivrecard den Weg wies. Weit brauchten sie nicht zu gehen. Ein Rauschen im Blätterwalde kündigte an, dass sich etwas genau auf sie zubewegte. Rosa Blätterwolken flogen auf und inmitten dieser Wolken trabte … „... ein Einhorn?“ Zoro blinzelte mit dem Auge, dass er nicht träumte. Sollte er doch träumen, so musste dieses ein merkwürdiger Alptraum sein und er überlegte, ob in der Sake-Flasche, die er zuletzt an Bord des U-Bootes geleerte hatte, nicht doch noch Halluzinationen hervorrufende Substanzen beigemengt worden waren. Zumindest wurde von solchen bizarren Erscheinungen berichtet, wenn man sich Drogen eingeworfen hatte. Als würde es durch die Blätter schweben, trabte ein Einhorn ohne Horn anmutig mit majestätisch erhobenem Kopf und gewölbtem Hals auf die beiden Männer zu. Die Mähne wehte wallend im Takt des Trabes mit. Obig auf dessen Rücken thronte ein Persönchen in Samurairüstung mit allem, was dazugehört. Helm, Gesichtsmaske, Brustpanzer, Schutzschienen, Katana. Ein Bild für die Götter. Unmittelbar stoppte das Reittier aus der Bewegung heraus vor Zoros Füßen ab, und durch eine furchteinflößende Maske wurde der Pirat von oben herab betrachtet. „Papa!“ erklang es freudig. Der Samurai glitt vom Einhornrücken und fiel Zoro so ungeschickt um den Hals, dass die Hörner des Helms ihn fast noch am Kopfe aufgespießt hätten. Und dann folgte ein ungebrochener Redeschwall, den sie von ihrer Großmutter geerbt haben musste. Ohne Punkt und Komma sprudelte ein wahrer Geysir an Absätzen aus ihr heraus. Von dem untergegangen Dampfer und der Paradies-Insel aus Asche. Von Pikadon, dem Zauberer und dem Regenbogen. Von den Wolken. Und wie sie Takeru dazu verdonnert hatte, ihr gefälligst zu helfen. Welch ein Abenteuer. Insgesamt gesehen hatte seine Tochter doch mächtig gute Laune. Takeru hatte schweigend zugehört, schmerzte doch sein Unterkiefer immens von Zoros Faust. Verrenkt? Gebrochen? Er war sich unsicher dessen, wagte er es doch nicht, dieses zu testen. Es genügte ihm schon, wenn er nur mit seinen Fingerspitzen sanft die Stelle berührte und einen stechenden Schmerz spürte. Vermutlich war es dort grün und blau. „Verdonnert?“ platze es nun aber doch aus im heraus und mitten in die Erzählung hinein. Das Schmerzgefühl schloss seinen Mund umgehend. „Wenn du schon wieder anfängst zu streiten, dann schmeiße ich dich beim nächsten Mal vom Regenbogen runter ins Meer, du Nichtschwimmer!“ keifte Taiyoko zurück. Und dann ging das Geplapper weiter. Über den Regenbogen waren sie hierher geraten. Ein Zirkus hatte noch vor wenigen Tagen vor Ort sein Zelte aufgeschlagen gehabt. Beim Requisitenklau kam dann die Idee mit dem Zeitungsfoto. Insider würden es verstehen, alle anderen, die Hanyo-Jagd betrieben, nicht. Zuhause anrufen? Die Leitungen wurden garantiert abgehört. Zumindest hatte das Takeru beim Pläne schmieden behauptet. Aufmerksam war der Pirat den Ausführungen seiner Tochter gefolgt, nebenbei hatte er beide beobachtet. Erstaunlicherweise lag da tatsächlich keine Feindschaft in der Luft, sondern eine freundliche Zweckgemeinschaft. Sieh an, sieh an. „Klingt ja alles absolut vernünftig“, sagte Zoro gespielt ernst. „Man klaut trotzdem keine Kinder von seinen Eltern!“ Dabei schaute er Takeru mit einem Todesblick an, dass dieser mindestens um einen halben Kopf in sich zusammensackte. „Aber er hat zu Schluss auf mich aufgepasst ...“, wollte Taiyoko eine Verteidigung versuchen. „Ach was...“, kam wieder dieser gespielt ernste Ton vom Piraten, der an Sarkasmus nicht zu übertreffen war. Mit einem „Abflug!“ dirigierte Zoro die beiden Abenteurer samt Reittier auf den Weg hinab ins Dorf. Kanonenfutter. Eine verrückte Idee nahm im Kopfe des Piraten immer festere Formen an. Ein dreckiges Grinsen überzog sein Gesicht. Und Takeru ahnte, dass der Tag für ihn nicht gut ausgehen würde, während Taiyoko nur zu gut bekannt war, dass es besser wäre, jetzt lieber gar nichts mehr zu sagen. Der Heimweg verging schneller als gedacht. Ebenso schnell machte die Geschichte unter den dort wartenden Nakama die Runde und Law musste laut losprusten, als Zoro ihm sein Anliegen vortrug. „Room! Mes“ Es war nur zwei Worte und eine Handbewegung. Aber die Wirkung war lebensverändernd. Law hielt seinen Arm ausgestreckt mit der flachen Hand vor sich und blickte zufrieden auf seine leichteste Übung. Ein Würfel ruhte dort. Er pocherte und pulsierte. Ein aufgeregtes Herz schlug wild in seiner Mitte und wunderte sich, nun nicht mehr in der Dunkelheit eines Brustkorbes geborgen zu sein, sondern nun Tageslicht zu erblicken. Zoro hatte sich in die Hocke begeben und warf Takeru einen abwertenden Blick zu. Über den Raub seines Herzens zusammengebrochen, lag dieser schwer keuchend auf dem harten Kopfsteinpflaster. Kanonenfutter eben. „Du wirst das tun, was Taiyoko zu dir gesagt hat. Du wirst sie nach Hause bringen. Damit das auch klappt, werde ich einfach diesen Pfand hier mitnehmen“, gab Zoro dem Gepeinigten unmissverständlich zu verstehen und hielt ihm sein eigenes Herz als Beweis unter die Nase. „Und Gnade dir alles, was dir heilig ist, wenn du es wagst, zu versagen …!“ Aus blutunterlaufenen Augenwinkel sah Takeru, wie Zoro sein Herz im Würfel in dessen Hosentasche versenkte und ihn dann einfach so verließ. Er zog seine Tochter an sich und verschwand einige Meter weiter mit ihr. Weg vom Platz an den Rand der Häuser. Dabei sprach er leise etwas, was nur die beiden hören konnten. Der Schock über Takerus Strafe stand ihr nun doch sichtlich ins Gesicht geschrieben. Doch die ruhigen, deutliche Worte ihres Vaters trockneten ihre Tränen, beruhigten sie. Ein gequältes Lächeln fand sich wieder zu ihr zurück. „Also ich fand, er war echt großzügig zu ihm“, raunte es aus der Menge der Heart-Piraten-Crew über diesen Vorfall mitten auf dem Marktplatz in aller Öffentlichkeit. Dann leerte sich der Platz. Takeru wusste noch nicht so recht, ob das nun großzügig war. Ein vermeintlich Herzloser hatte sein Herz verloren. Die Ironie des Schicksals. Wenigstens hatte er seinen Kopf behalten. Kapitel 26: 26 - Agua Caliente ------------------------------ Es waren güldene Sterne, welche leuchtend in großen Augen aufblitzten, ein begeisterter Gesichtsausdruck und generell Luffys innere Überzeugung, immer an erster Stelle stehen zu müssen, was letztendlich dazu führte, dass Takeru seinen Sitzplatz auf Pikadons Rücken einbüßte. Sofort war der Pirat Feuer und Flamme gewesen, als er Taiyokos Geschichte hörte, wie sie die letzten Tage zu reisen gepflegt hatte. Das Pferd war ein echtes Einhorn, welches mit Hilfe eines Regenbogens flog? Wahnsinn! Da gab es für Luffy in keinster Weise eine Diskussion. Das musste er einmal selbst ausprobiert haben. Da Widerspruch zwecklos war, Takeru eh keine Lobby in der Gruppe besaß und auch Pikadon befand, dass Luffys Herz weit aus leichter wog, war der Platzwechsel beschlossene Sache. Obgleich Takeru nun im wahrsten Sinne des Wortes herzlos geworden war, behaupte das Einhorn nach wie vor, das Takerus schwarze Seele es definitiv runter ziehen würde, sowohl seelisch, als auch vom Regenbogen. Nur die reinen Herzen flogen leicht wie eine Feder. Takeru hatte nur seinen üblich finsteren Blick in der Runde verteilt, einmal kurz geschnaubt und war dann Zoro und der Heart-Crew in den gelben Bauch des U-Bootes gefolgt. Dort sollte er in einer Ecke auf einem zugewiesenen Platz für die nächste Zeit der Seereise maulig hocken und nicht einmal eine Mahlzeit anrühren. Im Laufe des zweiten Tages wurde es Zoro allerdings mit der Zickerei zu blöde. Er zimmerte dem widerwilligen Wegbegleiter einen Teller mit Essen vor die Nase und drohte ihm, er würde ihn mit dem nächstbesten Öltrichter als Hilfsmittel zwangsernähren. Unter strengen Augen löffelte Takeru in Rekordzeit den Teller leer und meinte Anflüge eines Grinsens in Zoros Mimik erkannt zu haben. In diese neue Rolle gedrängt, ward ihm keine andere Möglichkeit geblieben, als zu gehorchen und sich unterzuordnen. Erstaunt angesichts der Tatsache, soviel versteckte Fürsorge von dem Piraten zu empfangen, ward er um so erstaunter, als Zoro im Weggehen mehr denn zu sich selbst sprach als zu ihm: „Wir sind uns gar nicht so unähnlich...“ Damit hatte Takeru nicht gerechnet. Und er grübelte den Rest der kurzen Fahrt lange darüber nach, was das nun alles wieder zu bedeuten haben könnte. Und er sollte aus dem Grübeln auch nicht herauskommen, denn pünktlich zur nächsten Mahlzeit landete die nächste Ration direkt vor ihm. Die aß er ohne Drohung, sondern schweigend bedächtig. „Unsere Wege werden sich wie es ausschaut allesamt in Agua Caliente trennen“, sagte Zoro in die Stille hinein und ließ Takeru aufhören. „Wie ich Taiyoko kenne, wird sie sicherlich zurück nach Loguetown wollen, wobei mir das nicht sonderlich recht ist. Aber du hast ihren Sturkopf sicherlich schon bemerkt...“ Obgleich Takeru den Teller nur mit dem Löffel geleert hatte, war dieser so blitzblank geworden, als käme er gerade aus der Spüle. Nun ruhte der Löffel auf dem Teller und Takeru blickte auf. Seine Blicke trafen die des Piraten, der ihn aufmerksam beobachtet hatte. Er hielt diesem Blick keine Sekunde stand, obgleich Zoro nichts anderes tat, als in seiner üblichen Pose mit verschränkten Armen an der Wand zu lehnen und mit schweigendem Pokerface auf hin herab zu sehen. Nervös starrte der Jüngere wieder zur Seite, denn es war ihm schleierhaft, was die wahren Beweggründe sein mochten, die ihm diese Rolle eingebracht hatten und welche nun auszufüllen wäre. Es gab keine Antwort. Nicht hier und nicht jetzt. Der Pirat beließ es dabei, ihn weiter im Dunkeln zappeln zu lassen. So blieben ihm nichts als Vermutungen und das Warten auf die Ankunft in Agua Caliente. Im gleichmäßigen Dreitakt trommelten Pikadons Hufe auf dem Regenbogen und erzeugten dabei einen feinen Funkenregen, dessen Tröpfchen mit dem Klang eines Glockenspiels zerplatzen. Mit Taiyoko und Luffy auf dem Rücken galoppierte das Einhorn hoch oben in den Lüften über alle Meere und Inseln hinweg. Unbeschwert und frei. Der wärmende Sonnenschein unterstrich die Leichtigkeit und ließ auf diesem Ritt beinah alles vergessen, was in den letzten Tagen passiert war. Sie waren schon eine Weile unterwegs, und die beiden Reiter verstrichen sich die Zeit, indem sie nach unten blickten und sich gegenseitig neue Entdeckungen zeigten. Äcker und Wiesen schienen aus der Höhe herab wie ein großes gewürfeltes Tuch. Häuser wirkten wie Bauklötze. Und Wälder glichen flauschigen Teppichen. Ruhig und friedlich wirkte die Welt zu ihren Füßen. Kaum ein Laut drang nach oben. Doch es blieb Luffys Augen nicht verborgen, dass sich dort unten Schiffe zu Konvois zusammenschlossen, Brandwolken mehr und mehr aus den einzelnen Königreichen aufstiegen und sich fast unmerklich Truppenbewegungen auf den Erdteilen vollzogen. Die brodelnden Vorboten des Krieges hatte es nie wirklich gegeben. Der Krieg war längst da. Obwohl Luffy eine wahre Frohnatur war, betrübte ihn der Blick auf die Welt unter sich. Seine Trauer übertrug sich umgehend auf Pikadon, was den Regenbogen kurz absacken ließ, als wären sie durch ein Luftloch geflogen. „Hey, was ist los?“, fragte Taiyoko aufgebracht, die sich doch sehr über den kurzen Ruck erschrocken hatte und beinahe heruntergefallen wäre. Ängstlich klammerte sie ihre Beine um Pikadons Bauch und krallte sich in der Mähne fest. „Nichts, nichts“, murmelte Luffy abweisend. Sein gespielt sorgloser Gesichtsausdruck, welchen das Mädchen bei einem kurzen Blick über die Schulter erhaschte, konnte aber nicht über seine innere Haltung hinwegtäuschen. In diesem Moment war ihm klar geworden, dass es keinen Aufschub mehr gab. Der Krieg, den niemand wahrhaben wollte, klopfte schon lange nicht mehr an die Pforte, sondern war schon mit der Tür ins Haus gefallen. „Pikadon, können wir einen kleinen Umweg fliegen?“, bat er das Einhorn. Das Mädchen blickte noch einmal erstaunt über ihre Schulter und erhoffte sich eine Antwort von dem nun recht schweigsamen Strohhutpiraten. Doch es kam nichts. Pikadon schnaubte kurz fröhlich auf. „Ich weiß, was du planst. Du hast die kritische Situation erkannt und siehst keinen anderen Ausweg, als dich nun selbst auf den Thron des Piratenkönigs zu erheben. Doch wo willst du das tun? Willst du dich mutterseelenallein mit einem Megaphon auf den nächstbesten Marktplatz stellen und es laut hinausschreien? Da wird dich kaum einer ernst nehmen, geschweige denn es mitbekommen. Über welche mediale Plattform denkst du denn nach?“ Betretendes Schweigen trat auf. Die Meinung des Einhorns wurde in Luffys Hirnwindungen verarbeitet. Wie zum Geier hatte das Tier wissen können, was sein gedachtes Bestreben gewesen war? Darüber hinaus hatte es auch noch Recht. „Das ist mir alles klar!“, kam es da lediglich vom Piraten trotzig zurück. „Und wer soll dir alles folgen? Welche Front wirst du in diesem Krieg zuerst eröffnen?“ Man kam nicht umhin zu sagen, dass Pikadon tatsächlich eine große Weisheit und Ruhe in sich trug, obgleich seine Ausdrucksweise doch recht altbacken und befremdlich in jungen Ohren klang. Es mochte an dessen Alter liegen, denn es hatte schon einige hundert Jahre auf dem Buckel. Nur das feine Glockenspiel zu Pikadons Hufen und das Pfeifen des Windes begleiteten die Gedanken des Piraten. Eine Insel unter ihnen verschwand hinter dem Horizont. Eine Neue tauchte auf. Dazwischen wieder ein Konvoi. Unterschiedlichste Schiffstypen aus allen Altersepochen dümpelten vereint durch die Wellen. Aber eines verband sie zu einer Einheit: Die Piratenflaggen am Masten. „Was schlägst du vor?“, nahm Luffy den Gesprächsfaden wieder auf, nachdem er seine Vorstellungen geordnet hatte. „Warte noch die nächsten zwei Tage ab, bis ihr euch alle versammelt habt. Und dann solltest du alle aus deinem Team und deine Verbündeten einsetzen, um dein Netzwerk zu vergrößern. Du hast schon ein sehr gutes Netzwerk, doch es ist nun an der Zeit, dass dieses auch tatsächlich in Funktion tritt. Überlege dir, wen du mit welchen Aufgaben betraust.“ „Du bist wirklich ein weises Tier, Pikadon!“ lobt Taiyoko leise das Einhorn. Still hatte sie dem kurzen Gespräch gelauscht und war doch recht erschrocken über das, was sie da eben vernommen hatte. Krieg? Das hatte sie noch nie erlebt. Es machte ihr Angst. Viel hatte sie von den Piraten und ihrer Mutter über die ungezählten Inseln gehört, die sie mal auf ihren Reisen gesehen hatten. Der Reiseteil mit den Kämpfen und Schlachten war aber stets ausgespart geblieben. Geschichten über Narben, Wunden und alptraumhaften Nachwirkungen wurden beharrlich ausgelassen. Sie fröstelte innerlich und malte sich Horrorszenarien aus, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Allein der Umstand in solch gute Truppe wie die von Luffy hineingeboren worden zu sein, die sie immer und ewig beschützen würden, war ein schwacher Trost. Sie verstand nichts von all dem politischen und militärischen Kram, doch war sie klug genug zu verstehen, dass etwas sehr Grausames und Unheilvolles ihre nächste Zukunft bestimmen würde. Am Liebsten wäre sie daheim. Daheim unter ihrer Bettdecke verkrochen und von ihren Eltern behütet und umsorgt. Sie zweifelte an ihrem Plan, in der großen weiten Welt eine Teufelsfrucht finden zu wollen. Plötzlich fühlte sie sich schwach, klein und hilflos. Und eine Teufelsfrucht zu essen, nur um ihre Hanyôkräfte zu unterbinden, waren wohl angesichts der aktuellem Lage ein ziemliches Luxusproblem. Zudem machte es den Besitzer einer Teufelsfrucht auch nicht mehr glücklich, als hätte man nie eine verkostet. Sie wünschte, sie könnte sich darüber mit jemanden austauschen, traute sich aber nicht, ihr Luxusproblem ihren beiden Mitreisenden auf die Nase zu binden. Die Diskussion würde auf einen besseren Zeitpunkt warten müssen. Kilometer um Kilometer Luftlinie wurden zurückgelegt. Der restliche Himmelsflug war reines Schweigen. Man verzichtete auf den Umweg, wo auch immer er hätte hinführen sollen, ritt umgehend zum vereinbarten Treffpunkt und wartete nun auf das gelbe U-Boot, welches gute zwei Tage später ebenfalls die Insel „Agua Caliente“ erreichen sollte. „Wir sind fast da. Aber dort unten ist viel Nebel. Ich weiß nicht, ob der Regenbogen dort durchdringen kann“, meldete sich Pikadon zu Wort. Tatsächlich näherte man sich einem Ring aus Nebel. Inmitten stiegen dampfende Wolken aus einer blitzenden Fläche auf, als hätte jemand eine Silbermünze auf die Meeresoberfläche gelegt. Meter um Meter herankommend, löste sich das Rätsel auf. Flach wie eine Scheibe war Agua Caliente von einer weiten Grasebene geprägt, welche über und über von stillen Gewässern und kleinen Bächlein überflutet wurde. Dazwischen verbanden ungezählte Knüppeldämme, Holzplanken und Brücken einzelne Häuser. Eine zusammenhängende Ortschaft war nicht auszumachen. Hier und da stand ein einsamer Baum oder Strauch verloren herum. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf den glatten Wasserflächen, dass man aus der Luft heraus geblendet die Augen schließen musste. Es gab keinen Hafen oder Anlegestelle. Kurz darauf tauchten schemenhaft die Sunny und die Fregatte aus dem Nebelring auf, welche weit draußen vor der Insel auf Anker lagen, wo das Meer tief genug war. Nur mit einem flachen Boot konnte man übersetzen. Ein strategisch günstiger Treffpunkt. Der Regenbogen schlug eine langgezogene Kurve um die Insel herum, kroch nahezu unter dem Nebel hindurch und verschwand unter Pikadons Hufen, als diese den Erdboden wieder berührten. Sie waren wohlbehalten angekommen und machten sich sogleich auf die Suche nach ihren Freunden, um in einem großen „Hallo“ empfangen zu werden. Ein Schwall an heißem Wasser ergoss sich über Zoros von unzähligen Auseinandersetzungen geschundene Haut. Es brannte reinigend und schwemmte den letzten Rest an Schaum aus seinen türkisgrünen Haaren. Mit geschlossenen Augen und hängendem Kopf hockte er auf einem Badeschemel und versuchte sich in der dringenden Ablenkung von den vielen Sorgen, die in seinem Kopf Katz und Maus spielten. Es platschte. Eine Schöpfkelle wurde abermals in das heiße Quellwasser getaucht und über seinem Nacken ausgegossen. Pladdernd verteilte sich der Großteil des erquickenden Nasses zu seinen Füßen, der Rest rann in kleinen Rinnsalen durch seine Haare und über die Wangen, tropfte herab auf seine bloßen Arme und Beine. Wenn es nach ihm ginge, so könnte er hier noch eine halbe Ewigkeit sitzen, die Welt mit ihren nervigen, komplexen Problemen vergessen und einfach mal sich in diesem imaginärem Kokon einschließen. Sollten doch seine Freunde einige Hütten weiter sich bei einem Luffy üblichen Feierbankett die Kante geben und später zur Rettung der Welt aufbrechen. Gegen Alkohol war prinzipiell nichts einzuwenden. Tashigi allerdings wiederzusehen, war für ihn mehr Grund als genug, sich für ein paar Stunden mit ihr allein aus dem Staube zu machen. Das gelbe U-Boot hatte sich erst vor wenigen Stunden zur Sunny und der Fregatte gesellt. Schon bald würden sich ihrer aller Wege sicherlich wieder trennen. Da waren solche Stunden kostbar. Verpuppung im Kokon brachte es recht gut auf den Punkt. Das kleine Badehaus stand einzeln von einer leerstehenden Wohnhütte entfernt und war auf Grund seiner Bauweise eher mit einer Gartenlaube vergleichbar. Einfaches Blockholz und eine milchglasige Eingangsschiebetür umschlossen eine eigene kleine Welt von Duschecke, Holzbadewanne und gepolsterter Ablagebank. Hier drinnen war es vom Wasserdampf stickig warm, doch da draußen tobte ein Sommergewitter über die Insel hinweg. Es rüttelte heimelig an dem spartanischen Dach und drohte es mit sich zu reißen. In einer Öllampe flackerte die einzige Lichtquelle gegen die zuckenden Blitze an. Man konnte von Glück sagen, dass sie beide noch vor dem Abregnen der Gewitterfront das Häuschen entdeckt hatten, und das kein Einheimischer zugegen war. Außerhalb ging gerade sprichwörtlich die Welt unter. Luffys Fete fiel buchstäblich ins Wasser. Zoros Kokon zerbarst in just der Sekunde, in welcher zur Abwechselung kein Wasser, sondern ein zarter Kuss seinen Hals benetzte und eine ebenso feine Stimme scherzend in sein Ohr sprach: „Hast du schon Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen?“ „Hmmm...“, brummelt es ungerührt zurück. „Guck doch nach.“ Zwei schlanke Arme fuhren über die seinigen, zarte Finger berührten seine rauen Hände. Ein in Stoff gehüllter Leib schmiegte sich an seinen nassen Rücken. Ihr Kinn lehnte auf seiner Schulter und ihr Gesicht spürte das seine. „Keine da“, lachte sie leise auf. „Was ist los?“ Es bedurfte keiner Ausreden oder Umschreibungen. Er konnte ihr nichts vormachen oder gar etwas verbergen. Obgleich sie stets ihrer naiven Art treu geblieben war, so hatte sie den Zugang zu ihm gefunden, der ihr alles erzählte ohne viele Worte wechseln zu müssen. Wohl kaum einer mochte diesen Schlüssel besitzen. Vermutlich war sie sogar die Einzige. So blieb es ihr natürlich nicht verborgen, dass er sich nicht wirklich bei der Sache war, sondern seine Gedanken weit entfernt abschweiften. Es heulte und rumpelte um das kleine Badehaus herum. Der auffrischende Sturm polterte nun unerlässlich gegen das Dach und machten aus den zuvor heimeligen nun recht unheimliche Geräusche. Allein der tropfende Wasserhahn über dem Onsen-Becken schmetterte dem ungezügelten Wind seinen gleichmäßigen Takt entgegen. Zoro hatte einen kurzen Moment den Steinfußboden unter ihm angestarrte, ehe er seine Hände aus Tashigis zog und dann die Handflächen nach oben drehte, als könnte man in ihnen die Zukunft lesen. Was hatten diese Hände nicht schon alles aushalten müssen. Selbst auf den Innenflächen verirrte sich die eine oder andere Narbe und machte ihn nachdenklich. Der Hauptanteil, den diese Hände durchlebt hatten, war im Bereich „Mord-und-Totschlag“ anzusiedeln. Da war viel zu wenig von dem, was sich mit dem Gegenteil beschäftigte. Eigentlich nur, wenn er seine Familie um sich hatte. Oder eben seine Freunde. Und obwohl er schon so viele Schlachten geschlagen hatte, stieg manchmal das dumpfe Gefühl in ihm auf, es würde einfach nicht reichen wollen. Diese Hände schienen nicht das festhalten und schützen zu können, was sie sollten. Ihre Hände hingegen hatten sich einen neuen Weg gesucht. Fuhren über seine Arme zurück. Berührten die Haut und ihre Narben und zeichneten so seine Vergangenheit nach. Küsse auf seiner Schulter, die er aufzog wie ein Schwamm das Wasser. Tashigi hatte in seinem Leben neben seiner Tochter einen so unendlich wichtigen Platz eingenommen. Ein großes Gefühlsknäuel aus Liebe und Dankbarkeit. Und er war sich unsicher, ob er ihr das jemals ebenso zurückgeben könnte. Als er einst versuchte, seine Hanyôkräfte zu kontrollieren, gelang die Perfektion erst, als er an Tashigi dachte. Er hatte immer einem Ziel in seinem Leben nachgeeifert. Und wenn es nur irgendein Versprechen gewesen war. Mit seinem Sieg über Mihawk brach jedoch nicht nur ein Versprechen, sondern auch ein halber Lebensinhalt weg. Er hatte nicht lange suchen müssen, um Tashigi und Taiyoko ein neues Versprechen zu geben. Er würde sie immer beschützen, egal wie. Der Schlüssel zum Zwielicht ward gefunden. Doch wenn er nun den brennend roten Schmetterling am Hals seiner Liebsten sah, fühlte er sich machtlos und zuweilen recht schäbig, den Schwur ihr gegenüber überhaupt halten zu können. Von Taiyokos Entführung brauchte man gar nicht erst reden. Fast schon ein Gipfel des Versagens. Nein, diese Hände, die er gerade anstarrte, hatten nicht das Schützen können, was im wichtig war. Sie hatte seine Nachdenklichkeit beobachtet. Manchmal hatte er so Phasen, da schien er in einer pathetischen Luftblase zu hängen und das Beste war es ihrer Meinung nach, die Blase einfach zu zerplatzen. Sie war aufgesprungen, hatte seine Hände wieder ergriffen und zog ihn nun hinter sich her. Dabei konnte sie ein so herrlich unbekümmertes Gesicht machen. Ganz kindlich fröhlich und warmherzig. Das mochte es wohl sein, was er an ihr so liebte: Im Herzen war sie Kind geblieben. Sie hatte gelegentlich ernste Züge an sich, doch immer zur rechten Zeit tauschten sie diese gegen Naivität, Tollpatschigkeit und Fröhlichkeit, was ihn aufmunterte. Sie verstand ihn so, wie er war und akzeptierte ohne Hinterfragen sein Leben. „Na los!“, lachte sie. Immerhin hatte sie der Beschlagnahmung dieses Badehauses nur mit Aussicht auf ein wohltuendes heißes Bad zugestimmt. Einbrüche waren ihr ansonsten zuwider. Sie überrumpelte ihn mit ihrem Vorpreschen, indem sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn küsste. Vermutlich wäre es wohl auch ein verdammt leidenschaftlicher Kuss geworden, wäre Tashigi nicht sie selbst, hätte sich im Stoff der Yukata verheddert und voraus gestolpert. Blödes Teil. Nun war sie in seiner Umarmung aufgefangen worden und der dünne Stoff hinabgerutscht. Weich wurden ihre blassen Schultern vom Lampenschein nachgezeichnet. Lange schwarze Haarsträhnen waren aus dem Haarband herausgerutscht, fielen tropftriefend hernieder und umrahmten ihr schmales Gesicht, was die großen dunklen Kulleraugen nur noch größer machten. Reflexartig hatte sie eine Hand vor ihren Brustkorb erhoben und knüllte nun in dieser ihre Bekleidung zusammen auf dass sie Halt fand. Sie wirkte wie die Unschuld vom Lande, doch wusste Zoro nur zu gut, dass es nur die Tarnung derer war, die auch gerne mal die verruchte kleine Schlampe spielte. So wie eben. Seine Unterarme ruhten auf ihrer Taille und seine Hände auf ihrem Gesäß. Fast unmerklich zupften seine Fingerspitzen am Stoff, bis er lautlos zu Boden glitt. Zum Baden brauchte sie den Fummel sowieso nicht. Eng umschlungen verharrten sie auf halbem Wege zwischen Schemel und Wannenrand und hielten sich einfach nur fest. Ihr Kopf ruhte an seiner Halsbeuge als hätte er nie woanders Ruhe gefunden. Obgleich sie seine Wärme fühlte, begann sie zu frieren. Das Gewitter hatte die sommerlichen Temperaturen vertrieben. Zwar füllte der Wasserdampf den ganzen Raum aus, ein feiner Lufthauch zog jedoch seinen Weg durch die Ritzen der Holzwände. Aus der Kühle der Luft heraus und hinein getaucht in die Hitze des Wasser war das Brennen auf der Haut kaum auszuhalten. Eine Welle schwappte über den Rand der kleinen Wanne, als sie beide darin versanken. Er ließ sich hinab zu ihr, direkt in ihre ausgestreckten Arme, die ihn gierig zu sich zogen. In seinen strubbeligen Haaren verfingen sich Finger und lange, klammernde Beine um seine Hüfte behielten ihn eng verschmolzen an ihrem Körper. Da gab es keinen Platz mehr für all die Probleme und Sorgen außerhalb dieser Badehütte. Die Gestalten auf Raftel, die Kriegsschauplätze. All das war so weit entfernt gerückt, als wären sie nie da gewesen. In diesem Augenblick gab es nur sie beide und ihre innige Nähe. Erst als die Haut so schrumpelig geworden war, dass sich wahre Ackerfurchen über die Fingerspitzen zogen und die Hitze des Badewassers nicht mehr entspannte, sondern die Sinne benebelte, beendete man die gemeinsame Badezeit. Längst war das Gewitter abgezogen und hatte am Himmel das Feld für ein pastellfarbenes Abendfirmament geräumt. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden. Erste Sterne leuchteten über ihren Köpfen auf. Aus den heißen Quellen dampfte es ungehemmt empor und hüllte die Insel in weißen Nebel. Über unzählige Planken und Brücken ging es zurück dorthin, wo man sich vor ein paar Stunden von der restlichen Gruppe getrennt hatte. Knarrend und knarzend überquerten sie die überfluteten Wiesen, manchmal nebeneinander, manchmal hintereinander. Gerade so, wie die Bohlen breit waren. Für Zoro kam diese Art des Fußmarsches gerade recht. Hinter seiner Freundin hergehend brauchte er wenigstens nicht durch dieses Plankenlabyrinth irren. Sie lachte und tadelte ihn, als sie kurz nebeneinander gingen und er falsch abbog. „Wie machst du das nur? Man kann doch über die ganze Insel hinweg das Ziel sehen. Da drüben ist das Haus und der Platz, wo alle sind.“ Mit ausgestrecktem Arm deutete sie in die Ferne. Zugegeben, der Nebel behinderte die Sicht, gab aber bereits die Umrisse eines Hauses und unzähliger Marine-Zelte frei. Dazu kam, dass zwei Piratenmannschaften und eine Marinebesatzung zusammen eine große Anzahl an Menschen waren, die allein schon vom Geräuschpegel leicht auszumachen waren. „Herrje! An der Disziplin muss echt noch gearbeitet werden. Wären wir an der Front, wäre die Truppe längst durch den Krach aufgerieben worden.“ Seufzend klatschte sich Tashigi die flache Hand an die Stirn, denn es kam ihr just in den Sinn, als sie in Loguetown feststellte, dass ihre Besatzung nicht gut, aber vielzählig war. Reinstes Kanonenfutter. Nun lag der Spaß auf Zoros Seite, den er sich nicht nehmen ließ, wie Tashigi nun vor sich her schimpfte wie ein Rohrspatz. Sie beruhigte sich jedoch schnell und sah ihn plötzlich ernst an. Ihr Freund hatte vorhin eine Entscheidung getroffen, die sie nicht verstand und ihr schon gar nicht recht war. „Warum schickst du Taiyoko alleine los?“ „Ist sie ja gar nicht“, war die abweisende Antwort und offenbarte klipp und klar, dass jegliche Diskussion nicht erwünscht wurde. „Ein Massenmörder. Tolle Gesellschaft!“ Tashigis Gesicht wandelte sich in eine wütende Fratze und lief rot an, als sie zu hören bekam: „Das bin ich auch! Schon vergessen?“ Es war nicht von der Hand zuweisen, dass Takeru annähernd so viele Leben auf dem Gewissen hatte, wie Zoro. Auch durch ihre Hand waren in Gefechten Köpfe gerollt. Dennoch sah sie darin kein Argument, dass ihre Tochter weiterhin mit einem Verbrecher durch die Lande reiste. Sie hatte Takerus Herz in der Glasbox schlagen sehen. Gleichmäßig und kräftig. Und Law hatte behauptet, dass man an der Glasbox sogar das wirkliche Ich ablesen konnte, wenn man geübt war und gemeint, das Einhorn solle man ja nicht so sehr übertreiben mit dem Gewicht von Herzen. Der Bengel würde einen dunklen Frust und eine traurige Erinnerung mit sich herumschleppen, aber nicht mehr oder weniger als andere auch. Und reine Herzen gäbe es eh nicht. Jeder hatte seine persönlichen Leichen im Keller verscharrt. Auch wenn es nur Ameisengerippe wäre. Damit war für Law die Beurteilung über Takeru abgeschlossen, zumal jemand wie der Anführer der Heart-Piraten nur müde auf diesen herab guckte. Zoro musste sich dieser Meinung angeschlossen haben. Oder sein Zwielicht-Sinn hatte ihm wieder mehr verraten, als allen lieb war. Aus unerklärlichen Gründen hatte er sich augenscheinlich auf Takerus Seite gestellt. Tashigi verfolgte da nach wie vor ganz andere Kriterien. Bei den Piraten, die sie kannte, war das alles mit den Verbrechen etwas ganz anderes. Sie verdrängte deren Taten, weil sie es nicht sehen wollte. Alle anderen Piraten galten als dreckiges Pack, was es auszurotten galt. Eine Logik, die wenig zu verstehen war. Perplex nahm sie zur Kenntnis, dass ihr Freund diesem Streit wahrhaftig entkommen wollte. Er hatte echt auf dem Absatz kehrt gemacht und ihr den Rücken zugedreht. Alleinig die Weggabelung vor ihm hinderte ihn am Gehen, da er nicht so recht wusste, welcher Abzweig der richtige wäre. Stocksauer packte sie ihn am Oberarm und riss heftig an ihm herum. Ihr fehlte die Kraft, dass er sich auch nur einen Millimeter bewegen würde. Sie hasste es, stehen gelassen zu werden. Hasste es, wenn er ihr eine Entscheidung aufdrückte, als wäre sie unmündig. Hasste es, wenn ihre Sorgen und Ängste von ihm nicht ernst genommen wurden. Sie war keine Puppe, mit der man spielte und sich vergnügte, nur um wieder irgendwo abgelegt und vergessen zu werden. Doch genau das passierte eben wieder einmal und sie fühlte sich dreckig und ausgenutzt. Übelste Schimpfwörter schrie sie aus vollen Lungen heraus und wilde Fäuste hämmerten auf ihn ein. Später würde sie ihre Entgleisung wieder bereuen, doch jetzt fand sie diese exakt angemessen. „Hör auf damit!“ fuhr er sie barsch an. Wieso musste er diesen Wutanfall über sich ergehen lassen? Diese Sprunghaftigkeit kotzte ihn regelrecht an. Hatte sie immer noch nicht begriffen, dass sie damit bei ihm auf Granit biss? Solch wenig konstruktive Szenen konnte er gar nicht leiden. Und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Es war eine recht stille Insel und ihr Geschrei hallte trotz durch den Nebel meilenweit. Schon steckten verwunderte Soldaten ihre Köpfe aus den Zelten und sahen sich suchend um, woher das Gekreische stammen möge. Man vermutete einen Angriff. Es war ein Glück, dass Tashigi umgehend verstummte und nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Akt war schon peinlich genug. Unruhig trippelte sie umher, bebte vor Zorn und keuchte wutentbrannt. Ihr fehlten die Worte. Nichts konnte das beschreiben, was sie gerade fühlte. Was brachte sie mehr in Rage? Seine Ignoranz oder seine Arroganz? Sie brauchte Ablenkung und die würde sie dort finden, wo es etwas zu tun gab. Nun war sie es, die das Schlachtfeld räumen wollte. Mit geballten Fäusten, einem Todesblick und einer Portion überschäumender Energie schnaubte sie einmal kräftig auf und wollte an ihm vorbei. Ihr Lauf endete in Zoros ausgestrecktem Arm, der sie umschloss und festhielt. „Lass mich durch!“ „Nein.“ „Doch!“ Er gab sie wieder frei und sah ihr nach. Man musste nicht noch mehr Sturm säen, als man eh schon geerntet hatte. Ruhigen Schrittes nahm er die Verfolgung auf, wollte er nicht die Nacht hier auf den Planken verbringen und wie ein Moorgeist umherirren. Innerlich verfluchte er den unnützen Streit, der sich nicht hatte bereinigen lassen. Die nächsten Ziele waren klar abgesteckt. Noch in der Nacht vor dem Morgengrauen würden sie sich alle trennen. Die Sunny würde den kürzesten Weg nach Raftel einschlagen. Tashigi hatte zugesagt, ins Marinehauptquartier zu fahren und Überläufer zu rekrutieren. Luffy würde jede kämpfende Hand gebrauchen können. Man konnte nur hoffen, dass sie Wort hielt und erfolgreich sein würde. Taiyoko hatte sich zusammen mit Takeru und Pikadon an einen x-beliebigen sicheren Ort zurück zu ziehen. Was sollte sie auch im Kriegsgetümmel? Sie wäre weder auf der Sunny, noch auf der Fregatte sicher. Und Law? Der schloss sich erst einmal der Sunny an. Alte Bündnisse verrotteten nicht. Wie es dann im Weiteren aussehen würde, könnte man sich dann noch überlegen. Wer weiß, was da noch auf sie alle zukommen würde. Und hoffentlich hatte man die Gesichter seinen Lieben nicht zum letzten Mal gesehen. Da schmerzte es sehr, dass man im Streit auseinander schied. Kapitel 27: 27 - Schöne Aussichten ---------------------------------- Es gab nirgends, aber auch wirklich nirgends, einen besseren Platz zum Verweilen als hoch oben in der Ausguck-Loge der Thousand Sunny. Zumindest war es Zoros ganz persönliche Meinung. In diesem Raum war man normalerweise allein, so dass niemand mit seinem Gequacke über schwere soziale Probleme oder übersprudelnder Motivation nerven konnte. Nur selten verirrte sich ein Nakama hier oben herauf. Kletterte doch einmal jemand durch die Luke, so waren es wirklich dringende Angelegenheiten oder eine sehr rare nächtliche Wachablösung durch Robin. Diese Frau benötigte irgendwie nie Schlaf, hatte aber in manchen Nächten den Spleen, still und leise im Ausguck aufzutauchen, fast kein Wort zu wechseln und nur in die Weite der Dunkelheit zu blicken. Es wäre so beruhigend, wenn das Mondlicht auf die ruhende See träfe. Dann glitzerten die Wellenkämme mit den Sternen um die Wette, behauptete sie. Dabei lächelte sie stets geheimnisvoll und undurchsichtig. Zoro war das herzlichst egal, wer da um die Wette blinkte. Obgleich das Lächeln weniger Bedeutung zu haben vermochte, als man bei ihrem Einstieg in die Crew spekulierte, war Robin für Zoro nach wie vor suspekt. Irgendwie hatte sie eine ganz besondere Macke an sich. Irgendwie hatten hier alle an Bord eine Macke. Sonst hätten sie die gemeinsame Fahrt in den letzten Jahren wohl auch kaum ausgehalten. Ohne Macken wäre es vielleicht viel zu langweilig geworden. Zudem waren Macken eine ganz besondere Konstante im rastlosen Piratenleben. Man wusste immer, woran man beim Anderen war. Ihre Mondscheinbeobachtungen nicht registrierend, verzog er sich nach Robins Auftauchen immer nach unten in sein Bett, wo der Rest der Crew schon vor sich herschnarchte. Es war hart, bei dieser Schnarcherei einzuschlafen. So etwas gelänge wohl nur, wenn man gleichzeitig mit den Anderen zu Bett ginge und zur gleichen Zeit auch einschliefe. Doch als Nachzügler ankommend waren die Chancen auf guten Schlaf gering. Vom Krach gerädert war er dann in der kommenden Nacht wieder froh, allein oben im Ausguck zu sein. Den Tag hatte man bis zum Einbruch der Dunkelheit mit den üblichen Nickerchen überbrückt. Doch nun war hellster Sonnenscheintag dort draußen. Am Stand der Sonne schlussfolgerte Zoro, dass es wohl gen Mittag zugehen müsste. Die Aussicht war eintönig. Unten Dunkelblau, oben Hellblau gepaart mit einem grell blendenden Ball über ihm. Noch nicht einmal Wolken zogen vorbei. Wie gewohnt hockte er auf der umlaufenden Polsterbank, parkte seinen Kopf rammdösig auf seiner aufgestützten Hand und verlor nur deshalb beim stetigen Einschlafen das Gleichgewicht nicht, weil seine Wange sich an die kalte Fensterscheibe presste und einen hässlichen Abdruck auf dieser hinterließ. Dieser ewige Schlafmangel war reinster Mist! Aus schmalen Augenschlitzen starrte er weit in die Ferne auf die Horizontlinie, welche das beruhigende Wasserblau von einem fröhlichen Himmelblau trennte, ohne auch nur das Geringste von ihr wahr zu nehmen. Gelegentlich nickte er das eine ums andere Male ein, rutschte dabei auf der glatten Fläche ab und schmiss folglich einen kurzen Blick nach unten auf das Rasendeck mit seinem üblichen Getümmel. Luffy versuchte sich zusammen mit Franky und Usopp im erfolglosen Angeln. Die Damen wurden vom Smutje bewirtet. Chopper lag im Gras und schlief. Über allem erklang die Melancholie eines gefühlvollen Geigenspiels. Eigentlich alles, wie gehabt. Nur Laws „Ghost“ schipperte aufgetaucht als seltener Gast samt Heart-Mannschaft nebenher und sah von hier oben aus wie eine quietschgelbe Badeente, die jemand nach dem Baden in der Wanne vergessen hatte. Welch selten bescheuerte Farbe für ein U-Boot. Aber Law hatte ihm grinsend versichert, dass hätte System. Welches auch immer, blieb ungeklärt. Zoro wandte seinen Blick ab von dem Bordalltag unter ihm und starrte wieder hinaus ohne einen festen Punkt zu fixieren. Was nervte ihn eigentlich eben gerade an dem sorglos scheinenden Treiben der Nakama? War es allein die Tatsache, dass sie alle trotz der angespannten Lage doch recht unbefangen in den Tag hineinlebten und er selbst ausschließend maulig in der Ecke hockte? Mit dieser Lösung konnte er sich nicht so recht anfreunden. Er raffte sich auf, schnappte sich eine Hantel und begann eher missmutig sein tagtägliches Training. Die eintönige Bewegung tat gut. Sie brachte einen Rhythmus mit sich und ordnete seine wirren Gedanken, die zur Abwechselung sich nicht um seine komischen Alpträume oder Taiyokos Wohlbefinden drehten, sondern ganz allein um Tashigi. Die Abreise in der letzten Nacht aus Agua Caliente hatte ihm nicht gefallen. Tashigi hatte sich ein verstelltes Lächeln aufgesetzt und allen die heile Welt vorgespielt. Bei Taiyokos Aufbruch hatte sie eine Träne im Knopfloch unterdrückt, war dann aber später emotionslos an ihm vorbeigegangen, als gerade mal das letzte bisschen Licht des Regenbogens am Firmament erloschen und Pikadons Hufgetrappel verklungen war. Sie hatte ihn einfach stehen lassen. Kein Blick, keine Notiz, kein Irgendwas. Die Soldaten verpackten ihre Lagerausrüstung auf der Fregatte und segelten unter dem Kommando der Admiralin mit voller Fahrt schnurstracks zum Marinehauptquartier zurück. Sie würde sich melden, wenn es etwas Neues gäbe, hatte sie nur gesagt, vorher allen außer ihm einen herzlichen Abschied gewünscht, und weg war die Marineeinheit. Ein Blinder hätte diesen überspielten Konflikt sehen können. Wenigstens waren die anwesenden Zeugen dieser merkwürdigen Situation clever genug, nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Man schwieg und ging zur Tagesordnung über. Sie beide führten eine recht merkwürdige Beziehung. Wenn sie nicht da war, vermisste er sie unendlich, war übellaunig und in sich gekehrt. War sie aber da, dann konnte er ihre Sprunghaftigkeiten kaum aushalten. Oft hatte er schon diese Liebe in Frage gestellt, und ob sie denn überhaupt noch bestand, geschweige denn zukunftsfähig war. Wenn er dann in der schmerzenden Tiefe bohrte, so kam er zu dem Schluss, dass häufig ihre gemeinsame Tochter das haltende Bindeglied war. Was wäre wohl gewesen, wäre sie nicht schwanger gewesen? Vielleicht hätten sich die Wege getrennt auf nimmer Wiedersehen, und sie hätten es gar nicht so lange miteinander aushalten müssen? Auch eine gedankliche Option, die er nur schwer ertragen konnte. So wie damals die Aktion, als er mit seinen sieben Sachen und Taiyoko auf dem Arm den Leuchtturm hinter sich gelassen hatte. Geschimpft und geheult hatte sie wieder einmal. Dabei wusste er in dem Moment noch nicht einmal so richtig um das Warum. Das wurde ihm erst später klar, als er einen zeitlichen Abstand zu alle dem hatte. Die Trennung sollte das absolute Ende ihrer Gemeinsamkeit markieren. Es passte nicht zu seiner inneren Haltung, getroffene Entscheidungen stets zurückzunehmen oder zu modifizieren. Das könnten andere tun, er nicht. Ein blödes Hin und Her wie beim Tauziehen war ihm zuwider. So wurden es einige harte Wochen, wo man auf der Nachbarinsel ausharrte. Zum einen musste man das Scheitern einer Liebe verarbeiten, zum anderen lernte man nun einen ganz neuen Menschen dauerhaft kennen, der obendrein noch sein eigen Fleisch und Blut war. Soviel Zeit am Stück hatte er zuvor noch nie mit Taiyoko verbracht. Und schon gar nicht rund um die Uhr allein. Sie war noch so klein, gerade mal zwei Jahre alt und hielt ihn mit ihrem Dickkopf und ihrer einfordernden Art mehr als es ihm liebte auf Trab. Es war zum Ausflippen. Da hätte man am Liebsten sein Kind auf dem nächsten Spielplatz ausgesetzt. Anstelle dessen blieben Vater und Tochter lieber beim auf-die-Palme-bringen und wieder vertragen. Und seine Nakama erst... Hätten sie Taiyoko nicht so herzlichst betätschelt und kommentarlos in ihren Kreis aufgenommen, Zoro hätte vielleicht doch die Idee mit dem Spielplatz in den näheren Fokus gerückt. Insgeheim hatte er jedoch von Minute zu Minute gehofft, sie würde ihre Entscheidung, ihn rausgeschmissen zu haben, bereuen. Das tat sie dann auch. Aber ihre unbeständigen Emotionen und seine Sturheit waren danach immer noch nicht kompatibel. Vielleicht war er auch einfach nicht beziehungstauglich. Er wäre wie der Wind, hatte sie ihm einmal lachend gesagt. Weil man ihn nicht aufhalten könne. Das mochte wohl sogar stimmen. Er konnte nicht dauerhaft auf einem Fleck hocken und zusehen, wie der Sand der Zeit verrann. Dabei konnte er ruhig sein wie eine Flaute oder sanft wie eine Brise, aber auch aufbrausend wie ein Orkan und im Kampf wüten wie ein Taifun. Der Vergleich mit dem Wind war gar nicht mal so unpassend, brachte er wohl auch Tashigis Hauptproblem mit sich: Den Wind konnte man nicht einfangen und bei sich behalten. Ihr aber war Beständigkeit wichtig. Jemand, der in der Nähe war. Zoro hingegen waren räumliche Nähe oder Ferne weniger wichtig. Ihm hingegen war die Ebene der Beziehung an sich die Basis einer Partnerschaft. Und dann erst dieses ständige Diskutieren von Kompromissen. Es war ermüdend, obgleich er schon recht gut gelernt hatte, gelegentlich zurück zu stecken. Oder die Problematik lag an Tashigis unausgesprochenem Frust. Ihr hatte die Beziehung ein Blag, einen Schmetterlingsfluch am Hals und eine plötzliche persönliche Vergangenheit beschert. Mehr Vergangenheit, als ihr wohl letztendlich lieb war? Ob sie sich das alles so vorgestellt hatte? Der Modus der ewigen Fernbeziehung mochte es vermutlich sein, der ihre Liebe am Leben hielt. Man vermisste sich, bis man sich wieder sah, fetzte sich zeitweise, bis man sich wieder für Tage, Wochen, Monate trennte. So ging man sich wenigsten nicht dauerhaft konstant auf die Nerven, sondern hatte Regenerationszeiten. Zum Schluss freute man sich, bis man sich endlich wiedersah. Hach, zum Teufel. Ich liebe dich, Tashigi! Auch wenn Kuinas Geist nun wieder aufgekreuzt ist, so habt ihr doch gar keine Gemeinsamkeiten. Du bist total anders als sie. Dich und keine andere. Unerwartet klopfte es an der Zugangsluke. Es war nicht von höflicher Natur und bat auch nicht um bescheidenen Einlass. Nein, es war ein aggressives Hämmern, dass kein Warten duldete, sondern sofort hereinplatze. Die Luke flog krachend auf, Usopps krebsroter Kopf vom eiligen Hinaufklettern sprengte durch die Öffnung und eine heulende Teleschnecke platzierte sich auf dem Holzboden. „Hier, Taiyoko ist dran! Da muss etwas Schlimmes passiert sein!“, stöhne Usopp völlig außer Puste. Polternd fiel die Hantel aus Zoros Hand zu Boden und wäre beinah erst auf Usopp und dann durch die geöffnete Luke in die Tiefe gerollt, hätte dieser sich nicht mit einem Hechtsprung gerettet und besagte Luke ebenso schnell zugeknallt, wie er sie noch vor einer Sekunde geöffnet hatte. Völlig perplex und aus seinen depressiven Gedanken gerissen, griff Zoro nach dem Schneckenmikrofon. Es war tatsächlich seine Tochter, die ihm mit Tränen erstickter Stimme versuchte, etwas mitzuteilen. Sie war aufgelöst und brachte nur Stammelei und Wortfetzen zu Stande: „Es ist alles kaputt … Und Nobu geht es ganz schlecht … Überall sind Trümmer ...“ Er versuchte sie zu beruhigen und fragte nach Takeru, der sich prompt aus dem Hintergrund durchs Telefon meldet, um ja nicht den Anschein zu erwecken, er hätte sich aus dem Staube gemacht. Noch immer befand sich sein Herz in Zoros Händen. Da wäre jeder Fehltritt seinerseits ein gezielter Fußtritt andererseits auf sein lebenswichtiges Organ. „So, ich habe nun den Hörer. Kurzversion“, begann Takeru seinen Bericht. Er dachte einen Augenblick nach über die letzte vergangene Stunde, seit sie Lougetown erreicht hatten. „Wir kamen vor gut einer Stunde in Loguetown an. Ich wollte ja erst die Innenstadt vermeiden. Wegen meinen Kopfgeld und so … Es wimmelt hier von Marinesoldaten, als hätte man mit dem Ast im Ameisenhaufen gestochert. Weiß der Teufel, wo die alle herkommen. Man sah schon von oben, dass etwas nicht stimmt. Die Insel ist überfallen und in Brand gesteckt worden. Viele Straßenzüge sind nur noch Schutt und Asche. Dann wollte Taiyoko unbedingt zur Marinestation rüber und jemanden treffen. Wie hieß der noch? Nobu? Na egal, der liegt wie viele andere im Feldlazarett. Sieht nicht gut aus. Wir sind dann hoch zu eurem Leuchtturm. Der ist komplett gestürmt worden, als hätte jemand etwas gesucht. Das übliche volle Programm. Fensterscheiben eingeworfen, Möbel umgeschmissen, Hausrat zertrümmert. Wir räumen gerade das Gröbste auf...“ Takeru unterbrach seinen Monolog, als er zur Verandatür starrte, die durch Pikadons Nase aufgestoßen wurde. Das Einhorn betrat ungeniert die Wohnküche, und Takeru musste unweigerlich an eine Kindergeschichte aus längst vergangenen Tagen denken, wo ein Pferd in einer bunten Villa lebte. Die Szene, wie sich Pikadon zwischen Spüle und Esstisch hindurch quetschte, die Nüstern in einen von der Gewalt verschonten Eimer mit Äpfeln steckte, komplimentierte das Chaos auf seine ganz eigene surreale Weise, dass man schon fast hätte lachen können. Auch wenn das Einhorn sicherlich keinerlei Notiz von ihm nehmen würde, so entfuhr ihm nun ein energisches „Raus!“ und ein zur Tür zeigender Arm. Tatsächlich trollte sich das Fabelwesen von dannen auf die Veranda zurück, nahm dabei noch den Küchentisch mit, so dass er scheppernd umfiel, und versetzte Takeru in kurzes Staunen darüber, dass das eigensinnige Vieh gehorchte. Wenigstens fand Taiyoko die Szenerie erheiternd. Sie wischte sich die Tränen weg und hatte ein Lächeln auf den Lippen, wie er es bei ihrer unbekümmerten Art seit ihrer Ankunft schon vermisst hatte. Natürlich war es ein Schock für sie gewesen, ihr Zuhause so zertrümmert zu sehen, war sie solche Anblicke einfach nicht gewohnt. Es war aber nicht unbedingt der Zustand des Leuchtturmes insgesamt, sondern vielmehr der Anblick ihres Zimmers gewesen, der sie so derart verstört hatte. Wer auch immer hier gewütet hatte, war in ihre tiefste Privatsphäre eingedrungen, hatte sie durchwühlt und nur Chaos und Zerstörung hinterlassen. Ihre kleine Welt war erschüttert und durcheinander gewürfelt worden. Selbst Taiyoko war es nun klar geworden, dass ihr altes Leben, so wie sie es kannte, nicht mehr bestand. „Die Telefonleitungen werden sicher abgehört. Ich würde zusehen, dass wir hier schnellstens wegkommen. Ich hab da schon Ideen. Oder hast du einen besonderen Wunsch?“ Zoro hatte auf seine ruhige, überlegte Art zugehört, während Usopp sich schon wieder innerlich verrückt machte. Es war erstaunlich, wie redselig und selbstbewusst der Ninja-Bengel doch sein konnte, wenn man ihn auf Positionen setze, die er von früher kannte. Menschen fielen häufig in alte Verhaltensmuster zurück, wenn man sie das tun ließ, was sie einst gelernt hatten. Takeru war bei der Cipher Pol Zero zuletzt Teamleader gewesen. Da waren solch Anblicke von Trümmerfeldern nichts Ungewöhnliches. Verbrannte Erde und Leichen hinterlassen hatten hauptsächlich seinen Lebensinhalt ausgefüllt. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er in einer sachlichen Nüchternheit Zoro gegenüber einen Bericht ablieferte, als stünde er vor einem Marine-Befehlshaber, der einen täglichen Standart-Rapport erwartetet. Zoro blickte auf die Polsterbank, wo eine Box mit Herz ruhig vor sich her pulsierte. Ganz ruhig und gelassen, als wäre alles normal. Seit er diesen transparenten Würfel in seinem Besitz hatte, hatte er ihn genaustens studiert. Es war unglaublich, was so ein entnommenes Organ alles preisgab. Nie hätte er auch nur im Geringsten erahnen können, dass es einen Unterschied gab, ob ein Herz heftig raste, weil es eine körperliche Anstrengung oder eine psychische Aufregung erfahren hatte. Der Takt war derselbe, aber der Klang des Herzschlags war verschieden. Und noch etwas war Zoro aufgefallen: Der Würfel veränderte die Farbe. Als er den Kubus frisch in den Händen hielt, waberten schwarze Wolken in ihm herum. Diese waren nun auf ein Minimum reduziert. Glasklar waren die Wände der Herz-Box. Also spiegelte diese Gebilde nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Verfassung wider. Ein Grinsen zog über das Gesicht des Piraten, hatte er doch anscheinend vor ein paar Tagen die richtige Entscheidung getroffen, Takeru an Taiyoko und Pikadon mit einem Auftrag zu binden. Takeru mochte wohl viel Schlechtes getan haben, aber schlecht an sich war er nicht. Auch wenn er so tat. Der Ninja-Bengel könnte sich noch glatt als Glücksgriff erweisen. Der Pirat hatte so einige unausgesprochene Ideen, wohin das Trio hätte ziehen können, war sich aber unschlüssig darüber, ob die Orte auch sicher vor Übergriffen wären. Wenn schon Loguetown Opfer von Terrorgewalt geworden war, so konnte das jederzeit überall auf der Welt geschehen. Es gab keine Tabus mehr. „Vergiss den Hausrat. Ideen hab ich zwar, aber die Ziele werden sicher auch heimgesucht“, überlegte Zoro laut durch die Teleschnecke. Über den Regenbogen hatte das Trio in nur wenigen Stunden Loguetown erreicht, so könnte es in Windeseile unmittelbar überall auf der Welt sein. „Der Regenbogen bringt euch sofort überall hin. Also überlasse ich das Reiseziel dir. Ihr werdet eh ein paar Mal das Versteck wechseln müssen. Frag doch mal Taiyoko, ob sie irgendwo hin möchte“, schloss er seine Gedanken ab. Wechselnde Orte waren wohl wirklich das Beste. Hätte er sie nach Shimotsuki geschickt, wäre seine Ziehfamilie sicherlich nicht erfreut über plündernden Besuch gewesen. Wer suchte ihn und Taiyoko und warum? Es dämmerte ihm, dass es die Wesen mit den grell grünen Augen aus seinen Visionen sein könnten. Aber das war zu absurd, um wahr zu sein. Dennoch hatte ihn dieser Verdacht über eine Verbindung wie ein Blitzschlag getroffen und bohrte jetzt in ihm. Es war einen kurzen Augenblick ruhig in der Leitung. Man hört nur das Knacken und Rauschen. Mit großen, wartenden Augen sah die Teleschnecke Zoro an. Dann öffnete sie ihren Mund und gab Takerus Stimme wider: „OK!“ Dann brach das Telefonat ab. Der Ninja hatte aufgelegt. „Man, das hält man ja im Kopf nicht aus!“ beschwerte sich Usopp, der zwar stumm gelauscht hatte, aber die ganze Zeit nervös auf der Stelle herumgerutscht war. Er tat sich seit langem schwer, Zoros Strategien, sofern er denn überhaupt welche entwickelte, nachvollziehen zu können. Überhaupt war das Teamwork mit ihm nicht einfach. Ständig schmiss der Hanyô Pläne über den Haufen, zog sein eigenes Ding durch und hatte zum Schluss damit auch noch Erfolg. Wer oder was sollte Zoro also lehren, dass die Durchführung vorher abgesprochener Pläne absolute Priorität hätte gegenüber Einzelgängen? Usopp hatte mit Zoro schon so einige Teamschlachten schlagen müssen. Nicht zuletzt, da er neben Chopper lange Zeit der Einzige aus der Crew war, der über Zoro und seine Hanyôkräfte Bescheid wusste. Es hatte sich dann so eingeschliffen, dass er zusammen mit Zoro und Chopper immer ein Team bildeten, ganz gleich, wo auch immer sie gerade landeten. Da es sich in der Zukunft wohl auch nicht ändern würde, war es immer angebracht, den eigenen Stand mit dem des Hanyôs zu synchronisieren. „Warum hast du dir ausgerechnet Takeru als Bauernopfer ausgesucht? Er ist doch bloß nur eine Marionette für irgendeiner deiner verschrobenen Ideen?“ hakte Usopp genervt nach. „Verschroben?“ Zoro zog die Augenbraue hoch. „Hey, das war nicht die Antwort auf meine Frage!“ blaffte Usopp zurück. Man, diese Ausweichtaktik ging ihm auf die Nerven. Er brauchte Infos, wenn er dem nächsten Abenteuer folgen, es verstehen und erst recht überleben wollte. „Der hat unfreiwillig ein ziemlich großes Hintergrundwissen. Dadurch, dass der mal bei der Cipher Pol Zero war, kennt der mehr ranghohe Leute persönlich als man denkt. Du weißt, was das heißt. Außerdem kann er durch das Zwielicht wandeln. So, wie Taiyoko und ich. Allerdings nicht so gut.“ Cipher Pol Zero. Klar wusste Usopp um diese Einheit. Sie operierte im Untergrund, arbeitete ausschließlich für die Weltaristokraten, nicht für Weltregierungsmitglieder, und hatte so ziemlich sämtliche politischen Zügel in der Hand. Aber das mit dem Zwielicht war dem Kanonier noch nicht ganz klar. „Wieso kann der ins Zwielicht gehen? Ist das so einer wie du? Und ist das nicht gefährlich, den dann einfach mit Taiyoko mitzuschicken? Der wird doch sicherlich mit DER Vergangenheit nicht an seinem Leben hängen. Da ist es dem doch total egal, ob du sein Herz zu Klump trittst.“ Zoro schüttelte den nachdenklich gesenkten Kopf. Die Fragen waren berechtigt. Keine Frage, wie sollte er da nun begreiflich machen, dass er ganz alleine seinem Gespür gefolgt war? „Takeru gehört zu den Laborratte-Kindern. Die Weltregierung hatte zwar die Ausrottung der Kali-Kinder abgeordnet, hatte dann aber schnell den Verlust des Zwielichtweges erkennen müssen. Man hat dann Teufelsfrüchte auf Genbasis von Kali-Kindern zu züchten versucht und ausgewählten Probanden zum Verzehr gegeben. Takeru ist das einzige Kind, was diese Tortur überlebt hat. Alle anderen sind tot. Steht zumindest in seiner Akte so drin. Und bei der Cipher Pol ist er rausgeflogen, weil er da irgendeine Mission vergeigt hat. Kein Plan, was genau. Aber war wohl heftig.“ Usopp und Zoro schüttelte es gleichermaßen, welch perfide Experimente die Regierung an Menschen und ganz besonders bei Kindern vollzog. Es war grausam und ekelhaft zu gleich. Der Kanonier sah nun klarer, spürte aber an Zoros Nachdenklichkeit, dass da noch eine winzige Abschlussinformation fehlte. „Und ...“, nahm Zoro zögernd den Gesprächsfaden wieder auf. „Sie hatte doch tatsächlich Takeru als Freund bezeichnet. Sie hatte doch noch nie so richtig Freunde. Hätte ich das sofort wieder kaputtmachen sollen? Weißt du, was ich meine?“ Der Angesprochene nickte. Das Drama hatte er gelegentlich auch am Rande mitbekommen dürfen. Taiyokos Art, anders zu sein als andere, aber keine Teufelsfrucht intus zu haben, hatte ihr viele Stolpersteine eingeheimst. Schulwechsel, Außenseiterposition. Eine Liste von schmerzenden Unannehmlichkeiten. Da waren Freunde, denen man vertraute, sehr wichtig. Und wenn sich das Trio irgendwie auf einer freundschaftlichen Basis zusammengerauft hatte, dann konnte das nur gut sein. Auch wenn es für Außenstehende auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar schien. Es knitterte. Ein handgeschriebener Zettel fiel zu Boden. Siedend heiß trieb es Usopp Schweißperlen auf die Stirn. Der Zettel! Den hatte er doch glatt vergessen. Das Stück Papier war eigentlich der Hauptgrund gewesen, weshalb er hatte hier in den Ausguck sprinten wollen. Doch dann klingelte die Teleschnecke und er war von seinem Vorhaben abgekommen. Der Satzinhalt war hochbrisant. Usopp hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, während seiner Basteleien im Hobbyraum den Marinefunk abzuhören. Die Ansage dort hatte ihn schockiert. Es war ein denkbar ungünstiges Timing. Er hatte noch vor Augen, wie Tashigi mit der Fregatte davon segelte. Wie sie Zoro in einem ungeklärten Streit hatte stehen lassen. Es war nicht zu übersehen gewesen. Tashigis Kühlheit und Zoros Verletztheit. Er knüllte den Zettel in seiner Hand und stopfte ihn in seine Hosentasche. Nun hatte sein Nakama gerade erst seine Tochter wiedergefunden und sie hoffentlich in guten Händen entlassen, da kam die nächste Hiobsbotschaft. Usopp war überfordert mit der Situation. Sollte er Zoro einweihen oder erst einmal nichts sagen? Niemals würde man Zoro etwas sofort ansehen, wenn ihn etwas bewegte. Doch einst hatte Usopp gesehen, wie Hanyôs ausblühen, wenn sie innerlich zerrissen waren. Das durfte nie wieder passieren. Da wäre Schweigen besser. Auf der anderen Seite würde Zoro sowieso alles herausbekommen. Dann würde wohl Usopps eigener Kopf rollen, wenn er nicht spräche. Na, das waren ja alles schöne Aussichten. Er seufzte, atmete noch einmal laut hörbar durch und druckste dann heraus: „Tashigis Fregatte gilt als vermisst ...“ Kapitel 28: 28 - Die Akte "Luna Sedata" --------------------------------------- Es lief aber auch so rein gar nichts nach Plan. Es kam grundsätzlich nie so, wie man es im Leben brauchte. Da schien gerade das Taiyoko-Problem halbwegs passabel gelöst und der Schlachtplan für das letzte Gefecht angefertigt, da zerfiel schon wieder alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es wäre zum Haareraufen gewesen, hätte man dieses Problem öffentlich in der Bande diskutiert und es somit bekannt gemacht. Eben wussten nur die beiden Piraten hier oben im Ausguck davon. Usopp hätte einfach besser fürs Erste nichts sagen sollen und bereute seine Aussage umgehend. Doch nun war es heraus und nicht rückgängig zu machen. Was auch immer gerade in Zoros Hirn abgehen musste, es war für Usopp allein aus dessen Körpersprache heraus nicht zu ergründen. Stumm starrte er dem eine Handbreite größeren Nakama direkt in das graue Auge, was von einer Sekunde zur nächsten einen leichten Rotstich annahm. Für Usopp ein absolutes Alarmzeichen, dass gleich etwas Unerwartetes ablaufen würde. Ansonsten war aus dieser wie in Stein gemeißelten Fassade kein Geheimnis zu entlocken. Kalte, emotionslose Gesichtszüge und ein Auge, dass härter zurückstarrte, als Usopp es jemals bei irgendjemand anderes auf dieser Welt gesehen hätte, erweckten die blanke, innere Panik in ihm. Nicht mal Luffy konnte das Gefühl auf diese Art und Weise nur durch das pure Anschauen erzeugen. Auch nicht mit Haki, und das hieß schon etwas. Zoros todbringender Blick funktionierte schon immer bei allem und jedem: Selbst jetzt, wo dieser nur noch ein einziges Auge besaß. Obwohl Usopp wusste, dass er nichts zu befürchten hatte, trieb ihm dieser durchbohrende Blick den Angstschweiß aus den Poren. Kalt lief er langsam seinen Rücken hinunter. Eine Gänsehaut jagte über seinen Körper und die Knie schlotterten. Es war kaum auszuhalten. Weder das Schweigen, noch dieser Blick. Er wollte schnellstens aus dieser Situation heraus. Was auch immer nun aus Zoro herausbräche, es wäre nichts, was ihm gefallen würde. Soviel stand mal fest. Plötzlich kam derart schnell Bewegung in den Gegenüberstehenden, dass Usopp es erst registrierte, als er schon mitten im Geschehen war. Ein Schraubstockgriff und ein folgender heftiger Ruck an seinem Handgelenk, grüne Funken und ein warmes Zwielicht tauchten ihn in eine andere Welt. Oh nein, nicht schon wieder! Usopp hasste das Zwielicht. Und noch mehr hasste er das Reisen durch das Zwielicht. Da war es ihm vollkommen egal, wenn Zoro davon sprach, wie schnell, zielsicher und abgekürzt der Weg auch sein mochte. Er ließ die „Das-Zwielicht-macht-Übelkeit“-Krankheit ausbrechen und hoffte so auf die nötige Flucht, die ihm hoffnungslos verwehrt blieb. Und während sein Körper noch überlegte, ob es das Frühstück rückwärts wieder ans Tageslicht befördern sollte, waren sie auch schon wieder heraus aus dem Licht. Mit dem nächsten Schritt wieder drin, dann wieder raus. Man konnte über so viele Dimensionswechsel nur Staunen! Da hatte der Hanyô den Weg vom Ausguck über das Rasendeck bis hinüber zum U-Boot in einer einzigen Sekunde absolviert. Durch alle Materien und Dimensionen hindurch. Und den Umweg übers Rasendeck hatte er nur genommen, um mit der noch freien Hand einen schlafenden Chopper am Geweih mitzureißen. Am Ende des Weges stand er nun direkt auf dem U-Boot-Deck, wo ein im Liegestuhl sitzender Law keinerlei Anstalten machte, auch nur einmal von seiner Zeitung aufzublicken. „Was immer du auch vorhast, du hast keine Hand mehr frei“, kam es da recht desinteressiert hinter den Zeitungsblättern hervor und schob ebenso gleichgültig nach: „Du stehst mir in der Sonne!“ Zoro stierte mit knallrotem Auge auf die Zeitung, als würde sie sich dadurch sofort selbst entzünden und verbrennen. Law war einfach zu cool für diese Welt. Er schnaubte einmal kurz auf, hatte Law definitiv Recht: In der einen Hand hing an einem halb verdrehten Arm Usopp. Sein Gesicht hatte dieselbe Farbe wie Zoros Haare angenommen und den Boden geküsst, wo es liegen geblieben war. Unter würgenden Geräuschen gab er von sich, dass er sofort seinen Platz aus Zoros eisernem Griff eintauschen würde gegen jeden anderen Ort auf der Welt. In der anderen Hand hing Chopper, dem Tode durch Schock nahe, war er doch ohne jegliche Vorwarnung aus dem Schlaf gerissen worden und wusste nun gar nicht, wie es um ihn geschah. Mit einem polternden Geräusch fielen beide Nakama schmerzhaft auf das gelbe Metall des U-Boot-Rumpfes, als Zoro beide Hände augenblicklich öffnete. Er schenkte beiden keine weitere Beachtung und kam sogleich zum Thema. „Was weißt du über Rougetsu Island?“ sollte Law umstimmen, sich doch für Zoros Auftritt zu begeistern. Tatsächlich sanken die Papierseiten raschelnd ein Stück nach unten. Laws Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Er kannte tatsächlich Rougetsu Island aus medizinischen Vorträgen, doch was hatte das mit diesem aggressiven Auftritt zu tun? Und überhaupt: Was hatte den Hanyô so erzürnt, dass er hier vor ihm stand wie der letzte Alptraum der Menschheit mit seinem rotglühenden Auge, dem floral leuchtenden Bannkreis zu seinen Füßen und den grünen Lichtfunken, die wie die Glühwürmchen gen Himmel taumelten. Obgleich es helllichter Tag war, hatte man den Eindruck, das Licht der Sonne hätte schlagartig abgenommen. Es wirkte dunkler und kühler. „Wie bei einer Sonnenfinsternis“, dachte Law und schielte aus den Augenwinkeln hinüber zur Sunny, wo er in fassungslose Gesichter blickte. Die Strohhutbande stand an der Reling, glotze mit großen Augen und offenen Mündern auf das U-Boot und wirkte über diesen Gefühlsausbruch ihres Mitstreiters bestürzt und entsetzt zugleich. „Ok, die wissen also auch nichts“, schlussfolgerte Law innerlich weiter. Seine Augen wanderten wieder in die Ausgangsposition in die Geradeaus-Stellung. Noch immer guckte Zoro ihn an. Da war rein gar nichts aus der Miene zu lesen, was Law auch nur im Mindesten hätte deuten können. Seufzend faltete er die Zeitung zusammen, legte sie neben sich auf den Boden und beugte sich vor, dass nun seine Ellenbogen auf den Oberschenkel ruhten. Seine Fingerspitzen berührten sich, über sein Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln und die dunklen Augen funkelten überheblich. Mal sehen, was da noch so kommen würde. Er hatte einen Moment gebraucht, den Groschen in seinem Kopf rund zu feilen, damit dieser auch umgehend fallen konnte. Rougetsu Island. Der Standort der Haibara Klinik. Obgleich die Klinik nicht Laws fachliches Spezialgebiet abdeckte, hatte Zoro aber nun das erreicht, was er erhofft hatte. Der Chirurg war ganz Ohr. „Was genau ist da?“ Aus Zoros Munde klang der Satz weniger nach einer Frage, mehr nach einem Befehl. So hart und knapp war die Wortwahl ausgefallen. „Nun, Dr. Chopper, was ist uns zum Luna-Sedata-Syndrom bekannt?“ Law hatte sich mit einem Grinsen in der Stimme von Zoro abgewandt und blickte aufmerksam zum Rentier, was die Orientierung und den Verstand wiedergefunden hatte. Es stand wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden. So sehr es jedoch in seinen Erinnerungen kramte, ein Luna-Sedata-Syndrom war ihm in all den Jahren während seiner medizinischen Ausbildung und späteren Arbeit als Arzt nicht untergekommen. „Nun denn“, versicherte Law dem Rentier geheimnisvoll, fixierte aber wieder Zoros Gesicht, „dann werden sie staunen, wie düster und brutal unser Wissen missbraucht werden kann. Ein wahrlich schwarzes Kapitel der Medizingeschichte.“ Ob es an Laws ruhigem Tonfall lag oder an der Erkenntnis, einen Kenner um Rougetsu Island gefunden zu haben, der Bannkreis und die Funken verschwanden. Die Kälte und die Dunkelheit zogen sich so schnell wie sie gekommen waren zurück. Vielleicht war es aber auch nur die Tatsache, dass bei Zoro sofort wieder hämmernde Kopfschmerzen einsetzten, weil die kurze Hast durch das Zwielicht ein absoluter Hanyôkraftfresser war. „Schwarzes Kapitel? Ich bin raus aus der Nummer!“ Usopp hatte sich ebenfalls wieder in die Senkrechte begeben und wollte den schnellen Abgang wagen, wurde aber sogleich am Gehen gehindert, als er Zoros krallende Hand am Schlafittchen verspürte. So gepackt, blieb er wie zu Eis gefroren stehen, fürchtete er doch, jede weitere Bewegung könnte seine Letzte sein. „Hey, was quatscht ihr da unten eigentlich? Was ist hier überhaupt los? Zoro, bist du irre?“ Luffys Stimme gellte von der Sunny hinunter zur Ghost. Erst jetzt wurde es dem Quartett so recht um die Anzahl der Schaulustigen um sie herum bewusst. Die restliche Strohhutbande stand nach wie vor an der Reling und gafft herunter, die Heart-Bande hatte sich nun aufgeschreckt vom Lärm neugierig vor die Tauchluke geschoben. Man war umringt von Mitstreitern, die sich keinen Reim auf diese Szene machen konnten. „Hey Spinatschädel, Luffy hat dich 'was gefragt!“, brüllte Sanji mit Nachdruck in die Tiefe hinunter. „Wir müssen mal kurz weg. Wir treffen uns dann in ein paar Stunden wieder hier an Bord“, kam es von Zoro trocken und wenig erklärend nach oben geschallt. Das Geräusch, dem eines zusammenziehenden Gummibandes gleich, zerschnitt den Streit. Luffy hatte seinen Gummiarm weit ausgestreckt, mehrmals um den U-Boot-Turm geschlungen und sich somit selbst hinüber zur Ghost geschossen. „Was soll das heißen, ihr seid zum Abendessen wieder da? Als dein Captain verlange ich eine anständige Erklärung!“ Luffy schnaubte Dampfwölkchen aus einem hochroten Kopf heraus, hatte den Mund zu einem U geformt und bockig die Arme vor der Brust überkreuzt. Hatte er nicht neulich erst auf der Fahrt nach Shimotsuki den Gedanken gehabt, alle würden in seiner Bande nur noch das machen, was ihnen selber beliebte? Das passte ja hier wie die Faust aufs Auge. Er spürte, dass hier wichtige Dinge besprochen wurden. Dinge, die man an ihm vorbei diskutierte. Er hätte gedacht, der Schlachtplan für die nächsten Tage wäre klar abgesprochen und von allen akzeptiert worden. Was sollte da nun dieser Einzelexkurs? Pff, und überhaupt. Dass ausgerechnet Zoro pünktlich wieder zurückkommen würde, glaubte der Strohhutpirat keineswegs. Dass er bei seinem Orientierungssinn überhaupt zurückkommen würde... Und so schlug Luffy gleich noch in die Kerbe, dass es sowieso alles Zoros Schuld gewesen wäre, wie lange sie beide über die Redline marschiert wären, worauf der Beschuldigte nur ebenfalls zurück schnaubte, sein Captain wäre keinen Deut besser. Der Schlagabtausch war kurz. Eine stille Pause folgte, in der man das Wutschnauben und das zornige Knistern nur so hören konnte. Interessanter Weise reichte es jedoch bei den beiden, wenn sie sich wütend gegenüberstanden und stumm anstarrten, um sich wieder zu beruhigen. Als würden unsichtbare Worte zwischen beiden durch die Luft den anderen erreichen, glättete es die Wogen. Luffy verlor seinen hochroten Kopf und Zoro seine Eiszapfenhaltung. Wie die beiden das anstellten, hatte noch nie jemand herausbekommen können. „Acht Stunden! Ich hab's echt eilig“, kam es deutlich von Luffy. Acht Stunden. Das war die ungefähre Zeit bis zur nächsten Insel. Dem Ausgangspunkt für alle weiteren Missionen. Und im Vorbeigehen, bevor er sich wieder zurück zur Sunny hinüber schwang, sprach er still und leise: „Ich vertraue dir!“ Einer hatte sich gar nicht um den Streit geschert. Es war Law, der ins Innere seines U-Bootes abgetaucht war und nun mit einer Schultertasche und seinem Schwert wieder auftauchte. Er brauchte sich nicht mit seiner Mannschaft streiten. Seit jeher waren die Hierarchien geklärt. Da käme es kaum einem in den Sinn, eine Kapitänsentscheidungen in Frage zu stellen. Er gesellte sich wieder in den engeren Kreis aus Zoro, Chopper und Usopp und gab Antwort auf die vorher von Luffy in den Raum geworfene Frage. „Wenn es hilfreich sein soll, Rougetsu Island aufzusuchen, dann sollten wir das tun. Es macht doch Sinn, sich angesichts der aktuelle Lagen aufzuteilen. Das spart Zeit. Ihr segelt weiter bis zur letzten Insel vor dem Ringporneglyph und wir machen einen kurzen Abstecher und sammeln Informationen. Mir scheint, das Zwielichtwandeln ist eine Art Teleportation auf Basis der Raumzeitkrümmung? Ist es denn auch sicher?“ Stirnrunzelnd nahm er Chopper und Usopp in den Fokus, die beim Austritt aus dem Licht bei ihm Zweifel an dieser Art des Reisens aufkommen ließen. Immerhin hatte Usopp beinah mit einem Schwung Würfelhusten den Lack der Ghost beschädigt. Schiffsgrundierung und Magensäure waren nun mal keine Freunde. „Na, dann los!“ Zoros Aufruf unterbrach Laws Gedankengang. Er streckte eine Hand aus, welche die anderen Drei ergriffen. Keinen Wimpernschlag später waren sie vor aller Augen verschwunden, als hätten sie niemals dort gestanden. Plötzlich ward es eine klare Sommernacht. Eine milde Brise durchstriff die Grashalme und verlor sich über einem ruhigen Meer, welches tief unten an einer Steilküsten sanft die Klippen umspülte. Kreisrund prunkte der volle Mond am Sternenzelt und übergoss die Szenerie mit seinem Silberglanz. Rougetsu Island beherbergte seit Jahrzehnten und auf Grund eines mysteriösen Vorfalles, an den sich aber wegen seiner Unbedeutsamkeit für die restliche Welt niemand mehr so recht erinnern konnte, keine Menschenseele mehr. Dementsprechend sah der Vorplatz eines großen Gebäudes in traditioneller Bauweise auch vollkommen ungepflegt aus. Hohe Grasbüschel durchbrachen die Fugen des gepflasterten Areals. In den einst akkurat angelegten Blumenbeeten hatte mannshohes Unkraut den Kampf gegen die Blühpflanzen gewonnen. Auch das Gebäude selbst wirkte wenig einladend, wies es doch hier und da eine kaputte Fensterscheibe auf. Die Farbe blätterte vom Holz der Fensterläden und dem kunstvoll geschwungenen Torbogen über der breiten Eingangstür. Es musste eines der ersten Häuser gewesen sein, welches an Ort und Stelle erbaut worden war, denn der überdimensional große Gebäudekomplex, der sich weiter hinten als Anbau dem alten Haus anschmiegen sollte, überthronte es mit seiner Mächtigkeit. Es machte mit seinen klaren, kubischen Betonlinien einen modernen, aber auch absolut hässlichen und abweisenden Eindruck. Das Quartett war eben dort vor dem altertümlichen Eingangstore gelandet, und jeder der Vier hatte den Sekundenschlaf anders überstanden. Law war schier beeindruckt. Teleportationen waren ihm selbst nur innerhalb seines Rooms und demnach nur über eine sehr begrenzte Strecke möglich. Nun aber war er gerade um die halbe Welt gereist und es war ihm nicht im Geringsten unwohl dabei gewesen. Sagenhaft, diese Hanyôkraft. Wie funktionierte das? Was gäbe er wohl drum, dieses Spezialgebiet einmal erforschen zu dürfen. Wenigstens so ein Kernspin vom Kopf müsste doch drin sein? Law war gedanklich ganz bei seinem wissenschaftlichen Element angelangt und übersah großzügig, dass es den restlichen Dreien nicht so gut ging, wie ihm selbst. Zoro war unmittelbar nach der Ankunft zu Boden auf die Knie gesackt und hielt sich schmerzhaft den Schädel. Usopps Gesicht war wieder grünlicher geworden. Er stürzte mit vorgehaltener Hand zum nächstbesten Busch und trennte sich vom Mageninhalt. In Choppers Augen quoll das Weiß hervor, als hätte man ein Rentier auf der Jagd erlegt und ausgestopft. Er rührte sich nicht und sagte auch nichts mehr. Law seufzte über die Zwangspause, verplemperte sie nur unnötig Zeit auf dem Vorplatz. „Was genau suchen wir hier?“ Usopp hatte als erster aus dem schwächelnden Trio alle seine Sinne wieder beisammen und blickte auf das imposante Bauwerk. Der verwaiste Vorplatz, die Stille und das gespenstische Mondlicht taten ihr übriges, um Usopps „Ich-sehe-Geister“-Krankheit heraufzubeschwören, was Zoro nur mit einem breiten Grinsen quittierte. Wenn Usopp Geister sehen könnte, dann hätte dieser ja der Gruppe etwas voraus und wäre hier bestens aufgehoben. Innerlich verfluchte Zoro wieder einmal mehr, dass er kein Prismenträger mehr war und somit die Gabe des Geistersehens verloren hatte. Sich geschlagen gebend trippelte Usopp seinen Freunden zur großen Eingangspforte hinterher, welche sich trotz seiner heimlichen Stoßgebete problemlos aufstießen ließ. Der Wind strömte durch das zerbrochene Fensterglas und spielte mit den Vorhängen. Zerrupft wallten sie sachte mit dem Luftstrom und zeichneten unnahbare Schatten an den vergilbten Wänden ab. Obgleich das Haus schon lange leer stand, zeugte es von einer wohnlichen Atmosphäre. Verstaubte Sitzmöbel und Vitrinen schienen einst gepflegt worden zu seine. Nur die eingestürzte Hallendecke vor dem Fahrstuhl und dem Treppenhaus störte die Idylle auf eine ganz eigene Weise. Planlos standen die Vier nun in der verlassenen Halle und wussten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Ohne sich auszukennen, reichte schon die grobe Einschätzung, dass man hier viele Stunden, gar Tage, verbringen könnte. Das Haus war verwinkelt wie ein Labyrinth und zudem unübersichtlich groß mit vielen Stockwerken, Zimmern und Sälen. Allein es zu durchqueren, würde schon eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, wenn es denn überhaupt eine Verbindung zwischen diesem Altgebäude und dem neueren Anbau gäbe. Der Zahn der Zeit hatte tiefe Spuren an der Bausubstanz hinterlassen. Wenn bereits hier in der Halle ein Deckeneinsturz wäre, so sähe es in den anderen Räumen wohl nicht anders aus. Der Luftstrom durch die kaputten Fenster und schwarze Schimmelflecken an den Wänden vom eindringenden Regenwasser unterstrichen diese These. Plünderer hätten wohl auch schon ihren Weg über die Insel gemacht, denn altes Mobiliar und verrostetes Klinikinventar stand kreuz und quer umher und waren garantiert vom damaligen Personal nie so abgestellt worden. Erschwerend kam noch hinzu, dass bis auf Law wohl keiner eine rechte Ahnung davon hatte, was zwischen diesen Mauern in der Vergangenheit einst geschehen war. Also, nach was suchten sie? Ohne sich weit von den anderen Mitstreitern zu entfernen, nahm jeder für sich die Eingangshalle unter die Lupe. Zoro kam mit seinem Kopfkrieg nicht weit, steuerte den nächsten Couchsessel an und wartete auf Linderung. Wenn ihm die Truppe nur noch ein paar Minuten mehr Ruhe geben würde, wäre er auch wieder voll da. In seinen Umständen, wie es da unter der Schädeldecke polterte, war mit ihm wenig anzufangen. Es war so ein Gefühl, als wäre da ein punktueller Schmerz, der brannte und explodierte. Und hätte er einen riesigen Eiszapfen, denn man durchs Ohr ins Schädelinnere schieben könnte, brächte einem die Kälte sicherlich den erwünschten Heilungsprozess. Natürlich wusste Zoro, dass diese Vorstellung der Fantasie entsprang und jeglicher Logik fern blieb. Aber zumindest fühlte sich sein Kopf so an, wenn ihn jemand fragte, wies es ihm ginge. Usopp hatte seine Arme schützend und voller Angst um seinen Körper geschlungen, schlich so leise an den Vitrinen entlang, als könnte der Hall von Schritten irgendjemanden stören, und betrachtete die ausgestellten Exponate. Es war schwer, etwas durch die verdreckten Scheiben erkennen zu können. Er kramte in seiner unerschöpflichen Handtasche und förderte aus ihren Tiefen eine Taschenlampe zu Tage. Chopper folgte ihm, hielt unentwegt seine Nase in die Luft und ordnete die ganzen unbekannten Gerüche. Es roch nicht nach Krankenhaus. Der typische Desinfektionsmittelgestank war nicht auszumachen. Vielleicht war er aber auch über die Jahre längst verflogen. Dennoch befand das Rentier, dass es hier eher nach Hotel, als denn nach Klinik aussah. Law hat zielstrebig den Tresen der Klinikaufnahme angesteuert, hatte sich mit einem Hocksprung über diesen hinweg befördert und blätterte nun in der alten Besucherliste. Die Dunkelheit zwang ihn zum Abbruch. Mit dem Gästebuch und einem grob skizzierten Lageplan unterm Arm kehrte er wieder aus der Aufnahme zurück. Zeit, nun die anderen Drei über sein Halbwissen zu unterrichten. „Dieses hier muss das Sanatorium sein. Die Klinik selbst ist wohl drüben im Neubau.“ Man müsste das Klinikarchiv finden, überlegte Law laut weiter in die Runde hinein und erkundigte sich, warum Zoro unbedingt nach diesem Krankenhaus suchte. Sich die Schläfen reibend, erwähnte Zoro Yurendas Name, wusste aber nichts um die Hintergründe dieses Hinweises. Ein letzter grüner Funke flog zur Hallendecke empor, verlor sich dort und verglimmte. Law beobachtet nachdenklich das Glimmen. So langsam dämmerte es ihm. „Luna Sedata bedeutet soviel wie „ruhender Mond“. Es ist angeblich ein neurologisches Krankheitsbild, was man nur auf dieser Insel jemals beobachtet wurde. Da es sich hier aber um eine psychologische Heilanstalt dreht, wird also mehr dahinter stecke. Man beobachtete seltsame Symptome, die man „Knospen tragen“ und „Blühen“ nennt. Ich habe mich damit nie beschäftigt, fand aber für mich den Teil der Neurochirurgie spannend. Leider war es nie möglich, Akten zu bekommen oder Fachleute zu befragen.“ Law unterbrach sich selbst für eine gedankliche Pause und fuhr dann ohne Umschweifen fort: „Ich denke, der Hinweis bezieht sich auf dein Ausblühen. Es wird wohl ein Zusammenhang zu dem „Blühen“ gesehen, was man hier behandelt hatte. Ach, Usopp! Danke für die Taschenlampe.“ Entgeistert blickte Usopp auf Laws ausgestreckte Hand, die ihm eine Taschenlampe zurückgeben wollte. „Das ist nicht meine?“ Nein, beim besten Willen war die Lampe in Laws Hand nicht die seinige. Demonstrativ hielt er seine eigene Taschenlampe in die Höhe. „Hast du mir die nicht vorhin auf den Tresen gelegt?“ Law verzog perplex eine Augenbraue nach oben. Man konnte es unter seinem Hut auch in der Dunkelheit förmlich arbeiten sehen. Er war sich todsicher, dass dort zuvor keine Lampe gelegen hatte und erst, als ein Schatten vorbeihuschte, das leuchtende Hilfsmittel vor seiner Nase auftauchte. „Nein, ich war nur da bei den Vitrinen...“, stotterte Usopp, machte eine Handbewegung, um seinen Weg durch die Halle nachzuzeichnen, und verfiel sogleich in das nächste Krankheitsbild, welches denn da hieß „Ich-habe-Verfolgungswahn“. Schlagartig saßen alle Vier kerzengerade in ihren Sesseln. Nervös blickte man sich um. Sie waren wohl doch nicht so allein, wie zuerst angenommen. Plötzlich kreischte das Rentier, wie es noch nie zuvor in seinem Leben gekreischt hatte. Mit einem Sprung war es bei Zoro angelangt, umklammerte dessen Kopf und heulte wahre Wasserfälle. Dabei glotzt es über die Häupter seiner Freunde hinweg zum anderen Ende des Raumes auf eine geschlossene Zimmertür. Die Augenpaare seiner Freunde taten es ihm gleich. „Was zum …?“ brach aus Law heraus, während Usopp in den Kreisch-Chor mit einstieg. Tatsächlich stand dort ein schemenhafter Mensch. Ein Geist. Männlein oder Weiblein war auf die Entfernung und dem fehlenden Licht nicht zu erkennen. Die Figur stand dort, murmelte gruselige Wortfetzen und löste sich aus ihrer Position. Sie hob langsam den Kopf, blickte die neuen Besucher mit seinen grell-grünen Augen durchbohrend an und drehte sich weg. Dann verschwand der Spuk durch das hölzerne Türblatt und ward verschwunden. „Kenn' ich schon“, kommentierte Zoro äußerst gelassen die Gespenstererscheinung. „In den letzten Wochen besucht mich nachts eine ganze Horde von denen.“ „Auf der Sunny?!“ schrien Usopp und Chopper gleichzeitig vollkommen entsetzt. „Quatsch, im Traum“, gab Zoro zurück. Die Begriffsstutzigkeit seiner Freunde war manchmal hart an der Schmerzgrenze. „Der Ort war aber nie dieser hier, sondern auf Raftel. Keine Ahnung, wer die sind oder was die machen.“ „Dann sollten wir mal fragen“, sagte Law entschlossen. Ebenso wir Zoro erhob er sich und ging zielstrebig auf die Tür, dicht gefolgt von Chopper und Usopp, die sich zähneklappernd und schutzsuchend hinter ihren Freunden versteckten und hofften, dadurch unsichtbar zu werden. Kapitel 29: 29 - Usopps Tasche ------------------------------ Zoro hatte seine Kopfschmerzgrimasse gegen eine Schlechtwettervisage eingetauscht, wobei sich die eine von der anderen nicht sonderlich unterschied, doch für Insider unverwechselbare Merkmale aufwies, dass sich die gesundheitliche Stimmung gehoben haben musste. Da waren beispielsweise die Mundwinkel, die nun nicht mehr gepresst sauer wirkten, sondern missmutig nach unten hingen. Innerlich fluchend hinkte der Hanyô Law hinterher. Mit diesem lebenden Klotz namens Usopp am Bein und einem Rentier am Kopf war der Gang wahrlich beschwerlich. Es musste reichlich bescheuert aussehen. Man gut, dass hier das Publikum fehlte. Selbst Law konnte nur schwer ein Lachen unterdrücken, grinste dafür aber die ganze Zeit konstant wie ein Brummkreisel bis über beide Ohren. Natürlich musste er den Geplagten fragen, nach welchen Kriterien er seine begleitende Biomasse ausgesucht hatte. Hilfreich schienen die beiden Mitstreiter mit ihrem psychosomatisch bedingtem Schüttelfrost und den kalkweißen Gesichtern an diesem mystischen Ort nicht zu sein. Allerdings war ihm auch klar, dass Zoro sicherlich seine Beweggründe für diese Zusammenstellung der Gruppendynamik hatte, die Erläuterung darüber wohl angesichts der knappen Zeit gerade unpassend wäre. Law rechnete nicht mit einer Antwort. Stattdessen ließ er sich ganz darauf ein, was vor wenigen Sekunden ihrer aller Aufmerksamkeit erregt hatte. Die geisterhafte Erscheinung hatte das Quartett durch eine Tür hindurch in einen langen Gang gelotst, der sich stilistisch nicht von der Empfangshalle abhob. Zur einen Seite reihten sich hohe Fenster mit luftigen Vorhängen, genau gegenüber ein gutes Dutzend an dunkel gebeizten Zimmertüren. Während Law und Zoro ohne Furcht und Tadel nacheinander die hölzernen Türschilder musterten, waren Usopp und Chopper ihrem Stil treu geblieben und schlotterten um die Wette. Nur widerwillig ließen sie sich mittels ihres Nakamas hinterher schleifen und konnten sich mit diesem Spukhaus nicht anfreunden. Die Neugier, die besonders Usopp oft antrieb, war Dank der beklemmenden Atmosphäre längst im Kern erstickt. Ein Thriller-Bark-Déjà-vu verirrte sich vor sein geistiges Auge, doch irgendwie war dieser Ort nicht mit dem der Thriller Bark zu vergleichen. Hinter diesen Mauern versteckte sich mehr, als man überhaupt erahnen konnte. Etwas, was wie ein eisiger Atemhauch langsam durch die Wände kroch und sich wie ein Ring um den Hals legte. Lauernd auf das Zudrücken. Bedrohlich und unheimlich, um einiges subtiler. Während seine Augen den Flur musterten, kam er nicht ohnehin zu glauben, dass jeder einzelne Gegenstand hier ein Geheimnis zu verbergen hätte, was dringend einmal gelüftet werden müsste. Selbst die Wanddekoration schien im suspekt. Und diese hier im Flur war genauso gruselig, wie das ganze Haus. Altertümliche Nô-Masken aus Holz, weiß gelackt und mit wenigen farbigen Linien verziert, stellten alle möglichen Tierköpfe und Fratzen dar. Die wehenden Vorhängen warfen im Mondlicht flackernde Schatten, so dass man glauben könnte, gleich würden alle Masken ihre geritzten Münder öffnen und losschreien. Und hatte da nicht jemand gerade durch die hölzernen Augenöffnungen gelugt? Usopps Griff um Zoros Wade wurde dem von Fangzähnen gleich und hinterließ einen nicht länger ignorierbaren Schmerz im Fleisch des Hanyôs. Der gab diesen sofort an seinen Peiniger zurück, indem er wütend einmal das Bein kräftig ausschüttelte und Usopp zum zweiten Mal an diesem Tage den Fußboden küsste. Das Rentier hingegen blickte nun doch neugierig umher, fühlte es sich doch an Zoros Kopf sicher, wie eine Burg hoch oben auf einem unbezwingbaren Berg. Es las die Türschilder mit den Patientennamen und stellte fest, dass alle Brettchen ein eingeschnitztes Symbol neben dem Namen aufwiesen. "Alles kleine Monde", dachte es belustigt. „Halbmonde, Vollmonde und Neumonde.“ Schnell war die Gruppe an das Ende des Ganges gelangt, hatte keine der verriegelten Zimmertür öffnen können und blickte ratlos drein, als ein eisiger Luftzug sie wieder spürbar umspielte und einfing. Er brachte die Piraten dazu, sich umzudrehen und in den dunklen Flur zurück zu blicken. Der Luftzug nahm für den Bruchteil der Sekunde an Fahrt auf, wirbelte die Vorhänge mehr als zuvor herum und ebbte so schnell wieder ab, wie er aufgebraust war. Die Vorhänge glätteten sich wieder und gaben die Sicht auf den Geist frei, der sie bereits schon vorhin zu dieser Stelle geführt hatte. Er stand vor einer der Türen, murmelte Unverständliches und schwebte dann durch das Türblatt hindurch, als wäre es aus Luft. Zwei wunderten sich. Zwei kreischten. Während Zoro einerseits genervt über den Krach mit den Augen rollte, andererseits aus reiner Gewohnheit darüber hinweg sah, machte Law seinem Ärger knapp, aber laut, Luft. Zwar Verstummten die Angebrüllten, aber das Angstzittern blieb bestehen. "Ich hab da so einen antrainierten Filter im Ohr, der unterdrückt das", erklärte Zoro Law seine Gelassenheit in Bezug auf das Gekreische. Und so wüsste man wenigstens, dass man die beiden weder verloren hätte, noch dass sie am Ende ihrer Kräfte wären, ergänzte er pragmatisch. Wer noch Kraft zum Schreinen hätte, dem ginge es ja doch noch recht gut. Law fand diese Feststellung absolut vernünftig. Von den beiden Angsthasen regte sich Protest, Zoro würde maßlos übertreiben. Doch der Einspruch wurde komplett außer Acht gelassen. Nur wenige Schritte später wurde das Namensschild der Tür inspiziert, welches von der geisterhaften Erscheinung durchschritten worden war. Ein dunkler Kreis, eingebrannt in das Holz, kombinierte sich mit dem unkenntlichen Namen. Ein verriegeltes Schloss verbat den Einlass. Das Rütteln an der Türklinge war zwecklos. Usopp kramte wenig überzeugt in seiner Tasche und zauberte einen Dietrich hervor. Obwohl er noch jedes Schloss geknackt hatte, blieb dieses auch nach endlos verstreichenden Versuchen hartnäckig. Er seufzte schulterzuckend und konnte sich nur geschlagen geben, während er immer noch grübelnd vor der Tür hockte und in das Schlüsselloch starrte, als wäre dort im Inneren ein geheimer Schalter, den er nur zu drücken bräuchte. Natürlich war das kompletter Unsinn, doch man dürfte ja noch insgeheim von einfachen Lösungen träumen. Anstelle dessen bot sich ihm nun eine recht bizarre Aussicht, als sich just Zoros Knie in sein Rückgrat gruben und ihn zwangen, reflexartig hinauf zu blicken. Zoro hatte indes wie automatisch seine Hände auf das Holz des Türblattes gelegt und sich mit einem Ohr angeschmiegt. Dass Usopp sich noch immer zwischen ihm und der Tür aufhielt oder Chopper noch immer seine Klauen in grünen Haaren versenkte, ignorierte er völlig. Er schloss die Augen und gab sich ganz seiner dämonischen Hälfte hin. Manchmal übernahm sie einfach so von allein die Oberhand in ihm, leitete ihn, wenn er innerlich haderte und eröffnete unerkannte Wege. Da sprachen Stimmen mit ihm. Undeutlich, weit weg und wirr. Schwer zu beschreiben, welche Gefühlslage sie widerspiegelten. Die Tür wurde von einer Aura belegt, welche er schon einmal gespürt hatte. Eine Hanyô-Aura, wie die seinige. Obgleich vollkommen fremd, tat sie so vertraut. Er verstand kein Wort von der Murmelei, also trennte er sich wieder von dem Holz und Usopp, der die letzte Minute wie der Käse im Sandwich zwischen Zoro und der Tür ausharren musste. Er rieb sich seine verbogene Nase, unterdrückte aber die Beschwerde über diese Behandlung, da Zoro schon längst anderen Visionen in seinem Kopf nachhing und nur knapp zu seinen Mitstreitern sagte: „Schlüssel suchen!“ Zurück ging es zur Rezeption, doch das Schlüsselfach gähnte leer. Irgendwie war das mal wieder so was von klar. Die knappe Zeit rann unaufhörlich dahin. Usopp beförderte einen Wecker aus seiner unendlichen Handtasche an die Oberfläche und stellte erstaunt fest, dass bereits gut eineinhalb Stunden seit ihrer Ankunft verstrichen waren. Keinem der Vier war das schnelle Verstreichen der Zeit bewusst gewesen. Jegliches Zeitgefühl musste hier außer Kraft gesetzt worden sein. Kurzum, es verblieben nur noch gute sechseinhalb Stunden für ihre Suche. Wenn auch mit fehlender Begeisterung blieb den Piraten nur ein möglicher Ausweg aus der Misere: Wenn sie dem Rätsel auf den Grund gehen wollten, so mussten sie sich zweifelsfrei aufteilen. Nur mit einem kräftigen Ruck an dessen Geweih konnte Zoro das Rentier von seinem erhobenen Sitzplatz zerren. Es entschwand mit Law in der Dunkelheit der Empfangshalle. Beide hofften, einen direkten Weg hinüber in das Krankenhaus zu finden, um schnell mit einer großen Handvoll an Informationen zurückzukehren. Zurück blieben Zoro und Usopp, deren Aufgabe es nun war, das Geheimnis des gesperrten Raumes zu lüften. „Da du so leidenschaftlich mit der Tür gekuschelt hast, muss da wohl wieder so ein Hokuspokus sein?“, fragte Usopp zielstrebig. Dabei kramte er wieder in seiner Tasche. Diesmal noch tiefer und intensiver, als wäre das One Piece persönlich darin versteckt worden. Stattdessen zog er mit einem fröhlichen Lachen des Erfolgs eine Linse hervor, wie man sie von Fotoapparaten her kannte. „Weißt du noch, wie wir mal auf Lysø waren?” Lysø? Nun war es Zoro, der kramte. Nicht in einer Tasche, sondern in seinem Gedächtnis. Er hatte sich noch nie gut Namen merken können und nun fragte die Langnase ihn nach etwas aus, wo er sich noch nicht einmal mehr sicher war, ob es ein Ort, eine Insel oder irgendeine andere geographische Lage wäre. Usopp hatte nur einen Seufzer übrig und half ihm auf die Sprünge: „Dünen? Nebel? Geisterstadt?“ Ja, da war mal was. Vor ewig langer Zeit. Zoro rechnete die Jahre zurück und kam auf gute vierzehn verstrichene Jahre. Wer weiß schon, was mal vor vierzehn Jahren passiert war? Man konnte sich ja manchmal schon nicht mehr entsinnen, was gestern oder gar letzte Woche so alles passiert war. Da fragte die Langnase ihn doch nun tatsächlich nach Ereignissen vor vierzehn Jahren. Es gab so einige Meilensteine auf Zoros Lebensweg, an denen man sich so entlanghangeln konnte. Alle anderen zeitlichen Begebenheiten wurden dazwischen von ihm recht unsortiert abgelegt. Und die Insel Lysø lag eindeutig vor dem Zeitpunkt des Verschmelzen der Prismen auf Raftel. Es war ein Zeitraum, indem seine Erinnerungen durch die Wirkung des Prismas auf seinen Charakter so wie so rapide abgenommen hatten. Doch das Vergessen hatte auch eine einzige gute Sache an sich gehabt. Hätte er dazumal nicht fast alles vergessen, wäre er kaum auf Raftel gelandet. Als Hanyôkörper, der nur noch einer leeren Hülle glich, war er nur von dem inneren Trieb beherrscht, auf der achten Route zu diesem Ziel zu gehen, was alle Hanyôs in sich trugen. Was er da wollte, hatte er damals auch schon fast vergessen. Man gut, dass ausgerechnet jemand wie Smoker aufgetaucht war, ihn auf den buchstäblich rechten Pfad gebracht und Tashigis Aufzeichnung vorgelesen hatte. Ausgerechnet der Qualmer-Admiral! Seit jenem Treffens herrschte zwar keine Freundschaft, aber wenigstens eine mürrische Waffenruhe zwischen beiden. Und all das kannte er wenn auch nur aus Tashigis Tagebuch. Das waren nur geschriebene Worte, doch das Kopfkino fehlte. Dabei hatte sie ihm soviel erzählt mit der Hoffnung, da würden sich Erinnerungen wieder komplettieren. Viel Geduld, Zeit und Nerven hatte sie das gekostet. Der Erfolg blieb ihr auf weiten Strecken versagt. Keine einzige bebilderte Erinnerung war in seinem Kopf geblieben. Und kaum eine war zurückgekehrt. Vieles davon war es sicherlich nicht wert, dass man darauf zurückblicken könnte. Die eine oder andere Szene hätte er trotz alledem gerne als imaginären Fetzen in seinem Kopf behalten. Um so überraschter war er jedes Mal, wenn ganz banale Dinge in seinem Alltag etwas in seinen Hirnsynapsen auslöste. Dann blitzte es vor seinem geistigen Auge auf und gab eine feine Nuance farbiger Schattierungen frei. Sie war so zart und kurzlebig, dass es ihm häufig nicht gelang, sie zu einer Erinnerung zuzuordnen. Also musste es ja noch irgendwo in seinem Kopf vorhanden sein. Man kam bloß nicht ran. Wie ein Buch, das man in der Bücherei ins falsche Regal abgestellt hatte. Es war da, aber einfach nicht auffindbar. Wenigstens war die Zeitspanne der Erinnerungslücke begrenzt. Sie umfasste gute eineinhalb Jahre, als seine Hanyôkräfte ausbrachen bis zu dem Moment, wo die Welt durch das Zusammenfügen der Prismen zu reinem weißen Licht einen Neustart erlebt. Er schüttelte seine abschweifenden Gedanken weg und hatte nun wieder ganz nahe Usopps schnatternde Stimme bei sich, die von Lysø berichtete. Die Insel, in der es seit Jahren unter Tage in den Kohleminen brannte und sämtliche Einwohner vertrieb. Und in einer der Geschäftsauslagen in der dortigen Einkaufszeile, zwischen alle den mystischen Sonderbarkeiten und entarteten Monstern, hätte er eine Kamera gefunden, in welcher er einst Tashigis Linsen verbaute, damit es eine zweite Camera Obscura gäbe. Die Kamera, die Dinge sichtbar machte, und die das normale Auge nicht sähe. Wie auf Kommando zog Usopp nun eben solch eine Linse aus den Untiefen seiner Tasche hervor. In dieser Tasche gab es einfach alles, was er so in den letzten Jahren angesammelt haben musste. „Du hast den kompletten Müll all unserer Reisen der letzten vierzehn Jahre in deiner Tasche gelagert?“ Zoro konnte es nicht fassen und musste sich sogleich belehren lassen, dass von Müll gar keine Rede sein konnte. Alles überaus nützliche Dinge, die man immer wieder recyclen konnte. Und überhaupt hatte jedes Ding seine wahre Bestimmung zu einer bestimmtem Zeit. Man musste nur die richtige Zeit abpassen. Usopps braune Umhängetasche aus unscheinbarem Leder mit Schnappschloss und bequemen Trageriemen war so ein wahres Wunderding. Wenn man es einmal physikalisch begutachtete, dürfte die Tasche in ihren Maßen, wie sie so leicht um Usopps Hüfte baumelte, aber unzähligen Plunder archivierte, gar nicht existieren. Würde man den Plunder ins Verhältnis zum Volumen setzen, so müsste die Tasche das ungefähre Ausmaß einer Lagerhalle haben. Das tat sie aber rein optische nicht. Ganz im Gegenteil: Sie war nicht einmal ausgebeult. Usopp schien mit seinem Fund noch nicht vollständig zufrieden zu sein. Er kramte weiter und vergrub sich nun schon mit einem Arm und dem halben Gesicht zwischen der Schnappöffnung. Plötzlich sagte dieser „Bin gleich wieder da!“ und verschwand auch schon komplett in der Tasche, die nach wie vor kein bisschen ausbeulte. Nun war es an Zoro, der zum allerersten Mal an diesem Tage höchst verwundert war. Der Nakama war vom Erdboden verschluckt. Is' ja'n Ding! Er rief der Taschen den Namen seines Mitstreiters zu und tatsächlich schallte es aus der Dunkelheit der Tasche hervor: „Ja, komm' ja gleich...!“ Moment mal! Drang da nicht sogar ein fahler Lichtschein aus der Tasche? Neugierig schlich er auf diesen höchst merkwürdigen Gegenstand zu, den er von nun an ganz neu betrachtete und spähte hinein. Es war tatsächlich Licht in der Tasche. Zoro wollte mehr erkennen, beugte sich zu weit hinein, verlor das Gleichgewicht und purzelte schmerzhaft vor Usopps Füße. Wütend über das Missgeschick rieb er sich den Steiß und blickte dann mit großen Augen um sich. Ein Verschlag! Groß genug, um zwei Mann und ein halbes Dutzend mannshoher Regale mit allerlei Klimbim zu beherbergen. Die Tasche war gar keine Tasche, sondern ein getarnter Zauberraum! Noch ehe Zoro sich diese Entdeckung so recht bewusst wurde, kam auch schon eine Rüge seitens Usopps. Man dürfe doch die Tasche an so einem unsicheren Ort nicht einfach so unbeaufsichtigt lassen. Wer weiß, wer dort draußen herumliefe und die Tasche vielleicht mitnähme. Wer weiß, wohin sie dann beide transportiert würden? Vielleicht würde die Tasche in eine Schrankschublade eingeschlossen und sie kämen nie wieder heraus? Usopp drehte über soviel Leichtsinn ein wenig hohl. Schnell krabbelten beide wieder aus dem Taschenverschlag heraus, und Usopp präsentiert zu der magischen Geisterlinse ein passendes Kameraobjektiv und einen Film mit schwach spiritueller Energie. Er hätte vorhin in einer der Vitrinen eine Kamera gesehen, auf welche das Objektiv passen könnte. Es wäre eine Chance, das Geheimnis der verschlossenen Tür zu lüften. Gesagt, getan. Mit der neu gebauten Camera Obscura der dritten Generation ging es zurück zur Tür mit Hanyô-Aura. „Hör doch endlich mal auf zu zittern. Wir sind nun schon eine ganze Weile hier. Oder hast du Fieberschübe und Schüttelfrost?“, beschwerte sich Zoro entnervt. „Das bin ich nicht. Das ist die Kamera“, verteidigte sich Usopp. „Dann funktioniert dein Plan anscheinend.“ Der Sucher der Kamera wurde ringförmig Blau. Je näher sie der Tür kamen, desto kräftiger leuchtete der Ring. Das Vibrieren wurde stärker. „Und wann muss man nun knipsen? Hat dir das Tashigi mal verraten?“ „Wenn du die richtige Stelle gefunden hast, wo es am stärksten ausschlägt.“ „Aha“, kam es nur von Usopp zurück, der in dem Moment zweifelte, ob er das Bild überhaupt sehen wollte. Er erinnerte sich nur dunkel an Tashigis Bilderausstellung in den in Loguetown ansässigen Galerien und fand sie damals durch und durch gruselig. Die Erinnerungen erschauderten ihn auch heute noch. Er schwenkte die Kamera langsam auf und ab, von rechts nach links. Jeden Millimeter des Türblattes scannte er auf diese Art und Weise, und als der Ring so grell blau erstrahlte wie die Korona der Sonne bei einer Sonnenfinsternis, drückte er auf den Auslöser. Das Durchatmen tiefster Entspannung entfuhr ihm, als sich ein nüchternes Bildnis auf dem Film abbildete. Es zeigte einen Apothekerschrank, der in einem Aufenthaltsraum zu stehen schien. Wo auch immer dieser Raum war, es würde leichter sein, diesen zu finden, als einen kleinen, winzigen Schlüssel, der sich wie die Nadel im Heuhaufen versteckte. „Kann die Kamera auch andere Sucherfarben?“, fragte Usopp irritiert, der nun auf einen schwach roten Kreis im Sucher starrte. Noch ehe er eine Antwort von Zoro abwarten konnte, schnellte er blitzartig herum, riss die Kamera hoch und drückte erneut auf den Auslöser. Ein hohes mädchenhaftes Quieken hallte durch den Flur, ein Geist sackte schwer getroffen zusammen und blickte ihre Paparazzi schockiert an. Spirituelle Energie floss aus der am Boden kauernden Gestalt der Kamera zu und bannte sich auf Zelluloid. Ebenso schockiert blickten zwei Augenpaare zurück auf das, was sie gerade reflexartig angerichtet hatten. Usopp war mit der Kamera in der Hand zur Salzsäule erstarrte, während Zoro breitbeinig mit ausgestrecktem Fingerzeig auf die Person deutete. Augen, so groß wie Kuchenteller. Sämtliche Gesichtszüge waren ihm entglitten. Mit allem hätte er gerechnet, nur nicht damit. „Was zur Hölle machst DU hier?!“ Kapitel 30: 30 - Das dunkelste Kapitel -------------------------------------- In einem ganz anderen Winkel des verschachtelten Bauwerks, weit abgelegen von dem Gebäude, was als Sanatorium bezeichnet wurde, drehten zwei Ärzte ihre Runden. Man hätte meinen können, sie wären auf einer morgendlichen Visite unterwegs von Krankenzimmer zu Krankenzimmer, doch der Vollmond passte nicht zur rechten Stimmung, und die Patienten waren sowieso schon vor Jahren entschwunden. Die Schließung der Haibara Klinik lag einem dieser mysteriösen Vorfällen zu Grunde, die von der Weltregierung aus allen Akten der Geschichte getilgt und somit auch aus allen Gedächtnissen gelöscht wurden. Niemand kannte mehr das Klinikanwesen, noch wusste man etwas über das Luna-Sedata-Syndrom. Doch einer konnte sich durch reine wissenschaftliche Nachforschung doch sehr gut daran erinnern. Dieser Jemand war niemand geringeres als Trafalgar Water D. Law, der nicht nur sich, sondern auch seinen rentierartigen Begleiter mit Krankenakten aus dem aufgestöberten Archiv bepackt hatte und nun selbstbewusst auf der großen Suche nach einer schwarzen Medizingeschichte durch die Gänge stiefelte. Zu ihrem eigenen Erstaunen hatten sie schnell einen Verbindungsweg vom Sanatorium zur Klinik gefunden. Er führte direkt über den einst herrlich angelegten Innenhof der beiden Gebäude. Doch die Kletterrosen wilderten nun ohne die zähmende Heckenschere eines Gärtners über die Parkbänke und an den Hauswänden empor und mussten von Laws Schwert zerschlagen werden wie die Dornenhecke eines Märchenschlosses. Wenigstens gaben die Ranken sofort klein bei und wuchsen nicht verzaubert nach. Unzählige Hiebe waren von Nöten, bis ein kleiner Pfad durch diesen verwunschenen Rosendschungel geschlagen war und am anderen Ende eine Eingangstür zum Vorschein kam. Und dann waren sie endlich in der Haibara Klinik, die von innen übersichtlicher war, als von außen vermutet. Die Blockarchitektur setze sich auch in der räumlichen Zimmeraufteilung fort und gliederten die einzelnen Etagen in klare Formen. Lange Gänge und übersichtlich angeordnete Zimmer erleichterten die Suche. Allerdings hatte der Zahn der Zeit nicht allein an der Bausubstanz genagt, sondern sich regelrecht darin verbissen. Die meisten Fenster waren kaputt, hatten Wind und Wetter sie regelrecht malträtiert. Wo der Meereswind auf die Scheiben traf, zogen sich lange Schlieren auf dem Glas von der salzigen Luft. Besonders das Salz hatte es auf die metallischen Scharniere abgesehen und sie rosten lassen. Regen war hier und da eingedrungen. Seine Nässe schadeten dem Beton, der längst ausgeblüht war. Türen aus Holz sah man unter dem Furnier aufquellen. Schimmelflecke komplementierten das Bild. Dem Inventar der Klinik war es nicht besser ergangen. Verstaubt, verrostet, zerfressen stand es herum und erwartete den endgültigen Zerfall. Teilweise hatte es seinen einstigen Platz behalten, teilweise versperrte es wie unbedacht abgestellt und danach vergessen den Weg. Obgleich sie beide vollkommen allein waren und ihnen auch noch kein weiterer Geist über den Weg gelaufen war, konnte sich Chopper an diesen Ort einfach nicht gewöhnen. Der kalte Wind, das Mondlicht und das Ambiente, das eher einer Messie-Wohnung glich, als einem Krankenhaus, erschauderten ihn nach wie vor. Ab und zu warf er einen Blick aus dem Fenster und blickt in die Ferne. Wie ruhig die Landschaft doch dort draußen schlief und einen so friedlichen Eindruck machte. Aber die Kürze der Sommernächte und der Vollmond überstrahlten die Szenerie mit einer ungewöhnlichen Helligkeit, dass es schon wieder für Choppers Geschmack zu gespenstisch war. In seiner Rentiergestalt trabte er mit einem Aktenberg auf dem Rücken neben Law her und schob sicherheitshalber einen Rumble Ball von einer Backentasche in die andere. Sicher war sicher. Und wenn doch ein großes Mumienmonster oder ein Nachtgespenst um die Ecke käme, dann wäre er wenigstens kampfbereit. Oder vielleicht käme auch so ein Grünaugengeist wie vorhin vorbei. Der schien zwar harmlos, weil er nur in der Gegend herumstand und dann durch Holztüren ging, aber er sah so abgrundtief böse und gefährlich aus, dass es Chopper herzlichst egal war, ob der Geist nun schädlich war oder nicht. Es ließ ihn neue Hoffnung schöpfen, dass er zusammen mit Law doch sehr schnell das Archiv mit den Patientenakten gefunden hatten, auch wenn er das Gefühl nicht loswurde, dass sein Berufskollege nicht sonderlich zufrieden mit der Informationsausbeute war. Dieser hatte sich eine Taschenlampe zwischen die Zähne geschoben, damit er mit beiden Händen die Akten filzen und die Berichte vor das Lampenlicht halten konnte. Dabei murmelte er halblaut die geschriebenen Worte vor sich hin, und je mehr Akten er abarbeitete, desto wütender wurden seine Bewegungen, wenn er die Notizen wieder in die Mappen zurückschob und schloss. Chopper verstand zwar kein Wort von der Murmelei, aber er bewunderte in diesem Moment Zoros Leistung, mit einem Schwert im Munde herumzulaufen ohne den geringsten Speichelfluss zu haben. Bei Law hingegen lief der Sabber schamlos am Metall der Taschenlampe entlang und tropfte in langen Fäden herunter. Die Dunkelheit verschluckte die Details, dass es für Choppers Augen weniger ekelhaft erschien. „Wir haben etwas übersehen!“, platze Law plötzlich laut hervor, dass die Lampe aus seinem Mund zu Boden polterte. Er wischte sich mit dem Handrücken über seine Lippen, hatte er wohl jetzt erst registriert, wie viel Spuke ihren Weg ins Freie genommen hatte. Für einen Moment blickte er sich suchend um, rieb dann aber die feuchte Hand an seinem Hosenbein ab, nachdem der unmissverständliche Blick Choppers ihn mahnte, ja nicht dessen Fell als Handtuch zu nutzen. Sie hatten das nun letzte Krankenzimmer abgeklappert, welches in den Krankenakten Erwähnung fand, doch auch hier bot sich dasselbe Bild wie in den anderen Zimmern: Verwohnte Trümmer und nichts Persönliches, was irgendeinem bestimmten Patienten hätte zugeordnet werden können. Chopper ließ seine Hinterhand fallen und seufzte einmal laut auf. Der lange Marsch durch die Gänge, das Steigen der Treppen und das Schleppen der Akten hatte ihn ermüdet. Noch immer war ihm nicht klar, nach was sein Begleiter suchte. Also bat er ihn, da sie nun eh zu einer Zwangspause verdonnert schienen, ihn in seine Gedankengänge einzuweihen. Laws Wissen über das Luna-Sedata-Syndrom und Choppers tagtäglichen Beobachtungen an einem Hanyôexemplar könnten zusammengesetzt ein vollständiges Bild abliefern. „Hm, wie soll ich beginnen?“ Law überlegt, musste die Geschichte hinter der Krankheit wohl komplexer sein, als die Krankheit an sich. „Nun gut, Zusammenfassung“, startete er einen neuen Versuch. „Wenn ich hier so die Akten allesamt richtig verstehe, wurde das Syndrom nur auf dieser Insel nachgewiesen und nirgendwo anders auf der Welt. Es scheint mit spirituellen und rituellem Bräuchen dieser Insel verknüpft zu sein. Die Symptome sind Gedächtnisverlust, Schlafwandeln und bei fortgeschrittener Krankheit exzessives Tanzen. Die Mondphasen haben großen Einfluss auf das Verhalten der Patienten. Bei Vollmond sind die Patienten sehr ruhig, suchen aber Fenster oder Dächer auf, weil sie glauben, vergessene Erinnerungen wiederzubekommen, wenn sie im Mondlicht baden. Hat man aber abnehmenden Mond oder gar Neumond, so verschlechtert sich der Zustand rapide. Dann verlieren sie noch mehr den Verstand, Schlafwandeln oder fallen sogar ins Delirium. Sie drehen komplett durch.“ Chopper nickte zustimmend, dass er sich das Krankheitsbild gut vorstellen konnte. Als Allgemeinmediziner hatte er den Bereich der Psychologie und Neurologie immer nur gestreift und das hier klang ungemein spannend. Er hatte die Mondphasen als Kennzeichen an den Zimmertüren gesehen und war sich sicher, dass sie trotz Laws Zweifel den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Law indessen hatten seinen Aktenstapel auf eines der zerwühlten Krankenbetten abgelegt. Der Vollmond schien so hell durch das dreckige Fensterglas, dass man die Schriftstücke gut lesen konnte. Er blätterte wieder flüchtig in den Papieren und ordnete sie zugleich auf vier verschiedene Stapel. „Schau her,“ wandte er sich wieder an Chopper, der nun zu dem Bett trippelte, seine Schnauze auf dieses legte und aufmerksam zusah. „Ich habe die Patienten auf vier Stapel sortiert, weil es, wie mir scheint, vier Phasen der Krankheit gibt. In der ersten Phase meiden die Patienten reflektierende Flächen wie Spiegel oder Wasser. Sie entwickeln Angst, weil sie ihr eigenes Gesicht nicht erkennen können, als würde die Reflektionsfläche jemand anderen zeigen. Man nennt diese Phase auch „Knospenbildung“. Die zweite Phase heißt „Zerbrechen“, denn die Opfer fangen an, ihren klaren Verstand zu verlieren. Dazu gehören Wahrnehmungsstörungen wie Geisterstimmen oder Geräusche. Sie zerbrechen quasi daran. Während der dritten Phase scheint die Krankheit sogar ansteckend zu sein. Und zwar dann, wenn ein Patient aus der dritten Phase einen Patienten aus der vierten Phase ansieht. Dann werden plötzlich die Symptome vom Vierten auf den Dritten übertragen und der Dritte ist sofort in der vierten Phase. Der Ansteckungsweg wird mit „Resonanz“ betitelt. Nun aber zur letzten Phase. Die finde ich doch sehr krass. Patienten in der finalen Phase „blühen“. Sie sehen alle Gesichter nur noch verzerrt, haben keine Erinnerungen und sterben als leere Hülle. Treten sie als Geist in Erscheinung, dann ist ihr Gesicht selbst auch komplett verzerrt.“ Das Rentier schlackerte mit den Ohren. Ihm schwirrte der Kopf von den ganzen vielen, neuen Informationen, die ihm vollkommen absurd waren. Er versuchte, einen einfach Vergleich zu finden und stellte sich eine Blume vor. Erst würde sie eine Knospe bilden, sich entwickeln und dann blühen. Danach gäbe es nur noch das Verblühen, was wohl dem Tode der Patienten gleich kam. Yurenda hatte Zoro gesagt, hier auf dieser Insel gäbe es Antworten auf viele Hanyô-Fragen. Dort unten in den Gängen lief ein Gespenst umher, dessen Gesicht nicht verschwommen war, aber trotzdem hier therapeutisch behandelt wurde. Mochte es eine Fehldiagnose oder gar eine Verwechselung sein? Chopper schielte zu Law, der sich nachdenklich auf die Bettkante gesetzt hatte. Law hatte vorhin erwähnt, dass hier schlimme Dinge geschehen wären und das genau dieses ihn interessieren würde. Dem Rentier war klar, dass es sich nur um Heilungsmethoden drehen konnte. Und genau da schien das unheilvolle Grauen zu ruhen, denn wenn man die Akten überflog, so gab es wohl keine wahre Heilung. Ganz im Gegenteil: Man hatte das Gegenmittel dieser Krankheit verloren und experimentierte nun fröhlich vor sich her. Die Patienten hier waren alle Versuchskaninchen. Wie bei Laborratten wurde alles an ihnen ausprobiert. Musiktherapie, Lichtentzug, Freiheitsentzug, Amputationen von Körperteilen und chirurgische Eingriffe in das Gehirn. Die Liste hätte man ewig fortsetzen können, gäbe es mehr Akten. Es widersprach allen guten Vorsätzen, wie man mit Patienten respektvoll und helfend umzugehen hätte. Chopper schüttelte sein Haupt, doch die Gedanken verflogen nicht und so begann er laut vor sich her zu denken. „Bei Zoro ist das anders. Da gibt es auch so ein Ausblühen. Aber das können wir alle sehen. Es ist also keine Wahnvorstellung des einzelnen Probaten. Das Ausblühen taucht bei ihm immer auf, wenn er sich nicht kontrollieren kann oder er seine dämonischen Kräfte zu schnell zu stark einsetzt. Das überfordert ihn wohl irgendwie. Dann bekommt er rasende Kopfschmerzen, die man wohl mit einer komplizierten Migräneattacke mit Aura vergleichen könnte. Und zu seinen Füßen bildet sich ein Bannkreis. Der wächst wie eine Blume aus einem Punkt heraus. Es leuchtet grünlich. Es werden grüne Funken freigesetzt, die wie Feuerfunken in die Lüfte fliegen und dort verglimmen. So wie bei einem Lagerfeuer, wenn die Glut knackt. Und dann ist da noch sein Auge. Das bekommt so einen Rotstich. Aber mit Wahnvorstellungen oder dem Mond hat das alles nichts zu tun.“ Law blickte erstaunt zu Chopper hinunter, der noch immer in seiner Rentierform vor dem Bett stand, müde die Schnauze auf der Matratze parkte und schläfrig die Augenlider zuklappte. Seine eintönige Stimme klang so kraftlos, dass Law sich schon Sorgen machte, seine pelziger Begleiter würde jeden Moment erschöpft zusammenbrechen. Dennoch war Law aber auch dankbar für Choppers Offenheit. Längst hatte er durchschaut, dass es wohl nur einen sehr kleinen Kreis an Menschen gab, die um Zoros Geheimnisse mehr Bescheid wussten als andere. Und zu diesem Kreis gehörten wohl nur Chopper, Usopp, Tashigi und eventuell auch Taiyoko. Das machte Sinn, denn je größer der Kreis an Mitwisser war, desto größer war die Gefahr, das einer aus dem engsten Kreis überwältigt und verschleppt würde. Man schien an Hanyôs interessiert zu sein, sie gar als Gefahr einzustufen, und da waren wehrlose Dritte ein eine gute Beute, um sie als Druckmittel zu missbrauchen. Law erinnerte sich an Zoros Auftritt vor wenigen Stunden auf seinem U-Bootsdeck. Da war auch dieses rote Auge und der florale Bannkreis mit den grünen Funken. Was mochte Zoro so erzürnt haben, dass dieser so unbeherrscht explodiert war? Die wehrlosen Dritten. Law spulte in seinem Kopf noch einige Stunden mehr in die Vergangenheit und blieb bei einer unterkühlten Verabschiedung zwischen zwei Liebenden und einer entführten Tochter hängen. Zweifelsohne war die Familie Zoros Schwachpunkt, obgleich er das keineswegs herauskehrte. Lief da irgendetwas gerade total aus dem Ruder? Law wusste nichts von Usopps Nachricht an Zoro und so blieb der Hintergrund des Gefühlsorkans noch ein wenig im Dunkeln. Daher blieb es um so mehr bei der Verwunderung, dass ausgerechnet jemand wie Zoro so in Wallung kommen konnte. Zoro, der immer grundsätzlich beherrscht und eiskalt nach außen hin war. „Sag mal, … Du hast eben gesagt, dass Zoro nur solche Auffälligkeiten zeigt, wenn er unbeherrscht wäre. Bist du dir da sicher? Ich fand, der Sprung durch das Zwielicht kam mir doch sehr kontrolliert vor“, fragte Law nach. „Ja, er sagt, er hätte einen Weg gefunden, wie er mit seinen Kräften umgehen könnte. Auch ohne Prisma. Weißt du, er war doch mal Prismenträger...“, gähnte Chopper hervor. „Also hat das Prisma ihn beschützt?“ „Ja, sonst hätte er bei jedem Ausblühen ganz schnell seine Erinnerungen verloren und wäre auf Rice Island in der Stadt der Bekloppten gelandet und hätte die achte Route über Raftel zum Verlorenen Königreich niemals gefunden. Das Prisma hat die Hanyô-Nebenwirkungen ganz entscheidend verdrängt und verlangsamt. Er hatte erst auf Raftel alle Erinnerungen verloren, als er da mit Smoker allein im Zeitstrudel festhing.“ „Bitte was?“ Law kapierte gar nichts mehr, kannte er doch diesen Teil der Weltgeschichte überhaupt nicht, denn die ganze Welt war damals vor gut vierzehn Jahren im Zwielicht verschwunden und Dank Zoros und Smokers Sieg über die fette Kröte wieder durch einen Zeitsprung dem Zwielicht entflohen. Doch das wusste niemand, hatte es doch niemand mitbekommen. Für die Menschen war es wie ein tiefer Schlaf gewesen, aus dem man einfach am nächsten Morgen wieder erwachte. Nur allein Tashigis Notizbuch und Smokers Erinnerungen waren letzte stumme Zeugen von diesem Ereignis.Alle anderen hatten es nicht bewusst erlebt oder waren ins Jenseits gewechselt. „Wie dem auch sei“, überrumpelte das Rentier Law. „Zoro sagt, er kann den Trick nicht verraten, weil das auch seine Schwachstelle wäre. Es wäre nur ein einziger Gedanke, der das alles kontrolliert. Aber den würde er niemals verraten. Also denk' nicht darüber weiter nach.“ Doch Law war nicht auf den Kopf gefallen. Die Erleuchtung zuckte wie ein Blitz durch sein Hirn. Er grinste, denn er hatte eine Bestätigung für seine Vermutung und musste innerlich zugeben, dass tatsächlich die einzige Stärke auch die größte Schwäche wäre, wenn er denn richtig läge. Er erhob sich, kramte aus seiner Manteltasche einen Stift hervor und kritzelte etwas auf die welligen Tapetenreste an der Wand. Es waren zusammenhängende, windschiefe Rechtecke und Striche, die für Chopper alle recht abstrakt aussahen. „Meinst du, für kreative Raumgestaltung ist es eben der rechte Zeitpunkt?“ Chopper hatte seinen Kopf gedreht und blickte nun auf das Gesamtkunstwerk an Formen und Figuren. „Nein, das ist ein Grundriss vom Krankenhaus. Wir waren schon hier, hier und hier.“ Laws Hand flog über die Skizze. Seine Fingerkuppen tippten die bereits entdeckten Orte ab. Er erklärte knapp, dass es Teile im Gebäude gab, die sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Wenn hier wirklich etwas im Verborgenen liegen würde, dann müssten sie jeden einzelnen Winkel untersuchen. Es verwunderte ihn jedoch, dass sie jeden Millimeter abgeklappert, aber dennoch nicht alles gesehen hatten. Wenn jeder Etage eine U-Form inne ruhte, so hätten sie auch auf jeder Etage ein U ablaufen müssen. Hatten sie aber nicht. Wieder strichen seine Finger über den Grundriss und verharrten an einigen Stellen. Und selbst dem Rentier, war es nun verständlich, dass man wohl nicht auf direktem Wege alle Gebäudeteile erreichen konnte. Ob es Geheimtüren oder Geheimgänge gab? Oder hatten sie einfach nur etwas übersehen. „Was genau erwartest du zu sehen?“ „Die Behandlungsräume. Besonders den Operationssaal, wo chirurgische Eingriffe am Gehirn vorgenommen worden sind. Wir sollten noch mal über dieses Treppenhaus hier versuchen, zum Keller zu gelangen...“ Der Keller? Chopper schauderte, hatte er doch noch den Witterungsgeruch von Blut, Tod und Angst in der Nase. Dennoch war er sofort bereit, sich seinem Schicksal hinzugeben, denn die Alternative wäre gewesen, mutterseelenallein durch die Gänge zurück zu der Empfangshalle zu gehen, und dazu hatte er viel zu große Angst. Er wollte gerade wieder hinter Law hertrotten, als seine Nase zuckt. Blitzschnell riss er sie hoch und hielt sie in den eiskalten Luftzug, der sich plötzlich wieder seine Wege bahnte. Doch die Kälte kam diesmal nicht allein. Sie hatten noch einen blinden Passagier dabei. FEUER! Ruckartig drehten sich beide zur Tür, wo sich durch die Fuge zwischen Türblatt und Rahmen schon ein heller Brandschein abzeichnete und Rauch hervorquoll. „Wieso brennt die Scheißhütte jetzt?“, platzt Law nun ungehemmt heraus, und es fiel Chopper schwer, am Tonfall Wut oder Erstaunen zu zuordnen. Doch es bleib keine Zeit zum Grübeln. Law stürzte los, riss die Tür auf und warf sich in das Flammenmeer, dicht gefolgt von einem panisch werdenden Rentier. Dem Instinkt nach wollten beide nur raus. Weg von der glühenden Hitze und dem beißenden Rauch. So musste wahrlich der Vorhof der Hölle aussehen. Sie hasteten zur Treppe und weiter nach unten. Der Qualm nahm ihnen die Sicht, so dass sie auf den Stufen zusammenstießen, übereinander purzelten und die Treppe im schmerzhaften Sturzflug nach unten absolvierten. Dabei blickte Law zurück und machte eine erstaunliche Entdeckung. Oder besser: Er bildete es sich ein. Die Rauchwolken formten sich immer wieder unnatürlich neu und trieben die beiden Piraten voran wie eine Stampede. Als würde ein Geist in dem Rauch hausen und ihn lenken. Bedrohlich wallte der Rauch wie eine Wand auf sie zu. Law tat das, was er in solchen Fällen schon bei Zoro gesehen hatte. Er packte Chopper am Geweih als wäre es ein Türgriff und zog ihn mit sich. Plötzlich tauchte eine Brandschutztür am Ende des Treppenhauses auf. Nanu? Die war doch vorhin nicht da? Egal, Hauptsache weg von den Flammen! Sie durchbrachen die Tür und waren am Ziel. Hinter ihnen viel mit einem Klappern die Tür ins Schloss. So urplötzlich, wie das Feuer sie überraschte hatte, so schnell war es auch wieder verschwunden. Da war nichts mehr in der Luft, was die feine Rentiernase noch wittern konnte. Stattdessen verzehrten sich die Farben der Realität von einer Sekunde zur nächsten zu einer albtraumhaften Vision in Schwarz und Weiß. Es kam den beiden vor, als wären sie Zuschauer in einem Theaterstück, doch saßen sie nicht vor der Bühne, sondern standen direkt auf ihr mitten im Akt des Geschehens. Die Kulisse wurde von einem schlichten Raum gebildet, der wohl der Vorraum zu einem Operationssaal war. Sterile Fliesenwände bis an die Zimmerdecke, eine Pritsche an der Wand nebst einem Medizinschrank und einigen Tropfern vor einem Handwaschbecken vervollständigten das Bühnenbild. Die Tür hinter unseren beiden Zuschauern wurde aufgestoßen, ein Arzt und eine Krankenschwester traten ein und flankierten ein junges Mädchen. Panisch versuchte sie sich zu wehren, doch der harte Griff um ihre Handgelenke verhinderten jeglichen Fluchtversuch. Man zog sie sachte, aber bestimmt in den Nebenraum, wo dem Publikum eine Horrorshow geboten wurde, die selbst hartgesottenen Menschen wie Law das Blut in den Adern gefrieren ließ. Chopper war längst zur Salzsäule erstarrt. Nur die Tränen, welche wie Wasserfälle aus seinen Augen liefen, verrieten seine Lebendigkeit. Und noch ehe sie sich irgendeiner Reaktion ihrerseits hinreißen lassen konnten, fiel der Vorhang. Schwärze umnebelte sie augenblicklich, zwang sie in die Knie und schickte sie in eine Welt des Schlafes. Kapitel 31: 31 - Die Legende ---------------------------- Welch ein Schlag, welch eine Wucht! Die spirituelle Kraft, welche die Camera Obscura absorbierte, war enorm. Usopp war schwer beeindruckt von diesem Gerät, welches er eben gerade erst eigenhändig zusammengebastelt hatte und eigentlich nur eine Übergangslösung sein sollte. Dafür hatte das Ding nun mehr als geahnt den Erwartungshorizont weit übertroffen. Usopp war zu recht mehr als stolz auf sich und seine Arbeit. Er hatte als erster seine Fassung wiedererlangt und blickte nun abwechselnd umher. Auf das Abbild in der Kamera, welches grell die gebannten Geister zeigte. Auf Zoro, der nach wie vor wie ein in Beton gegossenes Standbild neben ihm stand. Und eine schlanke Frau, die mitgenommen am Boden kauerte und unfreiwillig zum ersten Testopfer der neuen Kamera geworden war. Das zierliche Persönchen rappelte sich wieder empor, zupfte ihr kurzes Kleid zurecht und rückte das Krönchen auf ihrem Kopf gerade. Und auch in Zoro kehrte die übliche Alltagshaltung zurück. Er ließ den Arm sinken, war aber nach wie vor merklich überrascht darüber, was ihm da unter die Augen gekommen war. Seit ungezählten Jahren hatte er sie nicht wieder gesehen. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass man sich ausgerechnet an diesem Ort wieder begegnen würde. Und wenn er ehrlich sein sollte, so war es doch auch das Allerletzte, was er sich jemals gewünscht hätte. „Du hast dich ja ziemlich weit vom Schuss ab verlaufen, wenn du HIER herumirrst!“, keifte sie los und drehte sich dann zum Nächsten. „Und du! Pass gefälligst besser auf, wo du mit so einem komischen Ding hinzielst!“ Damit war definitiv Usopp gemeint, der sich überrumpelt bei einer sehr angesäuerten Perona entschuldigte. Die Wirkung der Kamera machte ihn perplex, hatte er doch gedacht, der Apparat würde nur auf spirituelle Energie Anwendung finden und nicht auf Teufelskräfte. Doch ein kurzes Analysieren der Abläufe seinerseits brachte des Rätsels Lösung: Er hatte die Hollow-Geister erwischt und sie vernichtet, indem sie nun auf Zelluloid gebannt waren. Das wiederum hatte die Geisterprinzessin rückwirkend getroffen. Usopp war von dem Fotokasten mehr als begeistert. Zoro hingegen zog nun eine eingeschnappte Schnute. Verlaufen? Er hatte seine Freunde auf direktem Weg hierher gebracht. Ohne Umwege. Na, wenn die Zicke wüsste! Und überhaupt! Sie hatte seine Frage noch nicht einmal ansatzweise beantwortet. Also stellte er sie erneut: „Was machst du hier?“ Sie erzählte ihre kurze Geschichte und klagte Zoro ihr Leid, wie einsam und langweilig es doch nach vielen verstrichenen Jahren auf Mihawks Heimatinsel wurde. Die Affenbande war nach wie vor nervig verblödet, und dass Mihawk irgendwann auch nicht mehr zurückkehrte, war ja eh alles Zoros Schuld. Es war daher genau der richtige Zeitpunkt gewesen, sich nach etwas Neuem umzusehen. Doch mit nichts war sie so recht zufrieden: zu öde, zu einsam, zu groß, zu klein. Die Liste an persönlichen Befindlichkeiten und Mängel an einem Wohnobjekt könnte man ewig fortsetzen. Das richtige Domizil zu finden, war eine harte Nuss, die noch nicht geknackt war. Nun war sie seit gut einem Monat hier gestrandet, doch so recht wollte der Funke nicht überspringen. Dieses neue Zuhause auch lieb zu gewinnen, fiel ihr irgendwie schwer. Die verwahrlosten Räume träfen genau ihren Geschmack, und auch die Hollows hätten sich schon mit den hauseigenen Geistern angefreundet. Aber seit geraumer Zeit streiften hier Wesen mit grellgrünen Augen durch die Gänge, die einfach nicht so recht hierher passen wollten. Zudem hielten sie sich an keine gängigen Spukhausregeln: Sie tauchten einfach so in Privaträumen auf, versiegelten unerlaubt Türen und lärmten unanständig. Besonders die exzessiven Tanzrituale zur späten Stunde störten empfindlich die Nachtgeisterei. Perona hatte sich langsam in Fahrt geredet und war, ohne die beiden Piraten nach deren Beweggründe zu fragen, davongeflogen. Während sie ihre beiden Begleiter somit wieder in die Lobby zurückführte, kam Usopp nicht umher, hinter ihrem Rücken fragend zu lästern: „Mal ehrlich, die ist doch nicht ganz dicht? Wie hast'n du das mit der Plaudertasche so lange ausgehalten?“ „Es war hart...“, gab Zoro seufzend zurück, und verdrängte Erinnerungen kamen wieder an die Oberfläche, welche er sofort wieder in die Tiefe seines Langzeitgedächtnisses zurückstopfte. In der Lobby angekommen, nahm Perona eines der breiten Sofas in Beschlag, räkelte sich fast schon lasziv in die Polsterkissen und klatschte zweimal in die Hände. Ein Hollow-Geist kam angerauscht, stellte ein Geschirrservice aus schwarzen Porzellan auf den Couchtisch und begann feinstes Keksgebäck und heißen Kakao zu verteilen. Usopp hatte es vorziehen wollen, sich nicht zu dieser Kakaorunde zu gesellen, hatte er doch stets im Hinterkopf, wie ihnen die Zeit im Nacken hing. Doch als er sah, wie sich Zoro wortlos mit einer genervten Miene ebenfalls in einen Sessel pflanzte und mit einer Handbewegung den Hollow davon abhielt, seine Tasse mit Kakao zu befüllen, konnte er ein Grinsen kaum verkneifen. Anscheinend hatte Zoro in den zwei Jahren, die er damals in Mihawks und Peronas Gesellschaft verbracht hatte, gelernt, dass es die einfachste und klügste Entscheidung wäre, Peronas Willen Folge zu leisten. Usopp biss sich grinsend auf die Unterlippe bis diese schmerzte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie die Wohngemeinschaft mit der Geisterprinzessin abgelaufen sein mochte. Wenn Zoro nicht spurte, gab es einen Satz Hollows auf die Ohren. Hätte sich bei Usopp nicht so ein herrliches Komödienkopfkino abgespielt, er hätte fast ein wenig Mitleid mit seinem Nakama bekommen. Aber so fand er die Vorstellung einfach nur interessant und ließ sie vor seinem geistigen Auge noch etwas weiterlaufen. „Du weißt nicht zufällig, wo hier ein Apothekerschrank zu finden ist?“, platze Zoro in die Kakaorunde hinein. „Dummerchen! Das hier ist ein Krankenhaus. Da gibt es überall Apothekerschränke“, seufzte Perona, nippte an ihrem Heißgetränk und erlag der Einschätzung, dass Zoro sich in den letzten Jahren kaum merklich verändert haben musste. „Wir suchen aber einen ganz bestimmten“, ließ sich Zoro nicht abwimmeln und drängte Usopp, das Foto mit dem Motiv des Apothekerschranks der Geisterprinzessin zu zeigen. Sie warf einen prüfenden Blick darauf, und tatsächlich erkannte sie das Möbelstück wieder. Es wäre einfach zu erkennen, erklärte sie. Das rötliche Holz, die schwarzen Beschläge und der abgebrochene Fuß vorne rechts wären unumstößliche Merkmale. Der Schrank wäre ein ziemliches Monstrum. Selbst ihr Hollows hätten es nicht geschafft, dieses Ding zu verrücken. Dabei würde es sich so gut in ihrem Schlafgemach machen. Neben dem großen Himmelbett. Und schon schwatzte sie den beiden auf, wie sie immer noch im Gange war, ihre Wohnräume zu gestalten und herzurichten. Informationen, die niemand brauchte. „Du scheinst dich ja hier perfekt auszukennen. Und was ist dann hinter der Tür, wo wir vorhin standen?“, hakte Zoro nach und deutete dabei in eine x-beliebige Richtung, aus welcher sie garantiert keineswegs gekommen waren. Wieder seufzte Perona: „Du meinst wohl eher, da lang?“, und zeigte in Richtung, wo der gemeinte Raum lag. „Du weißt genau, was ich meine“, schnauzte er zurück. Usopp hatte seine Kakaotasse an die Lippen gesetzt und durch Pusten versucht, die heiße Flüssigkeit abzukühlen. Es war ein Akt der Höflichkeit, wenigstens ein paar Schlückchen mitzutrinken, obwohl im bei der ganzen Hollows um ihn herum schon speiübel war. Dabei wanderten seine Augen ständig zwischen Zoro und Perona hin und her. Es war eine gar merkwürdige Beziehung zwischen den beiden und irgendwo angesiedelt zwischen Sarkasmus und Ausbeute. Mit einem großen Zug wollte er seine Tasse leeren, verschätzte sich aber dann doch bei der Temperatur. Prustend befleckte der Kakao nun den Boden, und Usopp leckte mit der Zunge über einen verbrannten Gaumen. Wenigstens versüßte die Sahnehaube, welche ihm wie ein Bart im Gesicht hing, den ziehenden Schmerz. Es war eh höchste Zeit aufzubrechen. Perona flog voran. Da sie schwebte, vergaß sie ganz und gar, dass ihre beiden Begleiter zu Fuß nicht so leicht Hindernisse bewältigen konnten. Für sie ging es mittig im Treppenhaus steil nach oben, während Zoro und Usopp sich Stockwerk um Stockwerk über die eingestürzten Treppen mühten. Der schrillen Stimme Peronas folgend, endete der Aufstieg vor einer Doppelschwingtür in der obersten Etage. „Wo bleibt ihr denn?“, schnarrte es ihnen genervt entgegen. „Haltet euch die Ohren zu!“ Noch ehe die beiden Piraten etwas fragen konnten, hatte die Geisterprinzessin auch schon die Tür geöffnet. Irgendwo dort in dem dunklen Stationsflur knackte ein alter Lautsprecher, als hätte jemand eine Vinylschallplatte zum Drehen gebracht. Kaum war das Knarzen abgeklungen, setzte eine schlechte Tonaufnahme ein. Laut und verzehrt dröhnte eine Lied aus den Lautsprechern von den Zimmerdecken herab. Die Schallwellen gingen durch Mark und Bein und zwangen jeden Hörer gnadenlos in die Knie. Es war ein und dieselbe kurze Melodie in Endlosschleife, gespielt auf einer alten Hammondorgel. So laut, dass einem das Trommelfell zu zerplatzen drohte und sich alle schmerzend die Ohren zuhielten. Unter Ohrenschmerzen gekrümmt rettete man sich zum nächsten Zimmer, und kaum fiel die Tür hinter den Dreien ins Schloss, war wieder Ruhe eingekehrt. Der Schwall an Schallwellen, der vor Sekunden noch wie Regen auf sie einprasselte, war versiegt. Man schaute Perona entgeistert an, doch die winkte nur müde ab und erklärte, dass dieses Lied hier immer nachts durch die Gänge dröhnte. Es wäre wohl eine Art von Musiktherapie, der die Patienten beruhigen sollte, doch das konnte sich die Prinzessin kaum vorstellen. Es war einfach zu laut, zu schräg und zu disharmonisch, aber ihre Hollows liebten diesen quietschigen Sound. Zoro hatte sich unterdessen den Raum angesehen. Es musste das einstige Schwesternzimmer der Station gewesen sein. Einige Unterlagen füllten die Schreibtischplatte, welcher an einem großen Fenster stand und die Sicht auf den gesamten Flur der Station freigab. Hier war sicherlich niemand ungesehen vorbeigekommen. Unter den Unterlagen sah man auch Dienstpläne, Diagnoseblätter und alles weitere, was wohl zu einem Krankenhaus dazugehört. Doch das spannendste stand direkt neben dem Schreibtisch an der Wand: der Apothekerschrank. Gehörig verstaubt wartete er mit ungezählten kleinen Schubladen auf, welche Zoro nun nacheinander herauszog und durchwühlte. Manche Schubladen taten artig ihren Dienst, andere verharrten störrisch im Korpus und gaben nur unter Einsatz brachialer Gewalt nach. Während eine Schublade nach der anderen ihr Geheimnis offenbaren musste und Zoro ebenso viele Schlüssel wie Schubladen hervorzauberte, kam Perona nicht umhin, die Suchaktion zu kommentieren. „Herrje, was machst du? Willst du wirklich ALLE Schlüssel mitnehmen? Guck doch mal, der hier zum Beispiel sieht doch gar nicht wie ein Türschlüssel aus. Eher wie der eines Schrankes...“, versuchte sie eine Art von einer aussichtslosen Belehrung. „Bevor ich hier tausendmal hin- und herrennen, nehme ich lieber gleich alle mit. Und du wolltest mir noch verraten, was da unten hinter der verschlossenen Tür ist“, kam es nur emotionslos von Zoro zurück. „Pah, als ob du diesen Raum hier jemals wiederfinden würdest. Und den Raum da unten kenne ich auch nicht. Der war schon immer zu.“ Perona hatte wirklich eine ganz eigene Art, stets unnachgiebig in die Kerbe zu hauen und somit andere anhand ihrer Fehler vorzuführen und zu verletzen. Allerdings war die bildhafte Kerbe von Zoro mittlerweile schon so tief, dass man da nicht mehr viel herausschlagen konnte. Doch Perona war nicht die Frau, die bei sowas ein Ende fand. Da müsste die Kerbe schon eine Schlucht werden. Einzig die Tatsache, dass Zoro ihre Sprüche innerlich ausblendete, nahm ihr etwas Wind aus den Segeln. Unbeeindruckt von Peronas Seitenhieben hatte er ein Handtuch vom Waschbecken der gegenüberliegenden Seite genommen, alle Schlüssel mittig platziert und dann ein kleines Bündel gebunden. Der Beutel wog so einiges beim Anheben und klirrte metallisch. Zoro hoffte, dass der Handtuchstoff nicht unter dem Gewicht zerreißen würde. Erst jetzt registrierte er, wie Usopp im Schein der Schreibtischlampe in einem Buch las und vollkommen in eine Phantasiewelt abgedriftet war. Der Buchtitel prangte stark verblasst auf dem Einband: „Legenden aus aller Welt“. Na, das konnte dauern. Ausgerechnet Usopp, der wenig begeistert von diesem unheimlichen Ort war und so oder so schnell nach Hause wollte, gönnte sich eine Schmöckerauszeit. Nun war es Zoro, der drängelte und wenig Verständnis für Usopps Tun übrig hatte. „Ja, ja... Gleich, gleich. Nur noch eine Seite...“, kam es da gereizt hinter dem Buch hervor. Das musste ja wahrlich spannend sein. Aber für Usopp waren alle Märchenbücher spannend, und dieses hier war ihm noch total unbekannt. Zoro herrschte ihn dennoch an, dass er das Buch doch auch mitnehmen könnte, aber der Mitstreiter ließ sich nicht beirren. „Jetzt hör' doch einfach mal zu“, begann Usopp mit dem Vorlesen einer Geschichte aus diesem alten Schmöcker. „Hier ist eine Geschichte, die heißt... … „Der Regenbogenkristall Zu vergangenen Zeiten trug es sich zu, dass die herrschende Göttin des Lichts beschloss, ihre Schwester, die Göttin des Schattens, zu besuchen. Diese lebte aber nicht wie die Lichtgöttin auf dem höchsten Berg der Welt, sondern weit entfernt in der absoluten Finsternis untertage, regierte die Dunkelheit und führte ein wahrlich lotterhaftes Leben von Lug und Betrug. Häufig mischte sie sich in Menschengestalt unter das Volk und säte Missgunst, Neid und Hass, woran sie ihren Spaß fand. Sie hatte derart über die Stränge geschlagen und das Böse verbreitet, dass die Lichtgöttin ihr gehörig die Leviten lesen wollte, denn diese war den Menschen wohlgesonnen und mochte es nicht, wenn ihre Schützlinge unzufrieden waren. Somit bereitete sie alles vor für ihre große Reise und übertrug einer ihrer Dienerinnen die ehrenhafte Aufgabe, über den Kristall Sanshoku zu wachen. Der Kristall war so klar wie das Wasser eines Gebirgssees und so kalt wie die eisige Winterluft. Wenn die Lichtgöttin in ihn hineinblickte, dann durchströmte ihre ganze Schönheit und Helligkeit den Kristall und zauberte so die Farben und die Wärme in die Welt. Drei Tage und drei Nächte dauerte die beschwerliche Reise hinab vom Sonnenberg in die Tiefe des Erdreiches, und die Menschen dachten, die Sonne würde für immer untergehen. So schwarz wurde es auf der Erde. Um den Menschen die Angst zu nehmen, streute die Lichtgöttin ein paar Funken an Nachthimmel. Das ward der Mond und die Sterne. Oh, welch Streit entfachte sich zwischen den beiden Gottschwestern, als diese endlich aufeinandertrafen. Die Schattengöttin fühlte sich gekränkt durch die Zurechtweisungen der Lichtgöttin. Sie wurde derart eifersüchtig auf ihre leuchtende Schwester und deren Gabe, dass sie aus Wut beschloss, den Kristall Sanshoku zu rauben. Sie sperrte durch eine List ihre Schwester in einen dunklen Stollen, bestieg den Sonnenberg, rechnete aber nicht mit dem beherzten Kämpfen der Kristallwächterin. Der Raub des Kristalls wurde zwar vereitelt, jedoch gelang es der schwarzen Göttin, einen Fluch über Sanshoku zu legen. Fortan wurde der Kristall von Dunkelheit umhüllt und die Farben verschwanden. Es wurde für immer kalt und finster auf der Welt. Die Bäume verloren ihr Laub, die Vögel zogen davon, Tiere fielen in einen Winterschlaf und Unwetter tobten über das Land. Hungersnöte, Seuchen und Depressionen suchten die Menschen heim, welche zuvor nur im Sonnenschein gelebt hatten. Es sollte ganze sieben Jahre dauern, bis die Göttin des Lichts sich aus ihrem Gefängnis befreien und nach Hause auf den Sonnenberg zurückkehren konnte. Das Flehen der Menschen, die fehlenden Farben und Wärme veranlassten die Lichtgöttin, sofort etwas zu unternehmen, um die alten Zustände wiederherzustellen. Ihre Macht war stärker, als die Macht ihrer bösen Schwester, und somit vertrieb sie die Dunkelheit und ließ den Kristall wieder erstrahlen. Doch in den sieben Jahren ihrer Abwesenheit in der Finsternis hat ihr Zauber stark gelitten und Kräfte eingebüßt. Sie ermüdete schnell und verfiel in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Das Licht erlosch, und die Farben verschwanden. Seit diesem Tage gibt es in der Welt die Jahreszeiten, denn immer wenn die Lichtgöttin schläft, tobt sich die Schattengöttin aus und bringt allen den Winter auf Erden. Die Welt jedoch, die zuvor nie Jahreszeiten kannte, begehrte auf, da das Klima sich nicht überall gleich auf der Welt veränderte. So stand auf manch einem Feld die Frucht in voller Blüte und brachte reichen Ertrag. Auf anderen Feldern erfror die Frucht durch Kälte oder verdorrte durch Hitze. Das Leben der Menschen wurde fortan wieder einmal von Armut und Hunger geprägt. Sie riefen ihre Lichtgöttin an, die sie aber im Schlafe nicht erhören konnte. Die Kristallwächterin hatte Mitleid, und so tat sie eine gar schreckliche Tat: Sie nahm den Kristall und zerschmetterte ihn. Millionen und Abermillionen Kristallsplitter zerstreute sie in die Meeresströmungen, weshalb seit dieser Zeit jede Insel der Grandline eine eigene Jahreszeit hat. Die Wächterin aber, die nun erst die Ausmaße ihrer Tat erkannte, bekam es mit der Angst. Sie floh auf eine Insel, dessen Ort niemand zu finden vermochte. Von dort sandte sie die drei größten Splitter um die Welt, auf dass sie gute Hände finden würden, die sie sorgsam schützen.“ Als Usopp wieder von dem Buch aufsah, bot sich ihm ein Anblick, der ihn wenig verwunderte. Perona strahlte über das ganze Gesicht und hatte einen Glanz in den Augen, den nur Nami zu haben vermochte, wenn es um Geld ging. Die Vorstellung, dass es einst einen Kristall gegeben haben mochte, der schöner als jeder Diamant gewesen war, versetzte sie in Entzücken. Zoro hatte Mühe, seine Augen aufzuhalten. Obgleich die Legende nur sehr kurz war, so hatte es doch beinah dazu gereicht, dass er eingeschlafen wäre. Usopp seufzte, war er sich doch ziemlich sicher, hier weniger auf eine Legende, sondern mehr auf einen Quelltext gestoßen zu sein, deren historischer Kontext nicht von der Hand zu weisen war. In jedem Märchen steckte ein Funke Wahrheit oder eine Botschaft, und der Regenbogenkristall musste echt sein. Soviel war mal klar. „Was riecht hier eigentlich so komisch?“, gähnte Zoro mitten in die ruhige Runde hinein, doch plötzlich war er hellwach. Alle drei schauten wie auf Kommando gleichzeitig durch die Fensterscheibe auf den Gang. Ein orangefarbener Lichtschein lugte erst zaghaft um die Zimmerecke, kroch dann blitzartig hervor und wurde heller und heller. Konnte das möglich sein? Sie stoben hinaus zur Doppelschwingtür, die zum Treppenhaus führte. Die Hitze und das grelle Licht dahinter leuchtete wie ein böses Vorzeichen, und als Zoro die Tür aufstieß, grapschte züngelndes Feuer wie gierige Arme nach ihm. Keine Sekunde stand der Trakt um sie herum lichterloh in Flammen. Beißender Rauch stieg ihnen in die Nase und reizte die Augen bis sie tränten. Plötzlich war es nur noch heiß und grell. Sie hatten die Orientierung und sich gegenseitig verloren, obwohl sie eben noch dicht beieinander gestanden hatten. Da war nichts mehr, was Schutz bot. Wo eben noch ein dunkler Flur ruhte, empfing sie nun ein Tunnel aus Asche, Glut und Verderben. Und so rannte ein jeder von ihnen fluchtartig davon, ohne zu wissen, wohin ihr Lauf führte. Jeder in seine ganz persönliche Flammenhölle. Kapitel 32: 32 - Mondscheinsonate --------------------------------- Als Usopp die Augen wieder aufschlug, sah er zunächst eine recht unscharfe Umgebung vor sich, dessen bunte Konturen in mehreren Ebenen durcheinander schwammen und um keinen Preis passgenau stehen bleiben wollten, sondern sich lieber fröhlich überlappten und vermischten. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er ungezählte Male Achterbahn im Nonstopbetrieb fahren müssen und hätte sich am Liebsten vom Sofa, auf welchem er bäuchlings lag, herunter erbrochen. Dem gefühlten Ende nahe, wagte er es kaum, sich von seiner liegenden Position zu erheben. Das würde doch gar kein Kreislauf mitmachen. Und seiner sowieso nicht. Eine von seinen ungezählten Hypochonderkrankheiten würden ein Weiterleben schon verhindern. Davon war er felsenfest überzeugt. Und so, wie es eben in seinem Hirn abging, musst der Tod quasi schon mit der Sense an der Tür kratzen. Dabei hatte Kaya ihm doch so oft zu erklären versucht, dass man gar nicht so schnell sterben würde, wie es sich oft für den Patienten selbst anfühlte. Dann hatte sie ihn wie immer mit ihrem gütigen Engelsgesicht angelächelt, und alle Schmerzen und Wehwehchen waren davon geflogen. Bestimmt hätte er noch einen Trostknutscher als Wunderheilmittel abbekommen. Kaya. Was gäbe er nur dafür, sich hier aus diesem Gruselkabinett voller Eiseskälte auch herausschwingen zu können, wie es Vögel oder Schmetterlinge zu tun pflegten. Alles hinter sich zu lassen und daheim geduldig bei seiner Freundin in der Sonne am Fenstersims hocken zu können. Dort würde sie ihn vermutlich lachend vertreiben, weil es sie bei der Arbeit störte, wenn er dort warten würde. Denn sie hatte es zu einer sehr erfolgreichen Kinderärztin gebracht und besorgte Eltern strömten mit ihrem Nachwuchs aus allen Teilen des East Blues zu ihr. Der kleine Wartesaal der Praxis platzte tagtäglich aus allen Nähten. Doch obgleich ihr der Arztberuf alles abverlangte und sie spätabends neben ihm übermüdet, aber glücklich, ins Bett fiel, machte sie stets bei allem und jedem ein unbekümmertes Gesicht. Keine Frage, Usopp gönnte ihr den Erfolg und dass sie eine ausfüllende Aufgabe gefunden hatte. Allerdings musste ihre gemeinsame Beziehung öfters Mal den kürzeren Ziehen. Da wäre sicher gegen den einen oder anderen Patienten weniger vor der Praxistür nichts einzuwenden. Kaya, warum bist du nicht da und rettest mich? Seine Lippen formten ihren Namen, während er ihr Gesicht vor sich sah. Wie war er eigentlich nur wieder in diese Situation geraten? Er suchte nach „hätte“ und „wenn“ und verstrickte sich immer mehr in absurden Kausalitätsketten, die damit endeten, dass schlussendlich alles seine eigenen Schuld gewesen war, als er vor langer Zeit beschlossen hatte, auf der Merry in Luffys Team mitzufahren. Da hatte doch alles seinen Anfang genommen. Er wollte ein wenig in Selbstmitleid versinken und machte einen Gedankensprung zurück an den Anfang seiner Überlegungen, wieso er ausgerechnet jetzt an Kaya denken musste. Vermutlich, weil sie Ärztin und dieser Ort hier ein ehemaliges Sanatorium und Krankenhaus gewesen war. Hier zogen einst die Halbgötter in Weiß durch die Gänge. Dabei trug Kaya häufig gar keinen Arztkittel, weil die Kinder dann häufig ängstlich wurden. Sie sollten doch gern zu ihr in die Praxis kommen. Kaya hätte sicherlich ein seelisches Trostpflaster für ihn übrig, und er schwor sich, dass, trotz aller innigster Freundschaft und Loyalität zur Strohhutbande, dieses definitiv seine letzte Tour wäre. Das halten ja keine Nerven der Welt aus. Er brauchte keinen Trost von einem Wollknäuel auf vier Beinen mit Geweih, dass immer so gnadenlos Spritzen setzen konnte. Oder auch nicht von einem hochgewachsenen Kerl mit Killerblick, bei dem man nie wusste, ob der nächste Handgriff Knochen richten oder lieber zerbrechen würde. Obgleich Usopp nun Law und seine anderen, wirklich sehr menschlichen, Seiten an ihm lang genug kannte, fand er ihn immer noch suspekt. Nur Perona war ihm so herrlich egal. Mit seiner Depri-Stimmung wäre er ihr sowieso immer und ewig überlegen. Und wenn alle Stricken reißen würde, hätte er ja immer noch die Kamera. Noch einmal stöhnte er schmerzhaft auf und registrierte jetzt erst, wie ihm aus seinem leicht geöffneten Mund die Spuke lief. Es sabberte geradezu aus seinem Mundwinkel heraus auf den abgewetzten Sofastoff und mischte sich mit dem Hausstaub der letzten Jahre zu einem ekelhaften Brei. Da warne garantiert tödliche Viren und Bakterien drin. Sicherlich würde er sofort tot umfallen, sobald er auch nur den Kopf von der nasskalten Sofalehne heben würde. Moment mal! Sofa? Nun kehrte doch der geordnete Überlebenstrieb zurück zu seinem Besitzer. Usopp presste die Augenlider schmerzhaft zusammen, lenkte der Karussellfahrt in seinem Kopf entgegen und öffnete ruckartig seine Augen wieder, als er glaubte, die eingebildete Fahrgondel hätte gestoppt. Tatsächlich war das Bild nun klar und deutlich. Schmerzerfüllt rieb er sich die pochende Schläfe und brauchte trotz der körperlichen Befindlichkeiten nur einen einzigen Augenschwenk, um die Sachlage zu erfassen. Da war sie wieder: Die Eingangslobby. Und wenigstens war er nicht allein. Ein Blick genügte, um zu sehen, dass es Law, Perona und Chopper anscheinend ebenso ging wie ihm. Auch sie lagen ziemlich geschafft auf den Polsterstücken herum und kamen nur schwerlich wieder zu sich. Das Rentier hatte alle Viere von sich gestreckt und ließ die lange Zunge aus dem Maul hängen. Perona glich mit ihren zerzausten Haaren eher einer Vogelscheuche. Und Law saß irgendwie aufrecht, aber der Kopf war am langen Halse nach hinten über die Rückenlehne gestreckt, was bei jedem Atemzug ein heftiges Gurgelgeräusch aus seinem Munde hervorbrachte. Aber wie waren sie nur hierher geraten? Hatten sie sich nicht vor Kurzem erst getrennt, um in zwei Gruppen das Gebäude zu erkunden? Und dann war doch noch dieses plötzliche Feuer ausgebrochen. Feuer überall und aus allen Richtungen. Nein, er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie er es bis hier herunter in die Empfangshalle geschafft hatte und schon gar nicht, wie die anderen ebenfalls hier eingetroffen waren. Und noch eine ganz große Frage brannte in seinem Kopf, dass es schon fast einer aufgehenden Sonne glich. „Ey Leute, waren wir nicht mal zu fünft?“ Die Frage an die Gruppe war rein rhetorisch, fast schon zynisch. Natürlich musste einer fehlen. Und natürlich musste ausgerechnet Zoro fehlen. Usopp seufzte. Was auch immer sie alle hier zusammengeführt hatte, Zoro hatte es nicht hierher geleitet. Die banalste Erklärung wäre, er würde wie gewöhnlich immer noch durch das Gebäude irren, weil er einfach den Rückweg nicht fand. Dann bräuchte man eigentlich nur eine Weile warten, dann käme der Hanyô schon aus reinem Zufall mal ganz von selbst hier vorbei. Problematisch an der Idee war ihr Haken. Die „Weile“ konnte von einigen Minuten zu Stunden oder gar Tagen werden. Soviel Zeit hatten sie definitiv nicht, mussten sie doch pünktlich zurück auf der Thousand Sunny sein. Man würde also in den sauren Apfel beißen müssen, um den Nakama zu suchen. Mit Zoros Anwesenheit in der Gruppe stand und fiel die ganze Aktion, wenn nicht gar die ganze Weltrettung. Ob ihm das überhaupt so sehr bewusst war? Vermutlich war es dem Hanyô total schnuppe, welche Rolle er für die Weltgeschichte spielte, hatte Usopp doch längst gemerkt, dass persönliche Interessen mehr und mehr sich bei Zoro in den Vordergrund geschoben hatte. So wie im Prinzip mittlerweile bei jedem der Strohhutpiraten. „Wieso seid ihr alle hier?“, kam es ihm da als ungläubige Feststellung von Law zurück. Ziemlich verstört rappelten sich jeder von ihnen nacheinander auf, prüften ihr eigenes Wohlbefinden und rekapitulierten die Ereignisse der vergangenen Stunde. Man tauschte sich aus. Usopp berichtete von der Legende und dem Regenbogenkristall, und Law erzählte von seinen Erkenntnissen, die er über das Luna-Sedata-Syndrom gesammelt hatte. Natürlich durfte da die grausame Vision aus den geheimen Operationsräumen im Keller nicht fehlen, wobei die heftigsten Details ausgespart wurden. Allerdings konnte Chopper die Vision so gar nicht verarbeiten. Er zitterte am ganzen Körper, hatte geweitete Augen und schluchzte nur so vor sich her: „Sie haben dem armen Mädchen das Gesicht runtergeschnitten! Ohne Betäubung. Und sie hat dabei so geschrien...! Kannst du dir sowas schlimmes vorstellen?“ Dabei hatte sich das Rentier bei Law schützend an dessen Arm geklammert. Zur Verwunderung aller starrte der Chirurg nur ins Leere, nickte und versuchte die Erinnerung zu vertreiben, wie im Nebenraum dort unten in den Katakomben bei vollem Bewusstsein Versuche am offenen Gehirn praktiziert wurden. Sie nannten das Verfahren, jemanden die Krone aufsetzen. Dabei war die sogenannte Krone ein Drahtgestell, welches innen seitig feinste Kanülen hatte, die sich gezielt ins Hirn bohrten. Law hatte schon soviel gesehen. Viel zu viel. Aber das war der Gipfel an Grausamkeiten. Selbst er, der schon unzähligen Menschen im Kampf Leid zugefügt hatte, widerstrebte es, Menschen für Experimente zu missbrauchen. Da war er dann doch Mediziner genug und die Heilkunst ihm zu wichtig, anstatt er so etwas jemals tun würde. Perona und Usopp waren diese schrecklichen Bilder verborgen geblieben, konnten aber allein an der Reaktion der beiden Mitstreiter erahnen, dass hier jegliches Nachhaken unangemessen wäre. Man wechselte das Thema zu dem plötzlich aufgetretenen Brand im ganzen Haus. Sie alle waren in verschiedenen Richtungen entflohen, ins Koma gefallen und doch hier versammelt erwacht, als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt und alles auf Anfang gestellt. Zu dieser Theorie passte es, dass das Haus trotz Feuersbrunst unversehrt schien. „Wir sollten schnell Zoro suchen und wieder abhauen“, klapperte Chopper noch immer vor Angst. Alle waren einverstanden. Selbst Perona hatte für sich selbst die Entscheidung gefällt, dass diese Immobilie als neues Heim wenig tauglich war. Illusionen und Raum-Zeit-Verschiebungen mochte sie gar nicht leiden und gehörten nicht in ihre Welt von Kuscheltieren und Schokolade. Der Plan, Zoro zu finden, wurde bereits im Ansatz erschwert. Da unbedingt der verschlossene, geheimnisvolle Raum geöffnet werden sollte, vermutete man, dass Zoro vielleicht seinen Irrweg dorthin aufgenommen haben könnte. Es wäre die größte Chance, ihn schnell zu finden. Als sie jedoch die Tür von der Lobby zum Flur durchschreiten wollten, war dort an der Wand nichts mehr. Die Tür war verschwunden. Usopps glatter Durchschuss mit Kabuto beschwerte den Vieren nur ein überdimensionales Loch in der Wand mit einem Blick nach draußen in die klare Vollmondnacht. Grashalme wogen sich im sachten Wind. Büsche und Bäume raschelten beruhigend in der Ferne und mischten sich mit dem Rauschen der Wellen. Der gesamte Korridor mit der verschlossenen Zaubertür war weg. Angstvoll hielt sich die Geisterprinzessin die Wangen und kreischte erschrocken, was denn zur Hölle nur mit diesem Haus los wäre. Sie sandte einige Hollows aus, die aber auch nur von einer weiten Wiese berichten konnten, aber nicht von einem Gebäudetrakt. Law, der es gewohnt war, Leute anzuleiten und sie durch die Gegend zu scheuchen und machte auf dem Absatz kehrt. Aus Gewohnheit ging er daher ganz selbstverständlich davon aus, dass der Rest ihm schon folgen würde. Ihm missfiel die Gesamtsituation. Mit seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, dem Schwert über der Schulter und einem finsteren Blick stiefelte er zurück zu dem Sofa, auf welchem er erwacht war. Dort hatte er sich frustriert auf die Polster geschmissen und grübelte angestrengt über die nächsten Schritte nach. „Nochmal alles zusammen. Wir haben ein Krankenhaus, wo Menschen mit dem Luna-Sedata-Syndrom untersucht wurden. Das Syndrom gibt es aber nur allein hier auf dieser Insel. Hat also einen Ortsbezug hierher fern ab von allen anderen mystischen Gegebenheiten und wäre somit für uns vollkommen irrelevant. Parallel dazu wurden hier anscheinend Hanyôs behandelt. Nach Aktenlage scheint es keinen Zusammenhang zwischen dem Zwielichtwandeln der Hanyôs und der ortsstämmigen Krankheit zu geben. Richtig? Dann haben wir von Usopp die Geschichte gehört, die wohl die Entstehung der Prismen beleuchtet. Da ist ja ganz klar ein Zusammenhang zu den Hanyôs zu sehen. Aber warum genau hier? Was haben wir übersehen?“ Law machte eine Pause, während er jedes einzelne Erinnerungsbild in seinem Gedächtnis noch einmal genaustens beleuchtete. Das waren so ziemlich alle Fakten, die er zusammentragen konnte. Dann gab es da noch das Feuer. Ja natürlich, das Feuer hatte sie in ganz bestimmte Richtungen getrieben. „Das Haus! Es will uns irgendetwas sagen!“ Große Fragezeichen glühten über den Köpfen der anderen auf. Das Haus hatte etwas mitzuteilen? Wie kam er denn darauf? Law blieb ihnen die Antwort schuldig, sprang wieder vom Sofa empor und drehte sich kurz um sich selbst. Wohin könnte man gehen? Keine Frage, ohne Zoro saßen sie hier an Ort und Stelle fest. Doch wenn das Haus stets sein Gesicht änderte, so würden sie die Nadel im Heuhaufen suchen. Zoro könnte überall stecken. Und da war sie plötzlich wieder. Eine Geistergestalt mit brennend glühenden Augen, murmelte unverständliches Zeug und marschierte die Treppenstufen nach oben. Law wie von Sinnen hinterdrein. Und der Rest schockiert hinterher. „Traffi? Was hast du vor?“ „Trafalgar?“, dröhnte es ihm schallend im Treppenhaus hinterher. Law kümmerte sich nicht darum, sondern hetzte nach oben. Er war so in Fahrt, dass er gleich zwei, gar drei Stufen auf einmal nahm. „Was ist nun nun schon wieder mit diesem verrückten Haus los?“, stellte Perona kreischend fest. „Ich weiß es nicht...“, gab Law monoton zurück und hechtete vorwärts ohne zu wissen, ob er das Tempo bis zum Ende durchhalten würde. In der Tat hatte das Treppenhaus sein Gesicht verändert. Die einst viereckige Form des Raumes mit den Eckpodesten, auf welche die Treppen absatzweise mündeten, hatten sich gerundet. Wie eine Schlange wandte sich nun die Treppe an der kreisrunden Wandform nach oben. In der Mitte war der Fahrstuhlschacht längst entschwunden. Ein tiefer Abgrund ohne erkennbaren Boden klaffte auf. Ein Absturz kostete unweigerlich das Leben. Doch auch gen Himmel war noch keine Zimmerdecke in Sicht. Perona flog neben Law her, während sich der Abstand zu Chopper und Usopp schon merklich vergrößert hatte. Als sie endlich die oberste Treppenstufe erreicht hatten, hingen sie allesamt wie die Badematten zum Trocknen über dem Treppengeländer. Wild nach Luft hechelnd mit einem Herzschlag, der mühelos hätte den Rippenbogen durchbrechen können. Nur Perona wippte leicht wie eine Feder im Wind neben ihnen und lenkte ihre ganze Konzentration auf die verrostete Eisentür vor ihnen. „Braucht ihr noch eine Pause oder soll ich schon mal vorgehen?“, fragte sie schnippisch. „Warte...“, keuchte Usopp, schleppte sich an Law und Chopper vorbei und schob seine Fernglasbrille zurecht. Ein Blick damit durch das Schlüsselloch offenbarten keine neuen Entdeckungen, weshalb die Tür unter schwerstem Knarzen umgehend aufgestoßen wurde. „Ein Leuchtturm?“, platzten alle wie aus einem Munde hervor. Die Lichtkuppel des Leuchtturms wirkte riesig. Sie mussten sich in einer erstaunlichen Höhe befinden, denn man blickte weit über die ganze Insel und über das Meer, welches trotz des Vollmondes sich mit der Schwärze der Nacht vereinte. Der Kuppelboden war im Schachbrettmuster gefliest. Mittig reflektierten die Glasfacetten des erloschenen Leuchtfeuers im Mondlicht. Abgegrenzt wurde das Plateau von den großen Glasfronten und einem Stahlgeländer, welches harte Muster auf den Fliesen zeichnete. Das Staunen wurde noch größer, als sie bedächtig den Ort erkundeten und hinter dem Leuchtfeuer eine skurriles Ding von einer Knochenorgel mit drei Registern und abgegriffenen Tasten entdeckten. „Schwimmt bei euch auch das Schachbrettmuster so vor den Augen?“ Schwindelig torkelte Chopper zwischen den Feldern umher. „Nein, der Boden vibriert tatsächlich“, antwortete Law trocken und seufzte darüber, dass sie anscheinend frisch in eine neue Katastrophe geschlittert waren. Da wurde das Ganze nur noch perfektioniert, als über die äußere Brüstung Geister mit grellgrünen Augen krochen, lautlos durch die Fensterfronten traten, als wären sie ohne Glas, und mit ausgestreckten Armen nach ihnen griffen. „Los, zurück zur Treppe!“, gab Law die neue Marschroute vor. „Hat sich erledigt!“, schrie Usopp quer über das Plateau zu den anderen und deutete auf den Boden, der an den Rändern langsam vor sich wegbrach. Vereint griffen sie die Feinde an. Perona musste schnell einsehen, dass ihre Hollows auf die Geistergestalten keine Wirkung zeigten. Auch Law und Chopper droschen pausenlos mit Schwert und Geweih auf die Geister ein, die sich aber nicht beirren ließen und einfach wieder aufstanden. Einzig und allein Usopp war mit der Kamera erfolgreich, obgleich er bei der Masse an Geistern nicht wusste, wohin er zuerst fotografieren sollte. Dennoch schafften es die Freunde, eine Schneise der Verwüstung zur Orgel zu schlagen. Wie eine Rettungsinsel schwebte sie über einem Staubtornado, der sich unter ihren Füßen wild drehte und auch an diesem letzten bisschen Hoffnung auf Überleben mahlte. Bedrohlich blitzte und donnerte es. Ein Blick hinab raubten einem den Verstand. „Room Mes!“ Law formte ein Fingerzeichen. Ein großer Lichtwürfel legte sich schützend um die Orgelinsel, bereit, jeden Feind zu zerschneiden, der durch seine Wände dringen wollte. „Es hilft nicht!“, kreischte Chopper und erklomm die Orgel, als er erkannte, wie die ersten zerschnittenen Geister sich wieder zusammensetzen. „Meine Filme sind auch alle voll! Perona, kannst du nicht rüberfliegen und Zoro suchen?“ Usopps Verzweiflung wuchs ins ebenso bodenlose, wie der Tornado unter ihnen stetig an Fahrt aufnahm. „Nein, der Windsog zieht mich runter!“, gab Perona verzweifelt zu verstehen und klammerte sich dabei ebenfalls an das Musikinstrument. Dabei berührten ihre Arme die Tasten der Orgel. Ein markerschütternder Ton drang aus den Orgelpfeifen. Schlimmer als jede Quietschkommode auf einem Kirmes Nicht nur die vier Freunde hielten sich die Ohren zu, auch die Geister krümmten sich unter der Tinnitustonlage. „Spiel, Usopp!“, flehte Chopper. „Was? Wer? Ich?“ Usopp glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er hatte gelegentlich mal die eine oder andere Taste auf dem Klavier drücken können, wenn Brook und Franky wieder einer ihrer Gitarrensessions hatten. Aber vom Notenlesen oder gar Instrumentenspielen war er doch noch meilenweit entfernt. Außerdem war er viel zu nervös, als dass er überhaupt irgend eine Taste einer bestimmten Note hätte zuordnen können. Es war Laws Killerblick, der die Langnase dann sofort auf den Klavierschemel verbannt. Mit zittrigen Fingern zog er willkürlich ein Register nach dem anderen. Ja, dort lag ein Notenblatt, aber auf welchem Manual und in welcher Oktave wurde gespielt? Dann probierte er die erste Note. Wieder dröhnte es schief aus der Pfeife. Die Insel erschütterte. Vielleicht eine ganze Oktave höher? Das klang schon wohlklingender und für die Geister einschläfernd. Die nächsten Töne folgten im abgehackten Viervierteltakt. Ohje, soll das da nun ein H oder ein B sein? Das Notenblatt war vergilbt und hatte Löcher. Er probierte ein H und bekam sofort die Quittung, dass es wohl ein B sein müsste. Es war eine traurige Melodie in D-Moll und erinnerte ihn etwas an das Lied, mit welchem sie auf dem Stationsflur beschallt worden waren. Immer wieder und wieder spielte er ein und dieselbe Melodie. Ein Rhythmus und Selbstsicherheit festigte sich langsam in ihm. Wie lange würde er wohl hier sitzen und Tastenklimpern müssen? Für jeden schlafenden Geist, der vom Tornado ergriffen worden war, tauchte sofort ein Neuer auf. Mit jeder Drehung des Sturmes bröckelte wieder ein Stück mehr von ihrer fliegenden Insel ab und wurde in der Tiefe zermahlen. Usopp wagte nicht mehr nach rechts oder links zu schauen. Er stierte nur noch auf die Handvoll an schwarzen Punkten auf dem Notenblatt, die ihm eine Melodie vorgaben. Wenn sie hier wirklich jemals wieder lebend herauskommen wollten, dann gäbe es nur einen einzigen Ausweg. Es war Zeit, die ultimative Geheimwaffe einzusetzen. Nervös kauerte er auf der Unterlippe herum, sodass sie längst blutig schmeckte. Die ultimative Geheimwaffe, die bis jetzt immer irgendwie funktioniert hatte. Er sog seine Lungen voller Luft und schrie aus ganzer Seele nur ein Wort: „Zoooorrrooo!!!“ Kapitel 33: 33 - In deinem Zimmer --------------------------------- Der verlorengegangene Mitstreiter hatte mit seinem üblichen Problem zu kämpfen. Ein lichterloh brennender Flur brutzelte vor und hinter ihm, und so sehr man sich auch suchend umsah, er war mutterseelenallein. Wo waren Usopp und Perona? Eben gerade waren sie doch noch zusammen gewesen. Es war ihm unerklärlich, dass es außerhalb jeder Möglichkeit lag, als Gruppe geschlossen beisammen zu bleiben. Bestimmt hatten die beiden Anderen den falschen Weg eingeschlagen, denn wenn sie die Treppe vor Kurzem emporgestiegen waren, so mussten sie doch jetzt wieder hinunter. Da war er sich total sicher. Diesmal wäre er sicherlich nicht derjenige Welcher, der hier orientierungslos umherirren würde. Pah, das wäre doch gelacht! Wenn doch nur diese Hitze und dieser Rauch nicht wären. Es gleißte ihm aus allen Richtungen gelborange entgegen. Züngelnden Schlangenzungen gleich griffen die Flammen gnadenlos nach ihrer Beute. So hell und so beißend, dass sein Auge auch geschlossen heftig tränte. Aus jeder einzelnen Pore perlte sich der Schweiß tropfnass über seine Haut und tränkten seine staubige Kleidung, so dass nur ein schmieriger Dreckfilm auf ihm klebte. Zoro unterdrückten jeden unnötigen Atemzug. Sauerstoff war in dieser Luft eh kaum noch vorhanden. Mit einem schnellen Sprint hatte er sich durch das Feuer zur Treppe gerettet und erkannte augenblicklich, wie die Brunst sich hinter ihm in die Treppenstufen fraßen. Brennende Flammenzähne verbissen sich in den Treppenteilen, jagten ihr vermeintliches Opfer in Richtung Erdgeschoss hinab und vernichteten die obersten Etagen. Keine Frage, dass Zoro schnell wie der Blitz war, doch die Flammen setzen gnadenlos zum Überholen an und brannten ihm die Stufen unter den Füßen weg. Durch den Qualm zum Blindsein verdonnert, stolperte Zoro planlos hinab und konnte das rechte Stufenmaß nur erahnen. Alle paar Schritte musste er in den sauren Apfel beißen und seine Lungenflügel belüften. Oh, wie das brannte! Obgleich er die Luft kräftig aufzog, war da kein Gramm Sauerstoff mehr herauszufilten. Ein Wunder, wie das Feuer ohne Sauerstoff noch so herrlich fackeln konnte. Zoro verlor den Wettlauf gegen die Brunst auf der Treppe zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss, durchbrach eine angekohlte Stufe und wankte in vollem Tempo hinüber zum Treppengeländer. Seinen Schwung mitnehmend, segelte er ungebremst über jenes hinüber und holte sich einige schmerzhafte Blessuren am ganzen Körper. Unzähligen Male schlug er entweder an der Stahlkonstruktion des Fahrstuhls oder am Treppengeländer auf. Seine Versuche, den freien Fall durch das ziellose Ergreifen des Geländers zu stoppen, scheiterten gnadenlos. Als er auch noch einen dumpfen Schlag gegen den Kopf hinnehmen musste, wurde ihm das Ganze zu bunt, zumal der Aufprall auf dem Fußboden sicherlich noch schmerzhafter sein würde, als der Vorgeschmack an Schlägen zwischendurch. Zoro drehte sich im Fluge rücklings, breitete seinen Arme wie zwei Flügel aus und war schon in der nächsten Sekunde nicht mehr in dieser Welt. Eingetaucht in eine wohlige Wärme, die am ganzen Körper diese behaglich Kribbeln hervorrief, schwebte er ihm Zwielicht zwischen dem Diesseits und dem Jenseits irgendwo über der Treppe. Mit kräftigem Luftholen lüftete er seine Atemwege, rieb sich mit dem Handdrücken das tränende Auge trocken und genoss für den Moment das Gefühl der absoluten Schwerelosigkeit. Er wusste, dass die Entscheidung im Zwielicht zu wandeln riskant war. Nach wie vor zog es ihm unglaublich viel Lebensenergie ab, die er nur durch lange Schlafzeiten und Ruhepausen auszumerzen vermochte. Trotz hartem Trainings hatte er noch nicht herausgefunden, wie er seine Kräfte dosierter einsetzen konnte. Mit seinen Freunden hierher zu kommen, hatte ihn bereits sehr viel Energie gekostet. Nun nutze er seine Kräfte schon wieder. Ob es dann noch für den Rückweg reichen würde? Darüber mochte Zoro akut nicht nachdenken. Erstmal musste das aktuelle Rätsel des verschlossenen Raums gelöst werden, dann hätte er Zeit für weitere Problemlösestrategien. Doch zunächst nutzte er die Vorteile des Zwielichtes aus und musterte genaustens seine Umgebung. Da war nichts mehr von einem Feuer zu sehen. Noch nicht mal ein Glutnest. Das ganze Theater war also eine absolut perfekte Illusion gewesen. So täuschend echt, dass er doch tatsächlich darauf hereingefallen und geflohen war. Wo mochten seine Freunde sein? Im Zwielicht befindlich hatte er entdecken und trainieren können, nicht nur durch die Materie zu gehen, sondern teilweise auch in nächster Nähe durch diese hindurchzusehen. Er starrte nach oben, von woher er herabgestürzt war. Er sah das Haus nun nicht mehr so, wie seine Freunde es für gewöhnlich taten, sondern sondern aus einer anderen Dimension, schwarzweiß verzerrt mit flackernden Konturen. Usopp und Perona mussten außerhalb seiner Blickreichweite sein, denn da waren keine krisseligen Farbtupfer, die Lebewesen verrieten. Er seufzte und entschied sich, da er ehe schon dem Erdgeschoss nahe war, wieder den Raum zu suchen, der sich wohl nur mit einem der vielen Schlüssel aus seinem Bündel öffnen ließ. Er hob die Arme leicht an und sank wie eine Feder durch die Treppenmaterie hindurch hinab bis er die altbekannte Empfangshalle wiedererkannte. Er ging nicht davon aus, dass er hier jemanden seiner Freunde antreffen würde, weil ihm soviel Glück einfach noch nie hold gewesen war. Dann stand er unschlüssig dort unten und konnte sich zum Teufel nicht mehr erinnern, wo dieser blöde Raum gewesen war. Viele Polstermöbel, linker Hand die Rezeption, hinter ihm das Treppenhaus mit dem Lift und vermutlich vor ihm die große Eingangstür. Aber dann gingen noch gut ein Dutzend Türen von dieser Lobby in die unterschiedlichsten Richtung ab. Sie alle abzuklappern und zu schauen, wohin sie führen würden, lagen weit außerhalb seines Zeitplans. Er spürte Müdigkeit und Kopfschmerzen in sich aufsteigen und musste geschwächt das Zweilicht wieder hinter sich lassen. Die Dunkelheit und Kälte hatte ihn wieder. Wo lang nun? „Santoryu Tatsu Maki!“, hallte es durch die Lobby bevor ihre Zimmerwände unter Zoros Dreischwerttornado nachgaben und zerbarsten. Der Rundumblick hinter die Wände war nun frei auf ein angegliedertes Café, eine Putzmittelkammer, ein kleines Museum über die Geschichte der Klinik und die Besuchertoiletten. Einen Schwenk weiter offenbarte sich der gesuchte Flur mit den Mondbildertüren. Zoro stürmte mehr taumelnd, als geradlinig laufend auf sein Ziel zu, gab der zerborstenden Korridortür noch einen Schwertschlag mit auf das diese auch wirklich nicht im Wege wäre und spürte nun förmlich die Aura der mystischen Tür. Nun stand er davor mit einem herausgekramten Bündel an Schlüsseln in der Hand. Genervt probierte er einen nach dem anderen aus, wobei die Nieten achtlos klimpernd auf den Boden fielen. Das Bündel war fast aufgebraucht und Zoro hatte schon die böse Vorahnung, es gäbe unter den ganzen Schlüsseln gar keinen passenden, da klickte es endlich erfolgreich im Schloss und die Tür war offen. Er drückte die Klinge und trat ein. Mit welchen Erwartungen er auch immer diesen Raum verknüpfte hatte, konnte er gar nicht mal so genau sagen. Trotzdem baute sich Enttäuschung auf, denn das Zimmer bestach durch seinen totale Nüchternheit. Erst auf den zweiten Blick entpuppten sich sonderbare Dinge. Das Zimmer wirkte wie in der Zeit zurückgedreht, als würde es aktuell noch bewohnt werden. Es musste einem jüngeren Patienten gehören, denn auf einem Schreibtisch am Fenster lagen Malstifte und Kinderzeichnungen. Zoro trat näher an den Schreibtisch heran und blätterte im Licht der Tischlampe durch den übersichtlichen Stapel. Es waren ausnahmslos Wachsmalzeichnungen mit teils unheilvollen Motiven. Er überlegte, wie alt seine Tochter gewesen sein mochte, als sie diese Art von Zeichenstil beherrschte und schätze daher das Alters des Künstlers oder der Künstlerin auf fünf, vielleicht auch sechs Jahre ein. Ein Bild stach besonders hervor. Ein Kind mit weißem OP-Kittel und blauen Tränen, so groß wie Äpfel, wurde von etwas drangsaliert. Spritzen? Man konnte es kaum deuten, denn die Motorik des Kindes ließ es noch nicht zu, detailverliebt zu sein. Zudem musste ein ungeheurer Schmerz auf der kleinen Seele ruhen. Den Wachsstift gefäustet waren hier mit zornigen Bewegungen rote, gelbe und orangene Striche über das ganze Blatt gekritzelt worden ohne Rücksicht auf das weinende Kind zu nehmen. Es ging gnadenlos unter den Wachsschichten unter. Feuer! Das musste wohl oder übel das tragende Element dieser Klinikgeschichte sein. Ein eiskalter Lufthauch zog an seiner Wange vorbei, strich im gefühllos über den Rücken und ließen ihm alle Nackenhaare zu Berge stehen. Ruckartig drehte sich Zoro um und starrte auf die wohlbekannte Geistererscheinung, von welcher sie schon seit ihrer Ankunft auf dieser Insel heimgesucht wurden. Sie stand mit dem Rücken zu ihm an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers vor einem Bett und hielt mit beiden Händen fest ein Schwert über dem Kopf. Irgendwer oder irgendetwas, was sich in dem Bett befand, sollte im nächsten Wimpernschlag zerteilt werden. „Das letzte Kind!“, hallte es gespenstisch laut und dröhnend von Wand zu Wand. Der Geist blieb definitiv ein Geist, doch das Schwert war so real, wie Zoro hier in diesem Zimmer stand. Geistesgegenwärtig griff er an, um das zur retten, was er selbst noch gar nicht ausgemacht hatte. Schon beim Ziehen seines Schwertes parierte er den Angriff des Gegners in der Luft. Drei wütende Augen voller Angriffslust fixierten sich gegenseitig. Zoro grinste. Der Kampf würde ein Herausforderung sondergleichen werden. Der Feind war schon vorher tot und der Raum für großartige Attacken viel zu eng. Genau nach seinem Geschmack. Einen ordentlichen Kampf mit Taktik und Können hatte er schon lange nicht mehr ausgefochten. Noch immer hielt er dem Druck des Gegners seine eigenen Kraft entgegen. Nicht schlecht für einen Geist, was der so aufbot, obwohl der doch transparent und hüllenlos war. „Du bist keiner von uns“, stellte der Geist frostig fest und ergänzte: „Stirb!“ „Vergiss es!“, kam es gewohnt selbstbewusst zurück. Zoro war bereit, sämtliche Informationen aus dem Geist herauszuschneiden. Wenn es sein musste auch scheibchenweise leicht filetiert. Er zog das zweite Schwert, holte aus und zwang seinen Gegenüber erstaunlich lässig auszuweichen. Dieser macht keine Anstalten sich zu wehren, sondern verharrte in kurzer Schlagdistanz auf das, was da nun kommen würde. Keinen Millimeter ließ Zoro die Erscheinung aus dem Auge, während er sein schwarzes Tuch vom Oberarm löste und sich über den Kopf zog. Er hatte noch nicht einmal den Knoten richtig festgezogen, da änderte die transparente Gestalt die Strategie. Unruhig tänzelnd schwebte sie knapp über dem Boden und schien luftig und unverwundbar. Plötzlich schoss sie wie ein Pfeil auf ihn zu und griff mit einer derart hohen Geschwindigkeit an, dass selbst Zoro Mühe hatte, die Bewegungsrichtung zu verfolgen. Dann war sie wie vom Erdboden verschluckt, doch er wusste, dass der Schein trog. Totenstille herrschte. Man hätte selbst Staubkörner auf dem Fußboden aufschlagen hören können. Es war nur eine Frage von Sekunden, dass ein Angriff aus dem Hinterhalt zuschlagen würde. Er sollte recht behalten. Kaum verschwunden, tauchte die Gestalt tänzelnd wieder auf. Diesmal hinter ihm. Und wieder trieb sie das Spiel des direkten Pfeilangriffs. Zoro schob das zweite Schwert zurück in die Saya, hielt nur noch das Erste mit beiden Händen fest im Griff und lauerte aus der Defensivhaltung heraus. Bei jedem dieser Angriffe hatte er bis jetzt nur ausweichen und keinen Treffer landen können. Sein Schwert glitt durch das tänzelnde Etwas einfach hindurch. Dennoch musste es einen wunden Punkt geben. Jeder Gegner hatte diesen, und es lag noch an Zoro, diesen herauszufinden. Solange der Geist seine Strategie nicht änderte, konnte er noch etwas mit ihm spielen und mehr über die Kampftechnik herausfinden. Dabei sollte mehr zu Bruch gehen, als ihm lieb war. Erst eine Holztruhe, dann ein Paravent. Fliegende Daunenfedern zeugten von einem aufgeschlitzten Kissen. Die Kinderzeichnungen flogen ebenso durch die Luft wie die Splitter des Schreibtischstuhls. Tiefe Schnitte verzierten die Wände. Und plötzlich schmeckte Zoro eine eiserne Flüssigkeit in seinem Mund. Rote Suppe lief warm von seiner Schläfe hernieder. Ein Hauch von grünen Haaren zerstoben sich in der Luft. Da hatte das spirituelle Ding es doch tatsächlich durch die Enge dieses Raumes geschafft, ihn zu streifen. Aber es sollte zu spät für den Gegner sein, potentiellen Schaden anzurichten. Zoro hatte den Trick durchschaut, denn immer, wenn das Gespenst seine Position wechselte, musste es für den Bruchteil des Augenblickes eine festen Form annehmen. Es konnte nicht einfach so entschwinden und wieder auftauchen. Meist tauchte es hinter ihm wieder auf. Als es nun wieder einmal mehr angriff und an ihm vorbeiflog, dreht Zoro das Schwert in der Hand einmal locker um sich selbst, so dass es nun mit der Klinge nach hinten zeigte. Einen ausholenden Schwung aus dem Ellenbogengelenk heraus später erschütterte ein Kreischen den Raum, was man sicherlich auf der ganzen Insel hätte hören können. Scheppernd fiel das Geisterkatana zu Boden und verzerrt löste sich dessen Schwertführer in Luft auf. Zurück blieb an der Stelle des Entschwindens eine Schriftrolle liegen. Etwas enttäuscht darüber, dass der Geist nichts weiter zu sagen gehabt hatte, nahm Zoro neugierig die Schriftrolle an sich. Kaum berührten seine Fingerspitzen das alte Papier, da durchzuckte ihn ein Blitzschlag. Bewegte Bilder spulten sich vor seinem geistigen Auge ab. Ein Mensch mit grellgrünen Augen saß festgeschnallt auf einem Stuhl und wehrte sich unter Schmerzen mit Leibeskräften. Kanülen saugten Blut aus seinen Venen. Dann war die Vision wieder verschwunden. Zoros Finger hatten sich um die Schriftrolle verkrampft. Langsam öffnete er wieder seine Faust, löste das Siegel, konnte dann aber nur einen Teil der längst vergessenen Schrift lesen. Er seufzte wiederholt und schob die Rolle in seine Hosentasche. Ein Fall für Robin! Ihm kam das Bett wieder in den Sinn. Der Grund weshalb er den Kampf überhaupt erst begonnen hatte. Er staunte nicht schlecht, als er zu dem Bett hinüberblickte. Tatsächlich lag dort jemand unter die Bettdecke gekuschelt und schlief. Der Größe nach musste es das Kind sein, welches wohl die Bilder gemalt hatte. Er trat an das Bett heran, sah aber nichts weiter außer einem schwarzen Haarschopf, dessen Strähnen zerzaust in alle Himmelsrichtungen abstanden. Zoro versuchte das Kindsgesicht zu erhaschen und schreckte auf. „DAS kann nicht sein!“, entfuhr es ihm überrascht. Er riss ungestüm die Bettdecke beiseite, um sich das Kind von Kopf bis Fuß anzusehen. Er wollte Gewissheit haben, ob er sich nicht verguckt hätte. Doch kaum hatte sich die Bettdecke auf dem Boden niedergelegt, war auch diese Illusion aufgelöst. Zurück blieb eine Krankenakte. Obig prangte auf dem Karteireiter unverwechselbar der Name des kleinen Patienten. Und obwohl Zoro den Namen immer wieder und wieder las, änderte sich die Buchstabenreihenfolge einfach nicht. „Das letzte Kind“, murmelt er. Er saß auf der Bettkante und überlegte nun, was zu tun wäre. Natürlich musste er seine Freunde wiederfinden. Hoffentlich waren sie wohlauf. Sein Blick schweifte durch den Raum und die frisch veranstaltete Zerstörung. Die Kinderbilder lagen überall auf dem Fußboden verstreut. Er nahm sie auf und legte sie in die Krankenakte. Es war ruhig, viel zu ruhig. Selbst das Wellenrauschen, das der Wind vom Meer herübergetragen hatte, war verstummt. Zoro lauschte in die Stille und in sich hinein. Erst jetzt in dieser Phase der Entspannung kehrten die Kopfschmerzen und die Müdigkeit zurück. Ein tiefer Schlaf überfiel ihn. Er sackte zur Seite in das zerwühlte Bett und gab sich der Erschöpfung hin. Schlagartig schreckte er aus dem Schlaf wieder auf. Wie lange mochte er hier geschlafen haben? Nach wie vor schien der Mond durch das dreckige Fenster und zeichnete unruhige Schatten auf den Fußboden. Kerzengerade sitzend beäugte er das Krankenzimmer. Nichts hatte sich verändert. Er hatte also geträumt. Aber da war etwas, dass war so unglaublich real in seinem Traum gewesen. Jemand hatte ihn gerufen. Verzweifelt. Panisch. Dem Tode nahe. Er kannte diese Stimme. Das war doch..., das war doch... Zoro brauchte eine Weile, bis er alle bekannte Stimmen innerlich abgeglichen hatte. Usopp! Mochte der Mitstreiter häufig den großen Feigling spielen, der Unterschied zwischen vorgetäuschter Panik und akutem Notfall war Zoro jedoch bekannt. So gab es unterschiedliche Ton-Nuancen zwischen einem Kreischen und einem Schreien. Und das hier war glaubhaft ernst. Mit einem Satz schwang er sich aus dem Bett und hatte keine Zeit, sich um Wege oder gar eine lange Suche zu kümmern. Also ließ er seine Schwerter mit den Wänden kommunizieren. Die ersten Trennwände zwischen den Räumen brachen zusammen. Nur hatte er nicht bedacht, dass nicht alle Wände allein der rein dekorativen Raumgestaltung galten, sondern die eine oder andere Wand eine Tragende war. Das Gewicht der steinernen Etagen über ihm lasteten nun übergewichtig auf den verbliebenen Mauerteilen. Sie kapitulierten unter dem Eigengewicht. Die Zimmerdecke kam runter. Zoro erhöhte sein durchschlagendes Tempo. Er würde Usopp schon finden. Den Schutthaufen des einstigen Mondtürentraktes hinter sich lassend, preschte er wieder zum Ausgangspunkt aller Erkundungstouren zurück: der Lobby. Er staunte nicht schlecht, als ihn dort, wo das Treppenhaus und der Fahrtstuhl zuvor gewesen waren, die sich drehenden Winde eines Tornados begrüßten. Es blitzte grell und donnerte krachend. Alles, was im Empfangssaal nicht niet- und nagelfest war, wurde mit dem heftigen Sog mitgenommen. Es war ohrenbetäubend laut. Der Sturm verschluckte nicht nur alle möglichen Gegenstände, sondern übertönte auch jegliche Geräusche. Reflexartig hatte Zoro sich an einem Türrahmen gekrallt und starrte fasziniert auf die Wand aus reinstem Wind, die man nur sah, weil allerlei Hausrat, Staub und Blitze ihm eine sichtbare Figur verpassten. Wie in einem Karussell drehten sich Stühle, Steine und Tische immer wieder an ihm vorbei. Mal höher mal tiefer. Sein Erstaunen über diese Naturgewalt im Wohnzimmer wurde noch größer, wie er ihm Auge des Tornados etwas durchrauschen sah. Welch riesiger Felsbrocken war da herabgestürzt. Das halbe Haus musste in dieser Windhose stecken. Aber da war doch etwas Sonderbares an dem Felsen. Was das eben nicht gerade eine Orgel, die da hinabstürzte? Und flatterten da nicht angstvoll seine Freunde hinterdrein? Dieser Ort war einer der verrücktesten Ort, die er jemals auf allen Reisen besuchen musste. Der Sturzflug seiner Freunde in die Tiefe war das definitive Zeichen zum Aufbruch und den Wahnsinn hinter sich zu lassen. Zoro öffnete seine Handflächen, flog quer durch den Saal, trudelte in der Tornadodrehung mit und gab sich dann ganz dem freien Fall im Inneren des Strudels hin. Ja, dort weit unter ihm waren seine Mitstreiter. Welch Glück! So schnell hatte er nicht erwartet, sie wiederzufinden. „Usopp!“, rief er ihnen nach und alle Augenpaare aus der Tiefe trafen ihn, als wäre er eine Fata Morgana. „Zoro!“, kreischte Chopper mit Tränen in den Augen zurück, während Usopp sich längst heiser geschrien hatte und ihm somit alle Worte ihm Halse stecken blieben. Auf Laws Gesicht zeichnete sich eine breites Grinsen der Erleichterung ab, obwohl er noch gar nicht richtig fassen konnte, dass es Zoro zeitnah geschafft hatte, zu ihrer Gruppe zu stoßen. Perona hingegen machte sich nicht viel aus überschwänglichen Begrüßungen. Sie ruderte wild mit ihren Armen, um sich in eine andere Flugposition bringen. Der Erfolg blieb nicht aus. So schoss sie wie eine Rakete auf Zoro zu und umklammerte seinen Oberarm wie eine Rettungsboje auf hoher See. Dabei verbarg sie ihr Angesicht in seiner Kleidung und murmelte so leise, dass nur er es hören konnte: „Warum hat das mal wieder so lange gedauert, Idiot!“ Er ging nicht auf ihre Frage ein, sondern machte ihre Ruderbewegungen nach. Im freien Fall fielen alle gleich schnell hinab. Also gab es keine Möglichkeit, die anderen mit ihrem merklich großen Vorsprung einzuholen, wenn man nicht kräftig nachhalf. „Ab nach Hause!“, rief er ihnen aufmunternd zu. Choppers Hufe verworren sich in seinen grünen Haaren, Usopp erwischte einen seiner Füße und Law seine noch freie Hand. Und dann war da nichts mehr, als dieses magische Kribbeln unter der Haut und die Wärme des Zwielichts, die sie allesamt aufsaugte und bettete wie eine Wiege. Gerade genossen sie alle Fünf ihre wundersame Rettung, verloren ihre Seelen für die Zeit der Reise in der vollkommenen Tiefenentspannung und trieben mühelos durch Raum und Zeit. Die knallharte Realität holte sich die Reisenden viel zu schnell wieder zu sich zurück. Harte spürten sie die Holzplanken des Schiffsdecks der Sunny an ihren Körpern, obgleich der Aufschlag doch recht milde ausgefallen war. Da lagen sie nun. Verstört, erschöpft und am Ende all ihrer Kräfte. Keiner von ihnen wäre eben auf die Idee gekommen, sich jetzt wieder zu bewegen. Am Liebsten wären sie hier einfach alle liegengeblieben. Mitten in der heißen Nachmittagssonne unter einem herrlichen azurblauen Himmel bei einem ruhigen Seegang des tiefblauen Meeres. Franky, der an Deck etwas an der Takelage der Sunny repariert hatte, brachte es trocken auf den Punkt: „Ihr seid schon wieder zurück? Ihr seht reichlich fertig aus.“ Amüsiert beobachtete er die an Zoro festhaltende Truppe und stutze über die Geisterprinzessin, die bei der Abreise noch nicht mit von der Partie war. Er zuckte mit den Schultern, würde eine Erklärung doch sicherlich noch folgen, und alarmierte die restlichen Piraten. In Windeseile füllte sich das Deck mit den Strohhüten und Laws Bande. Man rappelte gemeinsam seine Freunde wieder hoch und gönnten ihnen die Pause bis zum Abendessen, auch wenn die Neugier alle im Griff hatte. Später, als die Nacht hereinbrach, alle Neuigkeiten bei einer feucht-fröhlichen Runde ausgetauscht worden waren, zerstob die Menge wieder. Die einen suchten ihre Kojen, die anderen noch anderweitige Zerstreuungen auf. Zoro hatte Robin nur als einziges Fundstück die Schriftrolle übergeben. Über die Krankenakte wollte er zunächst allein nachdenken. Robin hatte sich hellauf begeistert sofort mit ihrer neuen Beute in die Bibliothek zurückzog. Vom Krähennest aus sah er sie durch die Fensterscheiben drüben im Kerzenschein an ihrem Schreibtisch sitzen, wälzte mit einem Finger dicke Bücher und schrieb parallel dazu etwas auf. Vermutlich eine Übersetzung des Textes oder Randnotizen. Müde und erschöpft hatte er den Platz am Fenster gegen sein Nachtlager eingetauscht und lag nun auf einer Futonmatte. Er wollte allein sein und vermied sein Bett unten im Schlafraum. Während er einen kräftigen Zug Sake aus einer Flasche seine Kehle hinablaufen ließ, musterte er seine Trophäen, die er seit Beginn der Fahrt eingesackt hatte. Es waren ja, mal abgesehen von der Schriftrolle nur noch zwei weitere Beutestücke. Die Krankenakte hatte er neben sich gelegt. Natürlich mit dem Patientennamen nach unten verdeckt. Bis er einen Entschluss gefasst hatte, was er mit diesem goldenen Puzzleteil voller Aha-Effekte anstellen würde, war die Akte hier bei ihm sicher verwahrt. Takerus Herzbox thronte oben auf der Mappe. Dessen Herz schlug ruhig und gleichmäßig wie ein Uhrwerk vor sich her. Die Seiten des Würfels waren so rein und klar, dass Zoro kaum ein passender Vergleich einfallen wollte. Er kramte aus seiner Hosentasche Taiyokos Vivrecard hervor. Kaum merklich bewegte sie sich ihn seiner Hand von ihm weg. Das Blatt war absolut perfekt und makellos. Wenn er es nicht besser wüsste, dann wären dieses optimale Zeichen, dass die beiden in Sicherheit wären und dass es ihnen gut ginge. Noch ein weiterer Schluck aus der Flasche fand seinen Weg in Zoros Mund. Tashigi war nicht da. Was konnte da passiert sein? Dass es keine zufriedenstellende Antwort auf diese brenzlige Frage gab, machte ihn innerlich komplett wahnsinnig. Wut und Verzweiflung rangen miteinander. Einen Sieger gab es nicht. Am Liebsten wäre er wieder aufgesprungen und hätte sie gesucht. Egal wo. Sie sollte wieder bei ihm sein Und sie sollte nicht mehr so sauer sein. Es machte ihn für die Außenwelt unausstehlich, wenn sie beide Streit hatten. Noch schlimmer war der Gedanke, dass er in Bezug auf sie so durchschaubar wie Glas war. Keine seiner Gefühle drang jemals nach außen. Wenn es um Tashigi ging, war das anders. Die Bande wusste sofort, woran sie war, wenn er eine bestimmte Art von Übellaunigkeit an den Tag legte. Schwerfällig drehte er sich auf den Rücken und starrte durch die Fensterscheiben des Ausgucks in die unendliche Weite eines wunderschönen Sternenhimmels. Tashigi mochte gerne in die Sterne sehen. Sie kannte alle Sternbilder und sogar die Geschichten dazu, wie die Sternbilder zu ihren Namen gekommen waren. Er hingegen hatte sich nie dafür interessiert, aber weil sie es liebte, hatte er manchmal die eine oder andere Nacht stundenlang mit ihr ihm Arm die Sterne angeguckt. Lange vor ihr war er dabei eingeschlafen. Manchmal hatten ihre Küsse ihn zärtlich aufgeweckt. Dann fuhren ihre sanften Hände über seinen geschundenen Körper voller Narben. Ihr Kulleraugen und ihre Beharrlichkeit brachten ihn jedes Mal wieder um den Verstand, bei allem klein beizugeben, obwohl das gegen seine eigene Natur war. Wenn es um Tashigi und ihren Einfluss auf ihn ging, musste er sich manchmal doch sehr über sich selbst wundern, akzeptierte es aber so, wie es war. Aber jetzt sie war nicht da. Sauer auf sich selbst, sich so sehr in melancholischen Gefühlsduseleien verloren zu haben, knallte er die mittlerweile geleerte Flasche am langen Arm laut auf den Holzboden. Er konnte nichts zu tun, außer abzuwarten. Er hasste diesen Zustand des Wartens, glich er doch einer Hilflosigkeit. Und das wiederum war ein Zeichen von Schwäche. Schwäche passte jedoch nicht in ein Profil von jemanden, der zeit seines Lebens bestrebt war, immer stärker und stärker zu werden. Es klirrte kurz. Die Flasche hatte nicht stehen bleiben wollen und rollte nun lärmend davon. Zoro drehte seinen Kopf zu ihr und verfolgte ihren Weg mit müdem Auge, bis sie am anderen Ende des kleinen Ausgucks im dunklen Schatten verschwand. Immer noch unzufrieden mit sich und der Welt wälzte er sich noch einige Male auf der Futonmatte herum. Der nächste Tag würde nicht leichter werden als der heutige, und wenn man dort draußen dem Lichteinfall glauben durfte, dämmerte es bereits. Eine viel zu kurze Nacht neigte sich dem Ende entgegen. Kapitel 34: 34 - Krieg! ----------------------- Ein Morgen hätte beginnen können, wie jeder normale Morgen in seiner üblichen Weise auch. Die Nacht war wolkenlos und sternenklar gewesen. Ein weiches Licht von Osten her berührte nun langsam, aber konstant, den Nachthimmel und ergraute ihn zunehmend. Auf der dunklen Seite des Firmaments im Westen funkelten Sterne gegen die zarte Dämmerung des Ostens an, bis die ersten vorsichtigen Strahlen der Sonne über die Horizontlinie linsten und den Sternenglanz löschten. Die See war so ruhig wie am Vortage geblieben und hatte ihr Ultramarin der Nacht langsam gegen ein Türkisblau des Tages getauscht. Die perfekte Harmonie der Natur rundete den Ablauf eines eingeschliffenen Bordalltages ab, denn an einem normalen Morgen wäre wohl Sanji einer der Ersten, der sich rar machen würden. Er wäre schon sehr früh auf den Beinen, hätte sich für die Damen an Bord herausgeputzt und dabei schon mindestens zwei Packungen Zigaretten gequalmt. Er würde nun mit den Frühstücksvorbereitungen starten. Geschirrgeklapper und Messerwetzen würden sich zur Geräuschkulisse des Meeres gesellen. Doch zuvor hätte er längst die Kaffeemaschine in die Gänge gebracht. Denn Robin würde frisch wie der junge Morgentau aus der Bibliothek treten, obgleich sie zum Erstaunen aller nächtens kein Augen geschlossen hatte, und sich ihre Tasse mit der aromatischen Brühe aufgießen lassen wollen. Vielleicht wäre aber auch Usopp der Erste aus der Bande gewesen, der schon wach und beinig wäre. Aber nur, weil er mitten in der Nacht mindestens gefühlte hundert Male zur Toilette dackelte. Zoro würde gewöhnlich von dem Treiben seiner Freunde geweckt und zwischenzeitlich im ewigen Halbschlaf vom Krähennest hinabblicken. Ohne Umschweife würde er feststellen, dass es bis zum Frühstücksbeginn noch eine Weile dauern würde, und dann würde er wieder in den Tiefschlaf zurückwechseln. Erst lange nach Ablauf dieses inoffiziellen Hofprotokolls würde die restliche Mannschaft in beliebiger Reihenfolge aufkreuzen. Meist war es Chopper, der sich als Nächster blicken ließ, da er vor dem Essen die Mensa zu seiner Praxis durchquerte und nach dem Rechten sah. Seit Zoros Schmerzmittelmissbrauch zählte er seine Tablettenbestände allmorgendlich akribisch nach, auch wenn sein bester Freund niemals zugeben würde, dass er sich die Pillen einwarf, wie andere eine Tüte Gummibärchen. Das Rentier würde maßlos übertreiben, bekam dann Chopper wiederum von Zoro zu hören. Pah, der Hanyô würde schon noch merken, was er davon haben würde, sich ständig zu zudröhnen. Spätestens dann, wenn der Körper sich darauf eingestellt hätte und keine Pille der Welt mehr helfen würde. Werde würde da noch fehlen aus der Bande? Franky, Brook, Luffy und Nami hatten in dem Sinne keine festen Auftrittszeiten wie die anderen. Sie waren an und für sich pünktlich am Esstisch versammelt, wobei es sich doch eingebürgert hatte, dass Nami Luffy im Schlepptau hinterher schliff, wie es sich irgendwann eingeschlichen hatte, dass sie sich ein Bett teilten. Wie auch immer das zustande gekommen war. Das wäre der perfekte Standardmorgen, wie er sich schon tausende Male auf der Thousand Sunny ereignet hatte. Auch dieser Tagesanbruch sollte allen physikalischen und astronomischen Gesetzen folgen, indem die Dämmerung wie gehabt einsetzte. Das war etwas, was Zoro noch blinzelnd mitbekommen hatte, bevor er nach der anstrengenden Geisterhausvisite in einen leichten, oberflächlichen Schlaf versunken war. Durch das Einnicken hatte er den Wetterwechsel nicht mitbekommen. Die Hitze der Sonne hatte die Wasseroberfläche zum Kochen gebracht. Sie leckte mit ihren Strahlen gierig über die heißen Wellenkämme und sog sie in die Luft. Stickige Dunstschwaden waberten umher und verschleierten die Sicht. Jeder Atemzug strengte an. Man japste und hechelte, wobei man das Gefühl nicht loswurde, man würde innerlich verbrennen. Hinzu kam, dass die Schwüle aus jeder Hautpore den Schweiß nur so heraustrieb. Unangenehm rann einem die salzige Körperflüssigkeit in Bächen am Körper herunter. Die Kleidung klebt durchtränkt wie eine zweite Haut und scheuerte bei jeder Bewegung. Obgleich das unmenschliche Klima kaum auszuhalten war, briet dennoch der gelbe Ball schier unbeeindruckt am Himmel weiter erbarmungslos auf das blaue Nass herab, hielt die Verdampfung am stetigen Laufen und nahm keine Rücksicht auf Seereisende. Ein lautes Heulen eines Teekessels gleich ließ Zoro schon nach wenigen verstrichenen Minuten genervt aufstöhnen. Was auch immer das Geräusch verursacht hatte, er verfluchte es jetzt schon, denn es beendete seine erhoffte Schlafphase. Durch einen dünnen Augenschlitz sah er eher zufällig durch das Fenster gen Himmel in genau die Richtung, die von dem Geräusch zerschnitten wurde. Ein helles Objekt mit brennendem Schweif flog über seinem Kopf hinweg. Was war denn das? Eine Sternschnuppe? Nein, viel zu groß und zu grell. Ein Komet? Der würde nicht solchen Krach machen. Außerdem war das Ding viel zu nah am Mast vorbeigerauscht. Ein Feuerwerk? Aber hier gab es keine Insel in der Nähe, wo man so etwas hätte abfeuern können. Oder …? Sofort war Zoro klaren Verstandes bei der Sache, sprang aus seinem Nachtlager auf und löste in der Aufwärtsbewegung den Alarmknopf aus. Das unbekannte Flugobjekt war eindeutig eine Rakete mit Sprengladung. Sie wurden von „Wem-auch-immer“ angegriffen. Weiß der Teufel, wer es wagen würde, die Strohhutflagge nicht zu kennen und obendrein zu denken, die Sunny wäre eine leichte Beute. Es grenzte schon fast an selbstdefinierter Blasphemie, den Plan zu hegen, dass Schiff der Strohhutbande zu entern. Entweder war der Angreifer komplett dumm oder komplett lebensmüde. Beide Attribute trafen da eigentlich nur auf frischgebackene Marineoffiziere zu, die gerade erst die Marineschule absolviert hatten und sich nun die ersten Sporen verdienen wollten. Mürrisch über die verlorenen Stunden der Erholung zog sich Zoro seinen Marineparka über, den er nach wie vor als das seetauglichste Kleidungsstück überhaupt hochlobte, gesellte sich zu seinen schlaftrunkenen Freunden an die Reling und begutachtete den armen Irren, der hier eben dabei war, eine angezettelte Schlacht zu verlieren. Über dem Masten der Sunny zog nun ein Geschoss nach dem anderen seinen gefährlichen Funkenflug. Das Erstaunen wurde groß, als dort nicht die Marine, sondern ein halbes Geschwader unbekannter Kriegsschiffe die Horizontlinie pflasterte. Auch die Heart-Bande hatte sich irritiert auf dem Deck ihres U-Bootes versammelt und wusste nichts Rechtes mit der Situation anzufangen. Also beschränkte man sich auf die bloße Abwehr, bis auch Luffy endlich aufkreuzte, mit seinem Gum-Gum-Ballon die eine oder andere Rakete zurückschickte und dann wütend in das Megaphon bölkte, dass die Wellen des Meeres ihre Struktur änderten und die Schiffswände nur so vibrierten. „Hey, spinnt ihr? Ich habe noch geschlafen!“, schrie er schnaubend dem unbekannten Feind entgegen und sah überzeugend darüber hinweg, wie der Rest der Bande mit den Augen rollte. Luffys Prioritätenliste in Bezug auf wichtige und unwichtige Probleme bedurften einer dringenden Generalüberholung. „Und Frühstück gab es auch noch nicht.“, ergänzte er, um seiner Problematik noch einmal Nachdruck zu verleihen. „Luffy?“, fragte da Nami nur trocken und klatsche ihrem Freund in Rage einige Male auf die Schulter, auf dass er wieder zur Besinnung käme. „Frag' die doch auch mal, wer sie sind und was sie wollen.“ Ohne seine Laune zu ändern, nickte Luffy zustimmend. Also wurde weiter ergänzt: „Ach ja, wer seid ihr und was soll das hier?!“ Die Antwort war ein Kanonenhagel, der sich gewaschen hatte. Vermutlich war dem Feind Luffys unbeabsichtigte Arroganz zu unhöflich erschienen. Sofort gingen die Strohhüte in die Verteidigungshaltung über und hatte auch umgehend alle Hände voll zu tun, sollte ihr treues Schiff nicht den Meeresboden küssen. Schon nach wenigen Bewegungen machte sich das schwüle Wetter bemerkbar. Der Kampf würde aller Voraussicht nach kräftezehrend werden. Law hingegen hatte seiner Mannschaft den Befehl erteilt, das Turmlug umgehend zu schließen und auf Tauchstation zu gehen. Der gelbe Jäger jagte lautlos und unsichtbar aus dem Hinterhalt heraus. Schnell mussten beide Seiten feststellen, dass sich hier wahre Profis gegenüberstanden. Der Feind operierte geschickt aus dem Dunst heraus, bildete einen gut geschlossenen Konvoi und hatte auf der gegnerischen Seite das U-Boot auf dem Schirm. Die Kriegsschiffe fuhren im Zickzack, so dass Law große Schwierigkeiten haben würde, eines der Schiffe aus dem Konvoi mit den Torpedos zu versenken. Darüber hinaus löste sich ein ganz besonderes Schiff aus der Gruppe heraus, welches zuvor nur großräumig den Kampf umkreist hatte. Es war schnell, wendig und hatte ein außergewöhnliches Geschenk für U-Boote an Bord. „Zerstörer mit Wasserbomben auf zwei Uhr!“, brüllte Brook vom Steuer aus den Anderen zu, die nach wie vor ihr Schiff verteidigten, als gäbe es keinen Morgen mehr. Entsetzt rissen alle gleichzeitig die Köpfe herum und mussten hilflos zusehen, wie der erste Bombenteppich abgeschossen wurde. „Scheiße! Wenn Traffi nicht tief genug taucht, dann zerfetzt ihn die Druckwelle!“, gab Franky den Anderen die besonders schlimme Lage zu verstehen. Man musste nicht unbedingt gegen den Auslöser der Bombe geraten. Der Druckzünder würde die Sprengung von selbst einleiten, und die Druckwellen hatten einen langen Weg durch die Wasserschichten. Sie waren für die Außenhülle eines U-Boots absolut tödlich. Nur ein Riss in einem der Druckbunker und die Heart-Bande würde nie wieder an die Wasseroberfläche zurückkehren. Ihr gelbes Vehikel wäre zugleich ihr eiserner Sarg. „Wir können ihm jetzt nicht helfen. Wir müssen erst einmal selber klarkommen!“, mahnte Zoro die Bande, aufmerksam bei der Sache zu bleiben. Die Hitze trieb ihm den Schweiß in die Augen. Längst hatte er den Parka um die Hüfte geknotet und sein Kopftuch umgebunden. Man hätte ihn, wie die anderen Mitstreiter auch, auswringen können wie einen nassen Waschlappen. Durch die schlechte Sicht gestaltete sich die Übersicht schwierig. Es war nicht klar, wie viele feindliche Schiffe tatsächlich dort kreuzten. Gerade hatte er zusammen mit Robin eines der Kriegsschiffe durch einen gezielten Doppelschlag versenkt, während Usopp und Chopper fröhlich gegenseitig Hand und Klaue einschlugen. Auch sie hatten einen sehr guten Treffer setzen können, und das nächste Schiff versank mit dem Bug voran. Es gluckerte und brodelte dort, wo sich der alte Kahn hinabsenkte. Dann folgte das böse Ächzen und Knarren. Mit einem gruseligen Heulen aus berstendem Stahl brach es dem Schiff den Kiel entzwei. Dann war da nichts mehr außer verzweifelte Seeleute ihm Wasser und letzte Überreste an Schiffsteilen. Mucksmäuschenstill war es an Bord der Ghost. Das Wasser trug Schallwellen unheimlich gut und schnell davon. Die Besatzung lauschte angestrengt in den Ozean hinein. Da waren das Heulen der sinkenden Schiffe, das Bersten von Stahl und Schraubengeräusche der noch Manövrierfähigen. Torpedos hatten sie abgefeuert und auch Zielobjekte getroffen. Soviel war schonmal klar. Doch dann waren da plötzlich Schraubengeräusche eines Schiffes, welches sie zuvor noch nicht geortet hatten. Man hört es ganz genau an dem singenden Surren, wie es über den Köpfen der Mannschaft vorüberfuhr. Ping. Ping! PING! „Die Dreckssäcke haben Echolot“, flüsterte Law seiner Bande zu. „Ruder hart Backbord!“ Ping, ping, ping. Stoßgebete wurden gen Himmel geschickt, dass die Ghost nicht vom Echolot erfasst würde, denn dann wäre die Position des U-Bootes aufgeflogen. Ping. Ping. Ping. Man hört, wie sich der Ping-Ton des Echolots zusammen mit den Schraubengeräuschen wieder entfernte. Sie wollten Aufatmen, die erste Runde für sich entschieden zu haben, als ein Platschen über ihren Köpfen zu hören war. Etwas wurde ins Wasser geschmissen. „WASSERBOMBEN!“ rief ein Mannschaftsmitglied vom Horchposten und schon rummste es, als hätte das letzte Stündlein geschlagen. Die Erschütterung erfasst das ganze U-Boot. Die Besatzung purzelte von einer Seite zur anderen. Geschirr flog aus den Schränken. Lebensmittelvorräte, Kleidung und sonstiger Klimbim verteilte sich überall und nirgends. Die Mannschaft stöhnte über Prellungen, Blutergüsse und Verstauchungen. „Auf Angriffstiefe auftauchen!“, befahl Law unbeeindruckt vom Durcheinander an Bord. Er war nun sichtlich erbost über den neuen Feind und dessen Angriffstaktik. Vom Ehrgeiz gepackt, wollte er um jeden Preis als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen. Koste es, was es wolle. Er stierte durch sein Seerohr und musste zu seinem Ärger feststellen, dass sich nichts Geringeres als ein Zerstörer ihrer Wenigkeit angenommen hatte. Der Hauptfeind eines jeden U-Bootes. Neben Flugzeugen versteht sich. Laws Gesicht verfinsterte sich. Zu lange hatten sie keine Torpedoangriffe mehr geführt. Es fehlte die Übung und die Erfahrung. Trotzdem war Law felsenfest überzeugt, die Schlacht aufzunehmen und sie auch zu gewinnen. Diesen flammenden Ehrgeiz jedoch konnte Laws Truppe nicht mit ihrem Anführer teilen. Angstschweiß perlten ihnen von der Stirn. Die Anspannung war förmlich zu spüren. Kommentarlos befolgten sie die Befehle ihres Kapitäns und pendelten das U-Boot auf Seerohrtiefe ein. „Wo steckt der nur, wo steckt der nur?“, murmelte Law sich in seine Bart, während sein Auge am Periskop klebte und den Horizont nach dem Zerstörer absuchte. Dabei konnte er in der Ferne die Sunny sehen, die erfolgreich schon eine Handvoll Schiffe versenkt hatte. Law drehte sich noch ein Stück weiter um die eigene Achse. Dann tauchte zwischen dem Dunst und den Wellen die Silhouette des gesuchten Kriegsschiffes auf. Er gab den Befehl, die Mündungsklappen zu öffnen und die Torpedos scharf zu machen. Hach, das wäre doch gelacht. Eine weitere Welle schwappte wieder gegen das ausgefahrene Seerohr und der Zerstörer war aus dem Blickfeld verschwunden. Law fluchte vor sich her. Der konnte sich doch nicht in Luft auflösen? Wieder drehte Law sich mit seinem Periskop. Und dann fand er sein Zielobjekt. Nur leider keineswegs so, wie er es geplant hatte. „Verdammt, verdammt... Sofort durchsacken!“, brüllte Law in die Runde und tobte wie ein Rohrspatz. Diese Drecksau von Zerstörer hatte eine Besatzung mit Adleraugen. Tatsächlich musste diese das Seerohr im Wellengang entdeckt haben und hatte ihr Schiff jetzt auf Frontalkurs gesetzt. Wie ein Fahrstuhl sackte die Ghost nun in die Tiefe und entging nur um Haaresbreite der Metallaußenwand des Zerstörers. Der Feind hatte doch tatsächlich versucht, dass U-Boot zu rammen. Und nun ertönte auch gleich wieder als Strafe für Laws geschicktes Ausweichen das Platschen auf der Wasseroberfläche. Die nächsten Wasserbomben fielen ins Wasser. Wütend über sich selbst, den Trick des Zerstörers viel zu spät durchschaut zu haben, setzte Law alles auf eine Karte. Entweder die oder die Ghost! Er ließ die Ghost drehen, hämmerte einige Werte in den Torpedoangriffsrechner und gab das Kommando zum Abfeuern. Bange Sekunden verstrichen. Leise rauschend pressten sich die Aale, wie die Besatzung ihre Torpedos nannte, aus den Rohren hinaus und surrten blasenlos durch die Tiefe des Wassers. Würden sie ihr Ziel treffen? Oder wäre es wahrlich ein Schuss ins Blaue gewesen? Lautlos zählte jedes Besatzungsmitglied die Sekunden mit, die die Aale an Wegzeit zurücklegten. 20 Sekunden, 30 Sekunden. So langsam müssten sie explodieren, wenn sie getroffen hätten. 43 Sekunden! Es krachte. Das Ächzen eines sterbenden Kahns klang durch die Wasserschichten. War es der Zerstörer oder nur eines der Schiffe, welche durch die Sunny versenkt wurden? Man wusste es nicht, sondern konnte nur hoffen. Zumindest wurde es stiller über ihnen und neue Bomben wurden auch nicht mehr geworfen. Alle Torpedos ihrerseits waren verschossen. Und so warteten sie mit dem Auftauchen bis es leiser und leiser wurde. Nur noch das Heulen sinkender Schiffe auf den Grund des Meeres dröhnte dort draußen. Erst Stunden später, als die See wieder ruhig war und keine Kampfhandlungen mehr zu hören waren, erlöste Law seine total entnervte Mannschaft und ließ die Ghost wieder auftauchen. Pressluft zischte laut in die Druckkammern, drückten das Meerwasser wieder hinaus in den Ozean und machten das Boot leichter. Behäbig hob es seine Nase an und schob sich an die Oberfläche. Nur Sekunden später durchbrach es die gleichmäßigen Wellen und pendelte wie eine Badeente mit dem Seegang auf und ab. Law drehte das Turmlug auf. Durch den Unterdruck im Boot flog es ihm fast aus den Händen. Sauerstoff fiel über sie herein wie eine Flutwelle und brachte alle Lungen an den Rand des Kollaps. Erst jetzt registrierte Law, wie hart die Unterwasserfahrt im Kampfmodus tatsächlich gewesen war. Das Adrenalin in seinen Adern hatte die Strapazen nicht spüren lassen. Oben angekommen bot sich ein schlimmes Bild der Zerstörung. Schiffsteile und Segeltuch schwammen so weit das Auge reichte um sie herum. Öllachen schimmerten tiefschwarz auf dem Meer. Gerettete Seeleute vegetierten in Rettungsbooten dahin. Eine große Erleichterung machte die Runde, als die Thousand Sunny über all dem Chaos thronte wie eine Königin. Man näherte sich in langsamer Schleichfahrt an und blickte auf einige heftige Blessuren an dem schönen Schiff. Und man konnte eine angespannte Szene an Deck der Sunny ausmachen. Gefesselt saßen Menschen auf dem Rasen und führten eine hitzige Diskussion mit einigen Piraten der Strohhutbande. Die Kleidung der Leute zeichneten sie als Marineoffiziere aus. War es doch die Marine gewesen? Law kam das alles sehr spanisch vor. „Hey, da ist die Ghost! Sie leben noch!“, hallte es von Perona über das Meer. Sie schwebte mit ihrem Schirmchen hoch oben in den Wanten und hatte die Aufgabe des Wachpostens übernommen, während die Piraten an Deck ihr gnadenloses Verhör durchführten. Freudig drängten sich alle an die Reling. Mit einem großen Hallo wurden die Rückkehrer aus der Meerestiefe gefeiert. Und auch erst jetzt erfuhren die Heart-Piraten, welch guter Schütze ihr Kapitän war. Zwei Kreuzer, fünf Frachter und ein Zerstörer waren ein guter Schnitt für einen Konvoiangriff. Allerdings hegte man zwischenzeitlich auch große Sorge, als an einer Stelle verdächtig viel Dieselöl und Luftblasen aufstiegen. Man hatte tatsächlich geglaubt, die Ghost wäre beschädigt worden und gesunken. Man einigte sich darauf, die Seeleute in ihren Rettungsbooten im Schlepptau bis zur nächsten Insel mitzunehmen. Sanji hatten für jeden eine Schüssel Reis und eine Becher Tee übrig. Doch für die nun wiedervereinte Gruppe an Freunden tischte er ein großzügiges Bankett auf. Ausgelassen feierte man den kleinen Sieg über die Angreifer, die man zeitweilig links liegen ließ. Erst als man aus dem heißen Dunstklima herauskreuzte und sich in der untergehenden Abendsonne eine Insel abzeichnete, nahm man wieder Notiz von den Kriegsgefangenen in der Marinekluft. Zoro hatte die kleine Offiziersgruppe den ganzen Nachmittag beobachtet und sich ihre Gesichter eingeprägt. Es waren sechs Männer unterschiedlichster Statur und Alters, die anscheinend den Konvoi unter ihrer Fuchtel gehabt hatten. An den Abzeichen auf den Jacken erkannte er die Offiziersränge. Mit der Flasche Sake in der einen Hand und einer geballten Faust in der Hosentasche ging er langsam auf die Männer zu und blickte argwöhnisch auf diese herab, wie sie da so gefesselt und geknebelt im Gras saßen und finster Löcher in die Gegend starrten. Besonders einer der Offiziere erregte die Aufmerksamkeit Zoros. Er trat an ihn heran und musterte ihn von oben bis unten. Dabei überlegte er, wie er das Gespräch am Geschicktesten beginnen könnte und nahm noch einen großen Schluck aus der fast leeren Flasche. „Wir kennen uns“, herrschte er den Mann so leise an, dass es zwar die Piraten am Bankett nicht hören konnten, aber demjenigen zu seinen Füßen bedrohlich erscheinen musste. Ein Blick voller Hass und Zorn wurde auf Zoro gerichtet, was der Pirat als Bejahung deutete. „Ihr seid allesamt Fahnenflüchtige. Was ist passiert?“, hackte Zoro nach, war sich aber schon vorher sicher, dass er garantiert keine Antwort bekommen würde. Diese Marinetruppe war darauf gepolt, lieber zu sterben, bevor sie auch nur ein Sterbenswörtchen von sich geben würde. Zoro seufzte, als ihm bewusst wurde, wie tief er doch durch Tashigi schon in der Marinesache steckte ohne es jemals gewollt zu haben. Er hatte einfach zu viel Hintergrundwissen. Seine Gedanken schweiften wieder zurück zu dem begehrten Opfer, was Wissen besaß, dass es gefälligst mit Zoro zu teilen hätte. Man könnte nun noch eine Weile Geduld aufbringen oder die Gunst der Stunde nutzen, jemanden dabei zu haben, dem es keine Probleme bereiten würde, sämtliche Informationen aus dem Gefangenen herauszuholen. „Du warst auf Tashigis Schiff und darum kann ich dich leider nicht schweigen lassen“, erläuterte Zoro mit hartem Nachdruck die nun anstehende Prozedur. Das war der Satz, der nun doch alle auf der Sunny erreichte. Sofort war das Essen und die alkoholischen Getränke vergessen und alle Augenpaare auf Zoro und sein kleines Opfer gerichtet. Man war gespannt darauf, was der Pirat nun tun würde. Noch war der Starrsinn des Offiziers nicht gebrochen, denn der böse Blick blieb nach wie vor bestehen. Ein versuchter Tritt gegen Zoros Schienbein sollte den Widerstand unterstreichen, ging aber ins Leere. Zoro musste viel innere Ruhe aufbringen, um nach außen sehr hart und gleichgültig zu wirken. Innerlich aber tobte die Sorge um Tashigi. „Perona?!“, fragte er höflichst, aber mit Nachdruck. Schon schwebte die Geisterprinzessin hernieder. Es bedurfte keiner Worte zwischen den beiden, dass sie wusste, was zu tun war. Sie nickte zustimmend und jagte einen Hollow-Geist durch den Offizier. Umgehend sackte er in sich zusammen. Seine Augen wurden leer und füllten sich kurzerhand mit Tränen. Und plötzlich sprudelte alles aus ihm heraus. Unter wildem Schluchzen redete er wie ein Wasserfall von sich, seinem halben Leben und seinem Schicksal. Lang und ausführlich. Zu langatmig für Zoros Geschmack. Er warf Perona einen aussagekräftigen Blick zu, ob es auch einen seichteren Hollow gäbe oder ob er sich das depressive Gerede noch bis in die Nacht hinein anhören müsste. Beleidigt schickte die Geisterprinzessin den nächsten Hollow los. Tatsächlich fing sich der Offizier und konnte nun kurzgefasst berichten, dass große Teile der Marine meuterten. Auch Tashigis Schiff wäre in interne Machtauseinandersetzungen verwickelt worden. Da ihre Fregatte allein gegen eine Überzahl von Meuterern keine Chance gehabt hatte, war diese abgeschleppt worden. Sie läge nun mit anderen gekaperten Schiffen auf einer kleinen Insel vor Anker. Was mit Tashigi selbst passiert wäre, könnte keiner von ihnen sagen. Starr wie eine Salzsäule hatte Zoro keine Regung gezeigt. Noch nicht einmal eine Wimper hatte gezuckt. Fast schon ein bisschen hochnäsig schaute er mit verschränkten Armen vor der Brust hinab auf das gefesselte Häufchen Elend, welches sich heulend im Dreck wandte wie ein Wurm. Das waren wahrlich keine guten Nachrichten gewesen. Erst Taiyoko und nun Tashigi. Einen Sack voller Flöhe zu hüten, wäre einfacher. Irgendetwas lief hier komplett aus dem Ruder. Er hatte sich einst geschworen, immer auf die beiden aufzupassen. Das hatte auch alle die Jahre geklappt, selbst wenn er häufig auf allen Meeren unterwegs war. Obgleich er sich in stillen Stunden dennoch gefragt hatte, ob er die beiden nicht zu lange allein ließ. Warum funktionierte das plötzlich alles nicht mehr so? Ihm wurde bewusst, dass sich für die Zukunft dringend etwas ändern musste. Nachdem er Perona schweigend zugenickt hatte, macht er auf dem Absatz kehrt und setzte sich ohne ein Wort zu verlieren zu seinen Freunden an den Tisch. Die Geisterprinzessin sammelte ihren Hollow wieder ein und schwebte hinterdrein. „Der Spinatschädel greift aktuell aber auch echt jedes Mal in jedes Klo“, kommentierte Sanji unbedacht die brisante Angelegenheit zu sich selbst. „Das hab ich gehört!“, kam es da gleich postwendend von Zoro zurück, der bis dahin eigentlich stumm vor sich her starren und nach einer Lösung grübeln wollte, nun aber derart schnell die Faust auf Sanjis Kiefer platziert hatte, dass es diesen völlig überrumpelt samt Speiseteller in den Händen über das Deck purzeln ließ. Es war seit Jahren nicht mehr vorgekommen, dass Zoro Sanji eine gelangt hatte und somit hatte der Koch auch nicht damit gerechnet. Perplex rieb dieser sich die malträtierte Stelle am Kinn, die dick anzuschwellen drohte. Die restliche Mannschaft hatte ebenso wenig solch einen Reaktion vorausgesehen, weshalb man nun abwechselnd und fragend zwischen beiden Konfliktprotagonisten hin und her blickte. Zoro tat es um Sanji und dessen Kiefer gar nicht leid. Und der Frust hatte sich auch nicht abgebaut. Ärgerlich! Sollte die Flachpfeife doch einfach mal die dumme Fresse halten und sich selber eine Familie anschaffen. Und zwar eine Echte und nicht so einen Ersatz, wie die Crew. Dann wüsste der schon, wie das so wäre. Nie hätte er gedacht, dass es da tatsächlich so unterschiedlich starke Gefühle gab. Man empfand in beiden Familien Lieben und Lachen, Heulen und Krachen, Ausrasten und Beruhigen, … Man fand in beiden Familien Halt und Geborgenheit. Respekt und Vertrauen. Verantwortung und Achtgeben auf den Anderen waren selbstverständlich. Er konnte nicht beschreiben, warum es sich bei der Crew so anders anfühlte als bei Tashigi und Taiyoko. Luffy saß Zoro genau gegenüber. Mit ernstem Gesichtsausdruck wartete er auf eine Antwort, die nicht ausgesprochen werden sollte. Nach einer Ewigkeit voller Stille trafen sich ihre Blicke. Niemand hatte bis heute diesen Code entschlüsseln können, was die beiden in jeder Sekunde beschlossen hatten. Wortlos. Einig. Emotionslos. Es raschelte über ihren Köpfchen. Eine Zeitungsmöwe krächzte und kreiste dabei unruhig ihre Runden. Nami warf ihr eine Berry-Münze entgegen und eine Zeitung segelte hernieder. Sie war so dünn und leicht, dass sie sich leise wie ein Herbstblatt auf den Tisch legte, als wäre sie eben von einem Baum gefallen. Doch der Inhalt lastete schwerer als die vorgespielte Unschuld im Papierformat. Die Sonderausgabe war von einer Übergangsregierung in Marijoa herausgegeben worden und umfasste nur ein einziges Blatt. Viel Druckerschwärze war dafür verschwendet worden. Nur eine einziges Wort in großen Lettern in der Überschrift dominierte das Papierweiß: KRIEG! Kapitel 35: 35 - Blutmond ------------------------- Während über die Strohhutbande aktuell die unheilvolle Nacht voller Negativschlagzeilen hereinbrach, begann auf Grund der Zeitverschiebung auf der anderen Seite des Planeten gerade ein frischer neuer Tag. Warm schienen die Sonnenstrahlen durch das schmale Küchenfenster des Leuchtturms und tauchten das aufgeräumte Innere in ein gelbes Licht der behaglichen Harmonie. Mit müden Augen blinzelte Takeru gegen die aufkommende Helligkeit an. Die letzte Nacht war viel zu lang gewesen. Taiyoko hatte keine Ruhe in ihren eigenen vier Wänden finden können, bevor nicht wieder alle Gegenstände am altbekannten Platz gestanden hatten. Ein wahrer Putzfimmel hatte sie übermannt, was wohl ihre Art der Stressbewältigung war. Mit harten Gesichtszügen und einer zickigen Stimme lief sie unkoordiniert durch das Wohnhaus, nahm dies und jenes in die Hand und setzte es zugleich planlos irgendwo wieder ab. Einem aufgeschrecktem Huhn gleich wandelte sie ein angerichtetes Chaos in ein eigens kreiertes Chaos um. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich etwas abreagiert hatte. Erst dann nahm sie Takerus Hilfesangebot an. Es bedurfte einiges an Geduld und Feingefühl, die kleine Kratzbürste zu beruhigen und ihre Arbeitswut in geregelte Bahnen zu lenken. Ein geordnetes System brauchte zuvor einen geordneten Ablauf. Also begann man bei Taiyokos Zimmer, ging über zum Bad, wirbelte durch die Küchenzeile und verblieb im Wohnbereich. Das Schlafzimmer hatte gar nicht mal soviel abbekommen und musste wenig aufgeräumt werden. Insgesamt war das Endergebnis zufriedenstellend. Zu Zeiten seiner Kindheit erinnerte Takeru sich noch wage daran, dass der Leuchtturm und das angrenzende Wärterhäuschen sehr verfallen war. Da konnte man sich hier oben an der Klippenkante, weit ab vom Schuss und der Stadt, hervorragend verstecken. Eine tolle Ausgangsbasis für unzählige Kinderbandenkriege war dieser Ort gewesen, bis irgendwann umherziehendes Volk den Turm für sich in Besitz genommen und die abenteuerlustigen Kinder vertrieben hatten. Oh, wie wütend er doch über den Verlust des tollen Spielplatzes gewesen war. Da hatte er doch tatsächlich den Mut gehabt, sich als junger Grundschulbengel mit der Bande anzulegen. Leider hatte es ihm nicht zum Sieg über den Turm gereicht, sondern einen Schädelbasisbruch, drei gebrochene Rippen und viel zu viele großflächige Hämatome eingebracht. Aus Kinderaugen heraus musste man feststellen, dass ausschließlich der Stärkere immer alles bekam. Vielleicht war es eines von vielen Schlüsselerlebnissen, die ihn auf die schiefe Bahn gebracht hatten. Wer wüsste das heutzutage schon? Kaum war die Niederlage über den Turm überwunden, zog überraschend eine hochschwangere Frau in dieses ungewöhnliche Domizil ein. Damit war das Ende des Spielplatzes endgültig besiegelt. Dass sich später einmal die Wege so kreuzen würden, wie sie es jetzt taten, und er nun wieder mitten hier im Wohnhaus stehen würde, hätte Takeru niemals zu träumen gewagt. Die sanierte Version dieses alten Gebäudes samt Inhalt war im fremd. Etwas Fehl am Platze hatte er neben dem zuvor einsamen Putzteufel gestanden, später allerlei Gegenstände vom Dreck bereinigt und es dann Taiyoko in die Hand gedrückt. Sollte sie es doch gleich einordnen, wusste sie doch am Besten, wo es hinkam. Was ihm nicht mehr brauchbar schien, nahm gleich seinen Weg in die Mülltonne. Beim Aufräumen hatten sie sich beide gegenseitig auf die Füße getreten und im Wege gestanden. Herrje, dieses Leuchtturmhäuschen war aber auch wirklich winzig. Aus Kinderaugen war es ihm viel größer in Erinnerung geblieben. Es mochte wohl auch daran liegen, dass damals die Möblierung fehlte. Der größte Raum war das Wohn- und Esszimmer, wo sich die Küchenzeile hineinquetschte. Daneben lagen Taiyokos Zimmer und das elterliche Schlafzimmer. Allerdings mussten die Wände erst später eingezogen worden sein. Die neuen Wände wiesen eine andere Tischlerhandschrift auf, als die übrigen Gebäudeteile. Durch eine schmale Tür am Ende der Küchenzeile gelangte man in einen kleinen Anbau, der das Bad und die Waschküche beherbergte. Über ihren Köpfen war der Kriechboden unter dem relativ flachen Satteldach. Doch obgleich das Haus klein war, hatte es doch sehr viele Pluspunkte. Es wirkte so schön gemütlich und geborgen. Und die Veranda war einmalig. Takeru mochte das Haus auf Anhieb. Es fiel ihm gar nicht schwer, die kleine Behausung auf Vordermann zu bringen. So ging über die ganze Aufräumaktion hinweg langsam die Sonne am Horizont unter und die Nacht beendete den Tag bis die Sterne wild um die Wette funkelten. Und das war angesichts der Sommerzeit eine sehr vorgerückte Stunde. Gelegentlich warf Takeru einen prüfenden Blick durch die Fenster, musterte misstrauisch die nähere Umgebung und hoffte darauf, dass hier keine ungebetenen Gäste aufkreuzen würden. Die letzten Tage hatten seine körperliche Fitness hart mitgenommen. Er fühlte sich immer noch angeschlagen und nicht ausgeruht genug, sich in den nächsten Kampf zu stürzen. Da wäre ihm eine geruhsame Nacht mit viel Schlaf zum Energieaufladen mehr als recht. Doch irgendwie wurde daraus weniger, als er es sich erhofft hatte. Als sie tagsüber durch das halbzerstörte Loguetown streiften und sich erst einmal mit dem Nötigsten für eine Weiterreise eindeckten, hatte Taiyoko die clevere Idee, zwei volle Einkaufstüten mit Lebensmitteln zu kaufen. So weit so gut. Kaum war der Leuchtturm blitzblank aufgeräumt, verwandelte sie mit ihren nicht vorhandenen Kochkünsten die Küchenzeile in ein erneutes Schlachtfeld. Und die Köchin war ja so starrköpfig. Es bedurfte wiederholt viel Einfühlungsvermögen und Streit zugleich, bis sie zuließ, dass Takeru zwischendurch auch einmal den Kochlöffeln mitschwingen durfte und aus dem Topfinhalt noch eine einigermaßen essbare Pampe wurde. Es schmeckte zuletzt besser, als es aussah. Takeru schob mühsam den alptraumhaften Gedanken beiseite, dass das Küchenchaos auch wieder gesäubert in die Schränke verschwinden müsste. Schon wieder Aufräumen! Also drehte man dem Unheil den Rücken zu, schob die Fernsehschnecke auf die korrekte Position vor dem Sofa und zappte mit der Fernbedienung in der einen Hand und dem Essensteller in der anderen Hand durch das Nachtprogramm, was alles zeigte, was man noch nie in seinem Leben hatte sehen wollen. Zum Schluss blieb man bei einem Film hängen, der irgendwo im Horror-Splatterpunk-Genre anzusiedeln und extrem schlecht war. Die Story war dünn, es metzelte von einer Szene zur nächsten und das Blut floss wie aus Wasserhähnen. Der Streifen war derart missraten und billig produziert, dass er fast schon wieder komisch war und nahe am Kultstatus nagte. Taiyoko konnte sich erstaunlicher Weise scheckig darüber lachen, während Takeru kurz vor dem Einnicken war. Den Film hatte er früher in irgendeinem schäbigen Kino am anderen Ende der Welt auf einer Mission ertragen müssen. Mord und Totschlag hatte er schon zu oft durch seine eigenen Hände verursacht. Da bedurfte es keinen Film, der ihm einen Spiegel seines Lebens vorhielt. Plötzlich verstummte das Gezappel und Gekichere an seiner Seite. Er zuckte aus dem dämmrigen Schlaf hoch, als ihr Gewicht gegen seine Seite fiel. Ihr Kopf bettete sich gegen seinen Oberarm und lange Atemzüge eines gesunden Schlafes zogen durch ihre Nase. Da war die kleine Kratzbürste doch tatsächlich eingeschlafen. Und nun machte sie es sich auch noch unbewusst im Schlaf bequem, indem sie sich einmal rappelte und sich dabei an seinen Arm klammerte wie an eine Bettdecke. Na, so ging das aber nicht. Dabei wollte er ihr doch in den frühen Morgenstunden noch eine kleine Überraschung präsentieren. Er lächelte amüsiert über ihre verbogene Körperhaltung, befreite sich aus ihren Fängen und dachte über die kommenden Aktivitäten der noch verbleibenden Nachtstunden nach. Die Uhr über der Küchenzeile zeigte Viertel vor Drei an. Vielleicht sollte man tatsächlich noch ein wenig ruhen, um sich in gut zwei Stunden zum Spektakel aus den Betten zu quälen? Spektakel wäre sicherlich eine etwas übertriebene Beschreibung für ein kleines Wunder, aber die Kratzbürste wäre garantiert begeistert und extrem sauer, würde sie es verpassen. Er genoss eben gerade die Zeitspanne, wie sie so friedlich da lag und schlief. Sie stellte weder unangenehme Fragen über ihn, noch heckte sie Blödsinn aus. So holte er also ihre Bettdecke aus ihrem Zimmer und deckte sie zu. Ihr Wecker würde zur richtigen Zeit das Startsignal geben. Es hatte in den tiefsten Nachtstunden, die sie beide verschliefen, heftigst geregnet. Der erste Anflug einer Morgendämmerung kämpfte sich durch die Wolkendecke und mischte sich mit dem kräftigen Leuchten des Vollmondes. Das Licht tauchte die nass glänzenden Kiefern und Kartoffelrosenbüsche in ein unheimliche Szene. Alles wirkte noch düsterer, noch schwärzer, noch hellhöriger. Auch der feuchte Sandweg vom Turm hinab zur Stadt vermochte noch dunkler zu sein, als er es in einer gewöhnlichen Nacht tat. Große Regenpfützen reihten sich aneinander wie eine Miniaturseenlandschaft. Kein Lüftchen regte sich, und so waren die Pfützen so glatt gebügelt wie das Sonntagstischtuch zum Familienessen. Und kalt war es geworden. Es machte sich körperlich besonders dann bemerkbar, wenn man gerade noch unter einer warmen Decke geschlummert hatte und mitten aus dem Tiefschlaf gerissen worden war. Taiyokos Laune war mehr als im Eimer. Da hatte man endlich mal wieder vernünftigen Schlaf unter dem heimischen Dach gefunden, schon wurde man brutal um jenen gebracht. Nur widerwillig hatte Takeru sie wach bekommen und war im ersten Moment schlaftrunken verwirrt, als er zu ihr sagte: „Wir müssten mal nach Pikadon schauen...!“ Dabei hatte er so komisch gegrinst und sich in Geheimniskrämerei geübt. Kein Wort hatte sie aus ihm rausbekommen. Da half weder pubertäres Gezicke, noch kleinkindhaftes Gebettel mit Kulleraugen. Idiot! Es war wohl nichts Gefährliches passiert, was sie zuerst geglaubt hatte. Bei einem Notfall hätte er ganz anders reagiert. Sie hatte sich zwar noch mit einer Sommerjacke bewaffnet, doch das Zittern und Gähnen der Übermüdung hörte den halben Weg lang nicht auf. Und wehe dir, Takeru, dein Grund für das Aufwecken wäre nicht lohnenswert! Grummelnd stapfte sie ihm hinterher, nachdem sie noch schnell eine heiße Tasse Tee in die Hände gedrückt bekommen hatte. Also konnte der nächtliche Ausflug wohl nicht lange dauern oder weit sein, wenn sie eine später geleerte Tasse mit sich herumtragen sollte. Zumindest hoffte sie das. Trotzdem maulte sie ihm die ersten Wegmeter die Ohren voll, weil es doch so kalt, nass und matschig wäre. Außerdem wäre ja die Sonne noch nicht mal vier Handbreit über dem Horizont gestiegen, da bräuchte man eh noch nicht aufstehen. „Vier Handbreit? Da ist ja der halbe Tag schon gelaufen“, foppte er sie und bog aus dem Kiefernwald heraus. Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Hat er dir denn gesagt, wo er ist?“ Damit meinte er Pikadon. Sie schüttelte den Kopf. Das Einhorn hatte nur verlauten lassen, dass es in der Nähe des Leuchtturms die Gegend durchstreifen und grasen wollte. Und da sich das Verdauungssystem von Einhorn und Pferd nicht sonderlich unterschied, würde er wohl die ganze Nacht unterwegs sein, Gräser zupfen und weite Entfernungen zurücklegen. Beide sahen sich um. Rechter und linker Hand von ihnen erstreckte sich das harte Hafergras im Schatten des Kiefernwaldes. Nur wenige hundert Meter vor ihnen lagen schon die ersten Häuser von Loguetown. In der Stille der Nacht schlief die Stadt vor sich her. Nur ganz wenige Lichter entzündeten sich allmählich in den Fenstern. Sie entschieden sich dafür, einen Trampelpfad über den Kiefernhügel hinweg in nördliche Richtung zunehmen, weil sich dort ein großes Areal mit Weideland in einer flachen Talsenke anschloss. Nach Süden würden sie nur am Sandstrand ankommen, wo es für Einhörner nichts zu fressen gab. Im Gänsemarsch folgte sie seinen großen Schritten und musste sich mühen. Die nassen Grashalme klatschen gegen die Hosenbeine und durchtränkten sie mit Regenwasser. Taiyoko redet zwar kein Wort mehr, aber die schlechte Stimmung hatte sie beibehalten. Sie fühlte sich dreckig und das nicht nur wegen des feuchten Hosenstoffes. Der Schlaf juckte in den Augen und ihre Haarsträhnen standen wie elektrisiert in alle Himmelsrichtungen ab. Die Teetasse hatte sie geleert und in die Jackentasche gestopft. Nun baumelte es bei jedem Schritt dumpf schmerzend gegen ihren Oberschenkel. Zu allem Überfluss meldete sich auch noch ein anderes Bedürfnis. „Ich muss mal“, schnauzte sie schärfer als gewollt Takerus Rücken an, der genau vor ihr ging, machte auf dem Absatz kehrt und entschwand hinter dem nächsten Gehölz. Welch selten blöde Idee, nachts mit nassen Klamotten durch den Wald zu latschen. Man war hier nahe des Meeres und der Stürme. Die Bäume waren allesamt gedrungen klein geblieben und extrem windschief. Die Kieferäste peitschten ihr ins Gesicht und der Strandhafer pikste und schnitt in die Haut ein. Und die nächtliche Frische fror einem sprichwörtlich den Allerwertesten ab. Der Stoff klebte auf der Haut und gab auch nicht sonderlich nach, als sie sich niederhockte. Sie fluchte kurz auf und wünschte sich wieder unter ihre warme Decke zurück. Oder noch besser: In die heiße Badewanne. Wenn die Sommerferien vorbei wären, würde sie im Internat wohnen. Das lag auf der anderen Seite der Insel in nordwestlicher Himmelsrichtung. Weit weg vom Leuchtturm, den sie nicht mochte. Ihr Zuhause lag für junge Teenager einfach zu weit vom Alltagsgeschehen einer mittelgroßen Stadt weg. Bis zur Stadtmitte und somit zur Schule hatte sie je nach Tagesform eine gute halbe Stunde strammen Fußmarsch einzuplanen. Der Hinweg war ja noch recht nett, denn es ging bergab, aber der Rückweg … Gerade zur Winterzeit, wenn Eis und Schneewind über das Ostkap kreuzten, war es wahrlich kein Spaziergang. Da blickte sie neidisch den Schulkameraden hinterher, die im Stadtkern in Gassen und Straßen abbogen, nur um gleich wieder in den nächsten Hauseingängen zu verschwinden. Nur sehr wenige Kinder wohnten nicht im Zentrum von Loguetown, so wie beispielsweise ihre beste Freundin Elaine. Aber diese wohnte in der genau entgegengesetzten Richtung, wo sich die kleine Siedlung wettergeschützt vor der Stadt erstreckte. Dort gab es Buchenwälder, Gemüsegärten und fette Weiden. Ein ganz anderes Bild als hier, obwohl es Luftlinie sicherlich nur gut fünfzehn Kilometer bis dorthin maß. „Was ist? Bis du in den Busch gefallen?“ kam es da neckisch vom Wegrand, wo sich Takeru artig wartend mit dem Rücken zu ihr platziert hatte. Sie schreckte auf, hatte sie doch ihren Gedanken nachgehangen und war körperlich ganz in der Prozedur eingespannt, eine nasse Hose wieder über die zitternde Haut nach oben zu ziehen. „Ich kann halt nicht im Stehen pinkeln, so wie du, Arschloch!“, keifte sie genervt und fing sich ein ebenso Neckisches „Warum eigentlich nicht ?“ ein. Sein Grinsen konnte sie nicht sehen, nur seinen Rücken, aber an der Stimmlage war es deutlich heraushören. Schnell rupfte sie ihre Kleidung nach verrichteter Notdurft wieder zurecht und gesellte sich zurück. Sie schlotterte vor Kälte. „Herrje Kind, hättest du keine dickere Jacke anziehen können?“, tadelte er sie leise und schloss mit einem schnellen Ruck den Reißverschluss ihrer dünnen Sommerjacke bis hoch zu ihrer Nasenspitze. „Selber Kind“, maulte sie zurück. Sie mochte es gar nicht leiden, wenn er sie „Kind“ nannte, nur um sie aufzuziehen und sich selbst eine Stufe höher zu stellen. Kind! Pff! Dabei war er selber gar nicht mal so viel älter als sie selber. Das hatte sie gerade erst kürzlich durch geschickte Nervtöterei herausgefunden. Ihr Begleiter war nämlich ein Sommerkind und würde, wenn alle guten Geister es wollten, im nächsten Monat seinen 19. Geburtstag feiern. Wobei Taiyoko nur lästernd hinzufügte, dass solche Leute wie Takeru sowieso nicht zu feiern bräuchten, weil sie eh keine Freunde hätten. Und überhaupt war Takeru noch nicht einmal sein richtiger Name, sondern lediglich ein Deckname, wie üblicherweise alle Agenten der Cipher Pol 0 solch einen Decknamen hatte. Leider war es ihr bis dato nicht gelungen, seine wahre Identität aufzudecken. Aber sie würde hartnäckig am Ball bleiben. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort, bis ein einfaches Holzgatter den Weg versperrte. Dahinter erstreckte sich eine Weide, dessen Größe nicht zu schätzen war, da die Umzäunung in der Ferne gänzlich von der grauen Umgebung verschluckt wurde. Die nahen Häuser Loguetowns waren nicht mehr zu sehen, und deren Straßenlampenschein erreichten diesen Ort nicht. Allein der Mond musste reichen, diesem abgelegenen Ort Licht zu spenden. Ein lauer Luftzug strich über die Gräser und durch die Kiefern. Es rauschte sanft. Endlich riss die Wolkendecke vollständig auf. Groß und rund hing die silberne Scheibe des Mondes beruhigend über der harmonischen Idylle. Sie leuchtete die Weite der Senke aus. Eine tiefere Ruhe gab es wohl gerade nirgends auf Erden außer hier. Wäre es nicht so nass und kühl, so wäre es wohl eine perfekte Sommernacht gewesen. Weiter hinten auf der Wiese konnte man nun auch dessen Bewohner ausmachen. Nur die Rücken ragten wie kleine Berge in den Himmel. Die Hälse waren gesenkt, und die Mäuler fuhr über das Gras wie Staubsauger. Je näher man den Tieren kam, desto lauter waren Rupf- und Kaugeräusche zu hören. Als sie sich langsam den Pferden genähert hatten, rissen diese ruckartig ihre Köpfe in die Höhe, verharrten im Kauen und blickten mit ihren großen dunklen Augen neugierig zu ihnen herüber. Pferde können nicht gut sehen, was vor ihren Hufen liegt, daher waren ihre Ohren wie kleine Satelittenschüsseln zu ihnen gedreht und vernahmen jeden noch so leisesten Ton. In der Pferdeherde mochte man wohl so ziemlich jedes Ross zu entdecken, was die Züchterhand jemals zusammen gekreuzt hatte. Große, kräftige Kaltblüter standen in Eintracht neben kleinen, dicken Ponys. Unzählige Warmblüter aller Kaliber grasten zwischen ihnen. Auch die breite Palette an Fellfarben war ebenso vertreten wie die Fellabzeichen der Vierbeiner. Die Herde zählte sicherlich an die hundert Tiere. Doch das fahle Licht schränkte eine genaue Schätzung zu sehr ein. „Also, wenn er hier ist, wäre das mal eine perfekte Tarnung“ dachte Takeru laut vor sich her und schob mit der Hand einen allzu neugierigen Ponykopf beiseite, der sich längst angeschickt hatte, den Inhalt seiner Jackentasche genaustens zu untersuchen. „Blödes Vieh!“, schimpfte er noch ärgerlich hinterher, als ein Ratschen ankündigte, dass der Ponykopf sein Maul nicht aus der Tasche bekommen hatte, ohne den Stoff anzureißen. Taiyoko kicherte und strich einer gescheckten Stute durch die Mähne. Sie musste Takeru zustimmen, dass man hier das Einhorn wie die Nadel im Heuhaufen suchen müsste, wenn es denn überhaupt hier wäre. Zu zweit umrundeten sie ein Pferd nach dem anderen, um einen Überblick über die Herde zu erhalten. Das Mädchen fand mittlerweile die Nachtwanderung gar nicht mehr so blöde, wie zu Beginn. Es gab viele Pferde zu beobachten, die sie auf Anhieb mochte, und Pikadon würde sie mit etwas Glück auch ausfindig machen können. Sie vergaß die regennasse Hose, das Zähneklappern und die vor Kälte blaugefärbten Lippen. Auch die Müdigkeit, die jeden Schritt immer schwerfälliger machte, wurde vom Bewusstsein ignoriert. Es hatte etwas märchenhaftes an sich, im Vollmondschein wie eine Fee durch die Herde zu wandeln. Der Schlafmangel beflügelte ihre Fantasie und so verwandelte sich die buntgemischte Pferdeherde in Fabelwesen aller Art. Und so schob sie es zunächst auch auf eine Einbildung, als sie sich noch einmal umblickte und ihre Augen am Mond hängen blieben. Dennoch platzte es aus ihr heraus: „Der Mond sieht komisch aus. War der vorhin nicht rund?“ Keine Frage, der Mond hatte seine Kugelform sicherlich nicht vernachlässigt, aber er verdunkelte sich zusehends und nahm eine rote Farbe an. Zudem wirkte er unnatürlich groß, als hätte er sich an ihre Welt herangeschlichen und seinen Abstand verringert. „Das ist ein Blutmond“, klärte Takeru sie auf und ergänzte in knappen Sätzen, dass sich bei einer Mondfinsternis der Mond nur dann rötlich färben würde, wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel zu den Gestirnen stünde. Die Lichtbrechung würde diesen magischen Effekt zaubern. Ein kleines Naturwunder. Plötzlich ertönte ein fröhliches Schnauben. Eines der Tiere löste sich aus der Dunkelheit heraus und trabte freudig auf die beiden zu. Es war tatsächlich Pikadon. Dort, wo einst sein Horn prangte, war ein hässlicher, kleiner Stumpen verblieben. Ein zauberhafter Lichtschimmer umhüllte diesen Frevel. Es war ein Licht so rein wie der Glanz des Mondes. Und jetzt begannen bei Taiyoko die Groschen zu fallen. Mit der flachen Hand schlug sie sich gegen die Stirn. Natürlich! Als das Einhorn damals sein Horn verlor, hatte es geheißen, bei einem Blutmond würde es wieder nachwachsen. Jedoch hatte sie weder gewusst, was ein Blutmond war, noch wo es so etwas gäbe. Ungeplant hatten sie ein unverschämtes Glück gehabt, ausgerechnet hier und heute zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Während der Mond sich stetig immer weiter verdunkelte, wurde das Leuchten auf Pikadons Stirn immer heller und größer. Es wuchs zu einem gleißenden Lichtkegel heran, bis es die ungefähre Länge des alten Horns hatte. Als dann der Mond vollends in Dunkelrot getaucht war, verschwand die Transparenz, und der Lichtschein wurde plastischer, bis sich in einem grellen Aufblitzen plötzlich ein neues Horn formte. Es war nur ein Vorgang von wenigen Minuten und scheinbar von den übrigen Pferden unbemerkt verlaufen, denn sie grasten nach wie vor ruhig und gelassen vor sich her. Doch Taiyoko und Takeru starrten wie gebannt auf das kleine Wunder vor ihren Augen. Ihr Einhorn war wieder komplett. Fröhlich umarmte das Mädchen ihren vierbeinigen Freund, kuschelte sich an seine Hals und vergrub ihr Gesicht in seiner wallenden Mähne. Sie konnte sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten. Auch Takeru unterdrückte nur schwer ein langes Gähnen. „Nur deswegen habt ihr beide mich gesucht? Das wäre doch gar nicht nötig gewesen“, ertönte die freundliche Bronzestimme des Einhorns und es beschloss, die beiden Nachtschwärmer nach hause zu bringen. Kaum hatte Taiyoko mit Hilfe eines kräftigen Schubsers seitens Takerus den weißen Rücken erklommen, fiel sie schon vorn über und schlief tief und fest ein. Das kurze dunkle Wiehern klang da schon fast wie ein kleiner Lacher, als sich Pikadon in Bewegung setzte und ein halbschlafender Takeru nebenher torkelte. „Nimm mal ein bisschen Haltung an, Ninja!“ tadelte das Tier amüsiert. „Du kannst mich mal ...“, grummelte es nur zurück. Der Rest des Weges war Schweigen. Erst vor der Haustür fand man gegenseitig wieder Worte für einander, als Takeru das Mädchen vor sich auf den Arm nahm, um es ins Haus zu tragen. „Wie werden morgen auf jeden Fall aufbrechen. Ist das OK für dich?“ Nachdem Zoro von seiner Tochter das Wadôichimonji wieder einkassiert hatte, war sich Takeru nicht mehr so hundertprozentig sicher, ob das Einhorn nun weiterhin ihr Tragetier bleiben würde. Nach ihrer Flucht von der Feuerinsel hatte es hoch oben in den Wolken die Information gegeben, dass Einhorn würde das Mädchen nur deshalb als Herrin bezeichnen und ihr als Reittier dienen, weil sie eben dieses Schwert bei sich hätte. Ohne das Einhorn als ultraschnelles Transportmittel wären beide aufgeschmissen. Alle neuen Reisepläne müssten sorgfältigst geplant werden, um nicht vom unbekannten Feind geschnappt zu werden. Über den Regenbogen hingegen waren Routen jederzeit spontan änderbar. Ein großzügiges Nicken ließ Takeru viele Steine vom Herzen fallen, dass eine Abreise weiterhin problemlos wäre. Er teilte Zoros Meinung, dass es dringend Zeit war, den Aufenthaltsort zu wechseln. Sie waren zeitlich längst überfällig und schon länger an diesem Ort geblieben, als es ihm selbst beliebte. Mit diesen Planungen in seinem Kopf lud er Taiyoko in ihrem Bett ab, befreite sie noch von Schuhen und Jacke und bezog sein eigenes Nachtlager auf dem Sofa. Der blaue Himmel und ein paar flauschige Wattewolken spiegelten sich in den Pfützen der vergangenen Nacht wider. Die Sonne hangelte sich an den Baumwipfeln entlang und konnte noch nicht von ihnen loslassen. Takeru fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht und knetete darin herum, auf dass die Müdigkeit weichen würde, doch der erhoffte Effekt blieb aus. Selbst das vorausgegangene Duschbad hatte nichts an seinem Zustand geändert, sich vitaler zu fühlen. Also stützte er sich wieder mit beiden Händen auf der Küchenzeile ab, guckte nach draußen und ließ noch für ein paar Minuten die Seele baumeln. Es war einfach ein zu schönes Bild dort draußen mit all den Farben und dem weichen Sonnenlicht. Noch einmal gähnte er herzhaft, drehte sich wenig galant um und erblickte sich dann selbst im Garderobenspiegel, welcher genau schräg gegenüber der Küchenzeile an der Tür zum Bad hing. Es zeigte ihn splitterfasernackt nur mit einem Handtuch um die Hüften geschwungen, tropfnassen Haare und einem hässlichen, quadratischen Loch in seiner Brust. Auch wenn es nicht schmerzte, so war es ein verdammt komisches Gefühl gewesen, als der Wasserstrahl einfach so durch ihn hindurchfloss wie Wasser in einem Rohr. Er fühlte sich unvollständig und ziemlich gefangen in seiner misslichen Lage, dass sein wichtigstes Körperteil nicht in ihm war, sondern irgendwo auf der Grandline auf der Thousand Sunny umherschipperte. Wenigstens kam sein Herz so ein wenig in der Weltgeschichte rum, versuchte er sich durch eine große Portion Eigensarkasmus zu trösten. Ansonsten wirkte der Mensch im Spiegel doch sehr zertrümmert und abgeflauscht. Über die dunklen Augenränder und die großflächig vernarben Haut einer alten Brandverletzung brauchte man gar nicht erst zu reden. Wenigstens sah man das Cipher Pol Zero Tattoo, welches sein linkes Schulterblatt zierte, von dieser Position aus nicht. Jeder aus der Einheit war damals so gebrandmarkt worden, ob es einem nun passte oder nicht. Er hasste das Tattoo, aber es war nun mal für die Ewigkeit gestochen und würde ihn zeit seines Lebens an seine brutalen Missionen erinnern. Allein der Gedanke daran machte ihm nicht nur schlechte Laune, sondern brachten die Galle zum Kochen, den Puls zum Rasen und dem nächtlichen Schlaf Albträume. Plötzlich flog die Tür zu Taiyokos Zimmer auf, und mit der Ruhe und Harmonie war es an diesem Tagesanfang schlagartig vorbei. Entgegen der üblichen Gewohnheiten, kam sie hellwach und mit viel Elan angerauscht. Für seinen Geschmack hatte sie viel zu viel Energie an diesem jungfräulichen Morgen gepachtet und artetet fast in Stress aus. „Wieso bist`n du so wach?“ muffelte er sie an und konnte die übersprudelnde Lebensquelle nach den wenigen Stunden des Schlafes so rein gar nicht nachvollziehen. „Kann man da auch durchfassen?“ machte sie hingegen eine ganz andere spannende Entdeckung, ging etwas in die Knie und blinzelte durch das Loch, welches wie ein Tunnel durch Takerus Brustkorb führte. Ein ausgestreckter Finger näherte sich ihm und unterstrich die Idee, dass einmal auszuprobieren. „Wie fühlt sich das an? Merkt man das?!“ bohrte sie fragend weiter ohne Rücksicht. „Nein!“, muffelte er in gleicher Tonlage weiter. „Was „Nein!“? Nein, zum Durchfassen? Oder Nein, weil man das nicht merkt?“ Argh, dieses Kind hatte viel zu viel gute Laune und Forscherdrang, und es war ihm wirklich nicht danach, nun ihr neues Forschungsobjekt zu sein. Mit einer geschickten Seitwärtsdrehung beförderte er sich selbst von der Küchenzeile weg hinüber zum aufgebauten Wäscheständer. Wenigstens war die Wäsche schon trocken, Er schnappte sich sein T-Shirt und entzog sich so der Neugier Taiyokos, die nun ein wenig schmollend durch die Badezimmertür verschwand. Es war wirklich höchste Zeit, dass sie weiterzogen. Sonst würde ihnen hier vielleicht sogar noch die Decke auf den Kopf fallen. Oder im schlimmsten Falle würde der Feind wieder aufkreuzen. Da gab es so einige namentlich aufzuzählen, die Jagd auf das Mädchen oder ihn machen würden. Immerhin hatte Blackbeard dazu aufgerufen, ihm einen Zwielichtwandler zu bringen, obgleich er nicht abzuschätzen vermochte, ob seine Gabe auf den Blues bekannt wäre. Als er seine Hose hochzog, bemerkte er, dass ein Teil der Hosennaht am Beinstoff aufgerissen war. Es konnte nur in der letzten Nacht passiert sein, als er sich mit Pikadon durch das Unterholz geschlagen hatte, weil ihm der Weg am Kürzesten schien. Nun guckte ihn sein Knie durch das Loch an. Er seufzte. Man müsste sich vielleicht dringend mal irgendwo neu ausrüsten. Bei Taiyokos Flucht aus dem Dampfer heraus ins Meer hatte er so gut wie seine komplette Ausrüstung verloren. Noch so eine Sache, die ihn nicht befriedigte. Die letzten Tage waren beide mehr als mittel- und ruhelos gereist. Gelegenheit zum Kauf neuer Waffen oder Kleidung hatte es nicht gegeben. Nun aber hatte sie die Erlaubnis von Zoro bekommen gehabt, die Haushaltskasse an sich zu nehmen, welche die Plünderung des Turms unbeschadet überstanden hatte. Damit ließ sich doch etwas anfangen. Damit stand für Takeru die Marschroute fest: Insel-Hopping in kurzen Zeitsequenzen. Es gab so viel zu sehen auf der Welt, wovon man nur gehört hatte. Pikadon würde einige Kilometer an Boden abzulaufen haben. Es blieb nur zu hoffen, dass das Einhorn den Spaß tatsächlich mitmachen würde. Andernfalls müsste man sich auf einen Sturz vom Regenbogen und einem harten Aufschlag auf einem der Blues gefasst machen. Er konnte nur hoffen, dass die beiden anderen seine Idee ebenso gut fanden wie er selbst. Und das würde er gleich mal beim Frühstück abklären. Kapitel 36: 36 - Yumenoshima ---------------------------- Wie war sie hierher geraten? Tashigi vermochte sich nicht mehr zu erinnern. Ihre letzten Gedanken aus der Vergangenheit zerfetzten wie Herbstlaub im Wind just an der Stelle, als die Fregatte in einen handfesten Sturm geriet. Dabei hatte alles so gut begonnen. Die Seekarte zeigte ruhiges Fahrwasser an, und die Sonne schien so sanft und fröhlich von einem strahlend blauen Himmel herab, als hätte es nie schlechte Zeiten gegeben. Ihre Mannschaft war guter Stimmung und scherzte untereinander. Der Schichtwechsel setzte ein. Die diensthabende Crew verzog sich erst zum Essen in die Mensa und überließ anschließend die Arbeit der frisch ausgeruhten Wachablösung. Es war der Moment, als Tashigi sich von der Kommandobrücke abmeldete, um sich erst in der Mensa zu stärken, dabei mit ihren Offizieren den Kurs für die aktuelle Route festlegen und sich später in ihre Kabine zurückziehen wollte. Für das, was gleich über sie hereinbrechen sollte, gab es keine Vorzeichen oder eine Warnung. Plötzlich wurde alles so schlagartig finster, dass man meinen könnte, die Sonne wäre mit einem Lichtschalter ausgeknipst worden. Alle waren überrumpelt, überrascht und panisch zu gleich. Selbst erfahrene Crewmitglieder, welche schon viele Seemeilen und Dienstjahre auf dem Buckel hatten, konnten sich das sofortige Erlöschen des Lichtes nicht erklären. Noch ehe sie alle einen klaren Gedanken fassen konnten, bäumte sich das eben noch so glatte Gewässer auf. Es buckelte und schlug wilde Haken. Die unruhigen Wellen erreichten Höhen, welche wohl nur hohe Bergen haben konnten und kratzten mit ihren Wellenkämmen scheinbar an den schwarzen Wolken entlang. Krakenähnlichen Armen gleich streckten sich die Wassermassen nach dem Marineschiff aus und umschlangen Masten und Rumpf. Und dann kam da noch dieser Lärm hinzu. Ohrenbetäubender Lärm. Donnergrollen knallte über ihren Köpfen, dass es einem jeden Moment den Schädel zerschmettern musste. Der Himmel drohte förmlich über der Mannschaft einzustürzen. Blitze zuckten grell zwischen den Wolken wie tausend Sonnen, und wer seine Augen noch nicht geblendet geschlossen hielt, hatte es bereits durch das peitschende Wasser getan. Reflexartig hielt sich jeder an allem fest, was sturmfest und schwimmbereit schien. Keiner war noch irgendwie fähig, eine klare Handlung zu vollziehen, geschweige denn einen Befehl auszuführen. Der Orkan prügelte mit aller Härte auf die Fregatte ein und wirbelte sie umher wie eine kleine Nussschale. Es war nur eine Frage von Sekunden, wann das Schiff kraftlos aufgeben müsste. Doch von allem dem würde Tashigi nichts mehr mitbekommen. Ihre Kräfte gaben schon weit früher nach als sie gehofft hatte. Die nächste Welle griff nach ihr und schleuderte sie brutal über Bord. Der Aufschlag auf der harten Wasseroberfläche schmerzte hart auf ihrem Bauch, dem Gesicht und den Beinen. Es kribbelte und brannte furchtbar. Schon einen Wimpernschlag später tauchte sie ein in die Tiefen des Meeres. Wo war oben? Wo war unten? Sie war völlig orientierungslos. Es war pechschwarz, so dass sie nicht einmal ihre eigene Hand hätte sehen können, was ihr ohne Brille unter Wasser generell schon schwer gefallen wäre. Es gab keinen Auftrieb, der einen nach oben zog. Was war das hier für ein Wasser? Da konnten doch nur Teufelskräfte am Werk gewesen sein. Sie hing wie in einer riesigen, nassen Wattewolke fest. Panik breitete sich in ihr aus. Sie könnte nicht länger die Luft anhalten, also schwamm sie einfach los. Und es war warm, so merkwürdig warm. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Es kribbelte überall so herrlich entspannend unter der Haut, als würde man gleich in einen ewigen Tiefschlaf verfallen. Plötzlich fühlte sie sich frei und schwerelos. War das der Moment, indem man nun ertrinken und sterben würde? Nein, das wollte sie auf gar keinen Fall! Mit kräftigen Schwimmzügen suchte sie den Weg nach oben. Sie schwamm und schwamm. Sie wurde immer hektischer und panischer, bis sie nur noch wilde, unkontrollierte Bewegungen vollbrachte. Der Druck in ihrem Innersten, endlich nach Luft schnappen zu wollen, wuchs unaufhörlich. Liebend gern hätte sie ihren Körper von der Qual erlöst und nur einen einzigen Atemzug getan, doch sie hatte ja keine Kiemen, wie Fische sie hatten. Es mochten noch zwei oder drei weitere Schwimmzüge gewesen sein, als sie es nicht mehr aushielt. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Aus ihrem Mund stiegen Wasserblasen empor, dann endeten ihre Erinnerungen. Es gab ein großes Metallbett. Sicherlich hätten auch zwei Personen bequem Platz darin gefunden. Weißlackiert war es und die Metallstangen zu romantischen floralen Mustern geschmiedet. Klares und weißes Glas bildeten hauchzarte Blütenblätter, die man sich nicht getraute zu berühren, da man fürchtete, sie würden sofort zerbrechen. Das Betttuch war so glatt und glänzend wie Seide. Blütenrein und schneeweiß wie das Nachthemd, was sie am Leibe trug. Knielang mit dünnen Trägern. Wer mochte sie angekleidet haben? Tashigi hatte beim besten Willen nie so ein Nachthemd in ihrem Kleiderschrank besessen. Als sie das erste Mal erwacht war, hatte die Dunkelheit nicht nachgelassen. Über ihr spannte sich ein schwarzer Nachthimmel. Doch er war frei von Wolken und Himmelsgestirnen. Auch keine Sonne zog hier ihren Tageslauf. Sie warf nie Licht über diesen merkwürdigen Ort. Nur allein ein großer, blanker Vollmond pappte wie festgeklebt an ein- und derselben Stelle am Himmel und warf sein silbernes Licht herunter. Er war ihre einzige Lichtquelle. Nach dem ersten Erwachen war sie verwirrt aufgestanden. Sie konnte den Boden nicht sehen, waberten doch wallende Nebelfelder knöchelhoch über den Grund. Aber ihre nackten Füße spürten die glatte Kälte, wie sie es von Fliesen her kannte. In welche Richtung man auch immer blickte, es war kein Ende der Ebene zu sehen. Der Nebel verlor sich in der unendlichen Finsternis. Da war nichts weiter, nur sie und das Bett. Und ein kleine Wasserschüssel. Wie das Bett war das Gestell der Wasserschüssel weiß gelackt und ebenso kunstvoll geschmiedet. Das Wasser war so kristallklar wie Quellwasser, doch ließ man es durch die Finger gleiten, benahm es sich wie Quecksilber. Beim ersten Mal sah sie dort stumm auf die Wasseroberfläche hinab, und das Wasser reflektierte ihr Antlitz wie ein Spiegel. Da sah sie eine blasse Frau mit langen schwarzen Haaren und dunklen, großen Augen. Vielleicht mochte es eine Täuschung sein, dass sie sich eine fahle, graue Haut und dunkle Augenringe einbildete. Sie fühlte sich so müde. Und je länger sie hineinblickte, desto größer wurde die Trauer in ihrem Herzen. Sie musste tot sein. Natürlich war sie tot. Wer überlebte denn einen Sturz in die eiskalte See und fand sich dann an diesem schrecklichen Ort wieder? Es war hier so einsam und zeitlos. Ohne jegliche Freude. Es war weder warm noch kalt. Sie spürte weder Hunger, noch Durst oder gar Schmerzen. Tränen füllten sich in ihren Augen. Große dicke Tropfen kullerten über die Wangen hinab, sprangen auf das Wasser und zeichneten runde Kreiswellen. Erst als ihr Spiegelbild vollkommen zerstört war, schlurfte sie zurück in das Bett. Ob ihre Crew auch tot war? Oder hatte die Fregatte es eventuell bis zu einem schützenden Hafen geschafft? Vermutlich würde sie das niemals erfahren. Sie dachte an die Tage, bevor sie sich von Taiyoko und Zoro verabschiedet hatte. Hätte sie geahnt, dass sie beide sich damals wohl zum allerletzten Mal gesehen haben mochten, so hätte sie schreien können. Wut und Selbstmitleid zerrissen sie innerlich. Hin- und hergeschmissen tobten ihre Gedanken durch ihren Kopf von „hätte“ und „wäre“. Hätte sie doch Taiyoko nur noch einmal in den Arm nehmen können. Nun würde sie nie sehen, wie ihre Tochter weiter aufwuchs. Ja, da hatte es häufig Szenen gegeben, da hätte sie ihre liebe Tochter nur an die Wand schlagen können. Aber natürlich liebte sie sie und hatte, seit sie da war, wirklich alles gegeben, was sie hatte aufbringen können. War das aber wirklich alles? Tashigi zweifelte in ihrem Selbstmitleid vor sich her. Wie würde es nun für Taiyoko werden, wenn sie als Mutter nie wieder nach Hause kam? Käme sie damit zurecht oder würde sie daran zerbrechen? Hätte sie sich bloß vor dem Abschied wieder mit Zoro vertragen. Sie waren im Streit auseinandergegangen. Nun war es wohl für immer zu spät, solche Fehler auf Grund von Selbstsucht und Egotrips wieder zu bereinigen. Oh, wie sehr sie ihn vermisste. Dabei konnte sie sich bis heute nicht erklären, warum ausgerechnet sie beide zueinander gefunden hatten. Ausgerechnet sie, die tollpatschig war und immer auf der Versagerschiene fuhr. Und dann erst die selbst zugefügte Narbe mitten im Gesicht, weil sie ihr Gesicht so hasste, und der rote Schmetterlingsfluch am Hals. So ein hässliches Entlein konnte doch niemand lieben. Warum konnte sie nicht irgendetwas Besonderes oder war zu irgendetwas gut? Zoro! Taiyoko! Der Kloß in ihrem Hals wuchs und wuchs und schnürte ihr die Luft mehr ab, als der rote Schmetterling an ihrem Hals es jemals getan hatte. Da war es nur verwunderlich, dass der brennende Falter so ruhig blieb. Unter Heulkrämpfen schlief sie unruhig ein. Als sie zum zweiten Mal erwachte, waren ihrer Augen voller Schlafsand. Sie gab sich nicht die Mühe aufzustehen. Nichts hatte sich hier verändert. Gar nichts. Der Mond schien monoton herab. Der Nebel wallte. Das Wasser ruhte. So begann ein Rhythmus der ewigen Wiederkehr. Sie erwachte, ging ihren Depressionen nach und schlief wieder ein. Erst als sie bereits zum siebten Mal erwachte, durchzog es sie wie einen Ruck. Ob die Ebene wohl wirklich unendlich war? Sie hatte das doch noch gar nicht untersucht. Also ging sie los. Erst mutig voranschreitend, später immer schleichender. Die Erkenntnis beschlich sie, dass sie sich im Kreis bewegte, denn egal, wie lange sie wanderte, sie kam immer wieder und immer wieder bei dem weißen Bett an. Dann legte sie sich Schlafen und das Spiel begann von vorn. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie häufig sie schon erwacht und wieder eingeschlafen war. Mittlerweile empfand sie diesen Ort als Hölle. Auch wenn hier kein Fegefeuer brannte, quälte sie allein die Monotonie und Dunkelheit dieses Ortes. Und die Angst, für alle Zeiten diesen Kreislauf erleben zu müssen, jagte ihr Panikattacken ein. Sie wollte nicht länger hier sein, sah jedoch keinen Ausweg. Und was es ihr noch Unheimlicher zu Mute machte, war die Tatsache, alles zu vergessen, was sie je erlebt hatte. Es begann erst sehr schleichend und wäre ihr gar nicht aufgefallen, wenn sie nicht selbst angefangen hätte, krampfhaft danach in ihrem Kopf zu suchen. So musste sich Zoro gefühlt haben, als er damals Stück für Stück sein Gedächtnis verlor. Als sie wieder einmal erwachte, streiften ihre Finger das Bettgestell. Weißer Lack auf Eisen. Nein, es fühlte sich diesmal anders an als zuvor. Weißer Lack auf Holz. Immer wieder Strich sie darüber und setzte verloren gedachte Erinnerungen frei. Wo hatte sie das schon mal in den Händen gehalten, was sich genau so angefühlt hatte? Weißer Lack auf Holz. Auch in einer ähnlichen Form. Ein Stab? Nein, ein Schwert! Wadôichimonji! Ruckartig setzte sie sich auf, als wären alle Lebensgeister wieder in sie zurückgefahren. Noch einmal strich sie über das Metallgestell, aber das feine Gespürte in ihren Fingerkuppen kehrte nicht zurück. Sie musste sich etwas eingebildet haben, was nicht da war. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe, nur um einen erneuten Tränenfluss zu unterdrücken. Zoro war nicht da. Er war irgendwo weit weg. Das kannte sie schon von früher, wenn sie in Loguetown geblieben, aber Zoro mit den Strohhüten weiter gesegelt war. Zynisch hätte man auch sagen könne, sie war dort zurückgelassen oder ausgesetzt worden. Doch es war stets ihre Entscheidung gewesen, zu bleiben und nicht zu reisen, obwohl es diese zwei Optionen immer gegeben hatte. Also gab es da auch nichts zu meckern. Aber beide hatten sich immer wieder gesehen. Egal, wie lange sie getrennt waren. Diesmal würden sie sich nicht wiedersehen. Sie wusste nicht, wo sie war und wie lange sie schon hier war. Wie sollte sie hier gefunden werden? Wie sollte sie sich hier befreien? Wieder glitten ihre Finger über die weißen Stäbe. Wadôichimonji. Es hatte sich so real angefühlt, als hätte sie das Katana in den Händen gehalten. Sie wusste nicht, ob es die Gedanken an Zoros Schwert waren oder irgendetwas anderes, was sie aus dem Bett getrieben hatte. Sie sprang auf und rannte los. Es war ihr total gleichgültig, ob das Weglaufen nun einen Sinn machen würde oder nicht. Sie wollte zurück nach Hause. Zu Zoro und zu Taiyoko. Die Puste ging ihr nach einem kurzen Sprint schneller aus als erwartet. Vornübergebeugt stützte sie sich mit den Händen auf den Knien ab und japste. Erst als ihre Atemzüge sich beruhigt hatten, hob sie den Kopf und blickte um sich. Interessanter Weise hatte sie sich sehr weit von ihrem Bett entfernt und war wohl auch nicht im Kreis gelaufen. Und nun stand dort in der weiten Ferne etwas, was zuvor noch nie da gewesen war. Ein Schrank? Eine Käfig? Eine Tür! Das war mal sensationell neu. Mit frischem Forscherdrang marschierte sie auf das brandneue Objekt zu. Schnell kam sie näher und begutachtete es sorgfältig. Ein geschmiedeter Torbogen stand mutterseelenallein mitten auf der Nebelebene. Das Design war ihrem Bettgestell nachempfunden. Die Türklinke ließ sich herunterdrücken und die Tür schwang geräuschlos auf. Tashigi verstand nicht, welchen Sinn dieses Tor haben mochte, denn die Gitterstangen gaben den Blick durch das Tor frei auf die ihr schon seit geraumer Zeit bekannten Ebene. Es konnte also nichts dahinter versteckt sein, was es davor nicht auch schon zu sehen gab. Dennoch schritt sie durch das Tor und erschrak. Ein langer Weg mit Rindenmulch erstreckte sich in einer völlig neuen Dimension vor ihren Füßen. Eingerahmt wurde der Weg von hohen Buchenhecken. Ein Gärtner hätte wohl viel Mühe gehabt, die Heckenwände so schön kantig zu schneiden. Über allem strahlte im schönsten Azurblau ein Sommerhimmel mit bauschigen Schäfchenwolken. Tashigi ging mehrmals durch das Tor vor und zurück, konnte sie doch kaum glauben, was ihre Augen da erblickten, was ihre Fußsohlen da spürten, was ihre Nase an einer Sommerbrise roch. Wenn sie zurück in den Nebel ging, so war es nur ein einfaches Gittertor im Nichts. Doch wenn sie hindurch ging, so tat sich eine vollkommen neue Welt auf. Ohne lange Nachzudenken wagte sie den Schritt hinaus, was ihr wie eine neue Freiheit schien. Ihre Finger berührten das frische Blattgrün der Buchenhecke. Der unebene Boden stach in ihre Füße. Doch es war ihr alles egal. Auch, dass sie immer noch ihr Nachthemd trug. So lief sie los mit einer guten Laune, die sie sich nicht erklären konnte. Es war alles so unbeschwert. Der Buchengang knickte ab, hatte Durchbrüche in den Hecken und verzweigte sich in alle Himmelsrichtungen. Tashigi nahm in ihrem Freudentaumel überhaupt nicht wahr, wie sie immer tiefer und tiefer in ein Labyrinth hineingeriet, welches jeder Gesetzmäßigkeit trotzte. Es war einfach viel zu aufregend, was es dort alles zu sehen und zu entdecken gab. Hinter einer Ecke waren unglaublich viele Luftballons. Hinter der Nächsten erstreckte sich ein Gang voller duftender Rosen. Wie ein kleines Kind auf einem Geburtstagsparty taumelte sie von einer Entdeckung zur nächsten, und jede war für sich noch bunter, fröhlicher und verrückter als die vorherigen. Von allen Sinnen verlassen tanzte und lustwandelte sie weiter und weiter, bis sie zu müde wurde. In einer Ecke kletterte sie in ein Hängematte hinein und starrte erstaunt in den Himmel. Das Azurblau war einem Sternenhimmel gewichen. Es funkelte über ihre reiner als Tausende von Diamanten es je tun könnten. Sie konnte sich an dem Anblick gar nicht sattsehen und beschloss, bis zum Morgengrauen die Sterne zu beobachten. Es gelang ihr aber keine Minute länger, in die Sterne zu sehen. Kurzum fielen ihre Augen zu. Als sie wieder erwachte, erschlug sie förmlich die Tristes eines viel zu bekannten Ortes. Sie war wieder dort angelangt, von wo sie gestartet war: In ihrem weißen Bett. Hatte sie nur geträumt? Aber es fühlte sich doch alles so echt an. Es war so ein herrlich schönes Gefühl gewesen. So voller Lebensfreude und Wärme. Sie hatte dieses Gefühl schon einmal in ihrem Leben erlebt, doch sie konnte sich nicht erinnern. Wieder kam da dieser Kloß in ihrem Hals. Tashigi hatte ihr Leben immer eher pessimistisch eingeordnet. Aber da hat es wohl tatsächlich etwas gegeben, was ihr diese immense Freude bereitet hatte. Warum konnte sie sich nicht erinnern? Sie schnaubte einmal kurz auf, hatte sie doch der Ehrgeiz gepackt. Mit einem leichten Schwung warf sie die Bettdecke zurück und setzte sich auf die Bettkante. Wo kam dieses Gefühl schon einmal her? Sie grübelte und biss sich dabei auf die Unterlippe. Ihr Hände parkten rechts und links neben ihr, so dass sie unbewusst anfing, mit dem Oberkörper zu wippen. Dieses Gefühl … ihre Hände umklammerten das weiße Bettgestell und spürten den Lack. Dieser Lack... Es kam ihr schon beinah etwas zu blöde vor, wie sich die absurde Idee in ihrem Kopf festfraß, der Lack und das Gefühl könnten etwas miteinander zu tun haben. Vielleicht musste sie nur wieder die Tür finden und so auf der Sache auf den Grund gehen. Ja, das war eine super Idee! Kaum auf den Füßen gelandet, rannte sie wieder los mit dem festen Wunsch im Herzen, noch einmal dieses Labyrinth zu finden, dass ihr soviel Freude bereitet hatte. Und tatsächlich war das Tor wieder da. Allerdings hatte es sich verändert. Es wirkte nicht mehr so schlicht wie bei ihrem letzten Besuch. Es mochte eine Illusion sein, dass dort in dem Gittermuster noch mehr Glasblumen gewachsen waren. Sachlich-filigran war gestern, romantisch-mädchenhaft war heute. Voller Vorfreude riss sie die Tür auf, dass sie laut knarzte. Sie sollte nicht enttäuscht werden. Der pure Sommer stach ihr entgegen. Bunte Schmetterlinge flogen umher. Vögel zwitscherten lieblich. Ein Orchideenhain überwucherte gnadenlos einen schmalen Elfenpfad. Große, bunte Blüten verströmten einen betörenden Duft. Dem Irrgarten der Orchideen schloss sich ein Wassergarten an. Ebenso verwinkelt kreuzten sich hier kleine Kanäle, Rinnsäle, Kaskaden und Wasserfälle. Lilien, Farne und Moose umsäumten die Gewässer. Bunte Vögel flogen umher, und Tashigi freute sich, dass sie wohl doch nicht alleine schien. Die Paradiesvögel waren die ersten Seelen, welche sie seit ihrer Ankunft in dieser verrückten Welt kennengelernt hatte. Auf einer Steinbrücke rastend, verlor sich ihr Blick und ihre Gedanken in dem vorbeiströmenden Wasser unter ihr. Hey, da schwammen ja kleine Kois! Doch nach einer Weile wurde das Beobachten der Fische langweilig. Es zog sie weiter durch die langen Gänge und dimensionslosen Räume, wo jeder anders war als zuvor. Und kaum bog man um eine Ecke, war wieder alles brandneu. Ein Ziel schöner als das andere. Sie verlor sich zusehends und genoss es. Hier war doch alles so sehr viel schöner als da draußen in ihrem alten Leben, wo es nur Stress und Probleme gab. Und wieder verirrte sie sich tiefer und tiefer in das Labyrinth. Sie sollte noch viele Male durch den Irrgarten reisen, der ihr bei jedem Besuch immer größer und bunter erschien. Und mit einem Mal kam ihr eine ganz neue Erkenntnis: Das Labyrinth konnte allein durch ihre Wünsche beeinflusst werden. Da fingen Papageien an zu sprechen, Schokoladenguss tropfte wie Tau von den Blättern und immer bizarrere Landschaften quetschten sich in die Gänge. Tashigi hatte alle Hände voll zu tun, alle neuen Orte zu bereisen und alle Ideen unterzubringen. Mittlerweile vergaß sie, dass es alles nur ein Zauber war. Viel zu real fühlte sich das neue Leben an. Und es war großartig! Da war es fast schon misslich, jedes Mal aufs Neue in dem weißen Bett aufwachen zu müssen. Dort, wo alles so traurig und leer war. Was Tashigi nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass sie niemals wirklich über eine nebelverhangene Ebene und durch ein wandelbares Labyrinth streifte. Fern ab von allen bekannten Inseln schlief sie irgendwo auf der großen weiten Welt in einem Krankenzimmer einen ewigen Tiefschlaf. Ein künstliches Koma, aus dem es kein Entkommen gab. Verknüpft mit Maschinen, die ihr Sauerstoff und Nahrung gaben. Gepflegt von Menschen, denen sehr daran gelegen war, dass sich dieser Zustand auch niemals ändern möge. Kapitel 37: 37 - Nur zu Besuch ------------------------------ Der Wind hatte gedreht, und das nicht allein im meteorologischen Sinne. Namis Gesichtsausdruck wirkte ernst, wie sie dort oben beim Steuerrad auf dem Sofa saß, die Seekarte studierte und dann lange in den Himmel blickte. Alle Zeichen standen auf Sturm. Große, graue Wolkenfronten ballten sich gen Osten. Es würde ungemütlich werden. Vielleicht würden sie einige heftige Windböen auf sich nehmen müssen. Eine kräftige Regendusche war ihnen aber gewiss. Doch das aufziehende Unwetter war nicht der Grund, weshalb die Stimmung an Bord gekippt war. Der Wind, der sie immer gutgesinnt voran getrieben hatte, blies ihnen nun direkt entgegen. Eisig und unerbittlich. Seit der ersten Schlacht auf See vor wenigen Tagen waren sie von einem Gefecht ins Nächste geschifft. Und je näher sie dem Ende der Grandline hinzusegelten, desto erstaunlicher wurde der viele Schiffsverkehr. Man unkte schon untereinander, dass sie soviel Betrieb, wie sie hier in den letzten Tagen auf dem offenen Meer erlebt hätten, seit Beginn ihrer Reise vor gut sechzehn Jahren noch nie begegnet waren. Und egal, ob es sich nun um ein Passagierschiff, eine Fähre, ein Fischer, ein Händler oder ein Piratenschiff handelte: Sie alle waren feindlich gestimmt und bis an die Zähne bewaffnet. Noch ehe auch nur ein einziges Wort gewechselt oder auch nur der geringste Blickkontakt getauscht worden war, da hagelte es schon an allem, was man aus den Kanonenrohren feuern konnte. Die Angst hatte Überhand gewonnen und baute ihre Macht aus. Jede Auseinandersetzung zerrte an den Kraftreserven der Mannschaft. Da lag es nahe, die Wachposten auf der Sunny zu verstärken und sofort bei Feindkontakt jeglicher Berührung mit jenen aus dem Wege zu gehen. So umschifften sie im langgezogenen Zickzackkurs einen Konvoi nach dem anderen, was Luffy nicht wirklich schmeckte. Sein Kurs war schon immer geradlinig. Da passte Zickzack einfach nicht ins Weltbild. Dennoch gab er sich kommentarlos der Crew-Entscheidung hin, klang sie doch am Vernünftigsten, wenn sie zügig das Ring-Porneglyph erreichen wollten. Wobei „vernünftig“ aus einem Wortschatz stammte, welcher ebenfalls Luffys Weltbild nur im weitesten Sinne tangierte. Missmutig über die aktuelle Lage verbrachte er Stunde um Stunde entweder auf dem Löwenkopf der Sunny oder auf dem Sofa am Steuer. Selbst die albernsten Blödeleien, welche die Mannschaft aus reinem Zeitvertreib veranstaltete, ließen ihn ungewöhnlich kalt. „Schiff auf 8 Uhr!“, hallte es piepend aus dem Lautsprecher. Chopper verweilte oben im Krähennest, nervte Zoro mit dessen Schulterproblem, bis dieser sich einfach aus dem Staube machte, und suchte nebenbei die Horizontlinie mit dem Fernglas ab. Eigentlich hätte um diese Tageszeit laut Schichtplan Usopp hier oben sitzen müssen. Doch der reine Zufalle wollte es so, dass der Kanonier sich beim letzten Gefecht den Fuß verknackst hatte. Es war doch nicht seine Schuld, dass ausgerechnet auf seinem Fuß ein Angreifer landete, der sich vom gegnerischen Schiff an einem Seil herübergeschwungen hatte. Also, das hätte nun wirklich niemand erahnen können, argumentierte er und trieb die Geduld seiner Freunde an den Rand des Abgrunds. Sie schüttelten stattdessen nur seufzend die Köpfe und fragten ihr totkrankes Mitglied, ob es denn sein allererstes Nahkampferlebnis gewesen wäre... nach all den Jahren Piratenleben. Der Zynismus und der Mangel an Mitleid war nicht zu überhören. Usopp stöhnte und jammerte über diese höllischen Schmerzen, dass es Chopper angst und bange wurde, wieso denn seine sonst so perfekten Schmerzmittel bei Usopp nicht anschlagen wollten. Doch noch mehr grübelte das Rentier darüber, wieso der Schmerz öfters sprunghaft war. Er sprang zwischen dem rechten und dem linken Fuß hin und her. Alles sehr merkwürdig. Ein anatomisches Wunder. Zoro konnte bei der Geschichte nur mit den Augen rollen und wunderte sich das eine ums andere Mal, wie es das Rentier jemals geschafft haben konnte, ein medizinisches Studium zu absolvieren. Überhaupt war es nur ein Beweis mehr, dass Tiere keine Ärzte für Menschen werden sollten. Und Usopp hingegen kam mit seiner Blaumachlügerei nur deshalb um den Wachdienst herum, weil der, der den Schwindel in binnen Sekunden durchschaut hätte, nicht mehr von der Partie war. Trafalgar Law war samt U-Boot vor einigen Tagen abgetaucht. Er hätte alle Aale verschossen und bräuchte schnellstmöglich Neue. Die Fragezeichen über den Köpfen der Strohhüte glühten lange, wieso ausgerechnet in einer kriegerischen Situation Law an Fische dachte, bis Franky die Unwissenden einweihte: Aale wären im U-Boot-Jargon Torpedos. Und mit denen hatte die Heart-Piratenbande in der Tat nicht gegeizt und einiges an Schiffen auf den Grund des Meeres geschickt. Also winkte man kurz zum Abschied, als das gelbe U-Boot zwischen den Wellenkämmen in die Tiefe sank. Man würde sich bald wiedersehen, wurde untereinander vereinbart. Ausgenommen davon war nur Perona, die sich lieber in den Kampf um eine neue Immobilie anstelle eines Krieges stürzen wollte. Sie ließ sich von Law zur nächsten Insel mitnehmen, um dann wieder eigenen Wege zu fliegen. Ein harte Ruck ging durch die Sunny. Sanji hatte Choppers Ansage vernommen und riss am Steuerrad. Der Bug des Schiffes deutete nun nach Norden. Der kleine Punkt am Horizont verschwand aus aller Augen und man hoffte, unentdeckt geblieben zu sein. Wieder trug die Navigatorin den neuen Kurs auf ihrer Karte ein und überlegte kurz, als ihr Finger auf dem Papierbogen über ein bekanntes Eiland fuhr. Würden sie die Richtung beibehalten, dann würden sie direkt auf Rice Island zusteuern. Es wäre angesichts der geschrumpften Bordvorräte sicherlich keine schlechte Wahl, dort zu rasten, zumal es auf der geplanten Route lag und somit kein Umweg wäre. Dahinter würden sich nur noch einige wenige Seemeilen bis zum Ringporneglyph erstrecken. Nami schloss die Augen, ließ den Wind ihre Haarsträhnen verstrubbeln und ihre Wangen streicheln. Doch, der Wind war noch immer ihr Freund. So sanft er sie hier tröstete, konnte es gar nicht anders sein. Es war eher so, als wolle er sie alle warnen, nicht weiter zu segeln, weshalb er ihre Segel nicht so füllt wie sonst. Nur noch wenige Seemeilen. Man sagt, wer das One Piece zuerst finden würde, der dürfte sich Piratenkönig nennen. Sollte das nun tatsächlich passieren? Nami kamen all diese Gedanken so unrealistisch vor. Plötzlich waren sie am Ende einer langen Fahrt. Was käme dann? Den Tag, denn sie alle schon seit Jahren herbei gesehnt hatten, würde nun wie ein Donnerschlag über die Welt hereinbrechen und eine unaufhaltsame Lawine lostreten. Nur die Crew allein hatten den Schlüssel, nach Raftel zu gelangen. Vorausgesetzt, der besagte Schlüssel in Gestalt von Zoro würde sich auch daran zurückerinnern, wie er einst nach Raftel gekommen war. Die Navigatorin drehte ihren Kopf reflexartig herum, als sie das Geräusch einer knarrenden Tür hörte. Wenn man vom Teufel sprach. Zoro schlurfte von der Herrenkabine mit einem prallgefüllten Seesack über das Deck, verpasste dem Rasen ein unschönes Fußstapfenmuster und hielt schlussendlich bei der Laderaumluke. Dabei gähnte er so herzhaft, als hätte er noch nie in seinem Leben Schlaf gehabt. Man hätte wetten können, er hätte sicherlich die letzten vier Stunden in seinem Kojenbett verbracht, weil er auf dem Weg zum Spind vergessen hatte, dass er ja eigentlich nur in die Herrenkabine gegangen war, um seine dreckige Wäsche für die Waschmaschine abzuholen. Aber zu einem einladenden Bett hätte Zoro garantiert nicht „Nein“ sagen können. Zumal er in der Koje einen ausreichend großen Abstand zu Choppers Nervtöterei im Krähennest hatte. Kaum zu glauben, dass Luffys Schicksal in solchen Händen lag, wie in denen von Zoro. Wenn man den Hanyô so betrachtete, dann waren sämtliche Zweifel angebracht. Überhaupt würde man ihm, wenn man ihn in seinem Wachkomazustand antraf, wohl keinen großen Wurf zutrauen. Wenn er halbwegs ausgeschlafen war, sah das natürlich anders aus. Da nahm jeder Reißaus, der ihm über den Weg lief. Die Zeiten, wo ein Strohhut sich unerkannt unters Volk mischen konnte, waren lange gezählt. Nami wandte sich wieder von dem Hanyô ab, erhob sich und übernahm selbst das Steuerrad. Sanji hatte um Ablösung gebeten, da es bald Zeit für das Abendessen war und es einiges vorzubereiten gab. Geschwind und mit der typischen Eleganz verschwand er hinüber zu seiner Küche. Schon bald würden die ersten Düfte aus dem gekippten Fensterwehen und allen in die Nase steigen. Gedankenverloren starrte Nami hinaus auf die Wellen, wie sie sich aufbäumten und gleich wieder zusammenfielen. Wie sie miteinander in eine Richtung zogen und dann wieder dagegen. Ja, Rice Island wäre eine gute Verschnaufpause. Sie müsste es nur noch Luffy überzeugend beibiegen, obwohl der aktuell nicht in der Stimmung zu jedweder Konversation war. Nami getraute sich kaum, ihren Kapitän anzusprechen oder in gar anzusehen. Luffy saß nämlich ebenfalls auf dem Sofa. Und das schon seit Stunden. Wenn man es genau nahm, seitdem Zeitpunkt, seit er mit seinem Vater ein kurzes, aber entscheidendes Telefonat geführt hatte. Jedem war bekannt, dass die Armee der Revolutionäre vor Jahren aufgerieben und zerschlagen worden war. Erst seit einigen Jahren hatten sie sich neu formiert, aber weniger auf kriegerische Mittel, sondern verstärkt auf diplomatische Verhandlungen gesetzt. Dadurch hatte die Armee der Revolutionäre großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf den Blues erlangt, doch die militärische Kampfkraft war eher bescheiden geblieben. Nichts desto trotz hatte Luffy Dragon ein Angebot unterbreitet. Er schlug in seiner unbekümmerten Art einen seiner extrem einfachen Pläne vor. Einfach deshalb, weil Luffy grundsätzlich nur Lösungen und keine versteckten Haken oder Widersprüche an seinen Plänen sah. Er hatte die Idee und die anderen brauchten bloß mitzumachen, ganz gleichgültig, wie hoch der Preis dafür werden würde. Diesmal kam aber postwendend der herbe Gegenschlag. Sein Angebot, als Piratenkönig die Meer zu beherrschen, und die Revolutionäre die politischen Geschäfte von Marijoa aus zu regeln, wurden von Dragon dankend abgelehnt. Entweder alles oder gar nichts. Das hatte gesessen! Wer solch eine Familie hatte, der brauchte wahrlich keine Feinde mehr. Und Luffys Hände wussten bei dieser Antwort nicht so recht, ob sie den Teleschneckenhörer nun wütend zerquetschen oder ihn geschockt fallen lassen sollten. Er entschied sich dann aber für eine dritte Variante, indem er den Hörer so kraftvoll auf die Gabel warf, dass die Teleschnecke schmerzhaft aufschrie, und Doktor Chopper einen Riss im Schneckenhaus verarzten musste. Seitdem verweigerte die Teleschnecke beleidigt ihren Dienst. Das Telefon war vorerst tot. Und so krallte sich Luffy wutentbrannt die nächstbeste Zeitungsmöwe und schüttelte sie solange an ihrem fedrigen Halse, bis sie unter Folter einwilligte, Luffys frisch diktierte Deklaration in die Druckstelle mitzunehmen und zu vervielfältigen. Ohne Unkosten, versteht sich. Immerhin würden die Lettern nur eine einzige Zeitungsseite füllen, nämlich dass sich der Strohhutkapitän offiziell zum König der Piraten erklärte und alle diejenigen, die ihm einst Beistand gelobt hatten, zum Ringporneglyph bestellte. Man würde sehen, was eine Freundschaft wert war. Entweder würden mehrere Tausende an dem beschriebenen Ort aufkreuzen oder die Sunny würde sich ganz allein gegen Blackbeards Schergen behaupten müssen. One Piece hin oder her. Das alles war in den grauen Morgenstunden geschehen, wobei später niemand mehr zu sagen vermochte, was Luffy zu dieser Tageszeit umgetrieben hatte. Man munkelte schon, es wäre gar nicht er selbst, sondern nur eine perfide Täuschung oder ein kollektives Traumerlebnis aller gewesen. Doch all das Gerede seiner Crew scherte Luffy keineswegs. Voller düsterer Gedanken lümmelte er nach wie vor auf dem Sofa, hatte seinen Hut so tief ins Gesicht gezogen, dass man sein Gesicht nicht sah und schwieg wie ein Grab. Es sollte bloß keiner sehen, dass er heimlich vor blanker Wut geheult hatte. Schon zwei Mahlzeiten hatte er ausfallen lassen. Seine Freunde machten sich langsam, aber sicher ernsthafte Sorgen. Erschrocken fuhr Nami zusammen, als jemand ihre Finger berührte und im nächsten Moment sanft ihre Hände vom Steuerrad geschoben wurden. „Sollte die Navigatorin nicht aufmerksamer sein?“ Zoro schenkte ihr ein kurzes, schiefes Lächeln. Große erstaunte Augen blickten ihn an, als käme er von einem anderen Stern. Vielleicht kam er das ja sogar mit seinen grünen Haaren und seinen komischen Hokuspokus-Kräften, obgleich die Idee völlig absurd war. Nami hatte ihn nicht kommen hören, was wohl zum einen daran lag, dass er komplett lautlos wandeln konnte, aber zum anderen auch auf ihre Unaufmerksamkeit zu schieben war. „Sollte hier nicht einer das Schiff steuern, der weiß, wie man einen Kurs hält?“, konterte sie lachend zurück. „Das wirst du mir sicherlich per Kopfnuss mitteilen, wenn ich falsch abbiege“, lachte Zoro ebenso kurz auf, wandte dann aber seine Blick kurz hinter sich. Es war irritierend, wie angespannt die Mannschaft über das Ende der Fahrt dachte, aber wie gespielt leicht der Hanyô die ganze Angelegenheit wahrnahm. Zumindest konnte man dieses glauben, so unbekümmert und lax er dort am Steuer stand, und auf die Rückkehr der Navigatorin wartete. Jene hatte sich mit den Worten verabschiedet, dass sie nun Usopp ans Steuer prügeln würde. Wenn er schon meinte, er käme mit dem angeblich kaputten Fuß nicht die Leiter hoch ins Krähennest, dann könnte er es doch mindestens hier hoch ans Steuer schaffen. Diese faule Socke, keifte sie beim Weggehen und ward schnurstracks entschwunden, um den Nakama zu holen. Luffy hatte keinerlei Regung gezeigt. Wie eine Marmorstatue parkte er auf dem Sofa in einer undefinierbaren Sitzhaltung zwischen Sitzen und Liegen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und immer noch den Hut im Gesicht. „Was is` los, Piratenkönig?“, wurde es Luffy ganz ungeniert direkt an den Kopf geknallt. Eine Weile geschah gar nichts. Zumindest konnte Zoro keinen Laut hinter seinem Rücken ausmachen. Dann jedoch raschelte es. Ein Hut wurde zurechtgerückt und zwei starre Augen bohrten ihren Blick genau zwischen die Schulterblätter Zoros, so dass dieser sich umdrehte und das besah, was da wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa vegetierte. Da war ein blasses Gesicht mit dunklen Augenringen und geröteten Augen. Ein eindeutiges Zeichen von wenig Schlaf, wenig Nahrung und viel Depression. Was hat dich bloß so ruiniert? Zoro seufzte innerlich über die Antwort. Sie kamen Raftel immer näher und somit auch den Prismen. Jedes Wesen reagierte anders auf den Einfluss der Prismen. Schon damals hatte der Hanyô am eigenen Leibe die Feststellung erleiden müssen, dass das rote Prisma alle negativen Gefühle in Luffy entfesselte. Es war schlussendlich in eine heftige Prügelei zwischen beiden ausgeartet, woraus niemand als Sieger gegangen war. Der Einfluss auf Luffy und dessen sonderbares Verhalten schienen wohl eben wieder der Fall zu sein. Der etwas größer Gewachsenen hatte sich rücklings ans Steuerrad gelehnt, ganz gleich, wohin das Schiff nun segeln würde, und schaute auf den etwas kürzer Gewachsenen herunter. Und da war es wieder dieses Gespräch ohne Worte, was niemand außer den beiden verstand. Es bewirkte aber, dass sich Luffys Mundwinkel hochzogen und das abenteuerliche Blitzen in den Augen wieder entflammte. Er stand auf, so dass sie sich nun beide fast auf Augenhöhe ansehen konnten. „Ich hab Hunger!“, gähnte es aus Luffy heraus, der plötzlich auf dem Absatz kehrt machte und auf direktem Wege wie ein Gummiball zur Küche hopste. Zoro konnte nur amüsiert hinterdrein blicken und beobachtete eben so amüsiert, wie Luffy eine sehr verwunderte Nami mit Usopp im Schlepptau passierte. Vermutlich hätte die Navigatorin dort unten auf dem Rasen Wurzeln geschlagen, hätte Zoro sie nicht aus ihren Gedanken gerissen und in die Realität zurückgeholt. „Nami, ich glaube, wir fahren falsch ...“, grinste er über beide Ohren mit einem Unterton in der Stimme, der vor Sarkasmus nur so strotzte. „Was?! Wer hat DICH denn ans Steuerrad gelassen? Wir werden alle sterben!“, schrie Usopp panisch auf, wurde von einer Sekunde auf die andere wieder kerngesund und beinig und rannte zum Steuer. „Chopper, Usopp ist genesen ...“, höhnte es laut vom Hanyô übers Deck. „Ach, halt doch die Klappe!“, maulte Usopp ertappt. Mit einer eindeutigen Handbewegung und einen Schlag auf Zoros Oberarm, den dieser aber gar nicht registrierte, verwies er den Nakama aufs Sofa und übernahm selber das Ruder, die Verantwortung und noch so alles, was er Zoro niemals zutraute. Nami hatte zu den beiden Streithähnen aufgeschlossen, rollte wieder ihre Karte aus und pustete tief durch, da sie gar nicht so weit vom Kurs abgekommen waren, wie befürchtet. Am übernächsten Tage würde man Rice Island schon am Horizont bereits mit bloßem Augen sehen müssen. Ob man es glaubte oder nicht, der Rest der Reise bis Rice Island verlief dermaßen ruhig, dass es beinahe als zu ruhig empfunden wurde. Hinter der nächstbesten Welle müsste doch wieder ein Feind lauern. Aber da kam keiner aus der Brandung hervorgeschossen, und als dann die Sunny an der Kaimauer des kleinen Hafens anlegte, konnten sie den vorgefundenen Frieden kaum glauben. Nur wenige Fischerboote lagen vor Anker. Die, die noch an ihren Tauen festhingen, schaukelten sanft mit dem kaum merklichen Wellengang mit. Die tiefstehende Abendsonne überzog den Ort mit einem magischen Orangeton und ließ das Laub der Herbstbäume im Lichte wie Feuer brennen. Gemächlich ging ein Strohhut nach dem anderen von Bord. Chopper trottete Zoro müde hinterdrein. Usopp hatte es aufgegeben, den Kranken zu mimen und war zur Strafe verdonnert worden, den Proviant für die nächsten Tage aufzutreiben und auch noch seetauglich zu verladen. Mit einer langen Liste in der Hand kam er als Letzter auf der Pier an und blickte sich suchend um. Seit Jahren waren sie nicht mehr hier gewesen. Alles, was er noch über Rice Island wusste, puzzelte er nun wieder zusammen. Es war eine Frühlingsinsel, welche die Jahreszeiten sehr schnell durchlief. Eine Jahreszeit dauerte nie länger als gute drei Wochen. Das Logportaufladen hingegen nahm ganze drei Monate in Anspruch. Da konnte man nur froh sein, dass der Neue-Welt-Logport immer mehrere Ziele zur Auswahl anbot. Leider musste Usopp anhand der Gedächtnispuzzleteile auch feststellen, dass es hier keinen Markt oder einen Laden gab. Man musste von einem zum nächsten Bauernhof gehen, bei jedem Landwirt den Preis und die Ware aushandeln und alle seine Einkäufe dann mühselig zusammenkarren. Passend dazu musste man wissen, dass die Höfe nie in unmittelbarer Nähe lagen, sondern weit entfernt und vereinzelnd sich in die Landschaft einfügen. Die Langnase seufzte. In einen schönen Mist hatte er sich geritten. Er fragte in die Runde, wer ihn den begleiten möge. Immerhin wäre man dann schneller fertig. Zu seinem freudigen Erstaunen schloss sich Zoro seiner Gesellschaft an. Man machte sich auf den Weg, um die ersten Angebote einzuholen. „Was sollte das denn wieder vorhin?“, fragte Usopp seinen Begleiter auf ein Vorkommnis, welches er vorhin im Hafen beobachtet hatte. „Hm? Ich hab' gar nichts gemacht?“ „Ach, komm schon. Der Boden zu deinen Füßen wurde schwarz, als du ihn betreten hattest. Das heißt doch, du hast etwas gesehen? Wieder eine Vision?“, bohrte Usopp beharrlich weiter. „Bin mir nicht sicher...“ Natürlich war sich er sich total darüber sicher, was er gesehen hatte. Klar und deutlich. Jedoch wollte er sich erst einmal davon überzeugen, ob es auch tatsächlich so wäre, wie er es einschätzte. Da könnte Usopp ruhig noch etwas im Dunkeln tappen. „Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Was hast du gesehen?“ Usopp platze vor Neugier. Außerdem hatte es meist nie etwas Gutes gebracht, wenn der Boden sich zu Zoros Füße verdunkelt hatte. Und er wollte sicher gehen, in welcher Gefahr sie alle schwebten. Bei dem Elan, jemanden auszufragen, würden es ein nerviger Marsch werden. Zoro hatte abrupt angehalten und blickte verloren zu dem herbstlich gefärbtem Laub. „Es ist der Herbst.“ „Der Herbst? Was soll damit sein? Hier ist zweimal im Jahr Herbst.“ „Das ist es nicht. Der Herbst dauert hier schon seit vielen Monaten an.“ Nachdenklich setzten beide ihren Weg fort und linsten aus den Augenwinkeln in jede Ecke und Ritze. Usopp fühlte sich bestätigt: Wenn Zoros Hanyô-Kräfte spontan ansprangen, dann war etwas faul. „Ich will die Giraffe sprechen. Weißt du noch? Die Sprechende aus dem Tal der Bekloppten. Führst du mich dahin?“ Nun fiel bei der Langnase der Groschen, weshalb sich der Hanyô so spontan der Einkaufstour angeschlossen hatte. Niemals würde er mit seinem fehlenden Orientierungssinn den Weg zu Esra finden, obgleich es doch hieß, dass jeder Hanyô einmal dort landen würde, wenn er sämtlich Erinnerungen vergessen hätte. Zumindest hatte es die sprechende Giraffe Esra bei ihrem letzten Besuch so behauptet. Sie hatte sich als Aufseherin der Stadt vorgestellt. Also müsste sie es wohl wissen. Usopp wollte protestieren, weil er sich von Zoros vorgeschobener Hilfsbereitschaft verkohlt fühlte, entschied sich dann aber doch dafür, seinen Freund an den gesuchten Ort zu geleiten. Es war schon finsterste Nacht, als sie den Wegweiser erreichten, der in den Himmel zeigte anstelle auf einen der vielen sich abzweigenden Wege. Ein Einwohner schien sich an ihm gestört zu haben, weshalb er mit einer Kette aus Klorollen verschönert worden war. Natürlich ging die Wegbeleuchtung nicht, denn die Windlichter waren geflutet worden und alle Kerzen im Glas standen unter Wasser. „Ich glaube, hier sind wir richtig. Was willst du von der Giraffe?“ Sie streunten beide schweigend durch die Stadt, die eigentlich gar keine war. Halbfertige Mauern standen sinnlos in der Gegend herum. Treppen führten ins Nichts. Fenster waren vermauert. Ein Fuchs saß eingesperrt im Hühnerhaus und die Hühner flatterten aufgeregt umher. Jemand hatte den Apfelbaum mit Weingummikirschen geschmückt. An einem zweiten Apfelbaum hingen Lichterketten und Glaskugeln. Mitten auf einer Kreuzung stand eine Toilette. Kois schwammen darin herum und wollten herausspringen, wenn man den Deckel anhob. Einer der Höhepunkte aber waren wohl die langen Nudeln, welche zum Trocken mit Wäscheklammern auf einer Leine aufgehängt worden waren. Die Liste an Kuriositäten war schier endlos. Seit dem letzten Besuch vor einigen Jahren hatte der Ort seinen durchgeknallten Charme kein Stück verloren. Nur eine ganz entscheidende Sache war anders: „Wir sind total allein“, merkte Zoro an und Usopp nickte eifrig, dass er diesen Umstand bereits bemerkt hatte. Ein großer Platz, welcher relativ zentral gelegen schien, tat sich vor ihnen auf. In der Mitte stand ein Kartenhaus umgeben von einer Bauklotzmauer. Das Spielzeug war so groß geraten, dass ein erwachsener Mensch problemlos dort drin hätte hausen können. Der Hanyô sprang elegant auf die erste Klötze, folgte dem treppenartigen Mauerverlauf bis nach oben und blickte sich zu allen Seiten um. Usopp, seines Zeichens Angsthase, hatte es nicht am Fuße der Mauer gehalten, sondern hatte den selben Weg wie sein Nakama eingeschlagen. Immer schön zusammenbleiben! „Esra?!“, rief Zoro kurz, aber kraftvoll in die Stadt und die Nachtstille hinein. Seine Stimme hallte von den Bergen wieder. Das Echo dröhnte noch lange im Tal nach. Doch die gesuchte Giraffe musste wohl aus ihrem Stadtstall ausgerissen sein. Sie war nirgends zu sehen. Noch einmal rief er ihren Namen aus, doch das Ergebnis blieb dasselbe. Die beiden Piraten wollten schon wieder gehen, als man Stroh rascheln hörte. Suchend drehten sich beide wieder um die eigene Achse, um die Ursache des Raschelns ausfindig zu machen. Tatsächlich war dort zwischen den Häusern ein großer Strohhaufen auszumachen, der sich plötzlich in die Höhe schob. Usopp kreischte und klammerte sich mit seinem üblichen Schraubstockgriff in Zoros Arm fest. „Irgendwann wird dieser Arm mangels Blutzufuhr blau anlaufen und abfallen. Woran wirst du dich dann bloß festhalten?“, entfuhr es dem Gepeinigten. „Du hast doch noch einen Zweiten...“ „Das war eben der Wink mit dem Zaunpfahl, der hieß: LASS LOS!“ Zoro schüttelte Usopp in üblicher Manier ab und konnte sich nun endlich wieder dem Strohhaufen zuwenden. Freudig konnte er feststellen, dass er die Giraffe gefunden hatte. Sie lag gut eingekuschelt bis zum Bauch im Stroh, dann ragte ihr langer Hals heraus und oben auf dem Kopf thronte ein letztes Strohbüschel wie eine gelbe Krone. Verschlafen sah sie die beiden Gäste an. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit und ihr Geist an die vorgerückte Nachtstunden gewöhnt hatten, war sie schlagartig wach. „Was machst du hier? DU bist noch nicht dran, Roronoa Zoro. Hast du das letztes Mal nicht kapiert?“, blaffte sie den Hanyô an. Zoro hingegen hatte die Arme vor der Brust verschränkte und dachte gar nicht daran, auf diese Provokation einzugehen. „Ich bin auch nur zu Besuch. Wo sind die alle hin?“ „Abgehauen“, blaffte es weiter, und Usopp machte eine Mimik, dass sie beide da wohl vorher schon selbst drauf gekommen wären. Der Hanyô grinste in sich hinein, trat gelangweilt einen kleinen Klotz von der Mauer und erhob dann wieder seinen Blick zur Giraffe. Man sah ihr buchstäblich an, dass ihr das nächtliche Aufkreuzen der beiden Piraten äußerst unangenehm war. Plötzlich erhob sie sich, dass die Halme nur so flogen, schob den Hals lang wie einen Rammbock nach vorn und schnaufte. „Das weißt du doch alles ganz genau. Du, der du der Einzige bist, der jemals dem Fluch entkommen und alles Vergessene wiedererlangen konnte. Du, der doch das rote Prisma einst hattest!“ Wütend blähte die Giraffe die Nüstern. Von Gastfreundschaft war man weit entfernt. Sie setzte sich in Bewegung. Langsam, aber mit großen Schritten, stapfte sie voran, zermalmte Steinmauern unter ihren Füßen und hielt ihren Kamikaze-Kurs auf die beiden Piraten bei. „Willst du jetzt noch deine Frage stellen, bevor wir zu Tode getrampelt werden? Oder sollen wir lieber gleich gehen?“ „Mit Giraffen kennen wir beide uns doch besten aus, oder etwas nicht?“ grinste Zoro zurück. Es war diese diabolische Grinsen, wenn der Spaß am Kampf entfachte. Wenn das schwarze Kopftuch um den Kopf geknotet wurde und wenn die Hände schon siegessicher auf den Schwertgriffen ruhten. Dann sprang er plötzlich los. Es war nur ein Angriff. Ein Schwertstreich genügte, um den Lauf der Giraffe zu stoppen. Sie schrie wie ein geschundenes Monster auf und sackte in die Knie. Dabei rauschte ihr Hals samt Kopf hernieder, begrub eine Häuserzeile unter sich und machte ordentlich Lärm und Staub. Usopp, der eben noch auf der Klotzmauer stand, wurde von der Wucht von den Füßen gezogen und segelte in das Kartenhaus, mit welchem er zusammenbrach. Zoro, nach dem Angriff nun frisch auf seinen zwei Beinen gelandet, holte zum nächsten Schlag aus, denn Esras Wut war nun entbrannt. Sie hob ihren Kopf an, nur um mit ihm einer Fliegenklatsche ähnlich, den Pirat zu erschlagen. „Du hast den Kreislauf durchbrochen und alles zunichte gemacht. Du ...“, schnaubte sie weiter und hieb ihren Kopf auf den Boden, um den Piraten zu erwischen. Wieder flog Staub auf, und Krach hallte durch das Tal. „Das interessiert mich alles nicht. Ich will nur eines wissen. Die Einwohner ohne Erinnerungen. Das sind doch allesamt diejenigen mit den grünen Augen, oder etwa nicht? Wer hat die aufgeweckt?“ Ein Geschoss donnerte mit einer grellroten Leuchtspur an Zoros Kopf vorbei und explodierte vor Esras Nase. Ein großes Fangnetz breitete sich über dem Tier aus und zurrte es am Boden fest. „Das solltest du vielleicht lieber die Weltregierung fragen. Ach wie dumm. Die hast du ja neulich schon getötet.“, spielte die Giraffe mit einem bitteren Tonfall auf Yurendas Tod an. „Du bist echt armselig.“ Was sie nun genau an Zoro armselig fand, blieb ein Rätsel. Beleidigt klappte sie die Ohren flach an und die Augen zu. Dabei zog sie eine Schnute wie sieben Tage Regenwetter. Ihr großer Kopf ruhte nun entspannt auf der Erde. Der Hanyô störte sich nicht weiter an ihrem Gemütszustand. Mit ausgestrecktem Arm legte er eines seiner Schwerter der Giraffe dort an den Hals, wo das Ausbluten nicht lange dauern würde. Das Tier schnaubte noch einmal verächtlich zum Zeichen, dass es keine Angst vor seinem Tode hätte und Zoro so auch nicht an seine Informationen käme. Allmählich hatte Usopp sich aus Schutt und Staub gänzlich befreit, Kabuto wieder auf dem Rücken verschnallt und sich zu seinem Mitstreiter gesellt. Nachdenklich sah er auf die Giraffe und kam dann zu dem Entschluss, dass es hier eine Patt-Entscheidung wäre und somit auch nichts mehr zu holen gäbe. Das Tier würde auf stur schalten oder den Tod wählen. Ein kurzer Blickwechsel zwischen beiden Piraten folgte, und sie machten auf dem Absatz kehrt. Solle die Giraffe doch selber zusehen, wie sie aus Usopps Fangnetz wieder entkommen könnte. Immerhin war sie es doch, die unkooperativ gewesen war. Schnellen Schrittes verließen sie das Tal der Bekloppten, welches nun leer war. Ihr Schritten halten merkwürdig laut in der Dunkelheit. Selbst als Zoro seine Schwerter im Gehen wieder in ihre Scheiden zurückschob, hörte man das feine Schleifgeräusch. Es war pechschwarz. Man sah weder die Hand vor Augen, noch den Weg vor den Füßen. Und obwohl die Sterne über ihnen funkelten, gaben sie keinen Lichtstrahl ab, der ihnen hätte leuchten könnte. Usopp jammerte über die Dunkelheit und dass er sich schon zweimal auf die Nase gelegt hatte. Bestimmt wäre sie gebrochen. Oder mindestens verbogen. Zoro lachte kurz auf. Usopp konnte auf seine ganz eigene Art sehr anstrengend und nervig sein. Manchmal wünschte man sich einen Reißverschluss für sein Mundwerk oder ihn komplett auf einen anderen Stern. Doch wäre er nicht mehr da, würde einem wohl sicherlich dennoch etwas fehlen. Und so stolperten sie vorwärts durch ein weiteres Tal, welches sich gerade an das Alte anschloss. Nachdem sie einen hohen Bergkamm erklommen hatte, konnte man auf der anderen Seite des Berges wieder in das Tal sehen, in welchem ihr Piratenschiff an der Kaimauer vertäut war. Schwach erhellten die Laternen vor den Häusern den Weg. Einen Moment beobachteten sie schweigend die Idylle. Langsam zog Zoro sich sein Kopftuch herunter, entwirrte es und knotete es wieder sorgfältig am Oberarm fest. Usopp nahm die Jammerei wieder auf, als im bewusst wurde, dass er seine Proviantliste so gut wie gar nicht abgearbeitet hatte. Das würde wieder eine Spießrutenlauf in der Crew werden. „Ich hab's gesehen. Als ich die Insel betrat, hab ich es gesehen. Wie ihr Augen grün wurden und sie alle samt wie die letzten Zombies durch das Tal zogen und über das Meer liefen“, klärte Zoro nun endlich Usopp über dessen Frage auf, welche er auf dem Hinweg gestellt hatte. Und seit einer sehr langen Zeit war die Langnase zur Abwechselung mal sprachlos. Kapitel 38: 38 - Übers Meer --------------------------- Langsam, fast schlendernd, setzten die beiden Piraten ihren Weg fort. Es ging gemächlich den Berg hinunter ins Tal. Der schmale Trampelpfad über den Bergpass hinweg hatte sich zu einem befestigten Weg verbreitert und geebnet, so dass man gut vorankam und entspannt nebenher laufen konnte. Durch die Dunkelheit, die ihre Umrisse gänzlich verschluckte. Durch das raschelnde Herbstlaub zu ihren Füßen, welches aufflog, sobald sie ihre Schritte durch dieses zogen. Durch die klare Nachtluft, die so reinigend durch sie strömte, als wäre es der letzte Friede auf Erden. Durch den silbernen Sternenglanz, der den Erdboden fast nicht mehr berührte. Durch welke Blätter in der Luft, die im Wind ihren letzten Tanz vollführten. Es war, als würde sich eine altbekannte und vertraute Welt von allem verabschieden. Eine seltsame Stimmung ergriff beide, aber jeden auf seine ganz eigene Art. Die aufkommende Brise umhüllte sie und brachte Melancholie mit sich. Sie sprachen kein Wort miteinander, war doch jeder für sich gedanklich mit sich selbst beschäftigt. Der eine mehr, der andere weniger. Zoro hatte wenig Verständnis dafür, weshalb Usopp vor sich hergrübelte, als gäbe es die letzten Rätsel der Menschheit zu lösen. Da waren noch zu viele Ungereimtheiten, die keinen Sinn ergaben, wenn man die Fakten so aneinanderreihen würde, wie man sie nacheinander durchlebt hatte. Er spürte jedoch, dass er der Lösung schon haarscharf auf der Spur war. Vermutlich lag sie schon direkt vor ihm in greifbarer Nähe, doch es fehlte die nötige Armlänge, um zuzuschnappen. Usopp hingegen konnte nicht verstehen, weshalb Zoro so gelassen blieb, als wären sie auf einem Wochenendtrip mit Picknickpause. Entweder nahm er die ganze Sache nicht ernst oder er hatte den Verstand komplett verloren. Vermutlich beides. Das Hirn der Langnase lief auch Hochtouren. Es hatte eine Flut an neuen Erkenntnissen gegeben, die allesamt nicht in seinen Schädel wollten. Also begann er noch einmal alles von Anfang an zu sortieren. Da waren die ganzen Grünhaarigen, welche wie der Begleiter an seiner Seite dasselbe Schicksal teilten. Allesamt Kalis Kinder, wie man sie so in der Bevölkerung schimpfte. Diese waren, wenn nicht bereits von der Weltregierung vor Jahrzehnten ermordet, durch den Verlust all ihrer Erinnerungen hier auf Rice Island gestrandet. Von hier aus kämen sie auch nie wieder weg, weil sie ja eben ihr Gedächtnis verloren hatten. Bei Zoro war das damals ähnlich verlaufen. Auch er hatte mehr und mehr Lücken in seinen Erinnerungen aufgewiesen. Aber er war dem Ganzen entkommen. Die Giraffe hatte wütend davon gesprochen, er hätte den Kreislauf durchbrochen. Es klang, als wäre etwas schlechtes passiert. Als wäre ein perfider Plan gescheitert. Was meinte sie damit? Wer steckte dahinter?Lag es an Tashigis Buch, was Zoro alles ins Gedächtnis zurückgerufen hatte? Oder lag es an dem roten Prisma, was ihn vor Unheil bewahrte? Je mehr ein Hanyô von seinen Hokuspokus-Kräften Gebrauch machte, desto mehr vergaß er. So oft, wie Zoro in den letzten Jahren durch das Zwielicht gewandelt war, hätte der schon längst auf Rice Island landen müssen. In den letzten Tagen hatte er diese Kraft mehrmals angewandt. Da hätte sein Hirn schon total blank ziehen müssen. Wieso war das eigentlich noch nicht passiert? Und warum fragte Zoro die Giraffe, wer denn die ganzen Gedächtnislosen aufgeweckt hätte? Was wusste der schon wieder, was alle anderen nicht wussten? Fragen über Fragen. Usopp hätte an Ort und Stelle ausrasten können, nur um diesen Druck loszuwerden. Nur einmal die Lungenflügel mit dieser frischen Brise gelüftet und kräftig in die Nacht geschrien. Dabei wäre er wie ein Gummiball in die Höhe gesprungen und hätte alle Viere von sich gestreckt. Es brannte in ihm wie in einem Pulverfass kurz vor der Explosion. Welchen Plan verfolgte Zoro? Es konnte eigentlich nur eine Antwort geben, und die entsetzte Usopp. Abrupt blieb er wie angewurzelt stehen und starrte Zoro fassungslos an, als würde er ihn hier und jetzt zum allerletzten Male sehen. Aber er brauchte Gewissheit, dass seine Fantasie nicht mit ihm durchging und wilde Hirngespinste produzierten, die allesamt total falsch waren. „Wie viel weißt du noch?“ „Was issen mit dir los?“ Zoro fühlte sich von dem plötzlichen Redeschwall völlig überrumpelt. Eben war es noch so schön ruhig gewesen. Nur der Wind hatte mit ihm gesprochen. Die Laubblätter hatten untermalend gerauscht. Es klang fast schon wie die Meeresbrandung zuhause am Leuchtturm in Loguetown. Zuhause. Das war wahrlich ein erstrebenswerter Ort. Nie hätte er gedacht, dass er einen wildfremden Ort, mit dem er nie zuvor etwas verbunden hatte, ein Zuhause nannte. Tashigi und Taiyoko hatten wirklich gute Arbeit geleistet, ihn so sehr zu vereinnahmen. Der Leuchtturm war so ein bisschen wie die Kerze auf dem Wasser, die einem den Weg nach Hause leuchtete. Dort angekommen, schmiss man die Haustür hinter sich ins Schloss und der Rest der Welt mit all ihren nervigen Problemen blieb draußen vor der Tür. Aber Zuhause war weit weg. Also verabschiedete er sich geistig von seinem Ort der Ruhe und Harmonie und akzeptierte die Realität in Form des plaudernden Freundes. Er drehte sich zu Usopp um und musterte seinen aufgeregten Nakama. Doch die Nachtschwärze verschluckte dessen Mimik. Man konnte nur erahnen, wie es gerade um seinen Gemütszustand bestellt war. „Beantworte die Fragen! Wann hast du Geburtstag? Wie heißt dein Kind?“ Usopps Stimme überschlug sich beinah vor Aufregung. Irgendetwas Merkwürdiges musste ihn in gefahren sein, wenn er sich so, wie von der Tarantel gestochen, aufführte. „Am 11. November und meine Tochter heißt Taiyoko“, antwortete Zoro brav, doch Usopp war noch nicht zufrieden. „Tashigis Augenfarbe?“ „Braun.“ „Was gab es vorvorgestern zum Mittagessen?“ „Reiscurry. Boah, Usopp, die nervst!“ Ruhe und Harmonie, hallte es hinter Zoros Stirn wider. Der eine Weg zur Harmonie lautete der Name seines Lieblingsschwertes. Vielleicht sollte er Usopp mit Wadôichimonji eine Maulschelle verpassen, auf dass dieser wieder Schweigen würde. Schnell schob er diesen garstigen Einfall wieder zurück in die Gedankenkiste voller Schweinereien und Boshaftigkeiten. Er wandte sich wieder zum Gehen. Noch in seiner Drehung fiel allerdings der Groschen, was Usopps Ambitionen gewesen zu sein vermochten. Also drehte er sich wieder zurück und blickte Usopp direkt ins Gesicht. „Du glaubst, ich würde wieder alles vergessen oder verschwinden, stimmt's?“ Usopp wich dem Blick aus. Obwohl es pechschwarz um sie herum war, spürte er, wie er geradezu von Zoros rechtem Auge durchbohrt wurde. Es war ein äußerst unangenehmes Gefühl, welches es sofort loszuwerden galt. Ein einseitiger, kleiner Streit eskalierte, bei welchem Usopp hitzige Vorwürfe und Fragen seinem Gegenüber an den Kopf pfefferte. Doch dieser schien mit einer unendlichen Geduld jedes Wort und jede Emotion zu absorbieren. Und hätte sie die Nacht nicht nach wie vor gefangen gehalten, Usopp hätte Zoros mitleidigen und entnervten Gesichtsausdruck ernten müssen. Nein, so kamen sie beide kein Stück weiter. Usopps Hartnäckigkeit gegen Zoros Verschlossenheit war noch nie eine Schlacht gewesen, die die Langnase zu Sieger kürte. Erst als der Hanyô seinen Freund bat, ihm noch einmal die Kristallegende zu erzählen, änderte sich die Stimmung. Usopp war durch diese Bitte vollkommen aus dem Konzept geraten und verlor den roten Faden, der ihn durch seinen Argumentationskette führen sollte. Also rief er sich die Legende wieder in Erinnerung und fasste das Nötigste noch einmal für Zoro zusammen. Dabei rügte er ihn, in der Haibara Klinik einfach eingeschlafen zu sein, als es um wichtige Informationen ging. Die Legende erzählte vom Regenbogenkristall. Zwei göttliche Schwestern stritten sich. Die eine verfluchte den Kristall, wodurch die Welt in Dunkelheit versank. Die andere versuchte den Fluch zu brechen, fiel aber immer wieder zwischenzeitlich in den Tiefschlaf. Dadurch entstanden auf der Welt die Jahreszeiten. Eine Wächterin hatte mit der Welt Mitleid, zertrümmerte den Kristall und hinterließ neben unzähligen Splittern drei Hauptsplitter, die sie an drei Beschützer verteilte. „... an drei Beschützer verteilte.“, wiederholt Zoro langsam diesen letzten Satz und gab Usopp einen Denkanstoß, ob da seine Mühlen im Kopf nicht schnell genug mahlen würden. Die nötige Fantasie für Verschwörungstheorien unterstellte er ihm ausnahmslos. Oh ja, Usopp war nun wieder in seinem Element und ordnete seinen Fragenkatalog neu. Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Dass er da nicht schon selber darauf gekommen wäre. Die Splitter des Regenbogenkristalls könnten ein Synonym für die drei Prismen sein. Das würde ja auch Sinn machen, nach allem, was sie schon in Erfahrung bringen konnten. Allerdings taten sich im gleichen Atemzug neue Fragen auf. Mit all diesen wirren Dingen im Verstand näherten sie sich unaufhörlich der Sunny und dem, was Usopp erst einmal erwarten würde. Es wurde sogar noch schlimmer, als Usopp es prophezeit hatte. Nami waren sichtlich genervt von der Unfähigkeit der beiden Mitstreiter, die Crew mit ausreichend Proviant einzudecken. Ihre Gardinenpredigt leierte endlos laut und schrill über beide Häupter hernieder. Während Usopp in den verbalen Gegenangriff startete, saß Zoro unbeteiligt da, verschränkte die Arme gewohnt lässig vor der Brust und wartete den keifenden Monolog der Navigatorin ab. Es erweckte fast den Anschein, als würde er die ganze Situation augenblicklich im Tiefschlaf an sich vorüberziehen lassen. Als er sich aber plötzlich und unerwartet erhob, wäre es vielleicht noch nichts Außergewöhnliches gewesen, denn jedes Crewmitglied konnte gehen, wie es ihm beliebte. Aber die Aussage danach ließ alle Augenpaare auf Zoro schnellen und alle Stimmen verstummen. „Können wir endlich weiterfahren?“ „Weiterfahren? Hast du nicht alle Latten am Zaun? Keine der drei Logportnadeln ist aufgeladen“, meckerte es umgehend von Nami, die sich innerlich an den Kopf fasste. Sie hatte sich noch nicht wieder so ganz fassen können nach ihrem Rügenmarathon. Und Zoro setzte mit seiner Frage noch dem Ganzen die Krone auf. Herrschaftszeiten, wie lange schipperte sie denn mit diesen Menschen, die sie Crew nannte, schon über die Meere? Da müsste man doch mal irgendetwas mitbekommen haben, wie es um die Navigation eines Schiffes bestellt war. Es kam kein Kommentar seitens Zoro zurück. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen. So verschwand er durch die Tür und der Rest stürzte hinterher. Man war erst sehr verwundert, wo der Freund den abgeblieben sein müsste. Da er nur wenige Sekunden vor ihnen hinaus getreten war, hätte er doch irgendwo auf dem Deck zu sehen sein müssen. Suchend blickte man sich um. Luffy sprang auf die Reling, balancierte auf ihr um die Hälfte der Sunny herum und verharrte plötzlich. Dann stand er da und starrte ungläubig aufs Meer. „Ich hab ihn gefunden!“, kam es so ruhig wie man es selten aus Luffys Mund hört. Die Mannschaft versammelte sich beim ihrem Captain und folgte seiner Blickrichtung. Und dort weit draußen auf dem Meer, welches so ruhig und glatt war, wie sie es noch nie gesehen hatten, stand ihr Nakama. Seelenruhig und wartend. Umgebend von einer grünlichen Aura. Einem floralen Bannkreis zu den Füßen. Mitten auf dem Wasser. So, als wäre es das Natürlichste der Welt, übers Wasser zu laufen. Es wurde hektisch an Bord der Sunny. Der Anker wurde gelichtet, die Segel gesetzt. Die Turbinen zur Unterstützung in Gang gesetzt, sollte der Wind sie im Stich lassen. Doch kaum waren die Segel gesetzt, füllte die Brise das Segeltuch prall aus und schob die Sunny so schnell aufs Meer hinaus, dass Franky Mühe hatte, die Taue von der Pier zu lösen und noch an Bord zu kommen. Luffy rettenden Gummiarme zogen den Cyborg an Bord. Die Aufholjagd hatte begonnen. Zoro hatte sich entschieden. Während seines letzten Schlafes war der Entschluss quasi im Traum gefasst worden. Kaum hatte er die Augen geschlossen, nahm das Schicksal seinen Lauf und es stand eine Gestalt vor ihm, die er schon fast vergessen hätte, weil er sie seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hatte. Und es lag schlichtweg daran, dass dieser Gestalt schon ein gutes Dutzend Mal ihren Todestag hätte gedacht werden können, hätte sich irgendjemand an sie erinnert. Zoro seufzte genervt, rieb sich in seinem Traum die Augen und warf einen mürrischen Blick auf das kleine, fledermausköpfige Wesen in blauer Robe vor sich. Nein, das Wesen verschwand nicht. Es war wirklich da. Und der Traum hörte auch nicht auf, obgleich in Zoro sofort ein mulmiges Gefühl aufstieg, dass an der Begegnung etwas faul sein könnte. Bei allem, was er seit seinem zweckgemeinschaftlichen Bündnis mit Luffy erleben musste, war diese nächtliche Eingebung nur noch das Ende einer langen Reihe an Irrungen, Wirrungen und Verkettungen unglücklicher Umstände. Es konnte gar nicht bizarrer, verrückter oder mystischer mehr werden, als es die ganze Reise eh schon war. Daher blieb Zoro sichtlich gelassen und hatte schon fast einen Hang zur Egalität entwickelt. In dieser Phase des Schlafes setzte er sich müde in den Schneidersitz auf und war nun auf Augenhöhe mit Kivi, der über einen gefühlten Meter an Körpergröße nie hinausgewachsen war. Wache Augen beobachteten sein Gähnen, wie er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr und sich kurz einmal kräftig streckte. „Was machst du in meinem Kopf? Bist du nicht schon lange tot?“, fragte er trocken. Kivi senkte sein Haupt beschämt zu Boden und suchte nach einem Anfang, sein Anliegen zu erklären. Der einst blaue Prismenträger schien sprachlos verstummt zu sein, wo er doch durch das blaue Prisma auf eine allwissende Stufe erhoben worden war. Doch bei dem, was Kivi sagen wollte, war kein analytisches Denken oder nüchterner Sachverstand gefragt. Hier ging es um das Abwägen der richtigen emotionalen Worte. Eine Fähigkeit, die Kivi in allen Zeiten, wo er über das blaue Prisma wachte, verlernt hatte. Gefühle. Das war etwas für einen Beschützer des roten Prismas. Und das hatte Kivi nie besessen. Er gab sich einen Ruck und wählte die absolute Direktheit. „Wir haben dich alle belogen...“, nuschelte es aus ihm heraus. „Das weiß ich. Und darum versaust du mir jetzt meine REM-Phase?“ „Du bist ja richtig schlau!“, stellte Kivi fest und wollte es auflockernd meinen, setzte aber den falschen Ton an und wurde gründlich missverstanden, wie Zoro blitzschnell die Fledermaus am Kragen packte und drohend deren Luftzufuhr verringerte. Zoro war nicht nach Scherzen zumute, zumal er für seine These, dass die ganze Geschichte über die Prismen zum Himmel stank und generell eine riesengroße Lüge sein musste, nun auch noch Gewissheit bekam. „Fass' dich kurz!“ zischte er Kivi an, fixierte ihn mit seinem Auge, welches im übelsten Höllenrot leuchtete und löste seine Hand wieder von der Robe. Wenn ihm überhaupt irgendetwas klar geworden war in der Vergangenheit, dann war es die Tatsache, dass der ganze Spuk bitte einfach nur noch aufhören sollte. Und zwar sofort. Oder noch besser bereits gestern. Dann könnte man weiterhin nur so zum Spaß und aus reiner Abenteuerlust heraus kreuz und quer über die Grandline segeln und immer wieder mal zwischendurch nach Hause fahren. Dass man gegen seine Gene nicht sonderlich viel ausrichten konnte, ließe sich akzeptieren, aber die ganzen Hobbyintriganten und Freizeitverschwörungstheoretiker sollten dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst, und ihn nicht weiter für deren Ambitionen missbrauchen. Obgleich er selbst in seinem Traum hundemüde war, schnaubte er einmal energisch und wartete ungeduldig auf das, was da nun kommen möge. Noch immer durchbohrten Kivis Augen den Fußboden, als könnte sich dieser dadurch zu einem Spalt öffnen und Kivi selbst darin verschwinden. „Die Legende stimmt. Die Prismen sind nichts anderes als die Splitter des Regenbogenkristalls. Sie suchen sich ihre Träger nicht aus, sondern wurden von der göttlichen Wächterin versteckt bei Menschen, denen sie vertraute. Sie liegen in den Blutlinien und werden immer weitervererbt. Von Generation zu Generation. Alles andere ist dazugedichtet und gelogen.“ Kivis Fußspitze rührte nervös Kreise auf dem Boden, während er weiter nachdachte. „Wir haben die Splitter damals nur wieder zusammengesetzt, aber im Endeffekt bleiben sie praktisch immer in ihren Linien. Es sei denn, die Linie gibt es nicht mehr. Dann sucht ein Wächter eine neue Linie.“ „Und wieso hatte Yurenda dann das rote Prisma?“, fragte Zoro und war überrascht von sich selbst, wie gleichgültig und gefasst er der Situation begegnete. Man hätte auch gepflegt ausrasten können, aber das lag dann wiederum nicht in seiner Natur. „Sie hatte Teufelskräfte, die in den genetischen Code eingreifen konnten. Daher hatte sie jahrelang deine Vorfahren unter Kontrolle. Aber bei dir hat das ja dann alles nicht mehr funktioniert, weil du ja ein Hanyô bist und die Teufelskräfte aufheben kannst.“ Das klang alles ganz einfach und ganz schlüssig, erklärte aber keineswegs, weshalb nun dort draußen in der der Welt so ein Chaos herrschte. Die Fragerunde hatte nicht einmal begonnen, da endete sie schon wieder. Im Traum verspürte man keine Schmerzen. Daher fiel es Zoro zuerst gar nicht auf, dass er aus dem Schneidersitz heraus auf die harten Dielenbretter knallte, wo dann alles um ihn herum wieder schwarz wurde. Der Traum löste sich auf. Kivi verschwand endgültig und für immer. Das war alles vor nur wenigen Stunden im Schlaf geschehen. Als er aufwachte, schien alles so klar. Und nun stand er hier mitten auf dem Wasser und war entschlossen, die ganze Geschichte enden zu lassen. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Die ersten Schritte waren unsicher, so als ob er es selbst kaum glauben könnte, vom salzigen Nass getragen zu werden. Aber dort, wo er hintrat, war die Wasseroberfläche hart wie Stein. Man bewegte sich auch nicht in der Geschwindigkeit, wie man sie vom Gehen auf der Erde her gewohnt war. Mit jedem Schritt flogen die gekräuselten Wellenkämme unter im hinweg, und je bedächtiger er voranschritt, desto schneller erschien es ihm. Noch einmal blieb er wieder stehen, warf einen Blick über seine Schulter zurück, ob seine Freunde und die Sunny ihm auch tatsächlich folgen würden. Dann setzte er seinen Weg fort. Schurgerade aus, wohin ihn sein innerer Kompass trieb. Übers Meer. Kapitel 39: 39 - Tauschhandel ----------------------------- Wie sich ein ganzes Sichtfeld veränderte, wenn man nur etwas den Standpunkt verrückte, erweckte bei Zoro ein noch nie erlebtes Erstaunen. Ewige Male hatte er von der Sunny aus das Meer beobachtet, wie es sich in einem Zusammenspiel mit dem Wetter formte. Hoch oben im Krähennest fühlte man sich aber eher dem Himmel so nah und dem Meer so fern. Nun war es umgekehrt. Er stand mitten auf der Wasseroberfläche. Unter seinen Füßen glättete sich das Wasser zu einem glasklaren Spiegelbild. Sein floraler Bannkreis zog einen relativ großen Kreis um ihn herum und grenzte seine Position sicher von der maritimen Naturgewalt ab. Mit jedem Schritt wanderte dieser Kreis mit ihm voran. Als würde er in einer großen Seifenblase wandeln, zerschellte Gischt und Wind an dieser unsichtbaren Barriere. Außerhalb dieser Blase tobte die Natur weiter. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb das Wasser zu Wellenhügeln empor. Man konnte gen Süden schauen, wo die Sonne am Höchsten stand. Dort war noch blauer Himmel und ruhige See mit langgezogenen Wassertälern auszumachen. Doch gen Westen tobte es gewaltig. Ein Sturm peitschte gegen meterhohe Berge aus kaltem Nass. Der Himmel war dort pechschwarz. Nur zuckende Blitze erhellten ihn im Sekundentakt. Im Norden türmten sich große ballenden Wolkenmassen. Sie wurden von der Sonne aus dem Süden angestrahlten und färbten sich durch sie blutrot als würde eine Feuersbrunst lodern. Das Meer war dort tiefgrün, glatt gebürstet und schaumig. Doch Zoros Weg führt ihn in Richtung Osten. Dort, wo sich das bleierne Grau tiefhängender Wolken und das schweflige Gelb von Nebelbänken vereinten und die See ölig triefend schwappte. So wie die Blitze im Westen zuckten, so durchzuckte es auch Zoros Kopf. Visionen aus der Vergangenheit schlugen in seinem Hirn ein wie eine Bombe. Das hatte er schon mal gesehen. Damals, als er mit Smoker hierher gekommen war, lag alles im Nebel unter einer dicken Eisschicht. Doch der Weg zum verlorenen Königreich und zu dem Ort, wo die Prismen und das One Piece wohl gehütet vor der Außenwelt verschlossen lagen, hatte dasselbe gelbgraue Farbenspiel gehabt. Es konnte also nicht weit sein, bis das Ringporneglyph und Raftel auftauchen würden. Zoro hielt inne und blickte zurück. Die Sunny hatte Mühe, ihm zu folgen, blieb aber artig auf Kurs. Für die Crew musste er aus der Ferne aussehen, wie ein grüner Funke mitten im Ozean. Eine Kerzenflamme auf dem Wasser. Mit jedem Schritt, den Zoro weiter seinem Ziel entgegenlief, wurde er innerlich zwiespältiger. Einerseits erfüllte es ihn mit Freude, dass der ganze Zirkus vielleicht in wenigen Stunden ein Ende mit ungewissem Ausgang nehmen würde. Andererseits war es genau diese Ungewisse, die ihm nun allerdings gar nicht schmeckte. Man konnte nicht vorausschauen, was seine Freunde und ihn dort am Ziel erwarten würde. Vermutlich einen Haufen Feinde mit bester Kampflaune und sämtlichen faulen Tricks auf Lager. Wenn sie die Oberhand behalten würden, wäre alles klar. Aber was wäre, wenn sie scheiterten und eine herbe Niederlage einstecken müssten? Man konnte es nur herausfinden, wenn man endlich am Ziel ankäme. Zoro beschleunigte seine Schritte, musste aber feststellen, dass die Sunny dann nicht mehr folgen konnte. Die Entfernung zwischen ihnen wurde zu groß. Also pausierte er wieder und verfiel zurück in den alten langsameren Schritt, der mit der Geschwindigkeit der Sunny harmonierte. Bald schon wurden die Nebelbänke dicker und undurchdringlicher. Zoros Seifenblase und sein Bannkreis aus floralen Blitzmustern leuchtete wie eine zweite Sonne, nur in grün. Das Piratenschiff war wieder einmal nicht mehr auszumachen. So blieb er abermalig stehen und wartete, bis die Galionsfigur den Nebel durchbrach und ihn beinah überfahren hätte. Nun ging er neben dem Schiff einher, wechselte das eine und andere Wort mit seinen Freunden, welche oberhalb an Deck verweilten, und nahm gern die Flasche Sake an, die Sanji ihm hinunter warf. Plötzlich wurde die aalglatte See schaumig. Erst waren es nur vereinzelte Felder, dann wurden es ganze Schaumteppiche. Und als das Ringporneglyph aus dem Nebel auftauchte, türmten sich wahre Meeresschaumberge in den Himmel. Und ruhig war es. Gespenstisch ruhig. Zoro wunderte sich. „Wie man sieht, sieht man nichts!“, schoss es ihm durch den Kopf, behielt den Gedanken aber fürs erste vor seinen Freunden geheim. Doch auch diesen müsste nicht verborgen geblieben sein, dass die erwartete Massenschlacht im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen würde. Es war niemand da. Kein einziges Schiff kreuzte in diesen Gewässern. Wenn hier ein Krieg toben sollte, dann waren wohl alle Schlachten schon geschlagen und die Strohhutbande hatte ihren Einsatz verpasst. Zoro aber ließ sich nicht beirren. Er zog weiter. Weiter bis er die Porneglyphen fast mit der Hand berühren konnte. Nur wenige Meter trennten ihn von dem Ringporneglyph und somit dem Zugang zu einer Parallelwelt, die niemand außer einem Hanyô betreten konnte. „Wirf mal ein Tau rüber. Ich ziehe euch rein!“, rief er Franky zu, der sich sofort auf die Socken machte, ein Tau an der Sunny festknotete und das andere Ende Zoro hinunterwarf. „Na komm, altes Mädchen“, raunte er dem treuen Schiff zu, welches seine Mannschaft bis jetzt durch alle wilden Wasser begleitet hatte, als er die Sunny an dem Tau hinterher zog. Sie schwamm ohne Widerstand wie eine Badeente mit ihm. Zusammen passierten sie den Steinkreis. Kaum war er auf gleicher Höhe mit den Quadersteinen, begannen sie violett zu schimmern. Und die Felder zwischen den Steinen schimmerten ebenfalls in einem transparenten Violett. Zoros Bannkreis wurde schlagartig schwarz. Von der Sunny tönte aus aller Munde gleichzeitig ein erstauntes: „COOL!“ Mehr bekamen seine Freunde nicht heraus. Zu beeindruckend war der magische Moment. Als sich dann auch noch die Silhouette Raftels vor ihren Augen erhob, war es um sie alle geschehen. Das Ende einer langen Reise war hier und jetzt. Und nun? Die Strohhüte waren hier und sonst keiner. Also legte man an der Reling Raftels an und erklomm die Insel, die eher einer in den Stein gemeißelte Festung glich. Erst andächtig, dann neugierig offensiv streifte man durch die verlassenen Räume einer längst vergessenen Zeit. Nachdem alle Neugier befriedigt worden war, fanden sich alle fast zeitgleich in dem großen Innenareal der Festung wieder zusammen. Man war doch ein wenig enttäuscht, von diesem sagenumwobenen Ort. Aber was genau hatte man eigentlich erwartet? Die Strohhutpiraten standen planlos und betreten im Kreise, sahen sich gegenseitig an und stellten dann fest, dass einer von ihnen fehlte. „Mann, jetzt sagt nicht, Zoro verirrt sich auch auf diesem kleinen Eiland?“, stöhnte Usopp laut auf und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Nein, tu ich nicht!“, hallte es trocken von oben herab. Überrascht rissen alle die Köpfe herum und sahen ihren Mitstreiter auf einem kleinen Turm stehen. Er lehnte lässig mit den Händen in den Hosentaschen an einem Masten, auf dessen oberer Spitze eine Holzkonstruktion befestigt war. Es sah aus wie ein großes, eckiges U. „Der Trick von Raftel ist nicht irgendein Schatz, sondern das hier“, erklärte Zoro von oben herab und klopfte nachdrücklich zweimal gegen den Holzbalken. Es amüsierte ihn, wie die Fragezeichen über den Köpfen seiner Freunde glühten, was wohl das Holz-U zu bedeuten haben könnte. Man sah ihnen förmlich das Rattern des Nachdenkens in ihren Gesichtern an. Also half er ihnen auf die Sprünge und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf einen weiteren Turm am anderen Ende Raftels. Ein großer hölzerner Pfahl stand kerzengerade auf dessen Turmspitze. „Kimme und Korn!“, stellte Robin als erste fest. „Natürlich!“ Nun fiel es auch Nami wie Schuppen von den Augen. Das U und der Pfahl bildeten gemeinsam ein Seezeichen. „Ich kapier' gar nichts“, kam es aus Luffys und Choppers Munde gleichzeitig. Man erklärte untereinander, dass vom Schiff aus das U und der Pfahl wie ein Seezeichen zu deuten wären. Man müsste das Schiff so auf Kurs halten, dass der Pfahl und das U deckungsgleich übereinander lappten. Ähnlich wie Kimme und Korn bei einer Schusswaffe, um das Ziel zu treffen. Zoro hatte der Diskussion unten auf dem Innenhof kein Gehör geschenkt. Er war einmal um das U herumgegangen, lehnte nun rücklings an ihm und sah gedankenverloren auf die ruhigen Wellen und den wabernden Schaummassen. Er erinnerte sich wieder. Er war Smoker damals davongelaufen. Einfach so über das Meer hinweg, bis das verlorenen Königreich auftauchte. Es schien alles genau so zu sein wie damals. Nur der Meeresschaum war neu. Und das bescherte ihm Unruhe. Jedes Mal, wenn er den Schaum anfixierte, kam es ihm vor, als würden unzählige weinende Stimmen um Hilfe rufen. Das konnte kein gewöhnlicher Schaum sein, der als Abfallprodukt von Algen das Meer verunreinigte. Das hier war etwas ganz anderes. Irgendwo genau gerade aus erstreckte sich die sogenannte 8. Route. Es gab sieben Routen nach Raftel, aber nur eine 8. Route zum verlorenen Königreich. Der Ort, wo One Piece in einem großen Raum sich um ein letztes Porneglyph herumstapelte. Doch der für Zoro spannende Teil war ein ganz anderer Ort. Es war der Spiegelsaal, wo er vor vielen Jahren mit Kivi die Prismen vereint hatte, weil man noch glaubte, damit wäre alles wieder gut in der Welt. Nun wusste er es besser. Nichts war wirklich gut, es sei denn, man hätte die Geschichte ruhen lassen. Mittlerweile hatte Zoro eine ziemliche Ahnung davon, was ihn auf der nächsten, und tatsächlich letzten Insel der Grandline wirklich erwarten würde. Es war Zeit zu gehen. „Wir müssen weiter!“, rief er zu seinen Freunden hinab und unerwarteter Weise gab es keine Widerworte. Zoro konnte nicht mehr sagen, wie lange die Überfahrt überhaupt zum verlorene Königreich mal gedauert hatte. Jetzt kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Der Nebel wurde dichter, die Schaumberge höher und das U mit dem zentrierten Pfahl stahl sich schon fast aus deren Augen, als schemenhafte Umrisse am Horizont auftauchten. Und dann waren sie endlich da. Das Verlorene Königreich war wie Raftel ebenfalls eine in Stein gehauenen Festung. Jedoch war diese Festung hier sehr viel kleiner. Man könnte auch sagen, dass es gerade mal die Größe einer Burg hatte, während Raftel neben der Festung und den beiden Seezeichentürmen noch ein großzügig bewaldetes Innenland hatte. Die hier herrschende Stille überwog noch die, welche sie auf Raftel erfahren hatten. Es war mehr als gespenstisch. Schon beim Betreten der Burg fröstelte es auf der Haut und gefror das Blut in den Adern. Geschlossen marschierten sie die breite Treppe von der Hafenmauer hinauf und durch das Nebentor auf den Innenhof. Da Zoro nicht mehr so recht wusste, wie die Räume und Nebengebäude miteinander verbunden war, durchstreiften sie das übersichtliche Areal. Es war wieder einer dieser langen Flurgänge, die ewig schienen mit seinen unzähligen Türen, die es alle zu öffnen galt. Als Brook und Franky eine dieser aufstießen und nichts weiter hervorbrachten außer: „Wahnsinn....!“, waren sie endgültig angekommen. Der Rest rannte zur Tür, sah den Raum und konnte es nicht fassen. Erst war man geblendet vom Glanz und überwältigt von der Masse, dann kam Leben in die Bande. Man stürmte gleichzeitig los, wie durstige Wüstenwanderer zur nächstbesten Oase. Prügelte sich durch eine Tür, durch die definitiv keine ganze Piratenbande gleichzeitig nebeneinander passte und stellte dann fest, dass Goldmünzen ein viel zu hartes Metall waren, um darin zu baden. Man durfte den Spruch „im Gelde schwimmen“ also nicht wortwörtlich nehmen. Es gab blutige Lippen, blaue Flecke und eine Stauchung. One Piece sollte der Legende nach der größte Schatz der Welt sein. Das hier übertraf wirklich alle Traumbilder. Berge von Münzen, Haufen von Geldbündeln und Edelsteine und Schmuck aus allen Jahrhunderten häuften sich fast bis an die Decke. In der Mitte prangte ein weißes Porneglyph. Während alle noch dem Wahn der Entdeckung verfallen waren, hatte Robin ihre neugierigen Fingerspitzen über die eingemeißelte Schrift huschen lassen. Ein freudiges Lächeln zierte ihr Gesicht, dann schweiften ihre Augen umher. An der Eingangstür wurde sie fündig nach der Person, die sie gesucht hatte. Langsam ging sie zu ihm hinüber. „Du hast das schon mal gesehen damals, oder?“ fragte sie Zoro. Es war eine rein rhetorische Frage, aber sie wusste nicht so recht, wie sie einen Smalltalk mit ihm halten sollte. Zoros Körpersprache sprach trotz seiner undurchdringlichen Gesichtszüge Bände. Er stand mit verschränkten Armen an den Türpfosten gelehnt, beobachtete mit trauriger Mine seine im Luxus schwelgenden Freunde und ließ zeitweise den Kopf hängen. Viel schwarzer Trübsal wurde geblasen. Für Robin war klar: Auch dieses unzählbare Vermögen würde Tashigi nicht finde. Kein Geld der Welt reichte aus, um sie zurückzuholen. Es war eine sehr seltene Seite von Zoro, die sich in diesem Augenblick offenbarte. Dennoch nahm die Archäologin erneut den Gesprächsfaden auf. „Das Porneglyph beinhalten einen Quellentext über das Regenbogenprisma, welches im Spiegelsaal zu finden wäre. Weißt du da etwas drüber?“ Zoro schwieg eine Weile. Ja, die ganze Geschichte ergab nun einen einfachen aber simplen Sinn. Er stieß sich sachte vom Türpfosten ab und bat Robin, ihm zu folgen. Gemeinsam ging es den Gang weiter entlang. Wo zum Henker war nochmal dieser blöde Spiegelsaal? Es konnte nicht weit sein. Robin versuchte ihm zu helfen, indem sie gezielter nachfragte. Wie sah der Raum aus? Wie groß, welche Form? Langsam näherte man sich einem Teil des Gebäudes, der architektonisch zu den Erinnerungsfetzen kompatibel wäre. „War es hier?“, fragte Robin geduldig nach. „Möglich...“, überlegte Zoro laut, war sich aber nach wie vor nicht mehr sicher. Er stieß die Tür auf und war erleichtert, den Spiegelsaal tatsächlich wieder gefunden zu haben. Aber es war nicht das, was er erwartet hatte. Als er vor vielen Jahren gegangen war, erstrahlte eine einzige weiße Lichtquelle diesen Raum. Die Lichtstrahlen brachen sich in den tausenden und abertausenden Spiegeln in alle Regenbogenfarben dieser Welt, wurden gebündelt und nach draußen in den Himmel entsendet. Es gab kaum etwas schöneres anzusehen. Jetzt aber klaffte ein dunkler Raum, der mit seinen Spiegeln wie ein düsteres Gruselkabinett wirkte. Viele der Kristallspiegel waren zertrümmert. Ein Scherbenmeer bedeckte den Fußboden. Es knarrte und knarzte bei jedem Schritt. Unter den Sohlen brachen viele kleine Scherben zu noch kleineren Splittern. Wer oder was auch immer hier seine Laune hatte toben lassen, es war ganze Arbeit geleistet worden. Zoro suchte mit seinen Augen den Boden ab, schob mit seinen Stiefeln die Spiegelscherben auseinander, als hätte er die Chance, irgendetwas entdecken zu können. Dann stellte er sich inmitten des Raumes auf die Scherben und konzentrierte sich. Er legte seine Handflächen vor sich gegeneinander und warte. Da war ein warmes, wohliges Kribbeln zwischen den Fingern, was stetig anwuchs. „Wie lautet das Rätsel auf dem weißen Porneglyph, Robin?“ „Nicht die Art, sondern die Weise sei unser Streben.“, gab sie nachdenklich von sich. „Und hast du es verstanden?“ „Nicht ganz...“, gab sie zu und beobachtete ihren Mitstreiter in seiner Ruhepose ganz genau. Und dann begann es zu strahlen zwischen Zoros Händen. Erst war es nur ein Glimmen wie eine kleine Kerzenflamme. Schnell wurde es heller und größer. Ein kleiner leuchtender Lichtball wuchs und wuchs zwischen den Händen des Hanyôs. Dann brachen erste Strahlen heraus, trafen die vielen unzähligen Scherben und Splitter und reflektierten sich wieder und wieder in sich selbst. Schon bald erstrahlte der gesamte Spiegelsaal in einem grellen Rot. Und als Zoro seine Hände öffnete schwebte über ihnen ein Prisma aus purem Licht. Andächtig, aber einem zufriedenen Grinsen neigte Zoro seinen Kopf zur Seite und betrachtete den herrlichen Glanz, wie er sich überall um ihn herum reflektierte. Auch Robin, welche bis dahin nur in der Eingangspforte gestanden hatte, konnte sich an dem Lichterglanz nicht sattsehen. Es war einfach nur unbeschreiblich schön. „Es ist eigentlich ganz einfach. Es ist egal, ob der Regenbogenkristall nun vollkommen ist oder er in seine drei Prismen zerfällt. Er bringt immer das Licht der Galaxie in unsere Welt und regelt die Jahreszeiten. Soviel zum Thema „nicht die Art“. Es geht um die „Weise“, wie man die Prismen handhabt. Wer den ganze Kristall hat, kontrolliert die Welt. Aber bricht man ihn in Stücke, ist er schwerer zu kontrollieren, weil man immer alle drei Träger unter einen Hut bekommen muss. Außerdem ist jeder Prismenträger mit seiner besonderen Gabe ein eigene Geheimwaffe für sich. Man kann diese Gaben nämlich aus dem zusammengesetzten Kristall nicht herausfiltern.“, dachte Zoro mehr laut zu sich selbst, als dass er Robin eine Erklärung gab. „Aber wer hätte dann ein Interesse, den Kristall wieder in seine Einzelteile zu zerlegen?“ spann Robin den Fragefaden weiter. „Jemand, der die alleinige Macht dazu hat. Ein Wächter. Und der tat es auch nur auf Befehl. Das Auseinanderbrechen des Kristalls geschah an dem Tage, an welchem die bunten Himmelstreifen überall in der Welt auftauchten.“ Ja, so musste es sein. Und es war auch der Tag, an dem er den Brief bekam mit dem einzigen Wort „Erwache!“. Es konnte nichts anderes bedeuten, als dass jeder Träger wieder zu seiner Aufgabe zurückkehren müsste. Allerdings war dieser Punkt ein kniffliger. Wenn die Träger wirklich alle innerhalb ihrer Linien blutsverwandt wären, so wären Kivis und Samakkos Plätze nun frei. Sie hatten keine bekannte Nachkommenschaft. Es muss einen Wächter geben, der die Macht hätte, neue Träger zu bestimmen. Zoro schwante übles, dass er mehr als ihm liebte diesen Wächter bereits kennen würde. „Du hast es herausbekommen!“, hallte es plötzlich von allen Wänden wieder. Ein lautes Echo, was durch Mark und Bein fuhr, erschreckte die beiden Piraten so sehr, dass sie innerlich wie äußerlich zusammenzuckten. Zoro verlor die Konzentration, presste seine Hände wieder aufeinander und verlor den Glanz seines frisch zurückerhaltenden roten Prismas. Schwarz und gruselig wurde es wieder in dem Spiegelsaal, und aus allen Spiegeln stierten fiese Gestalten in langen Umhängen und grellgrünen Augen heraus. Selbst aus den Scherben und Splittern gafften grellgrüne Augenpaare. Es waren die Hanyôs mit den auferweckten Erinnerungen von Rice Island. Ein Aufkreischen erschütterte den Saal. „Robin?“ fuhr Zoro herum und suchte seine Mitstreiterin. Fassungslos musste er mitverfolgen, wie die gierigen Griffel der Grünäugigen sich um ihren Körper schlangen, ihre Teufelskräfte unterdrückten und sie sich zu Meerschaum verwandelte. Als weiße Statue stand sie nun mit einer entsetzten Fratze da und perlte ab. Schaum bildete sich zu ihren versteinerten Füßen. „Wir wollen dir einen Handel anbieten, Roronoa Zoro. Der du bist der einzige Hanyô von uns, der sich an alles erinnern kann. Gehörst du noch zu uns? Nein, du bist so … anders!“, polterte die Stimme in Zischlauten von allen Wänden auf ihn nieder. „Ein Handel?“ „Wir können uns an nichts erinnern. An gar nichts. Darum fristen wir unser elendiges Leben wie Demenzkranke in einem Tal voller Bekloppter. Aber wenn wir das blaue Prisma des Wissens haben, dann können wir wieder so sein wie früher. Wir fordern etwas, was du schon hast. Wir wollen den Wächter!“ Das Zischen schnitt ins Trommelfell und war unerträglich. Zoro hatte seine liebe Mühe, die Worte zu verstehen. Und nun, wo er wieder sein rotes Prisma mit sich vereint hatte, so spürte er den unbändigen Schmerz der Grünäugigen. Bah, Gefühlswellen orten und Geistererscheinungen sehen. Genau das hatte er ohne Prisma so rein gar nicht vermisst. „Und wenn ich ablehne?“ Zoro war sich gar nicht so sicher, ob er mit seinem Verdacht, den Wächter zu kennen, richtig lag. Aber die Grünäugigen waren sich wohl mehr als sicher, wenn sie ihm unverblümt einen Deal unterbreiten wollten. Fragte sich nur, gegen was sie den Wächter denn eintauschen wollten. Ein schallendes, grässliches Gelächter folgte aus den Spiegelbildern. „Deine Freunde sind bereits zu Meeresschaum geworden. Sie schlafen einen ewigen Traum bis sie sich im Meerwasser zersetzt haben. So wie alle, die in den letzten Tagen hier in den Gewässern vor Raftel kreuzten. Je länger sie schlafen und zu Schaum werden, desto schwerer wird es, den Zauber rückgängig zu machen. Also, den Wächter gegen deine Freunde!“ Das war es also. Ein ziemlich perfektes Druckmittel. Und wenn sich seine Freunde von selbst im Meer zersetzten, gäbe es noch nicht einmal Zeit zu schinden und eine Alternative zu finden. Dennoch wollte er sich dem nun entdeckten Feind nicht kampflos ergeben. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verließ mit aufrechter Körperhaltung und selbstbewusstem Schritt den Saal. Äußerlich war Zoro einfach nur Zoro. Abgebrüht, emotionslos und bereit, zu pokern. Innerlich hätte er entgleisen und ausrasten können. Er brauchte einen Plan. Und zwar sofort. Kapitel 40: 40 - Das Haus im Nebel ---------------------------------- Wenn irgendwo da draußen in der großen, weiten Welt alles zu Ende ging und die Zeit gnadenlos die Entwicklung vorantrieb, dann war es eine gute Wahl, dorthin zu streben, wo man nicht davon berührt würde. Das Regenbogen-Trio hatte sich ohne Hektik von Loguetown verabschiedet und war auf Weisung Takerus in den South Blue geritten. Eine interessante Insel ragte dort weit unter dem Regenbogen aus dem Meer heraus. Von oben wirkte sie wie ein silberner Kegel. Je näher man herankam, desto mehr nahm sie Gestalt an. Aus dem Kegel wurde beim Näherkommen ein Zuckerhut, dann ein gedrehtes Schneckenhaus. Und Taiyoko befand, dass es Ähnlichkeit mit Pikadons Horn hatte, der über diesen Vergleich fröhlich schnaubte. Es war allein die Form dieser Insel, welcher ihr den simplen Namen Zuckerhut-Insel gab. Doch wenn man kurz vor den Stadttoren angelangt war, so sah man, dass es ein spiralförmiger Wandelgang war, der von der Brandung und der Anlegestelle bis hoch zu einer Villa auf der Spitze des Kegels führte. Und auf diesem spiralförmigen Wandelgang quetschte sich ein Händlerstand an den nächsten. Es war ein dichtes, farbenfrohes Gemenge. Unzählige Leute bevölkerten den Zuckerhut mit seinen Marktständen. Es lärmt bis in den Himmel hinauf wie ein Bienenschwarm. Immer wieder mischten sich Marktschreier und Musikfetzen dazwischen. Das blühende, unbekümmerte Leben tobte dort zwischen den Waren der Welt. Was man hier nicht zu finden verstünde, das fände man nirgends. Es war eine Freude, diesem Marktfest beiwohnen zu können. Leider musste Takeru Taiyoko zur Vorsicht und Eile mahnen. Gerne hätte er sie alleine ziehen und das Treiben entdecken lassen. Doch der Regenbogen war nebst seiner Geschwindigkeit ein sehr auffälliges Fortbewegungsmittel. Man konnte schon aus der Ferne den bunten Schweif am Himmel entdecken. Zudem war der Zuckerhut nicht nur von Zivilisten, sondern gleichermaßen von Pack und Gesindel heimgesucht. Es war ein marinefreier Ort fern ab jeglicher Gerichtsbarkeit und Kontrolle, was sehr verwunderlich schien, wurden doch hier unglaubliche Geldsummen umgesetzt. Eine Umsatzsteuer würde hier lukrativ für die Weltregierung ausfallen. Nur allein der Stadthalter würde in der Villa auf der Zuckerhutspitze residieren und von den Zöllen leben, so munkelte man. Es war jedoch genauso Tatsache, dass noch nie jemand den Stadthalter aus der Villa zu Gesicht bekommen hatte. Ein friedliches Phantom. Wie dem auch wäre, es wäre also angebracht, schnell die Besorgungen zu erledigen und weiter zu reiten. Enttäuscht musste das Mädchen diesem Rat zustimmen, und auch das Einhorn konnte Takerus Ansichten nur ernsthaft zustimmen. Natürlich fielen sie auf in der Masse wie ein bunter Hund in der Tristesse des Alltags. Kaum berührte der Regenbogen den steinernen Untergrund, sprangen die Menschen erschrocken zur Seite. Und als dann auch noch wenige Sekunden später ein vermeintliches Pferd mit einem Fell wie tausend Gewitterwolken seine Spalthufe auf das Pflaster setze, stoben sie allesamt panisch davon. Es ging wie ein Lauffeuer von einem Munde zum anderen, dass dort ein magisches Geschöpf mit zwei jungen Reitern gelandet wäre. Es trieb die Händler in die hintersten Winkel ihrer Stände, das Pack hingegen aus den letzten Schlupflöchern heraus. Man wollte unbedingt das Pferd und dessen Passagiere sehen. Unbeeindruckt stieg Takeru von Pikadons Rücken, griff in die wallende Mähne und zog das Einhorn sanft hinterher. Er überhörte stumpf den Einwand des Marktaufsehers, dass auf dem gesamten Markt absolutes Tierverbot herrschen würde, es sei denn, man würde das Tier geschlachtet oder lebendig verkaufen wollen. Erbost schnaubte das Einhorn bei solchen Worten auf, beruhigte sich aber umgehend wieder, als Takeru im zart über die Nüstern strich. Die Umgebung misstrauisch beäugend ging er langsam den Wandelweg nach oben, dicht gefolgt von Taiyoko. Dabei musterte er die Marktstände. Medizin, Proviant, Kleidung und Waffen stapelten sich in Säcken auf des Einhorns Rücken, dass geduldig alles mitmacht, obwohl es schon anmerken musste wie das Mädchen ihre Kleider-Shoppingtour doch sehr übertrieb. Sie hatten schon gut die Hälfte des Zuckerhutes auf dem Gang nach oben erklommen. Es waren so gut wie alle Dinge eingekauft worden, als Takeru plötzlich spürte, wie sich die Stimmung im Volke veränderte. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Wo sie langgingen, verstummte die Marktatmosphäre. Ängstlich Augenpaare blickten sie an. Doch Takeru war nicht entgangen, dass sie mittlerweile beobachtet wurden. Das neugierige Räubervolk witterte fette Beute. Was auch immer das magische Geschöpf oder dessen Reiter einbringen würden, es wäre sicherlich lohnenswert. Einen Abnehmer fände sich bestimmt. Einer dieser Beobachter, der sich für einen ganz ausgefuchsten Gauner und begnadeten Kopfgeldjäger hielt, stellte sich nun mit seinen Mannen in den Weg des Trios, besah sich die drei von oben bis unten, grinste dann schmierig und eröffnete das Wort: „Ach, seht euch das an! Wenn das nicht mal Takeru, der Zwielichtwandler, ist! Was treibt so einen Abschaum wie dich hierher? Oh, und welch hübsche Begleitung?“ Die lachende, rauchige Stimme gehörte zu einem unglaublich fettem Riesen, dessen Kopf nahtlos zum Brustkorb überging. Der Hals war in unter dem Fettkragen nicht aufzufinden. Ebenso fettig waren seine Haare nach hinten gekämmt, und ein heißes Bad würde ihm sicherlich eine dicke Schicht an Dreck und Gestank nehmen. Er pofte drei dicke Zigarren auf einmal. Die bunt gestreifte Weste unter seiner schwarzen Samtjacke spannte, dass die güldenen Knöpfe Mühe hatte, sich am Stoff zu halten. Eine weite Schlabberhose und ausgetretene Stulpenstiefel komplementierten das Bild eines reisenden Straßenhändlers, dessen beste Zeiten des Lebens schon vorbei waren. Umringt wurde er von einigen seiner scheinbaren Familienmitglieder, die modisch allesamt den selben Trend wie ihr Oberhaupt verpasst hatten. Augenblicklich war das Regenbogen-Trio stehengeblieben. Pikadon tat wie ein unschuldiges Pferd, Takeru blickte finster und Taiyoko versteckte sich Schutz suchend hinter Takeru. „Hab ich dir erlaubt mich anzusprechen?“, knurrte Takeru zurück, denn ihm kam diese Begegnung ungelegen. Er hatte ein sicheres Versteck im Sinne und das wollte er ohne Aufsehen zu erregen erreichen. Alte Fehden, wie diese hier, passten da nicht in den Schlachtplan. „Und wenn du es wagst, meine Schwester anzugrapschen, breche ich dir alle Knochen!“, drohte er in einer Lüge, dass sich die Balken bogen. Schwester? Taiyoko wusste zwar nicht, was Takeru vorhatte, doch es schien besser, nicht zu protestieren, zumal die schmierige Truppe, welche ekelige Art des Handels sie auch immer trieben und ihnen nun den Weg versperrte, unberechenbar und feindlich ausschaute. Und wenn man sie beide mit ihrem dunklen Teint, den dunklen Augen und Haaren verglich, konnte man tatsächlich meinem, sie wären verwandt. Da wurden die grünen Strähnen schnell als neue Trendfrisur übersehen. Auch fragte so niemand mehr nach, weshalb ein Halbwüchsiger und ein Mädchen allein durch die Lande zogen. Ein schallendes Gelächter brach los. Man fühlte sich Takeru überlegen und wollte eine offenen Rechnung begleichen. Takeru tat unschuldig und vergesslich, wollte er einen Konflikt umgehen. Leider waren die Schmierlöffel alles andere als vergesslich und zogen einfach ihre Schwerter. Takeru seufzte. Das Glück hatte ihn in den letzten Wochen verlassen und kam einfach nicht wieder zurück zu ihm. Mit schnellen Kicks und treffsicheren Schwerthieben streckte er die Bande nieder. Allerdings gab es dort, wo Gesindel war, meist noch mehr davon. Ähnlich den Motten vom Licht so wurde es von der Prügelei auf dem Wandelgang angezogen. Von allein Seiten drängten sie nun voran und umzingelten das Trio. Ein Seil wurde wie ein Lasso geworfen und legte sich um Pikadons Hals. Takeru versuchte in dem Gewühl die Übersicht zu behalten. So langsam bekam er arge Platznot auf dem engen Wandelgang. Auch die Masse an Angreifern zerrte an den Kräften. Plötzlich raunte es. Schlagartig riss Takeru den Kopf herum und staunte, wie Taiyoko selbstbewusst auf dem Rücken des Einhorns thronte und ein Schwert in der Hand hielt, von dessen Klinge das Blut nur so tropfte. Zu Pikadons Hufen wanden sich vor Schmerz schreiende Menschen oder das, was von ihnen übrig geblieben war. Anerkennend musste er nicken und gab für einen Sekunde seine Deckung auf. Hoppla, das wäre beinah ins Auge gegangen, als er einen gezielten Fußtritt gegen seinen Kopf gerade noch rechtzeitig auswich. Doch der Höhepunkt der Show sollte noch auf dem Fuße folgen. Pikadon stellte sich auf die Hinterbeine, schrie einen Schrei aus, der Gläser zum platzen brachte und zerstampfte beim Aufkommen auf den Boden mit seinen Hufen Körperteile. Dabei sprühte er Blitze, die immensen Schaden anrichteten. Nun war es Taiyoko, die auf dem Einhornrücken wegen der Säcke arge Platznot bekam. Verschreckt klammerte sie sich an Hals und Mähne fest. Takeru zögerte nicht, sprang aufs Einhorn und klopfte instinktiv mit seinen Hacken wild in die empfindlichen Bauchpartien. „Los! Abflug!“ rief er dabei und Pikadon verstand. Noch einmal keilte das Einhorn aus und schickte Blitze durch die Marktstände. Das Lasso riss. Pikadon rannte los auf die Brüstung zu und sprang. Doch noch bevor sie den freien Fall ins Meer erleben durften, leuchtete der Regenbogen zu seinen Hufen auf und sie flogen auf und davon. Sie hatten schon eine gute Höhe erreicht und dem Zuckerhut keinen Abschiedsblick nachgeworfen, als Takeru sich bei Pikadon für sein Hackentrommeln murmelnd entschuldigte. Auf dem Zuckerhut könnten sie sich nun wohl auch für eine lange Zeit nicht sehen lassen. Pikadon schnaubte fröhlich, dass es doch recht lustig gewesen wäre. Doch von Taiyoko kam kein Wort mehr. Ihr verschwitzen Hände hielten die Mähne. Ihr Gesicht war glühend heiß. Das Mädchen hatte Fieber. „Auch das noch!“, stöhnte Takeru auf. „Pikadon, kennst du auf der Redline das Nebeldorf auf dem Hochplateau? Dort machen wir Rast.“ Pikadon nickte und beeilte sich. Der Gesundheitszustand Taiyokos schien bedenklich. Der Witterung nach machte das Nebendorf seinem Namen alle Ehre. Der Anzahl an Häusern nach war der Begriff „Dorf“ dann wohl doch übertrieben. Das Hochplateau erstreckte sich über ein zerklüftetes Gebirge. Schroffe Felsen ragten spitz aus dem satten Grün der kargen Kräuterwiesen. Die Baumgrenze lag einige hundert Meter tiefer. Hier oben kam nur selten ein Sonnenstrahl herbei, denn die Wolken rollten über die Berggippfel, zerrissen sich aber an den Klippen. So lag eine weit verstreute Ansammlung an Häuschen, wie von Gottes Hand planlos gestreut, auf dem Plateau und versteckte sich unter nasskalten Nebelfronten. Ein depressiver Traum aus Grau in Grau. In einem von diesen kleinen, einfachen Häusern fand das Trio Zuflucht. Die Häuschen nahm man kaum wahr, denn ihre Art verschmolz förmlich mit der Natur. Die Flachdächer waren Moosbewachsen und die Wände aus den selben Felsbrocken wie das Gestein der Berge. Von alle dem bekam das Mädchen nichts mehr mit. In Takerus Armen war sie während des Ritts eingeschlafen und sollte auch nicht merken, wie sie von ihm in eines der Häuser getragen und auf einem Futonlager gebettet wurde. Es zog ebenso an ihr vorüber, wie in einem Ofen ein munteres Feuer entzündet und ein Teekessel aufgesetzt wurde. Die Einkäufe sortieren sich nach und nach in den einzigen Wandschrank ein. Sie verschlief, wie Takeru erst sich selbst unter der Dusche, dann später die verschmutzte Kleidung wusch und flickte. Wie er eine heiße Suppe kochte und viel Zeit auf dem Sofa verbrachte, wo er alle Viere von sich streckte und nur den Schneckenfernseher laufen ließ, damit jemand in der Stille mit ihm sprach. So sollten die nächsten zwei Tage vergehen, wo Taiyoko sich gesund schlief, Wadenwickel bekam und dann geschwächt das Fernsehbild mit müden Augen verfolgte. Die einzige Abwechselung war der Toilettengang und die Mahlzeiten. Am dritten Tage kamen die Lebensgeister zurück. Ihr Fieber war heruntergegangen. Doch die glasigen Augen, die roten Wangen, die heisere Stimme und die dicke, rote Schnupfennase sollten sie noch eine Weile begleiten, obwohl die auf dem Zuckerhut erstandene Medizin anschlug. Nun war auch die Zeit gekommen, wo sie überhaupt registrierte, wohin es sie verschlagen hatte. Das Haus hatten diesen einen großen Raum, welcher durch einen Vorhang ein spartanisches Bad abtrennte. Es gab zwei kleine Flügelfenster und die Eingangstür. Einmal quer durch den Raum spannte sich eine Wäscheleine. Gekocht werden konnte auf dem Ofen, der die Wärme und nachts das orangene Licht spendete. Abwaschen konnte man aber nur in dem Waschbecken bei Klo und Dusche. Es gab Strom, welcher durch das große Wasserrad in der Mitte des Dorfes erzeugt und an alle Haushalte verteilt wurde. Mit dem fließenden Wasser hatte man hier Glück, denn das Haus lehnte sich an einen großen Felsvorsprung an. Ein Rohr bohrte sich durch die Außenwand in den Felsen und zapfte eine frische Quelle an. Direkt neben dem Haus schmiegte sich noch ein kleiner Verschlag an die Hauswand. Doch der Stall war leer und bot nun dem Einhorn unterstand. Die Nebelkälte ließ es frösteln. Taiyoko war die Enge und das einfache Leben vom Leuchtturm gewohnt. Da störte sie die magere Ausstattung wenig. Es war alles da, was man brauchte und die warme Dusche war eine herrliche Entspannung, auch wenn sie Takerus mahnende Stimme hörte, sie solle nicht so viel Wasser laufen lassen. Erste Badepfützen spülten unter dem Vorhang durch in den Raum. Frisch gewaschen und gekleidet fühlte man sich schon fast genesen und mit dem Essen vor der Flimmerkiste ging es gleich doppelt so gut weiter. So erfuhr sie auch nebenbei einmal, dass es zwar nicht Takerus Haus war, sondern einem Freund gehörte, der bei einem Marineeinsatz sein Leben geben musste. Es wäre hier so abgeschieden, dass hier nie jemand vorbei käme. Lebensmittel bekam man beim Krämer vier Häuser weiter. Abends traf sich das Dorfvolk sieben Häuser weiter in der einzigen Dorfkneipe. Alle anderen lebten von der Schafzucht. Der nächste größere Ort läge erst einmal den Abhang hinunter und dann viele Kilometer weiter aus dem Talkessel heraus. Mehr wäre dort aber auch nicht los. Am sechsten Tage war das Mädchen wieder gesund und gab sofort den Staffelstab der Erkältungssymptome an Takeru weiter. Nun durfte dieser sich mit Fieber quälen, lange Zeit gezwungen im Bett verbringen und später ohne Stimme und Rotznase herumlungern. Es waren Tage, die sich lang dahin zogen wie gekautes Kaugummi. Der Blick aus dem Fenster blieb weiß. Taiyoko hatte gelegentlich auch tagsüber die buntkarierten Vorhänge zugezogen. Das grelle Weiß konnte sie nicht länger ertragen. Das Bunt gefiel ihr deutlich besser. Draußen wallten immerwährend die Nebelbänke umher. Sie verschluckten Geräusche, Sonnenlicht und Fröhlichkeit. Keineswegs wollte Taiyoko behaupten, dass die Einheimischen hier höflich und nett wären. Doch als sie einmal den Weg zum Krämerhaus ging, um frisches Gemüse und einen Topf Reis zu holen, stellte sie fest, dass die Leute hier einen eigenwillig Humor besaßen, mit welchem sie nicht sonderlich viel anfangen konnte. Daher blieb sie bei einer höflichen Begrüßungsfloskel und dankte artig nach dem Einkauf. Und raus war sie wieder aus der Krämerei. Sie mochte das Wetter nicht sonderlich. Schon auf halben Wege wurden von den feinen Nebeltropfen die Haare nass und klebten an den Wangen. Die Kleidung war klamm. Es fröstelte sie bis auf die Knochen. Heilfroh stand sie nach dem Einkaufsgang dann wieder vor der heimischen Haustür, hinter der ein warmes Ofenfeuer alles wieder trocknete. Auch an diesem neuen Tage wollte sie losziehen. Teeblätter, Salz und Käse neigte sich in ihrem Regal dem Ende entgegen. Sie machte den Weg zu dem kleinen Laden recht gerne, denn so kam sie einmal aus den eigenen vier Wänden heraus und man sah etwas anderes als das Fernsehbild. Nun waren sie seit gut zwei Wochen hier. Das Wetter war unablässlich schlecht. Da kam die Langeweile auf. Doch es war diesmal ein ganz besonderer Morgen, als sie die Vorhänge zurückzog und so ungläubig nach draußen starrte, als geschehe gerade ein Weltwunder. Da wurde es doch tatsächlich hell? Die Sonne brach durch, und die Wolkendecke brach auf. Takeru meinte dazu, dass es hier einmal im Quartal vorkäme, dass die Wetterfront vorüberzog. Dann hätte man ein paar Tage klare Sicht. Also frühstückten sie schnell gemeinsam und machten sie zusammen auf den Weg. Die Sonne war schon über den Bergkamm gerochen und warf ihre langen Strahlen über das Tal. Es war ein weites Tal, wo man in der Ferne nun einen großen Bergsee ausmachen konnte. Das stets hörbare Geblöcke der Schafe wurde nun auch plastisch. Überall auf den Wiesen konnte man nun viele weiße Punkte zählen. In der Tat lebten hier mehr Schafe als Einwohner. Weiter zum See sollte man sich nicht alleine wagen, erklärte ihr Takeru, denn dort wären die Hochmoore. Ein Unkundiger würde sich dort sofort verirren und versinken. Es gäbe nur einen festen Weg und einen schmalen Trampelpfad durch das Moor. Weiter dahinter wäre dann der Abstieg hinunter in das größere Nachbartal. Sie schlenderten weiter, genossen die Wärme der Sonne und hatten dann nichts weiter zu tun, als ihrer üblichen Beschäftigung nachzugehen: Schlafen, Essen, Abhängen. Takeru verfolgte aufmerksam die Möwenzeitung und die Nachrichten im Fernseher. Doch die politische Lage dort draußen war weiterhin undurchsichtig. Es gab unverändert unzählige Kriege und Krisenherde auf den Meeren, die einfach nicht abebbten. Doch von Blackbeard und seiner großen Schlacht hörte man nichts mehr. Das beunruhigte Takeru, denn die Strohhüte waren auf Kollisionskurs mit Blackbeard gewesen. Und auch zu denen war der Kontakt abgebrochen. Doch er behielt es wohl wissentlich für sich, wollte er Taiyoko keinen Kummer bereiten. Er hatte selbst keine Eltern mehr seit er klein war. Wenn er in seinem Gedächtnis kramte, dann konnte er sich noch nicht mal mehr richtig an ihre Gesichter erinnern. So etwas wünschte er Taiyoko nicht. Der Sonnenschein währte nicht lange. Schon nach wenigen Tagen verabschiedete er sich und überließ wieder den Nebelbänken das Dorf. Pikadon, dem die Witterung gar nicht behagte, kam wieder einmal mit durchweichtem Fell vom Weiden zurück in seinen kleinen Verschlag. Zwar hatte so ein Tierfell eine natürlich Fettbarriere, doch auch die kam nach all den feuchten und kalten Tagen an ihre Grenzen. Dann verzog sich das Einhorn in seinen Verschlag, wo ihm Takeru eine dicke Strohschicht aus der Nachbarschaft besorgt hatte. Im Gegensatz zu Pferden schliefen Einhörner gerne mal im Liegen und kuschelten sich ins Stroh. Sein Kopf hing genießerisch herab, die Ohren klappten entspannt zur Seite und die Augen hielt er halb geschlossen. Taiyoko war gerade damit beschäftigt ihm mit etwas Stroh in der Hand das Fell trocken zu reiben, als ein Ruck durch seinen Körper ging. „Was is`?“, fragte sie erschrocken, als das Einhorn dann Kopf hochriss, die Ohren aufstellte und aufmerksam lauschte. „Man ruft mich!“ ertönte seine dunkle bronzene Stimme. „Wer ruft dich?“ „Ich muss gehen. Doch ich kehre bald zurück.“ Dann stob er einfach los, dass die Strohhalme nur so flogen und staubten. Raus aus der Tür, über den Regenbogen und hinweg. Taiyoko rief ihm noch fassungslos hinterher, er solle doch bleiben. Was wäre denn los? Aber da war das Einhorn schon weit außer Hörweite und zurück blieb eine sichtlich erschütterte Taiyoko, die die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Kapitel 41: 41 - Ein Pferd im Gemüsegarten ------------------------------------------ Ein fröhliches Glockenspiel hallte durch die Lüfte. Es klang so lieblich und frühlingshaft, dass ein jeder, der es weit unten auf einer der vielen Inseln oder dem weiten Festland in seinem Herzen vernahm, kurz inne hielt und einen Moment des Friedens in sich verspürte. Und wenn es auch nur für diesen sehr kleinen Augenblick als einen Hauch von positiver Energie die vereisten und geschundenen Seelen streifte, so brachte es den leidenden Menschen mehr, als sämtliche Friedensverträge, Freundschaftsbeschwörungen und Liebesbeweise auf der ganzen Welt. Man konnte es fast ergreifen, wie es dort eben über ihren Köpfen hinweggezogen war, was einer höheren und konstanteren Macht glich als alles andere, was man je erlebt hatte. Niemand hätte es in Worte fassen oder gar definieren können, aber jeder wusste im tiefsten Herzen, dass dort eben die pure Harmonie vorbeigeflogen war. Im gleichmäßigen Dreiklang trommelten die Hufe des Einhorns auf dem Regenbogen einen konstanten Rhythmus. Unermüdlich und vorantreibend. Pikadon lief emsig voran. Eine Stimme rief ihn zu einem ganz speziellen Ort, den er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, und er konnte nicht anders, als dieser Stimme zu folgen. Obgleich sie erst so ungewohnt klang, wie sie sich in seinen Kopf geschlichen hatte, so vertraut kam sie ihm dennoch vor, als wäre sie schon immer da gewesen. Einhörner waren von jeher frei, unbändig und unabhängig. Gewöhnlich gehorchten sie Nichts und Niemanden. Aber wenn auf ihnen eine Last lag, so wie bei diesem Einhorn, so führte es seine Bürde ohne Rücksicht auf Verluste aus. Nur so könnte es seinem Schicksal entfliehen und wieder die Freiheit erlangen, die es so liebte. So erging es auch Pikadon, der vor vielen Jahren, man könnte schon von Hunderten von Jahren sprechen, damals von den Vorgängergenerationen der Prismenträger verflucht worden war. Als junges ungestümes Tier tollte er mit anderen Einhörnern in den Lustgärten Raftels und des Verlorenen Königreiches umher, versprühte seine Donnerblitze und zerstörte in seiner Wildheit den Spiegelsaal. Also verjagte man ihn aus dem Paradies mit dem Aufgabe, endlich das Rätsel zu lösen, wer denn nun die verwaiste Position des Prismenwächters inne hatte. Er solle ja niemals wagen, zu einem Prismenträger zurückzukehren ohne den Wächter benennen zu können. Noch besser wäre es, er würde den Wächter gleich mitbringen. So begann die große Suche. Seit dieser Zeit an suchte Pikadon unermüdlich den Wächter, galoppierte von Nord nach Süd und von Ost nach West und war trotzdem ohne Erfolg geblieben. Besorgt war das Einhorn, wie sich der Regenbogen nur als blasses, dünnes Farbband durch die nassen Wolken des Nebeldorfes geschlängelt hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass der Regenbogen durch den dicken Nebel nicht durchkam, fehlte ihm doch das Sonnenlicht. Doch als das bunte Licht die Wolkendecke durchbrach und es sich am blauen Firmament spannen sollte, blieb es zart und brüchig. Der Regenbogen verlor zusehends an Kraft und es blieb zu hoffen, dass er sich bis zu seinem Ziel nicht gänzlich aufgelöst hätte. Also galoppierte Pikadon schneller voran. Auch wenn das Farbband langsam verblasste, war er guter Dinge, dass sich alles zum Besten wenden würde. Er schnaubte erfreut vor sich her, genoss den frischen Wind in seiner Mähne, der sein regendurchtränktes Fell längst getrocknet hatte, und fühlte die Leichtigkeit, diesmal keinen Passagier auf seinem Rücken zu tragen. So kam er gut voran und war nicht mehr weit von dem Ende der Reise entfernt. Der Regenbogen war kaum noch mit bloßem Auge zu sehen, doch es würde reichen. Der Bogen senkte sich gen Erde hinab und berührte zarte, grüne Grashalme. Dort unten musste irgendwo Raftel liegen, wo alles im Meeresschaum versank, der Himmel sich grässlich trübte und das Meerwasser bleiern war. Dort, wo die Sunny an der Kaimauer vor Anker im öligen Wasser dümpelte. Ja, da musste es sein. Hier war er genau richtig. Der Regenbogen endete exakt auf dem Rasendeck des Piratenschiffes, welches eher einem Geisterschiff glich. Keine Menschenseele war zu sehen oder zu hören. Nur hohe Schaumberge umschlossen die Sunny als hätte man ihr einen weichen Schal umgelegt. Kaum hatte Pikadon mit seinen Hufen das weiche Gras berührt und der Regenbogen sich vollständig aufgelöst, stieß er ein frohes, trompetenhaftes Wiehern aus. Es schallte weit über das Schiffsdeck hinaus und hätte wohl auch Tote wieder zum Leben erwecken können. Aufmerksam hob das Einhorn majestätisch seinen Kopf in die Höhe und musterte mit seinen Augen das Schiff. Die schönen Lauscher hatte es aufgestellt und wandte sich samt Kopf sofort in die Richtung, wo eine Tür knarrte und jemand zielsicher auf es zusteuerte. Pikadons dunkle Augen blitzen lustig auf, als er denjenigen sah, der ihn gerufen hatte. So war es nämlich richtig. Das Mädchen hatte zwar das weiße Schwert übergangsweise besessen und damit die Macht über ihn gehabt, aber das Mädchen hatte das Schwert später an den wahren Besitzer zurückgeben müssen. So war es passig, so war es stimmig. Was nun aber nicht heißen sollte, dass er Taiyoko nicht mochte. Ganz im Gegenteil hatte er das Mädchen sehr in sein Herz geschlossen und irgendwann würde sie gewiss die Rolle des roten Prismenträgers übernehmen. Doch das könnte noch Jahrzehnte dauern. Pikadon schnaubte zufrieden, als eine raue Hand seine Nüstern streichelten, dann zu seinen Ohren wanderte und ihn kurz freundschaftlich kraulte. Zufrieden legte er den Kopf schief und schloss für einen Moment genießerisch die Augen. „Na, altes Pony.“, begrüßte Zoro leise das Einhorn und neckte es mit seiner bewussten Wortwahl. „Hast du gut hergefunden?“ „Nichts leichter als das.“, antwortet Pikadon mit seiner bronzenen Stimme. „Aber der Regenbogen wird immer schwächer. Ich weiß nicht, wie lange er uns noch trägt.“ „Das habe ich mir schon fast gedacht.“, murmelte Zoro zurück. Er erinnerte sich kurz an etwas, was ihn zu einem schiefen Lächeln brachte: „Du warst immer da. All die ganzen Jahre...“ „Höhöhöhö.“, schnaubte Pikadon leise und zufrieden als Zeichen, dass Zoro sich recht erinnerte. Das Bild, welches sich aus Zoros Gedächtnis formte, wurde immer klarer und klarer. Da hatte immer ein altes, graues Pferd in Shimotsuki in einem Gemüsegarten am Ende des Dorfes gestanden. Es war ein Apfelschimmel, um genau zu sein. Ziemlich groß, aber für die üblich geschätzten Pferdeproportionen recht unförmig geraten. Pferdekennerische Passanten beäugten voller Argwohn das graue, struppige Tier mit dem schlechten Benehmen. Es trug nie ein Halfter und wollte sich auch nicht führen lassen. Noch dazu hatte es Spalthufe, an denen der Hufschmied regelrecht verzweifelte. Es wäre einst mal zugelaufen und büxte eben so häufig wieder aus, erzählte oft die Bauersfrau lachend. Dann sah man das Pferd wochenlang nicht mehr. Im Dorfe erzeugte diese Unart nur Kopfschütteln, wie man denn einem Pferd gestatten könnte zu kommen und zu gehen, wie es ihm beliebte. Und dann immer dieser Flurschaden. Zur Erntezeit zupfte es gerne frech die Rüben aus dem Boden und knabberte die Äpfel vom Baum herunter. Es war immer frech und unbändig, doch es zog manchmal brav den klapprigen Wagen in das benachbarte Dorf, damit die Bauersfrau das Gemüse verkaufen konnte. Sie mochte das Tier und pflegte es wie ihr eigenes Kind, denn leider war ihr der Kinderwunsch ewig versagt geblieben. So bekam das Pferd liebevoll das Fell gestriegelt, Schleifchen in die Mähne geflochten und im Winter eine kuschelige Decke, obwohl Pferde ja ein dickes Winterfell hätten und gar keine Decke bräuchten. Die alte Dame würde das unverschämte Vieh viel zu sehr verhätscheln. Das wäre sicherlich der Grund, weshalb es so hochmütig und frech wäre. Aber das Pferd hatte noch weitere Macken, denn es ließ niemanden auf seinem Rücken Platz nehmen, konnte dann zielgenau beißen und ausschlagen. Besonders die Jungen im Dorfe bekamen die Hufe zu spüren, wenn sie Rodeo spielen wollten. Es hatte sich zu einer Mutprobe entwickelt, dieses Pferd zu besteigen. Geschafft hatte es nie jemand. Zoro hatte sich nie für Pferde interessiert, hatte er dieses besondere Pferd nur bei seinem tagtäglichen Training zwischen dem Gemüse stehen sehen, wenn er an dem windschiefen Holzzaun vorbeilief. Ihm war es auch herzlich egal, was es denn mit diesem Tier für Probleme gäbe. Es war nicht seines und auf einem landwirtschaftlichen Gehöft wohnte er auch nicht, wo man sich über die zertrampelten Felder häufig Luft machte. Die Mädchen im Dorfe hingegen fanden es ach so süß und kamen jeden Tag zum Streicheln und Füttern. Selbst Kuina hatte ihm manchmal von dem Tier erzählt, wie nett es doch wäre. Zoro hatte nur augenrollend den Kopf geschüttelt, was denn an so einem grauen Pferd mit gespaltenen Hufen hübsch wäre. Überhaupt stände dieses Exemplar nur faul herum und wäre dem Hörensagen nach sehr boshaft. Er selbst hatte nur eine direkte Begegnung mit dem Pferd gehabt, weil sie beide dieselbe Vorliebe hatte: Die knallroten Äpfel am Apfelbaum. Es bereitete keine Mühe für Zoro, sich an den Ästen hochzuziehen, zwei oder drei Früchte zu klauen und dann wieder zu verschwinden. Er sah, wie das Pferd sich dann gerne unten an den Stamm stellte und mit angelegten Ohren und bleckenden Zähnen ihm klar machte, was es von so einem Obstdieb hielt. Da half es auch gar nichts, dass Zoro ihm aus Nettigkeit hin und wieder einen Apfel hinunter vor die Hufe warf. Also sprang Zoro dann mit seiner Beute in den Taschen wieder aus dem Geäst und stob davon. Man kam sich erst ungewollt näher, als Zoro es nach einem Training versäumte hatte, sein Kopftuch ordentlich am Oberarm festzuknoten. Leicht wie eine Feder segelte es aus der Apfelbaumkrone in die Tiefe. Da half alles Seufzen nichts. Man musste in die Höhle des Löwen vordringen, wollte man sein heißgeliebtes Tuch wieder haben. Das Tuch war nichts besonders, hatte weder ein außergewöhnliches Webmuster, noch war es qualitativ hochwertig. Aber es war die Macht der Gewohnheit, dass es nunmal genau diese Tuch sein musste, welches Zoro mit sich herumschleppte wie einen Talisman, und kein anderes auf der Welt konnte es ersetzen. Zoro glitt aus der Baumkrone hinab und landete leise auf dem Boden. Er machte sich keine Anstalten, weiter unentdeckt zu bleiben, denn das Pferd hatte ihn sowieso schon aufgespürt. Es kam schweifschlagend mit gesenktem Haupt auf ihn zu und schnaubte drohend. Erst jetzt konnte sich Zoro ein Bild von der wahren Größe des Tieres machen, hatte er es doch sonst nur aus luftiger Höhe betrachtet. Er selbst war damals gerade mal zehn Jahre alt. Damals konnte er noch nicht über den Rücken des hohen Tieres blicken. Als das Pferd auf ihn zuschoss, war er blitzschnell. Er ließ Wadôichimonji zwar in der Saya stecken, klatsche dem Vierbeiner aber so geschickt seine Faust auf die Ganasche, dass diesem Hören und Sehen verging. Da war es dann ein leichtes, die Saya an die Pferdekehle zu halten. Als wäre es ein Mensch, schien es sofort zu verstehen, dass dieser grünhaarige Rotzbengel es tatsächlich in der Hand haben würde, ihm hier und heute den Gar auszumachen. „Hand“ war dem Tier wohl eh das rechte Stichwort, denn Zoro hatte in dieser Sekunde das Gefühl, das Pferd würde sein Schwert in seiner Hand anstarren wie ein magisches Weltwunder. „Fass' dich mal an die eigene Nase, du falsches Vieh. Frisst dich hier selber kugelrund und lässt der alten Frau nicht viel übrig. Wer ist hier also der größere Schmarotzer von uns beiden?“, blaffte Zoro das Pferd an, welches verwundert über solch klaren Worte den Kopf schief legte, als würde es alles verstehen. Seit diesem Tag an waren sie im Apfelklau Verbündete. Und Zoro wurde stets von der Dorfgemeinschaft gefragt, wie er es zustande gebracht hatte, das Pferd ohne Bisswunden streicheln zu können. Die Jahre vergingen. Für Zoro kam irgendwann der Herbst, in dem er es ihm viel zu albern war, in Bäumen herum zu steigen und Äpfel zu klauen. Irgendwann war dann auch das Pferd plötzlich auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Zoro scherte sich nicht darum, denn kurz darauf sagte er bald selbst Lebewohl zu seinem Heimatdorf und zog in die weite Welt hinaus. Somit hatte sich das Apfeldiebgespann von selbst aufgelöst. Damals. Das schien so unendlich lang her. Es war eine Zeit, in der man sich über nichts Gedanken machen musste außer seiner Kindheitsträume. Wo die Sommer immer heiß und die Winter im kalt waren. Die Jahreszeiten kamen automatisch immer immer wiederkehrenden Kreislauf. Sie zogen an einem vorüber und nahmen einen mit. Und plötzlich war man groß geworden, verließ die Nestwärme und schlitterte von einem Schicksal ins nächste. Taiyoko hatte ihn mal in einem philosophischem Anflug gefragt, was es denn heißen würde, groß zu sein. Die Kinder hatten sich da in der Schule ziemlich hitzig unterhalten, als einer der Klassenkameraden erzählte, das älteste Geschwisterkind wäre nun volljährig und dürfte nun alles machen, was es wollte. Das war eine gute Frage gewesen, über die man ja selbst noch nie so recht nachgedacht hatte, und man kam dann zu dem Schluss, dass es wohl heißen würde, dass man alles allein entscheiden und für die Entscheidungen auch die Konsequenzen zu tragen hätte. Daraufhin hatte Taiyoko sogleich in ihren jungen Jahren schon analysiert, dass Luffy wohl nie erwachsen werden dürfte, weil er immer alle Konsequenzen auf die Mannschaft abwälzen würde. Da hatten beide herzhaft lachen müssen. An das alles hatte sich Zoro erinnern können, als er Pikadons Hals klopfte. Nein, er hatte damals Pikadon tatsächlich nicht erkannt. Er war immer nur ein gewöhnliches Pferd gewesen. Das Horn und die magische Mondaura hatte er nie sehen können. Und wer glaubte schon an Einhörner? Heute war das alles anders. Als hätte Pikadon eben diese Frage in Gedanken verstanden, neigte er seinen Kopf zu demjenigen, der in den letzten Jahren doch reichlich gewachsen und erwachsen geworden war. „Ich hätte dich auch fast nicht wiedererkannt. Du bist so groß geworden. Es war ein Wink des Schicksals, dass ich deine Tochter getroffen hatte. Und ich bin ihr nur gefolgt, weil sie dein Schwert trug. Seit Jahrhunderten suche ich den Wächter und als ich auf der Suche ihn euer Dorf kam, da hatte ich dich gesehen. Aber deine Hanyôkräfte waren versiegelt. Ich habe erst viel später raus gefunden, dass du nicht der Wächter, aber ein Prismenträger bist. Ah, du bist alt geworden...“ Ein Knuff an die Ganasche wie einst damals war Zoros Antwort auf den kleinen Scherz des Einhorn. „Hey, ich bin nicht alt. Ich bin 35.“ lachte er kurz auf. Pikadon schüttelte seinen Hals, dass die Mähne nur so flog. Man verstand sich genauso wie früher. Doch die Zeit für Sentimentalitäten war nicht gegeben. Es musste weitergehen. Nachdenklich hatte Zoro seine Arme vor der Brust verschränkt. Seine Augen verloren sich in der Ferne auf der schlickigen See und in den weißen Schaumbergen. Er hatte keinen rechten Plan, wie er nun vorgehen sollte und hoffte, das weise Einhorn könnte ihm einen Rat erteilen. Also erzählte er ihm von seinen Vermutungen und was er zu tun gedenke. Es klang risikoreich, aber schlüssig. Pikadon schnaubte zustimmend. Wenige Sekunden später schulterte Zoro seinen Rucksack und schwang sich auf den Rücken des Einhornes. Über einen blassen Regenbogen ging es hoch in die Lüfte hinaus. Zoro hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man auf einem Vierbeiner zu reiten hätte. Doch Pikadons Galoppade war lang und gleichmäßig. Schnell wurde er eins mit dem Schwung und wog sich hin und her wie auf einer Schaukel. Nur der Rucksack plumpste bei jedem Galoppsprung empfindlich in sein eigenes Kreuz und war somit etwas nervig. Es galt nun seinen Plan langsam umzusetzen und dazu gehörte es, dass sie erst einmal Law finden müssten. Er dürfte mit seiner Crew nicht allzu weit vom Ringporneglyph entfernt sein, wollte er doch zügig zur Sunny aufschließen. Zoro machte keinen Hehl daraus, dass es schwer werden würde, Law von seinem Plan zu überzeugen. Aber er musste mitspielen, denn sonst war alles verloren. Es war finsterste Nacht und ein heftiges Unwetter tobte. Klitschnass bis auf die Knochen kämpfte sich Ross und Reiter durch die Dunkelheit. Längst hatte sich der Regenbogen unter Pikadons Hufen aufgelöst und sie waren aus dem Himmel herabgestürzt. Allein Zoros Fähigkeiten bewahrten sie beide vor einer totalen Bruchlandung, und er war heilfroh, dass der Regenbogen sie noch bis zu der Insel getragen hatte, wo Law sich aufhielt. Er konnte die Anwesenheit des Freundes genaustens spüren. Es überraschte Zoro, wie schnell sich doch die positiven Nebenwirkungen des roten Prismas bemerkbar machten. Nun galt es, die letzten Kilometer durch die Gewitterhölle über festen Boden zurückzulegen. Einen Weg konnte man schon lange nicht mehr ausmachen, war doch alles im Morrast versunken. Bei jedem Galoppsprung peitschte der Matsch an ihnen hoch und verklebte Leib und Leben. Zoro fühlte seine Hände nicht mehr, die sich in die hellen Strähnen des Einhorns gewickelt und gezerrt hatten. Das Blut aus seinen Striemen in den Handinnenflächen färbten Pikadons weiße Mähne blutrot. Der Regen hatte seine Finger eiskalt werden lassen, vermochte es aber nicht, das Blut wieder auszuwaschen. Kein Stern, keine Laterne erleuchtete den Weg. Nur Pechschwärze, Nässe und Eiseskälte zeichneten den Pfad. Die Insel war ein einziges Hochplateau, welches aber von Schluchten und Erdspalten vollkommen zerfurcht war. Wer nicht achtsam war, landete in der endlosen Tiefe einer Spalte und versank dort unten im Meerwasser, welches durch unzählige Höhlen und Kanäle die ganze Insel unterspülte. Die Unwetter hörten auf dieser Nachtherbstinsel niemals auf. Deshalb spielte sich das Leben untertage in den Höhlen ab. Einer dieser Höhlen hatte einen riesigen Zugang zum offenen Meer und neben Water Seven einer der größten Schiffswerften der Grandline. Dorthin mussten Pikadon und Zoro, wenn sie die Heartpiratenbande und ihren Kapitän treffen wollten. Schon kam das Ende der Insel immer näher auf sie zugerast. Es war in der Dunkelheit kaum auszumachen. Der Rand der Steilküste hob sich nur minimal vom schwarzen Horizont und dem dunkelblauen Meer ab. Der Hafen musste direkt unter ihnen liegen. „Spring!“, befahl Zoro dem Einhorn. „Bist du irre?“ Doch Zoros bohrende Hacken in seinen Flanken und die Saya, die einmal auf seine Hinterhand klatschte, gaben Pikadon unmissverständlich zu verstehen, dass Zoro nicht zu scherzen pflegte, sondern er es bitterernst meinte. Das Tier setzte zu einem Sprung an und sie fielen Meter um Meter in die Tiefe. Ein lauter Klatscher, der auf der Haut brannte wie tausend heiße Nadeln, und eisiges Wasser beendeten den freien Fall. Sie tauchten tief, kamen aber sofort wieder an die Oberfläche. Schwimmen, schwimmen! Eine lange Kaimauer mit Rampe war ihr Glück. Zitternd und klappernd bekamen beide wieder festen Boden unten den Füßen. Doch nichts hielt sie auf. Sie jagten über die Pier, übersprangen Stückgüter und umkurvten Seeleute, die ihnen schreiend hinterfragten, ob sie denn närrisch geworden wären. Dann war plötzlich Schluss. Pikadon stemmte die Vorderhufe in den Boden und hätte sich zum Bremsen fast noch auf die Hinterhand gesetzt, bis er vor einer Kaimauer zum Stehen kam. Seine Flanken bebten, wie er so nach Luft pumpte und seine Nüstern waren weit aufgerissen. Er hatte es wirklich geschafft. Vor ihm lag die Ghost, das gelbe U-Boot. Einer der Crewmitglieder guckte erst verdattert und rief dann lachend durch das Turmluk: „Traffi? Da sind zwei Moormonsterwesen für dich!“ Das Bad im Meer hatte es nicht geschafft, den Schlick vollständig von ihnen abzuwaschen. Demnach war die Umschreibung zutreffend und ein hinzukommender Law konnte nur sarkastisch anmerken: „Moorpackungen für die Schulter wendet man heiß an, nicht kalt. Heiß!“ Ja, hier waren sie definitiv richtig. Verbündete, Wärme und schlechte Witze. Was wäre die Welt ohne Laws trockenem Humor? Vermutlich viel schlimmer zu ertragen. Und Zoro konnte dem wieder einmal nur zustimmen, wenn man sagte: Law wäre viel zu cool für diese Welt. Kapitel 42: 42 - Der Wächter ---------------------------- Obwohl höchste Eile geboten war, musste Zoro notgedrungen lange bei der Heartpiratenbande verweilen. Und zwar länger, als es ihm beliebte und er es eingeplant hatte. Nach einer ausgelassenen Rast und einem für Zoros Verhältnisse viel zu ausführlichem Bericht seinerseits über die aktuelle Lage der Nation, hatte er sich mit Law zu einem Vier-Augen-Gespräch auf das Deck der Ghost zurückgezogen. Es hatte den Hanyô den ganzen Abend und die halbe Nacht gebraucht, Laws Zustimmung zu seinem Plan zu erhalten, obgleich Zoro grundsätzlich kein Mann von vielen Worten und der Chef der Heart-Crew in keiner Sekunde überzeugt war. Wieder und wieder haderte Law mit seiner Entscheidung und fand unzählige Einwände. Immerhin galt es, sein Leben komplett im Hier und Jetzt sofort ändern zu müssen. Und wer wollte das schon so spontan? Im Morgengrauen waren sie dann aufgebrochen. Die Ghost samt Besatzung sollte in dem Hafen in Sicherheit vor Anker bleiben, bis sie Nachricht über das weitere Vorgehen erhalten würden. Und so trug Pikadon auf seinem breiten Rücken seine zwei Reiter sanft und gleichmäßig wie ein Schaukelpferd über den Regenbogen dorthin zurück, woher er noch vor gar nicht so langer Zeit gestartet war. Law war skeptisch, wie sich das bunte Band unter den Hufen des Einhorns aufspannt und dann durch die Luft schlängelte. Kaum hatte das Fabeltier seine Galoppade aufgenommen und einige Meter auf dem Lichtboden gutgemacht, so löste sich hinter ihm der Regenbogen wieder auf. Es glich einem bunten Streifen, der von allein durch die Lüfte flog, und Pikadons innerer Wille war es, der ihn lenkte und die Geschwindigkeit vorgab. Law sprach die ganze Reise kein Wort, hatte sein übliches Pokergesicht aufgesetzt, blickte aber neugierig und erstaunt zugleich in die Tiefe hinab, wo blaue Wasserflächen die Sonne reflektierten, Äcker und Felder wie ein großes gewürfeltes Tuch aussahen, Gebirge zu langgezogenen, schroffen Furchen wurden und Wälder Moosgummiflächen bildeten. Es war eine sehr angenehme und schnelle Art des Reisens. Trotzdem war es Law, da es sein erster Flug auf dem Einhorn war, nicht ganz geheuer. „Der Meeresschaum breitet sich stetig aus!“, informierte Pikadon seine Reiter. Tatsächlich trieben auf den Weltmeeren vereinzelte Schaumberge vor sich her. Harmlos wie ein Schaumbad in der Badewanne täuschten sie Harmonie und Entspannung vor. Doch Zoro wusste es besser. Wer einmal mit der Magie der Grünäugigen in Berührung gekommen war, der war hoffnungslos verloren. Eine Rettung war für das Opfer nur möglich, wenn man es rechtzeitig aus dem Wasser gefischt und aus dessen Traum erweckt hatte. Dazu musste Leib und Seele aber erst einmal von einem Retter in den endlosen Weiten der Ozeane gefunden werden. Sonst würde sich die Seele im Traum verlieren und der Körper würde sich im Salzwasser auflösen. Zoro konnte nun als reaktivierter Prismenträger die Gefühlswellen aller Menschen aufs Neue spüren und seine Erfahrung ließ es zu, sie zu filtern oder nach Belieben auszublenden. Seinen Freunden ging es gut. Er spürte ihre Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Freuden. Sie waren noch nicht allzu lange in ihr persönliches Koma gefallen und verwandelt worden. Doch Tashigis Band wurde immer dünner und dünner. Wut und Verzweiflung zugleich breitete sich in Zoros Herzen aus. Die Trauer gesellte sich dazu und machte es ihm nicht einfacher. Egal, wie es ausgehen würde. Er würde sie finden. „Reiß dich am Riemen, Zoro! Sonst stürzen wir ab!“, mahnte das Einhorn böse, den es trug nur Passagiere mit reinem Herzen und freiem Gewissen durch die Lüfte. Da war Zoros Frust ein harter Ballast, den es zu schultern galt. Von Laws Wesen, zeitweise kaltblütig und unberechenbar zu sein, wollte man gar nicht erst reden. Pikadon hatte schon so seine liebe Mühe, seine beiden Schwerstkalliber voller Negativpotential zu transportieren. Der Regenbogen senkte sich und verschwand zwischen den Wolken. Nur noch wenige Galoppsprünge und sie würden das Nebeldorf erreichen. Blieb nur zu hoffen, dass die beiden Vögel nicht ausgeflogen wären. Sie landeten direkt neben dem kleinen Häuschen, aus dessen Schornstein es qualmte und somit Bewohner beherbergen müsste. Pikadon hatte noch nicht einmal gestoppt, da schwang sich der Hanyô schon aus der Pferdebewegung galant vom Rücken und stapfte doch recht gefühlsgeladen zur Haustür. In seinem Verstand ging es drunter und drüber. Da konnte er nicht einmal sagen, welches Gefühl nun dominierte. Aber eines wusste er ganz genau: Das alles musste jetzt aufhören. Jetzt sofort! Mit einem kräftigen Fausthieb klopfte er an das Türblatt, welches Mühe hatte, nicht zu zerbersten. Pikadon und Law blickten Zoro nur seufzend hinterdrein. Eine Schwertspitze schnellte plötzlich aus dem Türspalt heraus, stoppte aber unmittelbar vor Zoros Kehle. Eine ängstliche Taiyoko hatte die Tür geöffnet, sprang nun aber hocherfreut ihrem Vater um den Hals. Es war eine längere Umarmung voller Erleichterung und Wiedersehensfreude. „Weißt du, wo Takeru ist?“, fragte er seine Tochter leise, doch sie erkannte an der Stimme ihres Vater nur zu gut, dass dort etwas Unheimliches mitschwang, vor dem man sich in Acht zu nehmen hätte. Sie schüttelte nur den Kopf und gab Auskunft, dass in ihrem tagtäglichen Rhythmus Takeru derjenige welcher wäre, heute das Feuerholz zu besorgen. Er wäre aber schon eine längere Weile fort, was aber nichts Ungewöhnliches wäre. Manchmal dauerte es länger, bis man alle Nachbarn abgegrast und seine Geschäfte erledigt hätte. „Der wird gemerkt haben, dass wir da sind.“, stellte Zoro laut denkend fest. „Klar hat er das. Der ist ja nicht doof.“, kommentierte Law die Sachlage. „Meinst du, er verpisst sich?“ Law zuckte dabei fragend mit den Schultern, hatte er doch nur eingeschränkte Möglichkeiten, Takeru zu finden. Einen Room über das komplette Nebeldorf zu erzeugen, wäre zwar möglich, aber sehr kräfteraubend und wenig effektiv. Taiyoko verstand nichts von dem, was hier eben passierte, hatte aber ihren ängstlichen Blick beibehalte. Es war ihr klar wie frisches Quellwasser, dass es um Takeru ging und das Alarmstufe Rot um seine Person herrschte. War er in Gefahr oder war er gar die Gefahr selber? So zielgerichtet wie Law und ihr Vater hier aufgekreuzt waren und nach ihm suchten, verhieß es so oder so nichts Gutes. „Ich weiß, dass ihr beide sehr befreundet seit. Aber Takeru hat ziemlich viel Mist gebaut und es ist nun höchste Zeit, dass der das ausbügelt. Ich muss den leider mitnehmen.“, versuchte Zoro in ruhiger Tonlage seiner Tochter schonend die Problematik bei zu biegen, was ihm unglaublich schwerfiel, denn innerlich war er kochgar und kurz vor der Explosion. Er hätte Takerus misslungenes Spiel früher erkennen müssen. So war nun aber das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen, weil Takeru es einfach nicht für nötig gehalten hatte, seinen Mund aufzubekommen, sondern lieber den Weg des stummen Hilfeschreis gewählt hatte. Das war an sich auch nicht so ganz verkehrt gewesen, doch die Mühlen der Intrigen mahlten fröhlich weiter und hatten alles nur noch verschärft. Der Hanyô wandte den Kopf gen Ebene und fixierte mit einem Todesblick in eine bestimmte Richtung im dicken Nebel einen Punkt an. Takeru war gar nicht mal so weit weg. Das konnte er genaustens fühlen. Vermutlich beobachtete Takeru die kleine Ansammlung vor dem Haus. Wie so ein kleiner Vorstadtninja, dachte Zoro und musste kurz innerlich auflachen. Er konnte nicht abstreiten, dass er den Bengel mochte, fand er doch so einige Eigenschaften an ihm, die er selbst inne hatte. In einigen Punkten waren sie sich ähnlich. Wenn Zoro Takeru ansah, dann sah er sich selbst. Da war derselbe missmutig, trotzige Blick, wenn er seine Augen umherschweifen ließ. Derselbe kampfeslustige Ausdruck im Gesicht, wenn es einen guten und harten Kampf zu gewinnen gab. Takeru mochte wohl sogar bereit sein, sein Leben dafür zu opfern. Aber da waren auch die ganz feinen versteckten Seiten voller verschlossener Liebe, wenn er bei den Menschen sein durfte, die er liebte. Je mehr Zoro über seinen Plan nachdachte, desto schwerer fiel es ihm, den Bengel als Köder zu missbrauchen. Also sollte er es schnell hinter sich bringen, denn Takeru würde niemals freiwillig mitmachen. Und dass Zoro den nur unter Gewaltanwendung mitschleifen könnte, machte es nicht unbedingt leichter. Der Hanyô stellte seinen Rucksack auf dem Tisch in der Hütte ab und holte das Herz in der Box hervor. Takerus Herz. Es schlug aufgeregt. Einerseits voller Mut, aber auch voller Angst. Der wusste, was ihm nun blühte. Die Krankenakte aus der Haibara Klinik gesellte sich daneben. Zoros Finger blieben an dem Karteikartenreiter hängen, auf dem irgendjemand vom Pflegepersonal einen Namen fein säuberlich notiert hatte. Es war nur eine Sekunde, die sein Blick an den Lettern hingen, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Ein letztes Mal sah Zoro das schlagende Herz an. Es erinnerte ihn an ein altes Märchen, indem ein Glasmacher einen Pakt mit dem Teufel einging und sein reines Herz gegen einen Stein in der Brust tauschte, weil er der Armut entkommen wollte. Der Teufel sammelte alle Herzen in Gläsern und ließ sie pochen. Es soll daher in der Hölle wie in einem Uhrwerk geklungen haben, weil es so pocherte und tickte. Zoro nahm das Herz in die Hand und reichte es Law mit der Bitte, es seinem Besitzer wieder einzupflanzen. Der Spaß wäre nur halb so groß, wenn der vermeintliche Gegner nicht vollständig wäre. Law lachte und gab der Bitte statt. Die Box verglühte in Laws Händen. Das Herz flackerte auf und flog seinen Weg durch die Lüfte zu seinem Körper. Nur wenige Meter weiter hinter dem Haus traf Takeru diese Art von Transplantation wie ein Axtwurf mitten in den Oberkörper. Er brach in sich zusammen, fasste sich an die Brust und versuchte, den unerträglichen Schmerz zu händeln. Japsend wälzte er sich in dem dreckigen Erdreich, kam auf dem Rücken zum Liegen und starrte mit allen Vieren von sich gestreckt zum Himmel. Er hatte sein wichtigstes Organ zurückerhalten. Und es tat so weh. Die Entnahme war wenig schmerzvoll gewesen. Da wunderte ihn nun diese Qual, konnte er doch nicht wissen, dass Zoro garstig eine Handvoll Prismenmagie hinzugefügt hatte. Ein Ladung Angst, Verlustschmerz und Familienwärme. Alles, was der Vorstadtninja wohl gern gehabt hätte, aber nie so recht in seinem Leben gekannt und bekommen hatte. Das schlug nun ein wie eine Bombe und setzte ihm zu wie eine Faust in der Magengegend. Keuchend rappelte er sich langsam auf und sah finster um sich. Der Nebel schränkte die Sicht stark ein. Schroffe Felsen und kleine Krüppelkiefern hier und da boten kaum Deckung. Der Beginn einer Schlacht lag in der Luft. Es roch nach Schweiß und Blut. Ein Hauch Tod schwappte darin mit. Sie beide, Takeru und Zoro, konnten durch das Zwielicht wandeln. Durch sämtliche Raum- und Zeitebenen. Takeru wusste das und wie es um seine Chancen bei diesem Kampf, der unausweichlich schien, stünde. Er konnte nur verlieren. Aber er würde nicht so schnell aufgeben. Ein Tritt in die empfindliche Körperseite beförderte ihn kullernd über den Boden. Hart küsste er den nächstbesten Felsen. Wo kam das denn her? Mit ziemlicher Sicherheit war er doch noch genau vor einer Millisekunde allein auf diesem Feld gewesen. Warm rann es auf seiner Haut. Er leckte sich über die Lippen und schmeckte den süßen Geschmack seines eigenen Blutes. Aus einer großen Platzwunde pulsierte es hinaus. Es tropfte von seiner Augenbraue und verwischte die Klarsicht. Nur wenige Meter weiter stand die Ursache des Tritts. Zoros Umriss näherte sich langsam durch die Nebelschwaden auf ihn zu und kam kurz vor ihm zum Stehen. Ein Blick voller Verachtung und Wut von unten traf auf einen Blick voller Ruhe und Mitleid von oben. „Lass mich raten, du kommst nicht freiwillig mit?“ seufzte Zoro. Die Antwort war ein blitzschneller Kick aus der Bodentiefe in die senkrechte Höhe hinauf, welcher direkt auf Zoros Kinn zielte. Gerade noch konnte dieser ausweichen und guckte dann verwundert drein. Takeru war spurlos verschwunden. Nur eine Sekunde später zischte es hinter seinem Rücken. Sein Angreifer sprang mit gezogenem Katana aus dem Zwielicht heraus, um ihn hinterrücks zu erdolchen. Na, na! Der kleine Vorstadtninja wurde frech und packte Tricks aus. Zoro hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass Takeru der Generation neuer Steckbriefträger angehörte, die die alte eher früher, als später verdrängen würde. Ehrgeizig, talentiert und schlau. Aber leider ohne großes Ziel vor Augen. Der Hanyô parierte den Angriff mühelos mit dem halb gezogenen Schwert und grinste schelmisch. Es ehrte sein Opfer, dass dieses sich nicht kampflos ergeben wollte, sondern lieber mit wehenden Fahnen unterging. Es würde ein interessanter Kampf werden, denn noch nie hatte Zoro das Zwielicht als neue Dimension in einem Kampf berücksichtigen müssen. Hier ging es weniger um Hiebkraft, mehr um die Präzision und technisch sichere Ausführung an sich. Allein die Geschwindigkeit durch das Zwielicht zu springen und dann schon beim ersten Schlag den Gegner zu treffen, würde über Sieg oder Niederlage entscheiden. Doch mit einem hatte Takeru wohl nicht gerechnet. Zoro hatte bereits auf der Kirschblüteninsel einen Schwachpunkt des Gegners ausgemacht: Er konnte ihn aus der Realwelt heraus im Zwielicht sehen, wie er sich in den Dimensionsebenen bewegte und sie wechselte. Für einen Außenstehenden mochte wohl der merkwürdigste Zweikampf beginnen, dem man je beiwohnen durfte. Es war dem normalen menschlichen Auge nicht möglich, die Bewegungen der Kontrahenten zu verfolgen. Nur das zeitweise Aufflackern eines Umrisses, zerknickte Grashalme und ein seichter Fußabdruck auf dem kargen Boden paarten sich mit den durch Schwertern zerschnittenen Furchen im Erdreich. Keiner von beiden wollte den anderen töten, man brauchte sich gegenseitig lebendig. Jeder für seine ureigenen Zwecke. Doch auch Takeru hatte seine Hausaufgaben gemacht, griff er doch stets von immer derselben Seite an, um Zoros Handicap mit dessen Schulter sich eigen zu machen. Tatsächlich schaffte er etwas, was sich bis dahin nur vor seinem geistigen Auge als Wunschdenken abgespielt hatte: Seine Klinge rutschte unter herben Kraftaufwand an Zoros Klinge hinab genau auf dessen Arm zu. Zoro, der hingegen die Zähne zusammenbiss, weil eben dieser für ihn blockierende Schlag aus der Rückhand übelst die lädierte Schulter quälte, spürte den beißend dünnen Schmerz in seinem Oberarm. „Der Bengel ist komplett lebensmüde.“, dachte Zoro überrascht über diesen Angriff. „Der nimmt uns glatt beide mit in den Tod.“ Denn noch ehe aus seiner Wunde auch nur ein einziger Blutstropfen quoll, schlug er reflexartig mit dem zweiten Schwert direkt auf Takeru ein. Ein typischer Abwehrschlag. Es wäre ein todbringender Schlag gewesen, der den Jüngeren glatt mittig in zwei Hälften geteilt hätte, hätte Zoro nicht noch kurz vor dem Ziel inne gehalten und Takeru einfach nur sein Knie in die Magengrube und seinen Ellenbogen in den Nacken gezimmert. Ächzend ging der Andere zu Boden, stemmte sich trotzig auf die Unterarme und versuchte, sich wieder aufzurichten, doch Zoros Fußtritt ins Kreuz tat sein übriges. Ohne Umschweife und Zärtlichkeiten, knüllte sich in Zoros Faust Takerus Jacke. Der Stoff spannte sich auf den Schulterblättern und zurrte sich um den Hals. Ein Röcheln untermalte die Aktion. „Hörst du jetzt auf oder brauchst du noch ein paar hinter die Löffel?“ Zoro kochte vor Wut. Diese ganze Prügelei war völlig unnötig und reservefressend. Von dem Jüngern kam gar nichts mehr. Entweder hatte es ihm aus blanken Trotz die Sprache verschlagen oder er bekam einfach keine Luft mehr. „Ich lasse mich nicht ausliefern und von denen töten“, regte sich da nun doch eine Meinung. „Brauchst du auch nicht. Ich kann dich auch gleich hier einbuddeln.“, konterte Zoro. „Lebendig!“ Takeru schnaufte schnippisch auf. „Würdest du aber niemals tun. Warum eigentlich nicht? Warum tötest du mich nicht einfach?“ Zoro rollte mit den Augen und fühlte sich gerade in viele alte Szenen aus seinem jüngeren Leben zurückversetzt. „Weißt du, wie mich diese Frage ankotzt?“, schnaubte er zurück, denn es musste den Menschen, die ihm sehr nahe standen und wichtig schienen, ein ernstes Bedürfnis sein, ausgerechnet durch seine Hand den Tod zu finden. Er löste den Griff aus dem Jackenstoff wieder und Takeru landete dort zurück, wo er ganz gut hinpasste: im Staub. Dem missfiel aber die Lage, weshalb er sich mit einem unbeholfenen Schwung auf den Rücken umdrehte und schon zum zweiten Male still in die Nebelschwaden direkt über ihm starrte. Was auch immer er gerade dachte, es wurde sehr genau analysiert. Dann schloss er die Augen, holte einmal tief Luft und atmete langsam hörbar aus. „Es tut mir leid.“, sagte er fest und deutlich zu Zoro, der sich hatte bereits in Gras fallen lassen und seine Wunde notdürftig mit dem Kopftuch zum Stillstand gebracht hatte. Die Gefühlswellen, die Takeru aussandte, bestätigten seine Aussage. Zoro konnte es deutlich spüren. Es tat dem Bengel wirklich leid. Aber was eigentlich genau? Takerus Geschichte war einfach und nicht einmal von ihm selbst geschrieben worden, sondern von üblen Intriganten und Geschichtsforschern der Weltregierung. Als die Weltregierung wahllos Kinder für ihre medizinischen Experimente entführen ließ, konnte sie nicht ahnen, welch Fisch ihr da ins Netz gegangen war, als sie ausgerechnet Takeru erwischte. Zwielichtwandler galten als ausgerottet. Man wollte durch künstlich erzeugte Teufelsfrüchte eine neue Generation von Zwielichtwandlern und somit den Zugang nach Raftel und dem Spiegelsaal erschaffen. Dumm nur, dass Takeru durch seine Wächter-Linie sowieso schon immer durch das Zwielicht wandeln konnte. Das wusste zwar Takeru zu dem Zeitpunkt auch noch nicht, wurde es ihm aber spätestens in der Klinik klar, als er als Einziger das Experiment überlebte. Teufelfruchtkräfte und Wächterkräfte in ein und demselben Körper – das konnte wahrlich nicht gutgehen. Takeru drehte durch, brannte die Klinik und alle seine Peiniger nieder und wurde mittels Gehirnwäsche wieder auf den rechten Weg und in ein vorkonstruiertes Leben entlassen. Da war es schon fast eine Selbstverständlichkeit, dass er später in die Cipher Pol Zero berufen wurde, wollte man von Marijoa aus die unheimliche Kreatur mit der Zwielichtkraft kontrolliert wissen. Auf einer seiner Missionen stolperte Takeru jedoch nicht nur durchs Zwielicht, sondern auch über Akten, die seiner selbst betrafen. Mit der Wahrheit konfrontiert und sich nicht länger missbrauchen lassen zu wollen, startete Takeru einen Rachefeldzug. Dabei riss er die Prismen aus ihrem vereinten Gefüge auseinander und setzte eine Kausalitätskette frei, die er nicht hatte absehen können. „Es braucht dir nicht leid tun. Du wolltest es doch nur wieder alles gut machen.“, versuchte Zoro ihm gut zu zureden. „Als ich in der Haibara Klinik deine Krankenakte mitgenommen hatte, sind mir zwar die Zusammenhänge klargeworden, aber es hat eine Weile gedauert zu verstehen, dass du der Wächter bist. Es stand ja nicht dein Cipher Pol Name, sondern dein richtiger Name auf der Akte.“ Stille. Beide rührten sich nicht. Der Nebel umschloss sie und stahl ihnen jegliches Zeitgefühl. Und dann begann Takeru einfach so zu erzählen. Er redete leise vor sich her, mehr zu sich selbst, aber laut genug, dass Zoro alles mithören konnte und auch sollte. Warum er sich in die Bande von Kopfgeldjägern einschmuggelte und Taiyoko entführte. Und wie das Ganze dann völlig anders endete als geplant. Doch noch ungeplanter war es, wie er einfach mal so eben vom Feinde aufgenommen und ihm vergeben wurde. Das ging doch alles gar nicht. „... also wäre es doch echt einfacher, du haust mir den Schädel vom Hals.“, endete Takeru sein Selbstgespräch. „Halt einfach deine dumme Fresse.“, schnauzte Zoro genervt zurück, erhob sich und packte zeitgleich wieder den Anderen am Schlafittchen. Er riss in hoch auf die Füße, verpasste ihm einen derben Schlag auf den Rücken und gab so die Marschrichtung vor in Richtung Hütte, wo Law und Taiyoko sicherlich schon ungeduldig warteten. In der Hütte ging es wahrlich gemütlicher zu als draußen auf dem nasskalten Nebelfelde. Dort war es warm, und heißer Tee dampfte aus der kleinen Öffnung der Teekanne. „Ich sehe, ihr habt euch geeinigt.“ ,kommentierte Law trocken das Eintreffen von Zoro und Takeru, die beide aussahen, als hätten sie das halbe Dorf mit bloßen Händen umgegraben. Takeru beachtete Law gar nicht, sondern steuerte genau auf den Tisch zu, denn seine Augen hatte die Krankenakte entdeckt. Schüchtern bat er um Erlaubnis, sie ansehen zu dürfen. Zoro nickte bejahend, war es immerhin Takerus Leben, was dort akribisch notiert und dokumentiert worden war. Takerus Finger strichen über das Namenskärtchen. Kawagiri Hikaru. Wie lange hatte er seinen eigenen Namen nicht mehr gelesen, geschweige denn überhaupt gehört? Wie viel Kindheit war ihm einfach gestohlen worden? Er drückte die Akte an seine Brust und umklammerte sie wie ein Kuscheltier. Warum auch immer begann er zu heulen. Und es war im egal, dass er dabei nicht allein war. Kapitel 43: 43 - Das gelbe Prisma --------------------------------- Das frisch gefundene Quintett löste sich im Nebeldorf ebenso schnell wieder auf, wie die Nebelschwaden, die das Hochplateau gute dreihundert Tage im Jahr grau einhüllten. Es war eine Wettererscheinung, die in dieser Gegend nur sehr selten geschah, und sie kam so plötzlich, dass es die Anwohner für einen kurzen Moment aus den Häusern trieb. Ungläubig begaffte man für einen kurzen Moment den knallgelben Ball am Himmel namens Sonne, als hätte man so etwas noch nie gesehen. Man schüttelte verwundert den Kopf und ging dann wieder seinen Alltagsgeschäften nach. Law meinte, es hätte schon fast etwas Symbolisches für sich, wie das Sonnenlicht den Nebel vertrieb. Es kam Licht ins Dunkel. Der Strahl der guten Hoffnung. Zoro guckte Law nur skeptisch von der Seite her an und fragte nach, ob er denn nun auf die eventuell letzten Tage seines Lebens noch pathetisch werden würde. Doch Law winkte schief grinsend ab. Er selber wäre zwar nicht abergläubisch, doch was er sich kürzlich alles angehört habe, könnte einen beinah in den inneren Einstellungen wanken lassen. Zu dritt blickten sie Pikadon nach, der Taiyoko über den Regenbogen nach Shimotsuki bringen sollte. Man selbst musste in den sauren Apfel beißen und als Transportmittel auf das Zwielicht zurückgreifen. Im Grunde war es nur allein für Zoro eine Qual, da dieser wohl wieder die folgenden Kopfschmerzen nach der Teleportation ertragen müsste. Missmutig streckte er eine Hand aus, die Law und Hikaru ergriffen, und schon waren sie wie vom Erdboden verschluckt, nur um in der nächsten Sekunde mitten im Spiegelsaal des vergessenen Königreiches zu landen. „Wow, das ging ja besser, als letztes Mal zur Haibara Klinik,“ lobte Law erstaunt. „Du machst dich!“ „Halt einfach die Klappe.“, murmelte Zoro, der durch den Drehschwindel und die Kopfschmerzattacken sich bei der Landung nicht hatte auf den Beinen halten können, strauchelte und mit den Händen zuerst vornüber in die Spiegelscherben griff. Es klirrte und schepperte. Ganz fein zerschnitten die Splitter Zoros Haut an Händen und Armen. Im Gesicht und am Hals. Blut quoll hervor und tropfte hernieder. Law kam nicht umher, einen weiteren trockenen Kommentar ablassen zu müssen. „Nun weiß ich, warum Chopper immer DICH begleiten muss.“ Dass Zoro ihn bei diesem Spruch wütend anfunkelte, interessierte ihn keineswegs. Stattdessen kramte er im Inneren seiner Manteltaschen und zauberte Verbandszeug hervor. Erstaunlicher Weise führten Ärzte immer ein halbes Krankenhausinventar mit sich, was man ihnen aber nie ansah. Vielleicht hatte Laws Mantel auch so einen Taschentrick wie Usopp bei seiner Handtasche. Stumm stand Takeru, der nun wieder Hikaru hieß, daneben. Er hatte sich entschieden, lieber gar nichts zu der Situation zu sagen. Egal, was er tun würde, er würde so oder so den Kürzeren ziehen. Da war absolutes Unterordnen die erste Wahl. Im Gegensatz zu Zoro ging es Hikaru nach dem Zwielichtgang ausgesprochen gut. Es mochte wohl daran liegen, dass Hikaru ebenfalls diese Gabe besaß und sie schon weit öfters trainiert und daraus eine Kampftechnik abgeleitet hatte. Nun stand er ebenso wie die anderen beiden im Spiegelsaal, musste aber böse Erinnerungen auf sich einprasseln lassen. Ja, er war schon mal hier gewesen, als die Spiegel alle noch intakt waren. Die drei Prismenstücke schwebten vereint zu weißem Licht als vollständiger Regenbogenkristall inmitten des Saals. Ihre ganze Leuchtkraft reflektierte sich immer wieder und wieder, zerlegte sich in alle Spektralfarben nur um sich sofort wieder zu vereinen. So etwas Schönes und Vollkommenes hatte er zuvor noch nie gesehen. Und als er gezwungen wurde, seine Hände danach auszustrecken, um das weiße Licht zu zerstören, da war es ihm sonnenklar, dass nur etwas Entsetzliches folgen konnte. Doch er tat es trotzdem. Er trennte das Licht. Bis heute konnte er sich nicht erklären, wie er das hatte zu Wege bringen können. Drei farbige Prismenstücke fielen hernieder und es kam ihm von einer Sekunde auf die andere vor, als wäre die finsterste Schwärze über ihn und die ganze Welt hereingebrochen. Plötzlich platzen alle Spiegel gleichzeitig und zerschnitten ihn. Es war ein Gefühl, als müsse man sterben. Es brannte so eiskalt auf der Haut. Er konnte nicht sagen, wie er diesen Ort verlassen hatte. Seine Erinnerungen setzten erst wieder ein, als er auf einer Insel im East Blue erwachte und feststellte, dass er nicht mehr so wie früher das Zwielicht nutzen konnte. Er wollte den Weg zurück zum Spiegelsaal finden, doch der Weg war versperrt. Die Zwielichtebene, die für diesen Pfad nötig gewesen wäre, konnte er nicht mehr betreten. Frustriert und sich absolut nutzlos vorkommend, heuerte er bei einer Kopfgeldjägerbande an. Just zu dieser Zeit kam ihm Blackbeards Aufruf, ihm einen Hanyô zu bringen, gerade recht. Er erinnerte sich an einen Hanyô, der sich einfach so samt Familie in „seinem“ Leuchtturm in Loguetown einquartiert hatte. Allerdings rechnete er sich keine Chance aus, Zoro stellen zu können. Doch gab es da nicht dieses Mädchen, über das alle in der Schule sprachen? Zoros Tochter musste auch mit diesem Zwielichtzauber gesegnet worden sein. Immerhin lästerten viele über dieses komische Kind mit den grünen Strähnen im schwarzen Haar, welches Dinge wegzaubern konnte und zeitweilig rote Pupillen bekam. Wenn nicht Zoro, dann Taiyoko! Sie wäre die einzige Möglichkeit, den Rückweg zum Spiegelsaal zu öffnen. Nein, er hätte Taiyoko so oder so niemals an Blackbeard oder noch an irgend jemanden anderen ausgeliefert. Sein Job bei den Kopfgeldjägern war nur reinste Tarnung gewesen. Mittlerweile mochte er das Mädchen sehr. Auch wenn sie seine kleine Kratzbürste war, so hatten sie beide sofort einen guten Draht zueinander gefunden. Beide waren sonderbar und Außenseiter mit demselben Problem. Da verstand man sich auf ganz verqueren Kanälen prächtig. Er war ein wenig geknickt, wie er hatte Taiyoko auf dem Einhorn wegreiten sehen. Da blieb nur zu hoffen, dass Zoros Plan nicht nur schnell, sondern auch glatt gehen würde. Die Grundidee war simple. Nur Hikaru allein konnte als Wächter die Prismenstücke zuordnen, wie es ihm beliebte. Es galt, wieder ein Gleichgewicht herzustellen und alle drei Prismen in gute und taugliche Hände zu wissen. Keineswegs würde man den Grünäugigen das blaue Prisma überlassen. Man müsste jemanden finden, der als Träger des blauen Prismas geeignet wäre. Zoro als roter Prismenträger war gesetzt. Und wer käme als gelber Träger in Betracht? Wohl doch nur jemand, dessen Teufelsfrucht Einen zu großer Verantwortung zwang. Jemand, der die Gabe hatte, sein Leben für ein anderes zu geben. Und jemand, der klug genug war, mit den Fähigkeiten des gelben Prismas gut dosiert umzugehen. Law war überhaupt nicht begeistert von dem Plan, hatte dann aber zugestimmt, den Posten des gelben Prismenträgers zu übernehmen. Es gab nur noch einen einzigen Haken an der ganzen Sache. Hikaru konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie er es geschafft hatte, die Prismen zu trennen. Auch hatte er keine Ahnung, wie man jemanden ein Prisma anvertraute. Nun schlurfte er durch die Spiegelscherben, dass es nur so rauschte, strich mit der Fußspitze ab und zu durch die Bruchstücke und dachte nach. Hier irgendwo müsste das blaue und das gelbe Splitterstück des Regenbogenkristalls liegen. Die Fähigkeit, die Stücke zu sehen, war ihm abhanden gekommen. Wie groß mochten die Stücke sein? Wie lange müsste man suchen? Hatten die Grünäugigen schon Wind von der Sache bekommen, dass ihr Trio bereits hier auf der Insel angelangt war? Die Frage beantwortete sich von allein. Hallende Stimmen warfen ihr Echo von den Wänden. Grüne Lichter tauchten in den verspiegelten Flächen auf. Die Grünäugigen kamen hierher, um Hikaru in Empfang zu nehmen. Natürlich waren sie in dem Glauben, Zoro würde Hikaru ganz nach ihrem Befehl nun übergeben. Verzweifelt blickte er abwechselnd zu Zoro und Law, weil er nicht wusste, was er nun tun sollte. Nein, auf gar keinen Fall würde er mit den Grünäugigen gehen. Er wollte nicht wieder weggeschickt werden von Menschen, die sich seiner angenommen hatten. Und zwar ganz uneigennützig. Er war zeit seines Lebens nur verstoßen und weggeschickt worden. Hikaru wurde panisch. Hitzeschauer und kalter Schweiß tobten auf seinem Rücken. Er zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Sein Herz schlug wie wild und pumpte soviel Blut durch seine Adern, dass er dachte, sie würden platzen. Bloß nie wieder weg müssen. Dieser Wunsch formte sich in ihm. Er wurde stärker und stärker und vertrieb die Angst, die er gerade noch in jeder Faser seines Körpers gespürt hatte. Eine wohlige Wärme breitete sich aus seiner Körpermitte aus. Und plötzlich konnte er sie sehen, die Prismenstücke, die er gesucht hatte. Da leuchtete eines inmitten Zoros Leib wie eine wärmende Kerze. Strahlend schön und sicher geborgen. Direkt unter seinen Füßen glimmte es in tiefstem Blau. Am anderen Ende des Saals grellte es Gelb hervor. Hikaru streckte seine Hände nach dem gelben und dem blauen Prisma aus. Wie von Geisterhand schwebten sie aus den Scherbenhaufen empor. Als Hikarus Hand eine Drehbewegung in der Luft zeichnete schwebte des gelbe Prisma genau auf Law zu. Nur eine Sekunde später leuchtete es ebenso in dessen Innerem wie das rote Prisma seinen Platz in Zoro gefunden hatte. So einfach war das. Man musste nur wollen. Hikarus Geist war klar beisammen, doch sein Körper spielte nach der Aufregung nicht mehr mit. Ihm wurde Schwarz vor Augen. In seinen Ohren schrillte das Klirren von Glas. Eine Hand packte ihn und schliff ihn davon. Erst später sollte Hikaru erfahren, dass Zoro auf sämtliche noch verbliebene Spiegel eingeschlagen hatte, um das Eintreffen der Grünäugigen zu stoppen. Diese reisten nämlich vornehmlich von einem Ort zum nächsten, indem sie sich und ihre Abbilder stets selbst reflektierten. Und es gab noch zu erfahren, dass Law es war, der ihn vor dem Sturz ins Scherbenmeer gerettet hatte. Nun aber hielten sie sich zu dritt auf der obersten Ebene eines Turmes auf und hatten die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen. Law saß hochkonzentriert im Schneidersitz auf dem Boden, hatte die Ellenbogen auf den Knien abgestützt und dachte mit geschlossenen Augen schon eine sehr lange Weile über etwas ganz entspannt nach. Einige Meter weiter verharrte Zoro auf einer der Turmzinnen und hielt mit gezogenen Schwertern die Grünäugigen unten am Fuße des Turmes in Schach. „Auf was warten wir?“, flüsterte Hikaru Zoro zu, als hätte er Sorge, er würde Laws Konzentration stören. „Dass Law herausfindet, wie er sein gelbes Prisma gebrauchen kann“, antwortete Zoro lakonisch. „Hab' ich schon!“ sagte Law und grinste boshaft, wie er es immer tat, wenn er äußerst zufrieden war. Erst jetzt nahm Hikaru eine aus dem Erdreich herausgerissene Pflanze wahr. Sie lag samt Wurzelwerk und den letzten Erdbrocken kümmerlich vor Law und welkte dahin. Es war eine Anemone. Aber so richtig sicher war sich Hikaru nicht. Wenigstens er konnte mit hoher Genauigkeit sagen, dass sie von dort unten aus einer der Gartenanlagen stammte. Die Gärten. Einst eine herrliche botanische Pracht voller Artenvielfalt und Pflanzenreichtum verkümmerte nun im ewigen Herbst und starb ab. Die Bäume waren längst kahl, die Stauden vertrocknet, die Wiesen grau. Ein Jammer. Erste Schneeflocken fielen dick und flauschig vom Himmel. Bald würde alles unter dickem Schnee und Eis konserviert werden für die Ewigkeit. Doch Laws Anemone war anders. Gefangen in einem von Law kreierten Room schlug sie plötzlich Wurzeln und nahm Farbe an. Verlorene Kronblätter flogen zur Blüte zurück wie Eisenspäne zu einem Magneten und verwuchsen mit ihr. Die Blume erlebte einen zweiten Frühling. Law vergrößerten den Room. Es überraschte ihn selber, wie leicht es mit der Kraft des Prismas von statten ging ohne ihn selbst in seinen eigenen Kräften zu schwächen. Bald hatte der Room die ganze Insel eingenommen. Und als Hikaru hinabblickte in die Gärten und Parks, auf die Plätze und Treppen, auf die Emporen und Tore, so sah er Grünäugige, die sich merkwürdig rückwärts bewegten. Ihr Stimmengewirr erklang seltsam verzerrt. Man konnte kein einziges Wort ihrer Sprache verstehen. So abgehackt und silbenhaft war es. Das Laub der Bäume erhob sich einzeln gen Himmel, fand seinen alten Platz an den Zweigen und ergrünte. Die Blumen auf den Wiesen öffneten ihre bunten Köpfe in hohem frischem Gras. Der Nebel und das grau wichen einem aufreißendem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Meereschaumberge auf dem Wasser wurden kleiner und kleiner, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Erst jetzt verstand Hikaru, welche Kraft Law mit seinem gelben Prisma entfaltete. Auch Zoros Gesichtsausdruck war mehr als zufrieden. Law ließ die Zeit rückwärts laufen, und sie drei waren Zeuge, wie sich alles in einem schnellen Zeitraffer dorthin zurücksetzte, noch bevor die Grünäugigen den Spiegelsaal jemals erreicht hatten und noch weit entfernt ahnungslos in ihrem Tal auf Rice Island hausten. Der Room wuchs weiter und weiter, verschluckte nun Raftel und das Ringporneglyph. Auf einen Schlag tauchten die Schiffe wieder auf, die vor Raftel eine letzte Schlacht schlagen und einen Piratenkönig krönen wollten. Und alle, die sich in Meerschaum verwandelt hatten, erhoben sich vom Meeresgrund hinauf zu den Lebenden und fanden sich just in der Schlacht wieder. Hatten sie gerade noch im Koma gelegen, so verwandelten sich nun ihre Träume in wahre Albträume. Auch Tashigi musste mit ansehen, wie die Gänge ihres Labyrinthes schlagartig einstürzten, Hecken von vernichtenden Unwettern zerfetzt wurden und wirbelnder Staub die Schönheit zerfraß. Schreiend und voller Angst kauerte sie auf dem Boden, hatte die Hände über ihrem Kopf zusammengeschlagen und verstand nichts mehr. Die schöne Welt, durch die sie gewandelt war und alles in ihr hatte vergessen lassen, war verschwunden. Es war dunkel und nass und kalt. Ihr Füße berührten den Meeresgrund. Es war die Sekunde, in der all die Erinnerungen wieder zurückkehrten und ihr gewahr wurde, dass sie tief unter Wasser war. Sie kämpfte sich nach oben. Ihr Kopf durchdrang die Wasseroberfläche. Frischluft füllte ihre Lungen. Der Gestank von Tod, Kampf und Kanonenpulver verpestete die Luft. Wrackteile und Leichen schwammen mit ihr auf den Wellen. Es war grässlich. Nur schwerlich erkannte sie im Chaos, dass sie inmitten des Schlachtfeldes aufgetaucht war. Eine schwimmende Truhe eines versunkenen Schiffes rettete ihr Leben. Mit aller Kraft erklomm sie die Truhe und hoffte, der Krieg möge aufhören und sie selbst schnell gefunden werden. Es war eine grausiger Kampf, in welchem niemand mehr sagen konnte, wer nun Freund oder Feind war. Da wurde gedroschen, geschossen und versenkt, was das Zeug hielt. Auch Zoro, Law und Hikaru stürzten sich hinab ins Getümmel, hatten aber andere Ambitionen, als die kämpfende Meute. Man suchte die Sunny und die Häupter seiner Lieben. Wild schlugen sie eine Schneise der Verwüstung durch den prügelnden Mopp, sprangen von Schiff zu Schiff, verloren sich unterwegs und fanden sich wieder. Geschlossen erreichten sie die Sunny, sahen aber ihre Freunde nicht, die irgendwo im Kampfgetümmel untergegangen waren. „Luffy? LUFFY?!?!“, hallte Zoros Rufe über die Decks der Welt. Keine Antwort, was bei dem tosenden Lärm auch nicht weiter verwunderlich war. Unter der Rückendeckung Laws und Hikarus erklomm Zoro das Krähennestdach der Sunny, blickte umher und sah nur Chaos und Verderben. „LUUUUUFFFFFFYYYYY!?!?!?!“ Schwaden von zerschossener Munition waberten und versperrten die Sicht. Zoro stellte sich ganz ruhig hin, schloss die Augen und konzentrierte sich. Die Außenwelt entschwand. Er war ganz mit sich und den tausenden von Gefühlswellen, die sich bebend überschlugen und verworren. So viel Leid und Schmerz, Angst und Trauer. Und stets wurden es weniger Gefühlswellen. Die Leben wurden ausgeblasen wie Kerzen im Wind. Doch unter all diesen Wellen fühlte er Luffys heraus. Es war schon gar keine Welle mehr, eher ein schwaches Bächlein. Und Zoro sah noch etwas vor seinem geistigen Auge einer Vision gleich, nämlich wie Luffy am Hals gepackt und in die Lüfte gehoben wurde. Dabei absorbierte sein Gegner seine Teufelskräfte und Lebensgeister. Luffy hing nur noch wie ein nasser Waschlappen dem Tode nahe in Blackbeards Händen. Ein Wimpernschlag später war Zoro durch das Zwielicht vom Dach verschwunden, um seinen Freund und Kapitän zu retten. Er tauchte punktgenau dort auf, wo er die Gefahr schon gespürt hatte. Noch im Austritt aus der Dämmerung zog er sein Schwert und zerschlitzte seinem Feind die Kehle. Mit der anderen Hand packte er sein Opfer und entzog ihm unter den schlimmsten Qualen, die einen das rote Prisma jemals spüren lassen konnte, den weiteren Lebenshauch. Doch es blieb genug, dass Zoro ihm noch eine letzte Mitteilung mit auf die Weiterreise gab: „Lass Luffy los, Blackbeard! Mich hast du doch gesucht, oder? Und so einen Abschaum wie dich lass ich nicht einfach sterben. So was wie dich lasse ich im Zwielicht langsam verrotten!“ Damit verschwand der gefürchtetste Pirat aller Zeiten von der Bildfläche. Ganz still und heimlich. Seine Anhänger würden noch Jahre später vergeblich seinen Leichnam suchen, aber niemals finden. „Zoro?“, wimmerte es leise aus einem Korpus, der vor dem Kampfe noch die Form des Strohhutkapitäns innegehabt hatte. Luffy war ziemlich lädiert, um es milde auszudrücken. Aus unzähligen tiefen Wunde floss Blut. Ein blaues Auge, unüberschaubare Quetschungen und ein verschwindet geringer Lebensfluss komplementierten die Gesamterscheinung. Zoro klemmte seinen besten Freund unter und raffte ihn unter Schmerzen empor. Blackbeard hatte ihm tatsächlich so sehr zusetzen können, dass Luffy Schmerz verspürte. „Nun nimm mal Haltung an, Piratenkönig!“, munterte er die menschlichen Überreste namens Luffy auf. „Ich kann nicht mehr ...“, murmelte Luffy kraftlos. „Das ist die falsche Ansprache an die Nation!“, lachte Zoro. „Guck, du hast es geschafft! Du warst zuerst auf Raftel!“ Luffy wollte etwas erwidern, dass das doch gar nicht stimmte. Immerhin war Zoro schon 10 Jahre vor ihm hier gewesen. Damals zusammen mit Smoker. Dass am heutigen Tage auch Law und Hikaru auch schon über Raftel liefen, konnte Luffy noch gar nicht erahnen. Doch Luffy sackte nur geschlagen in sich zusammen. Dann nahm Zoro ihn mit. Dorthin zurück, wo Law und Hikaru zurückgeblieben waren. Die beiden hatten zwischenzeitlich ganze Arbeit geleistet und aus dem Chaos bereits die Franky, Usopp, Chopper und Nami gerettet. Mit Augen so groß wie Kuchenteller starrte Law auf Luffy, um den er sich sofort kümmerte. Zoro trieb es um. Er konnte nicht hier stehen bleiben. Er witterte mit seinen Kräften die Umgebung ab. Wo war der Rest? Und vor allem: War Tashigi darunter? Er wies Hikaru den Weg durch das Gemetzel. Dorthin, wo er die restlichen Strohhüte lokalisierte. Noch hatte es niemand gemerkt, dass der Hauptkampf zwischen Blackbeard und Luffy längst beendet und entschieden war. Es war nur noch ein sinnloses Aufeinanderdreschen. Zoro war das alles egal. Es gab nur eines, was wirklich wichtig war. Viel wichtiger als das Ende der Reise und Luffys Erfüllung eines großen Traumes. Es war so wichtig, dass er ein Opfer bringen musste. Hart biss er sich auf die Lippen. Wenn er jetzt gegen würde, dann würde er zwar jemanden wiederfinden, aber auch jemanden verlieren. Er war niemand, der viel weinte, doch heute standen ihm die Tränen in den Augen und er war froh, dass es niemand sehen würde. Hier in all dem Chaos, wo Leben und Tod so eng beieinanderlagen. Aber er ging los. Er hatte sich entschieden. Er musste jetzt einfach gehen und dafür etwas opfern und zurücklassen. Und so kehrte er für einen Augenblick der Sunny und seiner Crew den Rücken. Es dauerte nicht lange und erfand Tashigis Truhe, in der sie vor Erschöpfung schlief, als hätte man sie in einem Sarg gebettet. An den Händen zog er sie heraus und auf das nächstbeste Boot. Es war ein Rettungsboot und die wenigen, die sich dort in Sicherheit gebracht hatten, zeterten und zogen die Schwerter. Sie fürchteten um ihr Leben und das Kentern des kleinen Bootes. Zoro war auch das egal. Eng schlang er seine Arme um eine völlig ausgekühlte und entkräftete Tashigi. Er kam sich selbst so fremd vor, als er immer wieder und immer leise zu Tashigi stammelte, wie leid ihm alles tat und dass nichts so unendlich wichtig wäre wie sie und Taiyoko. Und als die zeternden Bootsmitfahrer keine Ruhe geben wollten, so warf er sie kurzer Hand über Bord. Dummheit wurde eben auf dem Fuße bestraft. Hätten sie die Klappen gehalten, so hätte er sie wohl mitgenommen. Aber so nicht. Hikaru gesellte sich dazu, dem Zoro keine Beachtung schenkte. Trotzdem versuchte Hikaru zu mahnen, Zoro sollte sich eilen. Als das Trio die Sunny erreichte, herrschte eine unheimlich gedrückte Stimmung. Sie rührte nicht von dem Toben und Schlagen außerhalb des Piratenschiffes, sondern von dem Mittelpunkt des Kreises, welcher sich um einen lang gekannten Nakama gebildet hatte. Noch immer stand Zoro etwas abseits, trug Tashigi auf seinen Armen und starrte auf das Unvermeidbare vor ihm. „Zoro? Er fragt die ganze Zeit nach dir. Er hat die ganze Zeit auf dich gewartet...“, brachte Usopp heulend hervor und trat zur Seite. Sachte legte Zoro Tashigi in Frankys Arme, da er als Nächster in der Nähe stand. Dann schritt er langsam auf Chopper zu und fiel vor dessen Schnauze auf die Knie. Das alte Rentier lag fast leblos auf der Seite. Sein Fell war blutdurchtränkt. Aus müden Augen blickte es empor und rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin so müde, Zoro.“ Mit beiden Händen griff der Angesprochene die Ganaschen des Rentieres, hob den Kopf an und schmiegte die eigenen Stirn gegen des struppige Fell. „Dann schlaf ein bisschen, Chopper!“, flüsterte Zoro seinem Freund zu. Entsetzt schlug sich Nami mit der flachen Hand auf den Mund und ließ ihren Tränen freien Lauf. Erst jetzt wurde ein jedem hier an Deck gewahr, was hier vor ihren Augen überhaupt geschah. „Ich war immer bei dir...“ , murmelte Zoro. „Immer ...“ Dann entschwand Chopper unter Zoros Händen im Zwielicht. Endgültig. Und für alle Zeit. Später würde man in den Geschichtsbüchern nur von der „Schlacht um Raftel“ lesen, die einen neuen Piratenkönig hervorbrachte. Kapitel 44: 44 - Abschied ------------------------- Nichts sollte die Strohhutbande so sehr in ihren Grundfesten erschüttern wie Choppers ewiges Verschwinden. Sein Fehlen riss eine nicht zu füllende Lücke in die Mannschaft, versetzte sie in tiefste Traurigkeit und Melancholie und warf bohrende Fragen auf. War es das wirklich alles Wert gewesen? Obgleich Luffys erfülltes Ziel, Piratenkönig geworden zu sein, die Strohhutbande noch mehr zusammengeschweißt hatte, so stand trotzdem jeder für sich alleine mit dieser Frage da. Man ging sehr unterschiedlich mit dieser schmerzhaften Situation um, doch man war sich einig, Raftel fürs Erste zu verlassen, um in ruhigeren Gefilden Kräfte zu tanken und zu überlegen, wonach die Mannschaft nun strebte. Und so saß die Bande wieder einmal mehr beim Leuchtturm am Strand von Loguetown, genoss den herrlichsten Sommer, den diese Insel jemals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebte hatte und schmiedete Pläne. Man redete über dieses und jenes und natürlich über Chopper. Wie es ihm den gehen würde, würde Zoro oft gefragt, weil er neben Taiyoko und Hikaru die einzigen waren, die mit ihm in Kontakt treten konnten. „Dem geht es gut“, hatte Zoro nur knapp beantwortet. Damit musste man sich zufrieden geben. Niemand außer Zoro selbst hätte die Antwort geben können. Doch es war Usopp, der sich damit nicht abspeisen lassen konnte. Als sich eines sommerlichen Abends die Gruppe nach einem ausufernden Grillfest in alle Winde auf der Insel zerstreute, saß er noch eine kurze Weile auf einen der unzähligen Treibhölzern neben Zoro und begann nachzubohren, als er seine Mitstreiter außer Hörweite wähnte. „Heißt das nun, dass Chopper im Zwielicht unsterblich ist?“ „Nein, niemand ist unsterblich. Aber dort, wo er nun ist, verläuft die Zeit etwas langsamer. Darum ist er immer noch bei uns.“ „Wenn die Zeit dort langsamer geht, wird er also dort sterben?“ Beide grübelten. Usopp, da er versuchte, den Zusammenhang physikalisch nachzuvollziehen. Und Zoro, da er sich selbst nicht sicher war. „Ich glaube, man stirbt dort nicht wirklich, sondern man wird von unserer Seite aus langsam vergessen. Erinnerungen verblassen einfach und somit auch Chopper“, gab Zoro nachdenklich leise zurück. Das klang schräg, fast schon philosophisch. „Ich werde Chopper niemals vergessen!“, gab Usopp schroff zurück, wusste aber, dass Zoro recht hatte. Die Zeit verstrich gnadenlos weiter. Sie alle würden älter werden. Chopper lebte in der Mannschaft weiter, durch das, was er bewirkt hatte. In den Herzen und in den Erinnerungen. Und je älter die Bandenmitglieder wurde, desto weniger konnte man sich erinnern. Wer konnte schon nach sagen, was vor fünf Jahren, zehn Jahren oder gar zwanzig Jahren gewesen war? Irgendwann würden auch sie dem Fährmann eine letzte Rechnung zu zahlen haben. Dann gingen mit ihnen auch ihre persönlichen Erinnerungen von dieser Welt. Es war der natürlich Lauf des Lebens. Noch ungewöhnlich lange saßen sie beide dort und starrten auf die Weite des Ozeans bis das Lagerfeuer niedergebrannt war und nur noch eine feine Rauchsäule aufstieg. Zoro innerlich verschlossen, Usopp am stummen Weinen. Das alles war OK. Chopper würde immer bei ihnen bleiben. So lange sie erinnern könnten. Nach gut einer weiteren Woche hatte sich dann die Heart-Piratenbande aus Loguetown verabschiedet. Auf Loguetown herumgammeln, wäre ihm auf die Dauer zu langweilig, meinte Law, grüßte zum Abschied und war samt seiner Mannschaft und der Ghost in den Wellen vor der Insel in die Tiefe verschwunden. Die Strohhüte sahen den knallgelben U-Boot-Turm in den Fluten versinken. Luffy sah es ebenso wie Law, weshalb er ebenfalls mitteilte, dass in Kürze die Sunny wieder in See stechen würde. Es gäbe noch so vieles zu sehen und zu entdecken. Außerdem wären sie Piraten. Die wären bekanntlich auf dem Wasser zuhause. Da könnte man nicht einfach so am Strand hocken und meditativ aufs Meer schauen. Darüber hinaus gab es noch genug Anwärter auf den Piratenthron, die Luffy liebend gern in den Fluten versenken würden. Da müsste man immer im Training bleiben und die Leute in Schach halten. Gesagt, getan. Die neue Marschroute stand für den Piratenkönig fest. Wo auch immer die lag. Schon am nächsten Morgen verbreitete er Unruhe und Stress in seiner Mannschaft und konnte es gar nicht erwarten, bis Sanji alle Vorräte verladen, Franky die Cola-Tanks befüllt und Nami den Kurs errechnet hatte. Es sollte bis in den späten Nachmittag hinein dauern, bis die Sunny in See stechen sollte. Ein großes Treiben herrschte an der Kaimauer von Loguetown. Man war erstaunt über die Anzahl der vielen Schaulustigen, die aus dem Ort geströmt kamen, um den Strohhüten zum Abschied zu winken. Die Leinen wurden eingeholt. Der Abstand zwischen Schiffswand und Anlegestelle wurde sichtbar größer. Langsam, fast schon majestätisch, drehte das Piratenschiff ab und schob seinen Bug durch das brackige Hafenwasser. „Usopp?“, rief Zoro von der Pier hinauf. „Lass mal immer von euch hören, dass ich weiß, wo ihr seid!“ „Hm, Marimo? Du findest uns doch sowieso niemals...“, nahm Sanji Usopp die Antwort ab. „Wollen wir wetten?“ lachte Zoro und sah seinen Freunden noch eine Weile nach, bis die Sunny nur noch ein kleiner Punkt an der Horizontlinie war. Gemächlich setzte sich die kleine fünfköpfige Gruppe, welche bis zur letzten Sekunde am Hafenbecken gestanden hatte, in Bewegung. Und da sich der Hafenplatz schon vor einer Weile geleert hatte, war es still geworden. Nur Pikadons Hufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster und hallten von den alten Lagerhallen wider. „Maaaannn,“ beschwerte sich nun Taiyoko maulig. „Muss ich wirklich nächste Woche zur Schule?“ Die Sommerferien neigten sich dem Ende entgegen. Natürlich war Taiyoko wenig erfreut, nun wieder die Schulbank drücken zu müssen, zumal alles neu war. Neue Schule, neue Fächer, Doppelzimmer mit Elaine im Internat. Obgleich der Wunsch berücksichtigt wurde, mit ihrer besten Freundin ein Zimmer teilen zu dürfen, prophezeite sie sich einen öden und langweiligen Lebensabschnitt. Immerhin hatte sie den besten Sommer ihres Lebens gehabt, als sie vorschwärmte, wie abenteuerhaft ihre Reise mit Hikaru und Pikadon durch die Weltgeschichte verlaufen war. Das war doch mal super und auch lehrreich fürs Leben gewesen. Nicht so blöde wie der Schulbesuch. Zoro winkte lachend ab. Da gab es gar keine Diskussion. Der Alltag hätte nun alle wieder eingeholt, und Kinder hätten nun mal ihre Jugend in der Schule zu verbringen. Punkt! Auch bei ihrer Mutter stieß sie auf taube Ohren, um das Internat herumzukommen. Da brachte es auch kein Betteln und Zetern bei Hikaru, dass er sie doch einfach mitnähme. Zurück im Leuchtturm half zum Frustabbau nur noch entnervtes Zimmertürenknallen, weil Eltern doch so unfair wären und man keine Feinde bräuchte, wenn man Freunde wie Pikadon und Hikaru hätte, die einem in den Rücken fielen. So verpasste sie dann die Abreise vom Einhorn und seinem Reiter, die sich auf die Suche nach einem Träger für das blaue Prisma machen wollten. Erst als sie dann durch ihr Fenster nur noch die letzten Farben des Regenbogens verblassen sah, so wusste sie, dass der Spaß des Sommers nun endgültig vorbei wäre. Nur knappe zwei Wochen später schaukelte eine Marinefregatte übers Meer und suchte seine Route zur Redline. Es stimmte schon, wenn man sagte, der East Blue wäre von allen Blues der ruhigste und beschaulichste Ozean. Azurblauer Himmel, eine milde Brise, kaum Wolken und kristallklares, türkisgrünes Wasser. Ganz und gar nicht passte in diese Idylle der Gesichtsausdruck Zoros, der backbord an der Reling lehnte und düster aufs glitzernde Wasser starrte. Er registrierte sich ihm nähernde Schritte lediglich mit seiner Augenbewegung. Ein Arm legte sich auf seinen Rücken. Ein Kopf schmiegte sich an seine Schulter. „Grübel' nicht so viel. Wenn wir keine Lösung finden, dann müssen wir es akzeptieren“, sprach Tashigi leise zu ihm. Dabei lächelte sie, als wäre ihr Fluchmal am Hals eine zu ignorierende Kleinigkeit. Ohne Frage war der rote Schmetterling eine harte Prüfung. Seine Trägerin war nicht in der Lage zu verstehen, wann der Falter sich zum Leben erweckte und wie ein gleißendes Licht losflatterte. Nun hatte er seit den letzten Tagen Ruhe gegeben, doch heute früh hatte sie wieder einmal das Gefühl, sie müsste sterben. Sie erwachte mit kalten Tränen in den Augen, die ihre Haut gefroren, und einer heftigen Atemnot, die sie nur noch kraftlos röcheln ließ. Und je mehr ihr Freund sich ihrer sorgenvoll annahm, sie schützend in die Arme schloss und ihr leise zuredete, um so schlimmer wurde es. Dann tauchten sie zusammen ins Zwielicht, wohin ihnen der Schmetterling anscheinend nicht folgen konnte, doch eine befriedigende Lösung auf Ewigkeiten war das nicht. Der Wind frischte auf. Der Wellengang nahm zu. Die Sonne senkte sich zu einem malerischen Abendhimmel und zauberte einen herrlichen Orangemix zwischen die einzelnen Wolken. Noch in dieser Nacht würde die Fregatte einer benachbarten Marinestation sie beide an der Küste der Redline absetzen. Tashigis Fregatte hingegen hatte den Sturm nicht überlebt. Sie zerbarst und ging sang- und klanglos mit Mann und Maus unter. Nur wenige hatten sich retten können. Überhaupt hatte der Krieg die Reihen innerhalb der Marine arg ausgedünnt. Als Smoker wieder auf Loguetown heimgekehrt war, brachte auch er nur eine Handvoll Rekruten wieder mit. Unzufrieden blies er Zigarrenkringel in die Luft, als er hatte die Strohhutbande mit ihrem frisch gebackenen Piratenkönig am Strande um das Lagerfeuer sitzen sehen. Doch gesagt hatte er nichts, sondern tat so, als wäre der Alltag vor dem großen Kriege nie verstrichen. Die ersten Sterne tauchten am mittlerweile dunkelblauen Himmel auf. In der Ferne verfinsterte sich das Meer zu einer schwarzen Linie. Langsam nahm sie Kontur an und bildete Bergketten aus. Die Redline war nahe. Für Zoro war es nun das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, dass er in seine alte Heimat zurückkehren würde. Und wieder herrschte dieses mulmige Gefühl in ihm. Bei seinem letzten Besuch war es die Unruhe, wie man ihm nach so langer Zeit seiner Abwesenheit und seiner Entscheidung, ein Pirat zu werden, begegnen würde. Nun war es die Ungewissheit, ob man Tashigi jemals von ihrem Fluch befreien könnte. Gegen Mitternacht gingen die beiden Passagiere von Bord, dankten höflichst für die Mitnahme und machten sich auf den Weg. Sämtliche Lichter des kleinen Hafens waren erloschen. Nur die einzige Straßenlaterne auf dem Platze brannte noch einen kümmerlichen Schein, doch sie beachteten keines der Häuser und keine der Hallen, hatten sie doch schon an Bord des Schiffes beschlossen, keine Rast einzulegen, sondern sich sofort auf den Weg nach Shimotsuki zu machen. Ihr Marsch ging über das glatte Kopfsteinpflaster hinweg mitten durch den Lorbeerwald. Es war doch immer wieder erstaunlich, was der nächtliche Wald für eine gruselige Geräuschkulisse inne hatte, obgleich es doch nur ein paar wilde Tiere waren, die hier hausten. Hier ein Ästeknacken, dort ein Rascheln. Auch wenn Tashigi sich nicht fürchtete, so hatte sie irgendwann Zoros Hand ergriffen. Sie konnte schon tagsüber nicht sonderlich gut sehen. Nachts war sie fast blind. So fühlte sie sich sicherer. Beide kamen zügig voran, hetzten sich jedoch nicht. An der Stelle, wo die Lorbeervegetation in Buchenwald überging und der gepflasterte Weg nur noch zwei parallele Schotterspuren aufwies, verharrte Zoro. Hier war die Dorfgrenze und der Dôsojin. Der Wegstein, der ihm damals die Lösung zu seiner kurzen Schmetterlingsvision bescherte, just als er wieder heimatlichen Boden unter den Füßen verspürte. Was auch immer oben in dem Schrein auf dem schwarzen Berge für Rituale abgehalten worden waren, Dank des roten Prismas sah er nun wieder klarer. Und es war eine bedrückende Klarsicht, denn der Wald war voll von roten Faltern, die wie kleine Glühwürmchen umher schwebten und unbeschwert miteinander tanzten. Tashigi war also tatsächlich gar kein Einzelfall, wie er es bereits damals vermutet hatte, und es musste ziemlich viele Zwillinge getroffen haben. „Spürst du irgendetwas an deinem Hals?“, fragte er sie so ruhig es ging. Keineswegs wollte er ihr Angst machen. Also verschwieg er die vielen Schmetterlinge um ihn herum. „Nein, bis jetzt gar nichts. Wieso sollte ich hier etwas spüren?“ „Weil hier die Dorfgrenze ist. Beim letzten Mal hatte ich, als ich am Hafen ankam, eine ganz kurze Vision, in welcher ich ein Insekt gesehen hatte. Erst dachte ich, es wäre eine Motto oder so etwas, doch auf dem Dôsojin ist ein Schmetterling eingearbeitet.“ Nein, nein, schüttelte er innerlich den Kopf. Mehr musste man wirklich nicht erzählen. Sie war so unglaublich stark und wollte das auch jedem zeigen, indem sie Haltung bewahrte und sich nicht bekümmern ließ. Doch als sie nun seine Hand losließ und sich sanft um seinen Arm klammerte, wurde deutlich, wie sehr sie unter diesem Fluch litt. Ohne Zwischenfälle sollten sie bald vor dem Anwesen stehen, welches sie angestrebt hatten. Tashigis spät entdecktes Elternhaus, Zoros Kindheitstage. Obgleich es schon gen Morgen dämmerte, öffnete eine aufgeweckte Mutter und ein zufrieden dreinblickender Vater die Türe und baten beide herein. Wie froh war man doch, endlich beide einmal zusammen begrüßen zu können. Lediglich Tashigis Mutter monierte freimütig, dass zu einem Familientreffen nur noch das Enkelkind fehlen würde. Man würde wohl nie alle unter einen Hut bekommen. Übermüdet lächelte man diesen Einwand weg und begab sich schnurstracks zum bereits hergerichteten Futon. Dicht lagen sie sich beide gegenüber und sahen sich eine Weile schweigend an. „Ich kenne dich schon lange genug. Ich sehe dir an, dass du keine Lösung weißt!“, stellte Tashigi so ruhig und gefasst fest, als hätte sie sich längst mit ihrem Schicksal arrangiert. Was sollte er da auch widersprechen? Er strich ihr kurz durchs Haar bevor er sie zu sich zog. Man würde einmal den schwarzen Berg besteigen und den Schrein aufsuchen müssen. Entweder würde es zu einer Reaktion zwischen dem Fluchmal und dem Ort kommen oder nicht. Aber die nächsten Tage sollte nichts geschehen, was Tashigis schmetterlingsgeformtes Abzeichen zum Flattern erwecken sollte. Der Hochsommer war ins Land gekehrt. Man verbrachte die Hitze des Tages im Schatten der Wälder, so fern man nicht auf den Feldern zu arbeiten hatte. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Es war dermaßen unerträglich heiß, dass Kôshirô seine jüngeren Schülerinnen und Schüler zu späteren Abendstunden bestellt hatte. Einem Kämpfer hatte weder Hitze, noch Kälte, weder Hunger, noch Durst etwas auszumachen. Also traten der harte Kern und die Älteren dann doch zu den üblichen Trainingszeiten an, schwitzten aus allen Poren, taten aber hochdiszipliniert. Zoro mischte sich nicht in die Trainingseinheiten ein, beobachtete aus der Ferne aber genau das Treiben im stickig heißen Dôjô. Erstaunlich, dass es zu jeder Generation immer ähnliche Menschen mit ähnlichen Charakteren gab. In einigen Trainierenden erkannte er Mitschüler aus seiner Vergangenheit wieder. Er schmunzelte etwas über sich selber, denn es würde wohl kaum jemanden geben, der derart verbissen an einem Ziel arbeiten würde, wie er es damals getan hatte. Der kühle Grüntee tat gut bei der Hitze. Zoro nahm einen kräftigen Schluck aus der Tasse und dämmerte auf der Veranda vor dem Hause seiner Zieheltern vor sich her. Seine Ziehmutter hatte ihn schon aufgezogen, wann sie sich denn einmal Schwiegermutter nennen dürfte, doch da hatte er nur lachend abgewunken. Er würde seiner Familie immer beistehen, für sie da sein und sie beschützen. Aber heiraten kam nun wirklich nicht in die Tüte. Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. Kôshirô hatte eine Trainingseinheit absolviert und setzte sich nun zu ihm. Nachdem er seine Teetasse geleert hatte, sah er Zoro prüfend von der Seite an. „Stimmt es, dass du nun wieder Dinge sehen kannst, die wir nicht sehen?“ „Teilweise. Manchmal mehr, als es mir selber recht ist“, gab er zu. Ein nachdenkliches Schweigen breitete sich zwischen beiden aus, bis Kôshirô langsam das Wort ergriff. „Weißt du, auch wir haben, seit wir von dem Schmetterlingsfluch wissen, uns viele Gedanken gemacht, was wir tun können. Auch uns belastet es sehr.“ Zoro wollte ihm ins Wort fallen, doch sein Ziehvater hob nur ruhig die Hand und bat so, seine Gedanken weiter mitteilen zu können. „Die alten Rituale sind schon seit ewigen Zeiten in Vergessenheit geraten. Kaum einer kennt sich noch damit aus. Es gibt nur noch Sagen und Legenden darüber. Aber neulich kam mir eine Idee. Vielleicht bist du der einzige, der sehen kann, ob es klappt.“ Zoro wurde hellhörig. Jeder Versuch und jeder Hinweis waren bares Gold wert. Er würde alles probieren, nur um seiner Freundin zu helfen. „Wenn ein Schwertschmied ein Schwert schmiedet, dann tut er das mit all seinem Wissen und all seiner Kunst. Es ist für ihn das höchste Streben, das perfekte Schwert herzustellen. Also fertigt er meistens zwei an: Eines für den Kampf und eines als Opfergabe für die Götter. Unser Schwert ist schon seit unzähligen Generationen im Familienbesitz. Ich übergab es dir damals nicht nur, weil du mich darum gebeten hattest. Ich wusste, wenn es jemand führen kann, dann nur jemand mit einem starken Willen, ein Versprechen zu erfüllen und Kuinas Traum weiterzutragen. Das hast du getan.“ Kôshirô unterbrach seine Ausführungen, sah über den Hof und die Baumwipfel in die sich nun zum Nachmittag am Himmel ziehende Sonne. „Euer Versprechen wurde eingelöst. Ich hatte gesehen, dass Tashigi das Schwert zwischenzeitlich auch führte. Dann hatte es sich Taiyoko auch noch ausgeliehen, als sie in Not war. Natürlich war es immer in Familienhänden. Aber ursprünglich wäre der Familientradition nach immer Kuina diejenige gewesen, die es hätte vererbt bekommen. Das Schwert ist ein edles Gut. Kein Wanderpokal. Vielleicht ist es Zeit, dass das Schwert nach Hause zurückkehrt, nachdem es durch die halbe Welt getragen wurde. Der Name des Schwertes lautet übersetzt „Der eine Weg zur Harmonie“. Der weiße Lack soll dem Mythos nach Einhornblut sein. Vielleicht fehlt dem Schmetterlingsschrein ein neues Schreinschwert, damit Kuina Harmonie und Frieden findet. Was meinst du?“ Wow, das klang alles sehr einfach und doch so durchdacht und tiefgründig. Kôshirôs Ruhe und Weisheit schienen Zoro manchmal größer als ein Ozean. Er hatte so unendlich viel von ihm lernen können. Natürlich würden er mit Tashigi den Weg zum Schrein gehen und dort nach einer Antwort suchen. Sie hatten eh vorgehabt, sich dorthin zu begeben, wenn die Hitze etwas nachgelassen hätte. Zoro dankte seinem Ziehvater für die gute Idee. Wieder einmal beschritt Zoro den Weg zum Schrein. Tashigi und ihn trieben keine Eile an. So spazierten sie gemäßigt über den geschlängelten Pfad durch die Felder und folgten dem Weg durch den lichten Buchenwald an plätschernden Fluss mit den großen, flachen Steinen entlang. Als sie die felsige Stelle passiert hatten, ab wo sich nun der „Wald der Gehängten“ erstreckte, stoppte Zoro abrupt. Er konnte sie nun sehen: Die Geister der Selbstmörder. Und nun wurde es auch deutlich, was die meisten in den Suizid getrieben hatte, denn viele trugen ein Fluchmal am Halse. Sie mussten die Überlebenden des Rituals gewesen sein, die nicht mehr mit der quälenden Schuld leben konnten, ihren eigenen Zwilling mit den bloßen Händen erdrosselt zu haben. Zoro holte einmal tief Luft, um das Gesehen zu verdauen. „Was siehst du? Ich muss das wissen. Bitte!“, flehte sie und blickte ihn mit gefestigtem Gesichtsausdruck an. Er überlegte kurz und gab ihrer Bitte statt. Und er erzählte ihr viel mehr, als er gesehen hatte und was nun eventuell des Rätsels Lösung sein könnte. „Es gibt hier ein altes Lied und manchmal habe ich es als Ohrwurm noch im Kopf. Und je mehr ich über die Idee deines Vaters nachdenke, desto mehr denke ich, dass es funktionieren wird.“ Tashigi nickte ihm aufmunternd zu, und Zoro stellte fest, dass sie so unglaublich stark war. Stärker, als er sie manchmal eingeschätzt hatte. Er war so unglaublich stolz auf sie. Und stolz, dass er sie an seiner Seite haben durfte. Als sie oben den Schrein erreichten, erübrigte sich jegliche Frage, ob Kuina von ihrer Anwesenheit wusste. Das Mal an Tashigis Hals leuchtete hell und strahlend. Es war so hell, dass der Schein den finsteren Tunnelgang im Inneren des Schreins geheimnisvoll in rotes Licht tauchte und ausreichend beleuchtete. Und plötzlich löste sich ein Lichtfunken, faltete die Flügel auseinander und flatterte als Schmetterling so schnell voran, dass Zoro und Tashigi nur mit Mühe folgen konnten. Dann endete der Gang. Zoro kannte diesen Ort schon. Der quadratische Abgrund und der Quader aus blankem Stein, wo das Ritual vor ewigen Zeiten vollzogen worden war. Tashigi fröstelte. Obgleich sie keine Visionen hatte wie ihr Freund, spürte sie die Eiseskälte, die von hier ausging. „Kannst du sie sehen?“, fragte sie ängstlich. „Klar!“, flüsterte er ihr zu und trat dann vor zu den Quader. Dann band er Wadôichimonji von seinem Gürtel los und bot es Kuinas Geiste mit beiden Händen wie eine Opfergabe an. Erstaunlicher Weise war sie nicht wütend, wie er sie einst in der Villa im Bambushain erlebt hatte, sondern sah sehr, sehr enttäuscht aus. „Du willst mich nicht mehr bei dir haben?“, fragte sie traurig. Zoro hatte sich den halben Weg überlegt, wie er sein Anliegen derart glaubhaft verkaufen konnte, dass sie darauf einging. Das Gespräch mit seinem Ziehvater und ehemaligem Meister half ihm dabei. „Nein, ganz im Gegenteil. Es ist dein Schwert. Es gehörte schon immer dir und soll auch so bleiben. Es war die ganze Reise bei mir, um mich immer an die Erfüllung unseres Versprechens zu erinnern. Und es war auch so, als wärst du immer bei mir gewesen. Jetzt aber möchte ich es mit großem Dank und Respekt zurückbringen.“ Zwei Geisterhänden nahmen ihm das weiße Katana ab. Kuina blickte stumm auf es hinab, als würde sie über etwas nachdenken. Für Tashigi hingegen sah die Szene sehr gruselig aus. Immerhin schwebte das Schwert waagerecht vor Zoro in der Luft, weil sie den Geist nicht sehen konnte. Doch sie spürte, dass etwas gut werden musste. Das rote Mal an ihrem Halse beruhigte sich. Das brennen und die Atemnot ließen nach. „So wie du mich durch das Schwert begleitet hast, begleite ich nun dich durch das Schwert. Wenn unsere Freundschaft eine sichtbare Verbindung hatte, dann wohl auf immer und ewig durch das Schwert. Denkst du nicht?“, ergänzte er. „Nimmst du es zurück?“ Es herrschte eine lange Zeit Stille. Zoro fürchtete schon, nichts und niemand, noch nicht einmal er selber, könnte Kuina auf irgendeine Weise glücklich machen und ihr inneren Frieden geben. Erstaunt war er dann aber, als sie plötzlich den Kopf hochriss, ihm direkt in die Augen sah: „Danke!“ Sie verschwand vor seinen Augen. Da war kein Augenblick mehr, um etwas zu sagen oder nur um eine Abschiedsgeste hätte zeigen zu können. Scheppernd fiel Wadôichimonji zu Boden und fand später seinen neuen Platz im Schreinschrank auf dem Altar. Tatsächlich sollte Tashigi auf immer und ewig sichtbar ihren Schmetterling am Hals bei sich tragen, doch sollte er solange verstummt sein, solange sich das Schwert im Schreinschrank verwahrte. Sie hatten sich auf dem Rückweg Zeit gelassen. Es war ein wenig so, als hätten sie mit dem Abstieg von dem Berg einen alten Abschnitt ihres Lebens begraben und hinter sich gelassen. Und als sie den Ausgangspunkt ihres Ausfluges wieder erreichten, stieg schon langsam die Morgensonne wieder die Höhe. Ein neuer Tag brach an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)