Raftel (2) von sakemaki (The Rainbow Prism) ================================================================================ Kapitel 30: 30 - Das dunkelste Kapitel -------------------------------------- In einem ganz anderen Winkel des verschachtelten Bauwerks, weit abgelegen von dem Gebäude, was als Sanatorium bezeichnet wurde, drehten zwei Ärzte ihre Runden. Man hätte meinen können, sie wären auf einer morgendlichen Visite unterwegs von Krankenzimmer zu Krankenzimmer, doch der Vollmond passte nicht zur rechten Stimmung, und die Patienten waren sowieso schon vor Jahren entschwunden. Die Schließung der Haibara Klinik lag einem dieser mysteriösen Vorfällen zu Grunde, die von der Weltregierung aus allen Akten der Geschichte getilgt und somit auch aus allen Gedächtnissen gelöscht wurden. Niemand kannte mehr das Klinikanwesen, noch wusste man etwas über das Luna-Sedata-Syndrom. Doch einer konnte sich durch reine wissenschaftliche Nachforschung doch sehr gut daran erinnern. Dieser Jemand war niemand geringeres als Trafalgar Water D. Law, der nicht nur sich, sondern auch seinen rentierartigen Begleiter mit Krankenakten aus dem aufgestöberten Archiv bepackt hatte und nun selbstbewusst auf der großen Suche nach einer schwarzen Medizingeschichte durch die Gänge stiefelte. Zu ihrem eigenen Erstaunen hatten sie schnell einen Verbindungsweg vom Sanatorium zur Klinik gefunden. Er führte direkt über den einst herrlich angelegten Innenhof der beiden Gebäude. Doch die Kletterrosen wilderten nun ohne die zähmende Heckenschere eines Gärtners über die Parkbänke und an den Hauswänden empor und mussten von Laws Schwert zerschlagen werden wie die Dornenhecke eines Märchenschlosses. Wenigstens gaben die Ranken sofort klein bei und wuchsen nicht verzaubert nach. Unzählige Hiebe waren von Nöten, bis ein kleiner Pfad durch diesen verwunschenen Rosendschungel geschlagen war und am anderen Ende eine Eingangstür zum Vorschein kam. Und dann waren sie endlich in der Haibara Klinik, die von innen übersichtlicher war, als von außen vermutet. Die Blockarchitektur setze sich auch in der räumlichen Zimmeraufteilung fort und gliederten die einzelnen Etagen in klare Formen. Lange Gänge und übersichtlich angeordnete Zimmer erleichterten die Suche. Allerdings hatte der Zahn der Zeit nicht allein an der Bausubstanz genagt, sondern sich regelrecht darin verbissen. Die meisten Fenster waren kaputt, hatten Wind und Wetter sie regelrecht malträtiert. Wo der Meereswind auf die Scheiben traf, zogen sich lange Schlieren auf dem Glas von der salzigen Luft. Besonders das Salz hatte es auf die metallischen Scharniere abgesehen und sie rosten lassen. Regen war hier und da eingedrungen. Seine Nässe schadeten dem Beton, der längst ausgeblüht war. Türen aus Holz sah man unter dem Furnier aufquellen. Schimmelflecke komplementierten das Bild. Dem Inventar der Klinik war es nicht besser ergangen. Verstaubt, verrostet, zerfressen stand es herum und erwartete den endgültigen Zerfall. Teilweise hatte es seinen einstigen Platz behalten, teilweise versperrte es wie unbedacht abgestellt und danach vergessen den Weg. Obgleich sie beide vollkommen allein waren und ihnen auch noch kein weiterer Geist über den Weg gelaufen war, konnte sich Chopper an diesen Ort einfach nicht gewöhnen. Der kalte Wind, das Mondlicht und das Ambiente, das eher einer Messie-Wohnung glich, als einem Krankenhaus, erschauderten ihn nach wie vor. Ab und zu warf er einen Blick aus dem Fenster und blickt in die Ferne. Wie ruhig die Landschaft doch dort draußen schlief und einen so friedlichen Eindruck machte. Aber die Kürze der Sommernächte und der Vollmond überstrahlten die Szenerie mit einer ungewöhnlichen Helligkeit, dass es schon wieder für Choppers Geschmack zu gespenstisch war. In seiner Rentiergestalt trabte er mit einem Aktenberg auf dem Rücken neben Law her und schob sicherheitshalber einen Rumble Ball von einer Backentasche in die andere. Sicher war sicher. Und wenn doch ein großes Mumienmonster oder ein Nachtgespenst um die Ecke käme, dann wäre er wenigstens kampfbereit. Oder vielleicht käme auch so ein Grünaugengeist wie vorhin vorbei. Der schien zwar harmlos, weil er nur in der Gegend herumstand und dann durch Holztüren ging, aber er sah so abgrundtief böse und gefährlich aus, dass es Chopper herzlichst egal war, ob der Geist nun schädlich war oder nicht. Es ließ ihn neue Hoffnung schöpfen, dass er zusammen mit Law doch sehr schnell das Archiv mit den Patientenakten gefunden hatten, auch wenn er das Gefühl nicht loswurde, dass sein Berufskollege nicht sonderlich zufrieden mit der Informationsausbeute war. Dieser hatte sich eine Taschenlampe zwischen die Zähne geschoben, damit er mit beiden Händen die Akten filzen und die Berichte vor das Lampenlicht halten konnte. Dabei murmelte er halblaut die geschriebenen Worte vor sich hin, und je mehr Akten er abarbeitete, desto wütender wurden seine Bewegungen, wenn er die Notizen wieder in die Mappen zurückschob und schloss. Chopper verstand zwar kein Wort von der Murmelei, aber er bewunderte in diesem Moment Zoros Leistung, mit einem Schwert im Munde herumzulaufen ohne den geringsten Speichelfluss zu haben. Bei Law hingegen lief der Sabber schamlos am Metall der Taschenlampe entlang und tropfte in langen Fäden herunter. Die Dunkelheit verschluckte die Details, dass es für Choppers Augen weniger ekelhaft erschien. „Wir haben etwas übersehen!“, platze Law plötzlich laut hervor, dass die Lampe aus seinem Mund zu Boden polterte. Er wischte sich mit dem Handrücken über seine Lippen, hatte er wohl jetzt erst registriert, wie viel Spuke ihren Weg ins Freie genommen hatte. Für einen Moment blickte er sich suchend um, rieb dann aber die feuchte Hand an seinem Hosenbein ab, nachdem der unmissverständliche Blick Choppers ihn mahnte, ja nicht dessen Fell als Handtuch zu nutzen. Sie hatten das nun letzte Krankenzimmer abgeklappert, welches in den Krankenakten Erwähnung fand, doch auch hier bot sich dasselbe Bild wie in den anderen Zimmern: Verwohnte Trümmer und nichts Persönliches, was irgendeinem bestimmten Patienten hätte zugeordnet werden können. Chopper ließ seine Hinterhand fallen und seufzte einmal laut auf. Der lange Marsch durch die Gänge, das Steigen der Treppen und das Schleppen der Akten hatte ihn ermüdet. Noch immer war ihm nicht klar, nach was sein Begleiter suchte. Also bat er ihn, da sie nun eh zu einer Zwangspause verdonnert schienen, ihn in seine Gedankengänge einzuweihen. Laws Wissen über das Luna-Sedata-Syndrom und Choppers tagtäglichen Beobachtungen an einem Hanyôexemplar könnten zusammengesetzt ein vollständiges Bild abliefern. „Hm, wie soll ich beginnen?“ Law überlegt, musste die Geschichte hinter der Krankheit wohl komplexer sein, als die Krankheit an sich. „Nun gut, Zusammenfassung“, startete er einen neuen Versuch. „Wenn ich hier so die Akten allesamt richtig verstehe, wurde das Syndrom nur auf dieser Insel nachgewiesen und nirgendwo anders auf der Welt. Es scheint mit spirituellen und rituellem Bräuchen dieser Insel verknüpft zu sein. Die Symptome sind Gedächtnisverlust, Schlafwandeln und bei fortgeschrittener Krankheit exzessives Tanzen. Die Mondphasen haben großen Einfluss auf das Verhalten der Patienten. Bei Vollmond sind die Patienten sehr ruhig, suchen aber Fenster oder Dächer auf, weil sie glauben, vergessene Erinnerungen wiederzubekommen, wenn sie im Mondlicht baden. Hat man aber abnehmenden Mond oder gar Neumond, so verschlechtert sich der Zustand rapide. Dann verlieren sie noch mehr den Verstand, Schlafwandeln oder fallen sogar ins Delirium. Sie drehen komplett durch.“ Chopper nickte zustimmend, dass er sich das Krankheitsbild gut vorstellen konnte. Als Allgemeinmediziner hatte er den Bereich der Psychologie und Neurologie immer nur gestreift und das hier klang ungemein spannend. Er hatte die Mondphasen als Kennzeichen an den Zimmertüren gesehen und war sich sicher, dass sie trotz Laws Zweifel den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Law indessen hatten seinen Aktenstapel auf eines der zerwühlten Krankenbetten abgelegt. Der Vollmond schien so hell durch das dreckige Fensterglas, dass man die Schriftstücke gut lesen konnte. Er blätterte wieder flüchtig in den Papieren und ordnete sie zugleich auf vier verschiedene Stapel. „Schau her,“ wandte er sich wieder an Chopper, der nun zu dem Bett trippelte, seine Schnauze auf dieses legte und aufmerksam zusah. „Ich habe die Patienten auf vier Stapel sortiert, weil es, wie mir scheint, vier Phasen der Krankheit gibt. In der ersten Phase meiden die Patienten reflektierende Flächen wie Spiegel oder Wasser. Sie entwickeln Angst, weil sie ihr eigenes Gesicht nicht erkennen können, als würde die Reflektionsfläche jemand anderen zeigen. Man nennt diese Phase auch „Knospenbildung“. Die zweite Phase heißt „Zerbrechen“, denn die Opfer fangen an, ihren klaren Verstand zu verlieren. Dazu gehören Wahrnehmungsstörungen wie Geisterstimmen oder Geräusche. Sie zerbrechen quasi daran. Während der dritten Phase scheint die Krankheit sogar ansteckend zu sein. Und zwar dann, wenn ein Patient aus der dritten Phase einen Patienten aus der vierten Phase ansieht. Dann werden plötzlich die Symptome vom Vierten auf den Dritten übertragen und der Dritte ist sofort in der vierten Phase. Der Ansteckungsweg wird mit „Resonanz“ betitelt. Nun aber zur letzten Phase. Die finde ich doch sehr krass. Patienten in der finalen Phase „blühen“. Sie sehen alle Gesichter nur noch verzerrt, haben keine Erinnerungen und sterben als leere Hülle. Treten sie als Geist in Erscheinung, dann ist ihr Gesicht selbst auch komplett verzerrt.“ Das Rentier schlackerte mit den Ohren. Ihm schwirrte der Kopf von den ganzen vielen, neuen Informationen, die ihm vollkommen absurd waren. Er versuchte, einen einfach Vergleich zu finden und stellte sich eine Blume vor. Erst würde sie eine Knospe bilden, sich entwickeln und dann blühen. Danach gäbe es nur noch das Verblühen, was wohl dem Tode der Patienten gleich kam. Yurenda hatte Zoro gesagt, hier auf dieser Insel gäbe es Antworten auf viele Hanyô-Fragen. Dort unten in den Gängen lief ein Gespenst umher, dessen Gesicht nicht verschwommen war, aber trotzdem hier therapeutisch behandelt wurde. Mochte es eine Fehldiagnose oder gar eine Verwechselung sein? Chopper schielte zu Law, der sich nachdenklich auf die Bettkante gesetzt hatte. Law hatte vorhin erwähnt, dass hier schlimme Dinge geschehen wären und das genau dieses ihn interessieren würde. Dem Rentier war klar, dass es sich nur um Heilungsmethoden drehen konnte. Und genau da schien das unheilvolle Grauen zu ruhen, denn wenn man die Akten überflog, so gab es wohl keine wahre Heilung. Ganz im Gegenteil: Man hatte das Gegenmittel dieser Krankheit verloren und experimentierte nun fröhlich vor sich her. Die Patienten hier waren alle Versuchskaninchen. Wie bei Laborratten wurde alles an ihnen ausprobiert. Musiktherapie, Lichtentzug, Freiheitsentzug, Amputationen von Körperteilen und chirurgische Eingriffe in das Gehirn. Die Liste hätte man ewig fortsetzen können, gäbe es mehr Akten. Es widersprach allen guten Vorsätzen, wie man mit Patienten respektvoll und helfend umzugehen hätte. Chopper schüttelte sein Haupt, doch die Gedanken verflogen nicht und so begann er laut vor sich her zu denken. „Bei Zoro ist das anders. Da gibt es auch so ein Ausblühen. Aber das können wir alle sehen. Es ist also keine Wahnvorstellung des einzelnen Probaten. Das Ausblühen taucht bei ihm immer auf, wenn er sich nicht kontrollieren kann oder er seine dämonischen Kräfte zu schnell zu stark einsetzt. Das überfordert ihn wohl irgendwie. Dann bekommt er rasende Kopfschmerzen, die man wohl mit einer komplizierten Migräneattacke mit Aura vergleichen könnte. Und zu seinen Füßen bildet sich ein Bannkreis. Der wächst wie eine Blume aus einem Punkt heraus. Es leuchtet grünlich. Es werden grüne Funken freigesetzt, die wie Feuerfunken in die Lüfte fliegen und dort verglimmen. So wie bei einem Lagerfeuer, wenn die Glut knackt. Und dann ist da noch sein Auge. Das bekommt so einen Rotstich. Aber mit Wahnvorstellungen oder dem Mond hat das alles nichts zu tun.“ Law blickte erstaunt zu Chopper hinunter, der noch immer in seiner Rentierform vor dem Bett stand, müde die Schnauze auf der Matratze parkte und schläfrig die Augenlider zuklappte. Seine eintönige Stimme klang so kraftlos, dass Law sich schon Sorgen machte, seine pelziger Begleiter würde jeden Moment erschöpft zusammenbrechen. Dennoch war Law aber auch dankbar für Choppers Offenheit. Längst hatte er durchschaut, dass es wohl nur einen sehr kleinen Kreis an Menschen gab, die um Zoros Geheimnisse mehr Bescheid wussten als andere. Und zu diesem Kreis gehörten wohl nur Chopper, Usopp, Tashigi und eventuell auch Taiyoko. Das machte Sinn, denn je größer der Kreis an Mitwisser war, desto größer war die Gefahr, das einer aus dem engsten Kreis überwältigt und verschleppt würde. Man schien an Hanyôs interessiert zu sein, sie gar als Gefahr einzustufen, und da waren wehrlose Dritte ein eine gute Beute, um sie als Druckmittel zu missbrauchen. Law erinnerte sich an Zoros Auftritt vor wenigen Stunden auf seinem U-Bootsdeck. Da war auch dieses rote Auge und der florale Bannkreis mit den grünen Funken. Was mochte Zoro so erzürnt haben, dass dieser so unbeherrscht explodiert war? Die wehrlosen Dritten. Law spulte in seinem Kopf noch einige Stunden mehr in die Vergangenheit und blieb bei einer unterkühlten Verabschiedung zwischen zwei Liebenden und einer entführten Tochter hängen. Zweifelsohne war die Familie Zoros Schwachpunkt, obgleich er das keineswegs herauskehrte. Lief da irgendetwas gerade total aus dem Ruder? Law wusste nichts von Usopps Nachricht an Zoro und so blieb der Hintergrund des Gefühlsorkans noch ein wenig im Dunkeln. Daher blieb es um so mehr bei der Verwunderung, dass ausgerechnet jemand wie Zoro so in Wallung kommen konnte. Zoro, der immer grundsätzlich beherrscht und eiskalt nach außen hin war. „Sag mal, … Du hast eben gesagt, dass Zoro nur solche Auffälligkeiten zeigt, wenn er unbeherrscht wäre. Bist du dir da sicher? Ich fand, der Sprung durch das Zwielicht kam mir doch sehr kontrolliert vor“, fragte Law nach. „Ja, er sagt, er hätte einen Weg gefunden, wie er mit seinen Kräften umgehen könnte. Auch ohne Prisma. Weißt du, er war doch mal Prismenträger...“, gähnte Chopper hervor. „Also hat das Prisma ihn beschützt?“ „Ja, sonst hätte er bei jedem Ausblühen ganz schnell seine Erinnerungen verloren und wäre auf Rice Island in der Stadt der Bekloppten gelandet und hätte die achte Route über Raftel zum Verlorenen Königreich niemals gefunden. Das Prisma hat die Hanyô-Nebenwirkungen ganz entscheidend verdrängt und verlangsamt. Er hatte erst auf Raftel alle Erinnerungen verloren, als er da mit Smoker allein im Zeitstrudel festhing.“ „Bitte was?“ Law kapierte gar nichts mehr, kannte er doch diesen Teil der Weltgeschichte überhaupt nicht, denn die ganze Welt war damals vor gut vierzehn Jahren im Zwielicht verschwunden und Dank Zoros und Smokers Sieg über die fette Kröte wieder durch einen Zeitsprung dem Zwielicht entflohen. Doch das wusste niemand, hatte es doch niemand mitbekommen. Für die Menschen war es wie ein tiefer Schlaf gewesen, aus dem man einfach am nächsten Morgen wieder erwachte. Nur allein Tashigis Notizbuch und Smokers Erinnerungen waren letzte stumme Zeugen von diesem Ereignis.Alle anderen hatten es nicht bewusst erlebt oder waren ins Jenseits gewechselt. „Wie dem auch sei“, überrumpelte das Rentier Law. „Zoro sagt, er kann den Trick nicht verraten, weil das auch seine Schwachstelle wäre. Es wäre nur ein einziger Gedanke, der das alles kontrolliert. Aber den würde er niemals verraten. Also denk' nicht darüber weiter nach.“ Doch Law war nicht auf den Kopf gefallen. Die Erleuchtung zuckte wie ein Blitz durch sein Hirn. Er grinste, denn er hatte eine Bestätigung für seine Vermutung und musste innerlich zugeben, dass tatsächlich die einzige Stärke auch die größte Schwäche wäre, wenn er denn richtig läge. Er erhob sich, kramte aus seiner Manteltasche einen Stift hervor und kritzelte etwas auf die welligen Tapetenreste an der Wand. Es waren zusammenhängende, windschiefe Rechtecke und Striche, die für Chopper alle recht abstrakt aussahen. „Meinst du, für kreative Raumgestaltung ist es eben der rechte Zeitpunkt?“ Chopper hatte seinen Kopf gedreht und blickte nun auf das Gesamtkunstwerk an Formen und Figuren. „Nein, das ist ein Grundriss vom Krankenhaus. Wir waren schon hier, hier und hier.“ Laws Hand flog über die Skizze. Seine Fingerkuppen tippten die bereits entdeckten Orte ab. Er erklärte knapp, dass es Teile im Gebäude gab, die sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Wenn hier wirklich etwas im Verborgenen liegen würde, dann müssten sie jeden einzelnen Winkel untersuchen. Es verwunderte ihn jedoch, dass sie jeden Millimeter abgeklappert, aber dennoch nicht alles gesehen hatten. Wenn jeder Etage eine U-Form inne ruhte, so hätten sie auch auf jeder Etage ein U ablaufen müssen. Hatten sie aber nicht. Wieder strichen seine Finger über den Grundriss und verharrten an einigen Stellen. Und selbst dem Rentier, war es nun verständlich, dass man wohl nicht auf direktem Wege alle Gebäudeteile erreichen konnte. Ob es Geheimtüren oder Geheimgänge gab? Oder hatten sie einfach nur etwas übersehen. „Was genau erwartest du zu sehen?“ „Die Behandlungsräume. Besonders den Operationssaal, wo chirurgische Eingriffe am Gehirn vorgenommen worden sind. Wir sollten noch mal über dieses Treppenhaus hier versuchen, zum Keller zu gelangen...“ Der Keller? Chopper schauderte, hatte er doch noch den Witterungsgeruch von Blut, Tod und Angst in der Nase. Dennoch war er sofort bereit, sich seinem Schicksal hinzugeben, denn die Alternative wäre gewesen, mutterseelenallein durch die Gänge zurück zu der Empfangshalle zu gehen, und dazu hatte er viel zu große Angst. Er wollte gerade wieder hinter Law hertrotten, als seine Nase zuckt. Blitzschnell riss er sie hoch und hielt sie in den eiskalten Luftzug, der sich plötzlich wieder seine Wege bahnte. Doch die Kälte kam diesmal nicht allein. Sie hatten noch einen blinden Passagier dabei. FEUER! Ruckartig drehten sich beide zur Tür, wo sich durch die Fuge zwischen Türblatt und Rahmen schon ein heller Brandschein abzeichnete und Rauch hervorquoll. „Wieso brennt die Scheißhütte jetzt?“, platzt Law nun ungehemmt heraus, und es fiel Chopper schwer, am Tonfall Wut oder Erstaunen zu zuordnen. Doch es bleib keine Zeit zum Grübeln. Law stürzte los, riss die Tür auf und warf sich in das Flammenmeer, dicht gefolgt von einem panisch werdenden Rentier. Dem Instinkt nach wollten beide nur raus. Weg von der glühenden Hitze und dem beißenden Rauch. So musste wahrlich der Vorhof der Hölle aussehen. Sie hasteten zur Treppe und weiter nach unten. Der Qualm nahm ihnen die Sicht, so dass sie auf den Stufen zusammenstießen, übereinander purzelten und die Treppe im schmerzhaften Sturzflug nach unten absolvierten. Dabei blickte Law zurück und machte eine erstaunliche Entdeckung. Oder besser: Er bildete es sich ein. Die Rauchwolken formten sich immer wieder unnatürlich neu und trieben die beiden Piraten voran wie eine Stampede. Als würde ein Geist in dem Rauch hausen und ihn lenken. Bedrohlich wallte der Rauch wie eine Wand auf sie zu. Law tat das, was er in solchen Fällen schon bei Zoro gesehen hatte. Er packte Chopper am Geweih als wäre es ein Türgriff und zog ihn mit sich. Plötzlich tauchte eine Brandschutztür am Ende des Treppenhauses auf. Nanu? Die war doch vorhin nicht da? Egal, Hauptsache weg von den Flammen! Sie durchbrachen die Tür und waren am Ziel. Hinter ihnen viel mit einem Klappern die Tür ins Schloss. So urplötzlich, wie das Feuer sie überraschte hatte, so schnell war es auch wieder verschwunden. Da war nichts mehr in der Luft, was die feine Rentiernase noch wittern konnte. Stattdessen verzehrten sich die Farben der Realität von einer Sekunde zur nächsten zu einer albtraumhaften Vision in Schwarz und Weiß. Es kam den beiden vor, als wären sie Zuschauer in einem Theaterstück, doch saßen sie nicht vor der Bühne, sondern standen direkt auf ihr mitten im Akt des Geschehens. Die Kulisse wurde von einem schlichten Raum gebildet, der wohl der Vorraum zu einem Operationssaal war. Sterile Fliesenwände bis an die Zimmerdecke, eine Pritsche an der Wand nebst einem Medizinschrank und einigen Tropfern vor einem Handwaschbecken vervollständigten das Bühnenbild. Die Tür hinter unseren beiden Zuschauern wurde aufgestoßen, ein Arzt und eine Krankenschwester traten ein und flankierten ein junges Mädchen. Panisch versuchte sie sich zu wehren, doch der harte Griff um ihre Handgelenke verhinderten jeglichen Fluchtversuch. Man zog sie sachte, aber bestimmt in den Nebenraum, wo dem Publikum eine Horrorshow geboten wurde, die selbst hartgesottenen Menschen wie Law das Blut in den Adern gefrieren ließ. Chopper war längst zur Salzsäule erstarrt. Nur die Tränen, welche wie Wasserfälle aus seinen Augen liefen, verrieten seine Lebendigkeit. Und noch ehe sie sich irgendeiner Reaktion ihrerseits hinreißen lassen konnten, fiel der Vorhang. Schwärze umnebelte sie augenblicklich, zwang sie in die Knie und schickte sie in eine Welt des Schlafes. Hosted by Animexx e.V. 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