Raftel (2) von sakemaki (The Rainbow Prism) ================================================================================ Kapitel 11: 11 - Spinnweben --------------------------- In einem kleinen Holzhaus mit eingetretener Haustür, kaputten Fensterscheiben und zugigen Zimmern wetteiferte die frostige Nachttemperatur mit der Stimmung der drei Wartenden um den Kälterekord. Es war das Rentier, dem das Wetter am wenigsten ausmachte, hatte es sich doch zu einem riesigen Wollknäuel aufgebläht und schlief friedlich vor sich her. Der Scharfschütze versuchte es diesem gleich zu tun, doch er zitterte wie Espenlaub und wusste gar nicht, wie er am besten zu sitzen hätte, dass er vor Schlottern nicht umfiel. Also sprang er entnervt auf die Füße, schlug die Arme eins ums andere Mal um seinen Körper und hüpfte frierend von einem Bein auf das andere. Sich umzusehen war zwecklos, denn sie hatten auf Feuer zum Wärmen verzichtet, da der Lichtschein ihr Versteck verraten hätte. Selbst eine kleine Öllampe hatten sie vermieden zu entflammen. Usopp bewegte sich hölzern zum Fenster und starrte durch das zerbrochene Glas hinaus. Die fahle Mondsichel hatte Mitleid und teilte einen ihrer Strahlen mit dem Piraten. Die dunklen Umrisse des Backsteinhauses hoben sich nur minimal vom pechschwarzen Himmel ab. Dahinter rauschte sacht das Meer an den Strand, obwohl die Wasseroberfläche eher ölig schien und wie zähflüssiger Sirup vor ihm lag. Usopp gab dem dringenden Druck seiner Blase nach, trat still vor die Hütte und ein Pinkelgeräusch mischte sich mit dem des Wellenrauschens. Als er wieder zurückkehrte, erreichte ihn ein Flüstern: „Usopp?“ „Du bist noch wach?“, fragte er erstaunt, denn er hätte meinen können, sie hätte geschlafen, als er vorhin die Hütte verließ. „Wenn ich einschlafe, erfriere ich garantiert“, antwortete sie leise. Er gesellte sich an ihre Seite. Wie aufgeplusterte Spatzen an einem Wintertag saßen sie nun dort dicht nebeneinander und klapperten in ungleichem Rhythmus vor sich her. „Meinst du, er hat mir verziehen?“ flüsterte sie weiter. „Wer? Zoro? Wegen damals? Wird er wohl.“ Ihm war nicht wirklich nach einem Gespräch zu Mute, denn die Gehirnwindungen froren langsam ein. Jedoch schien ihr das Thema sehr wichtig zu sein, wenn sie ausgerechnet hier an diesem ungemütlichen Platz damit herausplatzte. Also fragte er nach: „Zweifelst du daran?“ „Ich weiß nicht...“ Sie zog die Schultern noch höher und versenkte ihren Kopf noch tiefer hinter ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen, als wollte sie sich darin verlieren. Es waren so viele Dinge, die ihr durch den Kopf purzelten. Gerne hätte sie sich ausgesprochen, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Usopp hatte sich nach all den Jahren und unzähligen Abenteuern als guter Zuhörer gefunden, der auch mal zur Abwechselung tatsächlich etwas für sich behalten konnte. Allerdings waren nun wohl eben seine Gehörgänge gänzlich vereist. Also behielt sie ihre Probleme vorerst lieber für sich, bis sich später zurück auf der Sunny unten in Usopps Bastelecke eine bessere Gelegenheit zum Plaudern bot. Schlurfende Schritte zogen an dem Haus vorüber, machten keine Anstalten, sich zu verheimlichen und versetzten beide in höchste Alarmbereitschaft. Tashigi hatte umgehend ihre Hand am Schwert und Usopp an Kabuto. Eine einsame Gestalt in Bergarbeiterbekleidung, kohlschwarz vom Staub der düsteren Erdtiefe und entschlossenen Schrittes zog über die vom Wind und Dreck geplagte Straße an den Häusern vorüber und verschwand in einem von diesen. Ein Licht flackerte hinter einfachen Gardinen auf. Kurze Zeit später wiederholte sich dieser Vorgang und ein weiterer Mensch zog vorüber. Und wieder einer. Und noch einer. Die Schicht untertage hatte geendet und Minenarbeiter krochen aus den Löchern der Unterwelt, um in ihre Wohnlöcher zu wechseln. Ein Licht nach dem anderen entflammte sich und kurze Zeit später erloschen sie wieder nacheinander. Die Nacht hatte nun endgültig ihre Mitte erreicht. Alles schlief. „Wir sollten jetzt gehen“, überlegte sie laut und klang dabei sehr entschlossen. „Jetzt plötzlich doch? Ich dachte, wir warten bis zum Morgengrauen?“, fragte er verwirrt. „Warum kamst du überhaupt auf diese Idee? Ich meine, die Kasse auszuplündern wäre doch viel einfacher gewesen. Oder spielst du etwa mit dem Gedanken, doch wieder irgendwie bei der Marine unterzukommen?“ Er musste da unbedingt nachhaken. Mit gesenktem Haupt erhob sie sich, starrte durch das Fenster zum Haus und fühlte sich ertappt. Nein, sie kannten sich zu gut und zu lange, dass ihm irgendetwas hätte entgehen können. Außerdem hatte sie Franky und ihn schon einige Male als Kummerkasten missbraucht, obgleich sie es nie darauf angelegt hatte. Usopp hatte zu viel Hintergrundwissen, als dass sie nun um eine Antwort herumkommen würde. „Ja, das hier ist alles irgendwie total bescheuert, oder? Können wir das später vielleicht …?“ „Von mir aus“, seufzte er und stellte sich innerlich darauf ein, dass es eine Gesprächslänge hätte, bei der es nicht bei einer Tasse voll Klärungskaffee, sondern mindestens wieder bei einer ganzen Kaffeekanne enden würde. Er kramte in seiner braunen Einkaufstasche der tausend Möglichkeiten herum und holte eine Pflanzenkapsel ähnlich einer Kugelbombe ans Mondlicht. Dann griff er unsanft an Choppers Geweih, schüttelte ihn an und zerstörte dessen traumhaften Schlaf. „He, was soll das? Is' was passiert?“, protestierte das Rentier angesäuert. Doch Usopp verschwendete keine Zeit mit Erklärungen und forderte ihn auf, seine Nase in den Wind zu halten, um den gefangenen Nakama aufzuspüren, in welchem Teil des Gebäudes er sich wohl befinden möge. Obgleich noch etwas vom Schlafe benebelt, war es für das Rentier eine seiner leichtesten Übungen. Die Verwunderung stand allen Dreien ins Gesicht geschrieben, als Chopper dann meinte, Zoro säße nicht dort, wo die Zelle zu vermuten wäre, sondern befände sich in der Nähe der Eingangstür. „MIDORI BOSHI! PHYLLOSTACHYS!“, hallte es durch die stille Nacht. Ein Geschoss durchschnitt pfeilschnell die kalte Luft, traf das Backsteingebäude und Bambusrhizome sprossen empor. Steine krachten. Teile der Außenwände brachen lautstark zusammen. Ein übermotiviertes Dreiergespann stürmte kopflos auf ihr Ziel zu. Man lag nur wenige Minuten in der Vergangenheit, also Zoro auf den Leutnant getroffen war, als dass man dort innerhalb des Gebäudes bereits von einem bevorstehenden Angriff etwas erahnt haben könnte. Hätte Zoro von der abrupten Planänderung seiner Freunde gewusst, er hätte sich wohl seiner Freundin zuliebe zuerst um den Sack voller Berri gekümmert, der mittig auf dem Holztisch platziert war. Schon fertig abgezählt und gebündelt in kleinen Scheinen wartete der heißbegehrte Schatz auf seine Abholung, welche durch die Entscheidung des Hauptquartiers geplatzt war. Stattdessen hatte der Leutnant sein Interesse geweckt. Doch musste er nicht lange darüber nachdenken, was es mit diesem Mann auf sich hatte. Die aktive Erklärung folgte umgehend, denn kaum hatte der Soldat seinem ungeplanten Gast zu verstehen gegeben, dass er seine Gastfreundschaft gern ausweitete, so hatte dieser sogar auf dem Fuße seine Gestalt gewechselt. Lange, schwarze Spinnenbeine entwuchsen dem schlanken, muskulösen Körper. Kleiderstoff zerriss mit einem hellen Laut. Dort, wo zuvor das Gesäß des Soldaten in der Hose gesteckt hatte, schob sich nun ein überdimensionaler Spinnenleib unter der Offiziersjacke hervor. Von dessen Ende tropfte es schmierig weiß hernieder und hätte man es nicht besser gewusst, dass Spinnen am Hinterleib ihre Fäden produzierten, so hätte man es wohl mit nicht jugendfreiem Pudding verwechselt. Der Vorderteil unterwarf sich keiner Veränderung, sondern blieb von Kopf bis Brustbein menschlich. Kurzum, ein ausgewachsener Hanyô der Gattung Tsuchigumo nahm nun fast den kompletten Raum ein und drückte mit seinen ungelenken Beinen die Aktenschränke in eine bedrohlich kippende Schieflage. Einzig Zoros Stehplatz in der Tür gebot dem Piraten eine Ausweichmöglichkeit. Zoro wusste nicht so recht, ob er seinen Gegner nun ernst nehmen oder nur mitleidig ansehen sollte. Hanyôs, so hatte er sich dann doch einmal kundig gemacht, gab es in der Tat so einige auf dem Planeten. Je nachdem, was sich da so an magischem und nicht magischem Geschöpf einst mal gekreuzt hatte, kamen dementsprechend die Nachkommen zu Welt, die damit leben mussten, was ihre Eltern im Rausch der Liebe verbrochen hatten. Da konnte Zoro schon froh darüber sein, dass seine Eltern beide menschlicher Gestalt waren und er nicht zu so einer unansehnlichen Mischung geworden war, wie das, was sich ihm da nun gegenüber stellte. Ein Gestaltenwandler zu sein, schien ihm in seinen Augen eher hinderlich, wenn man sich nur zum Teil verwandeln konnte. Mittlerweile konnte er sogar Vorteile ausmachen, ein Kali-Kind zu sein, denn zuvor hatte er diese Eigenschaft als Fluch angesehen. Eine neue Erkenntnis in Bezug auf Seinesgleichen hatte er aber aus dieser Begegnung jedoch schon gewinnen können. Anscheinend bewahrheitete es sich, dass sich Geschöpfe der Magie untereinander in den häufigsten Fällen an irgendwelchen Merkmalen erkennen konnten und so hatte der Leutnant unverzüglich herausgefunden, dass der Pirat dort in seiner Zelle weder Mensch noch Teufelsfruchtbesitzer war. Für Zoro stand fest, dass er hier noch einiges an Autodidaktik aufbringen musste, um ebenfalls genauer Wesen zu erkennen, die ihm in puncto Mysterium ähnlich waren. „Da will wohl jemand seine langen Gräten gestutzt bekommen“, dachte Zoro vordergründig bei sich selbst und nahm die Herausforderung zu diesem Kampf grinsend an. Was könnte er nun tun? Seine Schwerter holen und das Vieh klein säbeln? Oder die Spinne mit ins Zwielicht ziehen und einfach dort aussetzen, bis der Hungertod sie ereilen würde? Letzteres hatte nichts mit einem vernünftigen Kampf zu tun. Also verwarf er diese Option sofort wieder. „Bin gleich wieder da“, teilte er unbeteiligt dem Achtbeiner mit, grabbelte nach dem Geldsack, damit es keinen Ärger mit Tashigi gab, und wandte sich zum Gehen. Erbost von der überheblichen und unverschämten Arroganz des Piraten, den Kampfplatz mir nichts dir nicht zu verlassen, drehte sich die Spinne um, hieb mit einem Bein in Zoros Richtung und zielte direkt mit einem langen Spinnenfaden auf ihn. Nur knapp konnte dieser seinen Kopf einziehen, um nicht gleich wie ein Weihnachtspaket verschnürt zu werden. Tashigis Strick um seinen Hals hatte ihm schon gereicht. Da waren klebrige Fäden nun mehr als überflüssig. Es war nur eine Sekunde später, dass sich zu den langen schwarzen Beinen ebenso lange grüne Bambustriebe gesellten. Sie schossen aus dem Boden, aus den Wänden und drangen durch die Fenster. Scheiben klirrten, die Tür barst in unzählige Teile. Im nächsten Moment krachte die Hauswand ein und gaben den Blick in die kalte Nachtfinsternis frei. Zu seinem Erstaunen erblickte er dort draußen schemenhaft die Umrisse dreier wohlbekannter Freunde, die gerade auf dem Wege waren, unbedacht in ihr Verderben zu rennen. Wenigstens hatte deren Angriff auch etwas Gutes. Zum einen musste er sie nicht unnötig lange suchen, zum anderen galoppierten seine Schwerter auf dem Rentierrücken schnurstracks auf ihn zu. Nur zwei, drei Sätze von ihm waren von Nöten, Chopper zu erreichen, die Schwerter zu greifen und sich ebenso schnell in Angriffsposition zwischen seine verdutzten Freunde und den Tsuchigumo zu platzieren. Den Geldsack warf er Tashigi in die Arme, die sich hinter ihrem Kragen versteckte, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Der Kanonier und der Arzt schrien entsetzt auf bei dem Anblick der Menschenspinne, welche nun durch das Loch gekrabbelt kam. Ihre Beine glänzten im wenigen Mondlicht unnatürlich metallfarben. Der Körper dagegen war schwarz behaart und fiel in der Dunkelheit nicht sonderlich auf. Doch mit seinen Spinnweben war der Leutnant schnell zugange. Scharf wie Rasierklingen und zielgenau wie Speere flogen der Piratengruppe die Spinnfäden um die Ohren, dass ihnen beinahe Hören und Sehen verging. Und dort, wo sie auftrafen, hinterließen sie einen Detonationskrater und klebrig-schleimige Masse, die nichts mehr freigab, was sich auch immer in ihr verfing. Eile war von Nöten oder das Umfeld wäre alsbald eine einzige Schleimwüste und ein Entkommen extrem erschwert. „Santôryû Tatsu Maki“, und das Spinnenungetüm wurde erst von den Füßen gerissen und dann von ihnen getrennt. Innerlich wimmernd beklagte der Soldat den Verlust seiner Gliedmaßen und verzog sich ganz spinnentypisch sofort wieder in sein Hausloch zurück. Zoro schnaubte verächtlich über so wenig Kampfgeist. Unter einer Herausforderung definierte er etwas anderes. Vielleicht sollte man dem Tier den Gnadenstoß geben. Er wollte schon der Spinne folgen, doch eine Hand an seinem Oberarm hielt ihn auf. „Lass den ziehen. Der isses nich` wert...“, sagte sie bittend. Dabei sah sie ihn mit ihren tiefen traurigen Augen an. Er hasst es, wenn sie ihn so anschaute, denn dann konnte er ihr kaum einen Wunsch abschlagen und sie wusste genau um diese Fähigkeit. Widerwillig steckte er seine Schwerter zurück in die Saya. Böse Gedanken huschten durch seinen Kopf, die es besser zu bändigen galt. Die beiden kannten sich aus einem früheren Leben. Und sie wollte ihn nun schonen. Hatten die mal was? Böse Gedanken, die eine brodelnde Eifersucht schürten und garantiert total unbegründet war. Grummelig starrte er sie kurz an und verlor sich wieder in diesen Kulleraugen. Lass das! Doch sie ließ es nicht. Das tat sie nie, bis sie ihren Willen bekam. Die Vierergruppe machte sich auf den langen, staubigen Rückweg durch eine pechschwarze Nacht. Ein feiner Streifen Dämmerung am Horizont kündigte den neuen Tag an, als sie allesamt durchgefroren bis auf die Knochen in der Ferne die Sunny als Ziel ihres Fußmarsches ausmachen konnten. Müde, kaputt und dreckig trennten sich, an Bord angekommen, ihre Wege. Usopp, flink wie er war, stratzte sofort zur Dusche, denn sein Argument, das meiste heiße Wasser als Erster aus dem Boiler ziehen zu können, klang absolut vernünftig. Das Rentier folgte ihm meckernd, der Kanonier sollte es ja nicht wagen, den ganzen Boiler leerlaufen zu lassen. Zoro und Tashigi verzogen sich samt Geldsack hingegen hinauf ins Krähennest. Bis das Bad wieder frei wäre, würde es seine Zeit dauern. „Sie schläft noch“, teilte er mit, als er die Luke hochschob und seine schlummernde Tochter auf ihrem Nachtlager erblickte. Beide schlichen sich empor und suchten sich einen Platz auf der anderen Seite des kleinen Krähennestes. Sie öffnete den Geldsack und starrte mit großen Augen hinein. „Weißt du, was ich immer schon mal machen wollte?“ sagte sie freudig lächelnd. „Nee, aber ich werde es sicher gleich erfahren“, gab er trocken an. Sein Bedarf an neuen Ideen war fürs Erste befriedigt. Mit beiden Händen ergriff sie die Scheine und warf sie hoch in die Luft. Mit ausgestreckten Armen empfing sie einen Geldscheinregen von 320 Millionen Berri, als wäre sie ein kleines Kind, das Schneeflocken fing. Er blickte sie dabei an. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)